In meinem Herzen haben viele Filme Platz
#1681
Geschrieben 07. April 2009, 09:01
Mad Dog And Glory (Sein Name ist Mad Dog) ~ USA 1993
Directed By: John McNaughton
Wayne Dobie (Robert De Niro), Tatortfotograf bei der Chicagoer Polizei, wird von seinen Kollegen liebevoll 'Mad Dog' gerufen, was jedoch ironisch zu verstehen ist. Wayne ist ein so unauffälliger wie penibler Typ Anfang 50, der sein Hobby zum Beruf gemacht hat, eine gepflegte Wohnung besitzt und freundlich gegenüber Nachbarn und Mitarbeitern ist. Seine Einsamkeit und Traurigkeit überspielt er mit Louis Prima. Als er eines Tages dem Mafiasekundanten Frank Milo (Bill Murray) bei einem Überfall das Leben rettet, zeigt sich dieser von einer ganz speziellen Dankbarkeitsseite: Er schickt seine Gesellschaftsdame Glory (Uma Thurman) für eine Woche zu Wayne, um ihm für diese Frist die Zeit zu vertreiben. Das Paar findet jedoch mehr Gefallen aneinander als Frank lieb sein kann und als Glorys Engagement zu Ende geht, weigert sich Wayne, sie wieder 'herauszugeben'.
Eine Liebeserklärung: Nach "Mad Dog And Glory" kann man es nur im höchsten Maße bedauerlich finden, dass McNaughton die mit diesem Film eingeschlagene Richtung nicht weiter verfolgt hat - oder verfolgen konnte. Der Film präsentiert in sämtlichen Facetten höchstes Könnertum, und steht als so wahrhaftig wie zärtlich erzähltes Liebesmärchen da, das im Kino der Neunziger eine einsame Sonderstellung bekleidet. Für "Mad Dog" nahm sich Scorsese als Produzent McNaughton an, dessen "Henry" ihn schwer beeindruckt hatte. Der Regisseur konnte nun erstmals für ein Studio (Universal) arbeiten und ihm standen noch weitere große Namen zur Seite: Elmer Bernstein komponierte den Soundtrack, Robby Müller war d.p.. Freilich musste McNaughton auch auf Teile seines gewohnten Personals nicht verzichten. Sein Stammschauspieler Tom Towles war ebenso wieder an Bord wie seine Dauercutterin Elena Maganini, seine location war und blieb Chicago. Es traf also ein Team aus ehernen Undergroundfilmern und alteingesessenen Hollywood Professionals aufeinander und kreierte ein Werk, das aus beiden Welten das Beste transportiert: Ein hochglänzendes, romantisches Drama mit tief verwurzeltem Soul - und Swing. Seit ich ihn damals im Kino gesehen habe, ist "Mad Dog" ein Lieblingsfilm und ich halte ihn nach wie vor für McNaughtons unangefochtenen Schaffensgipfel. Wäre er nur im Stande, noch einmal etwas annähernd Gleichwertiges auf die Beine zu stellen - das Kino bekäme einen weiteren leuchtenden Höhepunkt und ich meinen Frieden.
10/10
#1682
Geschrieben 07. April 2009, 10:41
Wild Things ~ USA 1998
Directed By: John McNaughton
Verwirrspiele um vorgespielte und tatsächliche Verbrechen im schönen sonnigen Blue Bay, Florida, die in Wahrheit nur von einem kühlen Köpfchen durchschaut und beherrscht werden.
McNaughton goes south: Angesichts solcher identitätsbefreiter Filme verwundert es nicht weiter, dass von der einstigen großen Regiehoffnung nurmehr wenig zu hören ist. Das inhaltliche Konstrukt von "Wild Things", das sich pyramidisch aus einer Vielzahl von twists speist und mit der alten Thrillerprämisse Schlitten fährt, der zufolge Schein und Sein zweierlei sind und der Rezipient möglichst lang über tatsächliche Zusammenhänge im Dunklen gelassen werden soll, funktioniert beim ersten Mal noch recht gut, da das Augenmerk sich ebendarauf fokussiert. Weitere Betrachtungen zeigen dann jedoch die ganze Palette von Schwächen auf, die andererseits aber vermutlich gar nicht auszusparen gewesen wären angesichts der beengten thematischen und formalen Bahnen, in denen "Wild Things" sich ansiedelt. Die betont schwitzig inszenierte Altherrenerotik um nasse T-Shirts und Hotpants mit Lesbierinneneinschlag, ein Hauptelement des Films, wirkt zunehmend miefig und prüde, ja, fast eklig bieder; das Ensemble, mit Ausnahme des wie immer im abgesicherten Lakoniemodus auftretenden Bill Murray, erscheint mir unsympathisch bis enttäuschend und wurde augenscheinlich primär seines vornehmlich ansprechenden Äußeren wegen gewählt. Der Film gibt sich scharf, peppig und gefährlich, ist aber eigentlich doch nichts von alldem und im Prinzip kaum mehr als eine Kinderversion klassischer Noir-Formeln. Keine Ahnung, ob's die Hitze Floridas oder das Scopeformat waren, die McNaughton so überfuhren. Und bedauerlich, dass es zu mehr einfach nicht reichen wollte.
5/10
#1683
Geschrieben 08. April 2009, 08:06
Thunder ~ I 1983
Directed By: Fabrizio De Angelis
Als der Navajo Thunder (Mark Gregory) heimkehrt und feststellen muss, dass auf dem Grabhügel seiner Ahnen die Bulldozer kreisen wie Aasgeier, versucht er zunächst durch passivem Widerstand, die im Hintergrund tätigen Banker zur Vernunft zu bewegen. Sowohl die ansonsten eher desinteresiert wirkende Polizei (Bo Svenson, Raimund Harmstorf) wie auch die 3 Malocher vom Berge (Antonio Sabato, Nazzareno Zamperla, Goffredo Unger) machen ihm jedoch einen gehörigen Strich durch die Rechnung und verprügeln Thunder gleich zweimal in Folge, was der Gedemütigte in einer seinem Stamm gemäßen Guerillaaktion mit Pfeil und Bogen quittiert. Immerhin: Die Öffentlichkeit, allen voran der Reporter Sherman (Paolo Malco) und ein Radio-DJ namens 'Nachtfalke', sympathisiert mit Thunder.
Prächtiger Klassiker aus der goldenen Ära des Italo-Plagiats, der eigentlich gleich drei Zielgruppen verköstigt: Sowohl Spencer/Hill-Fans dürften auf ihre Kosten kommen, wie auch Freunde des Spaghetti-Westerns und Anhänger härterer Actionkost. In erster Linie bedient De Angelis sich - das signalisiert bereits das schöne Kinoplakat - bei "First Blood". Wie es sich gehört, sind diverse Sequenzen daraus absolut einstellungsgetreu nachgefilmt worden. Die Grundstimmung allerdings ist weitaus weniger schwermütig. Während man vor John Rambo als entfesseltem Kriegsheimkehrer (auch vor der Leinwand) noch wirklich zu zittern hatte, gibt Thunder einen grundsympathischen Kerl ab, der sämtliche Glückwunschbekundungen auf seiner Seite hat. Schließlich ist er jemand, der für handfeste Werte kämpft, die ehrenhafter nicht sein könnten. In diesem Zuge hat man sich auch gleich fröhlich bei "Vanishing Point" eingedeckt, dessen Radiosprecher Super Soul hier seine weiße Entsprechung findet. Gewalttätig ist "Thunder" praktisch überhaupt nicht (von "drei Skalpierungen" wird zwar berichtet, davon zu sehen ist jedoch nichts), die manchmal etwas schmutzige Atmosphäre verdankt der Film einzig seinem Dialog, den der schmierige, Gift und Galle speiende Harmstorf in einer seiner Lebensrollen (und in Selbstsynchronisation) besonders aufwertet. Grandios. Überhaupt ist die Besetzung mit Svenson und Sabato von höchsten Italognaden, was selbstredend auch für die von Arne Elsholtz gestiftete Berliner Synchro gilt. Semi-genialische Statements wie "Thunder ist nicht irgendein Indianer. Er ist ein Navajo." (Malco) und "Ich weiß, was deine Kleine braucht. Sowas wie mich." (Harmstorf) bestimmen das Gesamtbild. Mark Gregory übrigens wird von dem tollen Ulrich Matthes gesprochen, schonmal grundsätzlich ein absolutes Qualitätsplus.
Ein Wort noch zur DVD: Der Zossen stellt nüchtern betrachtet eine Frechheit dar und man kann bloß, und das gilt ebenso für die beiden in Jahresabständen nachgeschobenen Sequels, hoffen, dass ihnen endlich eine adäquate Veröffentlichung zuteil wird. Das derzeit jeweils Erhältliche ist qualitativ betrachtet wirklich nur ein absolutes Notpflaster und vermag bestenfalls als Übergangsprovisorium zu dienen.
7/10
#1684
Geschrieben 08. April 2009, 08:36
Who's Afraid of Virginia Woolf? (Wer hat Angst vor Virginia Woolf?) ~ USA 1966
Directed By: Mike Nichols
Nach einer feucht-fröhlichen Samstagabendgesellschaft bekommt das alternde Akademikerpaar Martha (Elizabeth Taylor) und George (Richard Burton) noch nächtlichen Besuch von zwei jüngeren Gästen, die man erst ein paar Stunden zuvor kennengelernt hat: Biologiedozent Nick (George Segal) und seine Frau Honey (Sandy Dennis). Die Gespräche zwischen den vieren entwickeln sich, unter zunehmendem Alkoholeinfluss, nach und nach zu einem von beleidigenden, verbalen Speerspitzen durchsetzten Spießrutenlauf, der alte und neue Lebenslügen nicht nur schonungslos offenlegt, sondern in den entsprechenden, aufgerissenen Narben auch noch brutal herumbohrt.
