Tradition & Vision
#301
Geschrieben 09. April 2008, 15:41
Michele Lupos letzter Film lässt sich am besten mit dem Begriff zusammenfassen, den uns die de Angelis hier permanent um die Ohren singen: FANTASY
Ein inflationär besetzter Bud Spencer spielt hier in einer Art Remake von SIE NANNTEN IHN MÜCKE mit, nur diesmal nicht als Football-Spieler, sondern als Ex-Boxer. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.
"Der Unterschied zwischen dem Kino damals und heute ist, dass man heute die Kackwurst zeigt."
#302
Geschrieben 09. April 2008, 15:50
Anders als in seinen späteren Filmen spielt Steven Seagal hier noch in einem mit und lässt nicht den Film um seine ganze Person herumbauen. Leider gelingt es Andrew Davis nicht mit diesem Ausläufer des reaktionären Actionkinos der 1980er Jahre eine Kritik an den amerikanischen Geheimdiensten zu formulieren und ebenso wenig einen rasanten Actionfilm zu montieren. Interessant, dass trotzdem schon alle "Seagalismen" vorhanden sind. Seine Figur hat Kontakte zur Mafia, zur Polizei, zum Geheimdienst, zur schwarzen Bevölkerung, zum Ghettoleben und zum Schluss sogar zu höchsten politischen Kreisen. Er hat das Beste aus der westlichen und asiatischen Kultur mitgenommen und ist mit einer hübschen Frau im WASP-Himmel.
"Der Unterschied zwischen dem Kino damals und heute ist, dass man heute die Kackwurst zeigt."
#303
Geschrieben 02. Mai 2008, 12:47
"Der Unterschied zwischen dem Kino damals und heute ist, dass man heute die Kackwurst zeigt."
#304
Geschrieben 28. Mai 2008, 21:34
Der Eindruck war derart intensiv, dass ich mir den Film am 22.03.2008 gleich noch einmal angesehen habe. Bereits in seinem zweiten Spielfilm entwirft John Boorman nicht nur einen Neo-Gangsterfilm, der mit allen erzählerischen und formalen Mitteln des klassischen Erzählkinos bricht, sondern der auch eine völlig eigene Logik verfolgt, die mehr im Vorbeigehen als theoretisch und analytisch wie in Don Siegels DER TOD EINES KILLERS, die Parameter für ein neues Genrekino kreiert. Eine immense Anhäufung filmischer Stilmittel - bekannter wie experimenteller -, Trendbezogenheiten, Filtern, V-Effekten, Klangeffekten, Dekonstruktionen von Figurenmustern, artifizieller Schauspielführung, stilisierter Gewalt und noch mehr, was diesen Film zu "Nouvelle Vague in Hollywood" macht. Allerdings ohne einen jeden Gestus des Zeigen-Wollens. Damit vielleicht eine der reifsten Experimentalarbeiten des modernen Erzählkinos, hervorragend den Übergang dokumentierend, aber dabei so neu, so zeitlos, so frisch, so originär wirkend, dass dieser Film über Genregrenzen hinweg einen Platz unter den wirklich wichtigen Filmen verdient hat. Als Inspirationsquelle für spätere Regisseure ein unerschöpflicher Fundus, als Maßstab für eine neue Stilrichtung durch seine Einzigartigkeit nicht zu gebrauchen.
"Der Unterschied zwischen dem Kino damals und heute ist, dass man heute die Kackwurst zeigt."
#305
Geschrieben 28. Mai 2008, 22:11
Nach dem exkursiven Charakter der Teile III und IV spinnt Regisseur und Drehbuchautor Scott Derrickson den Zyklus erstmals wieder in Barkers Sinne weiter. Jedoch strebt er mit seinem Film nicht in die Breite, sondern konzentriert das Geschehen auf eine einzige Person, der wir dem gesamten Film über folgen. Dieses Folgen bedeutet auch, dem zunehmenden Wahnsinn der Person zu folgen und das gleich mehrdimensional. Der Abstieg eines Narzissten, der meint, bereits alles zu kontrollieren, ist eine faszinierende Darstellung eines histrionischen Störungsbildes, an dessen Ende Pinhead wartet. Er wird Joseph noch eine Ebene weiterführen… und dann noch eine… und dann noch eine…
"Der Unterschied zwischen dem Kino damals und heute ist, dass man heute die Kackwurst zeigt."
#306
Geschrieben 28. Mai 2008, 22:50
Der fünfte Film der Highlander-Saga ist ein inszenatorisches Gesamtchaos, welches sich in seinen besten Momenten dem Dadaismus verschrieben zu haben scheint. Mehr ist von diesem Torso nicht im Gedächtnis geblieben.
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#307
Geschrieben 03. Juni 2008, 19:51
Ein Meisterwerk des spanischen Horrorfilms, welches effektiv menschliche Urängste ausbeutet, da es den Schrecken in unendlich gedehnter Langsamkeit präsentiert. Das wahrhaft Schreckliche ist nicht das schnell auf uns Zurasende, das plötzlich aus der Dunkelheit Hervorschießende. Es ist das Langsame, das in allen Einzelheiten zu erkennende, unausweichliche Ende. Der Schrecken über sein Auftauchen lähmt uns, aber die Gewissheit, dass es uns bekommen wird, egal wo wir hinflüchten, ermöglicht Schicht für Schicht den Tode immer näher an der Kehle zu spüren. Die Templer schleppen sich grotesk vorwärts, makaber in ihrem Aussehen vom "ewigen Leben", und in dieser Zwischenwelt, in der sie sich befinden, geben sie einen Ausblick auf die Hölle. Doch sie sind nicht nur unausweichlich. Selbst vor Kindern wird nicht halt gemacht, denen unter Schmerzensschreien das Blut ausgesaugt wird. Die Templer verschonen niemanden und die Eisenbahn trägt den Schrecken aus dem portugiesischen Hinterland schließlich in die Zivilisation.
Amando de Ossorio hat einen Alptraum filmisch umgesetzt. Der Rauch der schwülstigen Lesbenszene, die umherirrende Tote als Vampir, die zoomende Kamera, die mit tönenden Schauereffekten der alten Art den Nervenkitzel zum grellen Gruseleffekt hochspielt und die narrative Ausweglosigkeit vor dem Schrecken. Was bleibt ist nicht der Tod, oder das Warten auf ihn, sondern die Starre bei der Erkenntnis seines Eintretens.
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#308
Geschrieben 05. Juni 2008, 00:33
Formal ein absolutes Gegenstück zu de Ossorios DIE NACHT DER REITENDEN LEICHEN. Stephen Norringtons BLADE ist postmodernes Kino par excellence: die Beschleunigung des Tages, die Sonne, die im Zeitraffer vorbeisaust und somit nur kurz Schutz vor der unter den Menschen existierenden Bedrohung bietet. Die Vampirwelt ist zweigespalten. Einmal als seit Jahrtausenden unter den Menschen existierende, anpassungsfähige Wesen, die sich zeitgemäß in den Strukturen des Kapitalismus befinden, zum anderen als Subkultur, die in dunklen Techno-Clubs auf die Eroberung der Welt hofft. Die Pubertät und ihre Hybris führt zur Weltherrschaft und der Daywalker ist das missing link zwischen Mensch und Menschtier. Das Fordern des Blutes ist die direkte Einforderung der Lebenskraft des Anderen und führt uns dicht an den Ur-Schlamm. Gleichzeitig sind die Fürsten des obersten Rates sehr distinguiert, müssen sie den Ur-Trieb doch im Griff halten. Das ist alles im monochromen Stil des Milleniums inszeniert, kurz vor der Erwartung des Untergangs. Schwarz ist der Daywalker, weiß sein Mentor. Innerhalb der Zwischentöne befinden wir uns.
