I Spit on Your Grave (1978)
Ich bin wieder da, und diesmal ebenfalls mit einem Horrorfilm, obwohl von etwas anderer Art. Ich muss übrigens gestehen, dass ich noch vor kurzer Zeit - als ein absoluter Laie im Horrorbereich - geglaubt habe, dass ein Horrorfilm nur dann vorliegt, wenn darin etwas Übernatürliches vorkommt. Demnach wäre "I Spit on Your Grave" gar keiner gewesen, höchstens ein Thriller. Aber mittlerweile habe ich die Genrebestimmungen etwas weiter fassen können und bin bereit, das Übernatürliche durch das Unerklärliche oder Unfassbare zu ersetzen (denn allein die Tatsache, dass auf dem Bildschirm reichlich Blut fließt, reicht, meiner Meinung nach, für einen Horrorfilm noch nicht aus).
Aber ran an den Film! Ich glaube, jeder, der diesen Streifen heute sieht, hat schon ein gewisses Vorurteil, dass ihm etwas absolut Brutales und fast Unerträgliches serviert wird. Was kann ich dazu sagen? Diese Behauptungen sind angesichts der heutigen Entwicklungen im Kinogeschäft etwas übertrieben. Der Film stammt immerhin aus den 70-ern, und sie konnten damals wohl kaum brutaler sein, als wir es heute sind.
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Seltsamerweise wirkt der Film an manchen Stellen sogar recht prüde: Die letzte Scham- und Gewaltschwelle wird von der Kamera nicht überschritten. So muss der Zuschauer angesichts seiner Kinoerfahrung feststellen, dass es eigentlich noch viel brutaler und offenherziger zugehen könnte (sollte?) und erkennt sich paradoxerweise in der Rolle desjenigen wieder, der nach noch mehr Blut und Nacktheit verlangt, als der "böse" Film ihm bieten kann.
Ein anderes Vorurteil, mit dem man an den Film rangeht, ist seine mangelnde künstlerisch Qualität. Zum Beispiel in seinem Buch "Horror Films of the 1970s" will John Muir fast nicht glauben, dass ein solch unglaubwürdiger und psychologisch nicht nachvollziehbarer Streifen überhaupt gedreht wurde.
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Er beschwert sich auch über das "unbefriedigende, hässliche" Gefühl, dass der Film hinterlässt, statt dem Zuschauer pädagogisch aufbereiteten Stoff zum Nachdenken über das Thema Vergewaltigung zu geben. Das Fehlen der Katharsis wird auch von Stefan Höltgen in seinem Artikel über "Vergewaltigung und Vergeltung" in "Ästhetik & Kommunikation" erwähnt. Er allerdings interpretiert dies nicht als Mangel, sonder als Intention des Filmes, der den Zuschauer absichtlich mit der moralischen Aussichtslosigkeit der Rachesituation konfrontieren will. Seine Deutung scheint sehr plausibel zu sein: Die Racheaktionen verwandeln das einstige Opfer selbst in ein Monster (was der irre Blick am Ende des Filmes unmissverständlich verrät). Das ist also genau "das Unfassbare", das logisch-nicht-nachvollziehbare, was den Horror ausmacht und was Muir paradoxerweise gerade im Buch über Horrorfilme beklagt.
Interessant fand ich auch im Artikel von Höltgen, dass er auf die Funktion der Reduktion der Handlung und der filmischen (Neben)Effekte (zum Beispiel fehlender Soundtrack) hingewiesen hat. Der Vergleich mit der klassischen Tragödie mit ihrem Insistieren auf den berühmten drei Einheiten bietet sich natürlich an (wobei ich mich aber kaum des Gedanken erwehren kann, dass jeder Pornofilm ebenfalls in dieses Aristotelische Schema hineinpassen würde:)).
Wenn wir schon beim Tragischen in "I Spit on Your Grave" sind, das sich besonders angesichts der Einfachheit der Handlung und der begrenzten Anzahl der handelnden Personen gut entfalten kann, möchte ich noch einen Aspekt herausfiltern: Die Geschichte, die im Film erzählt wird, ist eigentlich nicht nur die Geschichte einer Rache, sondern die Geschichte einer "übertriebenen" Rache. Man mag die Landburschen, die die Vergewaltigung begangen haben, auch so sehr verabscheuen, am Ende muss man doch feststellen, dass die Rache viel härter ausgefallen ist, als die Tat selbst. Außerdem, so suggeriert der Film, wenn Jennifer vom Anfang an "netter" zu den Burschen gewesen wäre, hätte alles vielleicht auch "freiwillig" ablaufen können. Sie geben ihr theoretisch eine Chance, sie ihnen - keine. Tragisch ist hier allein schon die Konstellation: Frau, die Männer einerseits durch ihr Erscheinen, durch ihre bloße Präsenz provoziert, die andererseits aber der erweckten Begierde nicht entgegenkommen will (sie anfangs ja nicht mal richtig bemerkt und einschätzt!), wodurch die ganze Tragödie erst ihren Lauf nimmt. Die Frau scheint an sich schon so unergründlich und irrational zu sein, dass man offensichtlich keine Monster oder Untoten mehr braucht, wenn man sie zur Hauptfigur eines Horrorfilmes macht.
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