In meinem Herzen haben viele Filme Platz
#961
Geschrieben 05. Oktober 2007, 07:59
Bitter Moon ~ UK/F 1992
Directed By: Roman Polanski
Auf einer Schiffspassage nach Indien lernt das englische Ehepaar Nigel (Hugh Grant) und Fiona (Kristin Scott Thomas) den Amerikaner Oscar (Peter Coyote) und seine französische Frau Mimi (Emmanuelle Seigner) kennen. Oscar, der im Rollstuhl sitzt und sich schnell als polternder Zyniker entpuppt, entwickelt eine seltsame Beziehung zu Nigel: Dieser verbringt Stunden in Oscars Kabine und hört sich dessen aufrüttelnde Geschichte seiner Ehe an - eine wildromantisch beginnende Erzählung, die zunehmend in ein Inferno aus sexueller Entfesselung, Gemeinheiten und schließlich Selbstzerfleischung führt. Derweil spürt Nigel selbst ein unbändiges Verlangen nach Mimi, das auch Fiona nicht verborgen bleibt.
Das verflixte 7. Jahr, die Bilanzierung einer auf wackligem Fundament stehenden Ehe und wie eine solche ausschaut, wenn sie längst mit Tempo gegen die Wand gefahren wurde: Seinen bissigen Humor hat Polanski nicht eingebüßt. Inmitten der nachhaltig wirkenden Implosionen, die beide Paare, das eine in der erzählzeitlichen Gegenwart, das andere in der Vergangenheit hinnehmen müssen und mussten, bleibt bei aller Hoffnungslosigkeit und bei der Tragödie, auf die das Ganze unumwunden hinsteuert (man ist bei Polanski und weiß mittlerweile, dass die Angelegenheit zu 88 Prozent tragisch ausgehen wird) immer noch Platz für die kleinen, gemeinen Humorismen. Peter Coyote, der mit mindestens vier verschiedenen Charakterbasen jongliert, trägt diese Augenblicke geradezu hervorragend.
Ist es eigentlich bereits seit "Tess" offensichtlich, so wird hier vor allem eines sichtbar: Die Inszenierung hat Polanski längst der Narration untergeordnet. "Frantic" beinhaltete nochmal ein paar liebevoll gestaltete Szenen, die auch für sich allein bestehen konnten und in Erinnerung riefen, wer da eigentlich federführend war (ich denke im Speziellen an Fords Krackselei auf dem Pariser Dach, wie er die kleine Freiheitsstatue zu fassen kriegen will). Solche sind bei "Bitter Moon" eher rar gesät. Die Neujahrsparty gegen Ende vielleicht, ansonsten ist da von "Stempel" nicht viel zu spüren.
Der Film bewegte mich nie sonderlich und hat das auch jetzt nicht getan. Man mag ihn aber anerkennen und im Werk Polanskis seinen Platz zugestehen. Er hat viele bemerkenswerte Seiten und Momente, wirkt in seinen Versuchen, Millersche Sprache zu reanimieren (wobei das vielleicht auch der Vorlage zuzuschreiben ist, das weiß ich nicht) jedoch unbeholfen und ist eindeutig zu lang.
6/10
#962
Geschrieben 05. Oktober 2007, 08:31
Death And The Maiden (Der Tod und das Mädchen) ~ UK/F/USA 1994
Directed By: Roman Polanski
Während ihr Mann, der Anwalt Gerardo Escobar (Stuart Wilson) damit beschäftigt ist, in einem nicht näher bezeichneten südamerikanischem Land staatliche Gerechtigkeit für die zahllosen Opfer während der unlängst beendeten Junta-Regierung zu erwirken und dabei einen Handel nach dem anderen absegnet, versucht seine Frau Paulina (Sigourney Weaver) noch immer mit den schrecklichen Erlebnissen fertigzuwerden, die sie im Zuge der Folterungen während ihrer Gefangenschaft erleiden musste. Sie hatte ihren Mann als Herausgeber eines regimekritischen Studentenblatts preisgeben sollen, jedoch tapfer geschwiegen und dafür zahlreiche Vergewaltigungen und weitere Erniedrigungen an Leib und Seele hinnehmen müssen. In einer stürmischen Nacht wird Gerardo dann unwissenderweise von dem wohl schlimmsten Folterknecht, von dem Paulina nur Stimme, Phrasen und Geruch (und natürlich den Umstand, dass er bei Vergewaltigungen stets Schuberts "Der Tod und das Mädchen" zu spielen pflegte) erinnert, nach Hause begleitet. Dieser gibt sich als Dr. Miranda (Ben Kingsley) aus. Als Paulina glaubt, in jenem Mann hundertprozentig ihren Peiniger zu erkennen, nimmt sie ihn gefangen und verlangt sein Geständnis.
Die Verfilmung des ungeheuer packenden Drei-Personen-Stücks von Ariel Dorfman, das auch auf der Bühne entsprechend zu fesseln weiß, ist wieder eine ganz starke Arbeit von Polanski. Auch wenn er mit dem Script nichts zu schaffen hatte, so ist die von ihm erzeugte klaustrophobische Atmosphäre, deren Zeit- und Ort - Einheit äußerst streng gehandhabt wird, unnachahmlich und in ihrem eigenen Suspensegefüge sehr bemerkenswert. Bei genauerem Hinsehen ist man dann irgendwie auch wieder bei "Nóz W Wodzie" angelangt, bei dem Trio, bestehend aus einer Frau und zwei Männern, dem Ehepaar, das durch einen Fremdkörper vor die Frage gestellt wird, ob es überhaupt noch eine Existenzberechtigung hat.
An "Death And The Maiden" fasziniert jedoch nicht nur die personelle und psychologische Ausgangslage, sondern vor allem der politische Bezug. Dorfman ist Chilene und verarbeitet in seinem Stück die Schrecken der Pinochet-Diktatur. Man kann sich anbeginns darüber streiten, dass das Ganze auf englisch und von drei englischsprachigen Darstellern realisiert wurde, die Leistungen Weavers, Wilsons und v.a. Kingsleys bringen aber sicher jeden Zweifler zum Verstummen. Der unbestechliche Blick auf menschliche Verhaltensweisen und Abgründe, die Unsicherheit bezüglich Paulinas rigorosem Handeln und schließlich das Finale, das ein moralisches Spektrum offenbart, dessen man zuvor während des Films all seiner unablässigen Spannungsmomente wegen nicht gewahr wurde, lassen "Death And The Maiden" als eine von Polanskis besten und wichtigsten Regiearbeiten bestehen.
9/10
#963
Geschrieben 07. Oktober 2007, 12:18
Spider-Man 3 ~ USA 2007
Directed By: Sam Raimi
Für Peter Parker (Tobey Maguire) läuft alles rund. New York hat Spider-Man zum Popstar geklärt und aktuell soll ihm, nachdem er seine Kommilitonin Gwen Stacy (Bryce Dallas Howard) gerettet hat, sogar eine Auszeichnung als Ehrenbürger zuteil werden. In seinem Freudestaumel bemerkt Peter aber nicht, dass seine Freundin Mary Jane (Kirsten Dunst) berufliche Sorgen hat und gerade dabei ist, sich wieder dem unter Amnesie leidenden Harry Osborne (James Franco), der zuvor Spider-Man in blindem Rachedurst als neuer Green Goblin den Garaus machen wollte, zuzuwenden. Peter bekommt einen ziemlich unverschämten Konkurrenten (Topher Grace) beim Daily Bugle, außerdem betritt noch Flint Marko (Thomas Haden Church), der durch einen Unfall zum Superschurken 'Sandman' mutiert, die Szenerie. Zu allem Überfluss schließt Peter unfreiwillige Bekanntschaft mit einem außerirdischen Symbionten, der ihm ein neues Kostüm und gesteigerte Kräft, jedoch auch ein extrem aggressives Wesen beschert. Harte Zeiten für den Wandkrabbler.
Ein bisschen unübersichtlich, was die Autoren für das dritte Leinwandabenteuer Spider-Mans da zusammenklambüsert und in ein - wenngleich mit überdurschnittlicher Laufzeit ausgestattes - Korsett gezwängt haben. Zahlreiche Probleme der Privatperson Peter Parker kommen da aufs Tapet, was aber immerhin trefflich mit dem Konzept der Comic-Reihe korrespondiert. Einige Vorteile, die besonders der zweite Film vorzuweisen wusste, nämlich extrem mitreißende Actionsequenzen wie die mit der Hochbahn und v.a. den bis jetzt am besten ausgearbeiteten Schurken der Serie, Alfred Molina als Dr. Octopus, gehen dem aktuellen Serieneintrag ab. Gleich ein Trio von Widersachern gilt es abzufertigen, wobei sich zumindest eines der drei Probleme in Wohlgefallen auflöst. Church als Flint 'Sandman' Marko, der im Marvel-Universum auch den Fantastic Four, speziell Human Torch das Leben schwerzumachen pflegt(e), ist zwar optimal besetzt, die Überfrachtung des Films zieht ihm aber ständig den Teppich unter den Füßen weg - was sich in viel zu kurzer screentime und spürbar zu blitzlichthaft gehandhabter Rollenausarbeitung äußert. Bedauerlich. Venom als Drittgegner schließlich schaut nett aus, hätte aber auch noch einen bis zwei Filme Zeit gehabt bis zu seinem Debüt.
Das Jonglieren mit den vielen Versatzstücken aus der Vorlage führt leider zur zwangsläufigen Halbherzigkeit und das könnte, bei intensiverer Handhabung, dem Filmfranchise einen Strick drehen. Man kann nur hoffen, dass Raimi retrospektiv aus den - noch überschaubaren - Fehlern dieses Teils lernt und er oder sein Nachfolger sich in Zukunft wieder auf alte Stärken besinnt.
6/10
#964
Geschrieben 07. Oktober 2007, 12:45
In Hell ~ USA 2003
Directed By: Ringo Lam
Der New Orleanser Kyle LeBlanc (Jean Claude Van Damme) erledigt in Russland einen Montageauftrag. Eines Abends wird seine Frau (Marnie Alton), die zu Hause auf ihn wartet, dann von einem Einbrecher ermordet. Dieser wird vor Gericht freigesprochen und dafür von dem blindwütigen Kyle kurzum seiner gerechten Strafe zugeführt. So landet der frischgebackene Witwer ohne Bewährung in dem russischen Knast Kravavi. Der Aufenthalt dort droht ihn physisch und psychisch zu zermürben. Die Aufseher veranstalten brutale Schaukämpfe, Vergewaltigungen sind an der Tagesordnung, das Recht des Stärkeren gilt. Bis Kyle begreift, das ihn nur eine friedliche Revolte vor dem endgültigen Verlust seiner inneren Wertmaßstäbe bewahrt, bedarf es manch blutiger Auseinandersetzung.
