

"Früher hatte ich ein Leben, heute habe ich die CinemaxX-Card...."
#391
Geschrieben 26. März 2008, 15:39
Werner Herzog und ein weiterer Besessener: Timothy Tradwell, der sich selbst einen neuen Namen gab, Schauspieler wurde, Alkoholismus und Drogen hinter sich ließ und in die Wildnis ging, dort Bären filmte, sich als einer von ihnen wähnte oder zumindest den Wunsch verspürte eben dies zu sein, der im gleichen Maße die Bären vermenschlichte, ihnen ebenfalls Namen gab, der sich selbst als Auserwählter sah – und das tat er, trotz Verneinung seiner „Besonderheit“, die er immer wieder herausstellt und auch gegen alle Anderen verteidigt, weil die, im Gegensatz zu ihm, nichts von den Bären verstehen, Eindringlinge, Fremdkörper sind –, diesen Timothy Tradwell, wie er sein Leben den Bären widmete, weil Anderes es auszufüllen nicht vermochte, und wie er durch einen Bären starb sind Thema dieses Films. Tradwell’s Arbeit, durch Herzogs Augen gesehen, sagt viel über den Mann aus, wenig über die Tiere – anders gesagt: Für Herzog ist Tradwells Material eben Material über Tradwell. Das Ergebnis ist ein faszinierender Film, über einen – böse gesagt – netten Spinner, einen Menschen, der nicht alleine damit ist/war sich in der „Menschenwelt“ deplaziert zu finden und der einen ganz eigenen Ausweg aus dieser Falle fand. Dass Tradwell dabei wunderschöne Aufnahmen gelangen, soll nicht verschwiegen werden – den Preis, den er und seine Begleiterin dafür zu zahlen hatten, bleibt zu hoch. Aber das Filmen war Tradwells Therapie und Mittel zum Zweck der Tierwerdung – wie er sich inszenierte, wie er sich mit den Tieren abbildete macht deutlich, dass da einer auch an seinem Selbstbild arbeitete – für die Öffentlichkeit, aber auch für sich selbst.
Das traurig-ironische an Tradwells Geschichte ist dabei nicht nur, dass ihm ein grisly death durch jene Tiere zuteil wurde, die er liebte und vor anderen Menschen schützen wollte (was neben dem schalen Wortspiel ja noch mal zwei weitere Ironie-Ebenen sind), sondern findet sich auch in kleinen Details – während Tradwell „seine“ Bären mit Namen versah, ist der Bär, der ihn tötete, von den Behörden erfasst worden und hat deshalb keinen Namen, sondern nur eine Nummer. Tradwell blieb erspart von einem seiner liebgewonnenen Freunde getötet zu werden – aber dass er von einem Bären getötet wurde, der von Bürokraten nur als Nummer erfasst wurde, beweist ja letztlich, dass diese den gesünderen Ansatz haben: Das Tier ist dem Menschen fremd, egal wie sehr man mit niedlichen Taschenspielertricks die Distanz zu verringern versucht. Man muss diese Distanz im Umgang mit dem Fremden nicht künstlich überspielen – der 523ste erfasste Bär, wird als „Bär 523“ nicht vom Menschen vereinnahmt, sondern sein Verhältnis zu uns wird klar erfasst. Wer das wilde Tier für sich vereinnahmen will, macht sich selbst etwas vor. Tradwell tat das, aber es schmälert nicht die Faszination seiner Geschichte. Dass Herzog beides herausarbeitet, ist die große Stärke seines Films.
Sentimentaler Nachsatz: Beim ersten Auftreten der Füchse im Film hätte ich fast geheult. Vielleicht weil da zum ersten Mal sichtbar wird, dass Tradwell nicht nur Tieren nahe kam, die ihn tolerierten, sondern, dass es tatsächlich auch „Freundschaftsbeziehungen“ gab. Herzog wählt für diesen Moment eine unendlich niedliche Szene, so wie ohnehin alle Fuchsauftritte im Film etwas verspieltes haben – gleichzeitig wird einem in diesen Szenen klar, dass Tradwell nichts anderes tut, als die Grenze zu überschreiten, die die ersten Menschen zu überwinden hatten, als sie anfingen Tiere zu domestizieren. Ob ihm dieser Gedanke gefallen hätte, bezweifle ich.
#392
Geschrieben 26. März 2008, 15:51
Ein vielversprechender, atmosphärisch dichter Anfang, der dazu noch die Landschaft wunderbar in Szene setzt, führt leider in die Irre, denn nach dem Vampirüberfall auf die Stadt wird die Story doch sehr holterdipolter. Erzählfluss: Fehlanzeige. Was die Überlebenden machen, um nicht entdeckt zu werden, wie sie die Zeit zubringen, all das wird ausgeblendet: man versteckt sich, Zeitsprung, man bricht zum fouragieren aus, Zeitsprung, Materialbesorgung, Zeitsprung etc. Spannend ist das nicht. Zumal auch die Taten der bedrohende Kräfte außen vor bleiben: Was machen die denn die ganze Zeit, wenn gerade niemand ausbricht? Besonders gründlich haben sie den Ort jedenfalls nicht abgesucht, wenn so kreative Verstecke wie "Dachboden" noch dienlich sind, sie zu foppen. Und der finale Kampf... hüllen wir den Mantel des Schweigens darüber.
Fazit: Guter Anfang, gefolgt von einem versumpfenden Erzählfluss. Regie: Töfte. Drehbuch: Eher nicht.
#393
Geschrieben 27. März 2008, 10:21
Und, anderer Fund, das hier ist ja wohl der blanke Wahnsinn -- sowjetisches Kunstkino, Heimat der schönsten Kamerarbeit im Kino überhaupt, meets Goblins "Suspiria"-Soundtrack.
Bearbeitet von Hagen, 27. März 2008, 11:30.
#394
Geschrieben 27. März 2008, 17:45
Mike Judge, dessen "Office Space" ich mit jeder Sichtung mehr mag, schickt Luke Wilson auf eine Zeitreise der besonderen Art: Als Durchschnittsmann wird er eingefroren und wacht eines Versehens wegen nicht ein, sondern 500 Jahre später wieder auf. Die Lage ist so ernst wie amüsant zugespitzt: Das Land ist völlig degeneriert und zu 100% von Vollidioten bevölkert, was unseren eigentlich unbemerkenswerten Helden zum smartesten Mann im Land macht.
"Idiocracy" feuert eine Breitseite auf die medial unterstützte Verdummung von Joe Sixpack ab und übersteigert alles, was dem Menschen von heute zu denken gibt: medialer Overkill, Monopolbildungen, Herdenmentalität. Und nebenbei ist der Film dann auch tatsächlich lustig -- er hätte übrigens auch ganz gut als Zeichentrickfilm funktioniert. Man stelle sich vor, Phillip J. Fry wäre plötzlich an so einem Ort erwacht...
#395
Geschrieben 28. März 2008, 21:27
Vor gefühlten Ewigkeiten mal gesehen und als witzig in Erinnerung gehabt. Erinnerung hat Recht behalten: "Kung Pow" ist eine völlig blöde Kung-Fu-Film-Parodie unter Zuhilfenahme von Szenen aus einem echten Film des Genres, der mittels "Mattscheibe"-Technik aufgepeppt wurde. Abgesehen von ein paar Gags, die nicht richtig zünden, eine wahnsinnig lustige Angelegenheit - wem die Bruce-Lee-Veralberung aus "Kentucky Fried Movie" gefiel, wird das hier auch sicherlich zusagen. Ich spare mir sogar die "Partyfilm"-Distanz und sage: Ja, "Kung Pow" kann man sich auch nüchtern und alleine anschauen und lustig finden.
#396
Geschrieben 28. März 2008, 21:45
#397
Geschrieben 29. März 2008, 10:23
Bin mir auch nach der zweiten Ansicht noch nicht ganz sicher, ob ich der detektivischen Leistung am Ende noch ganz folgen kann. Und ob ich dem Film verzeihen kann, dass er zwar alle Eigenschaften eines im Film beschriebenen Kriminalromans aufweist, dabei aber die vielversprechendste Eigenschaft ausklammert, nämlich, den Tod der 16 Schergen ("... es sind immer sechzehn, seltsam, ja..."), den der Held nach seiner Ergreifung und seiner Folterung herbeiführt. Tut aber nichts zur Sache: Shane Blacks Regiedebüt ist unterhaltsam, schnell und schlägt viele Haken, bietet also genau das was man von Film-Noir/Hardboiled-Fan Black erwarten konnte.
