In meinem Herzen haben viele Filme Platz
#1651
Geschrieben 14. März 2009, 09:58
The Final Countdown (Der letzte Countdown) ~ USA 1980
Directed By: Don Taylor
Kaum dass der Systemanalytiker Warren Lasky (Martin Sheen) vor Hawaii an Bord des Navy-Flugzeugträgers 'USS Nimitz' geht, rauscht das Schiff auch schon in einen Zeitstrudel und wird 40 Jahre in die Vergangenheit katapultiert, zum 7. Dezember 1941, just an den Tag also, als die japanische Flotte ihren Pearl-Harbor-Überfall durchführt. Nachdem man sich mit ungläubigem Kopfschütteln über die Situation klar geworden ist, gilt es, zu entscheiden, ob ein Eingriff in die Geschichte angesichts der Stabilität des Raum-Zeit-Kontinuums zu verantworten ist. Immerhin hätte die Nimitz genug Feuerkraft um die Japaner bis auf den letzten Mann zu versenken.
Taylors Zeitreise-Abenteuer, das, offensichtlich von Militärgeldern unterstützt, voll ist von pompös vertonten, schick gefilmten Bildern des handlungstragenden Navy-Schiffes und diverser umherschwirrender Tomcats, ist abseits seiner schwachbrüstigen Reklametafeln ein sehr nettes Langeweile-Antidot. Die Zeitreise-Thematik wird sicherlich nicht erschöpfend diskutiert, angesichts der doch sehr phantastischen Prämisse (die Willkür des Zeitzielpunkts ist ja nichts weniger als metaphysisch) aber zumindest halbwegs schlüssig dargeboten. Darüberhinaus ist die Besetzung um das Hauptdarsteller-Quintett (neben Sheen sind das Kirk Douglas, James Farentino, Katharine Ross und Charles Durning) hübsch illuster, zur Besatzung der Nimitz gehören nämlich auch "Superfly" Ron O'Neal und "Feuerwolke" Victor Mohica und ein leicht brüskierter japanischer Pilot wird von Soon-Teck Oh gegeben. In Kombination mit den ziemlich schwach projizierten Explosionen ergibt das gehobene Hollywood-Klasse.
7/10
#1652
Geschrieben 14. März 2009, 10:20
Out Of The Past (Goldenes Gift) ~ USA 1947
Directed By: Jacques Tourneur
Der Automechaniker Jeff Bailey (Robert Mitchum) versucht seiner jüngeren Vergangenheit als Privatschnüffler vergebens zu entfliehen. Gangsterboss Whit Sterling (Kirk Douglas) und sein Liebchen Kathie Moffat (Jane Greer), die Bailey in eine heiße Affäre im schwülen Mexiko gerissen hat, lassen ihn nicht vom Haken. Bailey soll nachträglich für seinen ersten, in eigener Sache vergeigten Auftrag, bei dem es darum ging, Kathie, die mit einer stattlichen Summe von Sterling durchgebrannt ist, zurückzubringen, geradestehen. Dafür schickt Sterling ihn nach San Francisco, wo er einen konkurrierenden Nachtclubbesitzer, der im Besitz entlarvender Dokumente über Sterling ist, ausfindig machen soll. Dass dabei zugleich Bailey über die Klinge springen soll, durchschaut der hartgekochte Kettenraucher zwar, sein Leben hängt aber nichtsdestotrotz am seidenen Fädchen, auch wegen der Durchtriebenheit seiner Ex-Gespielin.
"Out Of The Past" ist vielleicht Tourneurs wichtigste Arbeit; ein film noir, der heuer geläufige Stereotypen nicht nur miterfindet, sondern gleich vor Ort detailliert ausarbeitet. Darüberhinaus macht der Film die zutiefst moralischen und nicht selten misogynen Aspekte der Gattung transparent. Eine bürgerliche Existenz ist für ihre Halbweltfiguren nämlich in den meisten Fällen kaum mehr möglich, nachdem sie ihre Nase einmal zu tief in die Abgründe menschlicher Verworfenheit gesteckt haben - und seien sie auch noch so gewieft in ihrer Handlungsweise. Bailey, der sich in einem kleinen kalifornischen Nest längst ein alternatives Dasein errichtet hat inklusive neuer Freundin (Virginia Huston) aus gutem, rechtschaffenem Hause, kann sich trotz aller Bemühungen nicht freistrampeln vom Ballast des Vergangenen. Dazu hat er seinerzeit zu viel Blut geleckt, ist den Verlockungen der eiskalten Dämonie (die wie üblich von einem weiblichen Objekt inkarniert wird) zu weit in den Höllenschlund gefolgt. Der erste Tote, Baileys alter Partner (Steve Brodie), der sich vom Detektivhandwerk der Erpressung zugewandt hat, geht ebensowenig auf des Helden Konto wie die späteren Leichen - mit einer gerechtfertigten Ausnahme.
Licht und Schatten, davon macht Tourneur hier zu Recht inflationären Gebrauch, denn Grautöne gibt es in der vornehmlich schwarzen Dimension des film noir nicht. Der magnetische Reiz der rauchschwangeren Unterwelt - glücklicherweise genügt er unsereinem in Filmform.
10/10
#1653
Geschrieben 15. März 2009, 11:36
Der Baader Meinhof Komplex ~ D/F/CZ 2008
Directed By: Uli Edel
Von den 68ern bis zur Schleyer-Ermordung, also runde zehn Jahre, umfasst die Verfilmung von Stefan Austs Buch über die Strukturen und Aktionsradien der RAF. Dabei werden insbesondere die Titelträger Andreas Baader (Moritz Bleibtreu) und Ulrike Meinhof (Martina Gedeck) nebst Baaders Freundin Gudrun Ensslin (Johanna Wokalek) einer detaillierteren Betrachtung unterzogen.
Zum Unterhaltungskino umfunktioniertes Epochenporträt nach Austs Bestseller, in dem Aktion und großgestischer Impetus Trumpf sind. Uli Edel, der zum dritten Mal in der Funktion des Erfolgsbuch-Adaptierers für Eichinger tätig ist, lässt die Zeit der Stadtguerilla und der frühen Siebziger alles andere als bleiern wirken, sondern greift zu den üblichen Stilismen, die für den beim Publikum wohl zwangsläufig zu evozierenden "Retrocharme" unabdingbar sind: Collageartige Zusammenschnitte von authentischem und nachträglich angefertigtem Filmmaterial, zeitgenössische Musik (mit Janis Joplins "Mercedes Benz" geht's los, dann findet sich u.a. noch Deep Purples emotional-falsetthaft vorgetragenes "Child In Time" auf der Tonspur). Für die erste Generation zählten offenbar mehr der Spaß an der Sache zusammen mit einer umstürzlerischen Attitüde als eine ernsthafte Beschäftigung mit der Zielrichtung der eigenen Vorgehensweise. Untergrund als Popsong. Da wird aus vollen Händen freie Liebe praktiziert und sich beim Militätrtraining in Jordanien nackt auf einem Häusledach gesonnt, die zutiefst pikierten "Kameltreiber können uns mal".
Kurzum: "Der Baader Meinhof Komplex" stellt dar ohne zu analysieren und zeigt ohne zu deuten. Als dokumentarischer Spielfilm, besonders angesichts der zeitgenössischen Arbeiten von Schlöndorff, Hauff oder von Trotta ist er damt schlicht unseriös. Als kurzweiliges Entertainment indessen stimmt er. Wohl dem, der hinreichend zu differenzieren in der Lage ist, denn jener kann sich Edels Film durchaus augenzwinkernd gefallen lassen. Die DVD-Premium-Edition lohnt sich übrigens besonders wegen eines rund einstündigen Interviews mit Stefan Aust, der zwar etwas inflationär die Wendungen "total irre" und "das muss man sich mal vorstellen" gebraucht, als Gesprächspartner von Eichinger- Frau Katja aber ein angenehmer und mitteilsamer Zeitgenosse ist. Zur Vervollständigung einer RAF-Videothek ergo unerlässlich.
7/10
#1654
Geschrieben 16. März 2009, 20:27
The Odd Couple (Ein seltsames Paar) ~ USA 1968
Directed By: Gene Saks
Nachdem seine Frau ihn verlassen hat, zieht der suizidale Felix (Jack Lemmon) bei seinem besten Kumpel Oscar (Walter Matthau), ebenfalls seit einigen Monaten geschieden, ein. Die beiden erweisen sich als größtmögliche Gegenpole: Während Oscar Mief, Dreck, Schlamperei und Dosenbier liebt, pflegt Felix eine Ordnungsneurose, die über jedes Pedanterie-Maß hinausreicht. Bald scheppert es gehörig zwischen den Freunden.
Interessanterweise stammt - entgegen landläufiger Annahmen übrigens - die populärste und beliebteste Lemmon/Matthau-Kollaboration gar nicht vom "Erfinder" des Duos, sondern von dem Broadway-Regisseur Saks, der mit "The Odd Couple" ein vor wunderbarem Dialog strotzendes Stück von Neil Simon (nach dessem eigenem Script) inszenierte. Als Erzählort dient daher zu großen Teilen Oscars Wohnzimmer - eine Art Blaupause für die bis heute gültige Ort-/Zeit-Kallibrierung amerikanischer Sitcoms, hier allerdings noch in Scope, fürs Kino und den einen oder anderen Ausflug auf die 42. Straße eben nicht scheuend. Ein logischer Schluss, dass "The Odd Couple" bald darauf selbst zu einer recht langlebigen CBS-Show "umgebaut" wurde, mit Tony Randall und Jack Klugman in den Rollen Lemmons und Matthaus.
Wie dem auch sei, "The Odd Couple" lebt von seinen unglaublichen Bonmots, die fast allesamt der großartige Matthau, ohnehin das Zentrum des Films, von sich geben darf. Wie er, schmierig und lechzend vor sexuellem Notstand, versucht, die beiden Britgirls (Monica Evans, Carole Shelley) von einer Etage höher rumzukriegen, das hat absoluten komödiantischen Seltenheitswert. Einfach toll, der Kerl.