Wenn der DTV-Markt, der manche der alten Actionheroen neu kultiviert, solche Überraschungen bereithält, dann ist seine Existenz vollauf berechtigt. Van Damme legt jetzt, da er seine Karriere in der Schwebe hält, ihr aber keine neuen Höhepunkte mehr hinzuzufügen in der Pflicht ist, geradezu mutige Entwicklungen an den Tag. Als Jedermann Kyle LeBlanc beherrscht er weder martial arts noch die Kunst, sich per extremer coolness aus brenzligen Situationen zu retten. Er lässt sich zunächst auf das Spiel ein, das in seinem neuen sozialen Mikrokosmos gespielt wird und versucht mit allen Methoden, seinen Aufenthalt dort menschenwürdig zu gestalten. Doch die äußeren Bedingungen gestatten dies einfach nicht und so kommt es zunächst zu erwartungsgemäßen Entwicklungen, die dann in einem Konglomerat aus vielen Klassikern der Gefängnisfilm-Historie gipfeln. Insofern könnte man "In Hell", bei entsprechender rezeptorischer Kompetenz, wahlweise euphemistisch als Hommage oder pejorativ als Raubzug durch die Knastgemeinde bezeichnen. Wie dem auch sei und man verstehe mich nicht miss: Der Film verhehlt seine Herkunft keineswegs und versucht nicht, sich zum achten Gattungswunder ausrufen zu lassen, aber er nimmt sich - wenn er auch manchmal übers Ziel hinausschießt - in gebührlichem Maße ernst, denunziert seine Charaktere nicht (wie es innerhalb der größeren Genreproduktionen zuletzt en vogue zu sein schien) und nutzt seine Prämissen, um einen in mehrfacher Hinsicht (bezogen auf Regisseur, Hauptdarsteller, und (Sub-) Genre) würdigen Beitrag zu kreieren. Mehr kann man kaum verlangen.
6/10
#965
Geschrieben 07. Oktober 2007, 13:06
Wake Of Death ~ SA/F/USA/D 2004
Directed By: Philippe Martinez
Für den Clubmanager Ben Archer (Jean-Claude Van Damme) brechen harte Zeiten an, als seine Frau Cynthia (Lisa King), Polizistin und Spezialistin für illegale Immigranten aus Fernost, ein chinesisches Mädchen (Valerie Tian) mit nach Hause bringt, das Zeugin des Mordes an seiner Mutter wurde. Der Täter Sun Quan (Simon Yam), ein reicher Drogenschmuggler, ist zugleich der Vater des Kindes und reist nun selbst nach L.A., um neben einigen krummen Geschäften auch seine Tochter zurückzubekommen. Cynthia wird von den Chinesen umgebracht und Bens Sohn (Pierre Marais) entführt. Ben sieht rot und trägt einen Kampf mit harten Bandagen gegen die Gangster aus.
Für diesen Film, eine weitere DTV-Produktion, legt Van Damme noch ein Schippchen drauf. "Wake Of Death" dürfte mit zum Härtesten und Kompromisslosesten zählen, was das Actionfach in den letzten Jahren zu bieten hatte und gemahnt an Genrewurzeln, die man schon längst im Hinterkopf begraben wähnte. In düsteren, sehr stilisierten, aber stilsicheren Bildern, die vornehmlich mit entlarvenden Closeups arbeiten, erzählt der Film seine Sache ohne jeglichen redundanten Ballast und komplett humorfrei, was dem Resultat ganz hervorragend steht. Die paar Defizite, die man ausmachen kann, liegen eigentlich bloß darin, dass der Produktion wohl recht begrenzte monetäre Mittel zur Verfügung gestanden haben und deswegen manch potenziell ausladende Actionszene (wie etwa eine Verfolgungsjagd) eben nicht so toll aussieht, wie man es beispielsweise in einem hochbudgetierten Kinofilm erwarten würde. Das tut aber letztlich wenig zur Sache, denn andere Momente sind von höchster Intensität und präsentieren einen Van Damme, dem man, sollte es mit ihm in nächster Zeit so weitergehen, noch besondere Aufmerksamkeit wird zollen müssen.
7/10
#966
Geschrieben 07. Oktober 2007, 13:49
Talladega Nights: The Ballad of Ricky Bobby (Ricky Bobby - König der Rennfahrer) ~ USA 2006
Directed By: Adam McKay
Das Talent zum besten NASCAR-Fahrer aller Zeiten wurde Ricky Bobby (Will Ferrell) in die Wiege gelegt. Seine Runden auf der Piste zieht er mit lässiger Eleganz, übersieht dabei allerdings, dass sein Privatleben zur Farce wird. Die daraus resultierenden Schwächen weiß das französische Formel 1 - Ass Jean Girard (Sacha Baron Cohen) vortrefflich zu nutzen: Er läuft Ricky dessen Superstarstatus ab. Erst die Wiederbegnung mit seinem verlotterten White-Trash-Papa (Gary Cole) und ein anschließendes Training mit Puma und Koko-Pops bringt den durch einen Unfall traumatisierten Ex-Gewinner wieder auf Kurs.
Volltreffer, diese Ferrell-Komödie. In der für ein vorsätzlich schwachsinniges Lustspiel wie diesem epischen Laufzeit von 116 Minuten erzählt der Film haarklein von Aufstieg, Fall und Berappelung eines Hohlkopfes, der so wohl nur in Amerika zum vergötterten Star werden kann. Für den Hauptdarsteller dürfte die des Ricky Bobby als eine seiner schönsten Paraderollen in die Geschichte eingehen, denn außer Ferrell hätte diese elegante Mixtur aus vaterlosem Simplicissimus, stupidem Schnellimbissfan, unkritischer Werbeikone, homophobem Millionenidol und erziehungsversagendem Deppen wohl niemand mit solcher Verve auf die Leinwand zaubern können. Dabei kann er sich mit u.a. Cohen, Cole, John C. Reilly und Michael Clarke Duncan auf einen Support verlassen, der "Talladega Nights" erst seine wichtigste Qualität verleiht, nämlich die, ein Panoptikum von Abziehbildern, Spinnern und anderen merkwürdigen Uniken zu liefern, in das man sich wohl zwangsläufig verlieben muss. Comedy Class A.
9/10
#967
Geschrieben 07. Oktober 2007, 14:08
Blades Of Glory (Die Eisprinzen) ~ USA 2007
Directed By: Josh Gordon / Will Speck
Eine öffentliche Prügelei der Eiskunstlaufstars Jimmy MacElroy (Jon Heder) und Chazz Michael Michaels (Will Ferrell) führt dazu, dass die zwei vom Verband von einer weiteren Meisterschaftsteilnahme ausgeschlossen werden. Doch Jimmys Trainer (Craig T.Nelson) hat die zündende Idee: Die beiden sollen, obwohl sie sich gegenseitig verabscheuen wie die Pest, im Paarlauf antreten und dabei haarsträubendste Pirouetten aufführen. Das mühsame Zusammenraufen der so gegensätzlichen Kufenkönige wird zusätzlich erschwert durch das intrigante Geschwisterpaar Van Waldenberg (Will Arnett, Amy Poehler).
Nach dem Autorenn-Milieu eine weitere Sportart, der Ferrell seinen Stempel aufdrückt: Als sexbesessener, langmähniger Axel-Dreher mit Luxus-Haarbürste kommen ihm fraglos die besten Sprüche des Scripts zu. Sein Gegenüber Jon Heder hat es da nicht eben einfach, kann in Ergänzung zum Großmeister des Blödsinns aber doch noch ganz patent bestehen. Der Spaßfaktor von "Blades Of Glory" fällt, gemessen an dem des zuvor gesehenen "Talladega Nights" etwas ab, was vermutlich an dessen noch größerer Gagdichte liegt, hat aber dennoch manch brillante Sequenz in petto - erwähnt seien da nur die etlichen, fürstlichen Homophobie-Teaser oder die Szene beim Sextherapeuten (Luke Wilson), dessen Sitzungen leicht zweckentfremdet als Kontaktbörse genutzt werden. Resümierend auch dies ein großer Spaß, der im Gefolge des großen "Vorgängers" möglicherweise etwas untergeht, in mir aber schon jetzt einen nach Wiederholung lechzenden Anhänger gefunden hat, zumal ich - ich schäme mich - die sicher gloriosen letzten fünf Minuten bierselig schnarchend verpennt habe. Wird baldigst nachgeholt.
7/10
#968
Geschrieben 08. Oktober 2007, 14:25
Zodiac - Director's Cut ~ USA 2007
Directed By: David Fincher
San Francisco, gegen Ende der sechziger Jahre: Innerhalb des Zeitraums von etwa einem Jahr verlieren fünf Menschen das Leben durch einen Serienmörder, der sich in direkter Folge seiner Taten öffentlichkeitswirksam an Presse und Justiz wendet, sich selbst das Pseudonym 'Zodiac' verabreicht und sogar ein vermeintlich persönliches Logo - das eines damals populären Armbanduhren-Fabrikats - publiziert. Diverse Einzelschicksale in Polizei und Presse sind eng mit den erfolglosen Versuchen der Aufklärung der Zodiac-Verbrechen verknüpft; berufliche und existenzielle Verlotterung, Verleumdungen, Familien zerbrechen, es gibt manische Selbstverpflichtungen im Zeichen der Tätersuche - umsonst, der (authentische) Killer wird nie gefasst.
Finchers aktueller Streich, ein inhaltlich intelligentes, komplexes Vexierspiel, das im Gegensatz zu der bereits fast verjährten Fingerübung "Panic Room" wieder getrost den "Vorsicht, bedeutsam!" - Sticker verpasst bekommen kann, steht ganz in der Tradition zu jenen überlangen Politthrillern, die häufig eine mehr als ansehnliche Starbesetzung ein authentisches, investigatives Szenario nachstellen ließen. Pakulas "All The President's Men" und Stones "JFK" absorbieren auf diesem Sektor beinahe übermächtig das Licht. Doch siehe da, Fincher meistert seine erklärte Sache, an die großen Vorbilder anzuknüpfen, mehr als passabel. Pointierung, Präzision und konzise Spannungsmomente zeichnen seine Mörderjagd aus, deren die Genregesetze missachtender Ausgang aufgrund der tatsächlichen Ereignisse vielen Rezipienten sicher im Vorhinein bekannt ist. Im Prinzip gibt es da aus entertainment-dynamischer Sicht nur wenige Gründe, warum man sich der Geschichte überhaupt aussetzen sollte - nichtsdestotrotz bereut man keine Sekunde. Jede Untersuchung wird mit Spannung verfolgt, jeder verbrecherische Gewaltakt lässt neuerlich kurz den Herzschlag aussetzen. Zurückzuführen ist dies auf Finchers kleinkarierte Akribie, die nicht nur die dem Fall zugrunde liegenden Fakten maßstabsgetreu abbildet, sondern auch die handlungsstiftende Ära bzw. den relativ großen Zeitraum von etwa 13 Jahren, in denen sich mit zunehmend ausgedehnteren Pausen doch noch weitere kleine Wendungen im Fall Zodiac ergeben. Und das alles im Zeichen sauberen, traditionsbewussten Handwerks und bei aller inszenatorischen Frische ganz ohne die Gefahr der hypermodernen Überladung.
