This is not an exit
#1
Geschrieben 17. Juli 2003, 17:05
"Das Kino ist ein magischer Ort, an dem die Gesetze und Regeln des geordneten Alltagslebens für kurze Zeit außer Kraft gesetzt werden."(2) - Auch mich treibt es immer wieder an diesen magischen Ort, um innezuhalten, um den Lauf der Welt für einen Moment zu stoppen, oder einfach nur um der Realität zu entfliehen. - In diesem Sinne: This is my reality. Everything outside of this is like some movie I once saw.(3)
(1)(3) Bret Easton Ellis - American Psycho
(2) Amos Vogel - Film als subversive Kunst
3.14159 26535 89793 23846 26433 83279 50288
Blog - This is really not an exit
#2
Geschrieben 17. Juli 2003, 19:09
Tokyo Noise - Tokyo - Nachforschungen über die Zukunft
14.11.02 - Kino - Gloria, HD
Regie: Kristian Petri Jan Roed Johan Söderberg
Genre: Dokumentation
Jahr: 2002 / 2003
Länge: 80 Minuten
Land: Schweden
Sprache: Japanisch
"Tokyo Noise" - Der Titel hält was er verspricht: Über dem Zuschauer bricht ein Bild- und vor allem ein Geräusch-Gewitter herein - Moderne Kunst, die man gesehen haben muss !
Bei der Vorführung von "Tokyo Noise - Nachforschungen über die Zukunft" war der Produzent anwesend und schickte dem Film folgende Aussage voraus: "Die Regisseure wollten mit dem Film keine Zukunftsvision Tokyos zeichnen, sondern die Gegenwart zeigen." Ob sie das authentisch tun sei dahin gestellt. Sicher ist, dass sie die Hektik, die Ruhe- und Rastlosigkeit Tokyos einfangen und gebündelt und ohne Gnade auf den Zuschauer loslassen. Bei diesem Experimentalfilm gibt es keine Handlung und keine Hauptcharaktere - das ganze ist vielmehr eine Kombination von Dokumentation und Bild bzw. Klang-Collage. Im Wechsel mit Interviews, in denen Japaner vom Leben in Tokyo berichten, setzen die Regisseure - 3 an der Zahl - sowohl Alltagsgeräusche, als auch Performance-Fragmente einer "Lärm-Künstlerin", zu Klanggebilden zusammen. Im Hintergrund meist ein hämmernder oder wummernder Bass, malträtiert die Geräuschkulisse das menschliche Gehör - manchmal bilden sich aus den chaotischen Klangfetzen rhythmische Samples, die allmählich zu einer minimalistischen, post-elektronischen Musik verschmelzen. Untermalt werden diese "Soundskulpturen" mit visuellen Eindrücken aus dem Stadtleben und schnell geschnittenen Bildern, die die MTV Videoclip-Ästhetik noch weit übertreffen. - Wer den Film Pi gesehen hat, kann erahnen was auf einem zukommt, obwohl das ganze hier noch weiter perfektioniert wird.
Da man wahrscheinlich diese "Torpedierung" der Sinne keine 90 Minuten am Stück aushalten würde, wird die "Tortur" unterbrochen: einerseits durch die Interviews, andererseits durch Szenen, die rund um den Berg Fujiama angesiedelt sind. - So wechseln laute, hektische Stadtaufnahmen mit ruhigen, idyllischen Landschaftsbildern, und werden so auch die grundsätzlich verschiedenen Arbeiten zweier gegensätzlicher Fotographen gezeigt. In gleicher Weise werden die zwei unterschiedlichen Seiten Japans beleuchtet: Auf der einen Seite die "Virtual Reality", Roboter, Sushi und "Love Hotels", auf der anderen Seite Zheng und Meditation.
Meiner Meinung nach wollten die Macher keineswegs eine Doku über Tokyo drehen. Vielmehr könnte Tokyo auch jede andere Metropole auf der Welt sein - diese Stadt ist nur das Extremum, der Archetyp der modernen Großstadt, und steht wie nichts anderes für die Hektik, Schnelllebigkeit und der Konsumsucht der heutigen Zeit. Die Großstadt an sich wird hier als menschlicher Organismus, als lebendes, pulsierendes Wesen gezeigt. - Der Mensch als Gefangener seiner Selbst, als Untertan des "Metropolis" das er geschaffen hat......
Ein Film, den man schwer als "Film" bezeichnen kann - vielmehr ein modernes Kunstwerk, und ein Zeugnis der heutigen Zeit und der modernen Menschen. Beeindruckend ist darüber hinaus, dass man sobald man das Kino verlässt, alle seine Umgebungsgeräusche viel intensiver, geballter und gleichzeitig differenzierter wahrnimmt. - Noch während des Films freut man sich, dass man doch selbst nicht in solch einer hektischen und lauten Umgebung lebt, und sehnt sich nach dem Ende des Films und damit nach ein wenig Ruhe - Nur um dann in seiner sonst so vermeintlich beschaulichen Umgebung von genau den vorher gezeigten Phänomenen erschlagen zu werden. Spätestens hiermit hat der Film sein Ziel erreicht, und man wird ihn nicht mehr so schnell vergessen....
3.14159 26535 89793 23846 26433 83279 50288
Blog - This is really not an exit
#3
Geschrieben 19. Juli 2003, 15:59
18.07.03 - Kino - Schloss, HD
Regie: Tsai Ming-Liang
Genre: Drama / Komödie
Jahr: 2001
Länge: 116 Minuten
Land: Taiwan / Frankreich
Sprache: Taiwanesisch
„Hsiao-kang ?“ – Die fragenden Worte des alten Mannes verhallen scheinbar ungehört im kleinen, verlassenen Apartment. „Du fährst mit mir“ – auch dieser Satz ist an jemanden gerichtet, der nicht antworten kann. Erst langsam erschließt sich dem Zuschauer der Aufbau dieses „Dialogs“. Tsai Ming-Liang hat in seiner Eröffnungssequenz das Prinzip der „Schuss-Gegenschuss-Montage“ auf die Spitze getrieben. Der Dialog findet nämlich zwischen dem Sohn und dessen verstorbenen Vater statt.
Doch das Leben nach oder mit dem Tod muss weitergehen, so auch für Hsiao-kang, der sich sein Geld als Uhrenverkäufer in den Straßen Taipeis verdient. Aufgrund dieser Profession trifft er auch eine junge Frau, die sich vor ihrer Abreise nach Paris noch eine Zwei–Zeitzonen Uhr kaufen will. Unbeeindruckt von seinem Sortiment will sie lieber direkt die Uhr kaufen, die der Händler selbst am Arm trägt. Erst nach langem Zögern willigt Hsiao-kang ein – Mit dem Geschenk, das der daraufhin erhält kommt ein wenig Freude in sein tristes Leben. Doch auch dieser Anflug von Glück kehrt sich schnell ins Gegenteil um. Zu schüchtern ihr seine Gefühle zu gestehen lässt er die schöne Unbekannte ins ferne Paris gehen. Stattdessen flüchtet er sich in französische Filme und beginnt damit alle Uhren, die er sieht sieben Stunden zurückzudrehen - auf französische Zeit. Doch dieser „Tick“ hat auch Auswirkungen auf seine Mutter, die in der umgestellten Küchenuhr ein Zeichen ihres toten Mannes sieht – und nun beginnt ebenfalls den „neuen“ Tagesrhythmus zu leben, was schon mal dazu führt, dass sie um Mitternacht frühstückt.
In ruhigen Bildern, fast ohne Kamerafahrten erzählt Tsai Ming-Liang seine Geschichte. So lange, einzelne Einstellungen, und gleichzeitig so sorgsam aufgebaute Sets kannte ich in dieser extremen Form bisher nur aus Chantal Akermans „Toute une nuit“. Doch anders als in diesem Werk droht man hier als Zuschauer in den Einstellungen zu versinken, so schön sind sie.
Die Ehefrau, die in jeder Kakerlake eine Reinkarnation ihres toten Ehemanns sieht. Der Sohn, der einer verpassten Chance hinterher trauert. Und die Frau, die in die Fremde zieht und ihre Heimat vermisst. - Der immer surrealer werdende Film fährt das Gefühlsleben von 3 Personen nach, die sich Zusehens in der urbanen Isolation verlieren und deren Sehnsüchte nach Gesellschaft nur zu einer noch größeren Entfremdung von den Mitmenschen führt.
Ein wunderschöner, poetischer Film, der Lust auf mehr macht. Auf mehr asiatisches Essen, auf mehr französische Filme und auf mehr Melancholie.
3.14159 26535 89793 23846 26433 83279 50288
Blog - This is really not an exit
#4
Geschrieben 20. Juli 2003, 13:49
19.07.2003 - VHS
Regie: Maxwell Shane
Genre: Film-Noir / Thriller
Jahr: 1956
Länge: 89 Min
Land: USA
Sprache: Deutsch
Dunkelheit - tiefes schwarzes Nichts. Nur der flackernde Schein einer Kerze erhellt die dunkle Leinwand. Diese kleine Lichtspendende Quelle, an die man sich „Im Dunkel der Nacht“ klammert, das Objekt, das an Weihnachten der Inbegriff für Besinnlichkeit ist, ist für den Jazzmusiker Stan der Beginn eines Horrortrips.....
Ein verlassenes altes Haus, ein komplett verspiegeltes Zimmer, ein ermoderter Mann – und Stan mittendrin. Schweißgebadet schreckt er am Morgen aus dem Bett – zum Glück alles nur ein Alptraum, oder etwa doch nicht ? An seinem Hals findet er Würgespuren, an seinem Arm Kratzer und getrocknetes Blut. Auf seinem Nachttisch einen Schlüssel und einen abgerissenen Knopf aus seinem „Traum“. War das alles doch real ? Beunruhigt wendet er sich an seinen Schwager Rene. Doch der glaubt ihm seine abstruse Geschichte nicht und macht den Stress für die Halluzinationen verantwortlich....
Mit „Dunkel der Nacht“ dreht Maxwell Shane ein Remake seines eigenen Films „Angst in der Nacht“ von 1947. Leider kommt der Film nach der äußerst innovativen Eröffnungssequenz nur sehr zaghaft in die Gänge. Allerdings fesselt er später um so mehr. Stilistisch fühlt man sich oft wie in einem Hitchcock-Thriller und häufig habe ich mich an „Carnival of Souls“ erinnert gefühlt. Kein Meisterwerk, aber ein gelungenes Spiel mit schwarz und weiß, mit Licht und Schatten, Schein und Wirklichkeit.
3.14159 26535 89793 23846 26433 83279 50288
Blog - This is really not an exit
#5
Geschrieben 21. Juli 2003, 21:12
20.07.2003 - DVD
Regie: Radu Mihaileanu
Genre: Satire
Jahr: 1998
Länge: 103
Land: Frankreich
Sprache: Deutsch
Ein Film, der dem Gros der Kinogänger im kollektiven Gedächtnis haften geblieben sein mag, ist wohl Benignis „Das Leben ist schön“. Ein Film, der in Aufsehen erregender Weise das brisante Thema Holocaust anpackte. Nicht als trockene Geschichtsstunde, oder als schockierendes Drama, sondern in unkonventioneller Weise wurde die schwierige Thematik als Komödie aufgearbeitet.
Nur ein Jahr später kam ein kleiner französischer Film in die Kinos, der auf den Spuren dieses „Vorbildes“ wandelte. Auch er wurde von Kritikern gefeiert und heimste auf Festivals einen Preis nach dem anderen ein – so unter anderem auf dem Sundance Film Festival oder auf dem Filmfestival Venedig. Vom hiesigen Publikum wurde er allerdings eher weniger beachtet – und so ging er auch an mir spurlos vorüber. Bis heute.....
„Es war einmal in einem kleinen Städtchen. Einem jüdischen Marktfleck im Osten Europas, im Jahre 5701 oder 1941 nach dem neuen Kalender. Es war Sommer. Sommer 1941. Im Juli, glaub’ ich. Ich bin geflohen, weil ich dachte man kann fliehen vor dem was man schon gesehen hat – zu oft gesehen hat. Ich bin gerannt um sie zu warnen. Die Meinen, mein Städtchen, mein Dorf. Das ist die Geschichte meines Dorfes, so wie wir hier alles erlebt haben...“ so beginnt der Erzähler Shlomo aus dem Off - Der Dorfnarr lebt ebenso wie der Rest der Gemeinde in Angst vor den Deutschen, in Angst vor der Ungewissheit, oder doch vor dem Unvermeidlichen. Wird das was man bisher nur aus Erzählungen, als Gerücht, als Alptraum gehört hat, auch das eigene Dorf heimsuchen? Werden die Deutschen auch in ihr Refugium einfallen? Könnte ihnen das gleiche bevorstehen, wie vielen anderen zuvor: Gefangennahme, Verschleppung, Ermordung ?
Der rettende Einfall erscheint ebenso genial wie absurd: Um den Deutschen zuvor zu kommen, sollen sich die Dorfbewohner selbst deportieren. Mit einem getarnten Güterzug wollen sie die Reise ins gelobte Land Palästina antreten.
Wie seinem Vorgänger gelingt auch „Zug des Lebens“ der gefährliche Spagat. Es ist Radu Mihaileanu gelungen, „die schreckliche Thematik der Judenvernichtung in einem intelligenten, sensiblen und dabei oft brüllend komischen "Rail-Movie" zu verarbeiten“.Beeindruckend dabei ist, dass wenn man einzelne Szenen herausgelöst aus ihrem Kontext betrachtet, es einem eiskalt den Rücken herunter läuft. Will sagen: Man schwank ständig zwischen herzhaftem Lachen und zwischen schockiertem Erstarren.
„Eine märchenhafte Groteske über den Humor als Waffe gegen das Grauen.“
3.14159 26535 89793 23846 26433 83279 50288
Blog - This is really not an exit
#6
Geschrieben 24. Juli 2003, 13:58
Xiaos Weg
22.07.2003 - Kino Kamera HD
Für Xiao ist das Geigenspiel die Verbindung zu seiner Mutter, die er nie kannte. Sie hinterließ ihm das Instrument als er drei Jahre alt war. So kommt es, dass der kleine Junge aus der Provinz Geige spielt seit er sie in den Händen halten kann.
Und wie so oft: Der Vater ist absolut überzeugt von seinem Sohn. Er hält ihn für einen Geigen-Virtuosen, für ein verkanntes Genie. Deshalb setzt er auch alle Hebel in Bewegung, kratzt Hab und Gut zusammen und begleitet seinen Sohn in die Stadt... Dort will er ihm die Möglichkeit geben, professionellen Unterricht zu nehmen und Erfolg zu haben. Gar nicht so einfach, wenn beim Wettbewerb nur die Kinder der Sponsoren die vorderen Rängen belegen und der eigene Spross abgeschlagen auf dem fünften Platz landet.
Doch mit seinen Überredungskünsten gelingt es dem Vater einen Lehrer für seinen Sohn zu finden, der ihn zum besseren Musiker, zum Star machen soll. Aber dem Jungen steht der Sinn eher weniger nach stundenlangem Üben – zu viel Neues bietet die Stadt, zu sehr ist er fasziniert von der Nachbarin Lili, und sowieso ist er zu sehr mit dem Erwachsenwerden beschäftigt......