#398
Geschrieben 03. April 2008, 17:34
Morgan Murphy, unter den aufstrebenden Stand-Up-Comedians ohne Albumveröffentlichung meine liebste Kandidatin, hat einen kleinen, feinen Horrorfilm über eine Übernachtung mit Kollegin und ungebetenem Gast gedreht: "Blair Witch" und "Cloverfield" treffen auf weibliche* Urängste: http://ca.youtube.co...h?v=vN5k6ghQvRI
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* Obwohl ich als Mann auch sagen muss: Uärg!
#399
Geschrieben 03. April 2008, 17:39
Danke, Vern, für das "Transformers 2"-Teaserplakat...
#400
Geschrieben 09. April 2008, 12:04
George Carlin's 13tes (so ca.) HOB-Special macht genau Spaß wie die vorherigen mir bekannten. Carlin ist frische 70 geworden, womit er sich jetzt selber zu den old fucks zählen muss. Und überhaupt: 69 habe ihm schon immer viel besser gefallen.
Neben Scherzen dieser Art, die natürlich bei Carlin dazugehören (und um so mehr, je älter er wird: leiser werden, gefällt ihm aus Prinzip nicht*), gibt es auch wieder die üblichen philosophischen Exkurse und Anmerkungen zum Alltag. Carlin demontiert Floskeln und nervige Alltags-Charaktere und lässt auch wieder seiner Abneigung gegen Autoritäten aller Art freien Lauf. Es fehlt vielleicht an einem auffälligen Highlight (so wie seine großartige Neuordnung und Redigierung der 10 (danach: 2) Gebote aus "Complaints and Grievances" (HBO Special, 2001)), aber Carlin macht immer noch Spaß.
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* Und wenn sein Publikum, das doch wissen müsste, was es zu erwarten hat, gelegentlich noch gasps der Überraschung ausstößt, nicht nur wegen dem Material, sondern jetzt auch noch wegen dem Alter des Mannes, der es da vorträgt, dann macht das Carlin natürlich doppelt so viel Spaß.
#401
Geschrieben 11. April 2008, 10:41
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Irre übrigens: Auf "You are all diseased" (1999) lässt Carlin einen rant gegen airport security los und weißt darauf hin, dass die ganze Angelegenheit mit dem In-Taschen-Schauen eh Unfug ist, weil niemand je eine Bombe oder Pistole mitbringt. Müsste man auch gar nicht, weil das Mitbringen von Messern ja erlaubt sei und mit denen könne man ja problemlos einen Piloten umbringen. Folgende Sätze über die Unvermeidbarkeit von Terrorismus und die Bereitschaft der Amerikaner, Freiheiten aufzugeben um die illusion of security vorgesetzt zu bekommen, scheinen prophetisch -- Scherze über den Unterhaltungswert von Terrorismus klingen da heute schon anders. Noch so ein Kunstwerk für die Liste der Werke, die man nach 2001 anders sieht/hört.
Bearbeitet von Hagen, 11. April 2008, 10:46.
#402
Geschrieben 14. April 2008, 11:49
Ein wunderbarer Konzertfilm... und dann doch wieder nicht. Der Auftritt von Zach Galifianakis, seines Zeichens Komiker, wird in dem kurzen Film von einer neuen Perspektive betrachtet: Der Schwerpunkt liegt auf dem Unerwarteten, dem Improvisierten, dem Ausbrpobieren - was an dem Abend besonders lohnend war, da Zach tatsächlich wohl ziemlich verkatert war. Von Zachs eigentlicher Routine (die freilich schon den Kern zur Zerklüftung in sich trägt, weil er gerne abschweift) bekommt man so wenig mit, dafür aber um so mehr von seinem rastlosen Geist. Kleine Schnippsel vor und nach dem Auftritt vervollkommnen das Bild, ebenso wie ein faux-Interview mit seinem nichtexistenten Zwillingsbruder Seth.
"Look who it isn't" kann ich übrigens auch noch empfehlen: Es ist Zach's Rückblick auf seine kurzlebige Talk-Show auf VH-1 und enthält einige Ausschnitte daraus. Sarah Silverman kommt auch drin vor (Kaufargument) und überhaupt und sowieso. Zusammengenommen ein schöner Einblick in die Welt von Zach Galifianakis, oder zumindest dem, was er davon zeigen will: Da hat jemand seine eigene Scorsese-Doku im Kleinformat über sich gedreht.
#404
Geschrieben 01. Mai 2008, 11:26
Habe nun meinen Lieblingsfilm (u.a.) Coldblooded endlich mal auf englisch sehen können, bin ihm nun noch begeisterter zugetan als vorher und kann partout nicht verstehen, warum diese kleine Perle der ersten Welle der "Tarantino-Filme" es auf DVD hierzulande und selbst in den Staaten so schwer hat: eine beschissene DVD von Laser Paradise, in den USA nur auf VHS veröffentlicht - untragbar. Immerhin haben wir mit Wallace Wolodarsky einen Regisseur und Autor mit Simpsons-Vergangenheit, mit Jason Priestley einen unerwarteten Hauptdarsteller und Michael J. Fox einen Produzenten und Gastrollenspieler, der auch nicht unbekannt ist. Und wie erwähnt: Der Film ist wirklich amüsant, darf Priestley doch mit Welpenblick einen Simpel spielen, der gegen seinen Willen vom book keeper zum hitman befördert wird, weil der Chef das für einen logischen Schritt hält (nicht der einzige amüsante Seitenhieb auf Unternehmerkultur im Allgemeinen), und der sich dann als Naturtalent erweist, aber trotzdem nicht ganz glücklich damit ist. Schöner Gastauftritt: Doris Grau als Rezeptionisten im Altenheim (Stimme von Küchenangestellter/Krankenschwester Doris bei den "Simpsons" / Stimme von Jay Shermans Haar-Stylistin Doris.)
Die BMW-Kurzfilme mit Clive Owen am Stück gesehen und für toll befunden: Fast jeder Regisseur kann den Filmen seinen Stempel aufdrücken: Frankenheimer zieht hier nochmal die "Ronin"-Nummer ab, Ang Lee inszeniert ein schönes Autoballet, WKW (nicht etwa ein jugendliches Bürschlein a la McG, sondern Wong Kar Wai) verschwendet Adriana Lima zwar ein wenig, überzeugt sonst aber auch, Guy Ritchie zieht seine Frau durch den Kakao (und Owen dreht zum Slapstick Overacting auf), Inarritu liefert einen sehr ernsten Teil ab, John Woo bleibt ein wenig blass, Joe Carnahan ebenso und Tony Scott beweist, dass sein irrer Stil sich sehr gut für irre Geschichten eignet, ists eine Episode doch die storytechnisch wildeste. Ingesamt ein großartiges Projekt mit Heerscharen von großen Namen und gern gesehenem Personal -- das kann von mir aus gerne wiederbelebt werden.
#405
Geschrieben 23. Mai 2008, 09:11
Feine Action-Set-Pieces mit Zeug dazwischen.
Scrubs (Staffeln 1 - 6)
In den letzten paar Tagen durchgehechelt und zwischendrin im TV auf eine synchronisierte Version einer just auf Englisch gesehenen Folge gestoßen - ich wäre am liebsten in einen jener endlosen Dr-Cox-Monologe ausgebrochen, allein: Es hätte ja nichts am Missstand (TV) und dessen Vermeidbarkeit (DVDs) geändert.
Lustige Serie jedenfalls, die auch nach Jahren noch damit durchkommt, dass Zach Braff in jeder Folge gefühlte 400mal über Dinge stolpert oder in sie rennt, weil das Figurenarsenal einfach genug Potenzial hat. Ermüdungserscheinungen treten über die Jahre zwar auf, aber wirkliche Aussetzer gab es bisher eigentlich nicht. (Doch: "My life in four cameras" wurde in der zweiten Hälfte als klassische Sitcom inszeniert, war da aber partout nicht amüsant.)