8/10
#1655
Geschrieben 18. März 2009, 16:36
Night Of The Eagle (Hypno) ~ UK 1962
Directed By: Sidney Hayers
Der Collegeprofessor und gestrenge Rationalist Norman Taylor (Peter Wyngarde) staunt nicht schlecht, als seine Gattin Tansy (Janet Blair) ihm nach dem Fund diverser im heimischen Wäscheschrank gut versteckter Fetischgegenstände eröffnet, dass sie sich nicht nur mit Schwarzer Magie beschäftige und sich durchaus als Hexe bezeichnen würde, sondern dass Norman ihren Künsten sogar den gradlinigen Verlauf seiner Karriere und sogar sein Leben (das nach einem Unfall gerettet wurde) zu verdanken habe. Norman, der das alles für üble Spinnerei hält, verbrennt zusammen mit der an beständiger Harmonie interessierten Tansy den ganzen Krempel und sieht sich gleich am nächsten Tag diversen unangenehmen Situationen im Alltag ausgesetzt. Sollte an Tansys Geschichten etwa doch etwas Wahres sein?
Ein von der Anglo-Amalgamated ebenso kostengünstig wie effektiv produziertes Schauerstück, das nur ganz selten mit dem vordergründigen Spezialeffekt kokettiert und seine beklemmende Atmosphäre eher jener Suggestion verdankt, die abseits des Sichtbaren liegt. Nicht eintreffende Ankündigungen eines Höllenspektakels vor der Haustür gehören ebenso dazu wie zuweilen der bloße Verlass auf die Tonspur und flugs verwendbare, visuelle gotische Gruselelemente, als da wären: Spinnen, Gruften, Friedhöfe oder einfach nur die nächtliche Küste von Cornwall. Damit steht "Night Of The Eagle" am Ehesten in der Tradition der u.a. von Tourneur in Szene gesetzten Lewton-Produktionen aus den vierziger Jahren, die ihr höchst eigenwilliges Konzept vom in den Alltag einbrechenden Grauen in ganz ähnlicher Weise realisiert hatten. Auch dort waren die Ursachen für das paranormale Geschehen primär in den Protagonistenpsychen zu suchen und weniger in naturwissenschaftlich erklärbaren, physikalischen Phänomenen. Die Indizien dafür, dass das Geschehen in "Night Of The Eagle" jemals die Grenzen des Übernatürlichen überschreitet, hält Hayers jedenfalls bewusst sparsam, um nicht sogar festzustellen: Er überlässt gänzlich uns, seinem Publikum, die Suche danach.
8/10
#1656
Geschrieben 19. März 2009, 19:01
Sayonara ~ USA 1957
Directed By: Joshua Logan
Während des Koreakriegs wird der treffsichere Airforce-Offizier Gruver (Marlon Brando) nach Kobe in Japan versetzt. Dort soll er seine Verlobte Eileen (Patricia Owens), Tochter des Generals Webster (Kent Smith) zur Frau nehmen. Wie Webster ist auch Gruver ein Feind von "Fraternisierungen", im Armee-Jargon nichts anderes als ein Ausdruck für Mischehen zwischen US-Soldaten und japanischen Frauen. Dennoch gibt Gruver der Bitte seines Freundes Kelly (Red Buttons) nach, als Treuzeuge bei dessen Heirat mit einer Japanerin (Miyoshi Umeki) zu fungieren. Als Gruver selbst sich dann in eine Einheimische (Miiko Taka) verliebt, ist er gezwungen, sein Weltbild neu zu ordnen und darüberhinaus mit Vehemenz dafür einzutreten.
Einer der ersten massenkulturellen Annäherungsversuche der USA resp. deren medialem Repräsentanten Hollywood an den früheren Kriegsgegner und jetzigen Wirtschaftskonkurrenten, der bezogen auf seine innere Behäbigkeit als ein im Fernost-Milieu angesiedeltes Pendant zu den Sirk-Melodramen aufgefasst werden darf. Wie bei diesen spielt auch in "Sayonara" eine erlesene Scope-Fotografie für den Regisseur; nicht nur werden diverse bunte Theaterszenarien urlaubskataloghaft abgebildet, auch die Landschaft, Feng-Shui-Innenarchitekturen und Teezeremonien finden Platz in dem als Japan-Kaleidoskop angelegten Drama. Sirk hatte dabei zumindest nie den Fehler begangen, darstellerische Schwergewichte zu besetzen, die ihm seine Inszenierung hätten streitig machen können - Brando allerdings ist ein ganz eindeutig zu großes Kaliber für die seichte Dramatik, mit der es hier zu tun bekommt. Selbstredend spielt er grandios, das ist gar nicht der Punkt, allein sein Spiel passt nicht recht in einen Film, in dem er als Zentrum und Publikumsvermittler für eine mit dem Fluch der völkischen Tabus behaftete Liaison stehen soll. Brando spielt förmlich gegen das flache Potenzial seines Parts an - vergebens. Was bleibt, ist ein gepflegter Bilderbogen, dessen Beständigkeit allein seinem - immerhin denkwürdig formulierten - Zeitkolorit zu verdanken ist.
6/10
#1657
Geschrieben 20. März 2009, 14:03
Trees Lounge ~ USA 1996
Directed By: Steve Buscemi
Tommy (Steve Buscemi) hat vor kurzem seinen Job als Automechaniker verloren und damit jetzt noch mehr Zeit, in seiner Lieblingspinte, dem 'Trees Lounge' abzuhängen. Seine privaten Ärgernisse schmälert dies nicht: Tommys Exfreundin Theresa (Elizabeth Bracco) bekommt ein Baby, dessen Vater ebensogut Tommy sein könnte wie Theresas neuer Lover Rob (Anthony LaPaglia), zugleich Tommys früherer Boss. Zudem kann Tommy, nachdem er einen neuen Job als Eiswagenfahrer angenommen hat, nicht die Finger von Theresas gerade 17-jähriger Nichte Debbie (Chloë Sevigny) lassen, was ihm deren Vater Jerry (Daniel Baldwin) wiederum ziemlich übel nimmt.
"Trees Lounge" ist so betont indie, indier geht's schon gar nicht mehr. Man ist geradezu verwundert, dass unter den company credits nicht irgendwo der Name Miramax auftaucht. Buscemi, bekanntlich eine Darsteller-Ikone der alternativen US-Filmszene, nutzte das Projekt um sich selbst als auteur zu profilieren, was ihm dann auch halbwegs gelang. Neben dem obligatorischen Seymour Cassel gibt's da noch einige Schauspielgrößen zu bewundern, die, auch das nichts Neues, solche Gelegenheiten gern benutzen, um sich renommierte Vita-Einträge zu verschaffen, die im Prinzip ja doch viel mehr Glanz abstrahlen als irgendwelche Studiofilme mit Aliens. Vor runden 15 Jahren hielt ich diese Art Film, darunter auch "Trees Lounge" für das absolute Nonplusultra des Mediums, mittlerweile distanziert sich der Blick etwas. Kalkuliert waren und sind nach den ersten Erfolgen innerhalb der Branche nämlich durchaus auch solche Werke, insbesondere, wenn ihnen zugkräftige Namen vorstehen. "Trees Lounge" ist zwar ein sehr unterhaltsamer und auch ganz gewiss kein schlechter Film geworden, kann sich jedoch neben seiner risikoarmen Inszenierung selten entscheiden, ob er lediglich observiert oder zugleich moralisieren soll. Das Verliererdasein ist ja irgendwie doch drög und läuft auf Sackgassenkurs, schon erst recht, wenn man mal gern einen trinkt. Am Ende nimmt Tommy den Tresenplatz des Stammgasts Bill (Bronson Dudley) ein, der gerade im Spital sein Leben aushaucht - den Suff hat eben der Deibel gemacht. Und noch einiges mehr wird da verdammt in Lektionen, die man draußen, abseits vom Indiefilm, nachhaltiger zu lernen imstande ist.
7/10
#1658
Geschrieben 20. März 2009, 18:52
Hellraiser ~ UK 1987
Directed By: Clive Barker
Der Glücksritter Frank Cotton (Sean Chapman) ersteht irgendwo im Morgenland eine mysteriöse Box, die höchste Lüste und Qualen zugleich verspricht. Daheim im englischen Elternhaus öffnet er den Würfel, um dann von den Cenobiten, seltsamen Sadowesen aus einer anderen Dimension, buchstäblich zerrissen zu werden. Da kommt ihm seine Schwägerin Julia (Clare Higgins), die soeben mit ihrem Gatten Larry (Andrew Robinson), Franks Bruder, zurück in das Londoner Haus zieht, gerade recht: Julia pflegte nämlich eine stürmische Affäre mit Frank, die dieser nun nutzt, um sich durch Julia Menschenopfer darbringen zu lassen, auf dass er sich auf dem Dachboden reinkarnieren und dem Reich der Cenobiten entkommen kann. Als Larrys Tochter Kirstie (Ashley Laurence) davon Wind bekommt, dreht sie den Spieß um.
Clive Barkers wunderbar schwarzes Bestiarium weichte die Genregrenzen bis zu einem gewissen Punkt auf, um sie dann neu zu definieren und abzustecken. Um die Entstehungszeit von "Hellraiser" lag vieles um den Horrorfilm im Argen, man wurde zunehmend regressiv, albern, ironisch oder schlicht billig. Wirklich ernstzunehmende Beiträge waren entweder bereits verjährt oder wurden so tief im Underground hergestellt, dass die Oberfläche sie kaum mehr zu Gesicht bekam. Barkers Visionen vermochten da endlich das große Erschüttern. Trotz einer chronalen Verbundenheit zu den zeitgenössischen psychologischen Strukturen (als da wäre die teenage heroine, die durch ihre Reinheit und Unbedarftheit als einzige gegen die Höllengesellen bestehen kann), bot "Hellraiser" ein sehr ungewohntes, tief im moralischen Morast verwurzeltes Seherlebnis zwischen sexuellen Perversionen und Abhängigkeiten. Bild- und Tongestaltung gingen mit abgründigen Ahnungen schwanger, die trotz sonst nur von Cronenberg gewohnter, physischer Auflösungsdetails weitaus weniger zeigten, als sich im Verborgenen abspielt: Hardcore-Horror in einer beinahe soften Variante, in seiner buchstäblichen Publikumsluftröhrenverschnürung höchstens zu vergleichen mit Friedkins "The Exorcist". Wollte man eine Kanonisierung ikonischer Genrefilme wagen, dürfte "Hellraiser" in keinem Falle ungenannt bleiben, sein wilder Stil prägt und beatmet Filmemacher wie Guillermo del Toro und den Horrorfilm im Allgemeinen bis heute.