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#309
Geschrieben 05. Juni 2008, 00:41
Über alle Maße. Mehr kann man dem Thema nicht abgewinnen, mehr kann man das Medium nicht überstrapazieren. Friedkin überschüttet den Zuschauer mit Fragen und lässt ihn völlig allein zurück. Film als intellektuelle Vollendung.
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#310
Geschrieben 09. Juni 2008, 00:05
Ich habe noch keinen Film von David Fincher gesehen, der mich wirklich in allen Belangen überzeugen konnte. Irgendwas ging immer daneben, was dafür sorgte, dass ich große Filme mit Fehlern sah, die es nicht schafften homogen zu erscheinen. Der Künstler möchte einfach zu viel auf einmal, hat zu viel für einen Film im Kopf. ALIEN III operiert mit dem Begriff der Religion und pervertiert die unbefleckte Empfängnis, wenn Ripley nicht den Erlöser, sondern den Destruktor gebiert, SIEBEN möchte ein sakrales Drama biblischen Ausmaßes sein, welches den Zusammenbruch der kleinsten funktionierenden Gruppeneinheit, der Familie, zur biblischen Apokalypse stilisiert, THE GAME ist die christianische Wandlung des Saulus zum Paulus und FIGHT CLUB ist die Sektiererei im ironisch-postmodernen Zitat gesellschaftskritischer Lehrstücke der 1970er. PANIC ROOM war der erste Schritt zurück und gefiel mir von all diesen Filmen bisher THE GAME am besten, war es nicht so, dass es den Filmen an irgendetwas fehlte, sondern, dass sie immer genau ein Element zu viel beinhalteten. Und nun: ZODIAC - DIE SPUR DES KILLERS. Auch hier lässt sich wieder erkennen, dass Fincher mit dem Schicksal des investigativen Demographen droht den Bogen zu überspannen, doch die reife Abgeklärtheit ist beeindruckend. Finchers reifster Film, Finchers erster wirklich homogener Film. Einer der großen amerikanischen Filme dieser Dekade.
Bearbeitet von Der Außenseiter, 09. Juni 2008, 02:02.
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#311
Geschrieben 09. Juni 2008, 00:35
Es ist der Versuch des gewollten Experimentalfilms. Kein wirkliches Fließen, kein kreativer Gedankenstrom, nein, ein Werk aus dem Bereich "Leitfaden für Kunstkino". Bereits auf 16 mm gedreht, um mit dem ständigen Effekt der Verdunkelung zu arbeiten, der Unmöglichkeit, das Set richtig ausleuchten zu können. Gepresst ist das Bild, offenbart dem Betrachter nie genug Kontrast, so dass die Farben nur am Rande zum S/W wahrgenommen werden können. In diese Tristesse dringt ein mysteriöser Motorradfahrer ein, der eigentlich ein Prediger ist und immer die Bibel im Anschlag hat, der für einen Freund ein Requiem halten soll und un(frei)willig als fast 2m großer, blonder und blauäugiger Hüne zum Retter der nordamerikanischen Ur-Einwohner avanciert. Invertierte Clint Eatswood 1972 den Shane-Mythos, der seinerseits einen Mythos im an Mythen nicht armen, einzig scharf gezeichneten Genre des 20. Jahrhunderts, schuf, ist es nun die bewusste, reflexive Rückführung in die Progression der so genannten Straßenwestern der 1970er, am Ende der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts. Historien sollen umspannt, neue, alte Mythen geschaffen werden. Und genau das ist das große Problem. Bei allen Versuchen, den bekannten Genremechanismen durch artifizielle Gestaltung etwas Substanzielleres abzugewinnen, scheitert Dolph Lundgren bei seiner dritten Regiearbeit am Anspruch, sich sowohl zu dekonstruieren, als sich synergetisch emporsteigen zu lassen zu einem neuen Phoenix. Schade! Nach THE DEFENDER und THE MECHANIK hätte man mehr erwarten können.
Bearbeitet von Der Außenseiter, 09. Juni 2008, 01:59.
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#312
Geschrieben 09. Juni 2008, 00:46
Aus dem tiefen Keller seiner Wohnung kommt er zu uns, um uns langsam die Kehle durchzuschneiden. Aus dem tiefen Keller kommt er zu uns, um uns langsam die Haut abzuziehen. Aus dem tiefen Keller kommt er zu uns, um seine Seele an uns zu befreien, Aus dem tiefen Keller kommt er zu uns, um seine Skalps auf die Köpfe von Schaufensterpuppen zu nageln. Aus diesem tiefen Keller kommt William Lustigs Meisterwerk des New Yorker Undergroundkinos und in diesem tiefen Killer sitzt Frank Zito und wartet nur darauf, auch dir langsam das Herz herauszuschneiden.
Ich zitiere die deutsche Kinowerbung, so unnachahmlich von Herbert Weicker gesprochen:
EIN ECHTER SCHOCKER!!!!
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#313
Geschrieben 09. Juni 2008, 01:14
Anders als andere Regisseure des Spätwesterns überträgt Eastwood die Elemente in Form einer abgetakelten Wild-West-Show wesentlich direkter und offensichtlicher in die Gegenwart. Sich selbst als Hysteriker inszenierend - wohl der Gipfel Eastwood'scher Selbstironie - kreischt, nein, zetert er weibisch umher, wenn seine Assistentin nicht sagt, was er ihr vorher aufgeschrieben hat:
"Ich hab' alles genau aufgeschrieben und sie hat ganz was anderes gesprochen."
quengelt er dann auch weinerlich herum. Göttlich!
Eine formidable Westernkomödie sicher zu den schwächeren, aber hoch unterhaltsamen Werken im Oevre des Regisseurs zu zählen.
Bearbeitet von Der Außenseiter, 09. Juni 2008, 01:22.
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#314
Geschrieben 09. Juni 2008, 01:34
Interessante Konfrontation des in die Jahre gekommnen 80er-Actionhelden mit den sich verändernden Umständen. Die Sowjetunion gibt es nicht mehr, die neue Bedrohung kommt aus der arabischen Richtung, aber letztlich stehen doch nur großkapitalistische Texas- Milliardäre hinter allem, die ihren Privatkrieg wollen, um sich ein eigenes Land kaufen zu können. Das muss Merill Ross verhindern und kämpft sich Genicke brechend, Kehlen aufschlitzend, Menschen in die Luft sprengend und reihenweise Gegner mit dem Maschinengewehr ummähend bis zum Oberschurken vor. Dank eines oberschleimigen Fieslings, der Frauen mit Zigarren foltert und sie abschleckt, erhält das Ganze zusätzlich Würze. Merill muss ran. Letzter Actionfilm der legendären Cannon-Group und beredtes Zeugnis für das Ende einer Ära. Auch wenn die Aufzählung der brutalen Taten des Helden cartoonesk klingen, so hört man hier die Knochen noch richtig brechen, sieht man das Blut noch richtig spritzen, die Menschen noch "wirklich sterben", ist die Gewalt noch wirklich unangenehm. So soll es sein, so kann man die Katharsis Wahrheit werden lassen.