Lessons of Darkness
Ein wunderschöner Film über das Ende der Welt. Hätte Herzog die wenigen, kurzen Interviews mit den Kuwaitern herausgelassen, wäre mir der Film sogar noch lieber - gerade im Hinblick auf Herzogs freien Umgang mit Wahrheit in seinen Dokumentationen ist man als Zuschauer während eben dieser Interviews zu vorsichtig, oder besser: distanziert.
(Seltsam finde ich übrigens, dass ich Herzogs englischen Off-Kommentar viel mehr mag, als den auch von ihm gesprochenen deutschen.)
Bearbeitet von Hagen, 23. Mai 2008, 09:39.
#406
Geschrieben 26. Mai 2008, 09:45
Nachdem ich jetzt mit allen bisher verfügbaren "Scrubs"-Folgen durch bin (also alles bis 7.11 (wg. des Autorenstreiks schon das Ende der vorraussichtlich vorletzten Staffel)), lag es nahe, "Garden State" in Angriff zu nehmen. Bis zu Natalie Portmans Auftritt ist das recht irritierend, weil man sich angesichts der nahezu betäubten Lethargie des Films/Portagonisten wundert, ob man denn auch den richtigen Film eingelegt habe (also den, der ja bei nicht wenigen Menschen der Zielgruppe einen Nerv getroffen zu haben scheint) - danach aber injeziert Portman dem Film/Portagonisten Leben und die Midtwen-Crisis-Story funktioniert schlagartig viel besser. Das ist natürlich nicht nur eine Besetzungsfrage (die Dialoge wollen ja auch erst einmal geschrieben werden), funktioniert mit der quirligen und furchtbar niedlichen Natalie Portman aber besonders gut.
Lobende Erwähnung: Die kleinen, kurz ausgespielten visuellen Gags (Tankstutzen, Diplomwand, Bogenschießen).
Halbkritische Erwähnung: Auch wenn der Held dieses Films sehr verschieden von J.D. ist, meint man an 2, 3 Stellen Braffs Figur aus "Scrubs" durchschimmern zu sehen. Das fühlt sich aber vielleicht auch nur deswegen seltsam an, weil ich Braffs über 60stündiges Serienwerk innerhalb einer Woche konsumiert habe und die Grenzen zwischen Film/Serie für mich so viel stärker verwischen.
#407
Geschrieben 27. Mai 2008, 17:18
Hoppla! War mir damals keinen Kinobesuch wert und entpuppt sich jetzt auf DVD als durchaus mitreißender Film. Dabei ist die Machart natürlich ein bisschen irreführend, weil der Film sich als anspruchsvoll verkauft, letztlich aber nur (pardon: "nur") eine simple Rachgeschichte auf internationaler Ebene erzählt. Das ist übrigens nichts schlechtes: Weder gibt es was gegen solche Geschichten einzuwenden, noch dagegen, dass sie heutzutage unter Umständen eben ganz anders inszeniert werden als sagen wir: "Commando".
Missfallen erregt nur die Überheblichkeit der Amerikaner gegenüber den Saudis: Die mag hundertmal motiviert sein, aber gerade angesichts des Themas des Films ist dieses Verhalten unsympathisch - andererseits: Die letzten Sekunden des Films machen überdeutlich wohin so etwas führt, auf beiden Seiten.
Bearbeitet von Hagen, 27. Mai 2008, 17:19.
#408
Geschrieben 30. Mai 2008, 17:58
Sehr sympathische Comedy-Serie - nach der ersten Folge war ich noch etwas skeptisch, weil trotz meines alten Alyson-Hannigan-Fimmels der Funke noch nicht ganz übersprang, aber das hatte sich ab der zweiten Folge erledigt. Wenn man selber gerne über Sender-Bosse schimpft, die Serien keine Chance geben, sollte man selber auch nicht nach dem Pilot die Reißleine ziehen. Egal: Amüsantes Personal, nettes Spielen mit Zeitsprüngen. Ich habe zwar wegen ein, zwei kleineren Charaktereigenschaften einer Figur (Barney, gespielt von Neil Patrick Harris (dem Gestapo-Mann aus "Starship Troopers")) an "Scrubs" denken müssen, aber warum sollte man immer nur bei Stephen-King-Büchern merken, welchen Roman aus seiner Bibliothek er gerade wieder gelesen hat. (Altes Urteil, dass ich irgendwann mal über King aufschnappte und persönlich nicht teile, hier aber recht passend fand. Herrje, ich schweife ab.) Auch egal, weil Barney eine jener Figuren ist, die eine Serie fast an sich reißen - auf eine gute Art und Weise.
Also: Empfehlung, wenn die Show dieses Jahr auf Pro 7 Premiere feiern wird. Und gleichzeitig die übliche, großkotzige O-Ton-Warnung: Selbst wenn im Synchro-Studio ausnahmsweise mal motivierte Sprecher aufgetrieben werden, werden dennoch wieder notgedrungen viele Gags auf der Strecke bleiben müssen.
#409
Geschrieben 01. Juni 2008, 10:11
Hier habe ich bisher nur die Hälfte der ersten Staffel gesehen und würde mich dennoch bereits als Fan bezeichnen. Das Legen falscher Spuren verstanden die Serienautoren ganz gut, die episodenübergreifenden Fälle und Charakterentwicklungen kommen der Film-Noir-Tradition der komplizierten Plots sehr entgegen und bedienen sich klassischer Storyelemente, die heute auch in jeder Seifenoper zu finden sind, und trotzdem ist das Ganze so gut gemacht, dass es fasziniert. Dass High-School-Setting ist sowieso perfekt, weil ich mir keinen anderen Ort denken kann, an dem alles Gute und Schlechte Amerikas im Speziellen und der Menschheit im Allgemeinen zusammenkäme. Und wie sich das für hartgekochte Detektive gehört, kommt bei der Serie Humor auch nicht zu kurz. (Mein Lieblingsscherz ist im moment aber ein Gag aus der Meta-Abteilung: In Folge 13 wird Veronica gefragt, woher sie ein vermisstes Mädchen kenne. Sie antwortet: "We used to be friends. [Pause] A long time ago." Danach beginnt der immer gleiche Serien-Vorspann, der von einem Song unterlegt ist, dessen erste Zeilen lauten: "A long time ago, we used to be friends.")
Wer, wie ich, "Veronica Mars" der ZDF-Austrahlungspolitik wegen bisher verpasst hat, der hard boiled-Tradition in egal welchem Medium zugeneigt ist, und dem "Brick" gefiel, der sollte der Serie eine Chance geben. Die erste Staffel gibt es mittlerweile ja auch hierzulande zu erstehen, die anderen sind natürlich in den USA verfügbar.
Bearbeitet von Hagen, 01. Juni 2008, 10:29.
#410
Geschrieben 02. Juni 2008, 08:34
Season 1 endet mit einer Episode, die sich so heftig im Tempo vom Rest unterscheidet, dass man davon ziemlich überrollt wird. Dass es am Ende der Folge einen Cliffhanger gibt, war anders ja nicht zu erwarten, dass in Season 2 die Episoden auch zunehmend mit solchen Knalleffekten enden, ist hingegen nicht gut für meine Nerven -- und das sage ich als jemand, der alle Staffeln griffbereit hat und auch plant sie in den nächsten Tagen zu sehen. Trotzdem ist dieser Effekt des Eingesaugtwerdens in gerade solch ein Universum der Niedertracht fast schon im selben Maße unangenehm, wie es Sehspaß bereitet. "Veronica Mars" hat mich jedenfalls in ihren Bann geschlagen -- inkl. der zugehörigen Paranoia bezüglich der Absichten fast des gesamten Personals.
Edit: Und wegen der Episode "Nobody puts baby in a corner": Dysfunktionale Familien galore, was im Kontext der in der Serie nicht eben vernachlässigten Klassenkampfthematik (huch, ein Wortspiel) natürlich um so schöner ist -- weil: korrupte Reiche und kaputte Familien, gerne auch in der Paarung der kaputten reichen Familie sind schon bei Chandler und Spillane nicht zufällig unverzichtbare Zutaten.
