"I ask of film what most North Americans ask of psychedelic drugs."
#31
Geschrieben 09. Mai 2004, 09:48
Frankreich, 1926. Regie: Marcel Duchamp.
Der Titel ist ein Anagramm, und sagt erst einmal genauso wenig aus, wie der Inhalt des Films an sich. "Anemic Cinema" ist der erste und einzige Versuch des Dada-Künstlers Marcel Duchamp, hier unterstützt von dem ähnlich situierten Filmkünstler Man Ray, seine abstrakten Visionen auf Film zu bringen. "Anemic Cinema" ist dabei so unverständlich, dass nur Anhänger der Dadaisten-Bewegung ihn wirklich zu schätzen wissen werden.
"Anemic Cinema" zeigt uns die Bewegung von 10 Rotoreliefs, eigens von Duchamp designt und erfunden, und 9 Scheiben, auf denen unsinnige Sätze zu finden sind. Diese Wörter sind Wortspiele und weitere Anagramme, unzusammenhängend und ohne weitere Bewandtnis. Die Rororeliefs sind akonzentrisch drehende Kreise, die hypnotische Zustände hervorrufen könnten.
Die Spiralen, die hier erzeugt werden, führen in ihrer Bewegung zu einer klassischen optischen Täuschung des Auges. Duchamp ist somit einer der ersten, die sich mittels des Mediums Film über die Wirkung an sich, und der Auseinandersetzung des Zuschauers mit den naturwissenschaftlichen Gegebenheiten zu verständigen wissen. Auch dürfte "Anemic Cinema" ein frühes, wichtiges Werk in der Chronologie der Visuellen Effekte sein.
Ohne Inhalt, ohne "menschliche Story", ist "Anemic Cinema" Film in ziemlich künstlerisch-reiner Form. Trotz der Inhaltslosigkeit mit Aussage, Herausforderung und Aufgabe für den Zuschauer behaftet, und ein Pionierwerk für den Experimental-, Avantgarde- und Effektfilm.
8/10
"Cinema is everything to me. I live and breathe films... I even eat them" - Lucio Fulci
"I ask of film what most North Americans ask of psychedelic drugs." - Alejandro Jodorowsky
"When two or more people agree on an issue, I form on the other side." - Bill Hicks
#32
Geschrieben 09. Mai 2004, 11:26
Deutschland, 1924. Regie: Viking Eggeling.
In "Diagonalsymphonie" sind wir Zeuge, wie sich 3 Minuten lang ein Objekt, eine Art Blaupause für eine Maschine, aus dem Nichts zusammenführt. Linien wachsen in die Länge, Formen bilden sich, und letzten Endes entsteht ein Gebilde ohne erkennbare Funktion, nur um wieder zu verschwinden, und sich dann wieder seriell selber zu erschaffen. Dieser Zyklus läuft drei Minuten ab, jedes Mal wird der Weg, den die Linien und Formen ablaufen müssen, variiert, in Tempo und in der Art ihrer Fortbewegung. Mal sieht das Formen des Objekts maschinell, mal organisch aus, aber immer scheint eine gewisse Rhythmik hinter dem Vorgang zu stecken.
Der Regisseur des kleinen Objektspektakels ist Viking Eggeling, war ursprünglich Zeichner und Maler, wurde aber durch den Dadaismus und die mehrdimensionalen Möglichkeiten des Filmemachens zu eben diesem bewegt. Mit "Diagonalsymphonie" schuf er ein Werk, dass Musik durch Bilderrhythmik in dem Kopf des Zuschauers entstehen lassen soll. Die vollendeten, spielerischen Bilder in diesem frühen Meisterwerk des Experimentalfilms wirken wie optische Untermalung für eine fiktive Symphonie, die erst in der Imagination des Publikums komponiert wird.
"Diagonalsymphonie" ist ein Bild, durch die filmischen Möglichkeiten der fortlaufenden Zeit und der Bewegungen zur Perfektion gebracht. Ein abstraktes Werk mit wunderschöner, einflussreicher Absicht und hoher, künstlerischer Qualität.
9/10
"Cinema is everything to me. I live and breathe films... I even eat them" - Lucio Fulci
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#33
Geschrieben 09. Mai 2004, 13:36
Deutschland, 1923 (?). Regie: Hans Richter.
