In meinem Herzen haben viele Filme Platz
#1861
Geschrieben 26. Juli 2009, 13:43
Killer's Kiss (Der Tiger von New York) ~ USA 1955
Directed By: Stanley Kubrick
Der wenig erfolgreiche Boxer Davey Gordon (Jamie Smith) wird auf seine schöne Nachbarin Gloria (Irene Kane) aufmerksam. Als er bemerkt, wie diese von ihrem Boss Rapallo (Frank Silvera), einem kriminellen Tanzclubbesitzer, unter Druck gesetzt wird, versucht er sie mit allen Mitteln loszueisen. Doch Rapallo lässt nicht ohne Gegenwehr mit sich umspringen.
Es folgt, man ahnt es vielleicht schon, in den kommenden Tagen eine Kubrick-Werkschau, die ich schon recht lange vor mir herschiebe, weil mir seit Jahren Muße oder Zeit fehlten oder ich wahlweise den Eindruck hatte, ich bin noch hinreichend drin in Kubricks Ästhetik und bedarf (noch) keiner Auffrischung. Ich schaue mir seine Filme traditionell stets am Stück an, vielleicht nicht gleich alle hintereinander, aber doch immer um die fünf oder sechs in rascher Folge. Diesmal sollen es jedoch sämtliche seiner Arbeiten werden, angefangen leider nicht mit dem Kriegsfilm "Fear And Desire", in Ermangelung einer Kopie. Da die Aussagen jener, die ihn gesehen haben, ohnehin eher durchwachsen ausfallen und Kubrick selbst nicht wünschte, dass ihn überhaupt nochmal jemand zu Gesicht bekommt, ein wohl halbwegs verschmerzbares Versäumnis. Start also mit "Killer's Kiss", einem technisch beeindruckenden, ungeschliffenen film noir. Die Figurentriangel ist gattungstypisch wohlbekannt und übersichtlich: hardboiled hero, aus der existenziellen Verlierecke stammend freilich - fragile love interest - Gangster. Fehlt im Prinzip nur noch die verruchte femme fatale zwischen den Fronten. Eine solche hätte aber gar nicht (mehr) in dieses 64-minütige Konzentrat von Film gepasst, das vorsätzlich minimalistisch bleibt, die Fotografenwurzeln Kubricks aufzeigt (eine auf der 42. Straße gefilmte Szene lehnt sich gar an das cinéma vérité an) und sich noch ganz weit weg von dem peniblen Perfektionismus seiner späteren Arbeiten konstituiert. Dennoch: die Distanz zum Geschehen, die emotionale Kühle und die fehlende Konnexion zu seine Figuren können bereits hier ausgemacht werden. Und selbst eine Bildsymmetrie (hübsch symbolisch - eine Treppe, zentral von oben herab gefilmt, mit einem Warnschild: "Watch your step!") gibt es, viele Spiegelperspektiven, zerbrechende noch dazu. Seine ersten trademarks installiert Kubrick hier also bereits unbewusst. Und doch wird fast keiner seiner weiteren Filme mehr einen solch raschen, vergleichsweise simplen Zugang ermöglichen.
8/10
#1862
Geschrieben 26. Juli 2009, 20:27
The Killing (Die Rechnung ging nicht auf) ~ USA 1956
Directed By: Stanley Kubrick
Der minutiös geplante und im Vorhinein bombensicher gewähnte Überfall auf eine Pferderennbahn-Kasse geht in diversen Punkten schief. Menschliche Schwächen wie Dummheit und Gier, aber auch unvorhersehbare Ereignisse machen jedem der Beteiligten einen dicken Strich durch die Rechnung.
Wesentlich präziser als in seinem Erstling legt Kubrick die Ausarbeitung seiner diversen Charaktere an. Ihre unterschiedlichen Motivationen werden aufgezeigt, innere Stärken und Schwächen teilweise nur durch Andeutungen klar umrissen. Bereits jetzt erweist sich der Regisseur auch als hingebungsvoller Geschichtenerzähler, der mit Verve zu fesseln weiß. "The Killing" steht als caper movie in der Tradition ähnlich gelagerter, aus dem Film-noir-Bereich bekannter Moralstücke mit "Crime doesn't pay" - Headline wie etwa Hustons "The Asphalt Jungle". Die Gauner werden via sehr perfide Identifikationsmechanismen zu Helden, zu Sympathieträgern und der Zuschauer derweil zu ihrem Komplizen, der sich wider besseres Wissen nichts sehnlicher wünscht, dass zumindest einer durchkommt. Ein schönes Mittel zur Annäherung an das gesetzeswidrige Sujet und nebenbei eine Möglichkeit der sittlichen Katharsis. Natürlich darf und durfte niemand im Film mit Gewalteinsatz und Diebstahl durchkommen. Selbst der kühle Planer Johnny Clay (Sterling Hayden) nicht, obgleich er als einziger seine emotionale Involvierung im Griff hat. Ihm kommt der Zufall in Gestalt eines Schoßpudels in die Quere. In dieser Szene zeigt sich bereits Kubricks ganze narrative Meisterschaft bezüglich der Publikumseinbindung: Das Herz rutscht einem in die Hose, man wünscht die grauenhafte alte Frau und ihr "Püppi" einfach nur zur Hölle und lässt sich genauso gelähmt und aller Träume beraubt an der Hand wegführen wie Johnny Clay. Wenn auch die totale Geschlossenheit noch fehlt und Kubricks spätere Methode der Distanzierung noch im Ansatz begriffen ist: "The Killing" ist ein Riesenschritt für den auteur.
9/10
#1863
Geschrieben 26. Juli 2009, 20:51
Paths Of Glory (Wege zum Ruhm) ~ USA 1957
Directed By: Stanley Kubrick
1916, in den Schützengräben Frankreichs: Der Stellungskrieg kriecht zermürbend ergebnislos vor sich hin. Die Admiralität will mittels notfalls irrsinniger Manöver Bewegung in die Scharmützel bringen, um die daheim darbende Bevölkerung nicht zu enttäuschen. Also erhält der eitle General Mireau (George Macready) aus heiterem Himmel den Auftrag, seine Kompanie unter Colonel Dax (Kirk Douglas) die von den Deutschen besetzte "Höhe 19" nehmen zu lassen. Die Mission, zumal bereits vor ihrer Durchführung zum Scheitern verurteilt, erweist sich als unmöglich. Sofern die Überlebenden der Divisionen nicht von der Mitte des Schlachtfeldes zurückkehren müssen, bleiben sie gleich im Graben. Der vor Wut schäumende Mireau will nach einem Schauprozess drei willkürlich ausgewählte Soldaten (Ralph Meeker, Timothy Carey, Joe Turkel) als abschreckendes Exempel wegen 'Feigheit vor dem Feind' hinrichten lassen. Dax' Verteidigung seiner Männer bleibt rein repräsentativ, er kann die Exekutionen nicht verhindern.
Mit "Paths Of Glory" kamen die multiple Perfektion und Kubricks erster Gipfelsturm. Neben "All Quiet On The Western Front" der basale Film mit dem Ersten Weltkrieg als temporalem und szenischen Hintergrund und eines der wenigen Werke, die sich mit Fug und Recht als Antikriegsfilm bezeichnen dürfen. Allerdings: Nicht um das Wesen des Krieges geht es Kubrick, sondern um die Verhaltensweisen der an ihm beteiligten Menschen. Infanteristen gelten praktisch nicht mehr als Individuen, sondern als numerische Elemente, Prozentzahlen und graumassiges Kanonenfutter. Die Offiziere im Planungsstab pendeln zwischen Größenwahn und vollgefressener Dekadenz und haben in der Sicherheit ihres Schreibtischstuhls längst jedes Mitgefühl, jede Sensibilität für den unvorstellbar entbehrungsreichen Einsatz ihrer Feldsoldaten eingebüßt.
Mit Dax als personifiziertem idealistischen Stellvertreter gibt Kubrick aller dem feisten General Broulard (großartig: Adolphe Menjou) gebührenden Wut statt - und entlockt diesem doch keinen Moment der Fassungslosigkeit, sondern bestenfalls ein müdes Lächeln. Humanität adé.
Nicht genug mit diesem ethisch höchstrangigen Pamphlet wider die Kriegstreiberei und für die Menschlichkeit, schafft Kubrick es hier zugleich erstmalig, sich seiner Identität als Regisseur zu versichern. Seine phantastischen visuellen Einfälle befördern, seelenruhigen Senftenträgern gleich, "Paths Of Glory" direkt ins Schwarze. Tatsächlich ein Lehrstück in Sachen Kriegsfilm, das von seinem emotionalen Evokationspotenzial über ein halbes Jahrhundert nicht ein Fünkchen eingebüßt hat.
10/10
#1864
Geschrieben 28. Juli 2009, 10:13
Spartacus ~ USA 1960
Directed By: Stanley Kubrick
Rom, um 75 v. Chr.: Der thrakische Sklave Spartacus (Kirk Douglas) gilt als besonders aufsässig, da er sich mit seiner Existenz als Leibeigener nie zufrieden gibt. Kurz bevor er nach neuerlicher Rebellion getötet werden soll, nimmt ihn der Gladiatorenhändler Batiatus (Peter Ustinov) unter seine Fittiche. Spartacus fügt sich zunächst, revoltiert dann aber nach einem Besuch des Römischen Senators Crassus (Laurence Olivier) bei Batavius, der den Tod von Spartacus' Mitgladiator Draba (Woody Strode) und den Verkauf der Sklavin Varinia (Jean Simmons), in die sich Spartacus verliebt hat, mit sich bringt. Mit einem ständig wachsenden Heer befreiter Sklaven lehnt sich der Recke gegen das Patriziertum auf. Der Senat in Rom, in dem Crassus gegen seinen Intimfeind Gracchus (Charles Laughton) intrigiert und umgekehrt, macht sich derweil immense Sorgen ob des aufrührerischen Gedankenguts der früheren Leibeigenen. Obwohl Spartacus einzig die Flucht über das Mittelmeer sucht, führt die Republik einen erbitterten Krieg gegen ihn und seine Mitstreiter, die nach einem gigantischen Aufmarsch der drei Feldherren Crassus, Pompeius und Lucullus mit Spartacus' Niederlage endet. Spartacus selbst wird erniedrigt und gekreuzigt, in einer letzten Amtshandlung gibt der ebenfalls geschlagene Gracchus Varinia und Spartacus' neugeborenem Sohn jedoch Freibriefe und lässt sie ziehen.
"Spartacus", eine gigantische Antikfilm-Produktion von Douglas' Produktionsgesellschaft Bryna, ist von zahlreichen filmhistorischen Anekdoten umwittert. Sein unumstößlicher Status exponiert sich bereits in der Tatsache, dass es sich um das erste relevante Hollywood-Sandalenepos handelt, das die vordergründige Anbindung an biblische oder christliche Motive ausspart. Tatsächlich ist es ein durchweg säkularer Film, der vielleicht seine Titelfigur zum Heilsbringer und christusgleichen Märtyrer stilisiert, ansonsten aber von Glaubensphrasen verschont bleibt und primär altertümliche Politphilosophie ins Zentrum rückt. Ein wichtiges handlungstragendes Element unter anderen ist der Verlust des Republikstatus und damit ein politischer Rückschritt des Römischen Reichs in die Dikatur und der "Anfang seines Endes". So ist der frühe Aufstieg Cäsars (John Gavin), eines Schützlings des Gracchus, akutes Thema.