Bearbeitet von Hagen, 02. Juni 2008, 11:47.
#411
Geschrieben 04. Juni 2008, 08:48
Wie die oft benutzten Weitwinkel nicht nur interessante Bilder erzeugen, sondern auch Distanz zwischen den Figuren erzeugen (selbst ein Paar, dass sich an einem kleinen Frühstückstisch gegenüber sitzt, scheint durch die Linsenwahl eben doch von einer ziemlichen Distanz getrennt) und wie sie bei anderen Gelegenheiten die Isolation einer alleine dastehenden Figur ebenso vergrößern, in dem sie den sie umgebenden Leerraum vergrößern -- die Form vermittelt hier Inhalt oder trägt zumindest unterschwellig zur Schaffung einer verfremdeten, bedrohlichen Welt dar.
Und wie schön es ist, dass Veronica eigentlich mehr in der Tradition englischer Detektive steht: der amerikanische Detektiv unterscheidet sich von diesem ja oft dadurch, dass er auf seinen Instinkt setzt, gut feeling und hunch sind wichtige Kriterien seiner Arbeit, während die englische Detektivtradition eher auf klassischer Geistesarbeit und messerscharfer Deduktion beruht. Dazu gehört, dass ein Detektiv wie Sherlock Holmes in der Gesellschaft, in der er tätig ist, als ein Zeichenleser agiert. Um das tun zu können, braucht es eine Gesellschaft mit Codes -- der Kleidung und des Verhaltens beispielsweise. Man nehme das erste Kurzgeschichtenabenteuer von Holmes als Beispiel: Dr. Watson besucht den Detektiv, nachdem man sich länger nicht gesehen hat, Holmes wirft einen Blick auf seinen Freund und sagt ihm, dass er wohl vor kurzem einen längeren Spaziergang hinter sich habe und zuhause mit seiner Haushälterin unzufrieden sei -- dem irritiert zustimmenden Watson erklärt Holmes, ersteres habe er an dem noch etwas schmutzigen Hosenaufschlag seines Freundes erkannt, letzteres übrigens auch: in einer Gesellschaft, in der einer wie Watson eine Haushälterin hat um seine Hosen zu reinigen, kann man eben aus einer schlecht gereinigten Hose gleich zweierlei schließen.
Veronica Marsens codierte Gesellschaft ist nicht das viktorianische England, sondern die amerikanische High School und man könnte darüber streiten, ob sich beide Gesellschaften in ihrer Les- und Durchschaubarkeit -- zumindest für den geübten Betrachter -- unterscheiden. An dress codes mangelt es in Veronicas Welt nicht, weil die High-School-Gesellschaft ebenfalls in isolierte Gruppen zerfällt, bei der Unterschiede wie der zwischen pep squad und cheer leader bspw. dem europäischen Zuschauer völlig fremd bleiben, aber sich für den Insider anhand derer Uniformierung und ihres Tätigkeitsbereichs sofort erschließen. Und wenn Veronica beispielsweise bei der Sichtung von Videomaterial (auf der Suche nach einem Stalker) einen Unidentifiezierbaren mit einer identifizierbaren Jacke entdeckt, dann kann das in ihrer Welt helfen, den Kreis der Verdächtigen einzuschränken: diese Jacke (des Schulsportteams) trägt schließlich nur ein eingeschränkter Personenkreis -- und wenn die Person auf dem Video verschwindet und Veronica bemerkt, dass dann im Hintergrund auch ein bestimmter Wagen fehlt, weiß sie wie sie den Personenkreis nochmal einschränken kann. Dieselbe Detektivleistung wäre aber beispielsweise in England nicht möglich (wenn jeder die selbe Uniform trägt), von Deutschland (dessen Schulsporttradition weit davon entfernt ist, einen vergleichbaren Lokalpatriotismus oder eine solche Identifikationsmöglichkeit für die Sporttreibenden zu haben, dass diese Interesse daran hätten oder Prestige dadurch gewönnen, auch nach Schulschluss sich durch Kostümierung hervorzuheben).
Und die banale Anmerkung zum Schluss: Dem Finale der zweiten Staffel fehlt leider der rush des Finales der ersten Staffel. Das mag daran liegen, dass der staffelüberspannende Fall einem trotz der hohen Opferzahl nicht so nah geht, wie der Mordfall aus der Staffel davor, das mag daran liegen, dass die Verdächtigen dieses Mal menschlich nicht so nah an Veronica dran sind und es liegt vielleicht auch ein wenig daran, dass einen das erste Staffelfinale von der ersten Sekunde an überrumpelte, weil plötzlich eine andere Geschwindigkeit vorgelegt wurde, während dieses zweite Finale erst gegen Ende das Tempo anzieht. Trotzdem kein schlechter Abschluss für eine sehr gute zweite Staffel. Mal sehen wie Veronica goes to college als leider schon letzte Staffel sich gestalten wird.
#413
Geschrieben 06. Juni 2008, 17:31
Da schließt man die Serie ins Herz, freut sich, dass die dritte Staffel sich qualitativ besser anfühlt als die auch nicht schlechte zweite Staffel, genießt, dass eben in dieser letzten Staffel sehr viele pointierte Dialoge zu finden sind (genaugenommen war das die Staffel mit den meißten Lachern) und gerade gegen Ende dieser Staffel wird man den Eindruck nicht los, dass die Macher, die das Ende der Serie kommen sahen, dem Zuschauer den Gefallen tun werden und einen sauberen Abgang hinlegen -- stattdessen ist auch die letzte Folge dieser Staffel genau so ein Biest wie das Finale der ersten Staffel: der emotionale rush ist furchtbar, weil viel passiert und wenig davon Gutes verheißt und weil einem mit jeder Minute, die dem Einstieg folgt, immer mehr schwant, dass die Serie einen jenen Abgänge in Moll hinlegen wird, die ich als Zuschauer seit "Alf" hasse. Ganz so eine fiese Nummer wird hier natürlich nicht abgezogen und auch die völlig kaputten Abort-Enden so mancher Serien, die vor ihrer Zeit von ihrem Sender gemeuchelt wurden, finden hier keine Fortsetzung. Im Endeffekt ist das Finale so geschlossen und gleichzeitig so offen, wie man es erwarten könnte, von einer Serie, die darauf spekuliert doch noch eine weitere Season spendiert zu bekommen und die für diese schon mal ein paar Fallen auslegt.
Letztendlich kann man mit diesem Ende leben, aber herrje, schön ist das trotzdem nicht, zumal die Serie gerade in dieser Staffel ganz deutlich ihr Potenzial aufgezeigt hat. Und in dem Zusammenhang sei natürlich auch die Pest über das ZDF gewünscht, dem ich einfach mal einen Prozentsatz Schuld zuschiebe, weil US-Serien natürlich immer länger überleben, wenn sie in wichtigen Exportmärkten Quote (und damit Aussicht auf gute Lizenzgebühren) bringen, was hierzulande ja durch die Sendeplatzierung aufs formidabelste verhindert wurde. Ah, well...
Zum Abschluss noch ein paar zufällige Notizen zur Serie: Ich liebe hier, wie auch bei anderen US-Serien, die Selbstverständlichkeit, mit der Episodentitel oft Wortspiele mit Anspielungen auf u.a. die Populärkultur sind ("Debasement Tapes" als Titel einer Episode, die sich noch dazu mit einem Sänger beschäftigt, mag vielleicht nur den Dylan-Fans etwas sagen, aber das ist in den Staaten sicher nicht anders) und ich liebe zwei, drei regelmäßig verwendete Themen (musikalisch). Und dass Serienschöpfer Rob Thomas seine Namensvetterschaft mit einem Popband-Mitglied dazu genutzt hat sich in der vorletzten Folge aus dem Mund einer seiner Figuren selbst zu beleidigen ("Rob Thomas is a ---") gibt auch einen Bonuspunkt.
So denn: Adieu, Veronica Mars, und hallo, Wartephase des heimlichen Daumendrückens -- ein paar Jährchen wird man doch wohl noch realistisch auf einen Spielfilmableger hoffen dürfen ohne allzu pathetisch zu wirken...