Hans Richters "Rhythmus 21" will der erste Experimentalfilm aller Zeiten sein. Dies ist längst von Kritikern und Filmhistorikern zu recht hinlänglich bezweifelt worden, aber dennoch kann man sich trotz Richters Betrug an diesem Werk aus Deutschlands Avantgarde-Bewegung erfreuen.
In "Rhythmus 21" zeigt uns Richter simple geometrische Formen wie beispielsweise einen Quader. Diese bewegen sich zu einer mechanischen Musik, werden kleiner, werfen andere Formen aus. Ohne malerischen Rahmen lässt Richter seine Quadrate über die gesamte Leinwand tanzen.
"Rhythmus 21" ist ein früher Film aus der Avantgarde-Bewegung. Gedanklich immer noch Nahe der Malerei, ist der Film eindeutig eine Weiterentwicklung zu Richters viel gröberen "Rhythmus 23", den er angeblich erst 2 Jahre später inszeniert haben will. "Rhythmus 21" ist weder der Erfinder der neuen, experimentellen Filmsprache, noch ist er der schönste. Ähnliche Filme, wie Eggelings "Diagonalsymphonie" oder Ruttmans "Opus I" sind in ihrer Optik und Geometrie viel komplexer, korrekter und schlichtweg hübscher.
6/10
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#34
Geschrieben 09. Mai 2004, 19:22
Originaltitel: Le Mépris. Frankreich/Italien, 1963. Regie: Jean-Luc Godard.
Die Geschichte, die Jean-Luc Godard in "Die Verachtung" erzählt, ist simpel und bekannt: Ein Filmproduzent ist unzufrieden mit der Arbeit seines Regisseurs, weil der das Drehbuch, eine Adaption von Homers Odysseus-Sage, zu artifiziell umsetzt. Er engagiert einen Krimischriftsteller, der das Skript abändern soll, und somit zwischen den Fronten steht: Soll er sich für das versprochene Geld dem Kommerz unterwerfen, oder ist seine Liebe für die Kunst, für den Film so groß, dass er dem Regisseur dies nicht antun möchte? Genauso wie er sich beruflich mit dem Gedanken des "Verkaufens", der Kommerzialisierung, abfindet, scheint auch sein Privatleben unter dieser Entscheidung zu leiden. Eine Ehekrise entsteht.
Es ist eine existenzielle Frage für jeden Künstler, für jeden Filmemacher in diesem speziellen Falle: Verschreibt man sein Leben der Kunst oder dem Geld? Das schöne, angenehme, dekadente Leben des reichen, Sonnenbrillen tragende Produzenten Prokosh (Jack Palance) lockt, gerade wo der junge Autor Paul Javal (Michel Piccoli) mit einem neuen Appartement liebäugelt. Andererseits träumt er auch gleichzeitig vom Schreiben für das anspruchsvolle Theater, nicht von Auftragsarbeiten für diktatorische Geldhaie in Person von unangenehmen Produzenten. Umso schlimmer, als dass der zu beschneidende Regisseur eine echte Legende ist: Fritz Lang (der sich hier selbst spielt), der eine viel ausgeglichenere, weisere, gesündere Person als der Hitzköpfige Playboy Prokosh zu sein scheint.
Die Entscheidung, die Javal trifft, nimmt Einfluss auf sein Leben: Seine bildhübsche Frau Camille (Brigitte Bardot) beginnt ihren Mann die titelgebende "Verachtung" entgegenzubringen. Die Rolle der Camille ist die Verkörperung der Kunst, die der Schriftsteller Javal ebenso liebt, wie seine Frau. Ebenso wie Javal seine Prinzipien für das Drehbuchengagement verkauft, scheint er auch seine Ehefrau an den plumpen Macho Prokosh zu verkaufen. Prokosh lädt die Javals auf sein Anwesen ein, möchte aber, dass Camille mit ihm in seinem Sportwagen fährt, während Paul ein Taxi nehmen muss. Paul gibt seine Frau frei, überlässt sie dem Lüstling - zwar nur für kurze Zeit, aber für Camille ist jene moralische Verfehlung ein Beweis dafür, dass nun der Kommerz, der schnöde Mammon Besitz über Paul hat. Für Geld würde er seine Liebe (egal, ob Kunst oder Camille) verkaufen. Am Abend wendet sich Camille von Paul ab. Die Ehefrau und die Kunst sind verletzt von ihren kompromierten Liebhaber. Camille will nicht mehr das Bett mit Paul teilen, möchte ihm aber nicht den Grund für ihre aufkeimende Verachtung und damit einhergehende schwindende Liebe nennen.