Als unerlässlicher Bestandteil von Kubricks Oeuvre ist der Film zwar von bedingungsloser Wichtigkeit, Kubrick selbst hat ihn jedoch später als Auftragsarbeit negiert, obgleich er in den ersten Jahren nach "Spartacus" noch beteuerte, es fände sich "viel von ihm selbst" darin. Tatsächlich geht seit damals das nie gänzlich widerlegte Gerücht um, Kirk Douglas, als dessen Projekt "Spartacus" eigentlich und sowieso zu betrachten ist, habe von Anfang an auf den noch jungen Kubrick als inszenierende Kraft insistiert, nachdem er die vormalige Zusammenarbeit "Paths Of Glory" als so gewinnbringend erlebt hatte. Anthony Mann, der begonnen hatte, den Film zu machen, wurde nach nur zwei Wochen von Douglas nach diversen kleinen und großen Disputen vom Set geekelt und Kubrick daraufhin eingesetzt. Für den egozentrischen Regisseur, der sich selbst stets als treibende Kraft hinter seinen Projekten zu erachten pflegte, musste sein mangelnder Einfluss im Nachhinein ganz kleinkariert als "Karrieretief" gelten. Als Genrearbeit indes darf man "Spartacus" mit all seinen Schauwerten, seinen großen Schauspielern mit jeweiligen Höchstleistungen und seiner äußeren, wenn auch weithin identitätsbefreiten Perfektion bescheinigen, als gewaltiges, intelligentes Monumentalkino eine unantastbare Position zu besetzen, die sämtliche geistesverwandte Erbstücke von "Braveheart" bis "Gladiator" nachhaltig beeinflusst hat. Kubrick no - spectacle yo. I love it, anyway,
10/10
#1865
Geschrieben 29. Juli 2009, 08:41
Lolita ~ UK 1962
Directed By: Stanley Kubrick
Der britische Literaturprofessor Humbert Humbert (James Mason) hat einen Lehrauftrag in Beardsley in Ohio. Zur Gewöhnung an das plumpe amerikanische Gesellschaftsklima will er zunächst ein paar Wochen in Neuengland verbringen und mietet ein Zimmer im Haus der Provinzpomeranze Charlotte Haze (Shelley Winters). Bereits die Entscheidung dort einzuziehen ist einzig beeinflusst von Charlottes Tochter Dolores (Sue Lyon), genannt Lolita. Humbert verfällt dem Mädchen sofort mit Haut und Haar und nimmt nach einiger Zeit sogar Charlottes Heiratsantrag an, nur um in Lolitas Nähe sein zu können. Als Charlotte von der Obsession Humberts erfährt, läuft sie vor ein Auto und stirbt. Humbert wähnt die schicksalhaft freie Bahn für sich und Lolita, die sich seinen unbeholfenen Annäherungsversuchen nicht nur fügt, sondern sie ganz bewusst für ihre jugendlichen Ziele einsetzt. Nach einer Odyssee durch die Staaten, die allerorten mit hochgezogenen Augenbrauen angesichts des Professors und seiner vorgeblichen Tochter beobachtet wird, verliert Humbert Lolita ohne es zu wissen an den sie unentwegt verfolgenden Dramatiker Clare Quilty (Peter Sellers). Erst Jahre später erfährt Humbert die Wahrheit und macht Quilty für seine Misere verantwortlich.
Für die Verfilmung seines Romans um die Verzweiflung eines pädophilen Intellektuellen verfasste Nabokov selbst das Drehbuch. Kubrick ging nach den ungeliebten Erfahrungen mit der Studio-Großproduktion nach England, um von dort aus sein nächstes Projekt realisieren zu können und sich komplette künstlerische Freiheit zu sichern, die insbesondere den Endschnitt des Films beinhalten sollte. Zwar darf man konstatieren, dass die wesentlichen Elemente der Vorlage übernommen wurden, bestimmte "anrüchige" Momente jedoch aufgrund der Zensurbestimmungen nicht visualisiert werden konnten. Das beginnt bereits mit der Besetzung der Lolita durch Sue Lyon, die ohne Preisgabe ihres Alters deutlich selbstbewusster, zielgerichteter und frühreifer auftritt als das erst zwölfjährige Nymphe im Roman. Humberts psychologischen und terminologischen Background, der unter anderem die zarte Jugendbeziehung zu einem damals gleichaltrigen Mädchen und dessen abruptem Tod beinhaltet, spart das Script weithin aus. Im Film ist Humbert - von Mason unvergleichlich interpretiert - ein bemitleidenswerter Perverser ohne Erlösungschance, dessen innerer (und später äußerer) Verfall ihm von der Publikumswarte aus nur Recht geschieht. Humbert macht sich permanent lächerlich und windet sich wie ein gequälter Wurm, um sein von vornherein unmögliches Verhältnis zu Lolita nicht nur aufrechtzuerhalten, sondern darüberhinaus progressiv voranzutreiben (er will, einem Pygmalion gleich, das Mädchen zu einer seinem Bildungsobjekt formen, was kläglich scheitert), lässt sich aller Gegenwehr zum Trotz von den Lügen und Bedürfnissen der Durchtriebenen einwickeln und steht am Ende als Verlierer und Mörder aus vermeintlicher Leidenschaft da. Als Literaturadaption ist Adrian Lynes vielgeschmähte Neuverfilmung von 1997 die bessere, weil empathischere, ehrlichere und adäquatere Variante. Filmisch liegt Kubrick allerdings vorn, da er mit seiner Variation des Stoffs als schwarze Komödie den mutigeren, freieren Adaptionsweg wählte und neben seiner von einer ungeheuren Selbstsicherheit geprägten Inszenierung mit Mason und Sellers zwei Darsteller beschäftigte, die wohl ewig unantastbar in diesen Rollen bleiben werden.
8/10
#1866
Geschrieben 29. Juli 2009, 09:11
Dr. Strangelove Or: How I Learned To Stop Worrying And Love The Bomb (Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben) ~ UK 1964
Directed By: Stanley Kubrick
Während des Kalten Krieges: Der Airforce-General Jack Ripper (Sterling Hayden) dreht durch und schickt seine Fliegerstaffel von B-52ern mit Einsatzbefehl gegen die Sowjetunion. Zwar schaffen es benachbarte Brigaden, Ripper auf seinem Stützpunkt aufzuhalten und nach einigen Turbulenzen können sogar fast alle Bomber zurückgerufen werden. Die Maschine von Major King Kong (Slim Pickens) ist jedoch bereits beschädigt und der Rückruf-Code kann ihm nicht mehr übermittelt werden. Zudem ist die UdSSR ist im Besitz einer "Weltvernichtungsmaschine", die sämtliches tierisches (also auch menschliches) Leben auf der Erde auslöscht und automatisch zündet, sobald eine Bombe auf russischem Territorium explodiert.
Eine der witzigsten Satiren und zugleich eine der schrecklichsten Weltungergangsvisionen verquickte Kubrick in seinem bis dato ranghöchsten Film. "Dr. Strangelove" ist ein historisches Monument des Pazifismus und hätte schon damals umgehend zum Bildungspflichtprogramm jeder Offiziersausbildung ernannt werden sollen. Die vielbenutzte Phrase, derzufolge "das Lachen einem im Halse stecken bleibt" erlebt mit "Dr. Strangelove" ihre ganz offizielle Entsprechung. Fast zeitgleich mit Lumets einen durchweg ernsten Ansatz wählendem "Fail Safe" enterte der Film kurz nach der Kuba-Krise die Kinos und führte unbarmherzig vor Augen, wie wacklig es um den Globus bestellt war und wie kurz die Welt sich vorm Abgrund befand. Kubricks Identität als auteur gewann erneut an Profil: Charakteristische Techniken wie Rückwärts-Zooms und aufwärts gerichtete Schrägperspektiven mit unnachahmlicher Schattierung (man denke nur an den von der " Konspiration durch Fluoridation" und den "besonderen Säften" berichtenden und dabei auf seiner Zigarre herumkauenden Hayden - das Bild des unzurechnungsfähigen Militärs), der Einsatz einer wackligen Handicam während der Kampfsequenzen und schließlich das zur Ikonografie gewordene Bild mit dem seinen Cowboyhut schwingenden und juchzenden Slim Pickens auf der H-Bombe namens "Hi There!". Peter Sellers wurde durch seine Triplerolle als besorgter RAF-Offizier, US-Präsident und titelgebender Dr. Strangelove mit nervösem Nazileiden zur Legende auf und jenseits seiner Lebenszeit, Hayden und Pickens erwähnte ich bereits. Doch sie alle übertrifft der entfesselte George C. Scott in einem humoristischen Kabinettstück. Sobald der Mann den Mund auftut, von "faulen kommunistischen Enten" faselt, sich mit dem russischen Botschafter (Peter Bull) prügelt und über seinen kindlichen Enthusiasmus bezüglich der Talente der Bomberpiloten vergisst, dass die Menschheit in Kürze zu existieren aufgehört haben wird, kann man nur ehrfurchtsvoll danierderknien: "We'll meet again - don' know where, don't know when..."
10/10
#1867
Geschrieben 30. Juli 2009, 09:20
2001: A Space Odyssey (2001: Odyssee im Weltraum) ~ UK/USA 1968
Directed By: Stanley Kubrick
Zu Beginn der Steinzeit erscheint einer Gruppe noch affengleicher Frühmenschen ein schwarzer Monolith. Der neugierig-zögerliche Kontakt mit dem Artefakt bewirkt einen Evolutionssprung: Einer der Hominiden lernt, einen Knochen als Waffe für die Jagd und zur Behauptung gegenüber feindlichen Artgenossen zu benutzen. Mit der Fähigkeit, gezielt töten zu können, zieht die Zivilisation heran. Fast 3 Millionen Jahre später, die Menschen machen bereits interplanetare Raumflüge, erscheint ein weiterer Monolith in einem freigeschaufelten Mondkrater. Wissenschaftler interpretieren die Präsenz des Steins als Indiz für extraterrestrische Existenzen. Der Monolith richtet Strahlen gen Jupiter, weswegen eine fünfköpfige Expedition per Raumschiff mit einem intelligenten Bordcomputer der "9000er-Serie" dorthin entsandt wird. Auf dem Weg hat HAL, wie das Elektronengehirn genannt wird, eine Fehlfunktion und tötet sämtliche Besatzungsmitglieder bis auf Dave Bowman (Keir Dullea), dem es schließlich mit Mühe und Not gelingt, Hal abzuschalten. Bowmans Ankunft auf Jupiter geht schließlich einher mit einer Reise tief in das eigene Bewusstsein. Er erlebt einen rapiden Alterungsprozess, seinen eigenen Tod und schließlich die kosmische Wiedergeburt, die ihn als Pionier einer weiteren Evolutionsstufe zurück zur Erde führt.
"2001: A Space Odyssey" markiert, sozusagen als Äquivalent zu den evolutionären Exkursen des Romans von Arthur C. Clarke und dieser Verfilmung, Kubricks "finalen" Reifeprozess, pünktlich zur Werkshälfte. Er verabschiedet sich von den Strukturen und Vorgaben des klassischen Erzählkinos, kultiviert ein vormals noch geflissentlich belächeltes, utopisches Genre und überführt es in die global ernstzunehmende Kunst. Sein hier angewandter, revolutionärer Formalismus wird künftig zu einem Markenzeichen avancieren, das Kubrick für den Rest seines Schaffens nicht mehr loslässt. Totale und Halbtotale, Aneinanderreihungen von gemäldeartigen Einstellungen, sanfte Bewegungen, stoische Ruhe, deren atmosphärische Langsamkeit sich als rein vordergründig erweist: Mysterium und unterschwellige Bedrohung sind und bleiben allgegenwärtig. Von hier an sind sämtliche Filme Kubricks untrüglich als Bestandteile seines Werkes identifizierbar.
Als Gesamtkunstwerk lässt sich "2001", ebenfalls exemplarisch für jeden folgenden Kubrick-Film, auseinanderdividieren in seine Einzelbestandteile, von denen alle wiederum als solitäre Beispiele für höchstmöglichen Ästhetizismus fungieren können. Die gesamte Popkultur wurde beeinflusst von der Nachhaltigkeit der vorliegenden filmischen Kompositionen, die freilich erst im Kontext zueinander ihr ganzes Potenzial entfalten. Der berühmte, ®evolutionäre Schnitt vom Tapirknochen zur Raumfähre zu Richard Strauss' "Also sprach Zarathustra", Schiffe im All, die sich zu Johann Strauss' Donauwalzer wiegen und drehen, die symbolhafte Konjunktion der Gestirne, allgegenwärtige Bildsymmetrie, Ligetis irrsinnige E-Musik, endlose Stille und schließlich der LSD-artige Trip des Astronauten Bowman durch ein Farben- und Formengewimmel, seine Augen als Spiegel der Vielfarbigkeit, der außergewöhnliche Raum mit den hellerleuchteten Bodenquadraten, in dem Bowman sich, jeweils sein nächstälteres Selbst in einem anderen Zimmerteil erblickend, seinem Schicksal als menschlicher Entwicklungsträger fügt. Seine historische Radikalität - man darf und sollte angesichts der Beschreibungen dieses selbst monolithischen Films nicht unterschlagen, dass er eine teure Studioproduktion ist - machte "2001" nicht nur zum besten Freund der 68er-Generation, die darin, nicht zu Unrecht, auch einen weiteren Schritt der Liberalisierung der Kunstform Film wähnte und sich von Kubricks Impressionen berauschen ließ - oder sie wahlweise als Rauschunterstützer nutzte.