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#315
Geschrieben 15. Juni 2008, 23:12
So ist es also doch passiert. Was sich in URBAN JUSTICE - BLINDE RACHE abzeichnete wird hier figural noch weiter geführt: ein Seagal am Ende. Betrachtet man das augenblickliche Filmjahrzehnt aus Sicht des Actionfilms, dann fällt auf, dass eine vermehrte Ernsthaftigkeit zurückkehrt. In den 1990er Jahren wurden die Elemente des Katastrophenfilms integriert, die jeden noch so thematisch kleinen Film aufpusteten, um ihm weltgewichtigen Charakter zu verleihen. Das, in Kombination mit permanenten One-linern der Haupt- und Nebenakteure, fuhr das Genre, zumindest gesamt gesehen, gegen die Wand. Anfang des 21. Jahrhunderts konnte man es dann wirklich überhaupt nicht mehr Ernst nehmen. Vermutlich weniger als bewusstes Reagieren, denn mehr eine Entwicklung, fand ein langsamer Wandel statt. Dieser musste nicht immer so klar erkennbar sein, wie in reflexiven Großwerken wie DIE STUNDE DES JÄGERS, religiös aufgeladenen Opern wie MANN UNTER FEUER oder Antoine Fuquas SHOOTER. Selbst so genannte Action-No-Brainer wie THE TRANSPORTER konnten diese Reflexion mit einem Augenzwinkern präsentieren: der (Anti-)Held gefangen in seiner Über-Professionalität. Diese Aussage besitzt natürlich eine Menge impact, über den ich mich nicht weiter auslassen möchte. Anzumerken ist, dass er von den einstigen Ikonen dieses Genres durchgearbeitet wird. Ein Dolph Lundgren führt gleich selbst Regie und dreht seinen THE MECHANIK und MISSIONARY MAN. Ein van Damme lässt sich in IN HELL - RAGE UNLEASHED, WAKE OF DEATH - RACHE IST ALLES WAS IHM BLIEB und UNTIL DEATH dekonstruieren.
Die Entmythologisierung des Profis als weitere Reife des Genres?
Dem scheint auch ein Seagal nicht nachstehen zu wollen. Nach den vielen Filmen in dieser Dekade, die eigentlich nur versuchten den Trends der vergangenen hinter zu laufen, ist hier nun etwas geschehen, das ich nicht für möglich gehalten hätte. Bereits in URBAN JUSTICE - BLINDE RACHE wurde die enorme Zwiespältigkeit des Verhaltens der Hauptfigur zum Thema gemacht. In DEATHLY WEAPON wird sie noch gesteigert. Seagals Matt ist hier ein in allen Belangen gescheiterter Mensch. Früher Auftragskiller für den C.I.A., ist er - geschieden von seiner Frau, versehen mit einer Tochter , die ihn liebt, die er aber abweist, alkoholabhängig und spielsüchtig - am Ende der Straße angekommen. Inzwischen in der ganzen Stadt verschuldet, kauft ein ominöser "Mann im Hintergrund" (Lance Henriksen) seine Schuldscheine auf, um ihn zu erpressen. Er verlangt, dass Matt sich seiner eingerosteten Killer-Fähigkeiten bedient und bestimmte Personen ausschaltet. Matt sagt zu, denn er ist in der Falle. Natürlich wirkt dass alles etwas holprig, denn schließlich haben wir es hier mit "The-Man-Himself" zu tun und wie der versucht sich, ähnlich wie Lundgren und van Damme, selbst zu dekonstruieren, dass ist einen Blick wert.
Bearbeitet von Der Außenseiter, 16. Juni 2008, 03:19.
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#316
Geschrieben 16. Juni 2008, 02:39
Der Shane-Mythos im Weltraum. Konditionierte Schrei-Babys, nur von der Natur mit aggressivem Genmaterial begünstigt, sind die ultimativen Krieger und eine jede sozial kompatible Verhaltensweise ist ihnen fremd. Da kommen die genetisch schon vor der Geburt veränderten Krieger und die sorgen dafür, dass die unbelasteten in Pension geschickt werden. Zum Müll geworfen, findet einer von ihnen durch eine Gruppe Weltraum-Hippies zu seiner Menschlichkeit und muss erkennen, dass er, wenn er diese bewahren möchte, seine erlernten Tötungsfähigkeiten wieder einsetzen muss. Leichter, sich für einen Unterhaltungsfilm recht hart gebender Science-Fiction-Action-Film, der wie im (Weltraum-)Fluge vergeht.
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#317
Geschrieben 16. Juni 2008, 03:37
Hier nun der zweite Text zu unserem Thema "Der dystopische Actionfilm". Eine meiner absoluten, definitiven All-Time Faves. DER TERMINATOR.
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#318
Geschrieben 05. Oktober 2008, 00:30
Camp-Meisterwerk in dem auf bravouröse Weise das archaische Prinzip des Stellvertreterkampfes in einer Boxutopie Wirklichkeit wird. Die Grundidee zwei Krieger gegeneinander antreten zu lassen, um so den Streit zwischen zwei Stämmen durch sie entscheiden zu lassen und nicht die Angehörigen durch einen langwierigen und opferstarken Krieg zu verschwenden, war einer der wichtigsten Schritte zu Kultur und Zivilisation in der Geschichte des Menschen. Dies ist nun schon einige Hunderttausend Jahre her und der Boxsport ist aus dieser Idee hervorgegangen. Im ultimativen Konflikt des 20. Jahrhunderts hat sich das, zumindest in der Kunst, nicht geändert. Der Osten gegen den Westen, nur das dies Rocky Balboa gegen Ivan Drago bedeutet. Rocky hat seinen Hass und Ivan ist nur eine Maschine. Doch Rocky prügelt die Maschine zum Menschen und möchte danach, den Krieg gewonnen, versöhnlich die Hand reichen. Dieser uneingeschränkte Höhepunkt der Rocky-Reihe, sowie des Männerfilms überhaupt, zeigt in all seiner politischen Naivität den Ein- und Ausblick auf eine Zeit, die weit weg erscheint, aber eigentlich noch in den Köpfen vieler Menschen existiert. Die synthetische Musik ist ständig im Dienst der Sache eine Symbolik zu schaffen, die uns ein Reich der Dunkelheit suggeriert, in dem die Bewohner trotz allem Menschen sind und bereit das/den Fremde(n) zu akzeptieren. Wenn sie das können, dann besteht Hoffnung für die Welt. Auch für die aus der Rocky kommt.
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#319
Geschrieben 06. Oktober 2008, 21:10
In manchen Mitteln plumpe, ansonsten aber erstaunlich sorgfältige Kritik an der aktuellen Paranoia-Situation Amerikas, das sich in der Isolation eingräbt, alles Fremde nur in Angst wahrnehmen kann und sich zu großen Teilen in eine repressive, archaische Rückflucht in religiösen Massenwahnsinn begibt, die immer wieder in Extremsituationen ausbricht, wenn Logik, Ratio und Systeme versagen. Anders als viel in Kritiken zu lesen ist, geht es hier in keinem Moment um das Christentum - ausdrücklich wird auf den alttestamentarischen Monotheismus verwiesen, welcher die Grundlage einer gebündelten Gängelungsmaßnahme durch den Universalgedanken der Existenz bildet - sondern um die dem menschlichen Verhalten inhärente Veranlagung an höhere Zusammenhänge zu glauben, welche, je unerklärlicher die Welt wirkt, der Komplexitätsreduktion unterliegen und somit wiederum im Universellen gipfeln (wohl auch einer der Gründe für den durchschlagenden Erfolg des Monotheismus). Eine dem animalischen aber auch totemistischen Blutgedanken verwandte Ideologie über den Opfergang ist dann der endgültige Rückschritt in die Prä-Zivilisation. Carmody führt ihr Beispiel von der Opferung Abrahams Sohns geschickterweise nicht zu Ende. Jehova lehnte ab, weil er eben kein Opfergott war. Überleben kann also nur der, der sich dem Leben zuwendet. Aus dem egoistischen Altruismus ihrem genetischen Code ein Weiterleben zu ermöglichen heraus, überlebt die Frau, die den Supermarkt als erste( r ) verlässt und sich ins Fremde hineinbegibt. Auch David Drayton wendet sich dem Leben zu, doch lassen ihn Zweifel an einer Sinnhaftigkeit des Weiter-/Überlebens im letzten Moment zum selbsterwählten Herrscher über den Tod werden. Seine Strafe für die Verleugnung der Hoffnung ist eine sich weiterdrehende Welt, die, ähnlich der irreversiblen Richtung des zellularen Laufs, vorwärts schreitet und nur die weiter transportiert, die an das Leben geglaubt haben. So bleibt er auf der Strecke und die religiösen Ur-Menschen vegetieren in ihrem Supermarkt. Vielleicht haben sie mit Carmody schon ihr Totem errichtet?