Chen Kaige nimmt sich in seinem neusten Film einer immer noch aktuellen Materie an: Auch heute noch treibt es die chinesische Landbevölkerung in die Metropolen mit der Hoffnung dort ihr Glück zu finden. Der Film erzählt wieder einmal die Geschichte vom vermeintlich besseren Leben in der Stadt, vom Zusammenprall von Tradition und Moderne und nicht zuletzt die Geschichte eines Jungen, der seinen eigenen Weg finden muss. – Die Themen hat man schon in unterschiedlichsten Variationen auf der Leinwand bewundern dürfen, so zum Beispiel auch in Yimou’s „Keiner weniger“. Und um diesen Gedanken gleich wieder aufzugreifen: Irgendwie scheint Kaige auch durch jenen inspiriert worden zu sein. Es gibt Szenen da sind vorher chaotische, verwahrloste Hütten plötzlich in goldenes, pastellfarbenes, leuchtend gelbes Licht getaucht. – Und so ist die Inszenierung auch durchweg routiniert, handwerklich perfekt. Aber leider nicht mehr - nicht innovativ, zu glatt – Der Film betritt nur ausgetretene Pfade und bedient sich den üblichen Regeln des Genres, gibt keine neuen Impulse. Die Figuren bleiben seltsam leblos, die Story altbekannt, der Zuschauer distanziert.
Beeindruckend allerdings, dass der Film einen Kritikpunkt (zumindest einen Kritikpunkt, den ich sehe ;-) selbst darlegt. Nämlich dann, wenn der unorthodoxe Professor Yu seinen „Schützling“ Xiao belehrt: „Die Technik kann man lernen, das Gefühl nicht. Um die Zuhörer zu begeistern muss man mit Gefühl spielen". Genauso könnte man sagen: Um den Zuschauer zu fesseln muss man mit Gefühl inszenieren.
Die Gefühle werden allerdings nur dann geweckt, wenn das Geigenspiel zu hören ist. Dann ist es jedoch eher ein Verdienst der Musik als des Zelluloids.
Und „Was ist schon ein Spiel ganz ohne Gefühl?“ – Eben nicht mehr als eine bloße Fingerübung. In diesem Sinne: Routiniert warm gespielt Herr Chen, wo bleibt das ergreifende Konzert ?
3.14159 26535 89793 23846 26433 83279 50288
Blog - This is really not an exit
#7
Geschrieben 01. August 2003, 23:54
29.07.2003 - DVD
Nun sitze ich hier, will meine Gefühle, meine Gedanken zum Film festhalten.....
... und kann es nicht. Ich bin immer noch wie berauscht, von Glücksgefühlen überflutet, und zugleich tief bewegt. Hört sich jetzt unheimlich hochtrabend an, ist aber einfach so: Am Boden gelegen vor Lachen, den Tränen nahe und gestaunt in Anbetracht dessen, was ich da gesehen habe. Vielleicht bin ich irgendwann wieder im Stande meine Begeisterung differenziert in Worte zu fassen, im Moment bin ich einfach nur sprachlos.......
Das war das einzige, was ich vor wenigen Tagen, nachdem ich den Film gesehen hatte, artikulieren konnte. Noch lange Zeit, als der Film schon zu Ende und das Bild auf dem Fernseher bereits erloschen war, konnte ich meine Gedanken nicht abwenden, konnte ich das was ich eben gesehen hatte nicht beiseite kehren. Und selbst Tage später kamen mir immer wieder ganz plötzlich einzelne Szenen in den Sinn. Und obwohl man einen solchen Film nicht tot reden sollte, kann ich mir es doch nicht verkneifen einige Worte über den Film zu verlieren.
Die Geschichte ist eigentlich schnell erklärt: Kyun-woo - ein typischer Student, sitzt den ganzen Tag in Cafes rum und versucht vergeblich die richtige Frau respektive Freundin zu finden, als er plötzlich "dem Mädchen" über den Weg läuft. – Ein „atomarer Mix aus süßem Aussehen, exzentrischem Verhalten und ungewöhnlichen Manieren“. Ihr erster Kontakt beginnt damit, dass er sie – sturzbetrunken – davor rettet vor die U-Bahn zu „fallen“. Als sie dann später in selbiger negativ auffällt und ihn zu allem Überfluss auch noch mit „Honey“ anredet, hat Kyun-woo keine andere Wahl. Ziemlich genervt wird er von den Passanten dazu genötigt sich um sie zu kümmern. Also die Dame schnell auf die Schultern geladen und ins nächste Motel getragen, wo sie ihren Rausch ausschlafen kann. Doch auch hier warten unerwartete „Fallen“. Mit der Zeit lernen sich die beiden näher kennen und Kyun-woo muss seine ursprünglichen Ausspruch „She’s my type, but i don’t like her“ überdenken.....
Das Werk von Kwak Jae-yong schafft es in erstaunlicher Weise die typische Hongkong-Slapstick Komödie mit dem genauso archetypischen Korea-Love-Tearjerker zu verbinden. Das Resultat ist ein einzigartiger Genre-Mix: poppig, herzergreifend, fantastisch, „sassy“. Zusammen mit den Parodien der asiatischen Filmlandschaft wirkt er damit wie die Essenz des koreanischen Films überhaupt. (OK, hier übertreibe ich vielleicht ein wenig) Ein Glanzstück des Kinos ist er aber auf jeden Fall. Nach dessen Genuss möchte man am liebsten nur dasitzen und sich mit einem Lächeln auf den Lippen, mit der Musik von George Winston oder Pachelbel zurück in diese Welt träumen. - „My sassy girl" ist die fernöstliche Amelie, ohne Zweifel. Und genauso lässt sich das Urteil der FAZ über Amelie auch auf „My sassy girl“ übertragen: „Ein gigantischer Glückskeks – süß und süchtig machend“.
Der Film lebt von seinem „fluffy and lighthearted“ Skript und von den schauspielerischen Darbietungen von Jeon Ji-hyun und Cha Tae-hyun. Die beiden ergänzen sich prächtig. Sie charmant, witzig, aufgedreht, exzentrisch. Er der überforderte Junge, die Rolle des "punching bag" einnehmend.
Doch genug geredet. Selbst meine euphorischen Worte können das Gefühl über diesen Film nicht annährend beschreiben. Und da Bilder ja bekanntlich mehr sagen als tausend Worte, lautet meine abschließende Empfehlung: Anschauen.
3.14159 26535 89793 23846 26433 83279 50288
Blog - This is really not an exit
#8
Geschrieben 02. August 2003, 16:45
Lichter
31.7.2003 – Kino, Kamera HD
Die Lichter der Großstadt, die Lichter, die Wohlstand und Sicherheit bedeuten. Die Flüchtlinge an der polnischen Grenze kennen sie nur aus der Entfernung. Sie sehen sie nur als spiegelnde Reflektionen auf der Wasseroberfläche der Oder. Lichter, die eine bessere Zukunft suggerieren.
In mehreren Episoden wendet sich Hans-Christian Schmid den „Grenzgängern“ zu. – Diejenigen, die diesseits und jenseits der deutsch-polnischen Grenze ihr „kleines Leben“ meistern: Da ist zum Beispiel der erfolglose Unternehmer Ingo, der mit allen Mitteln sein Matratzengeschäft am Leben erhalten will. Oder Antoni, der polnische Taxifahrer. Er und seine Frau kommen gerade so über die Runden. Kritisch wird es allerdings, als die Tochter der Kommunion entgegenfiebert und der Vater ihr unbedingt ein neues, weißes Kommunionskleid kaufen will. Da kommen Anna und Dimitri, zwei Ukrainer, die nichts sehnlicher wollen als die Lichter Frankfurts aus der Nähe zu sehen, gerade recht. Und für alle scheint ein sorgenfreieres Leben auf der anderen Seite des Flusses fast greifbar – aber eben nur fast.
Nach „Nach fünf im Urwald“, „Crazy“ und „Herz im Kopf“ (1) war ich sehr skeptisch was mich denn da erwarten würde. Nicht, dass ich Schmids bisherigen Filme nicht mag, ganz im Gegenteil. Doch spielt in allen seinen bisherigen Filmen das Thema Erwachsenwerden eine dominierende Rolle, und ist ihnen somit zwangsläufig auch eine gewisse „Leichtigkeit“ und ein „pubertäres Geplänkel“ immanent.
Allerdings wurden meine Bedenken, was denn Schmid aus dem – in Anbetracht der bevorstehenden EU-Osterweiterung – aktuellen und brisanten Stoff machen würde, schnell zerstreut. Schmid zeichnet ein realistisches, schonungsloses Bild vom Leben an der Grenze, von den Sehnsüchten, von den Schicksalen der Menschen. Die Menschen, die ihre Wünsche nach einer besseren Welt als Projektionen auf das Unbekannte nicht tatenlos vorbeiziehen lassen.– Jeder betrügt jeden. Zum Überleben muss man tricksen. Wer nicht stiehlt, wird selbst bestohlen. Oder um Jakob Hesler zu zitieren: „Die Grenze teilt nicht nur Frankfurt/Oder und Slubice, sie schiebt sich auch als soziales Faktum zwischen die Menschen. Sie sind angespornt von Lichtern und Irrlichtern. Doch die Verzweiflung hinter ihren vagen Hoffnungen ist so groß, dass sie einander darüber verraten.“ (2)
Der visuelle Stil des Werks ist geprägt durch die verwackelte Handkamera, die dem Film einen Touch von Dokumentation verleiht, den Zuschauer aber gleichzeitig mitten ins Geschehen reißt. Auch die teils extremen Closeups tragen dazu bei. Das große Plus des Films ist und bleibt aber die passende Besetzung und die mitreißenden Geschichten.
Hans Christian Schmid scheint erwachsen geworden zu sein. Der Film schafft es, dass man sich in seinem sonst so gemütlichen Kino-Sessel unwohl fühlt. Man wartet darauf, dass der Film zu Ende ist, dass die Lichter wieder angehen - „Willkommen in der Wirklichkeit“
(1) obwohl Hans Christian Schmid bei diesem Film nur Autor war, nehme ich ihn in diese
Aufzählung mit hinein
(2) www.filmtext.com
3.14159 26535 89793 23846 26433 83279 50288
Blog - This is really not an exit
#9
Geschrieben 03. August 2003, 21:51
Tenebrae
2.8.2003 - DVD
Aus dem Nichts saust eine Axt herab, durchtrennt chirurgisch den Arm einer Frau. Schreie, das Gesicht verzerrt zu einer schockierten, angsterstarrten Grimasse. Das Blut spritzt fontänengleich, um dekorative Muster an die bis eben noch weiße Wand zu malen....
Nun, nach langer Zeit wage ich mich endlich mal ran. An den Mann, denn ich bisher immer nur in Verbindung mit George Romero kannte - an Dario Argento. Als Einstieg soll ein Werk dienen, das immer als eines seiner „normalsten“ bezeichnet wird, am geradlinigsten, am konventionellsten sei es. Und so wartete ich das Dunkel der Nacht ab, um „Tenebrae“ stilvoll zu genießen.
Am „geradlinigsten“, das heißt konkret, die Story hat einen nicht zu unterschätzenden Stellenwert, ist – anders als bei anderen Werken – nicht bloßer Aufhänger und nicht nur Kulisse für möglichst viel Blut. Einstiegspunkt für den Film ist das literarische Werk „Tenebrae“. Just in der Zeit, in der Erfolgsautor Peter Neal nämlich in Rom sein neustes Buch promoten will, wird die Stadt von grausamen Morden erschüttert. Der Mörder scheint von Neals neustem Roman beeinflusst zu sein. Akribisch geht er in seinen Taten nach den Beschreibungen der „Buchvorlage“ vor, nicht ohne als zusätzlichen Hinweis noch einzelne Seiten aus dem Buch zurückzulassen. Kein Wunder, dass sich die Polizei recht schnell an Neal wendet. Doch als der Killer auch seinem „Vorbild“ nach dem Leben trachtet, begibt sich dieser selbst auf Spurensuche. – Wird er Jäger oder Gejagter sein ?
Nun, ich wurde weder enttäuscht noch überrascht. Ich bekam das, was ich erwartet hatte: Ein 80er Jahre Flick, eine Mischung aus Thriller, Krimi und Horror – immer als Gratwanderung zwischen Kult und Trash. - „Giallo“ eben, ganz den Regeln folgend „Several persons must be murdered; The killings should be shown in graphic detail; The identity of the killer must not be given away during these killings…..” (1) Und so pervers es klingen mag, Spaß gemacht hat der Film. Und nicht nur das. Auch stilistisch und ästhetisch konnte er überzeugen. Beeindruckend die oft-zitierte Kamerafahrt, die das Objektiv quälend langsam an einer Hausfassade entlang lenkt, den Strukturen so nah, dass man nicht mehr genau weiß, was man denn da überhaupt sieht. Die Kamera, die sich auch sonst nicht abwendet, die Vorgänge vielmehr ganz genau betrachtet. Nach dem Motto: „Gewalt kann durchaus schön sein, wird sie aus der richtigen Perspektive betrachtet.“ Und nicht zu unrecht gilt Argento als Meister der richtigen Perspektive, als Schöpfer fehlerlos choreographierter Mordsequenzen, des technisch perfekt inszenierten Spektakels.
In Hinblick auf sein Gore-Gehalt steht der Film irgendwo zwischen Suspense-Thriller, der den Mord nur andeutet, die „Bildfolge der Tötungssequenz unterbricht“ und dem Splatterfilm, der nur auf explizite Gewaltdarstellung aus ist.
Wie bereits erwähnt glänzt der Film auch durch eine durchdachte Story, ganz in der Tradition der alten Detektiv-Filme, und weiß mit schönen Story Twists zu überraschen. Die schönen Sets tun das übrige.
Am Auffälligsten darüber hinaus – ob positiv oder negativ kann ich immer noch nicht genau sagen - ist die musikalische Untermalung: Der Goblin-artige Disco-Synthesizer Score hat mich oft dazu verleitet hinter der nächsten Ecke einen Zombie zu erwarten, oder zumindest die Befürchtungen geweckt, dass sich die Schauspieler Rollschuhe anschnallen und im tanzenden Licht einer Discokugel durch die Sets fahren könnten. Was man dagegen zu sehen bekommt ist das ganz reale Grauen....
Um gleich bei der Musik zu bleiben. Negativ aufgefallen ist mir, dass sie – zumindest am Anfang – dem Zuschauer diktiert, wann er Angst zu haben hat. Genau in den „wichtigen“ Momenten werden die Regler hochgezogen. Ebenfalls ein Kritikpunkt, die teilweise sehr konstruiert wirkenden Mord-Szenarien, und die doch ziemlich klischeebehafteten weiblichen Darsteller, die nur dazu dienen eine nach der anderen das Zeitliche zu segnen.
Im Resümee ein toller Film und ganz bestimmt nicht mein letzter Argento – ich habe Blut geleckt…..
(1) http://www.giallo-pa...icles/rules.php
3.14159 26535 89793 23846 26433 83279 50288
Blog - This is really not an exit
#10
Geschrieben 07. August 2003, 13:43
CL - 15.11.2002 - KinoAtlantis, MA
Nordchina in den Zwanzigerjahren - Am Beispiel einer gegen ihre Entrechtung aufbegehrenden Frau prangert der chinesische Regisseur Zhang Yimou ein repressives Gesellschaftssystem und starre Traditionen an.
Er betrachtet das tragische Schicksal mit seinen typisch ruhigen Einstellungen, kunstvoll komponierten Bildern und mit der wunderbaren Gong Li in der Hauptrolle.
Rote Laterne - ein typischer Yimou: Der Einsatz von Farben, eine starke Frau im Mittelpunkt und Kritik an starren Traditionen... - Und doch ist dieses Werk anders: wesentlich eingängiger und mit einer geradlinigeren Dramaturgie als "Rotes Kornfeld", anders als "Keiner Weniger" auf einen Schauplatz beschränkt, und anders als bei "Judou" kein buntes Farbenspiel: Hier beschränkt sich der Meister auf seine Lieblingsfarbe - Rot -, in welche schon die erste Szene getaucht ist. Und bereits diese eröffnet den Film mit einem Paukenschlag: "Dann werde ich eben einen reichen Mann heiraten. Ich bin eine Frau, was bleibt mir anderes übrig."