Vom Broadway kommend verfilmte der hinlänglich gefeierte Bühnenregisseur Nichols (der in den folgenden Tagen Gegenstand einer kleinen, unvollständigen Werkschau sein soll) mit 35 Jahren im Zuge seines Hollywooddebüts Edward Albees gleichnamiges Vier-Personen-Stück, das infolge seiner offensiven Schonungslosigkeit Williams' und Millers klassische American-Dream-Parabeln kurzfristig wie braves Marionettentheater erscheinen ließ. Was Martha und George sich einzig über Dialog wechselseitig antun - und man ahnt angesichts diverser entsprechender Bemerkungen bereits, dass das in ihrem Hause Usus sein dürfte - stellt selbst noch in seiner Körperlichkeitsverweigerung (abgesehen von ein bisschen Würgen und Schubsen hier und da) eine physische Belastungsprobe für den Zuschauer und -hörer dar. Selbstverfreilich sind die Pointiertheit dieses an Tiefschlägen reichen Beleidigungskaleidoskops von absoluter Brillanz und Burton und Taylor von sich einbrennender Prägnanz. Hinzu kommt Nichols' Inszenierung, die die Beschränktheit des Bühnenbilds auflöst zugunsten eines Filmraums, der dennoch wie ein Käfig innerhalb einer albtraumhaften Parallelrealität aus Suff, Gekeife und Lügen wirkt. Nicht bloß einmal erwähnen Martha und George, dass ihre Ehe bereits gefühlte Jahrtausende andaure, die größte Pein bereitet ihnen derweil die unumstößliche Gewissheit, voneinander nicht mehr loszukommen. Der frontale Krallenangriff unter Inkaufnahme tiefer Wunden ist da immer noch liebsamer als das schlichte Rückenzukehren. Darin liegt vielleicht die größte Tragödie und zugleich das große Potenzial ihres existenziellen Scheiterns.
9/10
#1685
Geschrieben 08. April 2009, 16:16
The Graduate (Die Reifeprüfung) ~ USA 1967
Directed By: Mike Nichols
Nach seiner Junior-College-Graduierung kehrt Benjamin Braddock (Dustin Hoffman) nach Kalifornien zurück, wo schon die Elterngeneration seiner harrt, um ihn mit honigpferdgrinsenden Glückwünschen zu überhäufen. Ben findet sich jedoch in seinem neuen Rollengefüge nicht zurecht und spürt kaum mehr als eine große innere Leere. Da verführt ihn die doppelt so alte Mrs. Robinson (Anne Bancroft), die Frau des Kompagnons (Murray Hamilton) seines Vaters (William Daniels). Die folgende Affäre füllt Ben wiederum nur unbefriedigend aus. Als er entgegen Mrs. Robinsons Wünschen zu einer Verabredung mit ihrer Tochter Elaine (Katharine Ross) genötigt wird, verliebt sich Ben wider Erwarten in das Mädchen. Zum ersten Mal seit Langem wird wieder etwas wirklich wichtig für ihn. Obwohl die Robinsons alles gegen eine Verbindung der beiden unternehmen, setzt sich Ben schließlich mit Verbissenheit durch.
"The Graduate" ist einer der Filme, die New Hollywood eingeläutet haben: Ein gnadenlos eigenwilliger Inszenierungsstil, der die ungeschriebenen Dogmen von Raum- und Zeiteinheit bewusst ignoriert, gepaart mit einer klaren Absage an die bislang stets strikt soziologisch arrangierten Jugendportraits im amerikanischen Film ließ "The Graduate" über die Jahre zu einem Evergreen werden, der seinen Status als eines der meistizitierten Werke des Kinos nebenbei nicht zuletzt seinen fulminant eingesetzten Songs verdankt. Besonders die vier Kernstücke von Simon & Garfunkel ("The Sounds Of Silence", "Scarborough Fair/Canticle", "April Come She Will" und "Mrs. Robinson), die jeweils mehrfach in teils unterschiedlichen Arrangements wiederholt werden, ergeben jene magisch-tragisch-komische, unikale Impression aus Einstellungen und Tönen, die bestimmt niemand, der den Film einmal gesehen hat, wieder vergisst - seien es die Frames der entblößten Mrs. Robinson mit ihren weißen Bikinistellen im Gegenschnitt auf Bens panisches Gesicht, die weinende Elaine in der Stripbar, Bens Suche nach ihr auf dem Berkleyer Campus oder das Ende in der Presbytterianerkirche mit der anschließenden Busfahrt. Dem Wasser als ewigem Ruhepol kommt eine ganz besondere Stellung zu: Ben findet seine letzte Zuflucht im 1,80m tiefen Swimmingpool seiner Eltern, als er sich in voller Tauchermontur auf dem Grund zurückzieht. Dieses Bild absoluter, erlösender, selbstgewählter Isolation zählt zu den prägendsten im Kino.
10/10
#1686
Geschrieben 10. April 2009, 06:35
Catch-22 ~ USA 1970
Directed By: Mike Nichols
Captain Yossarian (Alan Arkin) ist Mitglied einer US-Fliegerstaffel, die im Zweiten Weltkrieg an der italienischen Mittelmeerküste stationiert ist. Diverse traumatische Erlebnisse, allen voran der furchtbare, miterlebte Tod des jungen Bordschützen Snowden (Jon Korkes), wecken in ihm den unbändigen Wunsch, dem Krieg ein für allemal den Rücken zuzukehren, zumal sein Colonel (Martin Balsam) zum Zwecke eigener Fleißkärtchen den Piloten immer mehr Einsätze aufbürdet. Yossarians große Hoffnung besteht darin, sich wegen Nervenüberlastung dienstuntauglich schreiben zu lassen, die Admiralität jedoch ist nicht blöde. Ein in entsprechenden Kreisen "Catch 22" genannter Trick verhindert, dass Soldaten auf diesem offiziellen Wege desertieren.
"Catch-22" wurde völlig unbewusst als Konkurrenzprodukt zu Altmans "MASH" gestartet, der mit einem wesentlich geringerem Budget und weitaus größeren Kasseneinnahmen Nichols' Film kommerziell in die Tasche steckte. Angeblich hat der triumphierende Altman daraufhin ein Transparent mit der Aufschrift 'Caught-22' in seinem Büro angebracht. Ein Vergleich der zwei Filme ist auch heute keineswegs obsolet, sondern drängt sich förmlich auf: Bei beiden Werken handelt es sich um unachgiebig scharfe Kriegssatiren, die ihr Sujet mittels wenn auch unterschiedlicher Ansätze beispiellos bitterböse umreißen. Beide Filme können in ihrem Zeitkontext als Vietnam-Parabel gelten, wobei Altman sich in "MASH" primär mit dem imperialistisch gefärbten Militär-Engagement der USA in Fernost befasst und zu diesem Zweck Korea als Schauplatz gewählt hat ("Catch-22" unterdessen setzt sich in fortgeschrittener Form mit dem Wesen des Krieges als maßgeblicher Wirtschaftsfaktor, Mordmaschine und Narrenzirkus auseinander, das in letzter Konsequenz nur eine Reaktion seiner Aktivisten erlaubt, um nicht von ihm verzehrt zu werden: Die totale Verweigerung). Zudem steht der Altman in deutlich reinerer Komödientradition und hat viele Lacher auf seiner Seite während "Catch-22" im Prinzip die nächste Stufe der kriegsbelasteten Emotionshierarchie, nämlich die der Verbitterung, walten lässt. In Nichols' Film gibt es kaum mehr Pointen, das teils irreal anmutende Geschehen überspringt die Ironie und greift gleich zu gemeinstem Sarkasmus. Zu lachen bleibt da nichts mehr und wenn der am Schluss angebahnte Freitod des Captain Yossarian auf seinen Vollzug wartet, dann wird man mit der Gewissheit entlassen, manche Lektion über das hässliche, vernarbte Antlitz des Krieges gelernt zu haben, wie es sie durch solch leidenschaftlichen Vortrag nicht allzuoft in Filmform gibt.
9/10
#1687
Geschrieben 10. April 2009, 06:59
Carnal Knowledge (Die Kunst zu lieben) ~ USA 1971
Directed By: Mike Nichols
Sexuelle Erfahrungen und Umgang mit Sexualität zweier Freunde über mehrere Jahrzehnte. Während sich Jonathan (Jack Nicholson) als Körper-Opportunist durchs Leben schlägt und nimmt, was er vor die Flinte bekommt, übt sich Sandy (Art Garfunkel) trotz manchem Seitensprungs in Familientreue und Häuslichkeit.
Mit "Carnal Knowledge" steckte Nichols dann mittendrin in New Hollywood. Eine Observierung seiner eigenen Generation und ihres Lebens mit der sexuellen Revolution respektive deren Einleitung durch die zunehmende Freigiebigkeit im Umgang mit dem Thema bewegt diesen Film, der in Scope um kubrickeske Symmetrien kreist und seine Sprecher gern ins einsame Zentrum des breiten Bildes setzt. Ausweichen unmöglich. Besonders harsch springt der Film mit dem unsrigen, männlichen Geschlecht um, das immerhin vermittels seiner eigenen unbändigen Egozentrik die Rote Karte vorgehalten bekommt: Nachdem Jonathan gegen Ende des Films - die einzige ernsthafte Beziehung, die er je (mit Bobbie/Ann-Margret) geführt hat, ging mit Depression, Verzweiflung, einem Selbstmordversuch ihrerseits und schließlich der unausweichlichen Scheidung einher - in einer Diashow die Frauen seines Lebens Revue passiern lässt, bleibt ihm im Zuge der filmischen Konklusion bloß noch eine Prostituierte (Rita Moreno), die ihm per fest einstudiertem Monolog etwas über seine maskulinen "Vorzüge" berichtet.
Nichols seziert, freilich fast einzig über reinen Dialog als Kommunikationsmedium, das eigene Geschlecht und seinen Hang zur instinktgesteuerten Promiskuität in einer ihresgleichen suchenden Erbarmungslosigkeit. Denkt man da an den über dreißig Jahre später entstandenen, völlig missratenen "Closer", der ebendiesen Topos zu einer aufgeblasenen Nummernrevue von projektionsunfähigen Oberklassemenschen verwurstet, so hat man in transparenter Weise die ganze Tragik Hollywoods nach 1980 in reinster Transparenz vor Augen.
9/10
#1688
Geschrieben 11. April 2009, 09:10
The Wedding Singer (Eine Hochzeit zum Verlieben) ~ USA 1998
Directed By: Frank Coraci
Brooklyn, 1985: Robbie Hart (Adam Sandler) singt auf Hochzeiten beliebte Hits nach, obwohl er selbst als Songwriter gern groß rausgekommen wäre. Als ihn eines Tages seine Braut (Angela Featherstone) vor dem Traualtar sitzen lässt, bricht eine Welt für Robbie zusammen. Trost findet er bei der ebenfalls auf Hochzeiten tätigen Kellnerin Julia (Drew Barrymore), die allerdings ihrerseits zunächstnoch einen fiesen Verlobten (Matthew Glave) loswerden muss.