#414
Geschrieben 07. Juni 2008, 10:04
Der letzte von drei Filmen, die an der Universität Freiburg im Rahmen einer NS-Kino-Reihe zu sehen waren ("Triumph des Willens" (entfiel), "Wunschkonzert" und "Die goldene Stadt" waren die anderen), ist auch der einzige, den ich in diesem Zusammenhang sah. Mein Motiv ist dabei simpel: neben dem Raritätenwert hat mich vor allem die Inszenierung der Komparsenheere interessiert -- "Kolberg" als Monumentalfilm, wenn man so will.
Dass künstlerisch bei "Kolberg" nicht herauskommen würde, das mich überzeugen könnte, hatte ich dabei allerdings schon vermutet: Veit Harlans "Jud Süß" war -- wenn man die ekelhafte Botschaft mal aus der Bewertung ausklammern will -- schon unspektakuläres, unauffälliges Handwerk. Klaus Kreimeier hat in seinem empfehlenswerten Buch "Die UFA-Story" an mehr als einer Stelle darauf hingewiesen, dass die Nazi-Jahre der UFA künstlerisch eine Zeit der Stagnation und des Rückschritts darstellen und die mir bekannten Filme Veit Harlans passen da wunderbar ins Bild. Nicht, dass ich heimlich gehofft hätte, hier oder bei "Jud Süß" große Filmkunst aufgetischt zu bekommen -- ich habe es im Gegenteil er befürchtet. Was wäre wenn... die schlimmsten Filme der deutschen Filmgeschichte sich als Meisterwerke entpuppt hätten? Aber wie gesagt: Sie sind es nicht.
So wie "Jud Süß" ein antisemitischer Tendenzfilm ist, der ein 100prozentiges companion piece zu der "Dokumentation" "Der ewige Jude" ist, so ist "Kolberg" ein Durchhalte-Tendenzfilm, den man sich als Bebilderung der Sportpalastrede von Goebbels vorstellen darf -- der Rede vom 18.02.1943 folgte am 01.06. der Auftrag für den "Großfilm Kolberg". Alles im Film ist dann auch vom Subtext des "Totalen Kriegs" durchdrungen: Da wird eine Bürgerwehr aufgestellt und trainiert und ein Bild von Bürgern gezeichnet, die anstatt ihre vielgeliebte Heimat dem nahenden Feind zu übergeben, lieber sterben und ihre Häuser in Flammen aufgehen sehen -- dass Heinrich Georges Figur an eineer Stelle sogar vor dem Stadtkommandanten auf die Knie geht und inbrünstig darum bettelt, doch bitte noch weiter kämpfen zu dürfen, passt da sehr gut ins Bild, zumal der Wunsch positiv beschieden wird: "So wollte ich es von Ihnen hören (...), jetzt können wir gemeinsam sterben!" Und so überschwemmen die Bürger Teile ihrer Stadt selbst, damit die Franzosen nicht so leicht vorrücken können, so brennt ein Bürger seinen eigenen Hof nieder, weil der taktisch günstig für die Angreifer liegt, so wird der lahme Stadtkommandant als jemand gezeichnet, den die Bürger durchaus ablösen können und sollen, weil er eher zur Kapitulation neigt, so stirbt der "Weltbürger" (Selbstbezeichnung) und Schöngeist Klaus beim Versuch seine Geige zu retten (Kunst und andere Spezerein haben im totalen Krieg eh nichts zu suchen und wer sich daran klammert, den ereilt folgerichtig das passende Schicksal) und, und, und. Kaum ein Dialog -- Goebbels schrieb wohl übrigens kräftig an diesen mit -- oder eine Szene des Films bleibt übrig, die nicht Goebbels Vision vermittelt: wenn es sein muss, greifen auch die Bürger zu den Waffen; auch wenn die eigenen Städte brennen, bleibt Hoffnung auf den Gesamtsieg; wer ausharrt, triumphiert; was man verteidigt, ist nicht das eigene Leben, das eigene Haus, Kultur- und Wertgegenstände, was man verteidigt ist vielmehr: der eigene Boden, der eigene Lebensraum -- wer an Kapitulation denkt, ist entweder ein rückgratloser Künstler, ein verweichlichter Kommandant oder ein Kapitalist, dem die Frucht seines Arbeitslebens über nationale Werte geht.
Der Krieg, von dem der Film dabei zu erzählen vorgibt, ist dabei auch wegen der zahlreichen historischen Verdrehungen nur eine schlecht übertünchte Vision des damals tobenden echten Krieges: Wenn die französische Kannonade Kolberg am Ende zertrümmert und Menschen durch brennende Gassen rennen, dann ist der Film endgültig in der damaligen Gegenwart angekommen und spricht von dieser: Die Städte brennen durch die rücksichtslose Kriegsführung der Anderen, aber wenn alle zusammenarbeiten -- und hier schwenkt der Film dann zur Zukunft über -- dann wird alles gut. Bei Kreimeier kann man lesen, dass nach der Premiere in Berlin (am 30.01.1945; die andere war am selben Tag in der von den Alliierten belagerten Festung La Rochelle) "Eiseskälte" die vornehmliche Reaktion der Zuschauer war, was einen auch nicht im geringsten verwundern muss: Wer in einer zertrümmerten Stadt in einem Ersatzkino -- die großen Filmpaläste waren bereits den Bombardierungen zum Opfer gefallen -- ein Endsieg-Märchen in Agfacolor erzählt bekommt, während er gleichzeitig fürchten muss, beim nächsten Bomberangriff ums Leben zu kommen -- so ein Zuschauer wird an "Kolberg" keinen Spaß finden können.
Abschließend dann noch ein Wort zum Handwerk, das ich ja schon als Kriterium nannte: viele Dialoge in konventioneller Inszenierung, gelegentliche bewegte Kamera bei Dialogen, sehr holprige Montage: erstens bewegen sich Personen nicht von Szene zu Szene, sondern tauchen nur durch die abrupte Montage auf (gerade steht George noch bei Löscharbeiten auf der Straße, schon ist er nach einem Schnitt in einem Raum zu sehen, wo er um einen gefallenen Soldaten aus seiner Familie trauert -- wie er davon erfuhr, wie er dort hinkam, wie der Leichnam dort hinkam etc. pp. -- alles bleibt ungeklärt) und zweitens sind gerade Massenszenen oft nicht effektiv inszeniert und montiert, sondern recht starre Zahlenprotzerei. Schauspielerisch gibt es übrigens auch ein paar Hühnchen zu rupfen: Kristina Söderbaums (Veit Harlans Frau) Rolle mag schon prinzipiell sehr dümmlich angelegt worden sein (Der Malibu-Stacey-Satz "Frag mich nicht, ich bin nur ein Mädchen, thihi" fasst das gut zusammen), was aber auch gut zu ihren Fähigkeiten passt (in "Jud Süß" (und in wer-weiß-wievielen anderen Filmen ihres Mannes) hat sie die selbe Nummer abgezogen), Heinrich George versteht man kaum, weil er entweder brüllt oder in sein Doppelkinn murmelt, Söderbaums Filmbruder wirkt ebenfalls furchtbar infantil und die Szene, in der sich Söderberg mit der Königin trifft ist sowohl von beider Schauspielerei als auch vom lächerlichen Pathos der Szene her einer der handwerklichen Tiefpunkte des Films.
Alles in allem ist "Kolberg" ein schlichtweg vergessenswerter Film. Wenn man den Film, wie es in einem imdb-Review geschieht, schon von seiner Zeit und Entstehungsgeschichte losmachen will, und nebenbei die Botschaft des Films partout ignorieren will, bleibt trotzdem ein wenig beeindruckendes Fragment übrig, dass oft uneven wirkt, dessen Protagonisten Abziehbilder sind und dessen Actionszenen trotz des enormen Aufwands wenig hermachen. "Kolberg" war nicht nur nicht auf der Höhe der Filmkunst seiner Zeit, sondern ist auch im Vergleich zu vielen älteren deutschen und internationalen Produktionen kein Highlight, sondern uninspiriertes Mittelmaß mit Ausschlägen nach unten.
Bearbeitet von Hagen, 07. Juni 2008, 11:32.