Die Doppelung Camille/Kunst wird noch vielschichtiger durch die Anspielungen auf die Geschichte aus Homers Sage. In einer Szene, in der die Javals der Filmcrew auf Capri gefolgt sind, diskutieren und interpretieren Lang und Paul das Innenleben der Figuren Odysseus und Penelope - und meinen natürlich Camille und Paul. Alles in "Die Verachtung" ist eine Anspielung, sei es auf andere Filme, auf Godards persönliche Misere, einen kommerziellen Bardot-Film zu planen, aber eigentlich einen Kunstfilm zu drehen, oder auf die Geschichte, die vom Film-im-Film, vom Filmemachen berichtet, selbst. Hierbei steht die allererste Szene von "Die Verachtung" exemplarisch für die ganze Funktionsweise des weiteren Verlaufs: Wir sehen in dem wunderschönen Cinemascope-Format in Ferne ein Kamera-Team, das einen tracking shot einer Frau filmt, die sich auf unsere Position hinzubewegt. Als die Frau nahe genug ist, treffen sich die beiden Kameras. Die, durch die wir hindurchsehen, und die, die eben noch die Frau abfilmte. Wir sehen direkt in die Kameralinse, schauen durch die "vierte Wand", und wissen, dass hier die inneren Dimensionen des Medium Films aufgebrochen worden sind. Im Laufe des Films verschmelzen beide Welten immer mehr einander. Die Realität hinter der Filmkamera, die wiederum hinter einer Filmkamera steht, die der Realität verbunden ist, wird eins mit den anderen Ebenen. Am Schluss schauen sich die gegensätzlichen Kameras nicht mehr an, sie deuten auf den gleichen Punkt irgendwo am weiten Horizont.
Aber, es geht auch um Kommunikation. Um das Unverständnis füreinander zwischen Camille und Paul, und für Camilles Verweigerung ihrem Ehemann konkrete Worte für ihre plötzliche Abneigung zu formulieren. In ihrer Ehe reden sie zwar viel, sagen aber verhältnismäßig wenig, denn empfangen tun sie die Emotionen hinter den Worten ihres Partners kaum mehr. Godard lässt auch dies in Form des Filmes darstellen, und bildet ein Ensemble, dass selber mit Sprachbarrieren zu kämpfen hat: Das Ehepaar Javal spricht französisch, der Produzent Prokosh englisch und der Regisseur Lang deutsch. Zwischen den Parteien sitzt die Dolmetscherin und Prokoshs Assistentin Francesca (Giorgia Moll), die eine faszinierend-passive Rolle in dem Film hat.
Diese zitatenreiche Handlungsebene wird durch die technische Brillanz Godards noch veredelt. So setzt er per Farbfilter eine in drei Phasen geteilte Bildsymbolik ein: Die erste Szene, ein fast voyeuristischer, intimer Blick auf die psychische und physische Liebe zwischen Camille und Paul, ist vollkommen in Rot getaucht. Als die Liebe abebbt, und sich die Verachtung in dem Herzen Camilles breitmacht, setzt Godard einen Weißfilter ein, und als die Ehe schließlich gescheitert ist, sehen wir auf Capri nur noch eiskaltes, kräftiges, abweisendes Blau. Nicht nur, dass die Bilder oft bedeutungsschwanger sind - man denke nur an das Zwiegespräch zwischen Camille und Paul, in dem Godard immer wieder während der Schwenks von dem einen Gesprächspartner zum anderen über einen an- und ausgehenden Lampenschirm fährt -, sie sind auch, besonders gegen Ende wunderschön. Die farbenprächtigen long shots auf Capri sind intensiv komponiert und zeigen eindeutig, dass Godard sein Medium wirklich, wirklich liebt. Die Geschichte, wie auch die Titel lässt er streckenweise per Off-Kommentar seiner beiden Hauptfiguren erzählen, die meist das famose Titelthema George Delerues auf ungewöhnliche Weise abschneiden.
"Die Verachtung" zeigt Godards Verachtung für Hollywood (symbolisiert in dem US-Produzenten), seine Verachtung für das Kommerzialisieren seiner Liebe, dem Film. "Die Verachtung" zeigt aber auch seine Liebe für die Kunst, Filme zu machen, Filme zu sehen. Durch seine Verfremdungstechniken im Bild- und Tonbereich lässt er uns nie daran zweifeln, dass wir einen Film sehen. Und er lässt uns nie daran zweifeln, dass wir einen selbstreflexiven Film über Film sehen. Godard liebt "Die Verachtung". Und "Die Verachtung" ist es Wert wegen all jener Gründe, geliebt zu werden!