9/10
#1659
Geschrieben 21. März 2009, 10:04
Eye Of The Tiger (Der Tiger) ~ USA 1986
Directed By: Richard C. Sarafian
Obwohl in seiner mittelwestlichen Heimatstadt ungern gesehen, kehrt der soeben aus dem Knast entlassene Buck Matthews (Gary Busey) genau dorthin und zu seiner Familie zurück. Der erzkorrupte Sheriff (Seymour Cassel) gibt Buck bei seiner Ankunft sogleich unmissverständlich zu verstehen, dass er hier unerwünscht sei, zudem macht eine Horde marodierender Motorradrocker unter Vorsitz des finsteren Blade (William Smith) die Gegend unsicher. Als Buck eine Vergewaltigung durch selbige im letzten Moment verhindert, keimt eine Blutfehde auf. Und diese kennt nur einen Sieger - den Tiger!
Das sind Auffrischungen, wie ich sie mag: Nicht nur, dass ein Kindheitsklassiker sich als nach wie vor äußerst beständig erweist, es zeigen sich im Vergleich zur ehedem x-mal geschauten Videofassung sogar noch einige feine Extradetails. Dass dieser schmal produzierte Mid-80s-Actioner tatsächlich von demselben Regisseur stammen soll, der einst mit "Vanishing Point" einen der schönsten und aufschlussreichsten New-Hollywood-Filme verantwortete, mutet indes schon etwas seltsam an. "Eye Of The Tiger" klaut, was das Zeug hält; er klaut bei den ersten beiden "Mad Max" - Filmen und bei "High Noon", dessen denkwürdig inszeniertem Hilfsgesuch durch den Marshal Will Kane Sarafian geradezu vortrefllich in einer Bingo-Szene huldigt, in der Busey die mit triefendste (Lokal-)Patriotismus-Ansprache hält, die man jemals das Vergnügen hatte, in einem Genrestück zu sehen. Toll auch der Besetzungs-Support mit Yaphet Kotto, William Smith, Indie-Ikone Cassel und Bert Remsen, der den Selbstjustiz-Diskurs diesmal in theologische Bahnen leitet - dermaßen inkonsequent und unbeholfen freilich, dass das Grinsen weder verkniffen werden kann noch soll. Gemäß dem Titel des Films gibt's darüberhinaus ein mehrfaches Wiederhören mit dem ursprünglich "Rocky III" repräsentierenden Survivor-Song gleichen Namens sowie einer flotten James Brown - Nummer, die Yaphet Kotto bei seiner Flugzeugattacke spielt. "Eye Of The Tiger" - i mog di. No imma.
5/10
#1660
Geschrieben 21. März 2009, 10:31
Stuck ~ USA/CAN/UK/D 2007
Directed By: Stuart Gordon
Die Altenpflegerin Brandi (Mena Suvari) fährt im Post-Disco-Ecstasytran den just obdachlos gewordenen Thomas (Stephen Rea) an. Dieser bleibt blutbesudelt und mit gebrochenem Gebein in Brandis Windschutzscheibe stecken. Da niemand Zeuge des Unfalls geworden ist, fährt Brandi mit dem unglücklich verkeilten Unfallopfer in die heimische Garage und lässt ihn dort erstmal stehen. Da sich ihr soeben die Chance zu beruflichem Aufstieg bietet, kann sie eine derartige Affäre momentan nicht gut gebrauchen, und beschließt, sich Thomas' mit der Hilfe ihres Freundes Rashid (Russell Hornsby) unerkannt zu 'entledigen'. Doch Thomas ist zäher als vermutet...
"Stuck" ist ein für Gordon-Verhältnisse so erfreulich scharf wie realitätsnah umrissener Sozialkommentar, der seine Nase gleich in mehrere gesellschaftlich etablierte Institutionen steckt und betont ungeschönte Details wie vollgeschissene Seniorenbetten und durch Scheibenwischer penetrierte Wunden präsentiert. Von Anbiederung an Massengeschmäcker also keine Spur, vielmehr scheint Gordon eine in erster Linie für sein kunstblutgewohntes Stammpublikum goutierbare Studie um Fragen der Ethik in Zeiten von Entfremdung, Egozentrik und Distanzwahrung im Sinn gehabt zu haben. Suvari als dreadlockbewährte Krankenschwester, die ihre Freizeit nurmehr im Amphetaminrausch erträgt, vergisst all ihre auf der Arbeit vorgebrachte Fürsorge und Philanthropie im Angesicht der persönlichen Hürde. Das ist eine äußerst bittere Wahrheit, die umso bitterer erscheint angesichts der Erkenntnis der authentischen Ursprünge des Films. Und noch relevanter wirken dessen Implikationen infolge der stillen Momente, die vornehmlich dem toll aufspielenden Rea gehören: Sein Gang zur Arbeitsvermittlung zählt ebenso dazu wie die erste Nacht auf einer Parkbank, die ihm durch die Introduktion eines erfahrenen Tippelbruders (Lionel Mark Smith) 'versüßt' wird.
8/10
#1661
Geschrieben 22. März 2009, 14:26
Gomorra (Gomorrha - Reise in das Reich der Camorra) ~ I 2008
Directed By: Matteo Garrone
In fünf parallel erzählten Geschichten berichtet "Gomorra" von der napolitanischen Camorra-Hierarchie, die filmischen Eindrücke reichen dabei von den (buchstäblich) kleinsten Zahnrädchen, die für die schmutzigsten Aufträge verantwortlich sind und von der Allmacht träumen bis hin zu den ihr Vermögen mit illegaler Müllentsorgung und Modeschneiderei machenden großen Dons.
Mit der Veröffentlichung seines aufsehenerregenden dokumentarischen Buches hat sich der Autor Robert Saviano vor drei Jahren selbst auf die Abschussliste der Camorra, der Neapel beherrschenden Mafia, gesetzt und muss seither Polizeischutz in Anspruch nehmen um nicht Opfer eines Attentats zu werden. Die Vorlage ist im Prinzip keine solche, sondern diente vornehmlich als Inspiration für das von Saviano mitverfasste Filmscript. Jenes bedient sich im Gegensatz zum Buch keiner authentischen Details sondern fiktionalisiert Ereignisse und Namen, schon aus Schutzgründen und weil eine halbwegs sichere Umsetzung sonst wohl kaum möglich gewesen wäre. "Gomorra", der Titel stellt eine Konnexion zwischen dem biblischen Sündenbabel gleichen Namens und dem Neapel der Gegenwart her bzw. beruft er sich auf die phonetische Ähnlichkeit mit dem Rufnamen der Neapel regierenden Kraft, legt Strukturen offen, berichtet nicht nur vom kaum erträglichen Slumalltag, sondern stellt auch in unmissverständlicher formaler Ökonomie Geschäftsprozesse dar, die man als thematischer Laie zunächst kaum mit dem klassischen Image der Mafia assoziieren würde. Die finanziellen Mittel aus den illegalen Geschäften werden in legalen angelegt, um eine seriöse Fassade wahren zu können. Das hat mit der Romantisierung durch die Poliziotti und Gangsterfilme der Siebziger nichts zu tun, das ist knallharte Faktenwiedergabe. Ein Kommissar Rizzo findet hier längst keinen Platz mehr. Was mir damit verbunden an "Gomorra" nicht besonders gefallen hat, war seine vollkommen trockene Nüchternheit, die sich jede emotionale Anbindung ans Publikum versagt und sich betont bemüht, eine allzu offensichtliche Dramaturgie zu vermeiden. Das könnte man durchaus als innovativ innerhalb der Genregrenzen bezeichnen, die seit "The Godfather" im Prinzip in einem festgezurrten Radius aus Epik und narrativer Sicherheit gesteckt sind. Mir war das schlicht zu drög und beiläufig. Möchte aber nicht ausschließen, dass der Film mir beim nächsten Mal mehr zu sagen haben könnte. Tatsächlich wünschte ich mir dies sogar.
6/10
#1662
Geschrieben 24. März 2009, 17:52
Joy Division ~ UK 2007
Directed By: Grant Gee
Dokumentation zu einer der einflussreichendsten britischen Bands des späten letzten Jahrhunderts, in deren Zentrum unweigerlich der durch Suizid zu Tode gekommene Sänger Ian Curtis steht.
Interessant an "Joy Division" ist vor allem die Infokusnahme der Konnexion zwischen der Combo und ihrer Brutstätte Manchester, die als monotone, triste Industriestadt zweifelsohne wie geschaffen war, um eine solch todessehnsüchtig anmutende Musik zu gerieren. Man ist sich einig, dass Joy Division und mit ihnen die Gründung des Factory-Labels durch Tony Wilson und die spätere spaßhafte Titulierung der Stadt als 'Madchester' retrospektiv eine enge Kausalität verzeichnen und einhergehend mit dem explosiven Erfolg der Gruppe auch Manchester eine kleine kulturelle Wiedergeburt erleben konnte. Die Doku gestaltet sich auch deshalb sehr angenehm, weil sie auch für alteingesessene Connaisseure noch einiges Neues in Form von Anekdoten und Bildern zu bieten hat, zumal die Restmitglieder aka 'New Order' ja erst kürzlich ihr jahrelanges Schweigen um Curtis und seinen Selbstmord gebrochen haben.