Bearbeitet von Der Außenseiter, 20. Juni 2009, 01:11.
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#320
Geschrieben 20. Januar 2009, 16:13
Ein amerikanischer und ein italienischer Gewohnheitsverbrecher überfallen in Mailand einen Juwelier und töten ihn dabei. Mit ihrer Fluchtwagenfahrerin rasen sie quer durch die Stadt, wobei sie diverse Autos rammen und schließlich in einen Mercedes krachen. Aufgeregt über den abrupten Halt zieht der Italiener, Spitzname Mosquito, die Fahrerin des Mercedes' aus dem Auto und schlägt auf sie ein. Trotz umherstehender Passanten und der Polizei im Nacken überkommt es ihn plötzlich und er möchte die Frau auf einem an der Straße stehenden Gemüsestand vergewaltigen. Sein Partner, Memphis, zieht ihn "an Arsch und Kragen" in den Mercedes und die beiden wollen mit dem Fahrzeug weiterfahren, ohne sich um ihre Komplizin zu kümmern. Sie erkreischt sich den Zugang zum Auto und schließlich schaffen die drei es aus der Stadt hinaus. Nicht von ihnen bemerkt, befindet sich auf der Rücksitzbank ein Junge, welcher der Sohn des britischen Konsuls ist. Als dieser aus dem fahrenden Auto springt, wird die Szenerie von einem neunjährigen Hirtenjungen beobachtet. Dieser wird von Memphis mit einem gezielten Schuss getötet. Am vereinbarten Treffpunkt, einem Schrottplatz, befinden sich weder der Abnehmer der Ware, noch der versprochene Ersatzwagen, worauf Mosquito einen Tobsuchtsanfall bekommt und auf die umstehenden Fahrzeuge mit einer Brechstange einschlägt. Mosquitos Ausbruch wird in Zeitlupe eingefangen und zu Memphis' hysterischem Echoeffekt-Gelächter gegen geschnitten.
Dies und noch einiges mehr spielt sich in Silvio Narizzanos filmischen Amoklauf in den ersten zehn Minuten ab. BLUTRAUSCH nutzt als dramaturgisch sinnstiftende Struktur den aggressiv gesteuerten Irrsinn der Hauptfiguren, die dissoziativ und völlig affektgesteuert durch den Film rennen und auf ein wages Ziel, die französische Grenze, zusteuern, die sie am Ende mehr zufällig erreichen. Ihre planlose Flucht ist von Vergewaltigungen, Prostitution - auch in bezug auf die männlichen Hauptfiguren, Mosquito bietet sich einer deutlich älteren, wohlbetuchten Dame als "männliche Hure" an -, Leichen, Hysterie und Verzweiflung gekennzeichnet. Der Wahnsinn ist hier nur noch graduell verteilt. Eine näher am Zuschauer inszenierte Figur wie Mosquito wirkt in manchen Szenen hochgradig gestört, ein "vollständig Irrer" wie Memphis wird figural ab und zu gebrochen und erscheint dem Zuschauer plötzlich als Mensch. Der elterlich vernachlässigte Sohn des Konsuls, noch nicht ganz in der Pubertät angekommen, fühlt sich den beiden Verbrechern zugehörig und möchte auch gerne mal einen Menschen umbringen. Nachdem er mit Memphis Freundschaft geschlossen hat, will er ihm im Schlaf die Kehle durchschneiden, nicht jedoch, um seinen Entführern zu entkommen, sondern weil er nur durch einen Mord einer der ihren ist. Narizzanos Film gehört einer filmhistorischen Zeit, mit seinen 37 Jahren auf dem Buckel vielleicht sogar schon bald Epoche, an, in der es vorkommen konnte mit namhaften Schauspielern Filme zu inszenieren, die wie "einfach drauf los gefilmt" erscheinen. Der Film weist die für damals typischen existenzialistischen Töne auf, mit Hauptfiguren, mit denen eine Identifikation schwer bis überhaupt nicht möglich ist, sowie einem negativen Ende, welches einen an oder über die Grenze hinaus führt. Diese Grenze erhält auf diegetischer Ebene für Mosquito und Memphis etwas ganz materielles und dadurch auch die Illusion von der Hoffnung auf die bessere Welt, die dahinter verborgen sein mag. Für den Zuschauer ist es die Grenze in den Abgrund der Figuren und Ereignisse, die er geistig übertreten mag und sollte seine Vorstellungskraft dafür nicht ausreichen, hilft ihm der Film mit entsprechenden darstellerischen Mitteln auf die Sprünge.
Bemerkenswert in ganz persönlicher Sache ist, dass der Film, trotz seines brachialen Charakters, auch einen subtil stillen Eindruck hinterlassen hat. Daran konnte auch die auf Rainer Brandt getrimmte Blödel-Synchro nichts ändern.
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#321
Geschrieben 26. Januar 2009, 15:10
Erste Betrachtung: 2004
Walerian Borowczyk wendet sich in seinem dritten Spielfilm vier sexuellen Tabus zu, die er in vier Episoden von unterschiedlicher Stimmung und Gestaltung aufbereitet. Diese kombiniert er nicht untereinander, sondern stellt die beiden eher kurz und bündig gehaltenen Episoden über die Fellatio und die Masturbation an den Anfang, die dritte Episode über Homosexualität und Blutdurst und die vierte über Inzest und Mord aus sexueller Gier an das Ende. Als roter Faden lässt sich die Steigerung sexueller Erregung finden, wenn in der ersten Episode das 16-jährige Mädchen genussvoll den Penis ihres Cousins in sich aufnimmt und wir in der zweiten Episode ein gottesfürchtiges Mädchen beobachten, dass aufgrund sündiger Gedanken von der Mutter in ein Zimmer gesperrt wird und ihr die Lust am Glauben die Lust an der Selbstbefriedigung schenkt. Mehrere Gurken, von der Mutter achtlos in den Raum geworfen, damit die Tochter was zu essen hat, werden verbraucht und dabei stöhnend im Gebetbuch geblättert. Dient die Frau in der ersten Episode dem Mann noch, um ihn zu befriedigen, findet sie in der zweiten Episode zu sich selbst. In der dritten spielen Männer dann nur noch eine Dienstbotenrolle und eine Gräfin lässt sich die wunderschönsten Mädchen des Dorfes auf ihr Schloss bringen, um sich in ihrem Blut ewig jung zu halten. Nachdem sie dem großen Waschzuber, in dem das Blut schon zu schäumen beginnt, entstiegen ist, wendet sie sich ihrem weiblichen Knappen zu. Diese Episode markiert in Länge und Rausch den Höhepunkt. In der vierten kommt es zur Zeugung, wenn Papst Alexander VI. seine eigene Tochter missbraucht, zusammen mit deren Bruder und aus dieser Liaison ein neues, wunderschönes Kind hervorgeht. Am Ende dient Sexualität also doch wieder der Fortpflanzung, aller kulturellen Tabus die dabei gebrochen wurden zum Trotz.
Problematisch an Borowczyks Ästhetik ist der große Widerspruch, nur zeigen zu wollen, aber dabei zu schwelgen. Der Wunsch den Rausch zu verbildlichen und die an klassische Kompositionen angelehnte Musik den Rezipienten forttragen zu lassen, versperrt den Blick auf das Protokollarische, das in seinem „Zeigen-Wollen“ mitschwingt. Gleichzeitig eine zarte Huldigung der Frau, die hier zurück auf den Sockel gestellt wird, als Wesen voller Mysterien, voller sexueller Kraft, dem Mann in allen Belangen überlegen.