- Doch als frisch verheiratet "Viert-Frau" eines reichen, mächtigen Feudalherren lässt sich die 19-jährige Songlian weder in der Hochzeits-Sänfte chauffieren, noch lässt sie sich ihren Koffer abnehmen, und sie hinterfragt die Geschehnisse im neuen Zuhause. Auch von der Ermahnung des Dieners "Die Sitten der Vorfahren dürfen nicht leichtfertig missachtet werden" lässt sie sich nicht einschüchtern.
Aber die junge Frau muss nicht nur gegen alte Sitten, sondern auch gegen ihre "Konkurrentinnen" ankämpfen. In den Palastanlagen verfügt jede Frau über ein eigenes Haus und eigene Bedienstete - doch auch der Luxus kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie in einem "goldenen Käfig" eingesperrt sind. Ständige Intrigen machen das Leben vollends zur Hölle - aber je länger Songlian den Kampf um Anerkennung kämpfen muss, je länger sie dieses "Spiel spielt", desto mehr brennt sie darauf zu gewinnen, egal zu welchem Preis....
Neben der - wie bei Gong Li so oft - fantastischen schauspielerischen Leistung lebt der Film definitiv von den Stilelementen: Die verstaubten Gebräuche und erstarrten Rituale werden durch sich ständig wiederholende Sequenzen und Kameraeinstellungen bildlich umgesetzt. Die Einteilung des Werkes in Jahreszeiten unterstreicht das Gefühlsleben bzw. die Entwicklung der Hauptdarstellerin. Beeindruckend auch die "Anonymisierung" des männlichen Parts. Dieser taucht sehr selten, und wenn, dann nur kurz und schemenhaft gezeichnet auf. Mehrmals spricht er auch nur aus dem Off - genauso wie zu Beginn die Mutter....
Ein Film mit eindrucksvollen Stilelementen, faszinierenden Bildern und interessanten Einblicken in alte chinesische Traditionen und Kultur.
3.14159 26535 89793 23846 26433 83279 50288
Blog - This is really not an exit
#11
Geschrieben 10. August 2003, 12:35
7.8.2003 - Kino
Joel Schumacher ist mir nach dem genialen „Falling Down“ nicht mehr weiter aufgefallen. „Batman“ ist nicht mein Fall, an „8mm“ - die Hollywood-Adaption von Tesis – habe ich mich immer noch nicht gewagt und „Bad Company“ ist auch spurlos an mir vorübergegangen. Um so mehr war ich überrascht, als ich den Trailer zu „Phone Booth“ sah, und in den Credits eben diesen Namen lesen konnte.
Die Idee hat mich von Anfang an gereizt. So schnell sie erzählt ist, so genial ist sie auch:
Stu Shepard – die Klimax des modernen Business Man, immer im Einsatz, das Büro ist die Straße. Immer auf Achse, mit zwei Handys an vorderster Front des Kommunikationswahns. Der Sunnyboy im Designeranzug lässt sich nicht nur in der Informationsgesellschaft treiben, er schwimmt ganz vorne mit. Sein Motto: Höher, schneller, weiter…
Bis eines Tages das Klingeln eines Telefons seine Rastlosigkeit bremsen und sein Leben verändern wird. Und wie am Ende des Films festgestellt wird: „Isn’t it funny. You hear a phone ring and it could be anybody. But a ringing phone has to be answered. Doesn’t it?”, so kann auch Stu nicht einfach an der läutenden Telefonzelle vorbeigehen. Am anderen Ende der Leitung ein Ungekannter, der erstaunlich viel über ihn weiß. Er gibt vor Scharfschütze zu sein und ihn direkt im Visier zu haben. Der gesichtslose Sniper droht damit, Stu zu erschießen, falls dieser die Telefonzelle verlassen sollte….
Der Protagonist, das Produkt einer Gesellschaft, in der die Kommunikation zum höchsten Gut erhoben, Handys zu Statusobjekten stilisiert werden und werbewirksam zur Fortführung der „erogenous zone“ Ohr mutieren. Ein Mensch, der seine Identität aufgibt für Karriere und Prestige. Er wird hier wie beim jüngsten Gericht angeklagt, muss einem allwissenden Killer seine „Sünden“ beichten. Dieser stellt ihm die verdrängte Frage, die wie Hohn in fetten, unübersehbaren Lettern im Schaufenster hinter der Telefonzelle prangert: „Who do you think you are?“
In gewisser Weise tritt Herr Schumacher mit seinem aktuellen Film in die Fußstapfen von Hitchcock und Fincher. Phone Booth ist ein Kammerspiel im wahrsten Sinne des Wortes, ein minimalistischer „Panic Room“. Routiniert setzt Schumacher Stilmittel wie Splitscreen, schnelle Schnitte oder Soundcollagen ein. Boulevard-Magazin-Konsumenten werden sich gleich wohl fühlen. Bild im Bild, möglichst komprimierte, reißerische Nachrichtenflut, die die Sensationslust der Menschen nach Reality TV stillt, die Begierde der voyeuristischen Massen befriedigt.
Auffällig die Anfangssequenz: Ein Satellit umkreist die Erde, fokussiert den blauen Planeten. Mit der Kamera wird der Zuschauer in die Tiefe gerissen, hinein in die Stratosphäre, hinein in die Leiterbahnen und Transistoranhäufungen des Objekts der Begierde, des Telefons. Wir sausen durch die Schaltkreise, um uns am Ende der Achterbahnfahrt in Manhattan, inmitten telefonierender Menschenmassen zu finden. Den hektischen Schnitten, der rastlosen Kamerabewegung vom Anfang werden wir später wieder begegnen, wenn Stu mit verzweifelten Blicken die Fenster nach seinem Peiniger absucht…..
Man kann dem Film nicht nachsagen, dass er keinen Spannungsbogen besitzt . Zumindest theoretisch ist er vorhanden. Trotzdem kam bei mir selten Spannung auf, noch schaffte es der Film zu fesseln. – Die emotionale Verbundenheit zum „Gefangenen“ blieb aus. Darüber hinaus ist die Moral gegen Ende dank erhobenem Zeigefinger kaum mehr zu übersehen, die Läuterung als Pflichtübung „under preasure“ ist zu plakativ, die extreme Wandlung von Saulus zu Paulus unglaubwürdig. Auch die Darstellung des Snipers als Erlöser oder Heilbringer, als Erzieher, dem Stu eigentlich dankbar sein müsste, hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack. Schade, der interessante Ansatz verliert insgesamt an Wirkung. Herausgekommen ist mittelprächtiges Hollywood-Popcorn Kino.
3.14159 26535 89793 23846 26433 83279 50288
Blog - This is really not an exit
#12
Geschrieben 11. August 2003, 14:37
Unloved
(9.8.2003 - VHS)
"Ich bin mit meiner jetzigen Arbeit zufrieden" - Mitsukos Ausspruch steht stellvertretend für ihr ganzes Sein. Nur nicht auffallen, weder positiv noch negativ - Im Strom mitschwimmen, gesichtslos bleiben. Nur keine Veränderung: seit 30 Jahren den gleichen Job, die gleiche Wohnung, das gleiche Leben...
Dieses geordnete Dasein kommt ins Wanken als der Business Man Eiji auf sie aufmerksam wird. Gemäß ihrer Natur reagiert Mitsuko auf seine ersten Annäherungsversuche abweisend und zurückhaltend. Sie sträubt sich gegen eine Welt von Versace und Gucci, von Nobelrestaurants und Prestige. Sie fühlt sich unwohl in ihren neuen, modischen Kleidern, sehnt sich in ihre graue, unauffällige Welt zurück. Als sie dagegen ihren Nachbarn Hiroshi näher kennen lernt, erscheint er ihr wie das genaue Gegenteil von Eiji - Ein Mensch, der genau wie sie mit seinem Leben zufrieden ist. Sie scheint einen Seelenverwandten gefunden zu haben. Doch das baldige Zusammentreffen aller drei Beteiligten verursacht Turbulenzen und wirft bei allen Fragen über ihr bisheriges Leben auf.....
Stille - Das prägende Stilmittel in Kunitoshi Manda’s Film ist omnipräsent. Die Charaktere sagen wenig, wichtiger scheint, was sie nicht sagen. Die musikalische Untermalung ist auf ein Minimum reduziert. Selbst das Minenspiel der Darsteller bleibt seltsam emotionslos. Doch gerade diese allgemeine Emotionslosigkeit, mit der die Figuren agieren, mit der sie Gedanken beinahe philosophischer Tragweite vortragen, wecken beim Zuschauer Betroffenheit. Die gesamte Bildsprache unterstützt diesen Effekt. Es dominieren statische Einstellungen, Regen spielt eine entscheidende Rolle und die Mise-en-scene unterstreicht die Gefühle bzw. die fehlende oder verfehlende Aussprache der Charaktere. Nur am Ende entlädt sich die aufgestaute Sprachlosigkeit in einem großen, fordernden Dialog.
Auffällig die absolut differenzierte Charakterisierung aller Beteiligten. Alle verkörpern Archetypen der modernen Gesellschaft. Ich konnte mich in bestimmtem Ausmaß in allen irgendwie wieder erkennen. Und wenn Regisseur Kunitoshi Manda in einem Interview sagt:
"Wenn sich das Publikum mit einem der drei Hauptcharaktere identifizieren kann oder durch den Film über sein eigenes Leben reflektiert, dann sind meine Charaktere wirklich mit Leben erfüllt worden. Es wäre mir eine große Freude, wenn man den Film in dieser Weise wahrnehmen würde.", muss man neidlos anerkennen: Das hat er geschafft!
Unloved - Ein leiser, kleiner Film, der das altbekannte Thema "Dreiecksgeschichte" mit quälender Langsamkeit inszeniert. So langsam, dass es teils schwer fällt dranzubleiben, weiterzuschauen. Aber das Durchhalten wird belohnt...
3.14159 26535 89793 23846 26433 83279 50288
Blog - This is really not an exit
#13
Geschrieben 17. August 2003, 11:42
“Our story deals with psychoanalysis, the method by which modern science treats the emotional problems of the sane. The analyst seeks only to induce the patient to talk about his hidden problems, to open the locked doors of his mind. Once the complexes that have been disturbing the patient are uncovered and interpreted, the illness and confusion disappear ... and the evils of unreason are driven from the human soul.”
(Eröffnungssequenz Spellbound)
Spellbound
(13.8.2003 – DVD)
13. August, die immer wiederkehrende Frage, was man denn nun heute für einen Film schauen soll, lässt sich an diesem Tag recht einfach beantworten: Vor genau 104 Jahren, am 13. August 1899 erblickte Alfred Hitchcock das Licht der Welt. Grund genug für mich, diesen Tag gebührend mit einem seiner Werke zu feiern....
Da fiel dann die Wahl des Films auch nicht mehr schwer. Es sollte Spellbound werden, von dem ich bis dato nur das Cover kannte – und schon das hatte mich in seinen Bann gezogen. Der Titel dagegen verursachte gemischte Gefühle. Was sollte man von einem Film erwarten der in der deutschen Übersetzung „Ich kämpfe um dich“ heißt ? Das soll ein Hitchcock sein ? Hört sich eher wie eine „Liebes-Schnulze“ an. Der Originaltitel „Spellbound“ – was so viel bedeutet wie verzaubert oder gebannt – lässt da schon besseres erhoffen, hilft aber bei der sonstigen Ratlosigkeit über das Wesen des Films auch nicht wirklich weiter. Und die ambivalenten Assoziationen die der Titel weckt sind gar nicht mal so falsch: Spellbound ist sowohl ein typischer als auch ein untypisch Hitchcock......
Spellbound entführt uns am Anfang in das „home of the mentally ill“ – in die Psychiatrie Green Manors. Wir werden der Ärztin Constance Peterson vorgestellt als eine Koryphäe auf dem Gebiet der Psychoanalyse – Eine Frau die es schafft mit nur wenigen Worten und gezielten Fragen in die Psyche und das Gefühlsleben ihrer Patienten einzudringen. Wie allerdings einer ihrer Kollegen „diagnostiziert“ kann sie die Theorien nicht auf ihr eigenes Bewusstsein übertragen, fehlen ihr die „menschlichen Emotionen“. Diese tauchen jedoch kurze Zeit später in Form von Dr. Anthony Edwardes auf, der der neue Direktor der Psychiatrie werden soll. Er weckt in Constance die verschmähten Gefühle, für die sie bisher nur Hohn übrig hatte. Doch Edwards ist nicht der, der er scheint....
Spellbound ist ein typischer Hitchcock wegen der MacGuffins (1) – oder um Lesley Brill zu zitieren: „In a Hitchcock’s film, it’s the mystery to be solved (or the fugitive’s innocence to be proved) that provides an excuse for the truly important matter – usually a love story between a handsome actor like [...] Gregory Peck and a beautiful actress like Ingrid Bergman [...].” Untypisch ist er wegen dem Freudschen Thema der Psychoanalyse und der surrealen Inszenierung – man denke vor allem an die virtuose Traumsequenz von Dali (hat mich enorm an „Un Chien Andalou“ und an die Traumsquenz in „Wild Strawberries erinnert“), oder die Bilder der sich nacheinander öffnenden Türen und der Linien auf weißem Grund....
Hitchcock demaskiert die Götter in weiß, die sich gegenseitig analysieren, in die tiefsten seelischen Abgründe ihrer Patienten hinabsteigen, aber ihr eigenes Gefühlsleben nicht im Griff haben. Oder um es mit den Worten von Dr. Brulov zu sagen: „Women make the best psychoanalysts until they fall in love. After that they make the best patients.“ Es wird hier also der ewige Kampf zwischen Ratio und Gefühlsleben, zwischen Denken und Lieben ausgetragen. Die Figuren müssen sich permanent die Frage stellen „Who am i“ .... „and what do i want ?“ könnte man ergänzen.
Spellbound ist ein Psycho-Drama, bei dem der Zuschauer zwar nie mehr weiß als die Charaktere selbst, und von daher auch der Auflösung entgegenfiebert, aber trotzdem – vor allem im Vergleich zu anderen Hitchcocks – merkwürdig distanziert bleiben kann (und bleibt), da die Gefahr nie wirklich akut erscheint. Um auf meine anfänglichen Erwartungen zurückzukommen: Der Film erscheint wie eine Mischung aus Liebesgeschichte, Mysterythriller und typischem Hitchock-Suspense.
Die Psychoanalyse ist in diesem Film aber dominierend und allgegenwärtig. Allerdings ebenso „naiv“ und teils unglaubwürdig – was vor allen Dingen am Ende deutlich zu Tage tritt: Die Erklärung, die Auflösung der Rätsels scheint zu sauber, zu einfach, nicht wirklich überzeugend. Man muss dem Film dagegen zugute halten, dass es ein der Psychoanalyse immanentes Problem ist, zu glauben die menschliche Psyche könnte in Schemata gepresst, oder mit einer begrenzten Anzahl an „vorgefertigten theoretischen Modellen“ erklärt werden. (2)
Mit dem Namen Hitchcock verbindet man in erster Linie das Genre Thriller – kein Wunder dass Spellbound zu den unbekannten Werken zählt. Und leider musste ich auch zu dem Schluss kommen: Nicht Hitchcocks bester, aber vielleicht sein außergewöhnlichster Film. Und zumindest wurde ganz bestimmt in keinem anderen Film das Wort „Liverwurst“ so sexy in den Wind gehaucht.....
(1) http://www.labyrinth.net.au/~muffin/faqs_c..._c.html#Answer1
(2) http://www.bbc.co.uk...abaster/A575499
3.14159 26535 89793 23846 26433 83279 50288
Blog - This is really not an exit
#14
Geschrieben 18. August 2003, 15:49
Fulltime Killer
(16.8.2003 – DVD)
John Woo hat Hong-Kong den Rücken gekehrt, und mit ihm scheinen die großen Action Filme von der Leinwand verschwunden. Übrig geblieben ist Hollywood-Kinder-Kino oder durchgestylte Korea Action – Hongkong ist tot. Zumindest dachte ich das bisher... Denn „Fulltime Killer“ hat mich eines besseren belehrt.