10/10
#1868
Geschrieben 03. August 2009, 07:52
A Clockwork Orange (Uhrwerk Orange) ~ UK/USA 1971
Directed By: Stanley Kubrick
England, in Bälde: Der Jugendliche Alex (Malcolm McDowell) pflegt ein ausgesprochen lockeres Verhältnis zur Kriminalität. Schlägereien, Raub, Vergewaltigung und sogar Totschlag gehören bei ihm und seinen Freunden zur Freizeitgestaltung. Als sich einer seiner 'droogies' (James Marcus) gegen ihn auflehnt, führt Alex ihm fix vor Augen, wer noch immer der Herr des Hauses ist - und wird darauf von den anderen verraten und wegen Totschlags ins Gefängnis gesteckt. Doch Alex ist garantiert renitent gegen jede Form der Sanktion. Als er im Knast von der neuartigen "Ludovico-Therapie" hört, die einen Kriminellen innerhalb von zwei Wochen rehabilitieren und wieder gesellschaftsfähig machen soll, erklärt er sich lauthals als Versuchsobjekt bereit. Jene Therapie besteht darin, dem Patienten ein Übelkeitsserum zu injizieren und daraufhin grausige Filme und Bilder vorzuführen, ohne, dass der Blick abgewendet werden kann. Dummerweise werden diese Projektionen ausgerechnet von Alex' Lieblingsstück von Beethoven untermalt. Nach zwei Wochen quittiert Alex' gegen Brutalität und die Neunte Sinfonie konditionierter Körper bereits jeden Gedanken an Gewalt oder ein Verbrechen mit prompten Krämpfen und Übelkeitsschüben. Wieder entlassen kann sich Alex gegen nichts mehr zur Wehr setzen, seine früheren Opfer schlagen, so scheint es fast, gesammelt gegen ihn zurück. Ein Selbstmordversuch misslingt und er wird zum Märtyrer der liberalen Gegenkräfte im Land, die unmenschliche Staatsaktionen wie die an Alex begangene verurteilen.
Das letzte Mal, dass Kubrick, zumindest vordergründig, Emotionalität und Ausgelassenheit stattgibt. Der berühmten Romanvorlage von Anthony Burgess entsprechend zeichnet Kubrick eine Dystopie zwischen Zeitlupe (Gewalt) und Zeitraffer (Sex), präsentiert einen eigens für Buch/Film kreierten Jugendslang, Nadsat, einen Hybrid aus russisch und cockney, filmt Gebäude, Areale, Innenräume als architektonische Wunderwerke und so kalte wie eindrucksvolle Symbole steifer englischer Lebensart. Den Jugendlichen, die längst jegliche Anbindung an soziale Vorgaben und Regeln eingebüßt haben und mit rücksichtslosem Aktionismus eine ziellose Anarchie pflegen, gehört diese Welt. Ältere Frauen tragen verrückte, clowneske Perücken und die kurzsichtigen staatlichen Rigidisierungsstrategien äußern sich in faschistoiden Resozialisierungsprogrammen, die nichts anderes bewirken als mittels gehirnwaschenden Konditionierungspraktiken den freien Willensentscheid ihrer "Patienten" zu eliminieren. Das allseitige Missverstehen begünstigt erst dieses rationale Vakuum. Für zusätzliche Kontroversen sorgte das sicherlich nicht allzu fernliegende Spiel mit dem Gedanken an die Reaktion der liberalen Vorreiter, nachdem sie selbst zu Opfern aktiver jugendlicher Delinquenz geworden sind: Der intellektuelle, aber körperlich schon zuvor verkümmerte Literat Mr. Alexander (denkwürdig: Patrick Magee), der von Alex und seinen Freunden einst zum Krüpel geprügelt wurde und dessen Frau (Adrienne Corri) an den Spätfolgen ihrer Vergewaltigung, deren Zeuge Alexander war, sterben sollte, wäre auch nur so lange zur Versöhnlichkeit bereit, wie er selbst untangiert bleibt. Für Alex hat er als dessen Opfer - aus rein menschlicher Sicht verständlich - nur persönliche Verachtung und Rachegedanken übrig. Der hehren Sozialethik werden ihre engen, intimen Grenzen aufgezeigt. Das fatalistische Resümee: In ihrem zukünftigen/gegenwärtigen Zustand kann die Gesellschaft nur überleben, wenn sie ihrem ohnehin moralethisch versauten Nachwuchs dessen Ausfälle einräumt und billigt. Alles greift ineinander, auch wenn es längst kaputt scheint - oder ist. Die autoritäre (Über-)Reaktion jedenfalls kostete uns langfristig unsere Freiheit. Die einzige Frage, die sich da noch stellt: Welcher Albtraum ist der angenehmere?
10/10
#1869
Geschrieben 03. August 2009, 08:24
Barry Lyndon ~ UK 1975
Directed By: Stanley Kubrick
Irland, 18. Jahrhundert: Nachdem der junge Landessohn Redmond Barry (Ryan O'Neal) einen Rivalen (Leonard Rossiter) vermeintlich im Duell erschossen hat, flieht er nach Dublin und wird Soldat der Irisch-Britischen Armee, die Preußen im Siebenjährigen Krieg gegen Frankreich unterstützt. Bald darauf entschließt er sich zur Desertion, bemächtigt sich der Uniform und Papiere eines Offiziers und geht dem deutschen Captain Potzdorf (Hardy Krüger), der Barrys Charade durchschaut, ins Netz. Barry wird mit Gewalt in die preußische Armee gezogen und bewährt sich dort. Nach seiner ehrenhaften Entlassung soll er dann im Polizeiauftrag einen irischen Spieler (Patrick Magee) ausspionieren, dem sich Barry jedoch offenbart und anschließt. Nach ihrer beider Flucht vom Festland lernt Barry Lady Lyndon (Marisa Berenson) kennen, die er nach dem Tode ihres Mannes (Frank Middlemass) ehelicht und die ihm den Namen 'Barry Lyndon' verehrt. Lady Lyndons Sohn Lord Bullingdon (Dominic Savage / Leon Vitali) beäugt diese Entwicklung argwöhnisch und lauthals kommentierend und Barry revanchiert sich im Gegenzug mit Gertenprügel. Um als ehrbares Gesellschaftsmitglied akzeptiert zu werden und vielleicht einen Adelstitel zu erhalten, gibt Barry das Geld seiner Frau mit vollen Händen aus. Großen Kummer bereitet ihm der Unfalltod seines kleinen Sohnes (David Morley). Er verfällt der Trunksucht und erfährt die späte Rache Bullingdons, der Barry im Duell zum Krüppel schießt. Aller seiner Lebenslichter beraubt, "verliert sich die Spur Barrys irgendwo in Europa", nachdem er sich wieder der Spielerei zugewandt hat.
Ein Film von geradezu abartiger Schönheit, Langsamkeit, Statik, Stuck und Ruhe kultivierend und einen trotz seiner äußeren Kühlheit mitten ins Herz treffend. Kubrick erreicht hier den Zenit seiner technischen Perfektion, sozusagen den Inbegriff all dessen, was man ihm als Filmemacher zuschreibt. Rein äußerlich ist "Barry Lyndon" daher ganz gewiss seine ästhetisch vollendetste, reifste, schönste Arbeit. Jedes einzelne Bild könnte entkontextualisiert auch als Gemälde im Stil spätbarocker Kunst bestehen; man ahnt, dass Kubrick bei manchen Außenaufnahmen sicher tagelang gewartet hat, bis die Lichtverhältnisse stimmig waren und die Wolken am Himmel in der passenden Konstellation standen. Legendär Kubricks Besessenheit in Bezug auf den Verzicht auf elektrische Lichtquellen am Set. Einzig natürliches Licht war gemäß der berichteten Ära zulässig, selbst nächtliche Innenräume durften nur mit Kerzen beleuchtet werden. Kubrick besorgte sich zur Realisierung der entsprechenden Aufnahmen ein für Licht hochempfindliches Objektiv, das Carl Zeiss eigens für die NASA hergestellt hatte. Mit diesem erzielte er geradezu verblüffende Effekte. Damit nicht genug - durch den ohrenscheinlich zurückgenommenen Musikeinsatz (neben u.a. Stücken von Händel und Schubert wirkt eine Ballade der Chieftains besonders prägnant), den kargen Dialog und die einprägsame Erzählstimme aus dem Off, die diversen, langsamen Rückwärtszooms, die vom closeup in die Totale führen, erzielt Kubrick exakt das Intendierte: Eine dramaturgisierte Reise zurück ins 18. Jahrhundert, einen historischen Film, der, lässt man sich hinreichend auf ihn ein, einen beispiellosen Eindruck von Authentizität vermittelt. Dabei ist die Geschichte, eine Anlehnung an klassische Bildungs- und Schelmenromane, denkbar einfach und ohne die umfassende existenzielle Tragweite von Kubricks vorangegangenen Arbeiten. Vermutlich ist es genau das, diese Persönlichkeit inmitten des visuellen Bombasts, die "Barry Lyndon" zum vielleicht luxuriösesten Kammerspiel macht, das je das Licht der Leinwand erblickte. Hin-rei-ßend.
10/10
#1870
Geschrieben 04. August 2009, 07:04
The Shining ~ UK/USA 1980
Directed By: Stanley Kubrick
Der Autor und Familienvater Jack Torrance (Jack Nicholson) nimmt eine Stellung als Hausverwalter für die Wintersaison im Overlook-Hotel in den Rocky Mountains an. Eine "Zusatzinformation" des Direktors (Barry Nelson) - Jahre zuvor ist Delbert Grady (Philip Stone), ein Mann in derselben Stellung wie Jack, dem Wahnsinn verfallen und hat seine Familie mit einer Axt ermordet - nimmt Jack eher belustigt entgegen. Zusammen mit seiner Frau Wendy (Shelley Duvall) und seinem kleinen Sohn Danny (Danny Lloyd), der das "zweite Gesicht" besitzt, das "shining", wie ihm der Hotel-Küchenchef Hallorann (Scatman Crothers) versichert, zieht Jack in das Hotel. Nach wenigen Tagen ist die kleine Familie ganz allein in dem Komplex und nach ein paar Wochen zudem völlig eingeschneit. Die Indizien mehren sich, dass Jack mit der Einsamkeit nicht zurechtkommt und einen Nervenzusammenbruch erleidet, bis Wendy die Gewissheit hat - Jack dreht langsam durch und bedroht sie und Danny. Damit nicht genug: Das Hotel selbst, seinerzeit ohne Erlaubnis erbaut auf einer alten indianischen Begräbnisstätte, ist der eigentliche Auslöser für die Ereignisse.
Spätestens mit "The Shining" wurde ein weiterer ehrgeiziger Anspruch Kubricks deutlich: Sich ein Genre vorzuknöpfen, es in Motivik und Gestaltung zu überdenken und schließlich eine Meilensteinarbeit darin (oder dafür) zu erstellen, nach Möglichkeit sogar ein Hauptwerk. Es gab seinerzeit viele Kritiker, die ihm dieses Unterfangen bezogen auf "The Shining" als gelungen attestierten, aus zweierlei primären Gründen: Zum einen das eingehende Studium der Horrorfilmklaviatur (Eingeschlossensein, Klaustrophobie, Unerwartetes, Unerklärliches etc.) und dessen Umsetzung in Mustergültigkeit, zum anderen kann Kubrick auch hier nicht umhin, neue Techniken zu etablieren und sie - darin liegt ja auch eine seiner großen Spezialitäten - unter Aussparung des späteren Eindrucks der Autoreneitelkeit oder gar der Prätention wie selbstverständlich zum Einsatz zu bringen. Hier ist die Rede von der Steadicam, die an Hebeln und unter Ausnutzung verschiedener physikalischer Prinzipien so konstruiert ist, dass der Kameramann die Möglichkeit hat, selbst relativ hektische Bewegungen zu vollführen, ohne dass die Bilder verwackeln. Zwar gab es bereits einige Filmeinsätze des noch jungen Systems, doch erst "The Shining" führte es zur bekannten Reife. Die aus der Rückenperspektive und auf Augenhöhe (!) gefilmte Einstellung des kleinen Danny, der auf einem Dreirad durch die schier unübersichtlichen Gänge des Hotels fährt, ist ein ikonischer Eindruck, den man aus "The Shining" mitnimmt, ebenso wie die finale Verfolgung durch das verschneite, von grellen Neonstrahlern erleuchtete Heckenlabyrinth, in dem Jack seinen Tod findet. Zurück zur Motivgestaltung: Das Labyrinthbild bestimmt den ganzen Film, bis hinein in die Metaphysik. Der tatsächliche Irrgarten vor dem Overlook, das Hotel selbst als Labyrinth, Jacks Psyche als Labyrinth, schließlich die labyrinthischen Spuren der einstigen Gräueltat Delbert Gradys, die überall im Hotel ihre übersinnlichen Spuren und Manifestationen hinterlassen haben. Darüberhinaus ist wunderbar, dass längst nicht alles erklärt wird und werden muss - viele Fakten überantwortet Kubrick einzig der Interpretation und Mündigkeit seines Publikums. Vielleicht macht ihn erst das so endgültig schätzenswert als Filmemacher, dass man den Respekt und die mentale Bereitschaft für sein Werk, die er seinen Zuschauern entgegenbringt und blind unterstellt, zu jeder Sekunde spürt. Einen Kubrick-Film sehen, genießen und vor allem: lieben zu können ist stets zugleich ein indirektes Kompliment an die eigene geistige Reife und Geschmackssicherheit.