8/10
#969
Geschrieben 11. Oktober 2007, 16:06
Vanishing Point (Fluchtpunkt San Francisco) ~ USA 1971
Directed By: Richard C. Sarafian
Die Überführung eines weißen Dodge Challenger von Denver nach San Francisco will der ehemalige Polizist und Crash-Rennfahrer Kowalski (Barry Newman) in Rekordzeit schaffen. Mit ein paar Amphetaminen im Blut und ohne Beachtung jeglicher Geschwindigkeitsregeln gerät er bald in die ersten Konflikte mit übereifrigen Ordnungshütern, die seinen Rennrausch abzuwürgen beabsichtigen und dabei doch nur selbst diverse Materialschäden verbuchen können. Der schwarze, blinde DJ Super Soul (Cleavon Little), der aus einem kleinen Kaff im Mittleren Westen sendet, deklariert Kowalski spontan zum amerikanischen Freiheitsidol. Jenes macht auf seiner Fahrt durch die Wüste derweil Bekanntschaft mit einigen schrägen Gestalten, erlebt zahlreiche Flashbacks und hat es zunehmend schwer, seinen Verfolgern zu entgehen.
Die Automobil-Antwort auf "Easy Rider", sicher nicht ganz so subtil wie das große Vorbild und um einiges weniger radikal in Bild und Aussage. Wo es bei Hopper und Fonda noch um die bloße Existenzberechtigung in Zeiten von Unterdrückung und rückgewandtem Liberalismus ging, sieht Sarafian vor allem die Raserei im Straßenverkehr als gottgebenes Recht eines jeden Amerikaners an, ganz gleich, ob dieser ein sonstiges politisches Ziel im Sinn hat. Freie Liebe und Marihuana interessieren Kowalski ebensowenig wie ein auffälliges Äußeres. Das bisschen Speed, das er schluckt, benötigt er, um wachzubleiben.
Kowalski ist ein immens wortkarger Typ, der nichts von sich preisgibt, erfährt der Zuschauer durch ein paar Rückblenden respektive den in solchen Fällen üblichen biografischen Zusammenfassungen durch die Widersacher; u.a. hat er in Vietnam gedient, als Noch-Polizist seinen Ex-Partner davon abgehalten, ein junges Mädchen zu missbrauchen (und wohl daraufhin seinen Job eingebüßt), diverse Unfälle auf diversen Rennpisten hinter sich, seine Freundin (Victoria Medlin) ist im totalen Freiheitstaumel beim Surfen ertrunken.
Es ist davon auszugehen, dass Kowalski vom Leben genug hat, da sein Trip sich trotz aller Widerstände schnell als Einbahnstraße entpuppt und er sich dessen auch sehr bewusst scheint. Ethnische Abgrenzungen sind ihm egal, auch sexuelle Normabweichungen scheren ihn nicht. Die beiden schwulen Gauner, die ihn ausplündern wollen, fürchten umgekehrt seine potenzielle Abneigung.
Vielleicht liegt gerade darin der revolutionäre Subtext von "Vanishing Point", dass er die große Lethargie herbeisehnt, die nur das Gaspedal abzulösen vermag.
8/10
#970
Geschrieben 12. Oktober 2007, 13:49
The Pianist ~ UK/F 2002
Directed By: Roman Polanski
Nach Kriegsausbruch leidet die Warschauer Familie Szpilman unter der sukzessive eingeschränkten Lebensqualität, dem sich besonders die Juden nach dem Einmarsch der Nazis in Polen ausgesetzt sehen. Der Beschneidung der Bürgerrechte folgt die Einpferchung in ein jüdisches Ghetto, danach wartet die Deportation nach Treblinka und Auschwitz. Wladyslaw (Adrien Brody), eines von vier erwachsenen Kindern der Szpilmans und ein vor dem Krieg gefeierter Pianist, entgeht in letzter Sekunde dem drohenden Zugtransport als einziges Mitglied seiner Familie und erlebt die letzten Kriegsmonate unter allergrößten Entbehrungen, versteckt inmitten der zerbombten Stadt. Die brenzligste Situation wartet auf ihn, als er sich ausgerechnet in jener verlassenen Villa einquartiert, die kurz darauf von der Heeresleitung der Wehrmacht als Hauptquartier genutzt wird. Ein deutscher Offizier (Thomas Kretschmann), der von Szpilman weiß, verrät ihn nicht.
In "The Pianist" verarbeitet Polanski erneut ein biografisches Thema, erlebte er doch selbst als Junge die grauenhaften Zustände, unter denen polnische Juden in den Ghettos zu leiden hatten. Die authentischen Erinnerungen des durch mehrere "glückliche" Zufälle am Leben gebliebenen Szpilman weisen die eine oder andere verblüffende Analogie zu Polanskis eigenen Erfahrungen in Krakau auf, weshalb ihn das Thema sicherlich noch zusätzlich tangierte. Die Szenen, in denen der Naziterror durch direkte und indirekte Gewaltausübung, Erniedrigungen, Folter und Mord spürbar wird, sind dabei so nüchtern, trocken und kommentarlos inszeniert, dass sie in ihrer unpathetischen Wirkung voll ins Schwarze treffen.
Nur in ganz wenigen Momenten entdeckt man in "The Pianist" den Regisseur Polanski, etwa, wenn selbst in dem absoluten Inferno, dem sich Szpilman während seiner Zeit als Gefangener in der eigenen Stadt ausgeliefert sieht, noch absurdester Humor aufblitzt, so wahr und zugleich traurig, wie ihn sich nur das Leben selbst auszudenken vermag. Am Ende seiner Kräfte entdeckt Szpilman in dem leerstehenden Haus eine Dose Gurken, die er fortan hütet wie seinen Augapfel, ein groteskes Überlebenssymbol. Den passenden Dosenöffner liefert ihm dann ausgerechnet der Feind. Am Ende wieder die (bei "Death And The Maiden" bereits ausgespielte) entscheidende Frage nach Vergebung im Angesicht allergrößter Schuld. Polanski inszeniert um Szpilmans Fund herum, als sei er ein Herzstück in dessen Geschichte, was gewissermaßen ja auch zutrifft. "The Pianist" ist schließlich betont unexperimentell, unmaniriert und von großer dramatischer Sogwirkung, die beinahe körperlich spürbar wird.
Möglicherweise Polanskis wichtigster Film, in jedem Fall einer seiner intensivsten, dem man sich - im uneingeschränkt positiven Sinne - nur ungern aussetzt.
10/10
#971
Geschrieben 12. Oktober 2007, 14:24
Oliver Twist ~ UK/CZ/F/I 2005
Directed By: Roman Polanski
Der Waisenjunge Oliver Twist (Barney Clark) flüchtet, nachdem er in einem ländlichen Kleinkaff unter der Unterdrückung diverser unlauterer Gesellen zu leiden hat, nach London. Dort gerät er an den Taschendieb Dodger (Harry Eden), der zu der kriminellen Kinder-Bande des spitzbübischen Seelenverkäufers Fagin (Ben Kingsley) gehört. Zunächst soll auch Oliver für Fagin arbeiten, dann nimmt ihn jedoch der gebildete Gentleman Brownlow (Edward Hardwicke) unter seine Fittiche. Fagin und vor allem sein noch böserer Partner Sykes (Jamie Foreman) sind jedoch nicht faul und wollen Olivers neuerliche Verbindungen zur feinen Gesellschaft zu ihren profitablen Gunsten nutzen.
Dickens "Oliver Twist", der zugleich für Kinder und von ihnen berichtet, zählt zu den großen Klassikern der Weltliteratur und war bereits häufig Gegenstand von Verfilmungen. In der Lebensrealität des frühindustriellen Zeitalters galten Kinder eher als notwendiges Übel, denn als Träger sozialer Zukunft und so waren Armut und Kriminalität unter Halb- und selbst Viertelwüchsigen ehedem an der Tagesordnung - Missstände, die Dickens nicht nur erkannt, sondern äußerst bissig kritisiert hat. Polanski, der sich nunmehr seit vielen Jahren endgültig von eigenen Ideen abwendet und die Inszenierung fremder narrativer Konstrukte, die jedoch mit seiner Gedankenwelt korrespondieren, bevorzugt, hat kurzum die gelungenste von allen mir bislang bekannten "Oliver Twist" - Adaptionen geschaffen. Seine Reanimation des sündhaften, schmutzigen England von vor über 150 Jahren strotzt vor naturalistischer Realitätsverpflichtung und sieht authentisch aus bis in die letzte Taschentuchspitze.
Zu seiner zutiefst humanistischen Aussagekraft kommt eine merkwürdige Schauerromantik, die "Oliver Twist" ein mutiges, rares Erscheinungsbild verleiht, das regelmäßig auf Unverständnis stößt: Das des Kinderfilms für Erwachsene. Satire geht da einher mit Krimi-Dramaturgie, Zeitporträt mit Schauspielhöhepunkten. Einmal mehr ist es der große Ben Kingsley, der in der Maske des verlotterten, verdorbenen Gauners Fagin reüssiert. Der Mann vermag es abseits von den etwas verwunderlichen Auftritten in manchem Zelluloud-Murks noch immer, Akzente in seinem Metier zu setzen. Brillant. Doch auch der Rest der Besetzung zeugt einmal mehr von der Sorgfalt, die bei der Filmenstehung gewaltet haben muss.
Polanski ist nunmehr 74. "Oliver Twist" ist sein bis dato höchstbudgetierter Film und ein weiteres Meisterstück, dessen Tragweite das großflächige Publikum nicht zu erkennen im Stande war. Es bleibt zu hoffen, dass dieser kontroverse Filmemacher wenigstens noch ein paar Werke vom Stapel lässt, die eine solche Vitalität aufweisen und weiter so begeistern können. Zumindest die "20" sollte er unbedingt noch auffüllen.
9/10
#972
Geschrieben 14. Oktober 2007, 19:38
Under Siege (Alarmstufe: Rot) USA 1992
Directed By: Andrew Davis
Der Navy-Kreuzer 'Misssouri' unternimmt seine letzte Fahrt von Hawaii nach San Francisco, an Bord u.a. der altehrwürdige Captain Adams (Patrick O'Neal), dessen Geburtstag groß gefeiert werden soll, sein erster Offizier Krill (Gary Busey), ein stocksteifer, höchst profilneurotischer Arschkriecher und der Kombüsenchef Casey Ryback (Steven Seagal). Da das Schiff noch mit Nuklearwaffen bestückt ist, bietet es sich als hervorragendes Ziel für einen Terroranschlag und siehe da, mit dem flotten Überraschungstortenhüpfer und Playmate Jordan Tate (Erika Eleniak) gelangen auch der durchgedrehte Ex-CIA-Agent Stranix (Tommy Lee Jones) und dessen Truppe an Bord. Krill und einige andere Besatzungsmitglieder arbeiten mit den Verbrechern zusammen, nur Ryback hat man übersehen. Der ist in Wahrheit gar kein Koch, sondern ein hochdekorierter Nahkampf-Spezialist, gegen den kein Kraut gewachsen ist.
