MULHOLLAND DRIVE - STRASSE DER FINSTERNIS (DVD: Concorde, Deutschland)
(OT: Mulholland Dr. | Frankreich/USA 2001 | Regie: David Lynch)
Infos zum Film:
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OFDB
Voller Hoffnungen kommt die junge Betty (Naomi Watts) in Los Angeles an. Sie träumt von einer Karriere als Schauspielerin und darf vorübergehend im Appartement ihrer Tante, die ebenfalls im Filmbusiness tätig und derzeit verreist ist, wohnen. Doch als sie im Appartement ankommt, entdeckt sie eine junge Frau in der Dusche. Zuerst hält sie die Unbekannte (Laura Harring) für eine Freundin ihrer Tante, doch schnell stellt sich heraus, dass diese nach einem Autounfall ihr Gedächtnis verloren hat und in der Wohnung lediglich Unterschlupf suchte. Betty erklärt sich dazu bereit, der Unbekannten auf der Suche nach ihrer Vergangenheit zu helfen...
Eines gleich vorweg. Ich möchte mich festlegen, und
Mulholland Drive herzlich im Kreis meiner Lieblingsfilme willkommen heißen. Erst die übliche, kurze Einschätzung: der Streifen ist trotz seiner Laufzeit von 140 Minuten extrem kurzweilig geraten, hat mir verdammt viele Gänsehäute bereitet, ist spannend, unheimlich, sehr atmosphärisch und zudem noch hocherotisch (insbesondere das Vorsprechen von Betty). Zudem hat der Streifen genau das geschafft, was ich mir nach
Lost Highway insgeheim erhofft hatte, nämlich mich ebenso zu verwirren und gleichermaßen zu begeistern. Hat mir schon
Lost Highway verdammt viel Spaß gemacht, liegt die Qualitätslatte bei
Mulholland Drive für mich noch ein gutes Stück höher. Ich fühlte mich vom Gesehenen förmlich hinweggeblasen und hab mich wirklich richtiggehend in den Streifen verliebt.
Während mich
Lost Highway vor einigen Tagen noch so planlos zurückgelassen hat, dass ich mir fast nicht vorstellen kann, diesen Film jemals - auch nach vielen weiteren Sichtungen - richtig verstehen zu können, sieht es bei
Mulholland Drive jedoch ein bisschen anders aus. Auch hier war ich nach dem Abspann erst mal ziemlich plan- und ratlos, aber die Chance, den Film nach einigen weiteren Sichtungen tatsächlich erfassen zu können, scheint mir hier durchaus gegeben.
Der Film hat mich noch Stunden später beschäftigt und beschäftigt mich noch immer. Aus diesem Grund soll der Text hier ausnahmsweise mal über die sonst üblichen, relativ kurz gehaltenen Eindrücke meiner Seherlebnisse hinausgehen. Zum besseren Verständnis habe ich mir einzelne Szenen noch einmal angesehen und ich wage mal den Versuch einer Einschätzung der verschiedenen Zusammenhänge - natürlich verbunden mit extremen Spoilern. Sollte also jemand den Film noch nicht kennen, sollte er besser nicht weiterlesen.