10/10
#1871
Geschrieben 04. August 2009, 07:40
Full Metal Jacket ~ UK/USA 1987
Directed By: Stanley Kubrick
Im Frühjahr 1968, am Vorabend der Tet-Offensive, kommt eine von vielen Gruppen unter dem menschenverachtenden Drill des Gunnery Sergeant Hartman (R. Lee Ermey) in Parris Island ausgebildeter Marines nach Vietnam. Der zur Kriegsberichtserstattung abgestellte Private Joker (Matthew Modine) erlebt die ersten Ausläufer der Neujahrsüberfälle durch den Vietcong und kommt schließlich mit einem kleinen Platoon in das ausgebombte Huế, wo er Zeuge des ganzen Zerstörungspotentials des Krieges wird und es unter anderem mit einer erbarmungslosen Scharfschützin (Ngoc Le) zu tun bekommt.
Kubrick ließ sich beim Filmen alle Zeit der Welt. Die Idee zu einer Vietnamkriegsaufarbeitung stand bereits um 79. Daher musste (und muss) er sich den Vorwurf gefallen lassen, im Angesicht der starken Konkurrenz ein denkbar schlechtes Timing vorglegt zu haben. Dennoch ist sein insgesamt vierter Kriegsfilm selbstredend ganz anders als die der Kollegen und hat mit der Symbolkraft eines "Apocalypse Now", der umfassenden Sozialbestandsaufnahme "The Deer Hunter" und selbst mit dem Dschungeldrama "Platoon" wenn überhaupt nur ganz wenig gemein. Ein guter, ernstzunehmender Antikriegsfilm untersucht das Wesen des Krieges und versucht dessen Sezierung. Dieses Ziel exerziert auch "Full Metal Jacket" vor. Er beginnt mit der Ausbildung der Marines, die die Vorbereitung auf den Kampfeinsatz dergestalt vornimmt, dass sie Individualität, Charakter und Intellekt zu weiten Teilen bricht, die Innenleben der jungen Männer, ebenso wie ihre geschorenen Köpfe und Kleidung uniformiert und sie damit zu willfährigen, kritiklosen und subordinierten Obrigkeitswerkzeugen formt. Wackelkandidaten wie der unbeholfene Private Pyle (Vincent D'Onofrio) bleiben auf der Strecke und dürfen als "verzichtbare Verluste" in die Statistik eingehen. Selbst der permanent fluchende, bigotte Unteroffizier Hartman ist entbehrlich und auswechselbar.
Vietnam präsentiert sich hier ausnahmsweise als urbanes Schlachtfeld, wo der gemeine Zuschauer landläufig Dschungel, Schlamm, Unwegsamkeit, Moskitos, Schweiß und Gefangenenlager assoziiert. Der Fall von Huế, der besonders den unaufhörlich nachgeschobenen Vietcong-Soldaten zu Tausenden das Leben kostete, wurde und wird im Spielfilm gern unterschlagen, vermutlich gerade weil das pittoreske Urwaldbild fehlt. Kubrick jedoch registrierte die Allgemeingültigkeit dieses Gefechtsschauplatzes, der, abgesehen von den klimatischen Verhältnissen auch Stalingrad, Berlin, Beirut, Belfast oder Bagdad heißen könnte und nicht schlechter ist als jeder andere von Menschenhand zerstörte Ort, an dem sich gegnerische Armeen unter Beschuss nehmen. Gedreht hat er auf einer Industriebrache im Londoner Eastend.
Der verstörendste Aspekt an "Full Metal Jacket" ist die aseptische Beiläufigkeit seines Erzähltons. Es gibt keine leidenschaftlich ausformulierten Anklagen oder jene philosophische Weitsicht des Ich-Erzählers (wie bei Vater und Sohn Sheen), der mit weitschweifiger Lyrik den Irrsinn verbalisiert. Private Joker, all-american-boy ohne besondere hervorstechende Attribute (mit Ausnahme des Peace-Buttons am Revers) sagt's am Schluss ganz knapp und klar: "Ja, wir leben in einer Welt aus Scheiße. Aber Mann, ich lebe. Das zählt."
9/10
#1872
Geschrieben 05. August 2009, 08:25
Eyes Wide Shut ~ UK/USA 1999
Directed By: Stanley Kubrick
Dr. William Harford (Tom Cruise) und seine Frau Alice (Nicole Kidman) führen eine glückliche New Yorker Ehe mit Kind (Madison Eginton). Doch unter der Selbstillusion brodelt es schon längst: Sexuelle Wünsche und Obsessionen, schon allein deren Formulierung, sind tabu. Zum Ausbruch kommt die Angst vor dem eigenen Unterbewusstsein nach der Weihnachtsparty bei einem Freund (Sydney Pollack). Ein Joint lockert die Zunge und Alice, die Bill, der seine Frau insgeheim als treues Hausmütterchen wähnt, im Verdacht der Untreue hat, von einem früheren, unbändigen Wunsch nach Sex mit einem Marineoffizier. Bill ist erschüttert und stürzt sich, ein patentes Alibi in der Tasche, in der Nacht in ein irreal scheinendes Abenteuer. Ein bekannter Pianist (Todd Field) erzählt Bill von einem Engagement bei einer Geheimgesellschaft, die sich, durchweg maskiert, an exklusiven Plätzen zu luxuriös ausgestatteten Swingerpartys trifft und dazu einer Geheimloge entsprechende Rituale pflegt. Als Bill dort auftaucht, warnt ihn eine nackte, maskierte Schönheit, dass er dort in höchster Gefahr schwebe. Die Warnung bleibt ungehört, die Neugier zu groß. Schließlich wird Bill demaskiert und unter prekären Umständen aus dem Haus komplementiert. Einer Warnung zum Trotze, keine weiteren Nachforschgungen zu betreiben schnüffelt Bill herum und wird selbst beschattet. Als seine schöne Protektorin wegen einer Überdosis Heroin tot augefunden wird, bekommt es Bill mit der Angst zu tun.
Das damalige Hollywood-Vorzeigepaar Cruise/Kidman für seine Bilanzierung einer bourgeoisen Ehe zu verwenden, war nicht der einzige Kubricks letzten Film veredelnde Coup. "Eyes Wide Shut" basiert auf Arthur Schnitzlers "Traumnovelle", in der ein Wiener Arzt ebendieselben, unwirklich erscheinenden Erlebnisse durchmacht wie Bill Harford im Film. Durch die relativ kurze Erzählzeit der Vorlage und die vergleichsweise lange der Verfilmung gelingt es Kubrick, die Schnitzlers Grundierung nahezu kongenial umzusetzen. Einzig Details, die handlungstragende Ära (Schnitzler verortet sich zwischen literarischem Expressionismus und Neuer Sachlichkeit), eben der urbane Schauplatz und die Namen der Protagonisten wurden modifiziert. Dennoch hat Kubrick für den Dreh keinen Fuß aus England herausgesetzt, sein Greenwich Village ist in London. Für den Mysteriengehalt der Geschichte spielt das aber keine Rolle. Es geht ohnehin bloß um die Vorspiegelung von Orten und Lokalitäten. Das eigentliche Thema ist universell: Absolute Beziehungssicherheit, so sie auch über Jahre und Jahrzehnte aufrecht scheint, ist eine Illusion. Die "Traumnovelle" und ebenso "Eyes Wide Shut" sind streng der psychoanalytischen Strömung verpflichtet und formulieren Erkenntnisse von Freud und Jung in passgenauer Form. Das Unterbewusstsein ist eine, wenn nicht die treibende Kraft, in seiner Macht über uns nicht zu unterschätzen. Einzig die Erforschung und Offenlegung der eigenen Intimität, die gegenseitige Aussprache, besitzt läuternde Kraft in der Krise. Dass Alice das längst erkannt hat und Bill erst eine Reise in innere und äußere Grenzbereiche antreten muss, um Klarheit zu erlangen, ist ein großes Zugeständnis an weibliche Kraft und Sensibilität.
Die temporäre Ansiedlung der Geschichte um Weihnachten und vornehmlich nächtens kommt Kubrick entgegen: In jeder Behausung, die die Kamera observiert, steht ein kitschig, fast identisch erleuchteter Tannenbaum, das Haus des wie selbstverständlich zur Ausschweifung neigenden Victor Ziegler (Pollack) ist ein einziges elektrisches Lichtermeer, in dem Orgienchâteau kommen Zwielicht, Schatten und Kerzen zum Einsatz. "Eyes Wide Shut" ist auf zwischenmenschlicher Ebene nicht leicht fassbar. Weder sind die gutaussehenden Harfords sympathische Menschen (Bill ist ein arroganter Profilneurotiker, der beim Schnüffeln allenthalben seinen Ärztepass wie einen FBI-Ausweis vorzeigt, Alice neigt zu unliebsamer, offensiver Provokation) noch wird man überhaupt jemals in das Gefühl versetzt, sich in der porträtierten Welt zurechtfinden zu können. Sky Dumont, Schleimer par excellence, gibt sich die "Ehre" als ungarischer Graf, ein Model (Julienne Davis) zerbricht an der eigenen Schönheit, Leelee Sobieski als Tochter eines russischen Kostümverleihers (Rade Serbedzija) hat den Sprung von der Lolita zur Profihure bereits hinter sich gelassen (und wird kurzerhand von ihrem zuvor entsetzten Vater weitervermarktet), zwei Freizeitnutten, die Bill unabhängig voneinander während seiner Odyssee kennenlernt, erweisen sich als durchweh bemitleidenswert. Man bedauert es wenig, all diese Menschen nicht privat kennenzulernen. Umso interessanter scheint es, sie aus sicherer Distanz beobachten zu können. Ein weiteres Geheimnis Kubricks, gelüftet. Sein eigenes Harmoniebedürfnis und sein Privatrenommee als untadeliger Familienvater hat er mit all den wahlweise seltsamen, kalt erscheinenden, teilnahmslosen, aggressiven, opportunistischen Gestalten seiner Filme kompensiert. Eine lebenslange Selbsttherapierung mit durchschlagendem Erfolg.
9/10
#1873
Geschrieben 06. August 2009, 18:13
Timecop ~ USA/CAN/J 1994
Directed By: Peter Hyams
Nachdem ein findiger Wissenschaftler das Geheimnis der Zeitreise entschlüsselt hat, wittern die US-Behörden sogleich das kriminelle Potenzial, das diese Entdeckung ermöglicht und rufen eine "Timecop"-Einheit ins Leben. Kaum erhält der Prügelbulle Max Walker (Jean-Claude van Damme) die Nachricht, dass er bei den Timecops mitmischen darf, wird seine Frau Melissa (Mia Sara) ermordet. Zehn Jahre später wird Walker auf den machtgierigen Senator McComb (Ron Silver) aufmerksam, der mittels einer eigenen Zeitmaschine korrupte Polizisten in die Vergangenheit entsendet, um ihn reich zu machen und somit seinen Präsidentschaftswahlkampf zu finanzieren. Damit nicht genug findet Walker noch heraus, dass McComb in die damalige Ermordung Melissas verstrickt ist. Zeit, einige verjährt geglaubte Scharten auszuwetzen.