Davis-Dublette, Kopf: Mitte der 80er verstand es Andrew Davis bereits, dem ansonsten eher mythifiziert-überhöhten Actionstar Chuck Norris mit dem Polizeifilm "Code Of Silence" ein Stück Bodenhaftung zu bescheren, das aus der Filmographie des Recken durchaus herausragt. "Under Siege" bot nun dem in den frühen Neunzigern noch präsenten Seagal ein persönliches Katapult in den Genre-Olymp. Mit einem mehr als ordentlichen Budget und einer durchaus beachtlichen Besetzung erwartete Seagal beginnend mit "Under Siege" sein kurzer Höhenflug als A-Akteur. Doch wohin mit dem vielen Pulverdampf? Als "Die Hard"-Plagiat übersieht der Film schlichterdings die Erfolgsmechanismen des Originals. John McClanes Anhängerschaft schätzt ja gerade dessen Fähigkeit zum Bluten und Schwitzen, seinen menschelnden Touch inmitten all der übermenschlichen Herausforderungen. "Under Siege" denkt aber gar nicht daran, ein Risiko bezüglich der Protagonistenvermarktung einzugehen; Seagal gibt sein übliches alter ego, unbesiegbar und übellaunig, knochenbrechend, messerstechend. Lediglich ohne Zöpflein diesmal. Darin liegt dann auch die große Schwäche des Films, der mit oberflächlichem Affekt kokettieren, aber kein Quentchen Spannung vorweisen kann. So ist einzig die Verquickung der bereits seit vier Filmen berüchtigten Seagal-Brutalität mit dem teuren Korsett der Geschichte für die ein oder andere Überraschung gut. Insbesondere die rasante Dreifach-Abservierung von Tommy Lee Jones' (übrigens überaus kregel gespieltem) Bösewicht ist immer wieder gern gesehen.
Professionell, teuer und überaus amüsant, aber auch: strunzdumm.
6/10
#973
Geschrieben 14. Oktober 2007, 20:12
The Fugitive (Auf der Flucht) ~ USA 1993
Directed By: Andrew Davis
Dr. Richard Kimble (Harrison Ford) wird für den Mord an seiner Frau (Sela Ward) verurteilt - freilich ohne diesen begangen zu haben. Tatsächlich hat er noch in der betreffenden Nacht mit dem eigentlichen Täter, einem Einarmigen (Andreas Katsulas), gekämpft. Allein niemand glaubt ihm und so geht es bald zum Abtransport in die Todeszelle. Dieser jedoch wird jäh von einigen Mitgefangenen zum Anhalten gezwungen und Kimble kann fliehen - den US-Marshal Gerard (Tommy Lee Jones) stets dicht auf den Fersen. Nachdem es Kimble gelungen ist, unterzutauchen, macht er sich daran, den wahren Mörder zu finden.
Davis-Dublette, Adler: Nachdem "Under Siege" einen recht beträchtlichen Gewinn einfahren konnte, betraute Warner Bros. Davis mit dieser Prestige-Produktion, einer Kino-Aufbereitung des gleichnamigen TV-Dauerbrenners aus den Sechzigern, in dem David Janssen über 120 Folgen lang den mysteriösen Prothesenträger jagte. "The Fugitive" trat eine ganze Welle von Serien-Remakes los, die bis heute munter anhält, wurde - recht ungewöhnlich für einen Actionfilm - für mehrere Oscars (darunter den für den besten Film) nominiert und konnte sogar - in der Kategorie "Bester Nebendarsteller" - Tommy Lee Jones einen bescheren. Dessen Reputation profitierte gewaltig von der unerwarteten, aber verdienten Ehre. Überhaupt erscheint mir das ganze Brimborium, das damals um den Film veranstaltet wurde, retrospektiv einigermaßen berechtigt zu sein; "The Fugitive" vermag es noch immer, als Zierde des Genres zu bestehen. Sicher könnte man dem Film auch manchen Vorwurf machen, primär in Bezug auf die Ausgestaltung seines Titelcharakters. Kimble ist ein solcher Gutmensch, dass es manchmal beinahe schon schmerzt. Während seiner beschwerlichen Monate als Gesetzesaussätziger rettet er mindestens zwei Individuen das Leben, die ohne ihn das Zeitliche gesegnet hätten und kann sich auch sonst manchmal nicht so ganz zwischen jammerhafter Witwertrauer und grimmiger Entschlossenheit entscheiden. Ich wage zu behaupten, dass ein vielseitigerer Schauspieler diese Zerrissenheit besser hätte verkörpern können. Hinzu kommt erschwerend, dass - ich erwähnte es bereits vor einigen Tagen an entsprechender Stelle - Dr. Kimble auch Dr. Walker heißen könnte - bloß, dass er diesmal eben nicht seine Frau sucht, sondern deren Henker.
Aber das ist im Grunde bloß Makulatur, "The Fugitive" ist im Gegensatz zu Davis' vorherigem Film nicht nur erfreulich gescheit geraten, sondern zudem sichtlich ambitionierter hergestellt worden. Anders als bei "Under Siege" gibt es hier richtig echte Nägelkauer und inszenatorische Highlights, die gar an einen De Palma gemahnen (Hochbahn-Sequenz). Hat mir wieder viel Spaß gemacht.
8/10
#974
Geschrieben 18. Oktober 2007, 17:37
Shadows And Fog (Schatten und Nebel) ~ USA 1992
Directed By: Woody Allen
In einer nicht näher bezeichneten, dem Vernehmen nach osteuropäischen Stadt gerät der linkische Angestellte Kleinman (Woody Allen) eines Nachts mitten in die Irrungen und Wirrungen einer Mörderjagd, der sich Polizei und Bürgermilizen verschrieben haben. Auf seinem Irrweg durch die nebligen Straßen begegnet er der Zirkusartistin Irmy (Mia Farrow), die nach einem handfesten Streit mit ihrem Gatten, dem Clown (John Malkovich), ein sexuelles Abenteuer in einem Bordell hatte und nun ihrerseits ebenfalls orientierungslos umherwandert. Ihre Liaison wird keine, denn Irmy findet über ein Waisenkind zurück zu ihrem Mann und Kleinman heuert als Assistent des Zauberers (Kenneth Mars) an.
Mit "Shadows And Fog" legte Allen einen recht ungewöhnlichen Ausflug in expressionistische Sphären vor, in dem er seine Leibfigur, den notorischen Neurotiker, in ein völlig entrücktes Szenario verpflanzt. Jener Kleinman, dessen Name kafkaeskes Programm ist, und sein unmittelbares soziales Gefüge sind dem Allen-Kenner wohlbekannt, darin jedoch erschöpfen sich die Bezugspunkte bereits. Zeitlich und lokal bewusst nicht einzuordnen (die einzigen Anhaltspunkte sind die rustikale Architektur, die jüdischen Namen der Agierenden und die Währung, Taler), verwebt "Shadows And Fog" Märchenelemente, bürgerliche Tragödie, Stummfilmästhetik, Kleinkunst und intellektuelle Späße - alles im Zeichen der tiefen Verneigung vor Kafka, versteht sich.
"The Sleeper", "Love And Death" und "A Midsummer Night's Sex Comedy", die schon zuvor von der üblichen New Yorker Kulisse hinweglotsten, könnten, so es denn sein soll, noch am Ehesten als entfernte atmosphärische Verwandte herangezogen werden - in jedem Fall ist faktisch festzuhalten, dass "Shadows And Fog" mit der womöglich prominentesten Gastbesetzung, die man bis dato in einem Allen ausmachen kann, für seinen Schöpfer selbst recht experimentell ausgefallen ist, dessen per se tolerantere Liebhaber aber gut und gern zufriedenstellt.
8/10
#975
Geschrieben 19. Oktober 2007, 19:21
Halloween ~ USA 1978
Directed By: John Carpenter
Nachdem der 6-jährige Michael Myers (Will Sandin) während des Halloween-Trubels im Jahre 1963 seine Schwester erdolcht hat, wird er in ein Sanatorium für Geisteskranke eingewiesen. Auf den Tag 15 Jahre später - sein Fall erscheint hoffnungslos und eine Gerichtsverhandlung ist anberaumt - flieht Myers (Tony Moran) aus der Klinik zurück nach Haddonfield, seinen Heimatort. Sein Arzt Dr. Loomis (Donald Pleasence), der mit fanatischer Vehemenz behauptet, Myers sei kein Mensch sondern das personifizierte Böse, folgt dem Psychopathen übereifrig. In Haddonfield, das Halloween-Fest läuft auf Hochtouren, ist derweil die spröde Teenagerin Laurie Strode (Jamie Lee Curtis) zum Babysitten abgestellt. Ein paar ihre Freunde (Nany Loomis, P.J. Soles, John Michael Graham) werden Opfer des nunmehr maskierten Myers, bald schwebt Laurie selbst in höchster Lebensgefahr.
Jetzt, da langsam der Herbst Einzug hält, ist die schönste Zeit, um Carpenters Meisterwerk wieder anzuberaumen. "Halloween", der "fall film" schlechthin, gehört zu jenen Werken, denen ich als unabdingbare Sozialisationsfaktoren einen besonderen Stellenwert in meiner persönlichen Biographie einräume. Vor etwa 20 Jahren habe ich den Film und das Sequel in direkter Folge bei einem Klassenkameraden gesehen, beide kopiert auf einem 240er-Band, natürlich in Vollbild und weiß Gott welch schlechter Qualität. Ich kann es nicht beschwören, aber ich glaube, die Jahreszeit passte schon damals. Natürlich war ich noch nicht in der Lage, Qualitätskriterien walten zu lassen, die die krassen Differenzen zwischen den beiden Filmen hätten aufzeigen können, geschweige denn, sie überhaupt umzustülpen. Daher war auch Laurie Strode in meiner Wahrnehmung schon immer Michaels Schwester und die Geschichte nach Fenstersturz und Flucht längst nicht abgeschlossen. Erst Jahre später habe ich bemerkt, dass das Original problemlos verfügbar war, der zweite, nach wie vor beschlagnahmte Teil jedoch nicht. Erst dann kam die Erkenntnis bei unzähligen Sichtungen, irgendwann lief "Halloween" sogar auf 3sat in Scope. Es kristallisierte sich nach und nach heraus, was nunmehr kein Geheimnis mehr sein sollte: "Halloween" ist das Werk eines Menschen, der Film atmet. Bei minimalsten Mitteln höchst ambitioniert hergestellt, ein archetypisches Monster. Von der ersten bis zur letzten Sekunde eine Schraubzwinge, ohne die mit "Friday The 13th" eingeführten, bis heute üblichen Ent-Spannungsmomente, lebt der Film davon, dass er Morbidität verbreitet bis dorthinaus. Das Lebensbejahende, man findet es anfangs noch, inmitten der geilen Teenagermädchen, die sich zwischen von Cheerleaderproben und Kleinstadtalltag Sex, Joints und Bierbüchsen versprechen und den Tod ernten. Das ist Herbst, das ist Poesie in höchstem Maße.