8/10
#1663
Geschrieben 24. März 2009, 18:09
X (Der Mann mit den Röntgenaugen) ~ USA 1963
Directed By: Roger Corman
Dr. Xavier (Ray Milland) ist besessen von der Idee, den optischen Wahrnehmungsbereich des Menschen auf atomare Ebene auszudehnen. Zu diesem Zweck entwickelt er ein Mittel, das ebendiese Fähigkeit möglich machen soll. Nachdem sein Versuchsaffe bereits seltsam auf eine Testreihe reagiert hat, träufelt Xavier sich selbst das Serum in die Augen. Tatsächlich beginnt es zu wirken, der Wissenschaftler kann durch Dinge hindurchsehen und erlebt einfache Gegenstände als schillernde Prismen. Bis ins Mark fasziniert von seiner Droge beginnt Xavier jedoch, eine Abhängigkeit danach zu entwickeln und sein Wesen zu verändern...
Inmitten seines Poe-Zyklus erarbeitete Corman mit Ray Milland, der für ihn bereits den Guy Carrell in "The Premature Burial" gespielt hatte, diesen so schönen wie sonderbaren Sci-Fi-Klassiker, dessen Ausrichtung zwischen den Polen umherzupendeln scheint: Amüsante Momente gibt es da ebenso wie schockierende; selbstredend nutzt Xavier seine neugewonnene Sehstärke auch, um den Leuten unter bzw. durch die Wäsche zu glotzen - anfangs völlig unfreiwillig natürlich, immerhin ist es ja Ray Milland, der da vor sich hinspannert. Nachdem seine Fähigkeiten ihm jedoch unmerklich zum Fluch geworden sind, gibt es für Xavier kein Zurück mehr. Die Konsequenz, die er selbst daraus zieht, ist so ultimativ wie bestürzend. Neben ein paar inszenatorischen Schlampereien, die insbesondere in der verqueren Perspektivlage zu suchen sind (Corman zeigt uns manches Mal Xaviers prismische Eindrücke, jedoch ohne von dessen direkter Warte auszugehen), gibt es auch wundervolle Regieeinfälle: Als Xavier in Las Vegas ankommt, um mit seinen Röntgenaugen ein paar Croupiers auszutricksen, sehen wir die Stadt durch seine Augen wie ein wahnwitziges Lichtermeer.
8/10
#1664
Geschrieben 24. März 2009, 18:35
Rosa Luxemburg ~ D 1986
Directed By: Margarethe von Trotta
Porträt der linken Klassenkämpferin und Kriegsgegnerin Rosa Luxemburg (Barbara Sukowa), die das politische Bild Deutschlands im Vorfeld der Weimarer Republik entscheidend geprägt hat. Ihre flammenden Reden gegen die Ausbeutung des Proletariats, gegen Militarismus und Aufrüstung brachten ihr soviel Lob wie Häme ein und ließen sie schließlich, während des Ersten Weltkrieges, jahrelang als Vaterlandsverräterin ins Gefängnis wandern. Mehrere Liebschaften, darunter eine besonders intensive mit dem polnischen Sozialisten Leo Jogiches (Daniel Olbrychski) und dem jungen Kostja Zetkin (Hannes Jaenicke), gehören ebenso zu ihrer Biographie wie lange Phasen der Einsamkeit und der Isolation. Im Januar 19, kurz nach der Gründung der KPD, wird sie am selben Tag wie ihr Parteigenosse Karl Liebknecht (Otto Sander) von rechten Freikorpslern unter Führung Waldemar Pabsts (Hans-Michael Rehberg) inWilmersdorf ermordet.
Manche Filme werden besser von Frauen gemacht - insbesondere, wenn es sich um Biographien starker Persönlichkeiten ihres Geschlechts handelt. Von Trottas früherer Ehemann Schlöndorff oder Fassbinder, der das Projekt "Rosa Luxemburg" zu Lebzeiten noch hatte angehen wollen, hätten daraus möglicherweise eine wesentlich trockenere, farblosere Abhandlung ohne das für das Resultat wichtigste Element, den weiblichen Zugang, erstellt. So ist es gut, dass Rosa Luxemburg ihre cineastische Auferstehung so begehen konnte, wie es in diesem Film zu sehen ist. Margarete von Trotta gestattet sich einige schmückende Details und lässt andere wichtige, wie etwa Luxemburgs Begegnung mit Lenin oder ihre Stellung als SPD-Parteischullehrerin beiseite - strittige, letztlich aber berechtigte Entscheidungen angesichts der Geschlossenheit und des Flusses ihres Werks. Im Hinblick auf die Darsteller muss man Sukowa, die trotz ihrer mangelnden physiognomischen Ähnlichkeit zu dem kantig-burschikosen Original wahrscheinlich ihren vielzitierten 'Lebenspart' spielt sowie den knarzigen Sander hervorheben. Danach sind andere Interpreten dieser Rollen kaum mehr vorstellbar.
Großes Geschichtskino.
9/10
#1665
Geschrieben 26. März 2009, 15:48
The Mission ~ UK 1986
Directed By: Roland Joffé
Brasilien, 1750: Oberhalb der Wasserfälle des Iguazú errichtet der tapfere spanische Jesuitenpater Gabriel (Jeremy Irons) eine Mission, die als Christianisierungszentrum für die Guaraní-Indianer fungiert. Nachdem Gabriel den reuigen Ex-Sklavenhändler und Brudermörder Mendoza (Robert De Niro) ebenfalls zum Jesuitenorden berufen konnte, sieht er sich einer neuen Bedrohung des Naturidylls gegenüber: Die Gründe der Guaraní sollen unter portugiesische Kolonialherrschaft gebracht werden, was für die Indios ein Leben in Sklaverei bedeutete. Während Mendoza wieder zum Degen greift, um seinen neuen Brüdern zu helfen, versucht Gabriel den passiven Widerstand - beide scheitern.
Die Tragik des Roland Joffé: Nach zwei ausnehmend beeindruckenden Filmen - diesem und "The Killing Fields" - die ihn in die Nähe von eigenwilligen Regisseuren wie Malick und Herzog zu rücken schienen, kam von ihm nichts annährend Vergleichbares mehr. Es scheint, als sei sein Feuer nur ganz kurz und dafür umso intensiver gelodert, um dann auf Sparflamme heruntergefahren zu werden. Innerhalb des Kanons der großen in Amerika angesiedelten Kolonialisierungstragödien nimmt "The Mission" einen der obersten Plätze ein mit seinen Bildern, die in einer Klarheit und Pracht erstrahlen, wie es sie in den 1980ern, dem Jahrzehnt der diesigen, verqualmten Discos, des feuchten Neonlichts und der Dämmerungen nur selten zu sehen gab. Darin liegt, wie schon bei "The Killing Fields", auch ein enormes ökologisches Verständnis und zahlreiche Liebeserklärungen an die Unberührtheit urwüchsiger Natur, ebenso wie die Verdammung imperialistischer Arroganz. Mit Irons und De Niro spielten überdies zwei Darsteller auf, deren Namen ihrerzeit bereits Garantien versprachen. Einzig die etwas im Unkritischen belassenen Missionarstätigkeiten stoßen mir bei Joffés Film ein wenig übel auf - ansonsten bietet er ästhetischen Höchstgenuss.
8/10
#1666
Geschrieben 26. März 2009, 16:11
The Gambler (Spieler ohne Skrupel) ~ USA 1974
Directed By: Karel Reisz
Der Literaturprofessor und Spieler Axel Freed (James Caan) rutscht immer tiefer in den Dreck. Seine Schulden bei zwielichtigen Buchmachern übersteigen längst die 40.000er-Grenze, doch selbst diese Warnschilder sind für ihn kein Anlass zur Läuterung. Hilfe in Form von Darlehen und anderen Finanzspritzen findet er bei Kredithaien sowie bei seiner verzweifelten Mutter (Jacqueline Brookes). Und irgendwie schafft er es trotz brenzligster Situationen immer wieder, sich am eigenen Schopf aus der Grube zu ziehen - freilich nie, ohne andere dabei über die Klinge springen zu lassen. Als er einen seiner Studenten (Carl W. Crudup) zum Spielball der Wettmafia werden lässt, begreift er die Tragweite seines Tuns.
Muss zunächst dem Kollegen Munson für den Hinweis zu diesem mir bislang völlig unbekannten Weltfilm aus den goldenen Siebzigern danken. Mir ein Rätsel, wie "The Gambler" mir bis dato durch die Lappen gehen konnte. Nun, als existenzialistische Studie über und um Spielsucht nimmt Reisz' Film eine besondere Position ein: Nicht nur, dass das Opfer jener Krankheit als Bildungsbürger sich selbst erschöpfend zu analysieren vermag; er lässt sich auch erhobenen Hauptes auf immer derbere Wettgeschichten ein, die ihm zwangsläufig eine höllische Talfahrt bescheren werden und ist damit eine Art genealogischer Vorläufer von Ferraras "Bad Lt." James Caan, der als Actionheld und Mann der Tat mit einem leicht proletarischen Hauch stets besser besetzt war, fehlt es zwar ein bisschen an Verve, um einen Intellektuellen zwischen Depression und Manie zu verkörpern, doch sei's drum. Wertet man seinen Auftritt als Mosaikstein einer wenn auch kurzlebigen New-Hollywood-Ikone, die im Nachhinein als durchaus unerlässlich innerhalb ihres Fachs betrachtet werden darf, stimmt das Ganze schon. Was den Film letztlich wirklich unersetzlich macht, ist Reisz' mutig beiläufige Inszenierung, die mit einer musikalischen Melange des Komponisten Jerry Fiedling und Mahler ungeahnte Resonanzräume erhält. "The Gambler" plätschert, unterbrochen von schmerzlichen kleinen Seitenhieben so angenehm bis zu seinem eigenartig triumphalen Abschluss dahin, dass das Zuschauen ein wahrer Genuss ist.