Sandler as usual - witzig wie immer. Für seinen doofen deutschen Titel, der mich übrigens auch jahrelang von ihm ferngehalten hat, kann der Film ja nun eigentlich und uneigentlich nichts. Jener geht nämlich geradezu als Rattenfänger durch, der wohl vor allen Dingen die Mädels ins Kino locken sollte. Tatsächlich ist die rom in Sandlers com diesmal recht fettgedruckt, das hält den Gagisten jedoch glücklicherweise nicht davon ab, seine üblichen, bisweilen ziemlich tiefschießenden Scherzchen zu treiben, die hier speziell die Seniorenschaft im Visier haben. Drew Barrymore ist sehr süß, die Songauswahl, wie bei Sandler-Comedies üblich, vom Feinsten. "The Wedding Singer" ist primär sicherlich als period piece angelegt, was sich neben dem wie gesagt glänzenden Soundtrack vor allem durch liebevolle im Zeitkolorit verankerte Scherzchen Marke "I've bought something very exciting. A 'CD-Player'. Cost me 700 bucks." oder einen rundlichen Flugticketverkäufer mit der schillernden Frisur des "A Flock Of Seagulls" - Sängers Mike Score äußert. Übrigens wird auch Sandlers Haupt von einem wahren zeitgenössischen hair crime gekrönt. Anyway, ich mag den Kerl mit jedem Film ein bisschen mehr.
8/10
#1689
Geschrieben 12. April 2009, 08:45
RoboCop ~ USA 1987
Directed By: Paul Verhoeven
Detroit in naher Zukunft: Die Motor City wird von dem Multi Omni Consumer Products (OCP) beherrscht, der auch die politischen und sogar die gesetzlichen Geschicke innerhalb der Stadtgrenzen lenkt. Der idealistische Cop Murphy (Peter Weller) wird, kaum in ein neues Revier versetzt, zum Opfer einer brutalen Verbrechergang unter Führung des Polizistenmörders Clarence Boddicker (Kurtwood Smith), der mit höchsten Gremien bei OCP, nämlich dem zweiten Vorsitzenden Dick Jones (Ronny Cox), paktiert. Für klinisch tot erklärt, missbraucht der erfolgsgeile OCP-Angestellte Bob Morton (Miguel Ferrer) daraufhin Murphys Körper für sein "RoboCop"-Projekt, das einen Cyborg-Polizisten aus organischen und mechanischen Teilen als ultimative Zukunfts-Exekutive vorsieht. Doch Murphy findet trotz seiner metallenen neuen Physis seine Erinnerung wieder und macht sich eigenmächtig auf die Suche nach seinen Mördern.
Mit seiner modifizierten Christus-Symbolik ist "RoboCop" ein idealer Osterfilm. Verhoeven tut letztlich nichts anderes als die Passionsgeschichte in gleichbleibend blutiger Form zu aktualisieren und mit dem profilierten Achtziger-Genre-Sujet des Maschinenmenschen zu verquicken, um daraus eine in ihrer konsequenten und rohen Betrachtungsweise einmalige Kapitalismus- und Yuppie-Satire zu fertigen. Wie weiland Christus richten die Statthalter eines misanthropen Imperiums Murphy zunächst auf scheußlichste Weise hin, im Prinzip, um seinen Märtyerstatus vorzubereiten, den er endgültig kurz darauf erhält, als ihn ein paar Götter in Weiß als metaphysisches Wesen ins Leben zurückbringen. Just an dieser Stelle beginnt der Mythos, der sogar mit einer späten Einstellung, in der Murphy über Wasser zu laufen scheint, gefüttert wird. Als technokratisches Frankenstein-Monster stapft der frühere, liebende Familienvater durch ein dystopisches Verbrecherparadies und wird nur durch obskure Sensoren auf die 'crimes in progress' aufmerksam. Doch der menschliche Geist ist zu stark, als dass Murphys Umfunktionierung geschehen könnte ohne die Spuren der Vergangenheit mit sich zu nehmen. Und auch seine Ex-Kollegin Lewis (Nancy Allen), die Murphy an seinem typischen Gestus des Pistole-Wegsteckens erkennt, lässt nicht locker.
Die Gewalt in "RoboCop", ein ihrerzeit vorherrschendes Element für Verhoeven bei der Erstellung des Films, was der Regisseur auch gern publik zu machen pflegte, ist in der Kompromisslosigkeit ihrer Darstellung nach wie vor eine bittere Pille und in ihrer atmosphärischen Einbindung bis heute von keinem der weiteren zeigefreudigen Werke Verhoevens übertroffen worden, was auch für die übrigen Qualitäten des Films gilt.
Ein Meilenstein, in jeder Hinsicht.
10*/10
#1690
Geschrieben 12. April 2009, 09:24
Night Of The Living Dead (Die Nacht der lebenden Toten) ~ USA 1968
Directed By: George A. Romero
Barbra (Judith O'Dea) und ihr Bruder Johnny (Russell Streiner) befinden sich in der abgelegenen Provinz von Pennsylvania, um ihrem auf einem entlegenen Friedhof begrabenen Vater ein paar Blumen aufs Grab zu legen. Urplötzlich werden sie von einem verwildert aussehenden Mann (Bill Heinzman) attackiert. Barbra gelingt die Flucht bis zu einem abgelegenen Farmhaus, wo kurz darauf auch Ben (Duane Jones) eintrifft. Der Angreifer vom Friedhof ist nicht allein: Überall tauchen seltsame Gestalten auf, die schlurfend und stöhnend umherirren und einzig das Bedürfnis haben, auf Menschen loszugehen. Beim Versuch das Haus zu barrikadieren - Barbra ist infolge des Schocks apathisch geworden - bemerkt Ben, dass sie nicht die einzigen Zufluchtsuchenden dort sind: Im Keller befindet sich noch das Ehepaar Cooper (Karl Hardman, Marilyn Eastman) mit der verletzten Tochter Karen (Kyra Schon) sowie die zwei Teenager Tom (Keith Wayne) und Judy (Judith Ridley). Während sich die Kreaturen vor dem Haus zusammenrotten, überlegen die Eingeschlossenen, wie man der Situation Abhilfe schaffen könnte, derweil sie sich vom Fernsehen über die Geschehnisse aufklären lassen.
Bedenkt man, was Romero mit "Night Of The Living Dead" als einem der letzten archetypischen Genrewerke für die Gattung des Horrorfilms leistete, kann und sollte man selbst gute vierzig Jahre später das Staunen nicht verhehlen: Trotz seines damaligen Produktionsstatus als Beinahe-Amateurfilm legte "Night" gleich diverse Grundsteine für weitere, bis in die Gegenwart vorhaltende Entwicklungen, allen voran natürlich den der sich kannibalisch ernährenden Untoten als mediale Neuankömmlinge, die hier ihre Leinwandpremiere erlebten. Zombies (diese mittlerweile als selbstverständlich geltende Bezeichnung wird im Film selbst nie gebraucht) waren zwar zuvor keine Unbekannten im Kino, jedoch waren sie bislang stets im eigentlichen, afro-karibischen Sinne als quasi-hypnotisierte Arbeitskräfte eingesetzt worden (so in Halperins "White Zombie", Tourneurs "I Walked With A Zombie" oder Gillings "Plague Of The Zombies"). Romero orientierte sich für den Einsatz seiner massierten Horden von Untoten an Richard Mathesons Roman "I Am Legend", in dem die Menschheit nach dem Dritten Weltkrieg von einem vampirisierenden Bazillus hingerafft wird und ebenfalls in wiedergängerischer Manier durch die Welt wandelt, mit gewissen evolutionären Unterschieden freilich. Doch damit nicht genug; deutlich formulierte politische Implikationen verfolgte der Film ebenso wie radikale formale Innovationen, darunter ungewohnte Freiheiten im Umgang mit Perspektiven, Schnitt und Ausleuchtung. Selbst der Ton- und Musikeinsatz, für den man sich in den Sound Archives von Capitol Records und bei alten B-SciFi-Filmen bediente, ist in seiner scheinbar unpassenden Penetranz letztlich doch wieder vollkommen sinnstiftend. So gibt "Night" innerhalb des amerikanischen Horrorfilms im Prinzip nichts Minderes als dessen Nouvelle-Vague-Filetstück ab.
10/10
#1691
Geschrieben 12. April 2009, 14:27
The Day Of The Dolphin (Der Tag des Delphins) ~ USA 1973
Directed By: Mike Nichols
Der Zoologe Terrell (George C. Scott) hat es fertiggebracht, einem in Gefangenschaft geborenen und von ihm selbst großgezogenen Delphin die wechselseitige Kommunikation mit Menschen anzutrainieren. Dazu gehört demnach nicht nur, dass Alpha - so der Name des Tieres - seinen Ziehvater verstehen, sondern sogar selbst menschliche Töne und ganze Wörter bilden und äußern kann. Mithilfe des weiblichen Delphin-Pendants Beta schafft Terrell es schließlich, Alphas letzten instinktiven Widerstand bezüglich seines Spracherwerbs zu brechen. Als Terrells Geldgeber DeMilo (Fritz Weaver) auf die ungewöhnlich intelligenten Tiere aufmerksam wird, entführt dieser sie in einer waghalsigen Aktion und stellt sie einer Gruppe von Verschwörern zur Verfügung, die Alpha und Beta als maritime Attentäter für einen Anschlag auf den US-Präsidenten missbrauchen wollen.
So bescheuert sich die Synopse des Films liest, so findet er sich auch in seiner bewegten Form wieder. Bei "The Day Of The Dolphin" handelt es sich um genau jenes missratene Regisseurskellerkind, das bei Revisionen grundsätzlich ausgespart bzw. sorgsam verschwiegen wird. Sowas war und ist keine Seltenheit und im Falle Nichols ist es dessen Flipper-Opus-Magnum. Welcher Hafer den Mann gestochen hat, diese zwischen mutig und krude umherpendelnde Mixtur aus SciFi und Verschwörungsthriller zu adaptieren, kann nur gemutmaßt werden. Vielleicht war es die Möglichkeit, mit Scott zusammenzuarbeiten, vielleicht wollte der auteur auch schlicht einmal mit dressierten Delphinen filmen. Das Resultat ist immerhin formal geradewegs zum Verlieben gemacht und durch elegische Bilder vom Ozean und exotischen Schauplätzen nicht allein für Delphinliebhaber eine echte Sahneschnitte. Die edlen Meeressäuger werden mit denkbar viel Herzlichkeit ins Bild gerückt und nicht zuletzt durch ihre sprachliche Kommunikation aufs Trefflichste vermenschlicht. Man kann sich, jedesmal wenn Alpha zu sprechen anfängt und solch süße Sätzchen wie "Fa loves Pa" zu George C. Scott sagt, seine Kindchen- und Tierschemata kaum im Zaum halten, so sehr wünscht man sich einen eigenen, putzigen Tümmler fürs heimische Planschbecken. Doch Scherz beiseite - Wahn, Lächerlichkeit und Seriösität bilden eine ungewöhnliche Trinität im Falle "The Day Of The Dolphin" und die Entscheidung, welchem Winkel ich mich zu guter Letzt nun zuwenden soll, konnte ich für mich trotz mehrfacher Beschau bis heute nicht treffen. Momenten ernstzunehmender Klarheit stehen groteske Szenen wie ein Delphin-Interview durch eine Kohorte ältlicher Anzugträger (die späteren Verschwörer) gegenüber, die einen ständig gefährden, rückhaltlos loszuprusten. Ziemliches Unikat, dieser Film.