#415
Geschrieben 10. Juni 2008, 18:10
#416
Geschrieben 13. Juni 2008, 16:34
#417
Geschrieben 17. Juni 2008, 11:13
Kurzversion: atmosphärisch dichter Film, der mir gut bis sehr gut gefällt. Bin mir noch nicht sicher, wo genau ich ihn in einer Shyamalan-Hitliste zu verorten habe, wahrscheinlich eher etwas weiter hinten... bei den anderen Filmen, die ich dann nur etwas weniger gut bis etwas weniger als sehr gut finde.
#418
Geschrieben 18. Juni 2008, 10:49
(Der Kurzversion von gestern folgt nun die "Ach, doch so lang?"-Version. Getreu meiner alten Angewohnheit längere Kritiken auch bei kino.de einzustellen, findet sich der Text auch hier und wurde eigentlich auch für eben diese Seite geschrieben. Wobei besonders lange Texte dort ja immer besonders wenig Leser finden. Und bei Filmen, die es nicht zum Blockbuster bringen, erst recht. Egal. Es folgt das Aufbäumen eines Fanboys, der mit viel Aufwand eigentlich nur erreichen möchte, dass die, die "The Happening" nicht mögen, den Film wenigstens nicht mit den Adjektiven belegen, die ich bisher schon gehört habe und die Film und Filmemacher allesamt auf allen Ebenen komplette Unfähigkeit unterstellen. Anders gesagt: Bei aller Abneigung bitte keine Uwe-Boll-Vergleiche mehr. Danke.)
Ich bin mir nicht sicher, ob man „The Happening“ dem Katastrophen-Genre zurechnen sollte, wie es bisher viele Kritiker und Journalisten tun, aber anders als viele von ihnen finde ich M. Night Shyamalans neuen Film gut und habe deswegen keine Verwendung für Überschriften a la „Ein Katastrophenfilm im eigentlichen Wortsinn“, es sei ihnen also gegönnt.
„The Happening“ gehört für mich viel mehr in die Sparte des Mystery-, des Horrorgenres, vielleicht auch zum Phatastischen Film. Schließlich geht es hier um ein rätselhaftes Phänomen: Spontan auftretende Massenselbstmorde, deren Auslöser und wie man dieser ‚Epidemie’ entkommen kann. Die Grenzen verwischen bei M. Night Shyamalans Filmen stets etwas, weswegen man vielleicht sagen könnte, dass „The Happening“ ein ‚Spannungsfilm’ ist, haben doch alle Filme des Regisseurs seit ‚The Sixth Sense’ gemeinsam, dass sie vor allem spannende Szenen aufwiesen.
Das zweite wiederkehrende Merkmal seiner Filme findet sich im Bereich der Themen und Motive. M. Night Shyamalan scheint dabei bei der Besetzung seiner Hauptdarsteller eine Vorliebe für Männer zu haben, die sonst im Action-Fach zu Hause sind, besetzt diese dann aber in verletztlichen Rollen. Paul Giametti aus „The Lady in the Water“ bildet bisher eine Ausnahme, denn auf Bruce Willis und Mel Gibson folgt nun Mark Wahlberg, der unter anderem letztens seine Actiontauglichkeit in „Shooter“ beweisen konnte. Die Wahl dieser sehr männlichen Darsteller wird dabei durch die Rollen, die sie zu spielen haben, interessanterweise unterwandert: Die Protagonisten in Shyamalans Filmen sind normale Menschen, die in ungewöhnliche Dinge hineingezogen werden und denen eine Traurigkeit eigen ist, die oft von einem Verlust herrührt. Shyamalans Werk erscheint mir bisher als ein Kino der traurigen Männer.
Ab hier Spoiler
In „The Happening“ ist der Held von diesem Verlust, der bei Shyamalan ausnahmslos den Verlust der Familie darstellt, noch nicht ereilt worden, aber er ist davon bedroht. Seine Ehe steckt in einer Krise, seine Frau, gespielt von Zoey Deschanel, zweifelt an der Richtigkeit ihrer Entscheidung zu heiraten. Diese Zweifel haben sie bisher auch davon abgehalten, Kinder mit ihrem Mann zu haben. Noch bevor mit den Massenselbstmorden die Bedrohung von Außen einsetzt, ist das Leben des Protagonisten also bereits aus den Fugen geraten, weil seine Familie keine ‚richtige’ Familie ist: zum klassischen Familienbild gehören die Kinder, die er und seine Frau nicht haben, weil bereits die Ehe, Basis der klassischen Familie, instabil ist.
Wie viele Shyamalan-Helden muss auch dieser sich mit einer Glaubensfrage auseinander setzen, um dem Problem beizukommen, was für ihn aber leichter als seine Vorgänger ist: Er glaubt an die Richtigkeit und den Erfolg seiner Ehe, muss aber seine Frau davon überzeugen, die bereits so weit ist, dass sie sich von Kleinigkeiten aus der Bahn werfen lässt: Ein Kollege, mit dem sie einmal essen war, sendet ihr beständig Nachrichten auf ihr Mobiltelefon – die mögliche Affäre, die sich eben nicht zu einer solchen entwickelt hat, und der Kollege, der dies nicht einsehen möchte, bedrücken sie als große Last. Als sie ihrem Mann davon erzählt, behandelt er das ‚Geheimnis’ als das, was es ist: eine Nichtigkeit. Die verschiedenen Ebenen des Glaubens an die eigene Zukunft prallen hier aufeinander: Der Eine denkt und fühlt im großen Kontext, die Andere verzweifelt bereits an den kleinen Dingen.
Joey, so der Name des Kollegen, der im Film nur als Signatur unter seinen Textnachrichten auftritt, wird laut Abspann übrigens von M. Night Shyamalan gespielt. Dieser hat bisher in allen seinen Filmen mal kleine und mal größere Rollen übernommen, wobei die Kritik der beruflichen und hobbymäßigen Filmbesprecher an diesen Auftritten sich parallel zu dem Umfang dieser Auftritte entwickelte, bis beide bei seinem letzten Film „The Lady in the Water“ ihr bisheriges Maximum erreichten. Dass Shyamalan seinen traditionellen Auftritt hier auf dieses Minimum reduziert, ist, so mancher Kritiker, ein Einstgeständnis, dass sie, die Kritiker, mit ihrer bisherigen Einschätzung Recht hatten, zeugt, so meine ich, ersteinmal aber nur von der Erkenntnis, dass es einem für Shyamalans Karriere wichtigen Film dienen kann, auf übermäßige Kontroverse und automatische Anfeindungen zu verzichten, wo es nur geht, und zeugt darüberhinaus vor allem von Selbstironie. Shyamalans Nebenrollen sind bis zu „Lady in the Water“ ja auch keineswegs beständig und geradlinig angewachsen – dem längeren Auftritt in „Signs“, wo er einen Mann spielt, der furchtbare Schuld auf sich geladen hat, folgte in „The Village“ ein Auftritt, der so gering war, dass er fast übersehen werden kann. Den Kritikerkollegen sei ihre Meinung über Shyamalans Geltungsdrang und die Qualität seiner Auftritte durchaus belassen, aber den gelungenen Gags im Abspann finde ich durchaus anerkennenswert.
Shyamalans Humor ist aber auch etwas, das sehr unterschiedlich wahrgenommen wird. Der Grundton seiner meisten Filme ist ernsthaft und melancholisch, Anflüge von Humor werden da von Manchem als deplatziert wahrgenommen oder – schlimmer noch – als unfreiwillig abgetan. Ich finde die humoresken Einschübe seiner Filme dabei leichter zu ‚verstehen’, wenn man das oft reduzierte Schauspiel in diesen Filmen mit dem Stummfilmkomiker Buster Keaton vergleicht oder mit den Filmen Takeshi Kitanos. In beiden Beispielen wird, in sehr unterschiedlichen Filmen, vorgemacht, dass ein Held, der einen ernsten Gesichtsausdruck bewahrt, das Publikum durchaus zum Lachen bringen kann. Mit Kitanos Filmen teilt Shyamalan übrigens nicht nur die Schwierigkeit aus seinem ernsten Stil ohne Hinzunahme stilfremder Elemente gelegentlichen comic relief zu ziehen, sondern auch die Methoden, mit denen er das macht: Beide setzen oft auf ein einfaches Schnitt-Gegenschnitt-Verfahren, bei dem die Pointe einer Szene durch einen abrupten Schnitt entsteht: Wenn eine junge Dame in „The Village“ dem Dorfschmied einen Heiratsantrag macht, prallen dort in Schnitt und Gegenschnitt schon zwei Gefühlswelten aufeinander, die für eine amüsante Spannung sorgen – ihre redselige Quirligkeit wird von seiner kompletten Regungs- und Teilnahmslosigkeit konterkariert –, was dann schließlich so aufgelöst wird, dass wir sie, nach einem harten Schnitt, hysterisch weinend in ihrem Zimmer sehen – der abrupte, den Zuschauer unvorbereitet treffende Stimmungswechsel ist es, der hier für die Lacher sorgt. Dass dieser Humor auch zum finanziellen Erfolgsrezept Shyamalans gehört, wird deutlich, wenn man sich ansieht, dass sein bisher bester Film, „Unbreakable“, an der Kinokasse deutlich hinter den Erwartungen zurückblieb, was sicherlich an der durch und durch freudlosen Stimmung des Films liegen wird.