9/10
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#35
Geschrieben 11. Mai 2004, 09:46
Kanada, 1952. Regie: Norman McLaren.
Mit "Neighbours" sollte Animationsgroßmeister Norman McLaren Ruhm und Ehre zuteil werden. Für diese Kriegsparabel nutzte McLaren seine selbst erfundene Pixilation-Technik, bei der er echte Akteure im Einzelbildverfahren aufnahm, und dann im Studio mühsam animierte. Die technische Seite seines Kurzfilmes ist wie immer perfekt. Der Großmeister der Animation hat wie immer ein surreales Setting und begeisternde Bewegungsabläufe kreiert, jedoch ist es schon ein wenig ironisch, dass gerade dieser Film, dessen simple Botschaft die Komplexität einer Sandburg besitzt, mit einem Academy-Award, einem Oscar, ausgezeichnet wurde.
In "Neighbours" stellt McLaren das Entstehen, den Verlauf und das Ende des Krieges in Reinform dar: Zwei spiegelgleiche Nachbarn leben ein friedliches Leben, bis eine einzige Blume direkt auf der Grundstücksgrenze, die die beiden Männer voneinander trennt, blüht. Zuerst werden Zäune hochgefahren, die das Anrecht auf Besitz dieser schönen Flora verdeutlichen sollen, später wird aus den Bemühungen die Eigentümerrechte so genau wie möglich zu definieren, ein handfester Streit. Schließlich kommt es zur physischen Auseinandersetzung, bei der die Nachbarn nicht nur ihre Familien und ihren Besitz zerstören, sie trampeln beim Kampf auch achtlos die Blume nieder. Zum Schluss sind beide Männer tot. Ja, beim Krieg gibt's keine Sieger, nur Verlierer, eine Weisheit, die nicht gerade revolutionär klingt.
McLaren hat bessere Filme gedreht, die ohne moralische Aussage daherkommen, sondern die sich mehr mit dem Medium an sich beschäftigen. Sicherlich ist "Neighbours" dennoch eine lustige, schön anzuschauende Kriegsparabel, die insbesondere durch die Perfektion der verwendeten Animationstechnik besticht.
7/10
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#36
Geschrieben 12. Mai 2004, 16:26
Großbritannien, 1973. Regie: Clive Barker.
Das Theaterstück von Oscar Wilde, das auf eine Begebenheit aus dem Neuen Testament der Bibel basiert, "Salome" wurde oft für die Bühne oder für die Leinwand adaptiert. Clive Barkers Interpretation des klassischen Stoffes ist eine der wohl ungewöhnlicheren Aufarbeitungen der Geschichte.
Warum? Weil Barkers Fassung von "Salome" nun gar nicht "geschichtlich" ist, sondern fast jegliches Erzählen über Bord wirft. Es gibt keine Dialoge, nur Sound und Musik. Die Inszenierung und der Schnitt helfen uns nicht sonderlich bei der Orientierung und bei dem Verständnis für das Gezeigte. Es sind die Bilder, die pure Kraft der Bilder, die hier den Ausschlag geben. Barkers Geschichten, egal ob sie man auf seine Bücher ("Das Buch des Blutes"), oder auf seine Filme ("Hellraiser") bezieht, waren nie aufgrund ihres Inhaltes einzigartig, sondern immer aufgrund seiner Technik, wie er sie erzählte. Im Roman war es seine blumige, elaborierte Ausdrucksweise, die die Profanität und Vulgarität des Blutes, des Todes und der Gedärme, und deren Konnektivität zu sexuellen Gelüsten, plötzlich literarisch etablierten; im Film seine extremen Splattereffekte, die kindliche Urängste heraufbeschworen, eingebettet in einem gewöhnlichen Mainstream-Umhang.