Gegen seine jüngstes Zeitreise-Abenteuer "A Sound of Thunder" ist Hyams' "Timecop", die erste von zwei Kooperationen mit van Damme für die Universal, beinahe pures Gold. Das liegt in erster Linie am Script, dass eine halbwegs ausbalancierte Gratwanderung zwischen den für den Protagonisten ihrerzeit üblichen B-Kloppern und echtem Genrekino versucht und auch weitgehend meistert. "Timecop" ist wie sein Nachfolger "Sudden Death" und wie eigentlich die allermeisten Hyams-Filme grundehrliches Entertainment-Kino, das seine Orientierung als Fast-Food-Gebrauchswerkzeug nie verleugnet. Mindestens so wichtig wie der obligatorische, hier überaus peinliche (Küchen-)Spagat des Brüsselers sind die zahlreichen, mitunter sogar witzigen oneliner und der patente Antagonist, der schon durch den Einsatz fähiger Darsteller (neben Silver fallen einem Joss Ackland, Lance Henriksen, Powers Boothe ein) häufig so angelegt war, dass er van Damme offenkundig an Witz und Intellekt übertraf und gerade deswegen meist ein mindestens so stark besetzter Sympathieträger war wie er selbst.
Die einfachsten trivialen und wissenschaftlichen Prinzipien der Zeitreise tritt (wie könnte es anders sein) "Timecop" kurzerhand mit Füßen. Dazu gehören die, dass man seinem jüngeren Ich nicht begegnen bzw. es kontaktieren darf ("Timecop" denkt sich dafür am Ende eine hübsche, Hyams-typische Strafe aus), oder dass bereits minimale Änderungen (in "A Sound Of Thunder" und "Butterfly Effect" war dies jeweils handlungstragendes Element) vergangener und damit festgelegter Schicksalsfügungen und Ereignisse zu imkommensurablen temporalen Kontinuitätsstörungen führen können. Zur Abhilfe bleibt da bloß der Gedanke daran, dass man sich nicht auf die gedanklichen Exkurse eines Einstein-Schülers eingelassen hat, sondern auf einem Film mit der Spagatlegende unter den Kickboxern.
6/10
#1874
Geschrieben 06. August 2009, 18:35
Armed Response (Die Vergelter) ~ USA 1986
Directed By: Fred Olen Ray
Mit dem Diebstahl einer Statue, die als Friedenssymbol zwischen der Yakuza und einer Triade in Chinatown dienen soll, gerät der japanische Gangsterboss Tanaka (Mako) unter schweren Druck. Er engagiert zur Wiederbeschaffung der Statue ein Detektivduo, zu dem neben dem schmierigen Halbwelter Thorton (Ross Hagen) Clay Roth (David Goss) gehört, dessen Bruder Jim (David Carradine) als Kneipier, liebevoller Familienvater und traumatisierter Vietnam-Vet glänzt und dessen Vater Burt (Lee van Cleef) ein immer noch schlagfertiger Ex-Cop ist, der sich am liebsten in der Pinte seines Sohnemanns einen hinter die Binde kippt. Als Clay von Thorton übers Ohr gehauen und erschossen wird, sind die Roths bereits in höchster Alarmbereitschaft, als Tanakas Männer dann auch noch Tommy (Brent Huff), den dritten Bruder Roth, foltern und töten, gibt es für Vater Burt und Filius Jim kein Halten mehr.
B-Action-Kracher nach Maß aus Zeiten, in denen der sympathische Fred Olen Ray noch nicht DTV-Filme verlegte wie der Dachdecker seine Schindeln, sondern sich noch maßvolle Mühe gab. "Armed Response" ist ein wirklich sehr sympathischer, kleiner Film, nicht allzu clever in der Ausführung, dafür jedoch mit einer glänzenden Trash-Besetzung, die noch bekannte Gesichter wie die von Michael Berryman, Dick Miller, Laurene Landon, Cary-Hiroyuki-Tagawa und das des lustigen Richard Lee-Sung auffährt. Das muss man einfach liebhaben. Selbst die Mimik des ansonsten eher stoischen Kandidaten Lee van Cleef vollführt geradezu akrobatische Leistungen. Zurückzuführen dürfte das auf eine entspannte Set-Atmosphäre sein, die diesem offenkundigen Spaßprodukt sehr wohl getan haben wird. Eine ordentliche DVD-Auflage (die deutsche ist gekürzt, die RC-1 weist ein permanentes Flackerbild auf) täte jetzt noch Not. Das gilt nebenbei auch für die anderen 80er-Schätze von Ray wie den schönen Plastikstreifen "The Tomb". Kommt doch sonst auch jeder Mist.
6/10
#1875
Geschrieben 06. August 2009, 18:56
The Longest Yard (Die Kampfmaschine) ~ USA 1974
Directed By: Robert Aldrich
Nachdem er im Vollrausch den Maserati seiner Luxusfreundin (Anitra Ford) in einer wilden Verfolgungsjagd mit der Polizei zu Schrott gefahren und danach versenkt hat, wandert der völlig korrumpierte Ex-Football-Profi Paul Crewe (Burt Reynolds) in den Knast. Dort wird er von Direktor Hazen (Eddie Albert) eher widerwillig zum Trainer einer neuen Häftlingsmannschaft gemacht, die als vorgeimpfte Verlierertruppe später die Ehre der Wachtpostenmannschaft retten soll. Crewe wittert jedoch die letzte Chance zur Rettung seiner persönlichen Integrität und formt aus seinem selbst aufgestellten Haufen ein starkes Team. Die letzte Bewährungsprobe erwartet ihn allerdings noch zur Spielhalbzeit, denn Hazen sieht seine Autorität gefährdet und will Crewe zum Verlieren pressen.
Es gibt Filme, die sieht man erst viel zu spät und ahnt dann die über die Jahre verpassten Chancen. "The Longest Yard" ist genau so ein Fall. Heuer zum ersten Male betrachtet, nach dem Sandler-Remake übrigens, sehr begeistert und vor allem zerknirscht darüber, dass der Film erst jetzt Einzug in meine Kopf-Videothek gehalten hat. Man begreift dann auch nicht mehr recht, was einen all die Jahre davon abgehalten, ihn sich schon längst einmal anzuschauen. In meinem Fall dürfte das seine Ausweisung als Sportfilm gewesen sein, was im Endeffekt natürlich Blödsinn ist, wenn der Regisseur Robert Aldrich und sein Hauptdarsteller Burt Reynolds heißen. Doch genug auf hohem Niveau gejammert. Die noch frischen Eindrücke sind durchweg positiv: Die Produktion durch Reynolds-Spezi Albert S. Ruddy, der später auch die beiden "Cannonball Run" - Filme verantwortete, ist ein unverkennbares - Vorsicht, Wortschöpfung - Amerikanosum, das durch die vor Testosteron berstende inszenatorische Identität Aldrichs noch an angenehmer, aber auch Originalität stiftender Schablonenhaftigkeit hinzugewinnt. Aldrichs Sinn und Herz für Nebenfiguren trifft auch hier voll ins Schwarze und spätere, ewige Zweit- und Drittreihen-Darsteller wie James Hampton, Richard Kiel und Robert Tessier kommen zu ihrem verdienten Recht. Außerdem ist mir mal wieder aufgefallen, wie versiert früher noch Synchronarbeit war. Die deutsche Vertonung jedenfalls ist, analog zum Film selbst natürlich, bereits nach dem ersten Eindruck ein Klassiker. Was hätte ich dieses Ding als Rotzbengel geliebt...
8/10
#1876
Geschrieben 07. August 2009, 06:37
10 ~ USA 1979
Directed By: Blake Edwards
Der erfolgreiche Komponist George Webber (Dudley Moore) spürt pünktlich zu seinem 42. Geburtstag eine tiefe existenzielle Unzufriedenheit in Bezug auf seine libidinöse Ausfüllung. Sein Nachbar (Don Calfa), mit dem sich George gegenseitig per Fernrohr observiert, feiert eine auschweifende Orgie nach der anderen, überall in Malibu laufen hübsche Strandnixen herum und der arme George fühlt sich doch einzig seiner Freundin Sam (Julie Andrews) und der künftigen Monogamie verpflichtet und damit zum zwangsläufigen Austrocknen verdammt. Als er per Zufall seine persönliche Traumfrau Jenny (Bo Derek) erblickt, eine Art ultimative Projektionsfläche für Georges sämtliche Gelüste, gibt es für den Ver(w)irrten kein Halten mehr. Sklavisch folgt er der jungen Schönheit in ihre Flitterwochen nach Mexiko, knüpft auf spektakuläre Weise Kontakt zu ihr und muss schließlich lernen, dass die Substanz des Lebens doch ganz woanders liegt.
Der spätere Blake Edwards befasste sich gern mit Männern in der midlife crisis und deren Wunsch, dem unweigerlichen Alterungsprozess mit Beweisen ihrer ungebrochenen Potenz entgegenzusteuern. Darin liegen sicherlich auch biographische Nuancen, das beweist schon der wiederholte Einsatz des Themas, siehe auch "The Man Who Loved Women" oder "Skin Deep". Was "10" (die Zahl steht für den Höchstwert auf der männlichen Begehrlichkeitsskala, den eben die Derek personifiziert) anbelangt, so kann man Edwards jedenfalls bescheinigen, eine sehr gescheite, geschickte und vor allem sympathische Komödie vorgelegt zu haben, die auch Slapstick-Elemente nicht scheut. Moore muss sich permanenten Missgeschicken aussetzen, die jeweils als kleine, quasi überirdische Sofortstrafen auf seine bereits im Geiste reifende Promiskuität erfolgen und zum Totlachen sind. Überhaupt ist der Film auch als Hommage an Moores Talente zu verstehen, die vom virtuosen Pianospiel bis zur comedic interpretation hin reichten und die dem quirligen Darsteller ein Sprungbrett für seine späteren Erfolge im Lustspielfach lieferte. Moore als George Webber geht dann auch als wohlfeile Identifikationsperson durch und auch sonst funktioniert alles vortrefflich. Nur eines kann man dem Kerl als Geschlechtsgenosse nie, niemals verzeihen: Er stößt Bo Derek, damals 23, doch tatsächlich im präfinalen Moment von der Bettkante. Wie gottverdammt vernünftig kann ein Mensch sein?
8/10
#1877
Geschrieben 08. August 2009, 12:15
L'Uccello Dalle Piume Di Cristallo (Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe) ~ I/D 1970
Directed By: Dario Argento
Der amerikanische Romancier Sam Dalmas (Tony Musante), der soeben in Rom sein neues Buch fertiggestellt hat, wird kurz vor seiner Abreise Zeuge eines versuchten Mordes. Der dreiste Ermittler Morosini (Enrico Maria Salerno) verhindert daraufhin Dalmas' Heimflug, weil er seinen einzigen Zeugen nicht verlieren möchte - offenbar handelte es sich bei dem Beinahetäter nämlich um einen Serienmörder, der bereits mehrere Frauen auf dem Gewissen hat. Bald ist allerdings auch Dalmas' eigener Spürsinn geweckt und er macht sich emsig auf die Suche nach dem Täter, bei der ihm ein obszönes Gemälde und ein exotisches Federtier (das titelspendende im Original) die Schlüsselhinweise liefern.
In Anbetracht der kürzlich geführten, recht hitzig verlaufenen Diskussion um Dario Argento und seine sehr spezielle Art des Filmemachens habe ich aktuell natürlich ein besonders kritisches Auge auf sein Erstlingswerk geworfen, fand meine Ansichten betreffs des Regisseurs jedoch wiederum angenehm und zu meiner großen Beruhigung bestätigt. Der Mann hat ein sagenhaftes Gespür dafür, Stimmungen visuell einzufangen (hier übrigens in der Exekutive durch Vittorio Storaro) und für die Inszenierung von Gebäuden, Räumen, Plätzen. Die Geschichte, die sich im Prinzip von hieran ja tatsächlich ständig wiederholen und selbst revisionieren wird, ist allerdings, auch das nichts Neues, weitgehend uninteressantes Stückwerk. Wenn Argento davon spricht, dass er immens von der Psychoanalyse beeinflusst sei und entsprechende Erkenntnisse in seinen Filmen unterzubringen versuche, dann darf man ihm guten Gewissens Hemdsärmeligkeit bescheinigen; ebendies auch bezüglich des Bedürfnisses, interessante Storys zu erzählen. Sollte dies wirklich eines seiner Ziele sein, so mag man ihm sogar attestieren, weitflächig versagt zu haben. Klug im rein semantischen Sinne und bezogen auf den rein inhaltlichen Gehalt sind und waren seine Filme nie, reduziert man sie auf den Plot, so hat man wahlweise Billigkrimis oder Schwachsinn. Aber das macht Argento ja auch überhaupt nicht aus und das gilt es zu begreifen, möchte man sich ernsthaft mit seiner Arbeit beschäftigen. Die rein sensuelle Ebene zeichnet seine Filme aus, die audiovisuelle Rauschhaftigkeit und seine höchsteigene Travestie aus Barbarei und Ästhetik. Ich mag das sehr. "L'Uccello" initiiert und etabliert bereits viele der Merkmale, die später charakteristisch für Argento sein werden und seine Unverkennbarkeit ausmachen sollen, einzig mit der Kunstblutzufuhr hält man noch hinterm Berg. Das kommt dann bald darauf noch. Meine Lieblingsszene dieses Films ist übrigens die sowieso unwiderstehliche, sehr witzige mit Mario Adorf als durchgedrehtem Maler, der seine Katzen fettfüttert und brät. Köstlich.