Erst mal meine Interpretation der tatsächlichen Ereignisse:
Diane Selwyn (Naomi Watts) kommt nach dem Tod ihrer Tante, die ihr etwas Geld hinterlassen hat, nach Los Angeles und träumt von einer Schauspielkarriere. Beim Vorsprechen um eine wichtige Hauptrolle lernt sie die Schauspielerin Camilla Rhodes (Laura Harring) kennen. Obwohl Camilla die begehrte Hauptrolle bekommt, freundet sich Diane mit ihr an und beginnt sogar ein Verhältnis mit ihr. Außerdem verschafft ihr Camilla die eine oder andere kleinere Rolle. Camilla beendet die Affäre, weil sie auch mit dem Regisseur Adam Kesher (Justin Theroux) liiert ist und diese Beziehung nicht aufs Spiel setzen will. Auf einer Party des Regisseurs - auf die Diane auf Einladung von Camilla gegangen ist - geben Kesher und Camilla ihre Verlobung bekannt. Auf dieser Party lernt Diane außerdem Keshers Mutter Coco (Ann Miller) kennen und sieht zudem einen Cowboy (Monty Montgomery) durch den hinteren Teil des Raumes laufen. Eine der Schlüsselszenen auf der Party: Eine namenlose blonde Schönheit (Melissa George) gibt Camilla einen leidenschaftlichen Kuss. Diane tickt aus und beauftragt einen Killer (Mark Pellegrino) damit, Camilla zu töten. Die Geldübergabe findet in einem Diner statt, ein gerade bezahlender Kunde beobachtet sie dabei. Der Killer teilt Diane mit, dass er ihr einen blauen Schlüssel in die Wohnung legen wird, sobald der Auftrag erledigt ist. Diane geht nach Hause, legt sich schlafen und beginnt zu träumen (der Gegenstand des Großteils des Films). Als sie aufwacht, sieht sie den Schlüssel, bekommt Schuldgefühle und Wahnvorstellungen (symbolisiert durch die wohl herrischen Großeltern (?) unter denen sie früher gelitten hat) und bringt sich um.
Nun die Traumhandlung (allerdings etwas chaotisch angeordnet, da ich hier einfach keine Kontinuität reinbringen kann):
Der Großteil der Handlung besteht aus dem Traum, den Diane nach der Beauftragung des Killers träumt. In diesem Traum verarbeitet sie ihre Wünsche, ihre Gefühle und auch ihre Bekanntschaften, die sie in Los Angeles gemacht hat. Die realen Ereignisse kehren sich praktisch um.
Aus Diane wird Betty Elms (den Vornamen hat sie vom Schild der Kellnerin im Diner bei der Geldübergabe an den Killer), die voller Hoffnungen nach Los Angeles kommt, um es mit der Schauspielerei zu versuchen.
Auf dem Flug nach Los Angeles hat sie ein nettes, älteres Ehepaar kennen gelernt, die wohl das Gegenstück zu den schon oben genannten herrischen Großeltern darstellen sollen.
Als Betty wohnt sie in der Wohnung ihrer Tante, die im Traum nicht verstorben, sondern lediglich verreist ist.
Aus der ihr in der Realität sympathischen Mutter von Kesher wird in der Traumwelt die Verwalterin der Wohnanlage, die sie in die Wohnung ihrer Tante lässt und sich um sie kümmert.
Aus Camilla Rhodes wird eine schöne Unbekannte, die nach einem Autounfall ihr Gedächtnis verloren hat und sich in der Wohnung versteckt hält.
So wie Camilla in der Realität Diane geholfen hat, um an Rollen zu kommen, und sich zwischen den beiden Frauen eine sexuelle Beziehung entwickelt hat, so hilft nun Betty im Traum der Unbekannten (die sich Rita nennt), um deren wahre Identität herauszufinden. Gleichzeitig entwickelt sich zwischen Betty und Rita im Traum ebenso eine sexuelle Beziehung, wie sie sich zwischen Diane und Camilla in der Realität entwickelt hat.
Der Unfall findet genau an der Stelle statt, an der Diane in der Realität von Camilla zur Party abgeholt wurde. An dieser Stelle änderte sich für Diane in der Realität alles und an dieser Stelle ändert sich auch für Rita im Traum alles.
Die Tatsache, dass Rita im Traum vor dem Unfall mit einer Waffe bedroht wurde ist wohl die Verarbeitung des Mordauftrags an den Killer.