Hier, bei seinem filmischen Debüt aus dem Jahre 1973, erst zig Jahre später für die Öffentlichkeit entdeckt, geht er den Weg der bildhaften Codierung, und bezieht sich dabei eindeutig auf das Underground-Kino aus den Sechzigern, am deutlichsten auf die Filme von Kenneth Anger. Zwar findet der Zuschauer noch Versatzstücke aus der "Salome"-Geschichte, jedoch werden sie eher beiläufig wahrgenommen. Denn was bei "Salome" zählt, ist das unglaublich düstere, ursprüngliche Feeling, das Barker hier technisch überraschend versiert hervorruft. Dieser 18-minütige Kurzfilm wurde auf 8mm-Material gedreht; die Kulissen wurden in den Hinterräumen und Kellern eines Blumenladens gedreht. Und obwohl Barker erst 18 Jahre alt war, und er die filmischen Gegebenheiten eines Homevideos vor sich hatte, schafft er es den Film anders aussehen zu lassen. Er setzt das Licht durchweg perfekt, schafft erschreckend gute Kontraste und filmt Close-ups von seinen Figuren, die zwar eindeutig von Anger geklaut sind, ihre Wirkung aber keinesfalls verfehlen.
Barkers "Salome" ist sein allererster Film. Man merkt diesem Experimentalfilm zu jedem Zeitpunkt seiner kurzen Laufzeit an, dass Barker von Theaterexperimenten und Undergroundfilmen beeinflusst war, und dass er sich weniger für die zu erzählende Geschichte, als für seinen eigenen, individuellen, enigmatischen Style interessierte. Damit ist "Salome" vielleicht auch der Film Barkers, der am ehrlichsten und unverfälschten mit seiner eigenen Vision umgeht. Denn seine späteren Filmversuche, seien sie auch noch so groß-budgetiert und gut angesehen, haben allesamt nie die unterirdische, leidenschaftliche Kraft von "Salome" erreicht.
9/10
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#37
Geschrieben 16. Mai 2004, 17:14
USA, 2004. Regie: Zack Snyder
Eine passende Umschreibung für Zack Snyders Neuverfilmung des klassischen Splatterfilmstoffes "Dawn of the Dead" zu finden ist leicht, und man findet sie in der Popkultur unserer Zeit. R.E.M.s 1988'er Hit "It's the End of the World as we know it (and I feel fine)".
"It's the end of the world..."
Ja, es ist das Ende der Welt. Warum, weswegen, wann. Das interessiert hier niemanden mehr. Aber innerhalb der ersten Filmminuten macht nur ein kleiner Kameraschwenk deutlich, welch apokalyptische Ereignisse sich hier gerade auftun. Sarah Polley steht vor den Trümmern ihrer Vorstadtsiedlung. Vor wenigen Stunden ist sie noch die Straße von einem stressigen Arbeitstag nach Hause gefahren, nun ist genau dieser Strich in der Landschaft Zeuge von Blut, Chaos, Gewalt, Explosionen, Geschrei, Panik. Und ehe sie sich versieht ist sie in einer kleinen Gruppe Überlebenskämpfer verankert, die sich gegen die Invasion von menschenfressenden Untoten wehrt, und sich in einem Einkaufshaus verbarrikadiert. Die Gruppe ist wild zusammengewürfelt. Ein schwarzer Officer, ein Ex-Gangster mit schwangerer Freundin, ein Hilbillie, ein paar machtgeile Sicherheitsmänner, ein sarkastischer Yuppie und ein paar Normalos. Nicht alle haben das Ziel des Überlebens so eindeutig vor sich, wie Ana (Polley), und nicht alle werden dieses Ziel auch erreichen. Doch bis es dazu kommt, bietet "Dawn of the Dead" jede Menge Action, Zombies und Spannung.
"... as we know it..."
Ja, die Geschichte hatten wir schon mal. In der Filmhistorie fest als das Splatterereignis schlechthin verankert, schuf George A. Romero 1978 mit seinem Klassiker "Dawn of the Dead" einen einfach lesbaren Kommentar auf den Konsumismus und Kapitalismus kurz bevor die Reagan-Ära in Amerika heranbrach, in dem Gewand eines hyperbrutalen Zombiefilmes. Dank der wenig subtilen politischen Botschaft des Filmes fand er sowohl bei renommierten Filmkritikern, als auch bei den Horrorfans, die begeistert von den coolen Charakteren, der Action und der Gewalt waren, Anklang. Mittlerweile haben wir 2004 und die Zeiten haben sich geändert. Der Regisseur hinter dem Zombiefilm ist nunmehr kein politisch Interessierter, sondern ein Videoclip-Regisseur, dessen Engagement für "Dawn of the Dead" mehr oder weniger eine Auftragsarbeit war.