7/10
#1878
Geschrieben 09. August 2009, 07:34
Two-Minute Warning (Zwei Minuten Warnung) ~ USA 1976
Directed By: Larry Peerce
Ein durchgedrehter Scharfschütze sucht sich ausgerechnet das vielbesuchte Footballspiel L.A. gegen Baltimore aus, um einen blutigen Amoklauf zu verrichten. Er verschanzt sich hinter der Anzeigentafel des Stadions und wartet fast bis zum Ende des Spiels, bevor er losschlägt. Dennoch wird er zuvor von einer TV-Kamera erfasst und entdeckt. Die Polizisten Holly (Charlton Heston) und Button (John Cassavetes) haben die schwierige Aufgabe, den Schützen zu überwachen und ihn unschädlich zu machen, ohne dass eine Massenpanik im Stadion ausbricht.
Amokschützen bzw. Mörder in luftig-erhöhter Position sind spätestens seit dem Kennedy-Mord und der Whitman-Schießerei von Austin ein amerikanisches Nationaltrauma. Im Film wurde das Thema bereits in "Targets" und "Dirty Harry" aufgegriffen, jeweils aus Täter- bzw. Ermittlerperspektive. "Two-Minute Warning" verpackte es dann noch in eine in jeder Hinsicht typische Katastrophengewandung. Zunächst werden diverse, zumeist von mehr oder weniger prominenten Darstellern gespielte Personen eingeführt und etabliert, ein simpler Kniff zur Empathieweckung und Identifikation, der einen allzu anonymen Verlauf des finalen Debakels verhindern soll. Hinzu kommt die Spannungsschürung durch die Vorbereitung der schrecklichen Ereignisse, die in diesem Falle ein singuläres Individuum (mittels der subjektiven Kamera) präsentiert, das sich seelenruhig auf sein brutales Werk vorbereitet. Die Bilder von Tod, Panik, Verwüstung; Katalysatoren der ganz unverbindlichen Publikums-Sensationsgier, warten bis zum Schluss.
Das hervorhebenswerte Faktum an "Two-Minute Warning" ist nun zugleich seine Crux: Der Film gibt sich Mühe, fast semidokumentarisch minutiös und präzise zu berichten und hält trotz der o.a. Dramaturgie kaum Chancen zur emotionalen Involvierung bereit. Das presst ihn bei ansonsten unkritischer Form in eine eher dysfunktionale, weil seltsam unbeteiligt wirkende Nische. Der Hybris aus Thriller und Katastrophenfilm fehlt somit schlichterdings der ungestörte Fluss, aus exakt diesem Grunde. Eine eindeutige Entscheidungsfindung hätte hier vielleicht Abhilfe leisten können, so bleibt - freilich auch nicht schlecht - ein sehr gut besetztes, leidlich spannendes Beispiel für jene verzweifelt-unbeholfenen Studiostrohhalme, die Mitte der 70er das große Geld einsaugen sollten.
6/10
#1879
Geschrieben 09. August 2009, 08:02
North West Mounted Police (Die scharlachroten Reiter) ~ USA 1940
Directed By: Cecil B. DeMille
Um 1885 verfolgt der Texas Ranger Dusty Rivers (Gary Cooper) den Verbrecher Corbeau (George Bancroft) bis nach Kanada. Auf seiner Flucht überredet Corbeau den Lehrer Louis Riel (Francis McDonald), zusammen mit ihm ausgehend von Batoche eine zweite Rebellion der Métis (kanadische Mestizen) gegen die Regierung anzuführen. Ein Trommelgewehr soll die notwendigen, schlagkräftigen Argumente liefern. Tatsächlich lassen sich die Métis problemlos aufwiegeln und ziehen gegen die stolzen, rotgewandeten Reiter der Northwest Mounted Police zu Felde. Deren Sergeant Brett (Preston Foster), der unsterblich in die schöne Sanitäterin April Logan (Madeleine Carroll) verliebt ist, hat dementsprechend alle Hände voll zu tun. Glücklicherweise greift ihm Rivers tatkräftig unter die Arme.
"North West Mounted Police" reiht sich nahtlos ein in die Riege der übliche DeMille-Filme dieser Zeit: Er bietet aufwändiges, farbenprächtiges Abenteuerkino, das illustrierten Kinderbüchern wesentlich nähersteht als dem behaupteten Genre, dem Western nämlich. In garantiert oberflächlicher Weise befleißigte sich DeMille eines historischen Ereignisses, der Nordwest-Rebellion von 1885, fügte ein paar authentische Namen wie den des Politikers und Mestizen Louis Riel hinzu und brachte den obligatorischen Gary Cooper als kernigen Südstaatler unter, auf dass er auch in Kanada seine US-amerikanischen Muskeln spielen lasse, Frauenherzen breche, zur Ehrenrettung verirrter Soldaten (Robert Preston) schreite und überhaupt viel Rabbatz mache. Die berittene Bergpolizei dient da eher Folklore-Zwecken, DeMille lässt ihre roten Röcke in gleißendem Technicolor erstrahlen und filmt ihre Appelle und Aufmärsche mit unverhoheln fetischistischer Intention. Nicht schwer zu erraten folglich, was dem großen Mogul Freude und Befriedigung bereitete. Lässt man sich davon auch als Zuschauer bereitwillig mitreißen, und das kann zumindest ich in den Fällen DeMille und Cooper sowieso stets gut, findet man vielleicht selbst ebenfalls ein kleines Stück Erfüllung in Form von so schlichtem wie bunten, klassischen Hollywood in seinem schönsten Sonntagsanzug.
7/10
#1880
Geschrieben 10. August 2009, 19:55
The Lawless Breed (Gefährliches Blut) ~ USA 1953
Directed By: Raoul Walsh
Zur Zeit des Sezessionskriegs ist der Texaner John Wesley Hardin (Rock Hudson) noch ein Kind - aber er prägt sich für sein späteres Leben ein, dass ein guter Umgang mit dem Colt nicht nur lebensrettend sein kann, sondern stets auch für die Respektbekundung der Mitmenschen sorgt. Als junger Mann treibt sich Wes am liebsten in den Saloons herum, um sich beim Stud und anderen Glücksspielen das Geld für eine Pferdefarm zu verdienen. Durch einen am Pokertisch eskalierender Streit, der mit dem Tod seines Gegenübers (Michael Ansara) endet, macht er sich schließlich die Hanley-Sippe zu Feinden, was zu weiteren Schießereien führt und schließlich sogar das Leben eines Deputysheriffs (George Eldredge) fordert. Ständig auf der Flucht und vom nicht abschüttelbaren Tod umgeben, heiratet John schließlich die ihn schon lange anhimmelnde Bardame Rosie (Julie Adams) und setzt sich unter falschem Namen doch noch als Farmer zur Ruhe, wird jedoch gefasst und ins Gefängnis gesteckt. Seine vorzeitige Entlassung führt ihn wieder heim, doch sein eigener Sohn (Race Gentry) übt bereits fleißig das Schießen - der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.
Hardin ist einer der berühmtesten Outlaws und Revolverhelden des späten Westens, der durch Raoul Walsh - wie üblich bei dem Regisseur - eine vollkommen inadäquate Historisierung erfährt. Der attraktiv aussehende Rock Hudson musste Hardin als engelsgesichtigen Abenteurer anlegen, dessen innere Aggressionen jeweils nur durch äußere Umstände geschürt werden und der wenn überhaupt nur in Notwehr tötet. Durch die Verschriftlichung seiner Autobiographie während der 16 Jahre währenden (deutlich verkürzten) Haftzeit reift Hudson-Hardin schließlich zum besonnenen Menschen heran, dessen kriminelle Energie rundum abgetötet scheint und der als gesetzter Familienvater ins Filmparadies entlassen wird. Der echte John Wesley Hardin war ein ziemlich mordlustiger Bandit, der Billy The Kid deutlich näher stand als rechtstreueren Zeitgenossen wie Wyatt Earp und der mit den Leichen, die er angeblich auf dem Kerbholz haben wollte, nur allzu gern herumprahlte. Ähnlich wie Wild Bill Hickock, mit dem Hardin sogar aneinandergeriet (diese Begegnung wird auch im Film nachgezeichnet), starb er schließlich, indem er hinterrücks am Spieltisch erschossen wurde. Walshs Film ist also ein weiterer Westlegendenfütterer, ein sehr schöner und ansehnlicher übrigens, der das Technicolor für sich gepachtet zu haben scheint. Zudem ist Julie Adams, das schöne Lustobjekt der "Creature Of The Black Lagoon" mit dabei. Nicht die einzige Parallele zu Arnolds Film übrigens; es wurde als Titelmusik wieder einmal das von der Universal dauernd eingesetzte Herman-Stein-Thema hervorgekramt, das auch in bzw. vor diversen anderen Arnold-Filmen zu hören ist.
7/10
#1881
Geschrieben 10. August 2009, 20:26
2010: The Year We Make Contact (2010 - Das Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen) ~ USA 1984
Directed By: Peter Hyams
Neun Jahre nach dem Flug der Discovery nach Jupiter und dem Verschwinden des an Bord befindlichen Astronauten Dave Bowman (Keir Dullea) startet eine russisch-amerikanische Besatzung unter Beteiligung des damaligen Untersuchungsleiters Dr. Heywood Floyd (Roy Scheider), der die Herkunft des Monolithen vom Mond erkunden wollte und des HAL-9000-Konstrukteurs Dr. Chandra (Bob Balaban) wiederum in Richtung des großen Planeten. Auf der Erde spitzt sich derweil der noch immer grassierende Kalte Krieg zu und droht wieder einmal heiß zu werden. Am Ziel angekommen entdeckt die Forschergruppe die sich auf den Mond Europa zubewegende Discovery und auch einen gigantischen Monolithen. HAL wird reaktiviert. Und selbst Dave Bowman taucht auf, in immer unterschiedlichen Altersstadien, und kündigt an, dass "etwas Wundervolles" passieren werde. Dabei sieht es fast so aus, als braue sich auf der Rückseite Jupiters Unheil zusammen. Dort sammeln sich Abermillionen der Monolithen aus unbekannter Ursache.
Eine derart schwere Hypothek, wie sie Kubrick einst mit "2001: A Space Odyssey" lieferte, war und ist so gut wie unmöglich einlösbar, schon gar nicht durch einen Routinier wie Peter Hyams. Dabei hatte dieser es, zumindest was die inhaltliche Bearbeitung anging, nichtmal allzu schwer; Arthur C. Clarke, der bereits als Ideenstifter für Kubricks Werk und als Adapteur für den fast parallel verfassten Roman zuständig gewesen war, hatte kurz zuvor selbst die Fortsetzung verfasst. Diese rückt den in Kubricks Film noch recht steif und bürokratisch erscheinenden Heywood Floyd ins Ereigniszentrum und macht zumindest im Film einen typischen Roy-Scheider-Charakter aus ihm, einen locker-fluffigen Kerl mit netter Familie, der sich durch Joggen fithält und zur Beruhigung einen Flachmann mit Bourbon mit ins All nimmt. Damit wäre bereits die erste Dissonanz in dickem Rot eingekreist und spätestens an dieser Stelle wird einem bei der Filmbeschau klar, dass es müßig ist, nach weiteren Ausschau zu halten. "2010" ist ein durchaus nett gemeinter, gar nicht mal übler Film aus der Sparte 'friedliebende Aliens rufen Menschheit zu Besinnung', wie "The Day The Earth Stood Still" oder "The Abyss".