Ich persönlich, insbesondere im Hinblick auf die Entstehungszeit, empfand ihn allzu sehr als Skandalfilm nach Fahrplan. Trotzdem geht er mir noch in einer Weise im Kopf herum, die mir sagt, das in ihm noch schlummernde Größere bergen zu müssen.
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#322
Geschrieben 27. Januar 2009, 16:34
Erste Betrachtung vor ca. 18 Jahren
Ein Hochsicherheitsgefängnis in Alaska. Umgeben von Schnee und Eis, ausbruchssicher und von einem tyrannischen Direktor regiert. Hier sitzt der Safeknacker Oscar "Manny" Manheim seit Jahren in Einzelhaft und er hat gerade seine Klage am obersten Bundesgericht gewonnen, mit der er gegen diese Art von Strafvollzug protestiert. Direktor Ranken sieht in Manheim nicht mehr als ein Tier, eine Bestie, die entsprechend ihrem Wesen „gehalten“ werden muss. Für die anderen Insassen ist Manny ein Held, gelang ihm doch schon zweimal der Ausbruch, was auch der Grund für seine Verwahrung isoliert von Mitmenschen in einem lichtlosen Raum ist. Ranken möchte diesen Gefangenen brechen, doch sein Wissen, dass er Manny niemals schaffen wird, treibt ihn zum Äußersten. Nachdem Manny sich wieder unter seinen Knastbrüdern aufhalten darf, verübt man gleich einen Anschlag auf ihn. Er weiß, dass Ranken keine Ruhe geben wird, bis er entweder auf Knien vor ihm winselt, oder tot ist. Zusammen mit dem jungen Draufgänger Buck bricht er ein weiteres Mal aus und schafft mit ihm den Aufsprung auf den Runaway Train. Die Metaphorik des Titels bezieht sich auf das Sinnbild der Flucht, des schnellen und den Schienen verhafteten Strahls, der die urige Landschaft Alaskas durchschneidet und den ganz konkreten Wortsinn des führerlosen Zuges, da der aus vier Lokomotiven bestehende Zug seinen Lokführer verliert und er nun mit Höchstgeschwindigkeit über ein altes Schienennetz rast. Ranken, der nun endgültig seine Chance sieht Manny ganz legal aus dem Weg zu räumen, im Nacken und vor ihnen die Chemiefabrik, die am Ende der Schienen steht und deren Zerstörung eine Katastrophe auslösen würde. Und so ist es auch die klassische Situation eines Katastrophenthrillers, aus welcher der Sowjet-Russe Andrei Konchalovsky so etwas ganz anderes macht. Nutzt er zu Beginn noch die Archaik innerhalb der Gefängnismauern, inhaltlich zugespitzt in einem Boxkampf, den Buck im Ring bestehen muss, während Manny außerhalb des Ringes gerade um sein Leben kämpft, schwenkt er nach dem Ausbruch auf ein Buddy-Movie um, welches durch die Verfolgung durch Ranken und seine Männer, sowie den führerlos dahin rasenden Zug, zum Spektakel wird. Hart kontrastiert Konchalovsky diese Kulisse, wenn wir uns plötzlich in der hochmodernen Leitstelle der Alaska Railroad befinden, voll gestopft mit Computern und Mitarbeitern, die in dünnen Hemdchen durchs Büro laufen, während außerhalb der Mauern -20° Celsius herrschen. Wenn dann der Film zur Mitte hin sein Spannungspotential ausschöpft und soweit verdichtet, dass man ihn auch als SPEED auf Schienen bezeichnen könnte, entfaltet sich seine wahre Kraft und sein eigentliches Anliegen. Ihm gelingt die Gratwanderung, die im Actionkino schon rein aufgrund seiner Funktion und seiner Wesensart schwer möglich ist: Reflexion des Geschehens bei gleichzeitiger permanenter Dynamisierung. Akira Kurosawas Grundentwurf des Drehbuchs ist bereits in seiner Konstellation brillant. Das Zusammenwirken der Bilder, dem Ton und der Musik erheben sich vor der grandiosen Naturkulisse zu einer metaphysischen Auseinandersetzung über die Bestie Mensch. Konchalovsky präsentiert uns nicht nur eine mögliche Auflösung dieses menschlichen Grundkonflikts, sondern hinterlässt am Ende tiefe Ergriffenheit, die uns eine Idee der final frontier Tod vermittelt. Ein in allen Belangen außergewöhnlicher Film.
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#323
Geschrieben 09. Februar 2009, 14:50
Erste Betrachtung: 1987
Bereits zu Beginn prallen hier unterschiedliche Elemente aufeinander. In rot-poppiger Farbe präsentiert sich die Schrift des Vorspanns, rasen wir auf die bunte Stadt Miami zu und befinden uns plötzlich im Inneren eines verdreckten Güterwaggons, von dem gerade ein Tramp abspringt wie in den guten alten Hard Times. Unterlegt ist seine Landung mit einem für die 80er typischen TB 303-Bass, der sowohl musikalisch als auch strukturell vorgibt, wo es für den abgesprungenen Tramp Ernest Stickley hingehen wird. Gerade aus dem Gefängnis entlassen will er nun seinen alten Kumpel Rainy besuchen, der sich inzwischen mit dem organisierten Verbrechen eingelassen hat und für den Boss der Mittelebene, Chucky, Geldübergaben erledigt. Chucky ist in seinen billigen Hawaiihemden und seinem Kofferradio das tatsächlich aus einem handtaschengroßen, durchsichtigen Köfferchen besteht und dessen Innenleben in pastellfarbenem Pink erstrahlt nur eine von vielen Kuriositäten, die durch Miami staksen. Sein bester Killer ist ein an Albinismus leidender Psychopath, der ironischerweise im Sonnenstaat Florida lebt und stets schwarz gekleidet ist. Chucky mischt seit einiger Zeit bei den ganz großen Verbrecherfürsten der südamerikanischen Hemisphäre mit, möchte aber bald ins legale Geschäft überwechseln und hängt sich dafür an den ausgeflippten Palm-Beach-Millionär Barry Braham. Dem Boss der höchsten Ebene, Nestor, ein Mann, der den Voodoo-Ritus in seiner Organisation bevorzugt, schuldet Chucky durch einen verpatzen Deal ein Leben und so möchte er ihm bedenkenlos Rainy opfern. Doch der wird auf diesem Gang von Stick begleitet. Als Rainy ums Leben kommt, legt Stick sich mit den Syndikaten an, aber eigentlich weiß er gar nicht warum.
Schon anhand dieser Schilderung wird erkennbar, dass es Drehbuchautor Elmore Leonard um die Schilderung von Milieus geht. Seine halb-puertorikanische Hauptfigur, zu Beginn noch aussehend wie der letzte Penner, schleicht sich Stück für Stück immer mehr in den Alltag der Reichen und Mächtigen ein, kann sich dabei aber nie so wirklich eingestehen, warum er am Ball bleibt. Geht es um die von Chucky versprochene Bezahlung der 5000 Dollar? Geht es um Rache für einen getöteten Freund? Geht es darum mit Verbrechern abzurechnen? Reynolds inszeniert dies als ein Vehikel für sich und seine Person, gleichzeitig aber auch für die Paradiesvögel und Sonderlinge, die durch seinen Film stolpern und uns das Bild einer schillernden Metropole des schlechten Geschmacks vermitteln. Die angerissenen Thematiken über den Verlust der Individualität im Jahrzehnt der Prosperität und die Umdrehung gesellschaftlicher Verhältnisse lässt er dann doch zugunsten klassischer One-Man-Action sausen und präsentiert nicht mehr als einen Hochglanzkrimi mit einem Ende, dass den Traum dieses Jahrzehnts in vollem Materialismuskitsch präsentiert. Die Liebenden fahren sich mit Porsche und Rolls lachend das Autotelefon in der Hand haltend auf dem Freeway entgegen.