Die Story ist grob die gleiche, doch ist die zynische Aussage über Gier und Habsucht des Menschen nicht nur in den Hintergrund gerückt, sie ist gänzlich verschwunden. Die wenigen Spannungen innerhalb der Zombie-Survivor-Crew sind auf bekannte Klischees zurückzuführen: Der Yuppie stellt seine Yacht als Rettungschance in Aussicht, weigert sich aber bei den Vorbereitungen mitzuhelfen; die Sicherheitsmänner handeln egoistisch und drohen mit Waffengewalt, wenn man sich nicht ihren kontrollierenden Regeln unterwirft. Mit der politischen Stellung, die Romeros "Dawn of the Dead" vertrat hat dies alles überhaupt nichts zu tun. Auch wenn eine Reflektion auf den Konsumismus in den heutigen Tagen sicherlich weniger aktuell wäre, vermisst man schon irgendeine Ambition Snyders, mehr als nur einen Horroractioner zu drehen. Doch genau das hat er getan, und das führt uns wiederum zu:
"... (and I feel fine)"
Auch wenn der Morgengrauen der Toten im Jahre 2004 weniger hintergründig von Statten geht, als Horrorspielfilm funktioniert erstaunlich gut. Das Tempo stimmt, die Schauspieler sind okay, die Action ist da, und sie ist überraschend graphisch. Zack Snyders Optik ist wild, edel, sehr stilisiert und mag den Zuschauer von Anbeginn des Films fesseln. Mag man ihm ob Ansicht seiner bisherigen Musikvideos kaum Talent zusprechen, dürfte "Dawn of the Dead" jene Abneigung revidieren. Der Film lebt von seiner pulsierenden, optischen Kraft.
"Dawn of the Dead" ist Horror für das neue Jahrtausend. Schnell, teuer, aber nicht mainstreamig und schon gar nicht durch Kompromisse in seiner Wirkung beeinträchtigt. Man wird bestens unterhalten, und der schale Nachgeschmack eines "Michael Bay's Texas Chainsaw Massacre" bleibt auch aus. Snyders "Dawn of the Dead" dürfte die erste große Überraschung dieses Kinojahres sein, denn der Film kann den Befürchtungen, dem Original zu wenig Tribut zu zollen, und zu sehr dem Geld und dem Kommerz (also jenen Antrieben, die der '78er Film noch thematisierte) verfallen zu sein, standhalten. Und deswegen stimme ich das Lied noch einmal überrascht an: "It's the end of the world as we know it (and I feel fine)".
8/10
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#38
Geschrieben 20. Mai 2004, 10:31
POSSESSION
Frankreich/Deutschland, 1981. Regie: Andrzej Zulawski.
Da ich vorhabe, erst später einen allumfassenden langen Text zu dem Film zu schreiben, mach ich's kurz: Einfach grandios. Lynch meets Kubrick meets Argento meets Bergman meets Barker. Allein dieses Over-the-Top-Ende, wo einfach gar nichts mehr zusammenzupassen scheint, die Doppelung Adjanis in der Doppelung Neills noch übertroffen wird, und dann noch dieser schrill gekleidete Geheimagent dazukommt, ist perfekt. Die Symbolik ist nicht gerade die komplizierteste, aber wirksam: Die Berliner Mauer in einem Film über die Zweigeteiltheit seiner Protagonisten.
Einfach grandios! 9/10
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#39
Geschrieben 25. Juni 2004, 16:09
USA, 2002. Regie: Rick Rosenthal.
"Das Böse stirbt nie", verspricht uns eine Tagline des Films "Halloween: Resurrection". Mag stimmen, solange es nach der Schnauze der Produzenten geht, die ihre gewinnbringende Kuh, das "Halloween"-Franchise melken, bis auch der letzte gelangweilte Teenie sich von der Filmreihe abwendet. Und so lassen die Rechteinhaber von Michael Myers eben diesen ein achtes Mal für Cash an der Kinokasse aufstehen. Dass bei solchen ökonomischen Überlegungen der Anspruch an Qualität meist auf der Strecke bleibt, dürfte jedem klar sein, und so halten wir unsere Erwartungen entsprechend niedrig.