Der Humor in „The Happening“, um dieses Thema zu beenden, ist jedenfalls auf ein paar wenige Momente des comic relief begrenzt. Einmal handelt es sich um einen Moment, in dem der Held seine Frau aufmuntern will („6 Dollar für Aspirin“), ein anderes Mal um eine Szene, in der der Regisseur die Prämisse seines Filmes zuspitzt und das bis dahin aufbgebaute Spannungspotenzial humoresk abbaut (Zimmerpalme). An einer anderen Stelle nutzt Shyamalan ein Schild für einen sardonischen Gag auf Kosten seiner Protagonisten: Die Massensenselbstmordwelle des Films ist Ergebnis einer toxischen Reaktion der Umwelt auf den Menschen – als eine Gruppe Überlebender dann eine Musterhaussiedlung verlässt, läuft sie an einem Werbeschild für diese Siedlung vorbei. Der Name der Siedlung lautet „Clear Hill“ und ist auf zweierlei Weise ironisch: Erstens, weil eine in bis dahin unbebaute Natur gezimmerte Siedlung eben das genaue Gegenteil dessen ist, was der Name unterstellt, zweitens, weil die Abstoßungsreaktion der Natur gegen den Menschen potenziell den Urzustand der zumindest menschenfreien Umwelt wiederherzustellen droht. Der auf dem Schild beigefügte Werbespruch „You deserve this!“ hat für die ihn passierenden Menschen natürlich eine andere, ihr Verschwinden betreffende, Bedeutung angenommen.
Bezüglich der Thematik und Machart des Films erinnert „The Happening“ auch ein wenig an frühe Filme von David Cronenberg, ein bisschen auch an Romeros „The Crazies“ und Zombie-Filme. Gemeinsam ist diesen Filmen das Entwerfen eines Bedrohungsszenarios, dem zu entfliehen schlichtweg unmöglich ist. Gemeinsam ist ihnen auch, dass dieser Bedrohung, die die Fluchträume immer mehr verkleinert, vom einzelnen Menschen nicht beizukommen ist. Ebenfalls gemeinsam ist ihnen, dass der Schutz und die Sicherheit, die man in der Gemeinschaft mit anderen Menschen zu finden glaubt, tatsächlich kein Schutz ist, sondern nur das Risiko der eigenen Vernichtung erhöht: der Hochhauskomplex in Cronenbergs „Shivers“ ist ja eben nicht das erhoffte Nest für frischgebackene Wohungsbesitzer, sondern vor allem idealer Ausbreitungsraum für die freigesetzten Parasiten; die Gemeinschaft, die sich in „Night of the living Dead“ in einem Haus verschanzt, ist als Gruppe viel verletztlicher geworden, weil Machtkämpfe, Meinungsverschiedeneheiten und schließlich die Transformation der Eingeschlossenen zur Bedrohung von Außen dazukommen.
Shyamalans ruhige Inszenierung und das Verhalten der Opfer in „The Happening“ betonen die Parallele zu Cronenbergs Frühwerk noch, erinnern sie doch an die kalte Grausamkeit, oder besser: das distanzierte Interesse, bei Cronenbergs Betrachtungen von Gewalt und Deformation. Außerdem wird das teilnahmslose, aber zielgerichtete Streben der Opfer nach Selbstvernichtung von einer Bedrohung ausgelöst, die wie bei Cronenbergs Kino an der Schnittstelle von Wissenschaft und Phantastik liegt, die rationale Erklärungen für im Film übersteigerte Bedrohungsszenarien findet.
Das Bedrohungsszenario in „The Happening“ steht jedenfalls in der großen Tradition der Filme über das Ende der Welt. Man könnte neben den Infektions- und Mutationsfilmen ja auch an das Szenario aus „Krieg der Welten“ denken, speziell an dessen jüngste Leinwandversion von Steven Spielberg. Dort wie hier wurde die Hilflosigkeit des Menschen gegenüber der aufgeworfenen Bedrohung postuliert und die Rettung in einem postmodernen Ende von Zufälligkeiten abhängig gemacht: Ohne eine zufällige Anfälligkeit der außerirdischen Invasoren, wäre die Menschheit in Spielbergs Film dem Untergang geweiht gewesen, wie die Szenen des völlig ergebnislosen Großangriffs des Militärs verdeutlichten, während in Shyamalans Film die Angreifer sowohl unspektakulärer als auch bedrohlicher sind, weil es partout kein Verstecken vor der Natur gibt und die Frage von Tod oder Leben davon abhängig ist, ob und wann die Angreifer eine Waffenruhe für angemessen halten. Wie schon Spielberg die Macht des Militärs, natürlich und umso bemerkenswerter des amerikanischen, gegenüber den Invasoren verpuffen lässt, so sind die bewaffneten Staatsorgane, also die Menschen, die für den Schutz ihrer Mitbürger die meiste Verantwortung tragen, bei Shyamalan ironischerweise diejenigen, die, werden sie angegriffen, ihren eigenen Tod am schnellsten herbeiführen können. Die von staatlicher Autorität zeugende am Mann getragene Schusswaffe erübrigt das Suchen nach einem geeigneten Weg zur effektiven Selbstauslöschung. Dass der in „The Happening“ einzige länger auftretende Soldat zudem keinem verklärten Heldenbild entspricht, sondern ein betont normaler Mensch ist, der auf die Situation nicht anders reagiert als viele Zivilisten, betont die Botschaft, dass es reale Bedrohungsszenarien gibt, deren Bekämpfung, wenn überhaupt, nicht mit der Faust möglich ist.
Mit Spielbergs Film teilt „The Happening“ übrigens auch das Entwerfen einer unter Druck zerfallenden Gesellschaft. Es ist erstaunlich, dass beide Filme, gerade im Nachfeld der Anschläge des Jahres 2001 nicht Heldentum und Zusammenhalt besonders herausstellen, sondern eine immer kleinteiliger werdende Gruppe von Überlebenden begleiten, die, nicht nur aber doch oft, nicht mit, sondern trotz anderen Menschen überlebt. Laufen die ersten Evakuierungsmaßnahmen in „The Happening“ noch in Ruhe ab, machen sich irgendwann Hektik, Panik und Egoismus bemerkbar. Ebenso werden Beispiele für Isolationismus vorgeführt. Interessanterweise werden beide Wege verworfen: Das Überleben in großen Gruppen gelingt nicht, weil die große Gruppe anfällig für Angriffe ist, das Überleben in Isolation mag physisch gelingen – es muss aber nicht! –, führt aber zu Paranoia und zeigt bei den Einsiedlern Anzeichen für mangelnde geistige Gesundheit: sich aufmunitionierende Milizionäre oder schon länger in ungesunder Isolation lebende Menschen präsentieren keine Musterlösung für die Probleme, vor die sie gestellt sind.