5/10
#1692
Geschrieben 13. April 2009, 07:40
The Fortune (Mitgiftjäger) ~ USA 1975
Directed By: Mike Nichols
Der sogenannte Mann-Erlass verhinderte in den USA noch in den zwanziger Jahren das Überqueren von Staatsgrenzen durch Frauen, die mit oder zu ihrem Liebhaber reisen wollten. Der noch verheiratete Nick Wilson (Warren Beatty) umgeht das Gesetz, indem er seinen Kumpel Oscar (Jack Nicholson) unwissentlich eine Scheinehe mit seiner Freundin, der Damenbinden-Erbin Freddie Biggars (Stockard Channing) eingehen lässt - um in Kalifornien an ihr Vermögen zu kommen. Oscar riecht den Braten schon bald selbst und obwohl beide Freunde an der etwas spleenigen Freddie Gefallen finden, entschließt man sich, sie um die Ecke zu bringen, um das Erbe zu kassieren. Doch selbst dazu sind Nick und Oscar zu blöd.
In der Ära der roaring twenties und der Depression angesiedelte Stoffe gehörten in New Hollywood zum guten Ton. Schicke Kostüme und Oldtimer, Swing, Tango und verqualmte Tanzschuppen oder wahlweise der Staub der Straßen schienen die Köpfe der frühen Siebziger sehr umzutreiben. Penn schickte "Bonnie And Clyde", Fitzgerald wurde verfilmt ("The Great Gatsby" & "The Last Tycoon"), Bogdanovich hatte seinen "Paper Moon", Polanski sein "Chinatown", Altman hofierte die "Thieves Like Us", Ashby besang "Bound For Glory", Aldrich kam noch mit "Emperor Of The North" um die Ecke - und das sind nur ein paar Beispiele. Auch "The Fortune" reihte sich ein in diese große Phalanx. Nicholson mit ständig windverwehtem Haar lässt seinen halbverrückten Hochstaplertyp mit traumwandlerischer Sicherheit vom Stapel, Dandy Beatty erklärt die (vorgebliche) Arroganz zum obersten Erscheinungsprinzip. Zusammen sind die zwei beiden wirklich köstlich in ihrem merkbefreiten Dilettantismus, der unter anderem einen Ertränkungsversuch in einem Taubenpool beinhaltet. Ein bisschen was von Laurel und Hardy hat diese Tölpelhaftigkeit - oder vielleicht bilde ich mir das schlicht ein, könnte auch sein. Nach dem extraordinären "Day Of The Dolphin" wäre das hier jedenfalls wieder ein Nichols, der als solcher auf den ersten Blick erkennbar ist mit seiner zwielichtigen Sicht der Dinge.
7/10
#1693
Geschrieben 13. April 2009, 08:04
Silkwood ~ USA 1983
Directed By: Mike Nichols
Oklahoma, 70er Jahre: Karen Silkwood (Meryl Streep) und ihre Freunde und WG-Mitbewohner Drew (Kurt Russell) und Dolly (Cher) arbeiten allesamt in einer Fabrik für Brennelemente des Konzerns Kerr-McGee, die Plutonium für den Einsatz in Kernkraftwerken aufbereitet. Karen steckt als Gewerkschaftsmitglied gern ihre Nase in Dinge, die sie vermeintlich nichts angehen, dazu gehören nachlässige Schutzmaßnahmen, despektierliche Entseuchungsmethoden und andere Missstände, die die existenzbedrohten Arbeiter ertragen müssen. Ihr Engagement nimmt schließlich deutlich brisante Formen an, die nicht nur die Firmenspitze, sondern auch Karens Mitarbeiter und besonders den sich vernachlässigt fühlenden Drew hellhörig werden lassen. Unter anderem wendet sie sich an die Presse und spioniert in den Fabrikarchiven herum. Als Karen selbst eines Tages einer Strahlenverseuchung zum Opfer fällt, sieht sie sich in ihren Mühen nur noch bestätigt. Doch der Konzern empfindet sie nach wie vor als unbequem...
Nachdem Nichols sieben Jahre lang (mit Ausnahme einer Filmaufnahme der "Gilda: Live" - Show) ausschließlich am Broadway tätig war, kehrte er mit der Verfilmung der authentischen Geschichte um die 1974 bei einem mysteriösen Unfall umgekommene Aktivistin Karen Silkwood zum Kino zurück. Erstmals seit "Virginia Woolf" verzichtete er auf das zuvor stets präferierte Scope-Format und inszenierte ein Drama, das so gar nicht zu der Tradition des Polit- und Enthüllungsthrillers passen mag. Nichols respektive seine Autorinnen interessiert vornehmlich Karen Silkwoods Charakterzeichnung, das Wesen einer aus proletarischem Hause stammenden, überengagierten Frau, die durch präzise Nachforschungen bereits verhältnismäßig früh erkannt hat, welche Folgen der sorglose Umgang mit Radioaktivität haben kann. In den periodischen Kontext um Harrisburg und die durch den Kalten Krieg implizierte Angst vor der Bombe fügt sich "Silkwood" insofern vortrefflich ein. Ohne jemals grell zu werden liefert der Film ein Ensemblestück mit vortrefflichen Darstellern, das zugunsten derer Entfaltung anders als frühere Nichols-Filme die mise-en-scène stark in den Hintergrund treten lässt. Möglicherweise erzählzeitlich ein klein wenig überdehnt, ansonsten aber in jeder Hinsicht beachtlich.
8/10
#1694
Geschrieben 13. April 2009, 13:46
RoboCop 2 ~ USA 1990
Directed By: Irvin Kershner
Ein Jahr nachdem RoboCop Murphy (Peter Weller) zum ersten Mal auf Streife ging, wird Detroit von einer neuen Liquiddroge namens 'Nuke' überschwemmt. Hinter der Massenproduktion des Rauschgifts verbirgt sich ein aus dem schizoiden Caine (Tom Noonan), seiner Freundin Angie (Galyn Görg) und dem halbwüchsigen Hob (Gabriel Damon) bestehendes Gangstertrio. Bei OCP versucht derweil die Karrieristin Dr. Faxx (Belinda Bauer), den 'Alten' (Dan O'Herlihy) davon zu überzeugen, ihrem 'RoboCop2' - Programm grünes Licht zu geben, denn der originale RoboCop hat sich mittlerweile gar zu sehr von seiner Herkunft emanzipiert. Als dieser nach einer zwischenzeitlichen Umprogrammierung endlich den fiesen Caine Hops nimmt, hat Dr. Faxx genau das manische Versuchsobjekt, das sie benötigt. Dass Caine nach seimer Maschinenwerdung jedoch durchdreht, gehört nicht zu ihrem Plan.
So reitet man einen Klassiker kaputt: "RoboCop 2", von dem ewigen Franchisebeleber und Sequelregisseur Kershner unzureichend inszeniert und von Comicautor Frank Miller krude ersonnen, ist das klassische Beispiel eines misslungenen, im übermächtigen Schatten des Originals gar verhunzten Sequels. Nahezu alles, was Verhoevens einmaligen Film kennzeichnet, wird hier zugunsten einer aufdringlich comicesken, an William Gibsons Cyberpunkwelten orientierten Phantasie negiert. Der sich in den dortigen Werbespots noch so gelungen äußernde, aggressive Sarkasmus des Erstlings mutiert hier zu einer nurmehr albernen Nummernrevue, die Bösewichte sind bloß noch profillos (besonders die Idee mit diesem dummen Jungen als Verbrecherfatzke geht halsbrecherisch baden) und der bereits im Vorgängerfilm zur Genüge aufbereitete systemische Dissens zwischen politischer und wirtschaftlicher Ebene wird hier nochmals so kleinschrittig vorgebetet, dass es auch wirklich jeder Popcorn futternde Teenager begreift. Heraus kommt eine rechte Nervensäge von Film, die einzig durch ihre liebevoll arrangierten F/X, darunter bahnbrechend gut aussehende Stop-Motion-Szenen, ganz knapp auf ein akzeptables Level gehievt werden kann. Ansonsten wie oben erwähnt eines der anschaulichsten Exempel dafür, dass nicht jeder Erfolgsfilm einer Fortsetzung bedarf, um seinen Status zu zementieren...
4/10
#1695
Geschrieben 14. April 2009, 16:59
Top Gun ~ USA 1986
Directed By: Tony Scott
Die USAF-Piloten Mitchell, genannt 'Maverick' (Tom Cruise) und Bradshaw, genannt 'Goose' (anthony Edwards) werden zur Top Gun versetzt, einer kalifornischen Eliteschule für Fliegerasse. Während Maverick kein waghalsiges Manöver scheut, darunter das rückhaltlose Anbaggern seiner Lehrerin (Kelly McGillis), denkt Goose in erster Linie an seine Familie und deren Ernährung. Als Goose bei einer Übung durch einen Unfall stirbt, will Maverick zunächst seine Pilotenkarriere an den Nagel hängen. Dann jedoch wartet ein Ernstfall mit sowjetischer Feindberührung im Indischen Ozean.