Zu Anfang springt Jamie Lee Curtis, die in den "Halloween"-Teilen 1, 2 und 7 tapfer die Schwester vom Massenmörder Myers gegeben hat, übers Messer. Und mit ihr verschwindet eigentlich jegliche Motivation Myers', weiter zu morden. Denn eigentlich war der Killer ja ein Täter innerhalb der Familie. Doch als sich Myers in sein altes Geburtshaus zurückziehen will, muss er feststellen, dass man dort eine Reality-TV-Dokusoap beginnt - an Halloween freilich. Sechs Mittzwanziger sollen die gefährliche Nacht in dem Haus des Serienkillers verbringen, und werden dabei von Webcams beobachtet, die die Bilder live ins Internet senden. TV-Moderator Freddie Harris (Rapper Bustah Rhymes) sieht in diesem Voyeur-Format die ganz große Chance, richtig viel Kohle einzuheimsen. Wie das im Übrigen vorgehen soll (die Sendung wird kostenlos im Internet übertragen, das Equipment muss vorher bezahlt worden sein...) bleibt wohl jedem Einzelnen verschlossen.
Die sechs Teilnehmer an dem Internetprojekt sind doof, talentfrei und jung. Genau jene uninteressanten Schauspieler in genau jenen Klischeerollen, deren filmisches Ableben weniger stört als unterhält. Die Figuren sind unerträglich, die Dialoge eine Tortur, sogar sichtlich für die Darsteller, die diese verbrecherischen Sätze aufsagen müssen. Und so verschwendet der Film kaum Zeit, bis der Löwenanteil des Opferinventars entsprechend perforiert in der Ecke liegt, und der Showdown beginnen kann: Myers gegen die schüchterne Heldin, die eigentlich gar nicht bei der Sendung mitwirken wollte, und nun über sich selbst herauswächst.
In den wenigen, gelungenen Szenen schafft es Regisseur Rosenthal sogar, Spannung aus dem verblödeten Plot herauszukitzeln. Als unsere Heldin Sara (Bianca Kajlich) allein in dem abgeschotteten Haus vor Myers fliehen muss, bekommt sie (technisch zwar unmögliche) Hilfe über eine Art "Instant Messenger" in ihrem PDA: Ihre Internetbeziehung "Deckard", ein pickeliger Schüler, der auf einer Halloweenparty das blutige Geschehen im Internet verfolgt, schickt ihr wichtige Informationen auf ihren Taschencomputer. Und auch die anfängliche Konfrontation zwischen Serienveteran Curtis und Myers hat durchaus seine Momente.
Doch insgesamt entpuppt sich "Halloween: Resurrection" als ideenloser Nachfolger in einer Endlosreihe. Die wenigen guten Szenen entschädigen nicht für die Kometen-großen Logiklöcher, und auch nicht für das immer wieder abflachende Tempo - ein Zustand, der wohl den immensen Nachdrehs zuzuschreiben ist. Auch die miserable, schauspielerische Leistung des Hiphop-Stars Bustah Rhymes mag von den wenigen Suspense-Szenen nicht entwertet werden. Wer selbst Rhymes und die Dialoge ertragen kann, der wird spätestens durch die (technisch zwar akkurat) schlechte Qualität der Webcam-Szenen abgeschreckt. Mit dem Montieren von schlecht getricksten Headset-Kamera-Shots und normalen Kamerasequenzen verliert der Zuschauer jegliche Orientierung, sogar jegliche Lust am Hinschauen.
Und so ist "Halloween" ein unnötiger, gar ärgerlicher Eintrag in einer Horror-Endlosreihe. Und da das Ende schön offen bleibt, das Böse ja nun nie stirbt, und die Taschen der Produzenten bestimmt noch nicht gefüllt sind, müssen wir uns auf einen neunten Teil bereitmachen. Bis dahin muss dieser verkorkste, achte Teil sicherlich nicht zur Zeitüberbrückung herhalten.
4/10
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#40
Geschrieben 25. Juni 2004, 16:54
Originaltitel: Troy. USA, 2004. Regie: Wolfgang Petersen.
Die Fakten:
"Troja" hat 185.000.000 Dollar gekostet. Bezahlt wurden damit nicht nur Spezialeffekte, sondern auch Darsteller wie Brad Pitt, Orlando Bloom, Eric Bana, Brian Cox, Julian Glover, Sean Bean, Julie Christie, Peter O'Toole und Saffron Burrows. Inszeniert wurde das Ganze von dem Deutschen Wolgang Petersen, der unter anderem für sein Mammutwerk "Das Boot" berühmt wurde. "Troja" basiert auf der berühmten Sage von Homer.