Die Story gab es schon einmal in ähnlicher Form – unglaublich, aber wahr – zuvor in Hollywood. In „Assassins“ bekämpfen sich die beiden Killer Sylvester Stallone und Antonio Banderas. Und genau wie in diesem Film ist in Fulltime Killer weder Geld noch Ideologie das Motiv. Auch hier prallen einfach zwei Egos aufeinander. Und letzt endlich ist das ja auch die Grundidee aller Woos und vieler MilkyWay Filme: „Er (Woo) füttert seine Filme mit einer von Martin Scorsese inspirierten christlichen Schuld und Sühne Metaphorik, innerhalb der er die anderen Themen Männerfreundschaft, Loyalität, Ehre und Verrat einbettet.“ (1) – Also: Zuviel ausgeklügelte Story sollte man nicht erwarten, ist aber auch nicht die Absicht eines solchen Films, vielmehr werden oben genannten Prinzipien durchexerziert. Doch von Anfang an: O (ja, der Typ heißt wirklich nur O) – lautlos, unsichtbar, nicht existent. Der perfekte Killer. Nicht zu unrecht gilt er als Asiens "Gold Medallist of Assassins“. Doch dieser „Titel“ ist in Gefahr: Sein Gegenspieler Tok sorgt zusehends für Furore. Er ist das genaue Gegenteil: laut und auffällig, ständig am Grinsen – die Attitüde eines Rockstars. Und zwischen beiden steht – wie könnte es anders sein – eine Frau. Wie in jedem richtigen Vertreter des Genres mündet auch hier die Rivalität in einem Showdown, in dem sich die beiden Kontrahenten gegenüberstehen, ganz nach dem Motto: Es kann nur einen geben.
John Woo meets Wong Kar-Wai war mein erster Gedanke zu diesem Werk. Es wechseln ruhige Szenen mit knallharter Action, die einem fulminanten Showdown mündet. Der Rhythmus des Films wechselt kontinuierlich von schnell nach langsam, er scheint förmlich zu „pulsieren“.
Immer wieder choreographierte Zeitlupensequenzen untermalt mit klassischer Musik, „slo-mo bullet ballet“ und Anspielungen auf Klassiker der Action Genres wie „El Mariachi“, „Terminator“, „Gross Point Blanke“, „Leon“ und natürlich sämtliche asiatische Kracher wie z.B. „The Killer“ und „Hard Boiled“. Schade nur, dass der Film den guten Eindruck nicht bis zum Ende aufrecht erhalten kann. Denn nach dem obligatorischen Warehouse-Shootout ist der Film leider nicht zu Ende. Stattdessen folgen weitere 15 Minuten Storyline, die irgendwie nicht so recht passen wollen. Sie wirken zu aufgesetzt, zu gewollt – mindern die Freude an der actiongeladenen Klimax.
Fulltime-Killer – mehr als nur eine Hommage an die Heroic-Bloodshed Streifen der 80er und frühen 90er. Der Film schafft es das Genre wieder aufleben zu lassen, zitiert massig asiatische und europäische Action-Klassiker und behält dabei den ursprünglichen, unverwechselbaren Charme des Hong-Kong Kinos bei. Das Werk von Johnnie To macht darüber hinaus einfach nur enorm viel Spaß und weckt Erinnerungen. Ich hoffe das alte Hongkong Kino blüht hiermit wieder auf, so richtig glauben kann ich’s noch nicht....
(1) http://www.spielfilm.de/special/2000/Johnw...content/03.html
3.14159 26535 89793 23846 26433 83279 50288
Blog - This is really not an exit
#15
Geschrieben 20. August 2003, 20:54
Tomb Raider 2 - Lara Croft Tomb Raider: The Cradle of Life
Tomb Raider 2 – ja ich kann es selbst kaum glauben, solch einen Film gesehen zu haben, aber was kann eine Freikarte nicht alles bewirken. Und ein Gutes hat es ja: Als ich im flauschigen Kinosessel Platz nahm, waren meine Erwartungen gen Null geschraubt.....
Vielleicht war das auch ein Grund warum ich das Kino gar nicht mal so unzufrieden verlassen habe. Doch der Reihe nach. Den meisten dürfte Tomb Raider ein Begriff sein – Ein weiterer Action Held, direkt von der Konsole auf die Leinwand diffundiert. Der Umstand dass der Held diesmal sogar weiblich ist, und die Proportionen auch stimmen, mag diesen Schritt forciert haben. Dementsprechend ist die Story auch nicht allzu wichtig. Ich will sie trotzdem mal kurz anreisen: Die Kamera saust dicht über der Wasseroberfläche auf einen Steilhang zu, erhebt sich kurz vor der Kollision in die Lüfte, klettert hinauf, entlang an den in Felsen gebaute Hütten. Kommt für kurze Zeit zur Ruhe, nur um Minuten später den gleichen Weg ein wenig schneller wieder zurückzupurzeln.
Eine Vulkanexplosion in Griechenland, versunkene Ruinen, verborgene Schätze – da kann die Archäologin aus Leidenschaft, Lara Croft nicht weit sein. Diese Naturkatastrophe ist der Auslöser für eine Schnitzeljagd quer durch die Welt. Von Griechenland nach China, von Hongkong nach Afrika.... Der Grund für dieses „Country-Hopping“: Ein Bösewicht der ganz gemeinen Sorte - kleine Sidenote am Rande: Ich konnte mich nicht dagegen verwehren, aber er hat enorme Ähnlichkeit mit unserem Bundeskanzler Schröder. Nein er will nicht die Steuern erhöhen oder Entfernungspauschalen streichen, was er im Schilde führt hätte weitaus schlimmere Auswirkungen auf die Menschheit: Eine mysteriöse Kugel, die in den Ruinen eines versunkenen Tempels auftaucht entpuppt sich als kodierte Landkarte, die den Weg zur Büchse der Pandora weist. Und was das Öffnen dieses Behältnisses mit sich bringen würde, wissen wir alle. Der Untergang der Menschheit wäre ein unausweichliches Faktum..... Croft, übernehmen sie !
Lara Croft, die smarte Heldin der erfolgreichen Spiele-Reihe, eine Mischung aus Indiana Jones und James Bond, haut auch hier wieder mächtig auf die Pauke. Verfolgungsjagden, Feuergefechte und eine Brise Sex-Appeal. Alles was das Hollywood-Herz begehrt. Und am Anfang war selbst ich, zumindest nicht negativ überrascht. Der Film hat ansehnliche Kamerafahrten und eine schöne Heldin..... Doch die anfängliche Zufriedenheit sollte sich bald in Luft auflösen. Spätestens als Lara einem Hai die Nase einschlägt, nur um sich auf seinen Rücken zu schwingen, und in Richtung Wasseroberfläche zu reiten, schlich sich eine ungläubige Miene auf mein Gesicht. Aber Halt, allzu leicht vergisst man, was man denn da vor sich hat. Ein Fantasy-Action-Film, eine Computerspiel-Adaption. - Und Computerspiele a la Doom habe ich ja auch mit Begeisterung gespielt... Doch wie viel Realitätsferne kann man verzeihen ?
Einige Szenen sind so unglaubwürdig, so aus der Luft gegriffen und so dilettantisch, dass es mir selbst im Nachhinein noch die Tränen in die Augen treibt. Wenn Frau Croft, ständig das Outfit wechselt, passend zum Motorrad im goldenem Fummel auftaucht, und immer aussieht wie frisch aus dem Ei gepellt, dann erinnert das nun einmal mehr an die 3-Wetter-Taft-Werbung („Rom, 30 Grad im Schatten - die Frisur hält“), als an einen ernstzunehmenden Kinofilm. Wenn eine 80 jährige gebrechliche Chinesin ihre Busenfreundin Lara mit den Worten empfängt „Ich habe dein Motorrad getuned“, oder wenn unsere Heldin in einem Affenzahn über die Chinesische Mauer brettert, dann zweifle ich ein wenig an der Ernsthaftigkeit der Drehbuchautoren. Und auch sonst oszilliert der Film mit seinen sinnentleerten Dialogen immer zwischen Selbstironie und unfreiwilliger Komik. Von der recht miesen Story mal abgesehen (wir erinnern uns: Computerspiele-Adaption) sind auch die Schauspieler äußerst mäßig, allen voran Til Schweiger, und der F/X sieht man doch ab und an die Herkunft aus einem Silicon Graphics Mainframe an...
Im Nachhinein lässt sich sagen: Normale Anforderungen, die man sonst an einen Film stellt, wie z.B. eine gute Story, begabte Schauspieler, schöne Cinematographie oder interessanter Plot sollte man hier erst gar nicht auspacken. Wenn man das schafft, bekommt man sinnfreies, buntes Hollywood-Action-Feuerwerk geboten. Und selbst ich, der das eigentlich als Negativ-Argument Nummer 1 auffasst, muss sagen: selbst so etwas kann ja zumindest manchmal ganz nett sein....
3.14159 26535 89793 23846 26433 83279 50288
Blog - This is really not an exit
#16
Geschrieben 21. August 2003, 13:59
(18.8.2003 – TV Arte)
Ein kleines, holländisches Dorf, genauso leblos, farblos, merkwürdig wie seine Einwohner. Eine vergessene Neubausiedlung im Nirgendwo. Ein einsamer Fleck, der nicht einmal als Punkt auf der Landkarte auftaucht. Die Menschen hier leben alleine, leben im Wechsel von Staub und Regen, von Alltag und Eintönigkeit.
Der Ehezwist, der eigentlich in den heimischen Mauern hätte ablaufen sollte bekommt hier ganz andere Dimensionen, wenn er sich ins Freie verlagert. Der Ausspruch „Du lässt mich hier vor der Straße wie einen Trottel hinter dir herlaufen“, wirkt nämlich dann wesentlich schwerwiegender, wenn das ganze Dorf nur aus einer einzigen Straße besteht. Die Fenster mutieren zu Schaufenstern, die Straße zur „Bühne“. Die Bewohner sitzen im Glashaus, immer unter Beobachtung, ohne Privatsphäre. Wenn jeder jeden kennt, und vor allen Dingen auch jeder die Schwächen des anderen, wird das auch so schon zu schwere Leben noch schwieriger. Zuflucht bieten nur noch die Träume, die Fantasie oder – in Ermangelung dessen - das nahe gelegene Wäldchen. Der Zuschauer wird in dieser Groteske Zeuge dieser absurden Gesellschaft. Wird unfreiwilliger Zuschauer im „Theater“ der Dorfbewohner: So lernen wir zum Beispiel den sexuell frustrierten Metzger kennen, genauso wie seine strenggläubige Ehefrau. Den neugierigen Briefträger und den absonderlichen und bis aufs Blut eifersüchtigen Jäger. Als zwei Missionare dieses merkwürdige Noorderlingen besuchen und als Schaustück einen Schwarzen im Käfig mitbringen wird alles nur noch absurder....
Ich hatte mich aufgrund der Informationen aus der Fernsehzeitschrift auf eine „Realsatire“ eingestellt, was man hier geboten bekommt ist jedoch eher absurde Surreal-Satire. Überspitze, bemitleidenswerte Charaktere, Tristesse und Grau wohin man schaut. Kaum Dialog, die Szenen gekennzeichnet von Schwermut und Traurigkeit. Ab und an erinnert die lautlose Komik an Tati, ist aber selbst in solchen Momenten noch wenig lustig, auch dann ist die allgegenwärtige Melancholie nicht zu übersehen. Ich glaube richtig schön finden kann man diesen Film gar nicht. Und um ihm etwas abgewinnen zu können muss man diese Art Filme mögen..... Ich mag sie im Allgemeinen nicht und komme auch hier zum Schluss: Spießbürgertum im Nirgendwo, Tristesse und Traurigkeit wohin das Auge blickt. Trotzdem nicht mitreißend oder anrührend, sondern einfach nur Grau und Farblos....
Vielleicht bin ich für solche Filme zu wenig Realist, vielleicht bin ich auch eine bessere Realität gewohnt. Vielleicht habe ich aber auch einfach nur mehr Hoffnung: Genauso wie der Dialog am Anfang des Films fordert: „Ein bisschen mehr Hoffnung ! – Worauf ? – Auf die Zukunft.“
3.14159 26535 89793 23846 26433 83279 50288
Blog - This is really not an exit
#17
Geschrieben 22. August 2003, 10:00
Plan 9 from outer space
(20.8.2003 - Video)
Night of the living dead, Zombie, Braindead – alles kalter Kaffee: Nachtwandelnde Tote, die nur eins wollen: ihren noch lebenden Artgenossen an die Wäsche, das gab es schon vorher. Um genau zu sein schon 1959. Mit „Plan 9 from outer space“ schuf Edward Wood Jr. ein Trash-Meisterwerk erster Güte und sicherte sich darüber hinaus den Titel “untalentiertester Regisseur ever”. Und tatsächlich: wo sich dem Durchschnitts-Rezipienten die Nackenhaare aufstellen, schwelgt der Trash-Fan erst so richtig in Nostalgie:
Eine hoch entwickelte Alien-Rasse plant die Erde zu zerstören. Dieses Ziel wollen sie erreichen, indem sie die Toten zum Leben erwecken, und als unbesiegbare Armee Richtung Washington marschieren lassen. Selbst die Tatsache, dass sie bisher erst 3 Zombies rekrutieren konnten, kann sie nicht von ihrem Plan abbringen – dem Plan 9 from outer space….
Oh ja, der Film ist schlecht, wirklich richtig schlecht: Die fliegenden Untertassen sind deutlich sichtbar an Schnüren aufgehängt, das Flugzeugcockpit definitiv Studiokulisse und auch das Alien-Raumschiff gleicht vom Interieur eher dem heimischen Wohnzimmer als einem unbekanntem Flugobjekt.
Laienhaftere Schauspieler habe ich vorher noch nirgends gesehen und Bela Lugosi liefert als „Ghoul Man" eine geradezu minimalistische schauspielerische Leistung ab. Doch dafür kann er ausnahmsweise gar nichts: Da er kurz nach Drehbeginn starb, wurde er kurzerhand durch die Frau des ausführenden Produzenten ersetzt, die von nun an Lugosis Auftritte übernimmt. Damit der Ersatz nicht zu offensichtlich ist, muss sie sich halt andauernd den schwarzen Umhang vors Gesicht halten, und wird zu einer Statistenrolle degradiert.
Den Titel „Schlechtester Film überhaupt“ trägt dieses Machwerk zurecht. Sowohl die Begriffe „Trash“ als auch „unfreiwillige Komik“ wurden wohl durch diesen Film neu definiert. Allerdings muss man ihm eins zugestehen: Mit Liebe gemacht – wenn schon nicht mit Können – und so schlecht, dass er schon fast wieder gut ist...
3.14159 26535 89793 23846 26433 83279 50288
Blog - This is really not an exit
#18
Geschrieben 24. August 2003, 14:38
Magnolia
(17.8.2003 - DVD)
„Es passiert. Das alles passiert wirklich. Das alles passiert wirklich.“ – So die erstaunten Worte des kleinen Jungen am Ende des Films. Und diese Worte hallen noch lange nach. Man fragt sich: Passiert so etwas wirklich, vielleicht sogar mir, vielleicht sogar gerade jetzt ....?