Peter Hyams, den ich mir immer unwillkürlich als Handwerker in Lumberjack-Kluft und mit umgeschnallter Motorsäge vorstelle, war, kommt man einen Schritt weiter mit dem Film, vielleicht sogar der beste Mann für dieses von vornherein zum Scheitern verurteilte und zur Enttäuschung verdammte Projekt, denn weder verstellt er sich, noch gibt er sich schlangenzüngig-prätentiös, sondern arbeitet genauso ökonomisch und zielgerichtet, wie man es von ihm gewohnt ist und erwarten kann. So bleibt der Film zumindest äußerlich stets problemlos und greifbar, verzichtet auf jegliche Form der Hip(pie)ness (wenn auch nicht auf Richard Strauss) und kann als technisch vertretbarer Sci-Fi-Streifen stehen gelassen werden.
6/10
#1882
Geschrieben 11. August 2009, 08:18
Running Scared (Diese Zwei sind nicht zu fassen) ~ USA 1986
Directed By: Peter Hyams
Die beiden Cops und besten Freunde Hughes (Gregory Hines) und Constanzo (Billy Crystal) vom Chicagoer Police Department knacken schwer daran, den Dealer Gonzales (Jimmy Smits), der sich zu der Stadt neuestem Paten aufschwingen will, dingfest zu machen. Als sie ihr Engagement etwas zu sehr übertreiben, bekommen sie einen Urlaub verordnet, den sie nutzen, um auf den Florida Keys Bilanz zu ziehen und zu planen, den Polizeiberuf an den Nagel zu hängen sowie eine Strandbar zu kaufen. Zurück im winterlichen Chicago müssen sie jedoch feststellen, dass Gonzales während ihrer Abwesenheit erst so richtig die Puppen tanzen ließ.
"Running Scared" steht in der umfangreichen Tradition der in den Achtzigern und Neunzigern sehr beliebten Buddy Movies und kombiniert diese mit dem poppigen Schmuddellook-Ethno-Polizisten, den Eddie Murphy mit "Beverly Hills Cop" zuvor zum ganz großen Erfolg geführt hatte. Hughes und Constanzo, so vertraut miteinander, dass sie sich sogar gegenseitig beim Beischlaf stören dürfen, ohne dass es den anderen scherte, widersprechen mit Drei-Tage-Bart, Ohrring, Wollschal mit Wonne dem alten Officer-Klischee und revitalisieren eher den "Serpico"-Dienstanzug. Die wahre Stärke des Films, eines der besten von Hyams, liegt jedoch in der Episodenhaftigkeit der Narration. Die Story mit Jimmy Smits als Gangsterboss in spe ist als genreverpflichtender Rahmen nur zweitrangig, im Vordergrund stehen die beiden Detectives, ihre Freundschaft, und wie sie ihre männlichen Bedürfnisse, zu denen - na klar - gesteigerter Alkoholkonsum, Angeln und Vielweiberei gehören, in vollsten Zügen ausleben und deshalb auch in der unentspanntesten Situation nie aus der Haut fahren. Hyams, stets seine eigener (Scope-)Kameramann, darf sich im arschkalten Chicago richtig austoben. Selten sah die Metropole so dreckig und zugleich heimelig aus wie hier und eine Verfolgungsjagd mit Autos auf Hochbahnschienen (wobei Hughes und Constanzo ein ausrangiertes, zum Polizeiwagen umfunktioniertes Taxi benutzen), zählt, wenn auch geflissentlich realitätswidersprechend, zu den besten ihrer Art. Wären alle Polizisten so sympathisch wie diese beiden nicht zu fassenden, die Bezeichnung "Bullenschwein" wäre vermutlich nie aufgekommen. Die Synchronfassung ist, nicht zu vergessen, entgegen der blamablen Titeleindeutschung klasse gelungen.
8/10
#1883
Geschrieben 11. August 2009, 20:54
The Presidio ~ USA 1988
Directed By: Peter Hyams
Im Presidio, einem Militärstützpunkt an San Franciscos Riverside, geschieht ein Mord in Kombination mit einem merkwürdigen Einbruch. Die Klärung des Falles übernehmen der alternde Kommisskopf Caldwell (Sean Connery) und der ehemalige Militärpolizist Austin (Mark Harmon), jetzt "gewöhnlicher" Bulle, der einst mit Caldwell aneinandergeraten ist. Die Tatsache, dass Austin sich während der Ermittlung Hals über Kopf in Caldwells Tochter (Meg Ryan) verliebt, macht die Sache nicht eben einfacher.
Durchschnittskrimi im Militärmilieu, wie sie später ohnehin zur Dutzendware avancieren sollten und wohl eines der aussagekräftigsten Exempel dafür, warum alle Welt Hyams so gern als "Routinier" bezeichnet. Formal ist der Film glänzend, ja, er besitzt sogar echte Momente, nur die Kriminalstory, deren auflösendes Thrillerelement einmal mehr (demnächst werde ich mir mal die Mühe machen und die entsprechenden Filme zählen) aus einer Verbindung von Vietnamveteranen besteht, in die auch noch der hero's best friend (Jack Warden) verwickelt ist, war zum Entstehungszeitpunkt bereits so abgenudelt, dass sie bestenfalls zum Gähnen taugt. Ein in seiner ausgeklügelten Bombensicherheit fast langweiliger, überraschungsloser Film, der kaum mehr hinterfragt und abverlangt als jeder x-beliebige Sonntagabendviertelnachachtkrimi.
5/10
#1884
Geschrieben 12. August 2009, 07:03
P.O.W. - The Escape (P.O.W. - Die Vergeltung) ~ USA 1986
Directed By: Gideon Amir
Der Vietnamkrieg liegt bereits in seinen letzten Zügen, da bekommt Colonel Cooper (David Carradine) den Auftrag, amerikanische G.I.s aus einem Gefangenenlager zu befreien. Der Auftrag misslingt und Cooper wird selbst gefangen genommen. Der Lagerkommandant Captain Vinh (Mako), der sich während des Krieges einen veritablen Goldschatz gehortet hat, glaubt, mit Cooper als landesweit ranghöchstem Kriegsgefangenen das große Los gezogen zu haben und mit dessen Hilfe hinter die feindlichen Linien zu gelangen, um dann in die USA fliehen zu können. Cooper geht zunächst auf Vinhs Pläne ein, um sich dann mithilfe der übrigen Gefangenen (u.a. Steve James) zu befreien und allein die Flucht durch den Dschungel anzutreten.
Brauchbarer Vietnam-/Abenteuerstreifen, der sich an vorhergehende Produktionen der Cannon, insbesondere die ersten beiden "Missing In Action" - Filme anlehnt und seine Sache ohne großes Aufheben über die Runden bringt. Technische Schwächen, besonders in der Szenenmontage und beim banausenhaften Schnitt sind allerdings dermaßen akut, dass sie selbst dem Laien unübersehbar ins Auge springen. Hinzu kommt ein in einzelnen Sequenzen unausgereiftes Script (fünf beteiligte Autoren an einem Resultat, dessen finaler Anspruch auf intellektueller Augenhöhe mit einer Folge "Power Rangers" liegt, sprechen wohl eine mehr als deutliche Sprache) und kleine andere Schwächen hier und dort, wie die unbeholfene Fremdmusikverwendung (allenthalben sind Strophen von Silvestris "Delta Force" - Score zu vernehmen, der originäre Soundtrack ist ziemlich missraten). Doch all das kann den schuldigen Genuss an einer hübschen Achtziger-Actionbeule, wie sie "P.O.W." letztlich darstellt, nicht vermiesen. David Carradine, Steve James und Mako zu bekommen, garantiert bereits einiges an Spaß und auch Charles Floyd, der in "The Delta Force" den misshandelten und schließlich exekutierten Navy-Taucher gab, ist als opportunistisches Ami-Arschloch mit persönlicher Generalamnestie gar nicht mal übel. DVD kann gerne noch kommen.
5/10
#1885
Geschrieben 12. August 2009, 07:21
Galaxy Of Terror (Planet des Schreckens) ~ USA 1981
Directed By: Bruce D. Clark
Der ungeklärte Verbleib einer Raumschiffcrew auf dem Planeten Morganthus veranlasst den "Meister", eine Art Graue Eminenz, ein Rettungsteam hinterherzuschicken. Auf dem unwirtlichen Morganthus angekommen, sieht sich die Besatzung mit einem gigantischen pyramidenartigen Bauwerk konfrontiert, das extraterrestrischen Ursprungs scheint. Zumindest muss man dort keine Raumhelme tragen. Nicht lange, da sterben die ersten Astronauten auf ziemlich eklige Weise, jeder sieht sich mit seinen persönlichen Phobien konfrontiert (Tentakelmonster, Würmer, Höhenangst, Klaustrophobie etc.) und von diesen zu Tode gequält.
Ähnlich wie der kurz darauf entstandene "Forbidden World" ein kleiner Renner des deliranten "Alien"- Rip-Offs, wobei beide Filme aus der Corman-Schmiede New World stammen und sich auch sonst ziemlich ähneln. Eines des Produzenten Erfolgsprinzipien ist, dass in der Kürze die Würze liegt und so hält "Galaxy Of Terror" sich weder lang mit erläuternden Prologen auf noch fackelt er lang, seine bescheidenen Produktionsmittel zum geisterbahnhaften Einsatz zu bringen. Dass die zusammengestellte Crew (zu der u.a. immerhin Edward Albert, Robert Englund, Sid Haig und Ray Walston zählen) aufgrund besonderer individueller Fähigkeiten zusammengewürfelt wurde, muss man sich selbst zusammenreimen, erzählen tut's einem nämlich niemand. Manche Dialoge sind schon klassische Beispiele des "Aneinandervorbeiredens" und so unverhohlen sinnlos in ihrer Ausführung, dass man glaubt, man habe absurdes Theater in Reinkultur vor sich. Star des Films ist die Pyramide, ein früher Vorläufer von Natalis "Cube", mit einer ganz ähnlichen Konstruktion bedacht und wie der Würfel voll kleiner Gemeinheiten steckend. Alles in allem eben: B-Kino zum Liebhaben.
6/10
#1886
Geschrieben 12. August 2009, 07:42
Cujo ~ USA 1983
Directed By: Lewis Teague
Der brave Bernhardiner Cujo, Hofhund des Kfz-Mechanikers Camber (Ed Lauter), wird von Fledermäusen gebissen und mit Tollwut infiziert. Ein paar Meilen weiter bahnt sich eine gigantische Ehekrise zwischen dem Werbefachmann Vic Trenton (Daniel Hugh Kelly) und seiner Frau Donna (Dee Wallace) an, die gerade eine Affäre mit dem lokalen Superstecher Kemp (Christopher Stone) beendet hat. Kemp lässt sich diese Abfuhr jedoch nicht ohne Weiteres bieten. Als Donna mit ihrem kleinen Sohn Tad (Danny Pintauro) ihren Wagen zu Cambers Hof bringt, findet sie dort niemanden vor als den nunmehr hochaggressiven Cujo, der bereits zwei Menschen auf dem Gewissen hat. Das Auto streikt und Donna und Tad sehen sich von dem Hund belagert, ohne dass Hilfe in Sicht käme.
Ich hatte "Cujo" das letzte Mal vor einer halben Ewigkeit geschaut, da mir die Geschichte als eingefleischtem Hundeliebhaber und -halter immer ziemliche Bauchschmerzen bereitet hat. Ein mit Tollwut infiziertes Tier ist wohl der Albtraum (s)eines jeden Besitzers und "Cujo" setzt jene Unbill brillant in Szene. Aktuell konnte ich feststellen, dass meine "Abneigung" Teagues Film gegenüber nur für ihn spricht, denn dessen Umsetzung häuslichen Terrors durch ein wildgewordenes, sogar todbringendes Gemütstier wie einen Bernhardiner (die ganz nebenbei in Fachkreisen dafür bekannt sind, im Alter ohnehin "unberechenbar" zu werden) ist nichts weniger als exzellent. Selten habe ich in jüngerer Zeit einen Film gesehen, der so meisterlich auf der Schreckensklaviatur zu spielen und Urängste zu projizieren versteht. Warum "Cujo" keine wesentlich bedeutsamere Reputation genießt, ist mir ein Rätsel. Gut, die Einführung mit der minutiösen Erläuterung der Familiensituation mag etwas schlauchend sein, aber das ist eben king-typisches Castle-Rock-Geplänkel; man wird wie gewohnt genötigt, erstmal die halbe Stadt mitsamt all ihren Wahlverwandtschaften kennenzulernen, bevor man sich dem eigentlichen Horrornukleus zuwenden darf. Jener ist im Film dann aber beispielhaft gestaltet. Die unnachgiebigen Attacken der Bestie auf das arme Mutter-Sohn-Gespann, das im heißen Auto unweigerlich dehydriert und zu verdursten droht, könnten formal kaum besser arrangiert sein. Besonderen Anteil daran haben neben Teague (der "Cujo" selbst für sein bestes Werk hält) zwei Meister ihres Fachs: Kameramensch Jan De Bont und Komponist Charles Bernstein, die beide jeweils Höhepunkte ihrer Arbeit vorlegen.