So klischeeangefüllt und peinlich "Top Gun" heute auch erscheint - als popkultureller Vorreiter und Zeitgeistfänger war er vor 23 Jahren maßgeblich. Wie fast alles, was die Produzenten Simpson und Bruckheimer in den achtziger Jahren anfassten, firmierte der Film praktisch bereits zum Zeitpunkt seiner Entstehung unter der Marke 'Kassengold'. Zudem wurde eine langjährige Zusammenarbeit mit dem Regisseur Tony Scott, der Simpsons und Bruckheimers stilistisches Gusto ideal einzufangen wusste, gestartet und der Popwelt nach "Flashdance" und "Beverly Hills Cop" ein weiterer Erfolgssoundtrack incl. No.-1-Hitsingle verehrt. Tom Cruise schließlich verdankt just diesem Film in letzter Konsequenz wohl beinahe alles, was er heute darstellt oder darzustellen glaubt. Auch ein Blick unter die glitzernde Oberfläche verrät viel: Diskurse über homoerotische Tendenzen im Actionfilm können ohne "Top Gun", dessen Darsteller größenteils eigens aufgrund ihrer Oberkörpermuskulatur ausgewählt wurden, die dann natürlich entsprechend häufig angespannt und eingeölt ins Bildzentrum gerückt ist, eigentlich kaum geführt werden. Ähnliches gilt für die Darstellung der Beischlafszene zwischen dem Filmhauptpaar. Ich erinnere mich, damals als langsam Lospubertierender Kelly McGillis für das Nonplusultra weiblicher Physiognomie gehalten zu haben und bekam durch diesen Film vermutlich erstmals einen Zungenkuss zu Gesicht. Der Song von Berlin war auf unseren Klassenpartys der absolute Slowblues-Renner, den zwar eigentlich keiner von uns Jungs gut fand (wir standen mehr auf Kenny Loggins und Cheap Trick), der aber trotzdem gern gespielt wurde, denn man bekam die Gelegenheit zum engen Körperkontakt mit dem obersten Stufenschwarm (mit exakt derselben Frisur wie Kelly 'Charlie' McGillis).
"Top Gun", dem damals zu Recht vorgeworfen wurde, unreflektiert Militärpropaganda zu machen und Krieg als Jungsabenteuer zu banalisieren, muss ich somit rückblickend zu einem der meistgedudelten filmischen Großereignisse meiner frühen Jugend (v)erklären. Auch wenn man der unverhohlenen Dummheit und vordergründigen Naivität des Films als Erwachsener sicher und glücklicherweise mit etwas differenzierterem Blick begegnet.
6/10
#1696
Geschrieben 15. April 2009, 07:50
King Richard And The Crusaders (Der Talisman) ~ USA 1954
Directed By: David Butler
1191 a.d.: Gegen Ende des Dritten Kreuzzugs sieht sich Heerführer Richard Löwenherz (George Sanders) von intriganten Aufrührern in den eigenen Reihen umgeben. Besonders die Greifsritter um Sir Giles Amaury (Robert Johnson) schmieden böse Ränke. Richards Leibwächter, der Schotte Kenneth of the Leopards (Laurence Harvey), versucht derweil mit Ingrimm, jedes Übel von seinem König fernzuhalten, doch vergebens - der Pfeil eines Attentäters streckt Löwenherz nieder. Auf einer kleinen Pilgerreise, die Richards Gattin (Paula Raymond) und seine Kusine Edith (Virginia Mayo), zugleich Sir Kenneths Geliebte, zu einer christlichen Gebetsstätte führt, wo für das Wohl König Richards ersucht werden soll, begegnet man einem kurdischen Heiler (Rex Harrison), der angeblich ausgesandt wurde, um Richard gesundzupflegen. Nach einem kleinen Wettstreit nimmt Kenneth den Sarazenen, der sich erst viel später als Saladin persönlich entpuppt, mit ins Lager. Nachdem Richard genesen ist, holen die Greifsritter zum letzten Schlag aus und entführen Edith. Im Schulterschluss mit Saladin befreien die Abendländer die Edeldame.
Nettes, farbenprächtiges Sparspektakel, dessen beinahe permanente Atelieraufnahmen manche Illusion zerstören. Das Rittergehabe wird bisweilen bös übertrieben, besonders Harvey haut einiges an ihm aufgebürdetem Dialog raus, dass sich das Schmalztöpfchen schon den Schlabberlatz umbindet. Überhaupt scheinen die großen WB-Stars sich entweder gescheut zu haben oder waren im knapp kalkulierten Finanzplan der Warners schlicht nicht vorgesehen - an Starpower mangelt es deutlich. Auch wenn der wie immer breit grinsende Rex Harrison als morgenländischer Muslimenheld eigentlich jeden seiner konkurrenten in punkto Weisheit und Sympathieprojektion in die Tasche steckt (möglicherweise ein Grund dafür, dass "King Richard" noch heute in den USA ziemlich übel gelitten ist). Zusammen mit dem deutlich ambitionierter entstandenen "Ivanhoe", der ja ebenfalls nach einer Scott-Geschichte entstanden war, ergibt Butlers Film immerhin eine schöne Dublette, zumal hier zur Abwechslung auch die Erlebnisse Richard Löwenherz' im Heiligen Land gezeigt werden und nicht wie sonst stets von seiner Gefangenschaft bei Leopold von Österreich oder seiner Rückkehr nach England berichtet wird. Insofern ist "King Richard And The Crusaders" keinesfalls so übel, wie ihn manch naseweise Stimme heute gern macht.
6/10
#1697
Geschrieben 15. April 2009, 15:13
Blue Collar ~ USA 1978
Directed By: Paul Schrader
Die drei Freunde Zeke (Richard Pryor), Jerry (Harvey Keitel) und Smokey (Yaphet Kotto) schuften in einer Detroiter Autofabrik und sind Gewerkschaftsmitglieder, weil es sich für Arbeiter eben so gehört. Die Erfahrung, dass die Union jedoch nichts tut, um ihnen angenehmere Arbeitsbedingungen zu ermöglichen, sondern einzig in die eigenen Taschen wirtschaftet, gehört ebenso zu ihrem Alltag wie die bittere Erkenntnis, trotz harter Plackerei finanziell am existenziellen Limit zu stehen. Besonders Zeke und Jerry als Familienväter haben damit zu kämpfen. Die einzige Möglichkeit zum befristeten Ausbruch liegt im täglichen Kneipenbesuch oder bei Smokeys allwöchentlich stattfindenden Koks- und Nuttenpartys. Als Zeke auf die Idee kommt, den Tresor im Gewerkschaftsbüro zu knacken, fällt ihnen nach vollzogener Tat ein brisantes Notizbuch mit diversen Schuldnernamen in die Hände. Die Union zeigt sich jedoch als nicht erpressbar, sondern rechnet mit jedem der drei Freunde auf ganz gezielte Weise ab.
Schraders Regiedebüt kommt in erster Linie das Prädikat 'wichtig' zu, handelt es sich dabei doch um eines der großen engagierten Sozialporträts in der Tradition von "On The Waterfront", die zeigen, dass berufliche Sicherheit via die Gewerkschaften als ihre einstmaligen Anwälte zur reinen Illusion verkommen sind. Die Arbeitervertretungen haben sich im Laufe der Jahrzehnte mafiöse Strukturen angeeignet und sichern ihr Bestehen durch krumme Finanzgeschäfte sowie illegale Aktionen, die selbst Kapitalverbrechen wie Mord beinhalten. Schrader zeigt sein durchweg sympathisches Heldentrio als grundsätzlich integre Proletarier, denen Freundschaft und Vertrauen zunächst über alles geht, die jedoch unter dem Druck der Existenzsicherung sämtliche vormaligen Ideale über Bord werfen bzw. unter Ausnutzung ihrer Kleinbürgerlichkeit dazu gezwungen werden. In dieser Darstellung des Identitätsverlusts, die dann auch in der letzten Einstellung sinnbildlich eingefroren wird, liegt zugleich die größte Bitterkeit, die "Blue Collar" vermittelt. Ironischerweise wird ausgerechnet der bereits vormalig kriminelle Smokey als einziger der drei gezeichnet, der angesichts der Bedrohung durch die Union in der Lage ist, den Überblick zu behalten und der daher als erster per 'Arbeitsunfall' aus dem Weg geräumt wird. Dass Schrader seinerzeit nicht nur einer der besten Scriptautoren im amerikanischen Film war, sondern zugleich jemand, der es dringend verdient hatte, seine Ideen selbst inszenieren zu können, demonstriert dieser brillant geschriebene, so witzige wie desillusionierende Film mit eindringlichster Prägnanz.
10/10
#1698
Geschrieben 16. April 2009, 06:48
Hardcore ~ USA 1979
Directed By: Paul Schrader
Als der streng calvinistisch lebende, alleinerziehende Jake VanDorn (George C. Scott) eines Tages seine Tochter Kirsten (Ilah Davis) auf eine christliche Freizeit nach Kalifornien schickt, muss er von daheim aus feststellen, dass sie praktisch urplötzlich verschwunden ist. Mithilfe eines Privatdetektivs (Peter Boyle) findet Jake heraus, dass seine Tochter ins Rotlichtmilieu abgestiegen ist und sich dort als Pornodarstellerin verdingt. Erbost begibt sich Jake selbst als vermeintlicher HC-Produzent hinab in den Sündenpfuhl des Golden State.
Der selbst aus Grand Rapids und aus erzpuritanischem Hause stammende Schrader arbeitete mit "Hardcore" auch ein Stück weit seine eigene Biographie auf. Am Ende muss VanDorn feststellen, dass seine Kristen ihm keineswegs, wie er felsenfest annimmt, vor der Nase weg entführt wurde, sondern dass sie den Weg ins Milieu aus freien Stücken gewählt hat - ihr Vater hat es nämlich Zeit seines Lebens vermissen lassen, ihr auch nur einmal ein Gefühl von Geborgenheit oder Zärtlichkeit zu vermitteln. Diese ernüchternde Erkenntnis steht am Ende von "Hardcore", der sich glücklicherweise weitaus weniger reißerisch gibt als man zunächst vermuten mag, unmissverständlich im Raum und bleibt auch über den Abspann hinaus bestehen. Zwar geht Kristen zunächst wieder mit ihrem erleichterten Daddy nach Haus, die Nachhaltigkeit der neuen Vater-Tochter-Beziehung ist jedoch noch längst nicht gewährleistet und wird zahlreiche Lernprozesse erfordern, um Bestand zu gewinnen.
Über das augenscheinlich zutiefst biedere moralische Konstrukt des Films nachzudenken, hieße, ihm möglicherweise Schwächen anzulasten, die so gar nicht existent sind. Es gilt schließlich nicht zu vergessen, dass die Perspektive VanDorns, der bisher noch nie mit Sexualität als Geschäftsform in Kontakt gekommen ist und der seiner kleinen heilen Glaubenswelt nur höchst widerwillig und voll unbegründeter Angst und Ekel entsteigt, die maßgebliche ist. Insofern inszeniert Schrader eigentlich bloß als Empath aus dem Hintergrund, wobei, auch angesichts seines Scripts zu "Taxi Driver", schon anzunehmen ist, dass auch er so seine Schwierigkeiten mit dem sexual underground hat - woher diese auch immer rühren mögen.