Magnolia – ein auf den ersten Blick typischer Episodenfilm, der doch einzigartig ist. Der Plot verweilt nie lange bei einer Geschichte, wechselt ständig hin und her. Das ganze Beziehungsgeflecht erscheint schwer zugänglich, es gibt keine geradlinige Story, stattdessen eher Momentaufnahmen ausgeschmückt mit interpretationsbedürftigen Metaphern. Die neun Einzelgeschichten, Einzelschicksale der unterschiedlichsten Menschen, fügen sich erst am Ende, wie ein großes Puzzle, zusammen. Erst am Ende erschließt sich die ganze Aussage, die schon seit den ersten Minuten unausgesprochen im Raums steht...
Die Geschichten drehen sich um ein Wunderkind, um einen alternden Kinderstar. Um einen im Sterben liegenden, alten Mann. Um dessen Pfleger, dessen unglückliche Ehefrau und um dessen verschollenen Sohn. Es geht um einen Toten im Wandschrank, um einen verliebten Polizisten und um einen Motivations-Trainer der besonderen Sorte. Und so unglaublich es klingen mag: Alle diese Geschichten, alle diese Schicksale hängen irgendwie zusammen.
Obwohl ich eigentlich ungern viel über einen Film verrate, habe ich diesmal keine andere Wahl. Will auch diesmal nicht nur in Andeutungen verharren. Diesmal soll der Eintrag eher Sammelbecken meiner derzeitigen Gedanken sein, als typisches „Review“. Da man über Magnolia im Speziellen am besten Nichts wissen sollte, bevor man ihn ansieht, an dieser Stelle eine dringliche Bitte an alle, die den Film noch nicht gesehen haben: Auf gar keinen Fall weiter lesen. Gebt euch mit der Aussage zufrieden, dass bei diesem Film wirklich (fast) alles stimmt: Die Story, die Umsetzung, die Schauspieler, der Soundtrack. Magnolia zähle ich zu den Filmen, die man gesehen haben muss. Also noch mal dick und fett:
** Heavy Spoilerwarnung ** alle die den Film noch nicht kennen, auf keinen Fall weiter lesen (und sagt nicht ich hätte euch nicht gewarnt ).....
Nachdem der Film zu Ende ist, dürfte sich wohl jeder die eine Frage stellen: Warum zum Teufel heißt dieser Film Magnolia ? Auch ich habe mir diese Frage gestellt und dachte verwundert: Weckt der Titel nicht sogar gänzlich falsche Assoziationen. Was man hier sieht hat auf den ersten Blick nämlich wenig mit dem Aufblühen einer Blume zu tun. Die ganze Stimmung des Films wird sogar zusehends trister und hoffnungsloser. Verzweifelte Menschen, alleine gelassen, suchen Geborgenheit. Und doch haben sie selbst in ihrer Hoffnungslosigkeit Angst voreinander. Angst vor dem Urteil des Gegenüber. Angst davor, was der Andere wohl denken mag. Erst langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass selbst diese Ungewissheit, dieses „Risiko“ besser ist, als das auf sich allein gestellt sein. Ganz langsam setzt sich diese Erkenntnis durch - bestätigt durch die musikalische Untermalung „one is the lonliest number“. Und alle Charaktere in diesem Film sind allein, oder alleingelassen. „Vereint“ sind sie nur dann, wenn sie die Fernsehsendung „What do kids know?“ schauen. Und wie sich am Ende herausstellen wird: Manchmal wissen Kinder mehr als die Erwachsenen – oder wagen zumindest es auszusprechen...
Auch die anderen Protagonisten (Sidenote: gibt es so etwas wie Protagonisten und Statisten in diesem Film überhaupt? Auch hier bietet sich ein Ansatzpunkt, den Titel als Synonym für die Struktur des Films anzusehen. Die einzelnen Blütenblätter, die für je ein einzelnes Schicksal stehen.....) haben zuallererst gegen sich selbst anzukämpfen, gegen Unsicherheit und Ängste. Der schwerkranke Showmaster muss mit seiner Vergangenheit aufräumen, mit sich selbst ins Reine kommen. Die fürsorgliche und liebende Ehefrau droht über ihren ursprünglichen Intentionen zu zerbrechen. Und auch die Fassade des vermeintlich selbstsicheren Machos beginnt zu bröckeln. – Gerade die, die die Vergangenheit so gnadenlos hinter sich lassen wollen, müssen erkennen „wir haben mit der Vergangenheit abgeschlossen, aber die Vergangenheit nicht mit uns“..
All diese Tragödien, diese Trostlosigkeit verdichtet sich langsam, ganz langsam. – Fast schleichend wird die Stimmung düsterer, aussichtsloser. Kulminiert schließlich – wieder einmal – im Soundtrack. Die Figuren, alleine, in der ganzen Stadt zerstreut, singen doch gemeinsam die Worte: „It’s not going to stop... so just give up!“ Ihnen allen erscheint das Aufgeben als letzte mögliche Lösung. Doch gerade an dieser Stelle des Tiefpunktes wartet der Film mit einer überraschenden Wendung auf. Der „Regen“ als biblische Plage, als erlösendes Moment, als Katharsis. (1)
Erst das Surreale macht den Menschen klar, wie real ihre Situation wirklich ist, dass nach jedem Tief auch wieder ein Hoch kommt, dass man sich auf das Abenteuer Leben einlassen muss, und dass „It’s not going to stop“ nicht unbedingt negativ gemeint sein muss.... Hier kommt also die ursprüngliche Assoziation, die der Titel „Magnolia“ auslöst doch noch zum Tragen.
Am Ende scheinen auch die Figuren klarer zu sehen. Wenn z.B. das „Wunderkind“ fleht: „Dad, du musst netter zu mir sein“ oder der Polizist gar die Kernaussage artikuliert: „Was können wir alles verzeihen? Das ist das schwierige im alltäglichen Leben.“ Doch auch ein Happy End bekommt man hier – entgegen dem was man sonst aus Hollywood gewöhnt ist – glücklicherweise nicht geboten. So ganz sicher, ob das Leben von nun an besser verläuft, kann man sich eben nie sein. - Wie die traurigen Worte von Quiz Kid Donnie Smith sein weiteres Schicksal offen lassen: „Ich habe wirklich viel Liebe zu geben. Ich weiß doch nur nicht wo hin damit.“ Das Leben verläuft nun nicht nach einem Drehbuch, nach einem Plan – und mag er auch noch so durchdacht sein. Es gibt Situationen und Ereignisse, die wir nicht beeinflussen können, die uns überraschend treffen, die aber trotzdem oftmals einfach als Chance ansehen werden sollten. Und so ist auch am Ende nur eins wirklich sicher, und das bleibt nüchterne Gewissheit: „Es passiert. Das alles passiert wirklich.“
(1) vgl http://www.ptanderson.com/featurefilms/mag...lia/secrets.htm : Exodus 8:2
3.14159 26535 89793 23846 26433 83279 50288
Blog - This is really not an exit
#19
Geschrieben 25. August 2003, 18:56
Ed Wood
(23.8.2003 - VHS)
Der Mann hat Preise en masse eingeheimst. Ed Wood bekam den Titel „schlechtester Regisseur aller Zeiten“ des „schlechtesten Films aller Zeiten“. „Ed Wood, der tragische Regisseur, der in den 50er Jahren auszog Hollywood zu erobern und dabei tatsächlich Filmgeschichte schrieb....“
Ich hatte Tim Burtons Hommage vor Jahren schon einmal gesehen - und wusste nur noch, dass mir der Film unheimlich Spaß gemacht hat. Jetzt, nachdem ich einen echten Ed Wood genießen durfte, gewinnt der Film gleich noch mal an Flair.
Schon die Titelsequenz lässt den Fan vor Entzücken unruhig im Sessel hin und her rutschen. Schon vor der ersten Szene wird dem Zuschauer in wenigen Bildern das Wesen der Woodschen Werke klar gemacht. Die Hauptelemente seiner Filme lassen sich recht schnell aufsummieren: Der obligatorische Friedhof, Riesenkraken und Ufos aus dem All – Der Stoff aus dem die Träume eines jeden Zelluloid-Junkies sind und Zutaten für meisterhaften Trash aus den Händen von Ed Wood. In seinen Filmen wanken grottenschlechte Schauspieler durch Kunstnebel und instabile Pappkulissen. Er schneidet hemmungslos Archivszenen zu komplett neuen Filmen um und lässt mit Begeisterung Pappteller-Ufos über Spielzeuglandschaften abfackeln. Dass der Dilettant hinter der Kamera – der seinem Vorbild Orson Welles nacheifert - überhaupt Finanziers für seine hanebüchenen Projekte findet hat er seiner Begeisterung, seiner Überzeugungskraft und vor allem dem alternden Dracula-Darsteller Bela Lugosi zu verdanken. Schon jenseits seines Zenits und in die Kategorie „Ich dachte der wäre längst tot“ fallend, hat er trotzdem immer noch genug Zugkraft, seinem Freund Wood das nötige Kleingeld zu verschaffen...
Johnny Depp spielt Ed Wood einfach fantastisch. Er scheint das Stehaufmännchen mit einer Vorliebe für Horror, Science-Fiction und Angora-Pullis zu leben. Neben der tollen Besetzung, lebt der Film von seinem Charme (oder von dem imitierten Charme des Originals), und der wahren, absurden und manchmal rührenden Story, die dahinter steckt. Und wenn wir schon bei der Authentizität sind: Die Schauspieler gleichen ihren Vorbildern aufs Haar. Lugosi scheint wirklich wieder erwacht, man erkennt den Wrestler, Vampira und den Sprecher aus „Plan 9 from outer space“.
Die nicht immer logischen B-Movies (Zitat: „Irritationselemente steigern die Spannung“), die man im Verlauf des künstlerischen Schaffens des Meisters zu Gesicht bekommt, machen Lust auf mehr. Auf „Glen or Glenda”, „Bride of the Monster“ und “Night of the Ghouls”…..
3.14159 26535 89793 23846 26433 83279 50288
Blog - This is really not an exit
#20
Geschrieben 27. August 2003, 20:34
Chinatown
(24.8.2003 - DVD)
Chinatown – ein Film von dem ich lange Zeit nur wenig wusste. Um genau zu sein kannte ich nur das obige, bereits zum cineastischen Gemeingut gewordene Still von Jake Gittes mit seiner verbundenen Nase. Außerdem assoziierte ich mit diesem Film immer den Begriff „Film Noir“, und das obwohl ich weder den Film kannte, noch den Begriff genau definieren konnte.....
Und wenn man sich die Definition eines „Film Noir“ anschaut, dann scheint Chinatown – nicht nur wegen seines späteren Datums eher ein Thriller in der Tradition des Film Noir zu sein. Oft wird ihm sogar nachgesagt er würde „das Genre transzendieren“.
So sagt die Definition von Film Noir: “Its style is typified by low key lighting, dark interiors, night exteriors (shot night-for-night), wet streets, a brooding mood, a hard-boiled and independent hero with an ambivalence towards or dislike of authority, cynical dialogue, villains who prefer greed and lust, a femme fatale (the sexually aggressive woman who lies), and implications of illicit sexuality.” (1)
Chinatown kann zwar mit einigen dieser charakteristischen Elemente aufwarten: Es gibt die „Femme fatale“ mit einem mysteriösen Geheimnis. Es gibt den Privatdetektiv, der auf der Suche nach Wahrheit in ein unvorhersehbaren Strudel aus Korruption und Lügen hineingezogen wird. Es gibt Gewalt, Perversion und Skrupellosigkeit. Doch weicht Chinatown auch in einigen Merkmalen deutlich von dem klassischen „Film Noir“ ab – und damit meine ich nicht nur den offensichtlichsten Fakt, dass der Film in Farbe gedreht wurde. Der Film spielt zum Beispiel in der brütenden, kalifornischen Sonne, demzufolge gibt es auch wenige Schatten, die durch verlassene, nebel-wabernde Gassen schleichen. Der Privatdetektiv Gittes ist nicht „Hard Boiled“. Evelyn Mulwray nicht die typische femme fatal, die einen Mann ruiniert – in diesem Fall kehrt Chinatown sogar das typische „Film Noir“-Element um. Wegen dieser Abweichungen wird Chinatown auch oft als „Neo Noir“ bezeichnet. Und trotzdem passt folgender Ausspruch recht gut: “You Know It’s Noir If the movie seems to be in black and white - even if it’s in color.”
Endlich Klarheit, was es mit Chinatown und dem Film Noir auf sich hat. Doch genug der Filmtheorie. Erst einmal kurz zum Inhalt: 1937 - Jake Gittes, einer der unzähligen Privatdetektive in Los Angeles, bekommt einen harmlos klingenden Auftrag von einer schönen Dame der Highsociety. Er soll ihren Mann Hollis Mulwray – Chef der städtischen Wasserwerke – beschatten und ihn der Untreue überführen. Doch wie so oft: Die vermeintlich einfachsten Aufträge entpuppen sich oft als undurchschaubares Verwirrspiel. Und so steckt auch diesmal wesentlich mehr dahinter. „Eines der größten Hindernisse, wenn nicht sogar das größte, ist die Lüge, mit welcher er, und mit ihm der Zuschauer, von Beginn an konfrontiert wird. Falsche Fährten werden gelegt, Lügen konsequent verbreitet.....“ Die immer absurder, verzwickter werdende Storyline fesselt ungemein, und lässt den Zuschauer – genauso wie Gittes – oft recht ratlos zurück. Oder wie Autor Robert Towne im „Making Of“ beschreibt: „Bei den Tongs und den verschiedenen Dialekten verliert man den Überblick. Man weiß nicht, ob man ein Verbrechen verhindert oder unbeabsichtigt ein Verbrechen unterstützt.“
Doch mehr als um die Story geht es um die Charaktere und um die Stimmung. Und der Film erzeugt eine unglaubliche Atmosphäre. Der Zuschauer, der immer nur genauso viel weiß wie Gittes wird hineingerissen in eine hypnotische, faszinierende Geschichte, in eine Welt voller Verstrickungen, Korruption und Verschwörungen. Auffällig die viel diskutierte „downbeat conclusion“, das Ende das Polanski schon damals gegen heftigen Widerstand durchsetzen musste, und nach Meinung des Regisseurs so heute überhaupt nicht mehr möglich wäre.
Soviel zu meiner ersten recht oberflächlichen Betrachtung. Definitiv nicht das letzte Mal, dass ich Chinatown geschaut habe, aber auf jeden Fall werde ich mir in naher Zukunft erst einmal einige klassische “Film Noir” anschauen. Und natürlich das Werk, das immer in einem Atemzug mit Chinatown genannt wird: L.A. Confidential.
(1) http://wings.buffalo.edu/courses/fa00/eng/.../film_noir.html
3.14159 26535 89793 23846 26433 83279 50288
Blog - This is really not an exit
#21
Geschrieben 13. September 2003, 14:44
Mirage – Die 27. Etage
(11.9.2003 - VHS)
New York, spät abends. Stromausfall – so die Situation, die die Ausgangsbasis für eine undurchsichtige Odyssee bildet. Was für die Büroangestellten des betroffenen Wolkenkratzers eigentlich bestenfalls einen frühen Feierabend, und schlimmstenfalls chaotische Orientierungslosigkeit bedeutet, hat für David Stillwell weitreichendere Konsequenzen. Er verliert nicht nur eine halbe Stunde seines Lebens, sondern gleich seine ganze Vergangenheit. Und um so intensiver wird er dadurch mit seiner Gegenwart konfrontiert.
Ein alleingelassener Mann auf Identitätssuche, eine Frau, die sich auf dessen Seite schlägt, mysteriöse Unbekannte. Nicht nur dieser Rahmen, und die Besetzung des Films erinnern stark an Hitchcock – oft habe ich mich dabei ertappt, den Cameo zu suchen.... Nein, sogar der gesamte Plot könnte vom Meister persönlich stammen. Gregory Peck in der Hauptrolle und das kurzzeitige aufflackern des Themas Psychoanalyse haben mich unweigerlich an „Spellbound“ denken lassen. Doch genug der Vergleiche, denn Mirage überzeugt auch als eigenständiges Werk.