8/10
#1887
Geschrieben 12. August 2009, 21:13
The Choirboys (Die Chorknaben) ~ USA 1977
Directed By: Robert Aldrich
Die "Chorknaben" sind eine eingeschworene Truppe von zehn Streifenpolizisten, die in East L.A. für Unordnung sorgen und ihren Beruf zum Hobby machen. Zumindest könnte man sie so verorten, denn ihr Zynismus und infantiler Humor dienen ihnen doch bloß als Ablenkungsmittel von psychischen Defekten, die von sexueller Orientierungslosigkeit, erzpuritanischer Erziehung, Kriegsneurosen oder einfach nur dem sisyphosartigen Polizeialltag herrühren. Im MacArthur Park, manchmal auch privat, werden nachts die wildesten Feten mit Schnaps und Frauen gefeiert und teilweise gegenseitig so gemeine wie witzige Streiche gespielt. Als einer der Jungs Selbstmord begeht, weil er mit seinem Lebensdruck nicht mehr zurechtkommt, eskaliert die Situation.
Die 1970er waren das Jahrzehnt des naturalistischen Polizeifilms, der im Gedenken an Welles' "Touch Of Evil" die Beamten und ihre Erfolgsquote daran festmachte, in welchem Maße sie moralisch oder materialistisch korrumpierbar waren. Auf der Leinwand kristallisierte sich das große Paradoxon heraus, selbst gegen das System arbeiten zu müssen, um ihm langfristig dienen zu können; Ex-Polizisten versuchten sich analog dazu in der Realität als Autoren oder Romanciers und lieferten chronistischen Zündstoff in Literatur und Film. Einer davon war Joseph Wambaugh, Ex-Sergeant beim LAPD, der knappe 15 Jahre dort gearbeitet hatte und zahlreiche Schlüsselerlebnisse wie die Rassenunruhen in Watts verbuchen kann. Seine häufig autobiographisch angehauchten Romane wurden größenteils verfilmt, so auch "The Choirboys", wobei dafür Wambaughs Script zu dessen allerhöchstem Missfallen umgearbeitet wurde. Der Qualität des Films tut dies allerdings keinen Abbruch. Aldrich dekonstruiert sämtliche etablierten Heldenbilder nach Kräften, schält den Vorbildcharakter des Polizisten bis auf sein Skelett herunter um es dann mit neuem, unseligem Leben aufzugießen. Die hier vorgestellten Cops sind durch die Bank Asoziale, Sarkasten, Soziopathen und Sadisten, mit denen kaum jemand bei Verstand es gern zu tun bekäme, schon erst recht nicht, wenn es um den Schutz der eigenen Person oder gar der Persönlichkeitsrechte geht. Ja, die Chorknaben sind wohl der staatlich legitimierte Albtraum jedes rechtschaffenen Biedermanns. Ich muss sagen, dass ich die Jungs absolut knuffig finde und mich gern als Sympathisant auf ihre Seite ziehen lasse. Die coolste Sau ever ist sowieso Burt Young als Sergant Scuzzi, der zwar völlig plemplem ist, das Herz aber am rechten Fleck hat und eine ganz spezielle Art des Zigarrengenusses pflegt.
Geiler Film, immer und immer wieder.
9/10
#1888
Geschrieben 13. August 2009, 07:10
Macon County Line ~ USA 1974
Directed By: Richard Compton
1954: Die Brüder Dixon (Alan Vint, Jesse Vint) machen sich einen Spaß daraus, durch den Süden der USA zu pilgern und diverse Rednecks zu verscheißern, bevor der Militärdienst auf sie wartet. Auf dem Weg lesen sie noch die nette Carol (Joan Blackman) auf und sind fortan zu dritt unterwegs. In Macon County bleibt ihr Wagen liegen und der amtierende Deputy Morgan (Max Baer) gibt ihnen unmissverständlich zu verstehen, dass man Fremde dort nicht möge und sie sich bitte nicht länger aufhalten sollen als unbedingt notwendig. Zeitgleich sind zwei flüchtige Gangster (Timothy Scott, James Gammon) in der Gegend unterwegs, die im Gegensatz zu den jungen Yankees nicht Morgans Aufmerksamkeit auf sich ziehen, was dieser bitter bereuen soll...
Der Verlust der Freiheit begann nicht erst mit Vietnam - was der historische Rückblick aus heutiger Perspektive unzweideutig zeigt, musste 74 ganz deutlich formuliert werden: Die HUAC-Anhörungen und der soeben beendete Koreakrieg hatten das Land zwanzige Jahre zuvor bereits nachhaltig erschüttert und verunsichert, bis zur vorsichtigen Rebellion der nachfolgenden Generation war es noch ein wenig hin. Den Süden, ohnehin ein Landesstreifen der Bigotterie und der rassistischen Tradition, zu betreten, konnte für junge Leute aus den nördlicheren Staaten bereits gefährlich sein, sich dann noch naserümpfend über ihn lustig zu machen kam bereits einer Kampfesansage gleich. "Macon County Line" untersucht relativ sorgfältig das Ereignis einer Gewalteskalation, das ursächlich auf diverse ungünstige Koinzidenzen und Eventualitäten zurückzuführen ist und sich rückblickend nur durch hilflose Konjunktive hätte verhindern lassen können. Die drei jungen Leute waren fraglos zur falschen Zeit am falschen Ort, letztlich aber ist die allumfassende Inkompetenz Deputy Morgans (interessante Parallele: Max Baer war dem Publikum primär wegen seines Parts in der Comedyshow "The Beverly Hillbillies" ein Begriff), gepaart mit seinen Konservativismus Hauptauslöser für seine eigene Misere, die insgesamt immerhin vier Existenzen kostet.
Die Botschaft von "Macon County Line" ist simpel umrissen, in ihrer Gültigkeit aber immergrün: 'Die Wahrung eines kühlen Kopfes in Kombination mit vorurteilsbefreitem Denken kann Leben retten.' Gutes, altes New Hollywood.
8/10
#1889
Geschrieben 13. August 2009, 18:47
Rancho Notorious (Engel der Gejagten) ~ USA 1952
Directed By: Fritz Lang
Hochzeits- und Familienplanung enden für den Rancher Vern Haskell (Arthur Kennedy) abrupt und böse, als seine Verlobte Beths (Gloria Henry) hinter der Theke ihres Krämerladens von zwei Banditen überfallen und getötet wird. Haskell nimmt unerbittlich die Fährte der Ganoven auf, einen der beiden kann er unterwegs stellen. Das seltsame Wort "Chuck-a-Luck", eigentlich der Name eines Würfelspiels, kommt diesem noch über die Lippen, bevor er stirbt. Haskell begegnet diese Bezeichnung während seiner langen Suche nach Vergeltung von nun an noch öfter, bis er über den kurzzeitig mit ihm im Knast einsitzenden Frenchy Fairmont (Mel Ferrer) erfährt, worum es sich bei "Chuck-a-Luck" wirklich handelt: Eine kleine, gut geschützte Ranch in den Bergen, die die Ex-Barsängerin Altar Keane (Marlene Dietrich) betreibt und wo gesuchte Verbrecher gegen zehn Prozent ihrer Beute Zuflucht finden. Dort muss sich auch Beths Mörder aufhalten...
Für Fritz Lang und Marlene Dietrich bedeutete "Rancho Notorious" nach jeweils zwei rar gesäten, aber eindrucksvollen Gastspielen innerhalb von 13 Jahren den beiderseitigen Abschied vom Western. Auf Langs Konto gingen "Western Union" und "The Return Of Frank James"; "Destry Rides Again" und der Quasi-Western "Pittsburgh" auf das der Dietrich. "Rancho Notorious", ironischerweise die einzige Zusammenarbeit der beiden legendären Exilanten, ist voll auf die nicht mehr ganz junge und dennoch beeindruckends schöne Hauptdarstellerin zugeschnitten, insofern ist der deutsche Titel sogar ausnahmsweise einmal passend. Als Gangsterbraut mit goldenem Herzen, das nur erst wieder freigelegt werden muss, ist die Diva groß und erhaben wie eh und je, darf ein Gesangsstück ("Get Away, Young Man") zum Besten geben, ohne das der Film denn wohl auch einen unvollständigen Eindruck gemacht hätte. Zarte Pastellfarben verleihen den Bildern den Glanz alter, leuchtender Fotografien, in Kombination mit den teils überdeutlich eingesetzten Studiokulissen hinterlässt der Film in seiner Gesamtheit einen ästhetisch betrachtet höchst reizvollen Eindruck. Hinzu kommt, dass "Rancho Notorious" einer der ersten Western, wenn nicht sogar der erste mit leitmotivisch eingesetztem Titelsong ("Legend Of Chuck-A-Luck" von Bill Lee) ist und damit sozusagen andere Klassiker wie "High Noon" und "Man Without A Star" antizipiert.
8/10
#1890
Geschrieben 14. August 2009, 08:43
Les Valseuses (Die Ausgebufften) ~ F 1974
Directed By: Bertrand Blier
Die beiden Herumtreiber Jean-Claude (Gérard Depardieu) und Pierrot (Patrick Dewaere) halten nichts von Konventionen. Geld und fahrbare Untersätze werden geklaut bzw. "entliehen", Frauen werden belästigt (und fügen sich dann in der Regel doch), Häuser besetzt. So lebt es sich hübsch unverbindlich. Eine Art Heimathafen finden sie bei der Friseuse Marie-Ange (Miou-Miou). Doch nicht jeder nimmt Wohl und Wehe der Existenz so pur und leicht wie die drei.
Gel(i)ebte Anarchie: In Bliers "Skandalfilm" nach seinem eigenen Roman brauchen die Protagonisten keinen besonderen äußeren oder subkulturellen Merkmale, um sich sozial abzugrenzen und sich ihrer libertinen Existenz zu versichern. Sie leben einfach vor sich hin, wider das Spießertum und wider dessen Erwartungen. Der serpentinenreiche Weg ist das Ziel, auch auf der finalen Flucht, die sie antreten müssen, weil sie dem soeben entlassenen Knacki Jacques (Jacques Chailleux) eigentlich nur etwas Gutes tun wollten. Natürlich teilt nicht jedermann und -frau ihren Traum von absoluter Freiheit. Oder hat ihn wahlweise ausgeträumt. Jeanne (Jeanne Moreau), eine Dame in mittleren Jahren und Jacques Mutter, wird ebenfalls völlig mittellos aus der Staatspension entlassen (über Briefe, die sie später bei ihr finden, lernen sie Jacques erst kennen). Pierrot und Jean-Claude fangen Jeanne vor dem Gefängnis ab, um endlich mal eine Frau ins Bett zu bekommen, die sexuell ausgehungert ist und nicht das langweilige Brett markiert. Zu diesem Zwecke spielen sie sich als Samariter auf, spendieren ihr eine neue Garderobe, ein Diner und ein feines Hotelzimmer. Doch ist Jeanne innerlich längst zerbrochen, an ihrem jahrelangen, kraftraubenden Gefängnisaufenthalt, der aufgrund des psychischen Drucks ihren weiblichen Zyklus unterbunden hat. "Das Wichtigste ist es, zu bluten", sagt sie zu einer entgeisterten Kellnerin und schießt sich nach dem erlösenden Beischlaf mit Jean-Claude und Pierrot selbst in die Vagina. Es ist nicht alles eitel Sonnenschein in "Les Valseuses", aber immerhin doch das Meiste. Außerdem - welch destruktive und/oder Schöpferkraft der fachgerecht hervorgerufene Orgasmus einer Frau bereithält: Wer's nicht weiß, darf's hier lernen.
9/10
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