8/10
#1699
Geschrieben 16. April 2009, 18:38
American Gigolo (Ein Mann für gewisse Stunden) ~ USA 1980
Directed By: Paul Schrader
Julian Kaye (Richard Gere) arbeitet als Edel-Callboy im Bereich um Los Angeles. Seine zwei "Agenten" Anne (Nina Van Pallandt) und Leon (Bill Duke) vermitteln ihm jeweils diverse Aufträge, die er wahlweise als Chauffeur oder Dolmetscher antritt, um älteren Damen die Zeit zu vertreiben. Brenzlig wird es, als Julian des Mordes an der Gattin (Patti Carr) eines Businessman (Tom Stewart) in Palm Springs verdächtigt und angeklagt wird. Sein prekärer Job verhindert ein glaubhaftes Alibi, niemand will Julian mehr kennen. So ergreift der einzige Mensch, dem er noch etwas bedeutet, die Politikerfrau Michelle Stratton (Lauren Hutton), beherzt Partei für ihn.
Wer über Film erforschen möchte, wie die Achtziger tickten, kommt an "American Gigolo" nicht vorbei. Der hohle Hedonismus jener Zeit wird in Schraders Film nicht nur perfekt eingefangen, sondern von ihm sogar in seinen Grundzügen mitdefiniert. Letztlich gibt es zwar auch hier eine moralische Komponente, die irgendwann greift, als Julian Kaye zu verstehen beginnt, wie allein er wirklich ist mit seinem gesellschaftlich geächteten Beruf, diese wiegt jedoch tatsächlich nichts im Vergleich zu den diversen kalten Gesten der kalifornischen Schickeria und all den um Aufmerksamkeit buhlenden architektonischen Modernismen, die man um den Bart geschmiert bekommt. Kaye macht kopfüberhängende Fitnessübungen, um seinen Luxuskörper in Schuss zu halten und lernt dabei schwedisch (als sechste zu beherrschende Sprache), in Sachen Kunstgegenstände hat er nicht nur ein todsicheres Geschmacksgespür, sondern kann bei Bedarf auch als kompetenter Berater fungieren, sein Appartment und sein Wagen schließlich sind einzig auf Bewunderung aus. "American Psycho" ohne Wall Street und Persönlichkeitsstörung, mit Sicherheit ein großer Einfluss für Ellis' Bestandsaufnahmen. Der Soundtrack stammt von Giorgio Moroder, das prägende Produktionsdesign von Ferdinando Scarfiotti, mit denen Schrader auch bei seinem nächsten Projekt zusammenarbeiten sollte.
8/10
#1700
Geschrieben 16. April 2009, 19:05
Cat People (Katzenmenschen) ~ USA 1982
Directed By: Paul Schrader
Die noch jungfräuliche Irena Gallier (Nastassja Kinski) kommt nach New Orleans um bei ihrem Bruder Paul (Malcom McDowell) zu leben. Sie fühlt sich zu den Großkatzen des hiesigen Zoos hingfezogen, deren Wärter Oliver (John Heard) bald auf Irena aufmerksam wird. Die zwei verlieben sich zaghaft ineinander, während eine mysteriöse Mordserie die Stadt erschüttert. Paul und Irena gehören nämlich zu einer archaischen Rasse von Katzenmenschen, die sich bei sexueller Erregung in schwarze Panther verwandeln und ihre menschliche Gestalt erst wieder annehmen können, nachdem sie ihre zuvorigen Liebespartner gerissen haben. Ein gefahrloser Beischlaf kann und darf nur unter ihresgleichen stattfinden. Während Irena von ihrer Herkunft noch nichts ahnt, lebt Paul sein animalisches Wesen voll aus - er ist es auch, der hinter den grausigen Todesfällen steckt. Doch auch für Irena und Oliver scheint eine erfüllte Zweisamkeit unmöglich.
Auch wenn wahrscheinlich jeder Kenner der beiden Filme das Folgende als böses Sakrileg empfindet: "Cat People" ist das wohl einzige mir bekannte Remake, dem ich einen qualitativen Vorsprung zum Original einräumen würde. Andererseits lässt sich dieser Standpunkt auch ziemlich rasch erklären bzw. entschuldigen - nicht nur, dass ich Schraders Version schon lange vor der von Tourneur gesehen hatte, ich kenne sie auch wesentlich besser und bin praktisch mit ihr aufgewachsen. Es ist also primär die große Vertrautheit, die mir diesen Film so bedeutsam macht. Seine zeitgenössisch-kühle Bildsprache, die insbesondere Räume und Architekturen (New Orleans liefert da hinreichende Motive) betont, konnte Schrader hier zur Perfektion treiben. Dunkle Grundfarben dominieren viele Szenen, die von Tourneur quasi nachgefilmte Swimming-Pool-Szene (hier mit Annette O'Toole) etwa leuchtet in tiefem Blau. Die Gasse mit den Zoogehegen, die zumeist sorgam symmetrisch ins Bild gebracht wird, wirkt als Symbol für eingeschlossene Wildheit und gefangene Instinkte niederschmetternd. Stichwort Libido: Diese wird hier, wie bei Schrader üblich, speziell akzentuiert. Kritiker haben Schrader vorgeworfen, seine Darstellung weiblicher Sexualität sei reaktionär und grenze in ihrer vorgeführten Konsequenz an Misogynie. Diese Ansätze lassen sich tatsächlich kaum leugnen, es ist aber angesichts der verschlungenen Pfade des Films sehr leicht, sie zu überspielen und auszublenden. Mit Schraders Biographie im Hinterkopf lernt man dabei außerdem eine Menge über den Filmautoren und darüber, was ihn bewegt. All das, gepaart mit einer phantastischen Verwandlungsszene der Kinski sowie einem der besten Scores des Jahrzehnts (wiederum von Moroder nebst Titelsong mit Bowie), ergibt ein völlig unterschätztes, formal und atmosphärisch atemberaubendes Werk.
10/10
#1701
Geschrieben 17. April 2009, 07:21
Mishima: A Life In Four Chapters ~ USA 1985
Directed By: Paul Schrader
Das Leben des japanischen Künstlers Yukjio Mishima (Ken Ogata), dargestellt in den vier Kapiteln 'beauty', 'art', 'action' und 'harmony of pen and sword'. Von seinen bescheidenen Anfängen, dem Aufwachsen bei seiner dominanten Großmutter (Haruko Kato), bis hin zur nationalen Anerkennung und schließlich der Selbstdeklarierung als lebendes Kunstwerk, dessen höchste Stilisierung im öffentlich verübten Akt des Seppuku, des rituellen Selbstmords, seine Vollendung findet.
Schraders zweifellos ehrgeizigste Arbeit, die er mithilfe von Coppolas Zoetrope und Lucasfilm realisieren konnte, gibt seine Faszination für Mishima greifbar wieder. Um sich den geistigen und psychischen Windungen des Literaten zu nähern, macht sich Schrader dessen drei teils autobiographisch gefärbte und von intimen Gedanken und Wünschen beseelte Werke "The Temple of the Golden Pavilion", "Kyoko's House", und "Runaway Horses" zunutze, die er in geraffter und jeweils stark exponierter Form zum Kern seiner ersten drei Kapitel macht. Das letzte ist dann der Durchführung von Mishimas öffentlicher Selbsttötung vorbehalten, in dessen finalem Moment nochmals die drei semifiktiven Protagonisten in seiner Person zusammenfinden, um sich dort ein letztes Mal zu vereinen. Schrader, der den Film ausschließlich mit japanischen Darstellern besetzte und vollständig in japanischer Sprache filmte, sah sich ausgerechnet von jener Seite zahlreichen Verfemungen und Zensurpraktiken gegenüber. Mishima sollte als kulturelles Nationalheiligtum seinen Weg auf Zelluloid finden und nicht in so kritischer Form, wie sie Schrader letztlich walten ließ. Er zollt Mishima und seinen Innenwelten zwar höchsten Respekt und stellt den Künstler und seine radikalen Ideen, die unter anderem die Ausformulierung und Konservierung physischer Perfektion oder die Schaffung einer Privatarmee, der Schildgesellschaft, beinhalteten, als bahnbrechende Persönlichkeit dar, streut jedoch ebenso berechtigte Zweifel an der geistigen Gesundheit Mishimas und seiner absoluten Selbstverschreibung an dessen individuell ausformulierte Ideale.
Wiederum ein so schillernder wie beachtlicher Film Schraders, der, gemäß des auteurs ewigem Hauptthema, erneut einen quasi-solipsistisch angelegten Protagonisten auf seinem introspektiven Lebensweg verfolgt.
9/10
#1702
Geschrieben 18. April 2009, 06:50
Martyrs ~ F/CAN 2008
Directed By: Pascal Laugier
Die als Kind von Unbekannten schwer misshandelte Lucie (Mylène Jampanoï) entdeckt fünfzehn Jahre später ihre Peiniger, ein nach außen hin bieder lebendes Ehepaar (Patricia Tulasne, Robert Toupin) mit Kindern (Juliette Gosselin, Marie Xavier Dolan-Tadros), und rächt sich an ihnen. Lucies Borderline-Störung ist jedoch so schwerwiegend, dass sie sich gleich auch selbst vor Ort das Leben nimmt. Ihre Freundin Anna (Morjana Alaoui) wird Zeugin der grausamen Ereignisse und erfährt kurz darauf auch den Grund für Lucies damalige Entführung: Sie wurde zum Opfer einer Art Purifikationssekte, die darauf aus ist, durch langsames Zutodefoltern Märtyrer zu erschaffen, die die Grenze zum Tode überschreiten und davon berichten können, bevor sie verscheiden. Anna gerät selbst in die Fänge der Wahnsinigen.
Ungewöhnliches Seherlebnis, eine Art "Flatliners" im Hardcore-Modus. Nachdem "Martyrs" trotz einiger Schrecksekunden eher verhalten beginnt und man zunächst glaubt, der Geschichte einer bemitleidenswerten Borderlinerin aufzusitzen, entwickelt der Film in der zweiten Hälfte tatsächlich so etwas wie Sci-Fi-Qualitäten, als das von der Außenwelt abgeschnittenen Folterverlies mitsamt hochentwickelter technischer Einrichtung und vor allem die unter so verständnisvoll wirkender Leitung (Catherine Bégin) stehende, wie sich gegen Ende zeigt, vornehmlich aus wohlhabenden alten Käuzen bestehende Gemeinschaft besteht. Da wird "Martyrs" dann zu einer geflissentlich pervers anmutenden Studie über ertragbares Qualenpotenzial und erste Schritte ins Jenseits, die, wie deutlich betont wird, schon aufgrund ihrer zeitlichen Ausdehnung keine der üblichen near death experiences sein konnten. Als Rechtfertigung für die Zurschaustellung intensiver physischer und psychischer Brechung eine etwas schmale Rechtfertigung. Dennoch beileibe kein dummer oder gar uninteressanter Film.