Bearbeitet von Der Außenseiter, 18. Juni 2009, 22:31.
"Der Unterschied zwischen dem Kino damals und heute ist, dass man heute die Kackwurst zeigt."
#324
Geschrieben 10. Februar 2009, 16:43
Es beginnt mit einem Traum. Es endet mit einem Traum. Iwans Leben findet in Träumen eine stärkere Entsprechung wie ein Junge in seinem Alter seine Kindheit verbringen sollte als im "wirklichen" Leben. Und so durchbricht Andrej Tarkowski diese so glücklichen Traumwelten, die häufig vor filmischen Projektionen gedreht sind und in ihrem Stil an Ingmar Bergman erinnern, und lässt durch plötzlich auftretende Schrägen oder dissonante Klaviertöne den Krieg in Iwans Schlaf Einzug halten. Die Welt um den Dnjepr, einem Fluss in der Ukraine, besteht nur aus der deutschen und der russischen Front. Mehr gibt es nicht. Hier spielt sich das Schicksal der Welt ab.
Bereits in seinem Debüt überfrachtet Tarkowski jede Einstellung mit seiner Poetik bzw. dem Wunsch den Zuschauer durch sie in einen schwebenden Zustand der Reflexion zu versetzen. Recht klar trennt er hierbei noch die Ebenen. Ist die Welt des Kindes und der Soldatin Mascha eine Welt, in der die Kamera abrupt ausbrechen kann, jeglichen Halt verliert und durch kakophonische Kompositionen begleitet wird, ist die Welt der Soldaten eine gerade Linie, bestimmt von der trostlosen Kriegsrealität und im besten Falle aufgeheitert durch das kurze Anspielen eines ukrainischen Liedes auf dem Grammophon. Doch die Ausbrüche Iwans sind auch von Wahnsinn bestimmt. Selbst in seinen schönsten Träumen, wenn er an seine getötete Mutter und Schwester denkt, mischt sich das Unheimliche, das Schreckliche, der Tod. Hier ist wiederum nicht erkennbar, was Traum, was Wahnsinn, oder einfach nur Erinnerung ist. Die drei Soldaten, die sich rührend um Iwan kümmern, Vater, Onkel und Bruder sind, wollen ihn nicht mehr zum Einsatz hinter die feindlichen Linien schicken. Doch Iwan will seine Pflicht erfüllen. Dies ist nicht blindem Kadavergehorsam geschuldet, nein, dieser Junge kennt nichts anderes. Der Krieg hat ihn verändert und er wird ihn zerstören. Dazwischen inszeniert Tarkowski das Gewesene und das Imaginäre und entwirft hier bereits die groben Skizzen für sein in späteren Filmen verdeutlichtes Konzept der Zeit. Sein Universalismus gipfelt in der Enge des Hinrichtungskellers eines deutschen Erschießungskommandos als Konkretisierung des ultimativen Schreckens von Menschenhand geschaffen und bricht im selben Moment diese auf mit der Möglichkeit des weiter wirkenden und über der Realität bestehenden virtuellen Prinzips, profan göttlich zu bezeichnen, dass auf metaphysischer Ebene die Struktur des kosmischen Gefüges beeinflusst. Schenkt dass allein Hoffnung? Ich weiß es nicht.
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#325
Geschrieben 12. Februar 2009, 16:16
Die Geschichte von Thomas J. Beckett wird in diesem dritten Film, im Gegensatz zu vielen Fortsetzungen aus dem Direct-to-Video-Bereich, tatsächlich um eine neue Komponente erweitert, indem man ihn zu den Anfängen zurückkehren lässt. Haben wir ihn im ersten Film bei seiner monotonen Arbeit im südamerikanischen Dschungel beobachtet, die ihm langsam die Menschlichkeit abgesaugt und zum stupiden Erfüllungswerkzeug seiner Vorgesetzten gemacht hat und durfte er im zweiten Film eine Mission in Ost-Europa erfüllen, die ihn zum Opfer eines Verrates in den eigenen Reihen werden ließ, treffen nun mehr drei Dinge auf ihn zu, die ihm sein ihn kommandierender jüngerer Ausbilder vor Augen hält: Er ist fett, hässlich und alt. Vom Alkohol zugrunde gerichtet, von den vielen Opfern verfolgt, die er im Verlauf seines Scharfschützenlebens dem Tod überantwortet hat, schlurft er durch die Welt und beginnt durch einen sich abzeichnenden Tremor in der rechten Hand auch noch die Fähigkeit zu verlieren, die ihn als einziges mit Sinn erfüllt. Er ist das Musterbeispiel einer Generation, die von Vietnam geprägt wurde, der aber weder zu den unzähligen Obdachlosen zählt, die sich aus Vietnamheimkehrern zusammen stellen, noch zu den Wenigen, welche "die Treppe raufgefallen" sind. Er ist ein einfaches Werkzeug geblieben, ohne ein eigenes Leben.
Auf der Hochzeit des Sohnes seines besten Freundes Paul Finnegan, der vor 30 Jahren in Vietnam gefallen ist, macht er im wahrsten Sinne des Wortes keine gute Figur. Schlecht sitzt ihm die Gardeuniform der Marines. Er röhrt sich, schon leicht angetrunken, etwas zusammen und verliest den Brief, den er seit 30 Jahren bei sich trägt. Paul händigte ihm diesen aus, falls er es nicht schaffen sollte und das Tom ihn damals nicht retten konnte, ist ein Teil seines Vietnam-Traumas. Immer, wenn Tom die bösen Erinnerungen überkommen, hofft er diese durch einen neuen Auftrag wegschieben zu können. Der kommt auch wie gerufen. Eigentlich kurz vor der Untauglichkeit stehend, möchte der NSA-Mann Will Avery ihn für eine gefährliche Mission. Der NSA steht in Kontakt mit einem vietnamesischen Polizisten, der ihm behilflich ist, "die Kobra" ,einer der gefürchtetsten Verbrecherfürsten der südostasiatischen Hemisphäre, aufzuspüren und ihn vor Toms Zielfernrohr zu locken. Für den vietnamesischen Polizisten ist es wichtig, dass dieser seit Jahren das Land im Griff habende Kriminelle verschwindet, der nur selten aus seinem Versteck kommt. Der NSA möchte ihn, weil er beginnt islamistische Kreise reichhaltig mit Waffen zu unterstützen. Tom muss nun zurück in das Land, das ihn geschaffen hat und er muss sich mit einer grausigen Wahrheit konfrontieren: "Die Kobra" ist kein geringerer als Toms totgeglaubter Freund Paul.
Mehr ist dazu nicht zu sagen. Regisseur P.J. Pesce arbeitet alle Implikationen, die die Inhaltsangabe erahnen lässt, aus der Geschichte heraus und schafft eines der intelligentesten B-Action-Movies, das ich seit Lundgrens THE MECHANIK gesehen habe. Pesce ist hervorragend darin, aus wenig Budget einen groß aussehenden Film zu machen. Ein wunderbares Requiem des Vietnam- und Dschungel-Actionfilms der 1980er Jahre.