Bezüglich eben dieser Musterlösung gibt es bei der Interpretation des Films durchaus auseinandergehende Sichtweisen. So war schon zu lesen, das Filmende sei eine Variation zum Thema „Loves conquers all“, weil der Moment, in dem das Ehepaar seine Liebe wiederentdeckt, auch der Moment ist, da die ‚Angriffe’ aufhören. Diese Lesart halte ich für falsch, weil sie mir, wenn ich die Interpretation interpretieren darf, 1) zu sehr davon abhängig gemacht wird, welche Botschaften Shyamalans bisherige Filme hatten, was natürlich ein legitimes Mittel ist, würde 2) der Film selbst nicht eine andere Antwort geben. Das ist so, als würde man, angesichts von Steven Spielbergs früheren Filmen darauf schließen wollen, dass in jenem Moment in „Saving Private Ryan“ als Tom Hanks einen letzten Pistolenschuss auf einen deutschen Panzer abfeuert und dieser explodiert, darauf beharren, dass eben dieser letzte Schuss die Explision ausgelöst hat – und ignorieren, dass Spielberg dem ungläubigen Zuschauer diese Erklärung für den Bruchteil einer Sekunde vorgaukelt, bevor er ein amerikanisches Kampfflugzeug im Bild und als des Rätsels Lösung auftauchen lässt. Anders gesagt: Wenn die letzte Szene in Shyamalans Film die zuvor existierende, aber auch nach phantastischer oder metaphysischer Lesart wenig plausible Erklärung, die neuentdeckte Liebe der Protagonisten sei für das Ende des happenings verantwortlich, eindeutig als irrig abtut, dann fehlt es schlichtweg an überzeugenden Argumenten für diese Lesart. Dies gilt auch, wenn man das Ende von Shyamalans erstem Drehbuchentwurf kennt, das tatsächlich eine andere naturwissenschaftliche Erklärung des Phänomens anbot und diese mit einer ökologischen oder ‚esoterischen’ Note würzte. Davon, dass zwei Menschen unter Millionen durch schlichte Wiederbelebung ihrer Liebe eine Naturkatastrophe riesigen Ausmaßes stoppen könnten, war da, bei aller Tendenz Shyamalans zu Determinismus, auch keine Rede.
Bei der Interpretation des Films ist meiner Meinung nach vielmehr zu beachten, wie Shyamalan die Hilflosigkeit der Menschen angesichts einer bereits eingetretenen Naturkatastrophe schildert. Der ganze Film ist eine Metapher für die Schutzlosigkeit, die bei Katastrophen größeren Ausmaßes herrscht, für das Versagen der staatlichen Instanzen, die überfordert sind, für das Auseinanderbrechen menschlicher Gemeinschaft und für Tatsache, dass nur eine gemeinsame Anstrengung zur Prävention eine Abhilfe bringen kann. Was im anderen Fall droht, exerziert Shyamalan im Thrillerformat mustergültig durch: der Verlust des eigenen Heims und der Sicherheit, die es bietet (die eigene Wohnung wird durch eine Reihe von Unterkünften ersetzt, in denen man nicht zuhause sein kann: einem übervölkertem Diner, einem unbewohnbaren Attrappenhaus, einer abweisenden Trutzburg Bewaffneter, dem Domizil einer gestörten Einsiedlerin); die zunehmende Eineingung und Klaustrophobie (aus dem großen Zug wird als Mittel der sicheren Fortbewegung der kleinere PKW – beide versagen, der zweite wird sogar zum Instrument des Selbstmordes); das Verschwinden von Rückzugsräumen (in der Szene an der Kreuzung perfekt inszeniert: nach und nach scheidet jede Himmelsrichtung als Rettung aus). Shyamalan nutzt die bekannte Idee, die Zerstörung des Planeten durch den Menschen gleiche Selbstmord, als mehrdeutige Steilvorlage für seinen Film. (Gerade die ruhige Zielstrebigkeit der von den Opfern begangenen Selbstmorde sind Spiegelbilder der sehenden Auges fortgesetzten Naturzerstörung.) Das Happy Ending ist dabei nur einem Zufall zu verdanken und es ist, wie die letzte Szene zeigt, zudem nur ein trügerisch glückliches Ende: Die Bedrohung kann und wird jeden treffen. Von dieser Erkenntnis ist es nicht mehr weit zu der nächsten, dass der Blitz durchaus auch zwei Mal an der selben Stelle einschlagen kann.
Shyamalan lässt am Anfang des Filmes die momentan durch die Presse gehenden Meldungen vom Bienenvölkersterben in den USA und auch Europa von einer Schulklasse thematisieren. In der folgenden Szene legt die Frau des Protagonisten und Lehrers entnervt ihr Mobiltelefon auf einen Tisch in ihrem Wohnzimmer. Auf diesem Tisch steht ein großes Holzmodell einer Biene. Das Telefon ist stumm geschaltet, es vibriert und summt, während es auf dem Tisch liegt. Es ist so, als ob in dieser Szene das summende Telefon die Verbindung zwischen Mensch und aussterbender Biene darstellt – so wie der Lehrer gerade noch mit seiner Klasse darüber diskutiert hat, was mögliche Gründe für das Bienensterben sein könnten, um am Ende zugeben zu müssen, dass man es bisher noch nicht wisse, so wird im Film nun eine ähnliche Situation am Menschen durchexerziert: Ein mysteriöses Sterben setzt ein, für das der Mensch am Ende zwar noch eine Erklärung finden wird, gegen die er, ebenso wie die Bienen gegen die Faktoren, die ihr Sterben bewirken, nichts unternehmen kann. Der Mensch, der sich als Krone der Schöpfung wähnt, wird auf die Stufe reduziert, auf die er im großen Bild gehört: Auf die einer Art von Lebewesen, deren Verschwinden von mehr oder weniger zufälligen Auslösern bewirkt werden kann. Wenn man so will: Die Biene sind wir.
Dass es die Möglichkeit einer Umkehr und Rettung gibt, macht Shyamalan mit der vorletzten Szene von „The Happening“ klar. Dass er nicht wirklich daran glauben mag, mit der letzten.
Bearbeitet von Hagen, 18. Juni 2008, 11:19.
#420
Geschrieben 22. Juni 2008, 17:30
Keine Ahnung, wie der auf dem FFF ankam, aber für mich wurde der Film zu einem persönlichen FF-Festival, das seinen Namen der häufig benutzten Taste der Fernbedienung verdankt. Nach 20 Minuten fragte ich mich schon, was dieser schön fotografierte Film mir eigentlich geben wollte, weil er für einen ernsthaften Film zu belanglos war, für einen ironischen Ansatz deutlich zu unlustig und für einen Slasher auch komplett unspannend. Nach 40 Minuten setzten dann die Morde ein und das fröhliche Vorspulen begann, weil der Film zwar Sadismus im Kleinformat bietet, aber diesen durch überhaupt nichts rechtfertigen kann Am Ende wurde dann noch eine neue Täterkonstellation verbraten, was für das Subgenre aber auch nichts Neues ist. Kurzum: Von nichtsagenden Figuren, über den mäßigen Spannungsaufbau bis hin zum routiniert runtergespulten Isolieren-und-Töten-Szenario hat "Mandy Lane" nicht viel zu bieten. Jedenfalls nichts, was gefühlte 12.308 andere Slasher nicht auch können.
Und als Coming-of-Age-Geschichte, wie Kollege Funk Dogg den Film verstehen konnte, zündet die Chose bei mir schon mal gar nicht, weil ich Mandys Stimme vermisse: Die Gute hat einen Dialog-Anteil der anfänglich nicht viel über dem von Schwarzeneggers Barbaren liegt. Und das, was die restlichen Figuren quatschen, finde ich auch herzlich wenig interessant, weil flach, weil nichtssagend, weil merklich Werk eines Drehbuchautoren, der endlich zum Rest des Films kommen will. Als Zugeständnis würde ich mich dazu überreden lassen, dem Film in seiner Machart (nicht der Drehbuchanlage wegen) zuzugestehen, anfänglich für einen Coming-of-Age-Film gehalten zu werden. Nur ist er, wie gesagt, auch als solcher nicht besonders gut, neu, unterhaltsam, stark in der Analyse (wie auch bei dem Highschool-Klischeefigurenarsenal?), noch sonst was.
Ein Hassfilm ist "Mandy Lane" für mich nicht gerade, auch wenn das so klingen mag, nur... für irgendein anderes Gefühl reicht es auch nicht.
Bearbeitet von Hagen, 22. Juni 2008, 17:44.
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