Don't Fear The Reaper.
10/10
#976
Geschrieben 20. Oktober 2007, 16:51
Howard The Duck ~ USA 1986
Directed By: Willard Huyck
Irgendwo im Weltraum gibt es eine Welt, die unserer exakt ähnelt, bis auf das pikante Detail, dass die Evolution sich dort die Ente anstelle des Affen vorgeknöpft hat. Howard, ein ziemlich chauvinistischer Bewohner jenes Entenplaneten, wird eines Nachts mitsamt seinem Fernsehsessel zur Erde und geradewegs nach Cleveland katapultiert, wo er Bekanntschaft mit der Popsängerin Beverly (Lea Thompson) schließt. Sein Aufenthalt gestaltet sich recht schwierig, zumal jene Maschine, die Howard aus den Fernen des Alls geholt hat, nach einer weiteren Funktionsstörung einen der "Düsteren Beherrscher des Bösen" herbeamt, der sich mit dem verdutzten Wissenschaftler Jenning (Jeffrey Jones) verschmelzt und gleich noch seine Kumpels holen möchte.
Howard The Duck ist eine kaltschnäuzige Nebenfigur aus dem Marvel-Universum, die mit etwas derberem Humor quasi als Donald Duck für Erwachsene konzipiert wurde. Howard, der Enterich qualmt Zigarren, säuft Bier und ist auch sonst mucho macho.
Der Initiator des Filmprojekts, niemand geringerer als George Lucas, muss den Comics gegenüber eine besondere Vorliebe gehegt und sich vielleicht einen persönlichen Traum mit der Realisierung erfüllt haben, denn er kann bei seiner Gabe zur Kalkulation und seinem Geschäftssinn nicht allen Ernstes der Hoffnung gewesen sein, aus "Howard", dem Film, nennenswerte Gewinne absetzen zu können. Heraus kam nämlich ein Stück Entertainment, wie es nur im Zeitkontext der 1980er denkbar ist; eine Komödie, vollkommen flach und bestenfalls unfreiwillig komisch und ein Sci-Fi-Film, der jeden Genreanhänger nur enttäuschen konnte. Dennoch schaffte "Howard The Duck", den bis heute kaum jemand richtig ernst nimmt, es, eine kleine aber hartnäckige Kultistengemeinde um sich zu scharen, die es eben gerade schätzt, an Stellen zu lachen, die gar nicht dazu gedacht sind, die Stop-Motion-Monster liebt und Comics aus der zweiten Reihe. Der Film ist tatsächlich ein absolutes Unikat, millionenschwer und dabei beseelt vom Geist eines C-Movies. Schauspielerisch ein Witz (Tim Robbins, der chargiert bis zum Umfallen, wird es vermutlich nicht schätzen, hierauf angesprochen zu werden), tricktechnisch charmant überdreht, inszenatorisch überraschungslos. Und Jeffrey Jones als Alien-Mensch-Hybrid? Man muss es gesehen haben, um es zu glauben.
Nein, "Howard The Duck" ist kein guter Film. Aber deswegen sollte man ihn nicht unterschätzen.
6/10
#977
Geschrieben 21. Oktober 2007, 09:13
Young Sherlock Holmes (Das Geheimnis des verborgenen Tempels) ~ USA 1986
Directed By: Barry Levinson
Im verschneit-viktorianischen London lernt der junge Arztsohn John Watson (Alan Cox) bei seinem Schulbesuchsantritt den etwas arroganten, aber mit messerscharfem Verstand ausgestatteten Sherlock Holmes (Nicholas Rowe) kennen. Holmes, der sich unentwegt der Anfeindungen eines Nebenbuhlers (Earl Rhodes) um die Gunst einer hübschen Professorennichte (Sophie Ward) erwehren muss, stößt bald auf eine Reihe merkwürdiger Ritualverbrechen, bei denen den Opfern vor ihrem Tod ein Halluzinationen hervorrufendes Gift mittels eines kleinen Dorns verabreicht wurde.
Es ist möglicherweise nicht zwingend erforderlich, könnte für das Wohlgefallen dieser bunten Krimi-Wundertüte aber durchaus von Vorteil sein, wenn man die "Harry Potter"-Verfilmungen mag. Ironischerweise ähnelt das setting der snobistisch-antiquiert wirkenden englischen Eliteschule nebst der tragenden Personenkonstellation in verblüffender Weise dem der ersten Potter-Filme, wobei deren Regisseur Chris Columbus identisch ist mit dem Scriptautor von "Young Sherlock Holmes". Die Parallelen erklären sich also ziemlich rasch von selbst.
"Young Sherlock Holmes", von Amblin und ILM mitfinanziert, erweist sich als erwartungsgemäß kompetent gemachter, dabei nicht unintelligenter (das Sujet hätte auch nichts anderes zugelassen) Zwitter aus einer Hommage an den klassischen Holmes-Autor Arthur Conan Doyle und den typisch spielbergschen Fabuliertechniken. Inszenatorisch erfreulich wagemutig, liegt die große Crux des Films möglicherweise gerade darin, dass das Publikum eine gewisse Unentschlossenheit zwischen Kinderfilm und Erwachsenenkrimi wähnte und deshalb leider zu großen Teilen fernblieb. Eine unverdiente Sanktion für dieses fast vergessene Hollywood-Kleinod.
8/10
#978
Geschrieben 21. Oktober 2007, 09:41
¡Three Amigos! (Drei Amigos) ~ USA 1986
Directed By: John Landis
Im Jahre 1916 stattet der gemeine Bandit El Guapo (Alfonso Arau) dem kleinen mexikanischen Dorf Santo Poco regelmäßige Besuche ab, um die dort lebenden Bauern zu terrorisieren und zu berauben. Die Farmerstochter Carmen sucht daher nach ein paar Revolverhelden, die El Guapo vertreiben sollen. In der Kirche sieht sie einen Stummfilm mit den "Drei Amigos" (Chevy Chase, Steve Martin, Martin Short) und schickt ihnen ein Telegramm nach Hollywood. Da die drei just von ihrem Produzenten (Joe Mantegna) gefeuert wurden, kommt ihnen der Auftrag, den sie irrtümlicherweise für ein reines Entertainment-Engagement halten, gerade recht. In Mexiko angekommen, bemerkt man jedoch bald, dass die hiesige Luft mit echtem Blei gesäumt ist und will sich zunächst klammheimlich aus dem Staub machen. Doch nach kurzen Bedenken wird den Amigos klar: Ihre heroische Integrität darf kein Leinwandmythos bleiben.
Das war noch Landis at his best. Für seinen Metafilm, der im Gewand einer Klamaukgeschichte von der Geschichte des Kinos selbst erzählt und von der Vermischung von Realitätsebenen, scheute sich der Regisseur keineswegs, neben überdeutlich verkitschten Sequenzen auch echte Genredramaturgie zu befleißigen. "¡Three Amigos!" arbeitet auf multiplen Ebenen für die Rezipientenschaft und mit ihr, erfordert gewissermaßen mediale Kompetenzen und landissches Humorverständnis zugleich. Der Westernfreund lauscht begeistert den Klängen Elmer Bernstein, seines Zeichens Komponist der unsterblichen Melodien aus "The Magnificent Seven" (eines der Ideenreservoire für die "Amigos"), für den Anhänger gepflegter Neo-Satire gibt es ein paar Songs von Randy Newman, der auch am Drehbuch mitgearbeitet hat (seine einzige Arbeit auf diesem Sektor). Kombiniert mit der Improvisationskunst dreier SNL-Genies kann dabei nur eine Komödie von edelstem Blute herauskommen.
Landis als Regisseur verstand es, ein lupenreines Produkt der Traumfabrik vorzulegen, das sich zur selben Zeit nicht scheut, die schmierenkomödiantischen Mittel seiner Gattung hemmungslos offenzulegen. Die Musicalszene in der Pseudowüste, in der die Amigos - in einem mickrigen Studio hockend - "Blue Shadows" (aus Newmans Feder) zum Besten geben, umringt von Pappkakteen, diversen Prärietieren und einer beispiellosen Sonnenuntergangskulisse, gehört in Landis' persönlichen Regieolymp, bringt sie doch "¡Three Amigos!" wahrscheinlich am Stringesten auf den Punkt. Meisterwerk.
10/10
#979
Geschrieben 21. Oktober 2007, 16:41
Halloween II ~ USA 1981
Directed By: Rick Rosenthal
Trotz mehrerer Schüsse aus Dr. Loomis' (Donald Pleasence) Revolver ist Michael Myers (Tony Moran) mitnichten tot, sondern verschwindet zwischen den Einfamilienhäusern von Haddonfield. Loomis sucht fieberhaft weiter nach Myers, während Laurie Strode (Jamie Lee Curtis) ins Krankenhaus eingeliefert wird. Ein junger Mann, der die gleiche Maske wie Myers trägt, gerät in einen Unfall und verbrennt bis zur Unkenntlichkeit, man glaubt, das Problem sei erledigt. Doch der echte Killer folgt Laurie und tötet sämtliche Angestellten der Spital-Nachtschicht, bis er zur Gesuchten vordringt. Diese muss zudem eine schreckliche, längst verdrängte Wahrheit erkennen.
Nachdem Carpenters Original sich als sensationell rentabel erwiesen hatte, landete das Franchise bei Universal. Die Hauptdarsteller des Vorgängers konnten nochmal an Bord geholt werden, für das Buch zeichneten wieder Carpenter und Debra Hill verantwortlich, die das aktuelle Szenario - ein seltener Fall in der Sequelgeschichte - ohne Zeitverlust direkt an das Ende des Vorgängers anknüpfen ließen, quasi nur durch einen Schnitt voneinander getrennt. Dass Pleasence und Curtis nach drei Jahren geringfügig anders aussehen, kann man halbwegs ignorieren, der härter und abgehackter eingespielte Score zerrt sogar noch etwas mehr an den Nerven. Dennoch galt und gilt der zweite Teil vielen als schwarzes Schaf der Reihe, vielleicht, weil hier zum ersten Mal das Sakrileg begangen wurde, das unerreichbare Original weiterzuspinnen. Manchem Kritiker stieß auch sauer auf, dass der moderate, um nicht zu sagen, gar nicht vorhandene Blutgehalt des Erstlings hier einer zweckdienlichen Vielzahl grausiger Mordszenen weichen musste, die letztlich zwar in ihrer sadistischen Kreativität angreifbar sind, aber kaum einmal wirklich ausgespielt werden. "Halloween II", und darin ist wohl tatsächlich das Problem zu suchen, ist einfach kein poetischer Horrorfilm, sondern ein ganz ordinärer, formelhafter Slasher. Wo die Inszenierung überraschungsarm bleibt, da verlangt das feuilletonistische Niveaulevel aber zumindest nach inhaltlicher Qualität, und auch die ist hier nicht gegeben, bzw. wird sie auf Kosten der fixen Abwicklung völlig vernachlässigt. Es geht ziemlich ruppig und unmittelbar zur Sache, und um sich Selbsträson zu verleihen, wird gar ein familiäres Element wie in der "Star Wars"-Saga hinzugezogen, das aber so hanebüchen eigentlich gar nicht ist.