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#326
Geschrieben 14. Februar 2009, 12:24
Nun habe ich ihn also doch gefunden Den Film, durch den ich meinen Frieden mit Dario Argento machen kann. Die Werkschau, bei der wir, außer der Historienposse DIE HALUNKEN, wirklich alle Filme bis zu diesem in chronologischer Reihenfolge gesehen haben, war ein hartes Stück Brot. Doch schon bei AURA gefiel mir das Konzept weiblich konnotierte Tabuthemen unserer modernen Gesellschaft durch seine Tochter transportieren zu lassen. Hier erreicht es seine bisherige Vollendung, da Argento m.E. zum ersten Mal alle seine in den Jahren vor THE STENDHAL SYNDROME behandelten Motive zu einem auf allen filmischen Ebenen stimmigen Gesamtwerk verknüpft. Es geht hier nicht, wie bspw. vom Filmdienst gefordert, um eine Auflösung, Erklärung oder Antwort. Das würde bedeuten, man würde versuchen Argentos Film in vorgegebene genre- und/oder filmtheoretische Parameter zu zwängen. Vielmehr werden wir in dieser Geschichte emotional mit der Schrecklichkeit des intrapersonellen Prozesses, der in der Protagonistin durch die Vergewaltigung ausgelöst wird, hineingezogen. Die Frau als Mörderin, der Transgender-Aspekt, die bildende Kunst und Architektur als eskapistischer Fluchtpunkt, der Plottwist, der diesmal keiner ist und doch wieder. Argentos reifste Arbeit schafft es zu dem zu werden, was ich mir von ihm auch schon bei seinen Werken aus den späten 1970ern erhofft hatte. Er formt einen eigenen Kosmos und der Künstler traut sich endlich die Konsequenz aus seiner Vorgehensweise zu ziehen.
Bearbeitet von Der Außenseiter, 14. Februar 2009, 12:31.
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#327
Geschrieben 15. Februar 2009, 14:37
Mit seinem zweiten Spielfilm wendet sich Andrej Tarkowski dem Mönch und Ikonenmaler Andrej Rubljow zu und schafft schon gleich damit eine interessante Parallelisierung. Brachte Rubljow mit der Körperlichkeit die Konkretisierung des Unendlichen in den spätbyzantinisch geprägten Stil, formte damit eine Art osteuropäischer Renaissance und ließ sich hierfür, für einen russischen Künstler des beginnenden 15. Jahrhunderts absolut untypisch, von der abendländischen Kultur inspirieren, enthebt Tarkowski sich in seinem Film in der weltweiten gesellschaftlichen Umbruchsphase der 1960er Jahre endgültig vom spätstalinistischen Formalismus und entfaltet, im Gegensatz zu seinem Erstwerk IWANS KINDHEIT, Raum und Zeit auf eine episch schwelgende Länge von 3 Stunden. Die in IWANS KINDHEIT angedeutete Transzendenz der Bilder wird bereits zu Beginn verdeutlicht, wenn ein einfacher Bauer einige Jahrhunderte vor den Brüdern Montgolfier mit einem Fesselballon aufsteigt und somit den Schritt in eine andere, eine größere Welt tätigt. Die Bewohner des Dorfes sehen seinen freien Flug nur als Teufelswerk und wollen den Ballon zerstören.
Dieses Aufeinandertreffen zwischen dem Volk in seiner animalisch wirkenden Kraft und höheren Mächten/Welten ist Rubljows Grundkonflikt und dieser wird zum handlungstragenden Konflikt des Filmes gemacht. Immer wieder gibt es Überfälle der Tartaren, die Russland im Griff halten, Dörfer überfallen und Frauen und Kinder mit viehischer Härte vergewaltigen und abschlachten. Immer wieder gibt es das einfache Volk, dass sich unredlichen Genüssen hingibt, sich an Gott versündigt, im gleichen Moment aber so viel Leid durch die Mächtigen erdulden muss und nur ihr Spielzeug darstellt. Dieser Dualismus aus Reich und Arm, Herrschern und Volk wird von Tarkowski reziprok durchdrungen und erscheint somit für Rubljow unentwirrbar. Da hilft es ihm auch nicht, dass sein Lehrmeister Teophanes ihm inzwischen selbst als Ikone erscheint. Obwohl in der Göttlichkeit des Jenseits, hat er im Diesseits keine Antworten für ihn. Die Gesetze höherer Mächte lassen sich auf die Fleischlichkeit der materiellen, der physikalischen Welt nicht anwenden. So bringt Teophanes nicht nur Rubljows Konflikt, sondern den der gesamten Menschheit in einem Satz auf den Punkt: "Gott wird dir vergeben. Aber du darfst dir nie vergeben." Dies sagt er ihm, nachdem Rubljow ihm gestanden hat, dass er, der Mönch, einen Tartaren erschlagen hat. Es spielt keine Rolle was im Jenseits passieren wird, selbst wenn dort ein Gott auf uns wartet, der für ein jedes Handeln Verständnis hat. Was hier, auf diesem Planeten, in dieser unserer Welt, in diesem Moment geschieht, ist von Bedeutung. Rubljow straft sich mit ewigem Schweigen und geht zurück ins Kloster. Zu viel Leid von Menschenhand hat er gesehen, zu häretisch sind seine Gedanken, wenn er meint, die Kreuzigung sei nicht nur als der Menschen Schuld zu sehen, sondern auch als die des Heilands, der die Menschen sich selbst überließ. Tarkowski häuft eine Menge Brutalitäten und gleichzeitig religiöse Diskurse auf und überschüttet damit den Betrachter. Der erste Funke auf Hoffnung, der in der Lage ist sich in den tristen S/W-Bildern durchzusetzen, ist ein schmaler, schwachbrüstiger, bartloser Junge. Von den Russen dieser Zeit verlacht, birgt er eine Kraft, die nicht nur das Volk mobilisieren, sondern sogar die Gegensätze vereinen wird, einzig durch den Klang einer Glocke. Strebt jede Kunst die Abstraktion zur Musik an, so ist es hier also die Abstraktion der Musik selbst. Ein einziges Tönen kann die Menschen für einen Moment vereinen. Dieses Ereignis holt Rubljow aus seiner Agonie und er rafft sich zum ersten Mal in seinem Leben auf, ein Werk zu schaffen und es zu vollenden.
Das Ergebnis ist die Dreifaltigkeitsikone, die Tarkowski uns in Farbe zu sakralen Klängen präsentiert und in der Rubljow auf Einigkeit abzielt. Er nimmt in seinem Bild keine klare Trennung von Vater, Sohn und Heiligem Geist vor und präsentiert damit den Versuch sowohl einer Zusammenführung der Widerstände seiner Zeit, ein bedeutender politischer Kommentar, sowie einer Auflösung der menschlichen Konflikte in ihrem ewigen Widerstreit zwischen Tierischem und Höherem. Dem Urschlamm und dem Olymp. Ebendies ist auch eines der Grundthemen Tarkowskis, erfahrbar durch sein Aufbrechen von Raum und Zeit, von Imaginärem und Wirklichkeit. Durch den szenischen Aufbau für den Rezipienten gut zu unterteilen, fordert er trotzdem zu einer Auseinandersetzung auf, konfrontiert häufig durch seine Analepsen und Paralipsen und erreicht trotz allem die schwebende Transzendenz, die für assoziative Kontemplation so eklatant ist. Sehr, sehr beeindruckend.
Bearbeitet von Der Außenseiter, 15. Februar 2009, 16:03.
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#328
Geschrieben 18. Juni 2009, 21:45
Ich weiß nicht, was mir mehr zu schaffen gemacht hat. Die Gewalt des Films, oder seine die Grenzen austestende Tristesse. Interessant, wie ich bei diesem Film besonders gespürt habe, dass ich der Gewalt - die ich in diesem Film erhofft hatte zu sehen - einen retributiven Effekt entgegenzusetzen wünschte bzw. die von einer Partei ausgehende Gewalt, vorzugsweise die der böseren Figuren (es gibt hier keine Guten), ein Gegengewicht benötigt, da die Betrachtung sonst noch unangenehmer gewesen wäre als sie es so schon war. Ohne die Retribution wäre die Gewalt zu stark erfahrbar geworden und hätte sich zu sehr in den Vordergrund gerückt. Ein Beleg, dass Gewalt, zumindest für mich, stärker an andere Variablen gebunden sein muss, um Faszination zu erzeugen. Nebenbei ist der Film einfach nur der Hammer und sollte von jedem, der ein Fan runterziehender Stimmung ist, gesichtet werden. Und leider fällt seine Retribution nicht nur schmal aus, sondern die Gewalt überwiegt am Ende doch auf einer Seite.