Mirage, was auf deutsch so viel wie Illusion oder Trugbild heißt, gibt dann auch gleich den Ton an. Täuschungen, Orientierungslosigkeit von Anfang an. Gesichter, die im Dunkeln bleiben, Personen, die nicht das sind, was sie vorgeben und Tatsachen die anders scheinen als sie wirklich sind. Der Zuschauer fühlt mit dem „Mann ohne Vergangenheit“, wird bis zum Schluss im Dunkeln gelassen. Und je näher man der Wahrheit kommt, desto spannender wird es.
Wie gesagt, mehr als eine Imitation von Hitchcock, nicht zuletzt wegen der eingesetzten Stilmittel. Regisseur Edward Dmytryk setzt raffinierte Rückblenden ein, teilweise nur einzelne vorangegangene Sätze, die langsam Licht in das Dunkel bringen. Phantastische Einstellungen, die das Geschehen kommentieren, oder teilweise gar „ersetzen“. Darüber hinaus ist es einfach immer wieder eine Freude Walter Matthau zu sehen...
3.14159 26535 89793 23846 26433 83279 50288
Blog - This is really not an exit
#22
Geschrieben 16. September 2003, 13:34
Them !
(14.9.2003 – DVD)
Nichts als Sand. Staubige, trockene Luft. – Die Einöde der Wüste von New Mexiko. In dieser unwirklichen Welt gibt es nicht viel. Und trotzdem irrt ein kleines Mädchen durch diese gottverlassene Gegend. Im Arm ihre halbzerstörte Puppe, den glasigen Blick stur geradeaus gerichtet. Apathisch und ohne jegliche Gefühlsregung. Die Polizisten, die sie aufgabeln sind ratlos. Welches traumatisches Erlebnis hat den Schock ausgelöst ? Der nahe gelegene, verlassene Wohnwagen bringt ein wenig Licht ins Dunkel. Die Einrichtung ist zerstört, die Außenwand regelrecht zerborsten – Hier müssen Vandalen gehaust haben.....
Was aber hat es mit dem gestohlenen Zucker auf sich ? Was sind das für seltsame Fußspuren im Sand, was hat es mit den unheimlichen Geräuschen auf sich, und warum werden immer mehr Menschen brutal ermordet aufgefunden ? Haben eventuell sogar die durchgeführten Atombombenzündungen damit zu tun ?
Mit „Them“ schuf Gordon Douglas einen Klassiker des Horrorfilms, der darüber hinaus neben Jack Arnolds Tarantula zu den Prototypen des B-Movie Monsterfilms zu zählen ist. In den späten 50er Jahren erlebten nicht nur die Klassiker des Monster-Genres eine Fortsetzung. Die Hammer-Studios peppten das Erbe von Boris Karloff und Bela Lugosi auf. Frankenstein, Die Mumie und Wolfsmenschen bevölkerten wieder die Leinwände. Doch neben der Begeisterung für Dracula und Co erlebte auch die Science Fiction in den fünfziger Jahre ein "zweites goldenes Zeitalter". In Anbetracht der ständig akuten nuklearen Bedrohung und vor dem Hintergrund des kalten Krieges fand eine neue Generation von Monstern ihren Weg auf die Leinwand – außerirdische Ungeheuer und Invasoren als Sinnbilder des bösen kommunistischen Feindes.
Und man muss den Werken neidlos zugestehen: Selbst 50 Jahre später können Hulk und Starship Troopers einpacken. Die wahren atom-mutierten Monster sind Sie ! – Riesenspinnen, Killerkraken, oder eben Ameisen von 2 Meter Länge. Doch bis man sie zu Gesicht bekommt, muss man sich in „Them!“ eine ganze Weile gedulden. In bester Horrorfilm-Manier wird sorgsam Spannung aufgebaut, bekommt der Zuschauer nur kleine Hints, auf das, was ihn demnächst erwarten wird. Und plötzlich, obwohl man immer darauf wartet, sind sie da. Wie könnte es anders sein, begleitet durch hysterisches Frauengekreische haben die Biester ihren ersten Auftritt.
Dem heutigen, CGI-verwöhnten Zuschauer, dürften die klobigen Gestalten wohl kaum noch Gänsehaut bereiten – wohl eher ein breites Grinsen aufs Gesicht zaubern. Schön anzusehen sind die mechanischen Modell-Ameisen auf jeden Fall auch heute noch. Und selbst durch diese – aus gegenwärtiger Sicht - dilettantischen Monster verliert der Film nicht an Atmosphäre. Oscar-nominierte Spezialeffekte, Spannung bis zum Schluss und schaurige Soundeffekte, bei denen sich auch heute noch die Nackenhaare aufstellen.... Nur eins frage ich mich jetzt noch: Wo beziehungsweise wer war Mr. Spock ?
3.14159 26535 89793 23846 26433 83279 50288
Blog - This is really not an exit
#23
Geschrieben 26. September 2003, 08:17
(21.09.2003 - VHS)
Die Faulen werden geschlachtet,
die Welt wird fleißig.
Die Häßlichen werden geschlachtet,
die Welt wird schön.
Die Narren werden geschlachtet.
die Welt wird weise.
Die Kranken werden geschlachtet,
die Welt wird gesund.
Die Alten werden geschlachtet,
die Welt wird jung.
Die Traurigen werden geschlachtet,
die Welt wird lustig.
Die Feinde werden geschlachtet,
die Welt wird freundlich.
Die Bösen werden geschlachtet,
die Welt wird gut.
Die Maßnahmen
(Erich Fried)
„Vor 2 Jahren sah die Welt ungläubig, wie absichtlich zwei Flugzeuge in die New Yorker Zwillingstürme krachten. In wenigen Minuten zerbrach Amerikas Traum der Unverwundbarkeit in einen Haufen von deformierten und brennenden Trümmern. Eine unheimliche Dunkelheit ließ sich über der Stadt nieder. Als aus dem Chaos Menschen hervortraten, waren sie mit Staub bedeckt und sahen aus wie etwas aus der entfernten, wilden Vergangenheit.“(1) Schnell waren die Schuldigen ausgemacht, die „Achse des Bösen“ musste vernichtet werden, und noch heute „wird der Jahrestag von der herrschenden Klasse in den USA zynisch missbraucht, um ihre kriegerischen Absichten zu rechtfertigen.“(1) Mit wenigen prägnanten Worten bringt Erich Fried in vorangestelltem Gedicht die Fehleinschätzungen nach dem 11.09.2001 auf den Punkt. Er bringt hiermit die Illusion, das Böse lasse sich aus der Welt ausmerzen in drastischer Weise zum Ausdruck....
Weniger mit den Folgen, als vielmehr mit dem direkte Erleben des Unglücks setzt sich der Episodenfilm 11’9’’01 auseinander. Namhafte Regisseure aus aller Welt nehmen sich dem Thema an, bringen in "11 Minuten, 09 Sekunden, 01 Einstellung" ihre Sicht der Ereignisse zum Ausdruck, spiegeln damit das Erleben im eigenen Land wieder – geleitet von den Sorgen und Ängste der eigenen Bevölkerung. Und wie das Epigraph am Anfang des Films verkündet „11 Regisseure und Regisseurinnen aus verschiedenen Ländern und Kulturen. 11 Darstellungen der tragischen Ereignisse vom 11. September 2001 in New York. 11 Blickwinkel aus ganz persönlicher Sicht – Völlige Gestaltungsfreiheit“, so unterschiedlich sind die Filme – gemeinsam ist ihnen die kritische, ja stellenweise sogar offene anti-amerikanische Haltung. In einem Episodenfilm können nicht alle Filme fantastisch sein – und so gibt es auch hier gute und weniger gute Filme. Im folgenden möchte ich ein wenig näher auf die Filme eingehen, die mir besonders im Gedächtnis geblieben sind, die mich zum Nachdenken gebracht haben, die ich einfach toll fand.
Den Anfang macht ein Film von Samira Makhmalbaf aus dem Iran. Geschäftiges Treiben in der Einöde - den drohenden Atombomben aus Amerika will die Bevölkerung mit Lehm-Unterständen entgegentreten. Auch die Kinder sind eingespannt, müssen Ziegel formen und Wände aufschichten. Die afghanische Lehrerin muss ihre Schützlinge erst der mühsamen Arbeit entreißen. Sie will den Kindern die Ereignisse vom 11. September in New York nahe bringen. – Doch die Kleinen können sich gar nicht vorstellen was denn da so schlimmes passiert sein soll. Ist jemand in den Brunnen gefallen oder gar gestorben? Und wie kann ein Turm so hoch sein, dass Menschen darin wohnen oder arbeiten? Und auch mit der Schweigeminute will es nicht so recht hinhauen. Der Film zeigt mit einfachen Mitteln und mit einer einfachen Geschichte, die Relativität der „Schreckensnachrichten“ vom 11. September. „Gott ist nicht so verrückt und tötet Menschen. – Doch das tut er, damit er neue schaffen kann. – Warum behält er die alten nicht?“
Die Episode aus Frankreich von Claude Lelouch besticht primär durch ihre Ästhetik, die Machart. Man sieht die ersten Bilder: Ein Mann und eine Frau in einem Apartment in New York. Doch man hört nichts. Die Bilder müssen vorerst für sich alleine stehen, eine Geräuschkulisse oder gar musikalische Untermalung gibt es nicht. Und langsam beginnen wir zu verstehen warum: Die Hauptperson ist taubstumm. Genau wie sie muss sich der Zuschauer auf seine optische Wahrnehmung beschränken. Nur ab und an dringt dumpfes Gepolter, wie ganz weit entfernt, zu uns durch. Das Klavierspiel wird nicht als Musik wahrgenommen, sondern als ein Vibrieren, „als ein sanftes Streicheln“ Und selbst der Streit mit dem Lebensgefährten läuft, obwohl nicht emotionslos, so doch geräuschlos ab: „Ich finde diese Welt des Schweigens immer betäubender“ muss sich die Protagonistin anhören. Der Lebensgefährte verlässt wortlos die Wohnung – er wird einer Touristengruppe das World Trade Center zeigen. Der Zwist muss warten, das Streitgespräch wird verschoben – mit einer Vorahnung hängt die Frau an „falls du wiederkommst.“ Doch von dem privaten Unglück rast- und ruhelos zurückgelassen, beginnt sie einen Liebes- bzw. Abschiedsbrief zu schreiben, die Trennung scheint sich als unausweichliche Tatsache zu manifestieren. Während sie im Hintergrund an ihrem Computer sitzt, die schwierigen Worte zu Papier bringt: „Eine Trennung ist immer das Ende der Welt“, flackern im Vordergrund die Bilder über den Fernseher, die uns alle im Gedächtnis geblieben sind – verhallen ungesehen im Raum. „Ich werde dich also verlassen, es sei denn es geschieht ein Wunder.....“
Ebenfalls in die Kategorie „Kunstfilm“ fällt die Episode aus Amerika von Sean Penn. Die Botschaft sehr verschachtelt, versteckt unter Ästhetik und Metaphern.
Ein alter, einsamer Mann lebt alleine, ohne Gesellschaft in einem kleinen Apartment. Ins Freie zieht es ihn selten, er bleibt lieber in seiner kleinen, eigenen Welt. In einer Welt, in der er noch mit seiner Frau sprechen kann. Die Frau mit der er Jahre seines Lebens verbrachte, ist bereits gestorben. Doch loszulassen hat er immer noch nicht geschafft. Ihr kann er seine Sorgen, seine Freuden anvertrauen, seinen Tagesablauf. Und der ist nicht sehr abwechslungsreich. Rituale bestimmen sein Leben: Um 6 Uhr klingelt der Wecker, aufstehen, rasieren, der Frau das Kleid rauslegen, einkaufen. Auf dem Fenstersims seines Apartments steht – ebenfalls alleine – eine einzelne Blume: Verdorrt, vertrocknet, leblos. „Es ist zu dunkel. Hier ist zu wenig Licht“ konstatiert die alte Mann, und man weiß nicht genau an wen diese Worte gerichtet sind.
Die einstürzenden Twin Tower schließlich bringen das erhoffte Licht, das Lebenselixier – übrigens dargestellt in einer wunderschönen Montage. Auf dem Fernsehbildschirm sieht man die Türme einstürzen, während die Konsequenz dieses Ereignisses im Vordergrund zu sehen ist. Die Sonnenstrahlen können sich nun ungehindert ihren Weg in das Zimmer bahnen, huschen langsam über den Fußboden. Je tiefer das World Trade Center in sich zusammenfällt, desto mehr Platz bekommen sie, desto mehr Raum können sie durchfluten. Bis sie schließlich das Gesicht des alten Mannes blenden, und ihm die Augen öffnen. Er muss sich der traurigen Realität stellen. Doch auch hier die zwei Seiten der Medaille: Die leblose Pflanze blüht wieder auf. Das Erkennen, das Eingestehen der Tatsachen als Voraussetzung für den Wandel, als Beginn für ein neues Leben. Vielleicht auch für ein neues Leben des alten, einsamen Mannes. - „Es ist zu dunkel. Hier ist zu wenig Licht“
Am interessantesten, vielleicht am provokantesten, auf jeden Fall aber am politischsten die Episode aus England von Ken Loach. Sein Beitrag besteht zum Großteil aus dokumentarischem Filmmaterial, aus dem Off kommentiert. Ein chilenischer Emigrant sitzt zu Hause, schreibt einen Brief an die Angehörigen der Opfer vom 11. September:
„Wenn wir im Jahr 2003 außerhalb Chiles auf die Straße gehen und die Menschen nach dem 11. September befragen, dann denken neun von zehn an die Anschläge vor zwei Jahren in den USA.“ (Fransisco Villa, einer der bekanntesten Liedermacher Chiles) – Doch der 11. September – mittlerweile Synonym für den Anschlag auf das World Trade Center - ist nicht erst seit 2001 ein denkwürdiges Datum. „Am 11. September 1973 putschte eine rechte Clique chilenischer Militärs gegen den drei Jahre zuvor demokratisch gewählten Präsidenten des südamerikanischen Landes. Mit Salvador Allende Gossens starb an jenem Vormittag nicht nur der Präsident Chiles, sondern auch die Hoffnung auf seinen Dritten Weg zum Sozialismus.“ (2) Damals waren die Amerikaner – wie so oft – nicht Opfer, sondern Täter, bzw. Agitatoren. Die US-Regierung erst tauchte den Putsch, die „Demokratisierung“ in blutrotes Licht. In anbetracht dieser Tatsache wirkt es wie Hohn und Spott, wenn ein George W. Bush mit eisernen Worten verkündet und immer wieder predigt: „Die Freiheit an sich ist bedroht.“ Aber wer frei sein darf und wer nicht, „wer Terrorist ist und wer nicht, wer zur „Achse des Bösen“ gehört und wer nicht, entscheidet der Präsident des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten, wohlwissend, dass er nur der Geschäftsführer der einheimischen Bourgeoisie ist.“ (3)
Die Ankündigung Allendes „Wir haben gesiegt, um endgültig die imperialistische Ausbeutung zu beseitigen, die Monopole abzuschaffen, eine wirkliche und tiefgreifende Agrarreform durchzuführen, den Import und Export zu kontrollieren und, schließlich und endlich, um die Banken zu nationalisieren.“ war zuviel für Amerika..... „Zum ersten Mal in ihrem Leben besaßen die Menschen Würde. – Weshalb sollte man ein organisiertes Volk fürchten? Wir wussten nicht, wie gefährlich das war.“
An das Ende meiner Betrachtungen stelle ich die Episode von Alejandro Gonzalez Inarritu aus Mexiko – Einfach weil dieser Teil des Films am kontroversesten diskutiert wurde, und weil er mir nach näherer Betrachtung immer besser gefällt. Ich weiß noch, dass ich mich damals im Kino ganz besonders auf seine Interpretation der Ereignisse gefreut habe – wieder einmal ob der großen Erwartungen, die durch Amores perros gesetzt wurden.