9/10
#1667
Geschrieben 26. März 2009, 16:31
Vargtimmen (Die Stunde des Wolfs) ~ S 1968
Directed By: Ingmar Bergman
Der Maler Johan Borg (Max von Sydow) verlebt die meiste Zeit mit seiner Frau Alma (Liv Ullmann) auf einer kargen Insel in der Ostsee. In einer kleinen Baute finden sie scheinbar alles, was sie zu ihrem Existenzglück benötigen - bis Johan, respektive die Lektüre seines Tagebuchs, Alma von seltsamen Gestalten berichten, die ihn bei seiner Arbeit in den Küstenfelsen belagern - darunter ein Schlosseigner (Erland Josephson), der das Paar zu einer Soirée einlädt. In dem Gemäuer finden sich noch eine ganze Zahl bourgeoiser Schmarotzer, die Alma und insbesondere Johan zunehmend nervös machen. Johan verfällt nach und nach einem sich immer enger vernetzenden Gestrüpp aus Wahnvorstellungen, innerhalb derer eine verflossene Liebschaft (Ingrid Thulin) und ein ermordeter Junge (Mikael Rundquist) zentrale Rollen spielen - bis der Maler dann, nach einer letzten Visite auf dem Schloss, spurlos verschwindet.
Bergmans surrealistisches Künstlerdrama speit lustvoll aus vor der Verständnislosigkeit des Bürgertums im Angesicht der Kunst. Johan Borg beteuert nicht nur einmal, dass nicht die Rezeption oder auch die allgemeine Akzeptanz seines Werks von Interesse für ihn seien, sondern lediglich dessen Schaffensprozesse. So sehr er sich auch bemüht, seinen Gastgebern dies transparent zu machen - es ist und bleibt zwecklos. Die Figuren des Schlosses, die Johan als "Menschenfresser" bezeichnet, sind von höchster Penetranz: Ein geschwätziger Prokurist (Georg Rydeberg) findet sich darunter, eine aufdringliche Gräfin (Gertrud Fridh), zugleich die Gattin des Schlossherrn, und eine alte Dame (Naima Wifstrand), die "mit ihrem Hut ihr Gesicht abnehmen kann" und tatsächlich eine wandelnde Tote zu sein scheint. Die tiefverwurzelte Abscheu vor dieser Gruppe, gepaart mit einer verhängnisvollen Hörigkeit zu seiner früheren Geliebten Veronika Vogler treiben Borg tief zurück in sein Inneres und damit in die unerforschlichen Tiefen einer brüchigen Künstlerseele. Wäre der Film nicht so weit weg von mir, ich fände ihn überwältigend. So bleibt nur der gewaltige Respekt vor Bergmans Werk, das zu fassen einem womöglich nicht alle Tage vergönnt ist.
8/10
#1668
Geschrieben 29. März 2009, 08:41
You Only Live Once (Gehetzt) ~ USA 1937
Directed By: Fritz Lang
Dass die Gesellschaft mit Ex-Knackis nichts zu tun haben will, erfährt der soeben aus der Staatspension entlassene Eddie Taylor (Henry Fonda) am eigenen Leibe. Allerorten schlagen ihm Verachtung, Respektlosigkeit und Übervorteilung entgegen, weswegen in ihm, trotz greifbarer Nähe einer bürgerlichen Existenz mit seiner Frau Joan (Sylvia Sidney), bald wieder die Bereitschaft zur Re-Kriminalisierung wächst. Als ein Bankraub begangen wird, mit dem Eddie nichts zu tun hat, kommt er unschuldig ins Gefängnis und wird zum Tode verurteilt. Kurz vor der Vollstreckung gelingt Eddie der Ausbruch - der beinahe parallel zu seiner damit wiederum nichtigen Begnadigung stattfindet. Zusammen mit Joan, die sich ihm anschließt, tritt er eine halbewige Flucht durch das Land an.
Meisterliches Kriminaldrama von Lang, das die Blaupause für sämtliche Outlaw-Paarungen im Film liefert. Wie bereits in "Fury" setzt Lang den Getriebenen als in die Enge gedrängtes Sozietätsopfer ein, das, analog zu Freuds Dampfkesselprinzip, irgendwann in (sic) blinder Wut zurückschlägt und die eigentlichen Fehler und Normverstöße erst und lediglich begeht, weil ihm zuvor keine andere Wahl gelassen wurde. Dieser Themenkomplex ist so tragisch wie realitätsverbunden. Lang kombiniert seine herbe Systemkritik mit einer herzzerreißenden Flucht des jungen Liebespaares Fonda/Sydney, dessen Reise ins depressive Nirgendwo unter anderem von der Geburt eines gemeinsamen Kindes begleitet wird (was der extremen Humanisierung der landesweit als Verbrechersubjekte Verschrieenen bewusst dienlich ist) und die - es wird angesichts der damaligen moralischen Dogmen im Film von Anbeginn an klar - nur im gemeinsamen Tod enden kann. Das ist so romantisch wie todtraurig, und es ist eine Sternstunde des Kinos.
9/10
#1669
Geschrieben 29. März 2009, 10:19
The Tin Star (Der Stern des Gesetzes) ~ USA 1957
Directed By: Anthony Mann
Kopfgeldjäger Hickman (Henry Fonda) kommt in ein kleines Städtchen, um die Belohnung für einen erlegten Desperado zu kassieren. In dem so friedliebenden wie bigotten Kaff gibt es neben dem milchbärtigen Sheriff Owens (Anthony Perkins) auch noch einen rassistischen Pferdehotelier namens Bogardus (Neville Brand) und die Witwe Nona (Betsy Palmer), Mutter eines Halbbluts (Michael Ray). Während die Stadtobrigkeit aus alten Bankiers besteht, ist der beliebte Arzt McCord (John McIntire) quasi die letzte moralische Instanz. Wieviel Sprengstoff diese Konstellation geladen hat, erfährt Hickman, der einige Zeit auf seine Auszahlungsgenehmigung warten muss, als Owens versucht, den fiesen Bogardus zu entwaffnen. Dies gelingt ihm nur durch Hickmans beherzigtes Eingreifen. Owen überredet Hickman, ihm Unterricht in Sachen Schussfestigkeit zu geben und erfährt dabei, dass auch sein neuer Lehrer einst einen Blechstern trug. Als Doc McCord hinterrücks von dem üblen Ganoven McGaffey (Lee Van Cleef) erschossen wird, ist es schließlich an Owens, zu beweisen, was er von Hickman gelernt hat, insbesondere, da die aufgebrachten Kleinstädter McGaffey lynchen wollen.
Der ausgebrannte Lehrmeister, der selbst existenzielle Lektionen durch seinen Schüler erhält - dieses Motiv durchzieht das Kino seit seinem Anbeginn. Auch hier kann man jener Konstellation im Zuge eines prachtvollen (entgegen den Zeitzeichen in edlem Schwarzweiß und schmalem VistaVision gedreht) Western gewahr werden, eines der schönsten von Anthony Mann, der erste ohne seinen bis dahin obligatorischen Kämpen James Stewart, von Fonda jedoch vorzüglich ersetzt. Kampfesfertigkeiten, darunter auch die blitzschnelle Erkundung der Gegnerpsychologie, beherrscht Morgan 'Morg' Hickman wie kein Zweiter, dafür ist er emotional völlig verdorrt und hat seine Lebensziele aus den Augen verloren. Eben diese zieht der so unerfahrene wie aufrechte Colt-Novize Owens aus Hickmans nur scheinbar unergündlichen Seelentiefen zurück ans Licht, so dass sich für beide Helden am Schluss der Ausblick in ein stabileres Leben ermöglicht. Natürlich geht es, wie in nahezu allen späteren Western, auch um den Generationswechsel, der zugleich Domestizierung bedeutet: Der junge Owen zieht es ausdrücklich vor, seine Gegner lebend der irdischen Gerichtsbarkeit zuzuführen; eine sehr hehrer Kodex, dem Hickman als gunslinger alten Schlages allerdings wenig Bedeutung beimisst. Erst als Owen sich als dem Gemeinwohl dienliche, kühle Exekutive bewiesen hat, ist auch die (diesmal wirkliche) Stadtwerdung im Sinne des Liberalismus beschlossen. Die Konklusion mal wieder: Der alte Westen stirbt, zugunsten der Zivilisation und mit ihm auch - Zeitsprung in die Gegenwart - der Western.
9/10
#1670
Geschrieben 29. März 2009, 10:40
I Now Pronounce You Chuck And Larry (Chuck & Larry - Wie Feuer und Flamme) ~ USA 2007
Directed By: Dennis Dugan
Um die Unfallversicherung für seine beiden Kinder (Cole Morgen, Shelby Adamowsky) sicherstellen zu können, müsste Feuerwehrmann und Witwer Larry Valentine (Kevin James) wieder heiraten. Da er seiner Verflossenen allerdings noch sehr nachtrauert, erscheint dieser Gedanke ihm ungangbar. Also bittet er seinen Kollegen und besten Freund, den Weiberhelden Chuck Levine (Adam Sandler), um einen pikanten Gefallen: Eine Schwulenehe soll es werden, obwohl keiner der Beiden auch nur in den entferntesten Verdacht geraten könnte, seine sexuelle Ausrichtung ernsthaft zu verraten. Zähneknirschend geht Chuck auf den Vorschlag ein und Mann heiratet in Kanada. Zurück daheim warten die Probleme: Clint Fitzer (Steve Buscemi), ein scharfer Hund von Stadtbeamtem, versucht Chuck und Larry ihren Betrug nachzuweisen, Chef Tucker (Dan Aykroyd) weiß sowieso längst davon, die übrigen harten Feuerwehrler distanzieren sich angewidert von den beiden, Larrys Kinder werden in der Schule wegen ihrer "zwei Papis" getriezt und deren Anwältin, die enorm attraktive Alex (Jessica Biel) hat es Chuck schwer angetan.