Zum besseren Verständnis trägt dieser Thread bei: http://www.filmforen.de/index.php?showtopi...mp;#entry405951
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#329
Geschrieben 22. Juni 2009, 11:36
Zweite Betrachtung
Stuart Rosenberg gestaltet seinen Horrorfilm im Sinne einer Versuchsanordnung und strukturiert ihn protokollarisch. Ein klassischer formaler Aufbau findet nicht mehr statt und sich die Okkulthorrorwelle der 1970er zu Nutze machend, beginnt er nach einem kurzen, nichts erklärenden Prolog mit der Verdichtung der mysteriösen Umstände. Tuschelnde Stimmen hinter Wänden, Fliegen, die sich in einem Raum sammeln, ein mysteriöser Gestank der Verwesung, ein kalter Luftzug, der die Mutter verängstigt, ihr ständig Holz hackender Ehemann, der sich nicht in der Rolle des Ziehvaters für die drei Kinder, die seine Frau in die Ehe mitgebracht hat, gefällt. Er hackt mit blutunterlaufenen Augen Holz wie ein Irrer, da er die Kälte im Haus nicht erträgt, obwohl der Thermostat der Heizung im Hause auf über 20° steht und versinkt völlig im Schärfen seines liebgewonnen Werkzeugs. Der Dorfpfarrer, der auf Wunsch der religiösen Frau das Haus segnen soll, kommt nur einmal hin, trifft die Familie aber nicht an und muss unter Erstickungsanfällen das Haus wieder verlassen. Telefonanrufe versagen regelmäßig. Jedes Mal, wenn der Geistliche bei Familie Lutz anruft, rauscht die Leitung. Könnte man nun annehmen, dass einige Zeit vergangen ist, wird man von der ersten Zeitangabe, seit Familie Lutz eingezogen ist, vor den Kopf gestoßen: Tag 4.
George Lutz hackt und hackt Holz und sein Freund Jeff, gleichzeitig seine rechte Hand in der Firma, besucht ihn, um zu fragen, ob er eigentlich noch mal wieder zur Arbeit kommt. Bereits nach 5 Tagen kreisen alle Personen um sich selbst und merken es nicht mal. Eine Außenwelt scheint nur noch marginal zu existieren. Rosenberg präsentiert uns alles nur noch als fragmentarische Chiffren. Der örtliche Geistliche wird von der Diözese nur als spinnerter Tattergreis abgestempelt und schafft es nicht einmal in Kontakt mit Familie Lutz zu treten. Jeffs Lebensgefährtin, eine an übernatürlichen Phänomenen interessierte Spiritistin, erzählt zwar frank und frei was in diesem Hause vor Ewigkeiten vorgegangen sein soll, aber wird genauso schnell und nichts zur Lösung beitragend aus der Handlung entfernt. Rosenberg versucht aus den inszenatorischen Strategien eines rationalen, authentischen New-Hollywood-Cinemas den Riss in der Realität emotional zu bebildern. Die imaginäre Freundin der kleinen Tochter bricht in die Realität ein, als die Mutter in die Schwärze der Nacht hinaussieht und kurz zwei leuchtende Punkte sieht. Das reicht schon aus. Zu strapazierten Geigen und einer Schnittfolge auf das entsetzte Gesicht der Mutter wird uns die Schrecklichkeit des Einbruchs der Negation in die physikalische Welt deutlich gemacht.
Natürlich kommt man bei einem Film aus dem Jahre 1979 auch nicht um die gesellschaftlichen Aspekte herum. Familie Lutz ist ein frühes Beispiel einer Patch-Work-Familie. Das Alpha-Männchen muss sich neuer Aufgaben stellen und kann nicht mehr nur noch für seinen eigenen genetischen Haushalt tätig sein. Kathy Lutz hat drei Kinder und George Lutz zahlt für sie, für die Schulden, die er mit seiner Baufirma gemacht hat, für das riesige Haus, dass Kathy Lutz wollte und konvertiert als Ungläubiger sogar zur Religion, nur weil seine Frau Katholikin ist. Das Auf-den-Kopf-stellen der Ordnung, dass Männer jetzt offen für fremde Kinder zuständig sind und sich in der komplexen Gesellschaft für sie aufopfern, ohne die Chance auf Selbstvermehrung zu haben, wird hier zum grellen Horrorspektakel aufgebaut, aber schenkt ein Happy-End. Der Vater zerstückelt die ihm fremde Familie nicht und flieht mit ihr. Ein neues Rollenmodell scheint möglich.
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#330
Geschrieben 23. Juni 2009, 11:23
erste Betrachtung 1994
ca. 14. Betrachtung
Laurence Jeffries, ein erfolgreicher Gehirnchirurg und Psychiater, lebt mit seiner Frau in einem britischen Küstenkaff. Die Entfremdung hat ihn sich immer mehr in seinen Beruf und seine Frau Frances in die Arme eines anderen Mannes flüchten lassen. Der nach außen gefühlskalt erscheinende Jeffries hat bereits seit langem vor einen Eifersuchtsmord zu begehen. Er möchte den französischen Geliebten seiner Frau töten, ohne selbst mit dem Mord in Verbindung gebracht werden zu können. Als ein geistig verwirrter Mann mit Amnesie von einem Fischer ins Krankenhaus eingeliefert wird, kann Jeffries beginnen.
Der Ungare Nicolas Gessner entwirft bereits von der ersten Einstellung an eine Stimmung der Biometrie. Jeffries frohlockt bei den Erklärungen über das menschliche Gehirn, es erinnere ihn an Elektronik. Der Fremde, der sein Gedächtnis verloren hat und verzweifelt zwischen den Antipoden hin und her tingelt, ist sein willfähriges Opfer, das gleichzeitig Täter ist:
"Sind Sie mit der Fähre gekommen?", "Natürlich,..., ähh ich glaube doch nicht.". "Haben Sie einen Pass?", "Sicher,... oh, ich kann ihn nicht finden.". "Aber sicher kennen Sie doch Ihren Namen." "Ich erinnere mich nicht."
Jeffries nimmt den Fremden zu sich auf sein abgelegenes Haus, inzwischen wissend, dass der Fremde einen Mord am Strand begangen hat und füttert ihn Stück für Stück mit den Informationen, die ihn glauben machen, er sei der betrogene Ehemann und müsse sich rächen. Die perfiden Tricks, mit denen Jeffries dem Fremden dies glauben macht, zeigen unser Bedürfnis nach Struktur und der Schlüssigkeit einfacher Heuristiken. Der Fremde, ein gesuchter Gewaltverbrecher, ist nach seiner Amnesie ein verschüchterter, hilfesuchender Verlorener, der sich an den Arzt klammert, der ihm Hilfe verspricht, aber ihn nur für sein Mordkomplott ausnutzt. Jeffries ist stolz, dass er es geschafft hat dem Fremden eine neue Persönlichkeit zu geben, auch wenn diese äußerst fragil ist und von den aggressiven Tendenzen des Fremden häufig durchbrochen wird, aber es genügt, dass er ihn steuern kann.
Und obwohl der Kriminelle zum Schluss vollständig in seine ursprüngliche Person zurückfällt, jetzt nicht mehr zwischen Antipoden, sondern zwischen zwei Pathologin tingelnd, wird er in der letzten Einstellung wieder der verschüchterte Mann, der sich, vor der Haustür stehend, an Jeffries wendet: "Helfen Sir mir bitte! Sie sind doch Arzt." Die Tür knallt zu.
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