Als ich dann die Episode sah, war ich ein wenig enttäuscht. Und es stimmt: Cinematographisch oder cineastisch (ui, aber ich versuche erst gar nicht diesen Begriff zu definieren) ist er nicht bemerkenswert. Das wird ihm zumindest vorgeworfen. Genauso wie man immer wieder Stimmen hört, die sagen, der Beitrag sei fürchterlich, man dachte die Filmrolle sei gerissen oder man habe während der Episode „abgeschaltet“ und nur gehofft, das es bald mit dem „richtigen“ Film weitergeht. Und zumindest eins kann man mit Sicherheit sagen: Gewöhnungsbedürftig ist der Film.
Inarritu verweigert sich vehement der Bilderflut, schwimmt nicht mit im Einheitsbrei der kollektiven Erinnerung. Er lässt den Zuschauer ganz alleine im dunkeln Kinosaal, alleine mit einer dunklen Leinwand. Nichts als Schwarz. Das Stimmengewirr im Hintergrund, die Soundkulisse schwillt langsam an, wird immer lauter, wuseliger, undurchschaubarer. Am Höhepunkt des akustischen Tohuwabohus flackert kurz ein einzelnes Bild auf. Nur für den Bruchteil einer Sekunde wird die schwarze Wand durchbrochen, wird der Rezipient geblendet vom grellen Licht der Realität. Das Bild welches uns aufschrecken lässt, ist das eines Menschen, der sich im Angesicht des Todes lieber aus dem Fenster stürzt, als in den Flammen umzukommen. Und obwohl man diese Bilder schon oft gesehen hat, erschrickt man wieder. Doch der Regisseur lässt einem keine Zeit, sich an irgendwelche Bilder zu klammern, sich festzuhalten. Die Leinwand wird genauso schnell, wie sie hell wurde, wieder tiefschwarz. Man selbst ist wieder alleine. Alleine mit der schwarzen Leinwand, alleine mit den Geräuschen, alleine mit seinen Gedanken. Erinnerung braucht keine Bilder – die bekannten Töne, Nachrichtenfetzen, die letzten Telefonate der Todgeweihten reichen, um die dazugehörigen Bilder ins Gedächtnis zu rufen. Leise Kritik an den Medien ? Bloßstellung der Medienmacht ? Wir sehen nur das, was wir sehen sollen, nur das was wir sehen wollen ? Kriege in Somalia, der Nahost-Konflikt, verhungernde Menschen – Alltag, nichts besonderes mehr, der Stoff aus dem die täglichen Nachrichten sind. Doch der 11. September 2001 sollte uns im Gedächtnis bleiben. Weil wir direkt betroffen waren, weil es nicht nur ein Anschlag auf Amerika war, sondern einer auf die „zivilisierte Welt“ ? Das wurde uns zumindest eingetrichtert. Oder einfach nur, weil die Medien es so wollten ? Ich muss zugeben, als am Anfang das erste Bild der in die Tiefe stürzenden Menschen aufflackerte, kamen auch mir kurz die damaligen Medienbilder ins Gedächtnis. Doch zurück im dunklen Nichts erinnerte ich mich daran, wie ich den Tag erlebte. Wie ich von dem Unglück erfuhr. Was ich tat und was ich dachte.... Später, wenn die Frequenz der eingeblendeten Bilder zunimmt, die Bilder stakkatohaft auf den Zuschauer einhämmern, verblasst langsam die individuelle Erinnerung. – Gewinnen wieder die Bilder der Medien die Oberhand, die Bilder, die bereits Gemeingut geworden sind. Die Bilder, die untrennbar mit dem Geschehen verknüpft sind.
Am Ende plötzliche Stille. Aus dem Schwarz wird ein grelles, helles weiß. Musik setzt ein – wie Balsam für unsere geschundenen Ohren. Und schließlich, genauso ruhig wie der Film angefangen hat, endet er. Lässt nur wenige Worte zurück auf der leeren Leinwand: „Does God’s light guide us or blind us?“ – Und hier will ich den Regisseur ausnahmsweise mal nicht das letzte Wort haben lassen. Auf einer zweiten Ebene könnte man nämlich ergänzen: „Does the media guide us or blind us?“
Diese Episoden sind mir also im Gedächtnis haften geblieben. Neben diesen herausragenden Teilen gibt es natürlich – wie in jedem Gemeinschaftswerk mehrerer Regisseure – auch hier nur durchschnittliche Folgen, die man mit dem Prädikat „ganz nett“ oder “unterhaltsam“ versehen kann. So zum Beispiel das Werk von Idrissa Ouedraogo aus Bukina Faso: Einige kleine Kinder sind überzeugt Osama Bin Laden hält sich in ihrem Dorf versteckt. Nun gilt es nur noch einen Plan auszuarbeiten, ihn zu schnappen und die enorme ausgesetzte Belohnung einzusacken. In ihren Träumen verplanen sie das Geld schon: Für die Gesundheit der Mutter, die Gesundheit vieler Mütter soll es reichen.... Naja, „Ausrutscher“ gibt es ebenfalls. So zum Beispiel die Episode von Youssef Chahine aus Ägypten. Und auch der japanische Beitrag ist mir zu „künstlerisch“. Er abstrahiert die Geschehnisse des 11. September total. Der Bezug wir minimiert auf eine Tatsache. Auf eine Aussage: „Ist es so schlimm ein Mensch zu sein?“ Der Protagonist beantwortet die Frage für sich mit Ja. Von dem Schrecken des Krieges traumatisiert klinkt er sich aus der Gemeinschaft der Menschen aus. Wird lieber Schlange. „Er muss furchtbare Dinge gesehen haben. Da wollte er lieber eine Schlange sein“
Doch ganz egal, ob die einzelnen Episoden nun fantastisch, durchschnittlich oder weniger gut sind. Das Gesamtkonzept, die Idee alleine ist bemerkenswert. 11 Minuten, 11 Sekunden und 11 Bilder – 11 Regisseuren aus unterschiedlichen Kulturen kommentieren und reflektieren aktuelles Zeitgeschehen. Das eigentliche Geschehen des 11. September tritt in den Hintergrund, wichtiger scheint individuelles Erleben, Kritik und Denkanstöße. Und diese sind oft kritisch und anti-amerikanisch. Kein Wunder, dass der Film in Amerika keinen Verleih gefunden hat, und nicht angelaufen ist, „with the pretext of avoiding Americans from experiencing another traumatizing shock wave.“ (4)
Und auch die Tatsache, dass dieser Film nach monatelangem Retuschieren der Ereignisse – man denke nur an Spider Man – die erste ernsthafte Annäherung an das brisante Thema war spricht für ihn.
11’09’’01 ist großes Kino, „ein Schlag ins Gesicht Hollywoods und ein Triumph der freien Kinematographie“ (5), oder um einfach die Süddeutsche Zeitung zu zitieren: „Mit 11’09’’01 findet das Weltkino zu unerwarteter Größe zurück. Das politische Kino – es lebt. Es produziert Bilder und Ideen von großer Kraft, es findet zu einer neuen Klarheit der Sprache, und es kann wieder etwas bedeuten.“ Am Schluss lasse ich noch einmal einen Regisseur zu Wort kommen und schließe mit den Worten aus Sean Penns Beitrag: „I wish you could have seen this.”
(1) http://www.derfunke....20September.htm
(2) http://heise.de/tp/d...co/15605/1.html
(3) http://www.kjoe.at/t...ter/inter34.htm
(4) http://www.plume-noi...ews/110901.html
(5) http://www.faz.net/s/Rub76B8D5378E0E4970B3...n~Scontent.html
3.14159 26535 89793 23846 26433 83279 50288
Blog - This is really not an exit
#24
Geschrieben 28. September 2003, 14:14
Amores Possíveis
(22.9.2003 – Cinema Quadrat)
Eigentlich nichts Neues: Die alte Was-wäre-wenn Geschichte. In diesem Fall fängt alles vor den Türen eines Kinos an. Ein regnerischer, trister Abend. Ausgesprochen schlechte Voraussetzungen für ein Date, doch Carlos wagt es trotzdem. Er verabredet sich mit Julia fürs Kino – aber die lässt ihn sprichwörtlich im Regen stehen.
15 Jahre später. Das Leben von Carlos ging weiter – auf unterschiedlichste Art und Weise. Wir lernen alle Leben kennen. Einmal erleben wir ihn als reichen Anwalt und glücklichen Ehemann, dann als Schwuler und schließlich als Playboy, der noch in Hotel Mama verweilt. – Und in alle seine Leben platzt plötzlich Julia, seine Jugendliebe.
Die Geschichten, die „möglichen Lieben“ werden nicht nacheinander, sondern vielmehr ineinander verwoben, parallel erzählt. Immer wieder springt die Story zwischen den einzelnen Handlungssträngen hin- und her. Wir erkennen am Anfang jeder Episode eine einzeln Einstellung wieder, die dem Lebensstil angepasst, leicht variiert. Carlos liegt im Bett. Die Kamera erhebt sich vom Teppich ans Fußende, fährt langsam höher. Und wir merken: Carlos liegt nicht alleine im Bett – Mal mit Ehefrau, mal mit Freund, und mal mit irgendeiner Bekannten für die Nacht.
Sandra Wernecks inszeniert ihr Werk locker flockig. Das ganze kommt so luftig-leicht daher wie ein Zitronenkuchen im Hochsommer. Vielleicht ein wenig zu leicht. Die Fragen von nahezu philosophischer Tragweite werden im Vorbeigehen angerissen, über allem schwebt der unübersehbare Charme einer Seifenoper. Mir persönlich fehlte ein wenig die Melancholie – ok, das kann ich dem Film nicht wirklich ankreiden - aber auch die stereotypen Charaktere hinterlassen einen bitteren Nachgeschmack. Der erfolgsverwöhnte Juppi in Designerklamotten und im Lifestylehaus, der Casanova draufgängerisch und der Schwule einfach nur schwul. Hier werden zu platt Klischees bedient. Obwohl das wohl dem Zweck dienen soll, die Figuren auseinander halten zu können, ihnen eine eigene Identität zu geben und die Geschichten voneinander abzugrenzen, kann ich mich nicht so recht damit anfreunden. Außerdem missfällt mir das allgegenwärtige Happy-End in allen Episoden. Trotz alldem muss man dem Film zugute halten, er schafft es trotz der leichten und lustigen Machart, elementare Fragen aufzuwerfen: Wie lange darf man auf die Liebe respektive auf eine Frau warten? Gibt es so etwas wie Seelenverwandtschaft? Ziehen sich eher gegensätzliche oder gleiche Partner an? Gibt es Liebe auf den ersten Blick? Ist „Listen to your heart“ wirklich die einzig richtige Maxime? Das Ärgernis der verpassten Gelegenheit, Liebe im Konjunktiv – prädestiniert für Schwärmereien und Träumereien. Doch wie sagt ein Charakter im Film so schön: „Ich hasse Träume. Sind sie schlecht, schwitzt man und wacht auf. Sind sie gut, war es nur ein Traum.“
Nach Genuss dieses Films denkt man nicht mehr lange über ihn nach – dazu überwiegt wohl der Seifenoper-Style und der Kitsch. Einige Fragen bleiben aber dennoch im Hinterkopf. Man verlässt das Kino und weiß, das eigenen Leben geht weiter. Auf die eine oder die andere Art und Weise. Und es ist nicht eine bloße Ansammlung von Zufällen, von nicht beeinflussbaren Tatsachen – zumindest nicht nur.
3.14159 26535 89793 23846 26433 83279 50288
Blog - This is really not an exit
#25
Geschrieben 04. Oktober 2003, 14:57
Akira Kurosawa's Dreams
(28.09.2003 – Cinema Quadrat)
Akira Kurosawa träumt, und lässt uns mitträumen. Sowohl seine süßen, schönen, als auch seine hässlichen Alpträume. In acht Episoden blickt er zurück auf seine Kindheit und entwirft das düstere, schaurige Bild einer ausgebeuteten, zerstörten Welt.
So sind die Episoden mal betörend schön, mal verstörend schön. Immer aber sind es Bilder von technischer Brillanz und Perfektion. Bilder, von denen man am liebsten jede einzelne Einstellung rahmen und als Gemälde an die Wand hängen würde. Ähnlich dachte wohl auch der Meister selbst: In der Episode „Crows“ steigt ein Tourist direkt in die Gemälde Van Goghs. Er durchwandert seine bekanntesten Werke, so zum Beispiel das typische Getreidefeld. Vorher aber verzaubert Kurosawa mit ganz realen Bildern. Vor allem die beiden ersten Episoden sind gekennzeichnet durch Farben, die Komposition, durch Mystik. Es scheint wie ein Spiel mit den Künsten, eine Liebeserklärung an japanische Legenden . So atemberaubend kann ein verschlossenes Tor wirken, so klaustrophobisch ein Wald, so befreiend eine Blumenwiese....
Doch die schönen Bilder dauern nicht lange an. Es folgen, obwohl nicht minder ästhetische, so doch ungleich düsterere, beängstigende Bilder. Was am Anfang nur leise durchgeklungen ist, wird im weiteren Verlauf des Films Gewissheit. Kurosawa spinnt seine Vision vom Untergang der Welt, von der Zerstörung durch den Menschen unaufhaltsam und ohne Gnade weiter. Bergsteiger müssen im Schneegestöber den Naturgewalten trotzen und dem Tod ins Auge sehen. Ein Armee-Kommandant wird mit seiner ehemaligen Kompanie und seinem Gewissen konfrontiert. Und schließlich werden wir Zeuge einer Atomkatastrophe, giftiger Staub legt sich über die Menschheit, Dämonen bevölkern die Erde. Nur ganz am Ende – man selbst schon schweißgebadet und entsetzt im Kinosessel erstarrt – unterbreitet Kurosawa eine Vision. Seine Vision einer besseren Welt.
So können wirklich nur Träume sein. Mal wunderschön, süß und wohlschmeckend, sodass man mit einem Lächeln auf den Lippen aufwacht. Mal so bitter und traurig, dass man wie aus einem Alptraum hochschreckt. Mal real, mal surreal, mal irreal. Kurosawa entfaltet einen „gewaltigen und poetischen Bilderrausch. Eine magische Bilderwelt, die vielfältige Aspekte des menschlichen Lebens in sich vereint.“ Noch kann die Menschheit träumen. Bleibt nur zu hoffen, dass wir rechtzeitig aufwachen....
3.14159 26535 89793 23846 26433 83279 50288
Blog - This is really not an exit
#26
Geschrieben 05. Oktober 2003, 15:11
Die 120 Tage von Sodom
(30.9.2003 – Karlstor Kino)
„Diese Woche ist der letzte Film von Pier Paolo Pasolini als Wiederaufführung in die deutschen Kinos gekommen, "Die 120 Tage von Sodom". Die Geschichte aus der "Republik von Salò", jenem von den Deutschen 1944/45 gesicherten Rest des faschistischen Italien, wo eine Gruppe sadistischer Großbürger junge Frauen und Männer zu Tode quält, war 1976 stark umstritten. Der Film wurde von Staatsanwälten mehrfach beschlagnahmt und war zeitweise ganz verboten.