Und noch eine von Sandlers "the world could be so nice" - comedies, die eigentlich allesamt auf so naive wie lustige Art vermitteln, dass die Menschheit total verblödet ist und sich ihre Probleme durchweg selbst zu schaffen pflegt. Ein sophistisches Element sollte man dahinter zwar kaum vermuten, für einen verzweifelt hilf- und vor allem wehrlosen Homophoben (Gruß an Elektro, meinen süßen Kanufahrer) wie mich ist diese Art Film aber wahrscheinlich das beste Allheilmittel und Antidot, weil es auf eine emotional so zugängliche wie unkomplizierte Weise bare Tatsachen auf den Tisch legt. Dass ein ikonisch harter Typ wie Ving Rhames sich da outet, ist ebenso witzig wie die diversen vorhersehbaren Verwicklungen, die vermittels Einsatzes einer russischen Haushälterin (Mary Pat Gleason) erwartungsgemäß auch die Grenzen des guten Geschmacks lustvoll übertreten. Sandler stilisiert sich einmal mehr zum ultimativen Womanizer, was ebenfalls nur toll ist, wenn er etwa die nur vordergründig seriöse Ärztin "Dr. Schätzchen" (Chandra West) ganz flugs zum Koitus in erlauchter Gesellschaft vierer leichtgeschürzter kanadischer Cheerleaders überredet. Die richtig großen Schoten fehlen "Chuck & Larry" zwar und man/ich darf bei aller Lobhudelei nicht vergessen, dass der Film letztlich keinesfalls das Niveau des typisch mediokren Hollywood-Kommödchens überschreitet. Dennoch, ich muss gestehen, angenehm überrascht worden zu sein.
7/10
#1671
Geschrieben 30. März 2009, 16:13
Body Of Lies (Der Mann, der niemals lebte) ~ USA 2008
Directed by. Ridley Scott
Roger Ferris (Leonardo DiCaprio) arbeitet für die CIA im Nahen Osten. Dabei steht er in ständiger kommunikativer Vernetzung mit seinem Washingtoner Kollegen Ed Hoffman (Russell Crowe), der Ferris' Operationen aus dem Hintergrund betreut und ihn über einen Überwachungssatelliten beobachtet. Ferris' aktuelle Mission sieht vor, den Terroristenchef Al-Saleem (Alon Abutbul) aufzuspüren und dingfest zu machen. Dabei bedient er sich der so vertrauensvollen wie verpflichtenden Hilfe des jordanischen Geheimdienstchefs Hani (Mark Strong), dem unbedingte Aufrichtigkeit über alles geht. Als Ferris Hani nach einem sich bereits empfindlich auswirkenden, jedoch vergleichsweise kleinen Zwischenfall über seine aktuellen Pläne, die vorsehen, ein kleineres Al-Qaida-Mitglied (Ali Suliman) zu einem von der CIA konstruierten Dschihadisten aufzubauschen, um Al-Saleem aus seinem Versteck zu locken, im Unklaren lässt, gerät er bald in tödliche Gefahr.
Scotts Politthriller gliedert sich relativ nahtlos in die nunmehr als solche titulierbare Schwemme aktueller Hollywood-Produktionen ein, die wahlweise den jüngsten Irakkrieg, den Nahostkonflikt als Ganzes oder den Antiterrorkampf in ihr Zentrum stellen, um von dieser Prämisse ausgehend eine Geschichte zu installieren, die sich je nach Gusto mal mehr, mal weniger US-kritisch gibt. Was man Scott dabei durchaus zugestehen darf, ist seine relative Kaltschnäuzigkeit im Umgang mit amerikanischer Heldenmoral, die ja durchaus auch in der jüngeren Massenkultur ihre Unterstützung findet. Die hochtechnisierte CIA, zu deren Aktionen eben insbesondere die nahtlose 1:1-Überwachung auserwählter globaler Ziele zählt und damit verbunden die übergreifenden Möglichkeiten permanenter Verbindung zwischen Feldagent und HQ, stellt sich in diesem Zuge als wesentlich erschreckenderes Machtinstrument dar, als der für den ungläubigen Abendländer zwar schwer (be-)greifbare, dennoch aber entdämonisierte Oriental-Terrorismus. Richtig gruselig wird's erst, wenn DiCaprio irgendwo mitten in der Wüste steht und doch nie allein ist, eidiweil er sein Knöpfchen im Ohr hat und einen omnipräsenten künstlichen Erdtrabanten über sich, der ihm Sicherheit spendet. Da kann selbst der böse Turbankrieger am Schluss mit seinem Hämmerchen nicht hinterher. Eigene Stärken entwickeln diese Momente insbesondere im Hinblick auf ihr Traditionsbewusstsein, stellen sie doch ein Art Revision ihrer filmischen Urprünge bei Pakula und Coppola dar.
"Body Of Lies" repräsentiert innerhalb dieser Aspekte demnach gehobene Mittelklasse, vermag im Bestfalle als netter Zeitvertrieb zu dienen und einem einmal mehr vor Augen zu führen, dass der arme DiCaprio trotz diverser harter Männerparts in der letzten Zeit und trotz betont wuschliger Kinnbehaarung doch nie älter aussehen wird als 25, dass Crowe immer dann am Besten ist, wenn er sich wie hier als method actor begreift und für eine Rolle mal eben dreißig Pfund zuspeckt (was für die kurzsichtigeren Zuschauer noch extra per Dialog unterstrichen wird) oder auch, was von alldem am Bedauerlichsten ist, dass Scott, der Ältere, seinem einstigen Renommee als Visionär wieder ein kleines Stückchen mehr entkommt in Richtung Routine.
7/10
#1672
Geschrieben 30. März 2009, 16:36
Burn After Reading ~ USA/UK/F 2008
Directed By: Ethan Coen/Joel Coen
CIA-Decrypter Osbourne 'Ozzy' Cox (John Malkovich) fliegt wegen seiner Alkoholprobleme bei der 'Firma' raus. Seine Frau Katie (Tilda Swinton), arschkalte Kinderärztin, betrügt ihn mit dem Ex-Sicherheitsberater und Gelegenheitsbumser Harry Pfarrer (George Clooney), der daheim im Keller ein geheimnisvolles Möbel für seine eigene Angetraute (Elizabeth Marvel) konstruiert. Während Ozzy zum Unverständnis Katies seine Memoiren zu verfassen beginnt und deren erste CD-ROM in der Umkleide des Fitnessstudios "Hardbodies" vergisst, freuen sich der dort beschäftige, verblödete Trainer Chad Feldheimer (Brad Pitt) und dessen Kollegin Linda Litzke (Frances McDormand) über das Findlingsstück, weil sie glauben, sie hätten da etwas ganz Tolles in der Hand, mit dem man massig Mäuse machen könne. Harry und Linda lernen sich wiederum über eine Internet-Kontaktbörse kennen, doch ihr Techtelmechtel währt nicht lang, weil es bald einen Toten gibt und Harry vollends seiner Paranoia anheim fällt.
Das irrwitzige Interaktionstohuwabohu, das die Coens für "Burn After Reading" ersonnen haben, lässt sich in wenigen Sätzen kaum umreißen, allein bei meiner unbeholfenen obigen Synopsis fehlen bereits ein paar elementare Charaktere. Doch darauf kommt es ohnehin nicht an. Wir haben hier eine erlesene Schar von Unsympathen und sozial Aussätzigen, die, ohnehin allesamt bereits am Rande des Nervenzusammenbruchs, zum Ende hin so gut wie vollständig und durch die Bank diese Grenze übertreten haben werden und es sich dort für den Rest ihres (ihnen nicht durchweg vergönnten) irdischen Aufenthalts werden gemütlich machen können. Natürlich ist da viel mehr passiert, als ein semiinteressierter Geheimdienstabteilungsleiter (J.K. Simmons) es ahnt, oder wahlweise auch viel weniger - es kommt lediglich auf den Blickwinkel an. Die Coens schicken ihr Ensemble durch eine tour de force, wie man sie seit "Fargo" nicht erlebt hat, mit etwas aufgehellterem Humor zwar als in "No Country For Old Men", aber immer noch bitter genug um sämtliche Beteiligten lustvoll als Spinner und arme Tröpfe zu denunzieren und unsereinen mit schönsten Absurditäten zum Kaputtlachen zu reizen. Auch wenn Pitts und Clooneys Demontage ihrerselbst ein wenig sehr offensichtlich ist - herzig bleibt sie allemal und des Films Zentrale ist ohnehin der unglaubliche Malkovich. In einer besseren Welt hätte irgendein Film-Batman gegen ihn als Joker antreten müssen - und Malkovich es zum Kaiserclown gebracht.
8/10 (more to come)
#1673
Geschrieben 01. April 2009, 16:00
The Getaway ~ USA 1972
Directed By: Sam Peckinpah
Doc McCoy (Steve McQueen) hält es im Knast nicht länger aus. Also entschließt er sich, dem Druck des so feisten wie einflussreichen Geschäftsmannes Beynon (Ben Johnson) nachzugeben und nach seiner Freilassung für diesen einen Auftrag zu übernehmen. Docs Frau Carol (Ali MacGraw) soll Beynon die Nachricht überbringen. Doc kommt also heraus und erledigt den Job für Beynon, bei dem es sich um einen Überfall auf eine Kleinstadtbank handelt. Zwei inkompetente, Doc von Beynon zur Seite gestellte Mitarbeiter, darunter der auf eigene Rechnung arbeitende Rudy Butler (Al Lettieri), versauen den reibungslosen Ablauf der Aktion. Für Doc und Carol heißt es nun, lebend bis El Paso zu kommen um dort die Grenze zu passieren, gehetzt von der Polizei, dem angeschossenen Butler und Beynons Männern, die die Beute eintreiben wollen.