"Halloween II" ist unbequem anzuschauen, jedoch weniger seiner Stupidität wegen, sondern als monotoner, in jeder Beziehung düsterer Subgenre-Vertreter, der auf geheimnisvolle Weise doch Potential besitzt. Jedenfalls ist er der einzige unter den sieben Nachfolgern, dessen Existenzberechtigung ich persönlich nicht in Frage stellen würde.
6/10
#980
Geschrieben 22. Oktober 2007, 21:05
The Marine ~ USA 2006
Directed By: John Bonito
Golfkriegsveteran John Triton (John Cena) fliegt aus dem Marine Corps, weil er den Befehl eines Vorgesetzten missachtet und ein paar Kameraden auf eigene Faust befreit hat. Zurück daheim hat er gewisse Probleme, sich mit dem Zivilistenleben anzufreunden. Wie gut für ihn, dass sein blondes Frauchen (Kelly Carlson) von einem gelackten Diamantenräuber (Robert Parick) und dessen Clique entführt wird. Da kann sich Triton nochmal richtig beweisen.
So stelle ich mir ein schlechtes DTV-Produkt vor: Unambitioniert, lächerlich, blamabel. Doch siehe da, "The Marine" ist nicht nur vollkommen luftleeres Kunststoff-Entertainment, sowohl technisch als auch inhaltlich hoffnungslos dämlich konstruiert, sondern wurde sogar für den Kinoeinsatz präpariert. Eine Schande, dass die jüngeren Van Dammes es dorthin nicht schaffen, ein solcher Schmalz wie dieser hier aber sehr wohl. "The Marine" verleiht sich vorsätzlich einen gewissen old school touch und wäre für sein Leben gern ein traditionsbewusstes, hartes Genrestück, das nostalgische Impressionen mit moderner Tünchung koppelt. Leider haut nichts davon hin, tatsächlich präsentiert sich das Gebotene als völlig harmlos - abgesehen von der geistigen Minderbeanspruchung, versteht sich. Selbstberauscht von ihren allenthalben ausgelösten Explosionen schickt die Aufnahmeleitung Cena, der aussieht wie Craig Sheffer nach einem neunmonatigen Zwangsaufenthalt im Fitnessstudio, in regelmäßigen Abständen im Zeitlupenflug durch irgendwelche geschlossenen Fenster. Das ist ermüdend, todlangweilig und taugt in seiner onanistischen Sensationsgeilheit nichtmal für die Baddieecke. Die Klassiker-Reminiszenzen sind allzu offensichtlich und viel zu albern, als dass sie zu echtem Lachen hinreißen könnten. Das Schlimmste jedoch: Wenn jemand dran glauben muss, geschieht das fast grundsätzlich off-screen, womit "The Marine" sich dann endgültig disqualifiziert.
Früher hätte ich dazu "Kinderkacke" gesagt, heute verscherble ich solch seelenlosen Murks komentarlos weiter an den Meistbietenden, der sich damit freiwillig selbst zu malträtieren wünscht.
2/10
#981
Geschrieben 24. Oktober 2007, 17:48
Halloween III - Season Of The Witch ~ USA 1982
Directed By: Tommy Lee Wallace
Ein seltsamer, zu Tode erschrockener Patient (Al Berry) bereitet Dr. Challis (Tom Atkins) Kopfzerbrechen, das sich noch vergrößert, als der Mann in seinem Krankenbett von einem Schlipsträger ermordet wird, welcher sich daraufhin in seiner Limousine selbst anzündet und in die Luft sprengt. Zusammen mit der Tochter (Stacey Nelkin) des Ermordeten geht Challis einer verdächtigen Spur nach: Der Tote, ein Eisenwarenhändler, war im Begriff, einen ganzen Stoß Halloweenmasken der Firma Silver Shamrock (deren Werbespot pausenlos im Fernsehen läuft) zu verkaufen, als er offensichtlich eine schröckliche Entdeckung machte. Das Paar sucht also die Produktionshallen von Silver Shamrock auf. Diese befinden sich im seltsamen Städtchen Santa Mira und werden von dem stets gut gelaunten Juxfabrikanten Conal Cochran (Dan O'Herlihy) geleitet. Dessen Fassade beginnt aber bald zu bröckeln.
Heilige Minna! Michael Myers' verbrannter Leichnam war noch nicht ganz erkaltet, als der Startschuss für die Produktion eines dritten "Halloween"-Film gegeben wurde, ausgerechnet nach einem Buch von Nigel Kneale, dem "Quatermass"-Schöpfer. Von Carpenter-Spezi und -Cutter Tommy Lee Wallace wurde das Script, eine Art Psychopathen-Version von "Charlie And The Chocolate Factory", überarbeitet und schließlich in Szene gesetzt, der Meister selbst produzierte und schrieb ein letztes Mal den Score. Mit Tom Atkins ist ein weiterer Carpenter-Veteran in der Hauptrolle zu sehen, aus dem Original kreuzt zumindest Nancy Loomis als Challis' entnervte Noch-Ehefrau auf. All das nutzt dem fertigen Film recht wenig. Schlampigkeiten allerorten sind an der Tagesordnung, ein großer Medien- und Mythen-Eintopf erwartet einen, in dem neben einer großen Vorliebe für die"Stepford Wives", "Dead & Buried" und natürlich die "Body Snatchers", der überdeutlichen Ad-Kritik und zahlreichen Referenzen an das "Halloween"-Original sogar noch Killercyborgs und Stonehenge ein warmgehaltenes Plätzchen finden.
Atkins süppelt und bumst, wenn es "an der Zeit dafür" ist und Santa Mira fällt keinem außergewöhnlich ins Auge, obwohl die ortsansässige Fabrik allabendlich eine Ausgangssperre verhängt und freche Aufbegehrer ruckzuck enthauptet. Der fürchterliche "Silver Shamrock"-Werbespot wird innerhalb der überstrapazierten Erzählzeit so oft gedudelt, dass man ihn hinterher für mindestens drei Tage nicht mehr los wird - ich spreche da aus Erfahrung.
Als recht unmotiviertes Fantasy-Konglomerat kann "Halloween III" dem offenherzigen Zuschauer aber zumindest ein paar urkomische Minuten bescheren, sofern man bereit ist, ihn trotz seines Titels erst gar nicht als Thronfolger in Augenschein zu nehmen und eher als Stoffelhorrorfilm und halbgescheite Spätvariante des guten alten Autokinogrusels zu tolerieren.
4/10
#982
Geschrieben 25. Oktober 2007, 19:23
Halloween 4: The Return of Michael Myers ~ USA 1988
Directed By: Dwight H. Little
Auf den Tag 10 Jahre nach seinem Ausbruch aus dem Sanatorium soll der nur noch künstlich am Leben erhaltene Michael Myers (George P. Wilbur) aus dem Cook County Hospital verlegt werden. Dr. Loomis (Donald Pleasence), der die Feuersbrunst im Haddonfield Memorial ebenfalls überlebt hat, zweifelt am Erfolg der Aktion und siehe da - Myers büchst aus, um in Haddonfield die kleine Jamie (Danielle Harris), Tochter der mittlerweile verstorbenen Laurie Strode und damit Myers' Nichte, zu töten. Eine erneute Schreckensnacht erwartet das beschauliche Städtchen, zumal bierselige Ballerfreaks und ein paar Scherzkekse mit Myers-Masken die Gegend noch unsicherer machen, als sie es ohnedies schon wäre.
Der vierte Teil des Serials übersteigt inszenatorisch kaum biederes TV-Niveau, erspart sich im Gegensatz zu den "Friday"-Filmen einen quintessenziellen Baustein von Serien-Slashern, nämlich den des sich potenzierenden Ekelfaktors, und gibt insgesamt leider nur ein ziemlich überraschungsarmes Gattungsexempel her. Der vielleicht elementarste Unterschied zur Jason-Reihe liegt wohl in der inhaltlichen Verknüpfung mit den Vorgängern, die zwar grundsätzlich lächerlich und konstruiert wirkt, zumindest aber für in Fankreisen beliebte Wiedererkennungsmomente gut ist. Erstaunlicherweise sind manche der prinzipiell vollkommen vorhersehbaren Sequenzen dennoch recht spannend geworden und halten den Langeweile-Faktor des Gesamtresultats so erfolgreich auf erträglichem Level. Die Mitwirkung von Donald Pleasence, etwas müde und abgespannt, aber durchaus mit nach wie vor erfreulicher Präsenz an Bord, ist natürlich ein besonderer Coup des ewigen "Halloween"-Produzenten Moustapha Akkad. Ganz schön und zumindest damals ziemlich schockig ist das Ende gelungen, das in netter Weise eine Brücke zu den ersten Minuten des Originals schlägt.
Zwar kann man nach dem unfreiwillig komischen dritten Teil wieder einen gewissen Aufwärtstrend feststellen, wirklich erfreuliche Aspekte hat "Halloween 4" (ab jetzt mit arabischen Ziffern) jedoch sicher nicht zu bieten.
5/10
#983
Geschrieben 27. Oktober 2007, 11:55
Phantasm (Das Böse) ~ USA 1979
Directed By: Don Coscarelli
Nach dem Tod ihrer Eltern kümmert sich der lebenslustige Jody (Bill Thornbury) um seinen kleinen Bruder Mike (A. Michael Baldwin). Als Tommy (Bill Cone), ein Freund Jodys, auf dem Morningside-Friedhof bei einem Techtelmechtel umgebracht und kurz darauf an selbiger Stelle bestattet wird, macht Mike eine seltsame Entdeckung: Ein großer Mann (Angus Scrimm) schleppt einen massiven Sarg, als würde der nichts wiegen. Später wird Mike von seltsamen Zwergen mit Kapuzen verfolgt und attackiert. Glücklicherweise kann er Jody, der Mikes Geschichten zunächst für Spinnereien hält, und Jodys Kumpel Reggie (Reggie Bannister) bald überzeugen, dass auf Morningside tatsächlich manches nicht mit rechten Dingen zugeht.