7/10
#1703
Geschrieben 18. April 2009, 07:27
Eden Lake ~ UK 2008
Directed By: James Watkins
Grundschullehrerin Jenny (Kelly Reilly) und ihr Freund Steve (Michael Fassbender) wollen anlässlich ihrer Verlobung ein romantisches Zeltwochenende in den Midlands verbingen. Kaum an ihrem Ziel, dem idyllisch gelegenen Eden Lake, angekommen, machen sie die unangenehme Bekanntschaft eine Gruppe delinguenter Jugendlicher. Der anfangs von Sticheleien geprägte Konflikt schaukelt sich immer mehr hoch, bis es zu ausufernden Gewaltakten kommt.
Es gibt mehrerlei, was man zu "Eden Lake" festhalten kann oder muss: Da wäre zunächst seine überaus kontroverse Prämisse der grausamen Kinder, die aufgrund ihrer verwahrlosten Sozialisation zu behaupteten Akten fähig sind, vor denen selbst die meisten erwachsenen Krimninellen zurückschreckten; dann die genreinhärente Dramaturgie des 'unlogischen' Protagonistenverhaltens, die hier beinahe bis zur Unerträglichkeit ausgespielt wird (Jenny und Steve reagieren wirklich von Anfang an so dämlich, dass sie ihre Misere - überspitzt gesagt - kaum besser verdienen) und schließlich, um nochmals auf den eingangs erwähnten, soziologischen Fatalismus zurückzukommen, die berichteten Analogien unter den Generationen, die am Schluss via die Reaktionen der Eltern auf die Ereignisse vieles über das vorherige Verhalten der Kinder erzählen. Auch dort findet man eine klares pädagogisches Metaschema, über dessen restriktive Darstellung man sicher stundenlang streiten kann. Nun ist "Eden Lake" aber auch saumäßig spannendes, mitreißendes und ausgebufft inszeniertes Terrorkino, das, im Original geschaut, ausnahmsweise ein ganz anderes Exterieur bietet als man es aus dieser Ecke gewohnt ist. Die englische Provinz war ja dann bislang doch eher selten Schauplatz solcher wie hier demonstrierter, unsäglicher Vorkommnisse. Mir hat der Film summa summarum gut gefallen, tatsächlich fand ich ihn, quasi als Medaillenkehrseite zu dem unmittelbar zuvor gesehenen "Martyrs" (s.o.), sogar noch ein Fünkchen besser.
7/10
#1704
Geschrieben 18. April 2009, 07:49
Nekromantik ~ BRD 1987
Directed By: Jörg Buttgereit
Rob (Daktari Lorenz), der sich zu Leichen und Leichenteilen hingezogen fühlt und durch sie sexuelle Erregung empfängt, kurz, nekrophil veranlagt ist, hat seine Obsession zum Beruf gemacht. Bei 'Joes Säuberungsaktion', einem Unternehmen zur Entsorgung von Unfallopfern und anderen toten Subjekten, verdient er seine Brötchen. Ständig lässt er hier und da kleine Organe mitgehen und bewahrt sie daheim in Alkohol eingelegt auf. Auch Robs Freundin Betty (Beatrice Manowski) hat ein Herz für die Verwesung. Als Rob eines Tages einer vollständigen, allerdings bereits arg mitgenommenen Leiche habhaft wird, bedeutet dies zugleich das Ende seiner Beziehung, denn Betty verschindet bald darauf und nimmt den toten Körper mit. Robs sexuelle frustration wächst nun von Tag zu Tag und kennt nur noch einen, im wahrsten Sinne des Worte, finalen Orgasmus.
"Nekromantik" war seinerzeit im Schülermilieu, als man von Tuten und Blasen noch keinerlei Ahnung hatte, ein geradezu legendäres Machwerk, das man, wenn man schon nicht selbst im Besitz des Films war, doch zumindest 'mal gesehen haben' musste. Irgendjemand fand sich dann immer, der die entsprechende Cassette in zumeist grausiger Qualität besaß und dann zu nachmittäglichen, quasi-öffentlichen Vorführungen bei sich einlud. Mussten bloß die Eltern aus dem Haus sein. Mit dem Abstand der Jahre und Jahrzehnte - kaum zu glauben, mittlerweile hat auch "Nekromantik" über zwei Dekaden auf dem Buckel und ist damit selbst längst erwachsen geworden, kann man die Sache doch sehr ernüchtert angehen. Die einstmalig schockierende Wirkung des Films - "Iih, Leichen, bah, wat macht der denn da mit der toten Katze, öh, der spritzt ja ab, während er sich ersticht [...]" - hat ihren Platz geräumt und gibt mittlerweile den Blick frei, auf das, was "Nekromantik" letztendlich darstellt: Enttabuisierendes, wildes Undergroundkino, ohne jegliche autoritäre Obhut gefertigt und daher nach wie vor ein kleiner Rohdiamant und Szeneklassiker sowieso. Die diversen Schwächen, die etwa im durchdachter-psychologisierten zweiten Teil umschifft werden konnten, sind eben auf Jugend, mediale Unerfahrenheit und die kleinen Produktionsmittel zurückzuführen. Leider büßt der Film in Verbindung mit all diesen Erkenntnissen auch das ein, was ihm einst seinen mythischen Charakter eintrug: Die zutiefst nihilistische Grundstimmung. Weiß nicht, wie es wäre, hätte ich "Nekromantik aktuell zum ersten Mal gesehen, so befand sich an genau dieser doch so elementaren Stelle ein Loch. Schade, aber wohl nicht (mehr) zu ändern.
7/10
#1705
Geschrieben 18. April 2009, 08:12
Over The Top ~ USA 1987
Directed By: Menahem Golan
Kurz vor ihrem Tode hat die Millionenerbin Christina Cutler-Hawk (Susan Blakely) noch einen letzten Wunsch: Ihr zwölfjähriger Sohnemann Michael (David Mendenhall) soll endlich seinen Papa, den Trucker und Super-Armdrücker Linc (Sylvester Stallone) kennenlernen, der Mike durch den Einfluss des herrischen Großvaters (Robert Loggia) zeitlebens vorenthalten wurde. Jener versucht auch jetzt, nachdem Vater und Sohn sich endlich begegnet sind und sich zu einer romantischen Überlandfahrt mit dem LKW aufbrechen, noch permanent dazwischenzufunken. Am Ende steht die Weltmeisterschaft im Arm-Wrestling, die zudem über das Schicksal der Familie Hawk entscheidet...
Via "Over The Top", einem ihrer teuersten Projekte, versuchte die Cannon anno 87, sich auch jüngere Familiengenerationen zu erschließen. Mit zumindest bescheidenem Erfolg: Ich selbst habe den Film seinerzeit gleich zweimal im Kino geschaut, weil er rückblickend wohl für den ordinären elfjährigen Filmfan einer Art Traumerfüllung gleichkam. Es war schon was, Stallone auf der Leinwand sehen zu können, ohne an der Kasse mit angeklebtem Schnurrbart, Sonnenbrille und Stelzen aufschlagen zu müssen. Dazu noch diese catchy Moroder-Musik, das erinnerte in seiner Gesamtheit schwer an die jüngst gesehenen, so tollen "Rocky IV" und "Cobra", die ohnehin zum Heißesten zählten, was Kino seinerzeit hergab. So war das damals - im Laufe der Jahre wurde man dann arrogant und großkotzig und wo die etwas bis wesentlich gewalttätigeren Stallone-Vehikel ihre Stellung vehement behaupten konnten, avancierte "Over The Top" nach und nach zum Spinnefeind. Dieser fürchterliche, naseweise Junge und all der Ami-Kitsch mit Trucks und Fernfahrerkneipen, ganz abgesehen davon, dass sich Kenny Loggins unterdessen zu den absoluten musikalischen No-goes gesellt hatte. Nun, intelligenter ist der Film über die Jahre zwar nicht geworden, aber ich darf zumindest mit Freuden vermelden, dass ich gestern Abend meinem alter ego als Elfjähriger näher kam denn jenem des Zweiundzwanzigjährigen. Das Armdrückerfestival am Ende reißt so ziemlich alles raus, was den Film zuvor so widerlich klebrig macht; die Typen, die da vorgeführt werden, sehen aus, als wären sie eben erst irgendwelchen Zookäfigen entstiegen, fressen brennende Zigarren, saufen Öl und grunzen in den schillerndsten Tönen. Da kam dann die alte Liebe wieder hoch und ich erinnerte, dass ich - Achtung, Tiefenpsychologie - vor 22 Jahren gerne selbst einen Linc Hawk als Papa gehabt hätte. Der Mann ist vielleicht ein bisschen dämlich, hat aber zumindest keine allzu große Proletenschnauze und außerdem Herz, Bi- und Trizeps am rechten Fleck. Mit anderen Worten: Wer "Masters Of The Universe" mag, muss auch "Over The Top" gernhaben. So kausal-einfach ist die Welt.
5/10
#1706
Geschrieben 19. April 2009, 07:52
Squadra Antifurto (Hippie Nico von der Kripo) ~ I 1977
Directed By: Bruno Corbucci
Inspettore Nico Giraldi (Tomas Milian) hat wieder mal massig zu tun: Eine Bande von Einbrechern (u.a. Giuseppe Pambieri) raubt den Tresor des betuchten Amerikaners Douglas (Robert Webber) aus und erpresst ihn mit einem prekären Notizbuch, in dem diverse krumme Aktiva festgehalten sind. Douglas lässt sich jedoch nicht aufs Kreuz legen, sondern die Diebe einen nach dem anderen abservieren. Giraldi als wandelnder Kleiderständer für abgefahrenste Discomoden verfolgt den krummen Hund unter höchstem Einsatz seines amourösen Charmes bis nach New York.