Die Person des Killers und die Geldübergabe wird außerdem in folgenden Teilen des Traums verarbeitet: zum einen in der Durchführung eines Mordes durch den Killer, die nicht gerade glatt läuft, zum anderen in der Szene, in welcher der zahlende und die in der Realität erfolgte Geldübergabe beobachtende Diner-Kunde im Traum mit einem Psychologen (?) genau auf dem Platz im Diner sitzt, an dem Diane und der Killer in der Realität saßen und diesem zudem noch von einem Albtraum erzählt. Als Zeuge der Geldübergabe in der Realität wird er im Traum - nachdem er das Diner verlassen hat - von einem Penner getötet.
Ihre Erfolglosigkeit als Schauspielerin in der Realität verarbeitet Diane im Traum in der Weise, dass Betty gleich bei ihrem ersten Vorsprechen eine absolut überzeugende Vorstellung abgibt und alle Beteiligten äußerst beeindruckt zurücklässt.
Auch die Tatsache, dass Diane in der Realität die so wichtige Hauptrolle an Camilla verloren hat, wird im Traum verarbeitet. Kesher bleibt auch im Traum Kesher. Allerdings hat er in diesem keine Wahl, die Hauptrolle zu besetzen, sondern wird von den Produzenten dazu gezwungen. Aus dem in der Realität auf der Party gesehenen Cowboy wird im Traum der Erfüllungsgehilfe der Produzenten. Aus der namenlosen Schönheit, die auf der Party Camilla leidenschaftlich geküsst hat, wird im Traum Camilla Rhodes, die Schauspielerin, die auch im Traum die Hauptrolle bekommt, obwohl der Regisseur - das erkennt man am Blickkontakt - viel lieber Betty genommen hätte.
Für die Tatsache, dass Kesher in der Realität Camilla heiraten will, wird er im Traum mit der Szene bestraft, in der er seine Frau beim Ehebruch erwischt.
Aus Betty, der Kellnerin, wird im Traum Diane, die Kellnerin. Durch sie erlangt Rita im Traum einen Bruchteil der Erinnerung zurück und dadurch entdecken Betty und Rita im Traum die Leiche; wohl eine weitere Verarbeitung des Mordauftrages in der Realität.
Die Traumsequenz endet im Club und mit dem Finden und Öffnen der blauen Box. Die Clubszene ist vielleicht ein Zeichen zum Erwachen, die blaue Box ist vielleicht ein Symbol für Dianes Schuldgefühle, die mit dem Aufschließen der Box freigelassen werden und sie schließlich in der Realität in den Selbstmord treiben. Außerdem wird der blaue Schlüssel, den Diane in der Realität vom Killer nach der Durchführung des Auftrags erhalten soll, mit dieser Szene thematisiert.
Soweit meine wagen Vorstellungen. Keine Ahnung, ob ich hiermit vollkommen falsch oder vielleicht doch einigermaßen richtig liege.
Einige Sachen kann ich nämlich nicht wirklich einordnen:
Ganz oben steht dabei die in der Realität stattfindende Szene der Geldübergabe. Warum reagiert der Killer auf Dianes Frage, zu welchem Schloss der blaue Schlüssel gehört, nur mit einem Lachen.
Die Clubszene und die Sache mit der Box sind mir trotz meines Erklärungsversuchs absolut suspekt.
Ebenso der Penner, der auch ganz am Ende wieder auftaucht.
Die Kette an Telefonaten am Anfang des Traums kann ich auch nicht zuordnen.
Des weiteren mache ich es mir mit der Erklärung der Rolle des Cowboys wahrscheinlich auch zu einfach. Insbesondere dessen Ankündigung, dass er - je nachdem wie sich Kesher entscheiden werde - diesen noch ein oder zwei Mal aufsuchen werde, ergibt für mich noch keinen Sinn.
Und was ist die Rolle des geheimnisvollen Mr. Roque (Michael J. Anderson)?
Es bleiben immer noch sehr viele Fragen offen und das macht ja auch den Reiz an den Filmen von Lynch aus.