"Phantasm", ebenso wie "Halloween" ein herbstliches Schauerstück, ist geprägt von tief verwurzelten, infantilen Ängsten. Mike, der bereits den Unfalltod der Eltern verarbeiten muss, ahnt bereits das Offensichtliche: Auch sein rastloser Bruder, der lieber als Folkgitarrist durch die Bars tingelt, als in einem kleinen Nest festzuwachsen, wird nicht ewig für ihn da sein. Gleichaltrige Freunde hat er anscheinend nicht, also verbringt er die Zeit damit, mit seiner Enduro durch die Gegend zu knattern und sich verrückte Phantastereien auszudenken.
Coscarelli taucht ganz tief ein in diese Gefühls- und Gedankenwelt jenes Dreizehnjährigen, der - neben der plötzlichen Orientierungslosigkeit bezogen auf sich selbst - mit den schlimmsten Problemen fertigwerden muss, die ein Junge in seinem Alter durchleben kann: Tod, Verlust, Einsamkeit, Haltlosigkeit.
Für sich stehend, also ohne Inaugenscheinnahme der drei Sequels, ist es leidlich offensichtlich, dass Mikes albtraumhafte Erlebnisse tatsächlich jeder realen Verankerung entbehren, diverse Faktoren im narrativen Gefüge des Films, der mit der Wahrnehmung seiner Protagonisten und der Rezeption seiner Betrachter aufs Wildeste jongliert, sprechen ganz klar dafür. Tote erscheinen plötzlich wieder, als gegeben hingenommene Wendungen werden nachträglich als Fiktion klassifiziert. 'Phantasm' bedeutet ja nichts anderes als 'Hirngespinst'.
Coscarelli, der stets gern Ansätze aufgreift, die ihn in Kindheitstagen umgetrieben haben, hat unabhängig und mit minimaler Finanzierung einen der schönsten Phantastischen Filme seiner Zeit voller grandioser kleiner Einfälle geschaffen der glücklicherweise eine große Anhängerschaft erreichen konnte und nebenbei mit einem geradezu genialischen Score veredelt ist. Ich weiß nicht, ob es ein wenig zu weit führte, "Phantasm" als Kunstwerk einzustufen - im Moment jedenfalls kommt mir kein passenderes Attribut in den Sinn.
9/10
#984
Geschrieben 28. Oktober 2007, 07:22
Live Free Or Die Hard (Stirb langsam 4.0) ~ USA 2007
Directed By: Len Wiseman
John McClane (Bruce Willis) soll routinemäßig den jungen Hacker Farrell (Justin Long) von New York in die Hauptstadt zum FBI überführen. Bereits die erste Begegnung der beiden wird zur Feuerprobe, denn Farrell wird zeitgleich von einigen Attentätern aufs Korn genommen. McClane schafft es, ihn herauszuhauen. In Washington angekommen, werden die beiden dann Zeugen eines Verkehrschaos aufgrund fehlgeschalteter Ampeln, die der Ex-Agent Gabriel (Timothy Olyphant), zugleich Farrells früherer Auftraggeber, manipuliert hat. Dieser fordert zur Unterbindung seines "fire sale" (also eines computergesteuerten Systemzusammenbruchs) eine immense Auslösesumme. McClane, dessen Tochter (Mary Elizabeth Winstead) von Gabriel entführt wird, und sein junger Partner jagen die Terroristen bis zum letzten.
Ein Beweis dafür, dass man älter wird, ist sicher eine zunehmend statische Erwaltungshaltung. Wenn man alle bisherigen "Die Hard"-Filme im Kino gesehen hat, darunter den ersten in einem besonders aufgeschlossenen Alter, dann verlangt man zur bedingungslosen Akzeptanz wohl zwangsläufig eine sehr konzentrierte Lösung der bekannten Qualitäten.
Bruce Willis, nunmehr 52, bewahrt sich den lakonischen Gestus seiner Rolle, oder besser gesagt: Das Script überlässt ihm die altbekannte Lakonie, gekoppelt mit der extrem lockeren Auffassung in punkto Gewaltanwendung, konterkariert sie aber zugleich in ironischer Weise mit dem blassen, anämischen Computerkid, das zwischen leeren Pizzakartons und Verschwörungstheorien sein Leben der Virtualität widmet. Eine, nach dem ebenfalls erfolgreich mit einer Buddy-Konstellation arbeitenden dritten Teil, durchaus berechtigte Maßnahme. Dass vielerorten die Zurückhaltung bezüglich des Maßes an Leinwandbrutalität moniert wurde, kann ich nicht nachvollziehen. Die Devise lautet nach wie vor "shoot to kill" und nicht nur, dass McClane farbenfroh fluchend einer jungen Kombattantin den Garaus macht, er nutzt ihren Tod gleich mehrfach zur psychologischen Zermürbung seines Widersachers. Da fühlte ich mich wirklich an "alte Zeiten" erinnert, auch wenn das Blut vielleicht nicht mehr ganz so weit spritzt. Erfrischend außerdem, dass die Actionsequenzen wieder absolut over the top sind, sich in ihrer Quantität aber auf ein Maß beschränken, das auch den Sehgewohnheiten von vor 20 Jahren noch zugeneigt ist. Womit unsereiner eben leben muss, ist die monochrome, fünffach gefilterte Bildgestaltung der Jetztzeit, die alles unwirklich und retuschiert erscheinen lässt. So ganz kann daran gewöhnen werde ich mich wohl nie.
Resümierend kann ich für meine Wenigkeit konstatieren, dass die Reihe trotz des großen zeitlichen Abstands wieder erfolgreich fortgesetzt wurde und das mit einer nicht nur akzeptablen, sondern durchaus erfreulichen Arbeit.
Und dass man einen Genrefilm kaum zünftiger schließen kann als mit einem Creedence-Stück (in diesem Falle "Fortunate Son") hat Wiseman - oder wer auch immer - also auch gecheckt. Prima.
8/10
#985
Geschrieben 28. Oktober 2007, 08:00
Necronomicon ~ USA 1993
Directed By: Brian Yuzna / Shusuke Kaneko / Christophe Gans
Der Autor H.P. Lovecraft (Jeffrey Combs) ahnt, dass in der exklusiven Bibliothek eines Klosters fernöstlicher Mönche das Necronomicon aufbewahrt wird, jenes legendäre Buch, dass von anderen Dimensionen berichtet und davon, wie der Tod zu umgehen ist. Als er es trotz eingehender Verbote vor Augen hat, kritzelt er sich eilig Notizen für drei Kurzgeschichten in seinen Block, die davon handeln, wie 1.) ein Erbe (Bruce Payne) auf sein Heimatschloss kommt und den gleichen schrecklichen Fehler begeht wie bereits sein Urahn (Richard Lynch) zuvor, 2.) ein Reporter (Dennis Christopher) eine seltsame Mordserie aufklären will und zu diesem Zwecke mit der mysteriösen Emily Osterman (Bess Meyer) in Kontakt tritt, die ihm eine eigenartige Erzählung auftischt und 3.) ein Polizistenpaar (Signy Coleman, Obba Babatundé) in die Fänge zweier Verrückter (Don Calfa, Judith Drake) gerät, die in ihrem Keller ein monströses Etwas beherbergen.
"Necronomicon" konnte sich in "Fachkreisen" seinerzeit ein so bedeutungsvolles Renommée erarbeiten, weil er als einer der selten gewordenen Fälle eine durchaus unterhaltsame Erzählweise mit recht derben Effekten zu verbinden verstand. Und das bei einer für Freunde des Phantastischen mehr als passablen Besetzung. Nachdem ich den Film seit bestimmt zwölf Jahren nicht mehr gesehen hatte, freute ich mich umso mehr, dass jetzt eine ungekürzte DVD-Fassung von Kinowelt (welche leider die meisten Extras der französischen Veröffentlichung entbehrt) erhältlich ist, die erstaunlicherweise nicht einmal mehr auf dem Index steht. Beruhigt konnte ich feststellen, dass der Ekelanteil nicht retrospektiv von mir verklärt wurde, sondern nach wie vor ziemlich breitärschig herüberkommt und dass die drei Geschichten noch adäquat zu fesseln wissen. "The Drownend", Episode 1, wartet mit der für Lovecraft wohl typischsten Story auf, mitsamt Tentakelungetüm im Untergeschoss, Kanekos (Mittel-)Teil, "The Cold", bietet wohligen Grusel und hält eine denkwürdige melting sequence bereit, besonders Yuznas Segment "Whispers" lässt aber mit surrealen Elementen den Splatterbusch brennen.
Ein schönes Revival, das jetzt glücklicherweise des öfteren wiederholt werden kann.
7/10
#986
Geschrieben 28. Oktober 2007, 17:19
Tideland ~ CAN/UK 2005
Directed By: Terry Gilliam
Eine Überdosis Methadon gibt der Mutter (Jennifer Tilly) den Rest, danach reist die kleine Jeliza-Rose (Jodelle Ferland) mit ihrem Vater Noah (Jeff Bridges), ebenfalls ein Junkie, aufs Land. Kaum im leerstehenden, mitten im Nirgendwo liegenden Haus der Großmutter angekommen setzt sich auch Noah den goldenen Schuss, präpariert von der nichtsahnenden Jeliza, die ihrem Papa stets das Spritzchen bereitet. Das Kind, nunmehr auf sich allein gestellt, lernt bald die verrückte Dell (Janet McTeer) und deren geistig behinderten Bruder Dickens (Brendan Fletcher) kennen. Mit Dickens, der in seinem zurückgebliebenen Sanftmut selbst noch ein Kind ist, versteht sich Jeliza gut, die wirre Dell aber findet in ihrer kindlichen Pararealität nur einen Platz als Hexe.
Terry Gilliams Vorliebe für widerborstige Stoffe scheint mit zunehmendem Alter akuter zu werden. "Tideland" erweist sich selbst für Freunde von Gilliams abseitigen Geschichten, die bislang jedoch immer noch den kleinen Zeh in den trüben Rationalitätssumpf eingetaucht hielten, als Herausforderung. Auf der verzweifelten Suche nach Halt fand ich mich zwei Stunden lang in ein bodenloses Loch fallend; dem weißen Kaninchen hinterherhechelnd, das auch Jeliza im Film sucht, stattdessen aber bloß sprechende Eichhörnchen findet. Der Hoppler landet später gesottenerweise auf einem silbernen Tablett. Anstelle von Humpty Dumpty und Herz-Königin begegnet Jeliza höchst realen Gestalten, deren Handlungen dabei nicht minder undurchsichtig sind. Sitzt Jelizas Papa anfangs noch verwesend in seinem Stuhl, findet er sich später, ausgestopft von seiner in Lumpen umherirrenden Jugendliebe mit durchstochener Pupille, zu Bett liegend wieder.
Um zum Grund vorzudringen: Die Geschichte handelt hinter Nebelschleier und Ährenglanz von kindlichem Elend. In einen Junkie-Haushalt hineingeboren sind Fix, Dämmerzustand und Psychose für Jeliza ganz normale Alltagszustände. Pietät lehrt sie niemand, also wird der urplötzlich allgegenwärtige Tod, das Unvermeidliche, kurzerhand übersehen. Bezugspersonen und offene Ohren erhält sie in Form ein paar kleiner Puppenköpfe, denen Jeliza selbst 'Leben' einhaucht und die sich nach und nach ebenfalls verabschieden. Eine kleine Liebesgeschichte mit dem zurückgebliebenen Dickens (brillant: Brendan Fletcher), der ihr mit seinem TNT gewissermaßen den Weg in die gesellschaftliche Normalität freisprengt, weist ihr den Weg ins Licht.