Eines von Peckinpahs Kernwerken, wen auch verhältnismäßig kantenlos und massenkompatibel. So dicht wie hier kam Peck selten an den mainstream heran, wenn auch seine künstlerische Integrität garantiert nie in Gefahr gerät. "The Getaway" ist so unverkennbar seines Geistes Kind, dass selbst Walter Hills Drehbuch zu keiner Sekunde irreführend zu werden droht. Dennoch befindet sich der Film auf der Sonnenseite des Peckinpah'schen Schaffens, ist mit sehr viel, wenngleich schwarzem Humor angereichert und endet so versöhnlich und zufriedenstellend, dass man, im Gegensatz zu den umliegenden Werken "Straw Dogs", "Pat Garrett" oder "Alfredo Garcia", auf emotionaler Ebene rundum glücklich und zufrieden entlassen wird, wenn auch der Weg bis dorthin holprig und steinig ist. Unterdessen kann man Johnson beim Feixen und Lettieri beim Demütigen zuschauen, McQueen beim Nasebrechen und Nachladen und MacGraw einfach nur beim Lächeln, man wird jederzeit blendend bedient. Herzstück von "The Getaway" ist der Schnitt, der in seiner so zwingenden wie irreführenden Kohärenz einen eigenen narrativen Strang bestimmt. Um nachvollziehen zu können, wie das funktioniert, muss man sich bloß die frühe Szene an dem kleinen Gewässer anschauen, in das Doc kurz nach seiner Entlassung nicht erwarten kann, hineinzuspringen; diese Sequenz und ihr kleines heimisches Nachspiel zählen zu den schönsten des gesamten Dekadenkinos. Mit Quincy Jones' Musik als akustischem Multiplikator ergibt das ein nicht nur untadeliges, sondern gar perfektes Werk.
10/10
#1674
Geschrieben 01. April 2009, 16:19
Dark Angel ~ USA 1990
Directed By: Craig R. Baxley
Als hätte der knochenharte Houstoner Cop Jack Caine (Dolph Lundgren) nicht schon genug mit dem aalglatten Drogenboss Manning (Sherman Howard) und dessen ekelhaft-aalglatter Yuppie-Baggage zu tun, landen auch noch zwei Aliens in der texanischen Metropole, von denen das böse (Matthias Hues) auf der Jagd nach menschlichen Endorphinen ist, die es mittels komplizierter Prozedur aus den Birnen seiner Opfer extrahiert, um es als intergalaktisch begehrtes Rauschgift verscherbeln zu können, während das gute (Jay Bilas) selbst ein außerirdischer Schupo ist. Letzter muss selbstverständlich dran glauben, nicht jedoch ohne sich dem ungerührten Caine zu offenbaren und ihm die Verfolgung des außerweltlichen Hünen zu übertragen. Ob sein FBI-Kollege Smith (Brian Benben) Caine eher im Wege oder zur Seite steht, muss dieser ersteinmal herausfinden.
"The Terminator", "Alien Nation", "Predator" und "The Hidden" - zusammen in einen Topf, zerkleinert, umgerührt, scharfe Soße drauf, um neun Zehntel des Budgets erleichtert und dafür mit Lundgren angereichert - heraus kommt ein absolut ehrbarer B-Actionstreich des versierten Kurzkarrieristen Baxley, dem es immerhin vergönnt war, neben "Dark Angel" vor- und nachher zwei weitere Genreasse ("Action Jackson, "Stone Cold") zu fertigen. Wer die genannten Werke kennt und mag, wird auch mit dem vorliegenden seine uneingeschränkte Freude haben, denn dieses kommt so knackig wie sympathisch aus der Hüfte, enthält sich allzu spekulativer Brutalitäten und macht aus seiner sichtbar schmalen Kostenkalkulation das wohl denkbar beste, indem es sich mit netten Ideen schmückt wie einer messerscharfen, magnetischen Killer-CD, die als mörderische Frisbee durch die Gegend saust (mitsamt der aus "Phantasm" bekannten Sphären-Perspektive), Matthias Hues' wurmähnlicher Sonde samt Pfeilspitze, die den Opfern das Heroin ein- und dafür dann den glückshormongeschwängerten Hirnschmalz austreibt und v.a. einem total bekloppten HiWi (Mark Lowenthal) auf Speed. All das bereitet trotz schärfster Plagiatsvorwürfe viel Freude und bringt bestes, buntes Buddy-Kino.
6/10
#1675
Geschrieben 04. April 2009, 10:24
La Monaca Di Monza (Die Nonne von Monza) ~ I 1969
Directed By: Eriprando Visconti
Allerlei Verwirrungen im Nonnenkloster von Monza zu Begin des 17. Jahrhunderts: Der sich unantastbar gebende Beichtvater Arrigone (Hardy Krüger) vögelt sich in Wahrheit durch die Reihen der Schwestern, wobei er an seine große, heimliche Liebe, die Äbtissin Virgina de Leyva (Anne Heywood) nicht herankommt. Diese entdeckt ihre Zugetanheit zu weltlichen Lüsten erst, als sie einer von ihren neiderfüllten Mitschwestern arrangierten Vergewaltigung durch den Adligen Giampaolo Osini (Antonio Sabato) zum "Opfer" fällt. Es soll nicht der letzte Liebesakt zwischen ihr und dem Lüstling sein und als Virginia bald darauf auch noch ein Kind geboren wird, avanciert das Versteckspiel zum Spießrutenlauf.
Dass der klangvolle Familienname "Visconti" nicht unbedingt höchster Filmgnaden verpflichtet, beweist Luchinos Neffe Eriprando, der sich mit "La Monaca Di Moza" der authentischen Geschichte der aufs Zölibat pfeifenden, zur Strafe später eingemauerten Nonne Virgina de Leyva annahm. Das große Entsetzen sollte damals wohl provoziert werden, ein Skandalfilm reinsten Geblüts war offenbar angedacht. Viel ist davon heuer nicht mehr zu spüren - für ein paar Lacher (die insbesondere der rattige Sabato bekleidet) hier und da reicht's noch, ansonsten ist das große Gähnen angesagt. Ich musste mich ziemlich über die knapp einhundertminütige Distanz des Films hinwegquälen und fand's Schade, dass erst gegen Ende die Inquisition mit ihren exquisiten Verhörmethoden antritt. Selbst sündiges, nacktes Fleisch gibt's so gut wie gar keines zu sehen und der gute Hardy ist mir nach wie vor immer noch am liebsten als Liane-Lover Thoren, als Südafrikaner Peter Coetze oder als Werbeträger für Krokodokus. Doch ausgerechnet als spitzer, intriganter Vorbeter wirkt selbst er zuweilen stark gelangweilt.
Für einen vorgeblichen "Exploitation-Klassiker" bot mir die olle "Monaca" resümierend entschieden zu wenig.
4/10
#1676
Geschrieben 04. April 2009, 10:47
Madigan (Nur noch 72 Stunden) ~ USA 1968
Directed By: Don Siegel
Die New Yorker Detectives Madigan (Richard Widmark) und Bonaro (Harry Guardino) lassen aus Unachtsamkeit den zum Verhör vorgeladenen Gauner Benesch (Steve Ihnat) entwischen. Als sich dieser zu allem Überfluss als Raubmörder entpuppt, stehen Madigan und Bonaro noch zusätzlich dumm da. Der Polizeipräsident Russell (Henry Fonda) gibt den beiden 72 Stunden, um Benesch dingfest zu machen, ansonsten drohen ihnen empfindliche Disziplinarstrafen und der New Yorker Polzei unangenehme Reputationseinbußen. Dabei hat Russell bereits genug eigene Probleme: Sein langjähriger Freund Chefinspektor Kane (James Whitmore) steht im Verdacht der Korruption...
Schon mit "Madigan" errichtete Siegel der Polizei ein Denkmal, das er kurz darauf mit "Dirty Harry", der dann an der Westküste angesiedelt ist, noch zementieren sollte. Detective Madigan mit seinem schmalkrempigen Hut ist noch weitaus weniger reaktionär und zynisch als sein jüngerer "Nachfolger" Callahan, dafür immerhin bekannt als erfolgreicher Arbeiter, der, um nicht vollends unter dem innersystemischen Druck zusammenzubrechen, sich auch mal den einen oder anderen Kurzen genehmigt, vom Obsthändler um die Ecke einen Apfel schenken lässt und nützliche Unterweltkontakte pflegt. Im Gegenzug ist die Gattin (Inger Stevens) daheim zunehmend ungehalten: Ein Karriereaufstieg, geschweige denn ein höheres Gehalt scheinen für Madigan allerhöchstens von sekundärem Interesse, seine Verbissenheit bezüglich gegenwärtiger Professionsherausforderungen indes ist unter den Kollegen bald legendär. Umso nachhaltiger die innere Selbstkasteiung, die sich Madigan auferlegt und umso tragischer deren schlussendlicher Ausgang. Diesem zum Trotze genügte die Figur des Daniel Madigan immerhin, um Siegels Kleinod eine sechsteilige TV-Film-Reihe nachzuschieben. Die Titelmelodie (Don Costa) ist dafür bereits perfekt geeignet, klingt sie doch unabdingbar nach Fernsehen. Widmark und Whitmore sind ganz toll in "Madigan", besonders ersterer legt seinen harten Kerl mit weichem Inneren und zahlreichen inneren (Un-)Tiefen bemerkenswert nuanciert an. Fonda hingegen wirkt, im Prinzip ganz im Sinne seines Parts, als könne sein trauriger Blick Steine zum Bersten bringen, bleibt dabei aber seltsam leblos. Doch sei dies bloß eine Minimalkritik; für das Subgenre des Polizeifilms war und ist "Madigan", insbesondere was die differenzierte Charakterzeichnung anbelangt, ein unerlässlicher Baustein.