Hat sich etwas an den "120 Tagen" geändert? Nein, es ist immer noch "der Film, den man gesehen haben muss, aber danach nie mehr sehen will", wie der Historiker Ulrich Gregor schrieb. Menschen werden in Bottiche voll Exkrementen gezwungen, sie werden gebrandmarkt, ihnen werden Körperteile abgeschnitten. Nichts hat sich geändert, aber es ertönt kein Aufschrei mehr. Denn wir haben uns geändert. Da ist der Abstumpfungseffekt, denn das Kino hat inzwischen noch abscheulicheren Kettensägenekel hervorgebracht. Da ist der Nischeneffekt, weil die Krassheiten in Video- und Internetecken verdrängt worden sind, wo sie eine Vogel-Strauß-Öffentlichkeit nicht mehr zur Kenntnis nehmen muss. Da ist der Gewöhnungseffekt, denn über Zensur redet man nicht mehr, weil sie alltäglich geworden ist: im Fernsehen, wenn geschnitten wird, um den Film 20.15-Uhr-tauglich zu machen; im Kino, wenn Harry Potter die Freigabe ab sechs erhalten muss; generell, wenn Regisseure so viele Versionen ihres Werks in Umlauf setzen, dass ein Ringen um das "Original" sinnlos ist. Im Fall "Sodom" drängt sich ein weiterer Grund für das Ausbleiben einer Diskussion auf: Die Debatte ist entschieden. Pasolinis Film war schon damals weniger Abrechnung mit der Geschichte als mit der Gegenwart, mit der Auflösung der Familie, gefühlslosem Sex und der Ausbeutung des eigenen Körpers. Seine "120 Tage" dachten zwei Theorien zusammen, die de Sade'sche von der sexuellen Verfügungsgewalt, die Körper zu Gegenständen und Menschen zu Objekten degradiert, sowie die Marx'sche, wonach der Kapitalismus alles in Waren verwandelt. Dagegen hat Pasolini mit den "120 Tagen" noch heftig polemisiert. Heute würde er die Plakate mit den Körpern von Stefan Effenberg und Claudia Strunz ansehen und wütend darüber sein, dass nun 365 Tage Sodom ist.“
Hanns-Georg Rodek – Die Welt
Quelle: http://www.welt.de/d...5/10/90200.html
Ausnahmsweise lasse ich hier mal jemand anderen zu Wort kommen, denn mir fehlen sie irgendwie – die Worte......
3.14159 26535 89793 23846 26433 83279 50288
Blog - This is really not an exit
#27
Geschrieben 06. Oktober 2003, 08:04
Meine Leben ohne mich
(01.10.2003 – Kino, Kamera HD)
Was fühlt man, wenn man weiß, man wird sterben ? Was denkt man ? Oder ganz profan: Was tut man ? Was würdest du tun ? Ann sieht sich urplötzlich mit dieser Frage konfrontiert. Zwar war auch ihr bisheriges Leben nicht unbedingt reiner Sonnenschein – mit 16 schon das erste Kind, Vater im Knast, nicht den besten Draht zur Mutter und wohnen, wenn man das so nennen kann, im Wohnmobil. Doch lebenswert war es allemal, das Leben. Und jetzt aus heiterem Himmel soll plötzlich nichts mehr so sein wie bisher. Nicht ein weiteres erhofftes und zugleich befürchtetes Kind hat zur morgendlichen Übelkeit geführt und den Ohnmachtsanfall verursacht. Es war der Tumor in den Eierstöcken. Der Arzt kann dir nicht in die Augen sehen, sagen dass du nicht mehr lang zu leben hast. Und du ? Kannst du dir den Tod eingestehen, kannst du deinen Mitmenschen in die Augen sehen, und sagen, dass du sterben wirst ?
Für Ann heißt es Abschied nehmen. Abschied nehmen von ihrem Ehemann, von Freuden, von der Familie, von ihren Kindern, von sich selbst. – Von ihrem Leben. Doch ihr Abschied ist ungewöhnlich - ihr stilles Vermächtnis, das sie im nächtlichen kalten Neonlicht eines Cafes niederschreibt lautet „Things to do before i die“.... Dinge, die noch zu erledigen sind. Und anders als man denken würde sind es kaum eigennützige Dinge, die die junge Frau noch erledigen will. Ihren Töchtern Kassetten mit Geburtstagsgrüssen aufnehmen, dem Mann eine neue Frau suchen, den Vater im Gefängnis besuchen. Immer sagen, was man denkt, Sex mit einem anderen Mann haben, jemanden in sich verliebt machen. Das alles plant sie still und heimlich für sich alleine. Sie will niemanden mit ihrem bevorstehenden Tod belasten und behält die schockierende Nachricht für sich. Will das Leben nach ihrem Tod best möglichst planen.....
Zwar wirkt der Film ab und an ein wenig zu konstruiert, und stellenweise auch fast zu überladen, wenn die Probleme aller Personen auf Anne und damit auch auf uns hereinbrechen. Doch bleibt der Film zum Glück fern von abgetretenen Kitsch-Pfaden, und spielt Sarah Polley einfach herzzerreißend ehrlich.
Der Film stimmt nachdenklich, traurig, melancholisch, und doch zugleich glücklich. Der Fokus liegt weniger auf dem bevorstehenden Tod, als vielmehr auf dem noch verbleibenden Leben und liefert so ein Stück Lebenshilfe für die noch Lebenden. Und ist die Aussage noch so einfach und klar, so vergisst man sie doch zu oft: Lebe ! – Hier und jetzt, sofort ! Ein schöner Film, oder um Schnitt zu zitieren: „...So ist aus "Mein Leben ohne mich" eines dieser kleinen, zutiefst rührenden Kunststücke geworden, die in den letzten Jahren in den Außenbezirken der nordamerikanischen Filmindustrie immer wieder aufblühen.“
3.14159 26535 89793 23846 26433 83279 50288
Blog - This is really not an exit
#28
Geschrieben 07. Oktober 2003, 08:07
Stiller Sturm
(4.10.2003 - VHS)
"Weißt du wie es ist einsam zu sein ? Ich meine wirklich einsam. Das ist wie gefangen zu sein. Eingesperrt im Dunkeln. Töne kommen gedämpft. Dein Körper wird immer schwerer, der Kopf immer leerer. Und irgendwann bist du nicht einmal mehr traurig... Aber ich will raus aus dieser Dunkelheit - Wieder ans Licht..."
Bis vorhin war ich noch gut gelaunt, zufrieden mit mir und meinem Leben. Bis vor 2 Stunden war die Welt noch in Ordnung. Bis ich "Stiller Sturm" gesehen habe. Denn darauf war ich nicht vorbereitet.....
Obiges Zitat beschreibt den Seelenzustand der Protagonistin ziemlich genau. Anne fühlt sich einfach nur unendlich alleine. Jedes Abenteuer, jede Suche nach Halt und Zweisamkeit desillusioniert nur noch mehr und macht die quälende Einsamkeit noch offensichtlicher. Auf der Suche nach ihrem "Prinzen" begegnet Anne ihren kaputten Mitbewohnen, und läuft skurrilen Menschen über den Weg. Als eine Nachbarin stirbt, wird Anne ihre triste Situation nur noch deutlicher. Die verstorbene, einsame, alte Frau erinnert zu sehr an die eigene Situation - der Fleck an der Decke wird zum unübersehbaren Mahnmahl. - "Ich will raus aus dieser Dunkelheit - Wieder ans Licht." Doch in der urbanen Großstadt-Dschungel ist kein Platz für Romantik, kein Platz für Liebe und Geborgenheit. Kleine Gesten, scheue Blicke, und trotzdem findet man nicht das, was man sucht. Weiß eigentlich selbst nicht genau, was man denn überhaupt sucht. Und so muss man weiter alleine durchs Leben gehen, während im innern der stille Sturm wütet....
Der Film lässt von Anfang an keinen Zweifel über sein Wesen aufkommen. Die pessimistische Grundstimmung gibt von vornherein den Ton an. Und man leidet schon von Anfang an mit, obwohl man noch gar nicht so genau weiß, warum eigentlich. Was der Film ebenfalls von Anfang an, bis zum Ende durchhält ist der kontinuierliche, penetrante Einsatz von Farbfiltern. Ich wähnte mich schon in einem Michael Bay-Film, und die verfremdete Optik ging mir auf die Nerven. Genauso wie der beklemmende Soundtrack. Beides untermalt die hoffnungslose Stimmung. Die Personen scheinen wie Fremdkörper, ihrer Umgebung entrückt. Trotz Emotionen von Seiten der Schauspieler schafft die Kamera eine kühle Distanz. Diese findet schließlich ihren Höhepunkt in einem Disko-Stroboskop-Gewitter. Immer noch entfremdet, fast schon leblos und mechanisch, am seelischen Tiefpunkt, finden sich zwei "Seelenverwandte". Anonym und wortlos, aber trotzdem Trost spendend - zumindest für kurze Zeit.....
Das Regiedebüt von Tomasz Thomson ist bitter, traurig und deprimierend. Schon sagte ich mir, oder versuchte ich mir einzureden, so schlimm, so hoffnungslos kann das Leben doch gar nicht sein. Auch jetzt bin ich mir noch nicht sicher, ob der Film nicht ein wenig zu schwarzmalerisch daherkommt. Doch gerade als man beginnt die Tristesse auf dem Bildschirm widerwillig zu akzeptieren, blitzt am Ende ein kleiner Hoffnungsschimmer durch. Alles andere wäre vielleicht zu viel gewesen, eine Zumutung für den Sonnenschein-verwöhnten Zuschauer. Mal wieder ein "netter" Film aus deutschen Landen -und ein ganz böser Downer noch dazu. Definitiv nichts für einsame, regnerische Herbstabende....
3.14159 26535 89793 23846 26433 83279 50288
Blog - This is really not an exit
#29
Geschrieben 09. Oktober 2003, 07:52
Drei Engel für Charlie
(5.10.2003 - TV)
Alle paar Monate gerate auch ich wieder in Versuchung mir einen reinrassigen Hollywood-Film anzuschauen. Und in genauso regelmäßigen Abständen werde ich enttäuscht. Hollywood dreht diesmal „3 Engel für Charlie“ – die Kultserie aus den 70ern – gnadenlos durch den Remake-Fleischwolf. Das ganze wirkt wie ein 90-minütiger Werbespot. – Ästhetischer Amoklauf, irgendwo zwischen Martini- und Langnese-Werbung. Und auch die Story lässt sich mit der Konsum-Ikonographie vergleichen. Hippe, flippige Popkultur, Fun-Generation oder einfach nur Product Placement at its best (ich sage nur Nokia) – Die Übergänge sind fließend.
Allerdings muss man dem Film eins lassen. Er fährt ein ordentliches Star-Aufgebot auf: Belushi, „Matt LeBlanc“, und nicht zuletzt natürlich Cameron Diaz, Drew Barrymore und Lucy Liu. Aber selbst wenn man sich einleitendes Zitat zu Herzen nimmt und frei nach FakeShemp testikelgesteuert an den Film ran geht kann er nicht wirklich überzeugen.
Vielleicht sollte ich einfach anfangen meine ab und an durchblitzenden Erwartungen an Hollywood zurückzunehmen. Denn letztendlich hat in diesem Film einzig und allein das bzw. die überzeugt, die mich erst dazu bewegt hat ihn zu schauen:
3.14159 26535 89793 23846 26433 83279 50288
Blog - This is really not an exit
#30
Geschrieben 11. Oktober 2003, 14:20
Koyaanisqatsi
(8.10.2003 – Cinema Quadrat)
„Wenn wir edle Dinge aus dem Boden ausgraben, werden wir das Unglück herbeiführen.
Wenn der Tag der Läuterung naht, werden Spinnweben hin und her gespannt werden im Himmel.
Ein Behälter voll Asche könnte eines Tages vom Himmel geworfen werden, und dieser würde das Land verbrennen und die Ozeane aufkochen“. (Prophezeiungen der Hopi-Indianer)
20 Jahre nach dem offiziellen Start bekomme ich unverhofft die Möglichkeit, den Film auf großer Leinwand genießen zu dürfen. Der Film, dessen Namen ich auch heute noch nicht aussprechen kann. – Koyaanisqatsi. Genauso schwer, wie einem der Titel über die Lippen kommt, ist es den Film selbst in Worte zu fassen. Einfach aus dem Grund, dass man hier – wie auch in Tokyo Noise – keinen klassischen Spielfilm vor sich hat. Das Werk von Godfrey Reggio lässt sich vielmehr als bildgewaltige Collage bezeichnen. Oder um einfach die Programmzeitschrift zu zitieren: „Als KOYAANISQATSI erstmals der Öffentlichkeit präsentiert wurde, sprach die Los Angeles Times von einem „bemerkenswerten Filmereignis“: 5.000 Menschen verfolgten damals atemlos in der Radio City Hall die Premiere eines avantgardistischen Films, der ganz ohne Dialoge auskam. Seine Sprache waren die Bilder und die minimalistische Musik von Philip Glass.“ Kein Dialog, keine Handlung, keine Protagonisten im eigentlichen Sinn: Koyaanisqatsi ist eine „Zumutung“, ein Ausbruch aus jeglichen Konventionen. Die Parallelen zu Tokyo Noise und vor allem zu Akira Kurosawas Dreams sind unverkennbar. Beim einen im Stil, beim anderen in der Aussage.
Der Film beginnt mit einem langsamen Zoom, weg von einer Felswand, die Höhlengemälde zeigt. In genauso ruhigen, langsamen Bilder folgt die Darstellung der Elemente Erde, Feuer, Wasser und Luft. Reggio führt uns mit einfachen Mitteln und quälender Langsamkeit die Schönheit der Natur vor Augen. Nur um dem – zugegebenermaßen äußerst plakativ – die Hässlichkeit der Technik und der Zivilisation entgegenzustellen. Ein riesiger Bagger stellt sich dem Zuschauer in den Weg und verschwindet schließlich in einer schwarzen, dunklen, dreckigen Rauchwolke.....
Danach jagen sich mit zunehmender Geschwindigkeit Bilder von Ölraffinerien, Kernkraftwerken, Großstädten, Autobahnen und Menschenmassen – Der „Clash of urban life and technology versus the natural world“. Vor 20 Jahren mögen solche Bilder eine erschreckende, apokalyptische Wirkung auf die Zuschauer gehabt haben. – Heute wirken sie leider weniger stark – Zu sehr haben wir diese Bilder schon verinnerlicht: aus den Nachrichten, aus Dokumentationen, aus der Werbung, oder einfach nur aus dem eigenen Erleben. (Was allerdings nicht minder erschreckend ist.) Der Mensch hat sich einen künstliche Lebensraum geschaffen, eine materialistische Scheinwelt, die die Natur zusehends verdrängt. Eine „Grand Illusion“. Am Ende steht wieder der Zoom – zurück auf die Felswand – nachdem kurz zuvor die Seifenblase zerplatzt ist, das Superlativ des Fortschritts in tausend Einzelteile zerborsten ist. Im Zeitraffer sausen Autos über nächtliche Straßen, „pulsieren“ in den urbanen Schluchten, ziehen einen magischen Lichtschweif hinter sich her. Menschenmassen wuseln, ameisengleich durch überfüllte Gänge, tummeln sich auf dem Börsenpaket und entfalten damit in ihrer Gesamtheit eine eigenwillige Schönheit...
Da Godfrey Reggio über sein Werk selbst folgendes gesagt hat „If meaning is the point, then propaganda and advertising is the form. So in the sense of art, the meaning of KOYAANISQATSI is whatever you wish to make of it.“ überlasse auch ich den Bildern das „Wort“, und lasse mich abschließend zu einem „beeindruckend“ hinreißen. - "It is the journey that is the objective." (Godfrey Reggio)
Mehr Bilder unter: http://www.koyaanisq...s/k_gallery.php
3.14159 26535 89793 23846 26433 83279 50288
Blog - This is really not an exit
Besucher die dieses Thema lesen: 6
Mitglieder: 0, Gäste: 6, unsichtbare Mitglieder: 0