Der zweite "Squadra"-Film wurde offensichtlich erst hörbar spät synchronisiert, ich vermute, für eine TV-Premiere. Nichtsdestotrotz sind die bewährten Sprecher, allen voran natürlich Danneberg auf Milian und Branding auf Bombolo, der hier mit einer buchstäblichen Scheißaktion seinen Serieneinstand begeht, noch dabei. Zudem gewinnt der verlotterte Ermittler hier deutlich an späterem Profil, ist doch der Polizotto-Gehalt des Erstlings "Squadra Antiscippo" zugunsten diverser klamaukiger Späße für den Nachfolger bereits spürbar zurückgeschraubt worden. Ziemlich irrer Kram durchzieht den Film, darunter eine ellenlange Montage, in der Giraldi (der hier urplötzlich wieder Giraldi statt Marroni hieß - möglicherweise ein Hinweis darauf, dass Rainer Brandt oder Arne Elsholtz mit dem Synchronbuch nichts zu tun hatten) diverse Zungen- und Lutschspielchen rund um Bananen und Stieleis mit einer Afroamerikanerin zelebriert, von der er auf diese umständliche Weise einen Wohnungsschlüssel zu klauen plant. Insbesondere jedoch Milians häufig wechselnde Garderobe ist ein echter Hingucker. Man kann sich gar nicht entscheiden, welcher seiner diversen Fummel sich für eine zünftige Bad-Taste-Party am besten eignete.
7/10
#1707
Geschrieben 19. April 2009, 08:10
99 and 44/100% Dead (Harry Crown - Eine Kugel für jeden) ~ USA 1974
Directed By: John Frankenheimer
Harry Crown (Richard Harris), käuflicher Supermann für Spezialeinsätze aller Art, wird nach New York beordert, um für den Gangsterboss Onkel Frank (Edmond O'Brien) als Regulator in dessen Konflikt mit seinem Konkurrenten Big Eddie (Bradford Dillman) tätig zu werden. Dabei trifft Harry auf diverse alte Bekannte, wie die schöne Buffy (Ann Turkel) oder den einarmigen Claw Zuckerman (Chuck Connors), der Harry sein Stahlklauensubstitut oben links verdankt. Obschon es Harry einiges an Nerven kostet, zumal Big Eddie mit fiesesten Methoden arbeitet, führt er seinen Job ordnungsgemäß zu Ende.
Etwas verspäteter Nachklapp zu meiner löchrigen Frankenheimer-Werkschau vor ein paar Wochen. Eine recht exzentrische Gangsterfilmmeditation, die irgendwo in der grauzone zwischen Parodie und Ernsthaftigkeit umhertaumelt, angereichert mit einer nur scheinbar unpassend leichten Musik von Henry Mancini und einer poppigen Titelsequenz mit Lichtenstein-Motiven. Überhaupt scheint die bildende Kunst Frankenheimer zu dieser Phase sehr bewegt zu haben, eine Schlüsselszene zeigt Crown und Buffy im Inneren eines gigantischen, begehbaren Saint-Phalle-Nanas mitsamt Eingeweiden. Sehr eindrucksvoll zudem die Rahmensequenz, die einen gezielten Blick ins Hafenbecken der New Yorker Eastside wirft, die, so das Mythosgefüge des Films, voll ist von Zementblöcken mit zu Lebzeiten unbequemen Leichen darin. Ein so lustig wie unweltlich wirkendes Kabinett aus verrosteten Autowracks, grinsenden Skeletten und frisch Ermordeten, die allesamt irgendwie auf ihre Herkunft schließen lassen.
Alles in "99 and 44/100% Dead" ist Verbrechertum, es ist, als gehörte die Stadt einzig den Gangstern, die mit Vorliebe von Häuserdächern und um die Ecke knallen. Eine Ordnungshüterschaft im herkömmlichen Sinne hat da nichts mehr zu melden. Anarchy in the city.
8/10
#1708
Geschrieben 19. April 2009, 17:22
Assassinio Sul Tevere (Der Superbulle jagt den Ripper) ~ I 1978
Directed By: Bruno Corbucci
Manfredo Ruffini (Albert Farnese), der Vorsitzende des "Vereins der Tiberfreunde" wird während einer Klubsitzung hinterrücks erdolcht. Dafür landet ausgerechnet ein alter Freund Marronis (Tomas Milian), Otello Santi (Enzo Liberti), unschuldig hinter Gittern. Marroni gibt sich alle Mühe, den wahren Täter dingfest zu machen, zumal Santis Tochter Angela (Roberta Manfredi) sich unbequemerweise bei ihm einnistet. Weitere Probleme ergeben sich durch diverse widersprüchliche Aussagen der übrigen, ebenfalls nicht ganz astrein scheinenden Vereinsmitglieder und durch Marronis Dienstsuspendierung.
Einer der schönsten Filme der Reihe. Der etwas sehr spektakuläre Titel mit dem "Ripper" trifft zwar nicht ganz den Kern der Sache, da keinesfalls ein erwartungsgemäß brutaler Serienschlitzer im Zentrum steht sondern lediglich das übliche Kriminalgedöns, dafür jedoch ist die Story ziemlich straight und ohne große Handlungsschlenker zu Papier gebracht. Vor allem sitzen die Gags. Höhepunkte sind diesmal Venticellos (Bombolo) neueste Tricks, in deren Zuge er, als Monsignore verkleidet, probiert, Schmuckhändler auszunehmen und sich dafür mal wieder tüchtig Ohrlaschen einfängt, Marronis dauerhaft-schmierige Versuche, bei der Witwe (Marina Ripa di Meana) des Mordopfers (die, von Rainer Brandts Gattin Ursula Heyer gesprochen, Marroni permanent als "Inschpektor" anspricht) zu landen ("Wollen Sie eine Banane? Nein? Eine halbe? Wenigstens mal beißen?"), seine Freundschaft zu einem zwischendurch ergatterten Apfelschimmel, der zwischenzeitlich beim Inspettore einzieht und ganz besonders eine auf der Bühne vorgetragene Disconummer ("Keep On Dancing") im roten Glitzeranzug. Es gibt wieder massig Anlass zum Feiern.
8/10
#1709
Geschrieben 19. April 2009, 17:45
Autostop Rosso Sangue (Wenn du krepierst, lebe ich!) ~ I 1977
Directed By: Pasquale Festa Campanile
Kaum dass es seinen Campingurlaub in Nevada beendet hat und auf dem Weg nach L.A. ist, gerät das ewig streitende italienische Ehepaar Walter (Franco Nero) und Eve Marcini (Corinne Clery) in die Geiselhaft des flüchtigen Raubmörders Konitz (David Hess). Konitz erniedrigt die beiden, wo er nur kann und wühlt damit eher unbewusst den schlammigen Untergrund der ohnehin längst bröckelnden Beziehung der beiden auf. Walter und Eve beginnen langsam, sich noch mehr zu hassen als bereits zuvor. Der buchstäbliche Höhepunkt des Genießbaren ist für Walter erreicht, als er Zeuge wird, wie Konitz Eve nach einigen gescheiterten Versuchen doch noch vergewaltigt und er zu sehen glaubt, wie seine Frau den Akt genießt. Als man sich Konitz mit Mühe und Not entledigt hat, geht die wilde Fahrt dann erst richtig los.
Das illlegitime missing link zwischen "Who's Afraid Of Virginia Woolf?", "The Hitcher" und "U Turn", wenngleich die Abruzzen ein kackendreister und ziemlich einsichtiger Lokalersatz für die Sierra Nevada sind. "Autostop" ist feinstes Drei-Personen-Psychodrama. Die sinnbildlichen Zerfleischungsakte unter den Protagonisten sind von beinahe glaubhafter Gemeinheit, was insbesondere den Giftspritzen Nero und Hess zu verdanken ist. "O" Clery, von Konitz / Hess mit dem schönen Spitznamen "Mädchen mit dem knackigen Arsch" ausgestattet, ist zwar bloß hübsche Schlüpferfassade, aber was für eine. Ihr Luxuskörper wird so oft in schmieriger Weise ins Bild gebracht, dass die geneigte Männerzunge schon fast am Boden klebt. Während Hess sein mittlerweile bombenfest installiertes Krug Stillo - Image des rückhaltlosen Sozio- und Psychopathen pflegen darf, genießt Nero auf den Spuren Richard Burtons sichtlich seine untypische Rolle des versoffenen Fieslings, der, ohne es zu bemerken, selbst zum Verbrecher wird. Das Allerbeste an "Autostop" aber ist seine Negierung jeglicher Moralkomplexe, die ja üblicherweise Filme dieser Art als eines ihrer obersten Merkmale kennzeichnen. Keine Racheakte, keine göttliche Fügung am Schluss - der Schweinehund kommt ganz einfach und breit grinsend durch - mit der vollständigen Penunze unterm Arm. Und der Mann vor der Mattscheibe? Der lacht sich ins feiste Fäustchen und freut sich mit dem da vorn. Solch erlesene Boshaftigkeit muss doch (verdammt noch)mal belohnt werden. Selten zuvor und selten danach war das heimliche Böse im Kino so vital wie in Campaniles frechem kleinen Film.
8/10
#1710
Geschrieben 20. April 2009, 14:17
Delitto Al Porta Romana (Elfmeter für den Superbullen) ~ I 1980
Directed By: Bruno Corbucci
Marroni (Tomas Milian) hat wieder jede Menge um die Ohren: Seine Angela (Olimpia Di Nardo) bekommt ihr erstes Baby und ausgerechnet deren liebe Oma (Nerina Montagnani), ein zittriges, schwerhöriges Persönchen, das Tony fast um den letzten Nerv bringt, verfolgt die werdende Mama als traditionelle Familienhebamme auf Schritt und Tritt. Doch damit nicht genug: Venticello (Bombolo) wird in Mailand unschuldig wegen Mordes eingesperrt. Für den Ärmsten leuten im Bau beinahe schon die Hochzeitsglocken mit einem Mitinsassen, der sich unsterblich in Venticello verliebt hat, da holt Marroni einmal mehr die Kastanien aus dem Feuer.
Zwar ermittelt Marroni/Giraldi trotz des cleveren deutschen Titels nicht im Milieu der Fußballer (nur zu Beginn ist eine Spielszene zwischen Inter und der AS Rom statt; außerdem macht Marroni einmal den Torwart beim Eishockey), er erweist sich aber dennoch wieder als echter Tausendsassa. Unter anderem verfolgt er in Mailand einen Mercedes auf Rollschuhen durch die gesamte Innenstadt, campiert auf dem Hof der dortigen Polizei, bekleckert seinen Vorgesetzten (Leo Gavero) mit arrabiata nappolitana und diversen flotten Beleidigungen ("Wo bei anderen das Herz sitzt, findet man bei Ihnen bloß 'ne gegrillte Bulette") und lädiert zudem dessen Ruf als sittsamer Gastgeber. Dass Marronis Sohn Rocky am Ende tatsächlich wie ein Gewinner aus dem Geburtskanal geschossen kommt, liegt nicht zuletzt an einer der rasantasten Niederkünfte der Filmhistorie. E viva la squadra di burla.
7/10
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