8/10
#1677
Geschrieben 05. April 2009, 08:26
Big Daddy ~ USA 1999
Directed By: Dennis Dugan
Um seine Freundin Vanessa (Kristy Swanson) zu beeindrucken, entschließt sich Slacker Sonny (Adam Sandler) kurzerhand, sich des kleinen Jungen (Cole Sprouse / Dylan Sprouse) anzunehmen, der da eines Tags unverwandt vor der Tür seiner WG abgeliefert wird. Möglicherweise handelt es sich bei Julian, so der Name des Kerlchens, um einen alten "Unfall" seines Mitbewohners Kevin (Jon Stewart), momentan auf Geschäftsreise in China. Anfangs findet Sonny Julian ausnehmend knuffig, doch als er der kleinkindlichen Verdauungsabenteuer ansichtig wird, bereut er seine Entscheidung etwas. Jedoch nur kurz - Sonny entdeckt plötzlich echte Vatergefühle inmitten seiner planlosen Existenz.
Klar, die Gags sind stark, der Entertainmentfaktor immens. Welche dramaturgischen Mottenkügelchen Sandler und Dugan aber gebrauchen, um sich in den dafür vorhergesehenen Augenblicken emotional anzubiedern, das treibt einem selbst vor der Glotze die Schamesröte ins Gesicht. Andererseits lässt sich festhalten: auch diese Mechanismen zählen zum Film-Universum des Adam Sandler und wenn man sich auf seine Werke einlässt oder einlassen möchte, muss man schlechterdings eine gewisse Schmalzigkeit mit in Kauf nehmen. Immerhin, dass die Verursacher dieser Kitschsequenzen sich ihrer Unverfrorenheit nicht nur durchaus bewusst, sondern zudem zur Selbstreflexion fähig sind, zeigt eine fein nuancierte Selbstironie, die durch pointierten Szenenschnitt, oder, wie in der Gerichtsszene, durch selbstparodistische Moment-Überhöhung zum Tragen kommt. So wird das Ganze zumindest halbwegs verdaulich. Auf der Habenseite finden wir dann wiederum Rob Schneider als national undefinierbaren Essenslieferanten und Analphabeten, der ständig bei Sonny auf der Couch rumhängt und Steve Buscemi als Penner, der ganz spezielle Tricks hat, um sich seinen McDonald's - Fraß abzugreifen, die wie immer fein selektierte Songauswahl nicht zu unterschlagen. Das sind natürlich Pluspunkte, die schwer wiegen.
Ich muss ja zugeben, es hat langjährige Lernprozesse von mir gefordert, aber nach mancher Phase des Selbstzweifels und Kopfschüttelns mag ich Sandler und seinen Quatschclub richtig gern. Werde in den kommenden Wochen wohl nach und nach auch seine etwas früheren Schandtaten wiederholen.
7/10
#1678
Geschrieben 06. April 2009, 06:35
Henry: Portrait Of A Serial Killer ~ USA 1986
Directed By: John McNaughton
Henry (Michael Rooker), Serienmörder, notorischer Lügner, Kammerjäger und Analphabet, lebt in Chicago bei seinem ehemaligen Zellengenossen Otis (Tom Towles). Als eines Tages dessen Schwester Becky (Tracy Arnold) auftaucht, um Abstand von privaten Missgeschicken zu gewinnen, bekommt Henry es mit ungewohnten emotionalen Herausforderungen zu tun. Derweil lässt sich Otis von Henry im Mordfach anlernen. Mit einem Camcorder im Anschlag gehen die beiden auf eine tour de mort.
McNaughtons wunderbar raues, ungeschlachtes Spielfilmdebüt, das auf den authentischen Vielfachkiller Henry Lee Lucas (der mitunter auch etliche Taten gestanden hat, für die er gar nicht verantwortlich war) rekurriert, zählt zum Besten, was das Undergroundkino in den letzten Jahrzehnten ausgespien hat. Ein besonders für seine Entstehungszeit packendes und tiefgreifendes Werk, dessen Identifikationsschemata in ihrer zwingenden Perfidie geradezu etwas Unheimliches besitzen: Henry wird zu Beginn des Films während einer seiner Killertouren gezeigt wird (allerdings sind stets bloß die Resultate seines Tuns zu sehen, nicht die eigentlichen Aktionen; was geradezu verblüffende Assoziationen beim Zuschauer auslöst) und damit als so beängstigender wie klassischer Serienkillertypus eingeführt. Obwohl er im Laufe des Films dann als mutmaßliches Opfer eines letztklassigen sozialen Umfelds charakterisiert wird, dessen asoziale Wertmaßstäbe ihm möglicherweise gar jede ethische Differenzierung verwehren, erlebt man als Rezipient einen unillkürlichen Distanzverlust. Rookers Darstellung des sich nach außen relativ emotionslos gebenden Henry trägt dazu bei, dass er als Projektionsfläche für den Zuschauer dienen kann. Umso bitterer die letzte Einstellung, die jedes von uns zuvor konstruierte Luftschloss um etwaige Erlösung und finale Hoffnungsschimmer leise platzen lässt.
Auch nach über zwei Dekaden ein umwerfendes Seherlebnis, ohne jeden Ansatz von Patina.
10/10
#1679
Geschrieben 06. April 2009, 09:47
The Borrower (Alienkiller) ~ USA 1991
Directed By: John McNaughton
Ein kriminelles Alien (Robert Dryer) wird zur Abbüßung seiner Vergehen zum Erdenexil in menschlicher Gestalt verbannt. Der Haken: Der Extraterrestrier kann nicht getötet werden und muss zudem in regelmäßigen Abständen sein Haupt auswechseln, weil das alte unbrauchbar wird. Die Chicagoer Polizistin Diana Pierce (Rae Dawn Chong), die soeben selbst ein Trauma bezüglich eines entwischten Serienkillers (Neil Giuntoli) zu verarbeiten hat, und ihr Partner Krieger (Don Gordon) werden auf den Kopfjäger aufmerksam.
Sein zweiter Streich im Fach der Spielfilmregie kostete zwanzigmal so viel wie McNaughtons Debüt und erreicht dessen nachhaltige Qualität dabei kaum zur Hälfte. Wo "Henry" lediglich vereinzelt losen Humor innerhalb seines nihilistischen Gesamtbilds aufblitzen ließ, gibt sich "The Borrower" als vordergründige Splatter-Comedy, genau jene Art Film also, der McNaughton mit seinem Erstlingswerk eine Schranke vorbaute. Nun, hat man sich einmal an den Kurswechsel gewöhnt, wird die Angelegenheit wiederum doch noch recht angenehm. "The Borrower" ist ein erzverrückter kleiner Spaß, dessen stetiger Produzentenwechsel ihm glücklicherweise kaum geschadet zu haben scheint, denn sein anarchisches Wesen kann er selbst in der finalen, von McNaughton selbst eher gering geschätzten Form, nicht verleugnen. Obgleich in dessen Heimatstadt Chicago angesiedelt, erinnert seine zweite Feature-Regie an Hennenlotters und Muros New-York-Filme, die sich ja auch gern in Schmutz und Pennertum suhlten und die Ausgestoßenen der Gesellschaft in ihr Zentrum setzten, um eine Art urbane Pararealität zu etablieren. Ähnlich verhält es sich eben mit "The Borrower". Jener spielt zu großen Teilen im Clochardmilieu, zeigt 'Huggy Bear' Antonio Fargas als stolzen Berberkönig, der seine von der Obdachlosenmission gestiftete, undefinierbar-grüne Eintopfpampe mit Stolz verzehrt und fühlt sich erst zu einer Geschmacksüberprüfung berufen, als das Alien, das gerade in Tom Towles' Körper steckt, sich genüsslich eine tote Maus in den Mund schiebt und darauf herumkaut. So war das eben damals, im wilden Indie-Genrefilm - zu gleichen Teilen lustig und fies. Übrigens hatte hier auch die Cannon ihre Finger drin, eine ihrer allerletzten Produktionen vorm endgültigen Bankrott.
6/10
#1680
Geschrieben 06. April 2009, 12:00
The Funeral (Das Begräbnis) ~ USA 1996
Directed By: Abel Ferrara
Nicht etwa der Verlust oder gar die Trauer über den Mord an seinem Bruder Johnny (Vincent Gallo) bewegen Ray Tempio (Christopher Walken) - einzig der Durst nach schneller Vergeltung in bester Familientradition treiben den Gangsterboss um, derweil Johnnys Leiche noch in seinem Haus aufgebahrt ist. Der dritte Bruder, Cesare (Chris Penn), kann mit den Ereignissen überhaupt nicht umgehen und verliert sein letztes Bisschen innere Stabilität an den Wahnsinn.
Nach "King Of New York" ein weiterer Abgesang Ferraras auf den Gangsterfilm, wenn auch wiederum einer, der sich im Umfeld der criminales durchaus daheim fühlt und mit dem, was das Genre gemeinhin über die Jahrzehnte auszeichnet, darunter der (zumeist italienischstämmigen) Bedeutung von Blutsbande, Ehrbegriff, Gewalt und Koketterie aufs Intimste vetraut ist. Ferrara mag zwar demonstrieren und gestikulieren und behaupten, seine Figuren seien nichts als Verbrecher und Mörder, die es endlich zu entromantisieren gelte; er selbst jedoch stellt sich diesen Thesen entgegen, indem er seiner verschworenen Bruder-Trinität zwar Profile verleiht, die über das gewohnte Maß in vergleichbaren Filmen hinausgehen (besonders der großartige Penn als Klippenwandler entlang der schweren Psychose wäre da zu nennen), es jedoch versäumt, ihre Prinzipien und Geschäfte so abschreckend wirken zu lassen als dass man als Konsument des Films daran nicht mehr interessiert oder gar von ihnen abgestoßen wäre.
Daraus ergeben sich für "The Funeral" allerdings, wenn überhaupt, schlechtestenfalls sekundäre Problemstellungen. Seine Mafiageschichte ist nicht zuletzt aufgrund einer der exquisitesten Besetzungen, die dem Regisseur je zur Verfügung standen, zu einer beachtlichen existenzialistischen, formal sorgfältigen Studie über den Menschen innerhalb der und hinter den Mobstrukturen geraten, deren Ansehen viel Freude bereitet, dabei jedoch (und diese Aussage könnte Ferrara möglicherweise verärgern) keine tiefen Zweifel zu säen vermag.
8/10
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