Schwer zu ertragen in seiner surrealen Morbidität und konsequenten Kindesperspektive, empfand ich "Tideland" als Grenzerfahrung, wie ich lange Zeit keine mehr zu sehen bekommen habe. Mir ist geradezu danach, mir für das erfolgreiche Durchhalten eine in Regenbogenfarben schillernde Tapferkeitsmedaille ans Revers zu heften - mit allem anderen wäre ich Gilliam gegenüber den fälligen Respekt jedoch schuldig geblieben. Auf jeden Fall seine radikalste Arbeit bis dato und ein handfester Grund, um zu frohlocken: Der Mann bleibt für Überraschungen gut, in diesem Falle sogar für eine überwältigende. Beim nächsten Mal, ich traue mich kaum, es niederzuschreiben, aber bitte, bitte wieder etwas mehr Leichtigkeit.
8/10
#987
Geschrieben 29. Oktober 2007, 15:07
Cruising ~ USA 1980
Directed By: William Friedkin
Wegen seiner physiognomischen Ähnlichkeit mit den Opfern eines Killers im homosexuellen Leder- und SM-Milieu soll der New Yorker Streifenpolizist Steven Burns (Al Pacino) gegen die Offerte einer anschließenden Beförderung als V-Mann in die Szene "hinabsteigen" und dort nach dem Täter fahnden. Eindrücke einer gefühlskalten, nur an schneller Befriedigung interessierten Halbwelt erwarten ihn, die er letztendlich trotz erfolgreich erfüllter Mission nicht ohne schwere psychische Blessuren verarbeiten kann.
Ich lerne Friedkin über die Jahre immer mehr schätzen, jede Wiederbegegnung mit einem seiner Filme gerät zu einem kleinen persönlichen Happening, aus dem ich regelmäßig ganz viel mitnehme. Friedkin versteht es, auf seine spezifische Weise vor Emotionen aufgeladende, brodelnde Dampfkessel ganz unterschwellig, wie beiläufig, zum Explodieren zu bringen, Alltägliches zu einer mikrokosmischen Apokalypse heraufzubeschwören.
"Cruising", der wegen seiner tendenziösen Darstellung des schwulen Untergrunds mannigfaltige feindselige Reaktionen provozierte, spielt mit der interessanten Prämisse eines sexuell vermeintlich gradlinigen Mannes, der gewissermaßen in ein komplett andersartiges Umfeld gedrängt wird und sich mit diesem, um nicht darin aufzufallen, gezwungenermaßen arrangieren muss. Pacinos fein nuancierte Darstellung Steven Burns' geistiger und seelischer Grenzzustände zählt zu seinen besten Arbeiten dieser Tage - schade, dass er seine Mitwirkung bei "Cruising" im Nachhinein als unangenehm empfand. Seine mitreißende Spannung bezieht der Film zu wesentlich geringeren Teilen aus der recht konventionell gestalteten Mördersuche denn aus der unvorhersehbaren Entwicklung seines desorientierten Protagonisten.
Und sicher, eine gewisse angewiderte Faszination, mit der die Szene, farblos und dunkel, vor schwüler Hitzigkeit und frostiger Kälte zugleich erbebend dargestellt wird, ist unübersehbar. Ich frage mich aber, wie sonst man sich mit einer quasi 'genormten' Perspektive einer derart exotischen Parallelwelt nähern sollte. Mit Denunziantentum hat das für mich wenig bis gar nichts zu tun.
9/10
#988
Geschrieben 02. November 2007, 11:01
The Last Boy Scout ~ USA 1991
Directed By: Tony Scott
Sein neuester Fall wird dem abgewrackten Privatdetektiv Joe Hallenbeck (Bruce Willis) zur höchstpersönlichen Angelegenheit: Nicht nur sein bester Freund (Bruce McGill), der nebenbei Joe mit dessen Frau (Chelsea Field) betrügt, wird Opfer eines Anschlags, auch Joes Klientin Cory (Halle Berry) muss dran glauben. Zusammen mit deren Freund, dem Ex-Footballer Jimmie Dix (Damon Wayans) findet Joe heraus, dass Cory versucht hat, den Sportmogul Marcone (Noble Willingham) zu erpressen, um Jimmie seine alte Stellung wiederzuverschaffen. Das ungleiche Team kommt darüber hinaus einer Bestechungsaffäre auf die Spur.
Ein film noir als neonglänzende Tony-Scott-Actionorgie aus der geistigen Schmiede von Joel Silver und Shane Black? Eine nicht nur dem Vernehmen nach verwegene Mixtur, die aber ihre hinlänglichen Reize hat. Bruce Willis liefert als abgefuckter p.i., schlunzig bekleidet, dauerverkatert und Kette rauchend, schätzungsweise die lakonischste Vorstellung seiner Laufbahn. Als Hallenbeck ist er ein Mann der Tat, der stets einlöst, was er verspricht: Wenn er sagt, dass er bei erfolgreich gelöstem Fall einen Freudentanz aufführe, dann kann man sicher sein, dass er das tut - auch unter den Augen von Tausenden. Nebenbei ist "Last Boy Scout" sagenhaft gewalttätig. Ich kenne wenige Filme, in denen so genüsslich krachende Fausthiebe in Gesichter verteilt werden. Schon beim vorvorletzten Mal habe ich mir vorgenommen, einmal mitzuzählen, wie oft allein Willis eins auf die Fresse bekommt, habe aber doch wieder nicht daran gedacht. Sei's drum. Tony Scotts breite Bilder, oft aus abenteuerlichen Winkeln aufgenommen, sind wie stets höchst artifiziell gehalten. Jedem Hinterhof sieht man deutlich seine Atelier-Herkunft an, jede diesige Lichtquelle leuchtet knackig, aber nur halb aus. Und der Himmel von Los Angeles strahlt pink über seinen Leichen. Habe mich gestern gewundert, wie alt und merkwürdig weit weg mir der Film mittlerweile erscheint - und tatsächlich, 15 Jahre ist das schon her. Seltsam.
8/10
#989
Geschrieben 02. November 2007, 11:23
True Romance ~ USA 1993
Directed By: Tony Scott
Flugs geheiratet, einen Zuhälter (Gary Oldman) abserviert und ab nach Kalifornien, um einen Koffer Koks zu verscherbeln: Clarence (Christian Slater) und Alabama (Patricia Arquette) sind wild at heart. Fatalerweise ist ihnen die Mafia auf der Spur und bald auch die Polizei.
Ein Film, dem der Abstand der Jahre nicht gut tut. Sicher, unterhaltsam und sagenhaft besetzt ist "True Romance" nach wie vor ein ordentliches Stück Entertainment, erweist sich aber nach so langer Zeit auch als großangelegtes Blendwerk. Wie bei Tarantino (der hier sein erstes Script durch fremde Hand verfilmt sah) üblich, haucht erst die Summe der Versatzstücke der Gesamtheit Leben ein. Spinnerte Typen, Klischees und Abziehbilder allerorten, dazu Tarantinos gesammelter popkultureller Background mitsamt comic books, Elvis und Sonny Chiba landen in der Waagschale, die Tony Scott mit kaltschnäuzigem Kalkül und keineswegs so vital, wie es Tarantino als Regisseur vermutlich selbst bewerkstelligt hätte, auf seine Rolle bannt. Dabei waren wildverliebte, um sich ballernde Pärchen auf der Straße nach Westen 1993 längst kein Kinogeheimnis mehr. Sabine Horst hat dazu einst einen etwas schmerzhaften, tatsächlich aber treffenden Textilvergleich angestellt: "David Lynchs "Wild At Heart" war die Haut-Couture-Version des Trends, Dominic Senas "Kalifornia" das Designer-Modell, dies ist die Version von der Stange."
Mein ganz persönlicher Nostalgie-Bonus hält "True Romance" in meiner Welt am Leben und ich nehme zugleich an, sähe ich ihn heutzutage zum ersten Mal, er hätte wohl kaum mehr eine Chance.
6/10
#990
Geschrieben 02. November 2007, 11:45
Enemy Of The State (Der Staatsfeind Nr. 1) ~ USA 1998
Directed By: Tony Scott
Vielleicht hat sein paranoides Eheweib (Regina King) mit ihrem Geschimpfe auf das verfassungsmäßige Abhörrecht doch nicht so sehr übertrieben, wie es Robert Dean (Will Smith) stets behauptet. Nach einer verhängnisvollen Begegnung mit einem Studienfreund (Jason Lee) sitzt der aufrechte Anwalt jedenfalls tief in Big Brothers Schatten. Der eigennützige NSA-Mann Reynolds (Jon Voight) will ihm ans Leder, weil Dean einen Datenträger besitzt, auf dem sich eine Filmaufnahme befindet, welche Reynolds beim Mord an einem Kongressabgeordneten (Jason Robards) zeigt. Mit seiner übermächtigen Computer- und Überwachungstechnik hebelt Reynolds Deans Leben komplett aus den Angeln.
Viele narrative und dramaturgische Elemente aus den beiden zuvor gesehenen Filmen kommen in "Enemy Of The State" wieder zum Einsatz, das reicht von dem handlungstragenden MacGuffin über die versuchte Politikerbestechung zu sinistren Kommerzzwecken und die Buddy-Konstellation, hier durch Smith und Hackman sozusagen in umgekehrter Perspektivierung dargeboten (jeweils aus "The Last Boy Scout") bis hin zu dem - aus gegenwärtiger Sicht - unfassbaren Prominenzeinsatz und dem Massaker am Schluss aus "True Romance". Mag sein, dass manches davon sich rein zufällig als Äquivalent wiederfindet - zumindest erweist sich Scott als erfahren in solchen Dingen. Spannend und nett anzuschauen ist das sicherlich, aber auch fernab jedweder anvisierten Bedeutungsschwere. Davon abgesehen, dass ich - ein ganz persönliches Problem - Smith einen solchen Part nicht abnehmen kann, fallen immerhin die diversen Mini-Auftritte gut aufgelegter Jungstars ins Gewicht.
Freilich soll "Enemy Of The State" auch die Tradition der entsprechenden Paranoiathriller aus den Siebzigern (allen voran "The Conversation") hochleben lassen sowie das Hitchcock-Motiv des unbescholtenen Bürgers im Radwerk höherer Gewalt, auf ästhetischer Ebene bleibt er aber doch "nur" ein Tony Scott mit all seinen kleinen Vorzügen und Oberflächenreizen, der, mit Verlaub, keinem seiner Vorbilder so recht das Wasser zu reichen vermag.
6/10
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