Die Minuspunkte:
Man sieht kaum einen Dollar auf der Leinwand. Es ist schlicht unfassbar, wie flach, eintönig und billig einige der Szenen wirken. Wirklich imposant wirkt das im Film durch die Dialoge oft vergötterte Troja nie. Entweder sieht man nur die Einöde der Schutzmauer oder unglaublich leer gestaltete Interieurs. Die wenigen Bilder, in denen der epische Prunk jener Zeit zu sehen ist, sind in ihrer Breite und Brillanz auf Computertricks zurückzuführen. Man denke da nur an die schöne Einstellung, in der wir die majestätische Flotte der Griechen sehen.
Die Geschichte, die hier erzählt wird, hat kaum noch etwas mit der ursprünglichen Sage Homers zu tun. War die Schlacht um Troja in Homers Original ein Krieg, der ein ganzes Jahrzehnt anhielt, so verkürzt Herr Petersen sein Filmversion auf zirka vier Wochen, unterschlägt das Überleben von elementaren Figuren, wie etwa Agamemnon, und romantisiert das Schicksal der Helena, indem er sie in die Arme des Zuschauersympathisanten Orlando Bloom schickt (obwohl der den ganzen Film hindurch übelste Tuntengewänder trägt), anstatt sie wieder mit ihrem Ehemann glücklich werden zu lassen. Ok, ist dramaturgisch sicherlich irgendwo gerechtfertigt, aber warum heißt der Film dann "Troja".
Wo ist der Spannungsbogen? Der Film nimmt den Zuschauer an keinem einzigen Punkt der Erzählung wirklich mit und führt ihn durch die Handlung. Petersen distanziert sich konstant von den Figuren, sucht nicht einmal filmische Nähe zu ihnen oder ihren Motivationen. Der Kinogänger hängt irgendwo zischen Trojanern, Griechen und der Achilles-Spezialeinheit, und weiß gar nicht so recht, wem er nun die Daumen drücken darf, und wem nicht.
Doch. Das wäre alles nicht so schlimm, wenn da nicht folgendes wäre:
Sie heißt Diane Kruger. Nein, eigentlich heißt sie Diane Heidkrüger. Kommt aus Hildesheim, und hat diesem, eher durchschnittlichem Film den finalen Todesstoß versetzt. Vielleicht sinnbildlich den Schnitt durch die Achillesverse, um beim Thema zu bleiben. Frau Kruger ist ganz nett anzuschauen, okay. Eine "Helena", die Summe aller Schönheitsideale der damaligen Zeit, ist Frau Kruger sicherlich nicht. Eher ein weiteres, austauschbares Blondchen einer seelenlosen Videoclipgeneration. Das Drehbuch greift der uncharismatischen, ausdruckslosen Dame auch nicht unter die Arme. Im Verlaufe wird die Figur der Helena immer weniger relevant, und dass obwohl ihr Residieren in Troja Dreh- und Angelpunkt des Konflikts ist.
Damit nicht genug. Irgendjemand wird seinen Stuhl in der Geschäftsetage von Warner Bros. nehmen müssen. Derjenige, der zugestimmt hat, Frau Kruger dürfe sich selbst synchronisieren. Bei dieser ekelhaft modulierten Singsangstimme klappen sich alle Zehennägel hoch. In jeder Szene, in der Frau Kruger die Stirn hat, ihre Stimme zu erheben, wünscht man sich, Orlando Bloom würde sich einen Fetzen aus seinen wenig männlichen Gewändern herausreißen, und sie damit füttern. Es gibt definitiv keine schlechtere Stimme einer Hauptdarstellerin in einem Kinofilm unserer Dekade.
Fazit: Durchschnittlicher Film, unsägliche Schauspielerin, insgesamt eine Tortur für Sitzfleisch und Ohren.
2/10
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#41
Geschrieben 08. Juli 2004, 13:57
USA, 2004. Regie: Sam Raimi.
Ach ja, schön. Eigentlich war "2" genauso wie "1". Atmosphäre, Look, Balance zwischen Action- und Dramaanteil... Der zweite Teil hat mir auch hier wieder unglaublich Freude bereitet, obwohl ich die Szenen, in denen Peter Parker mit seinem Leben und seiner Liebe hadert, deutlich besser fand, als den total schwachen Bösewicht-Part. Der wird zwar cool von Alfred Molina dargestellt, verkommt aber zu einer bloßen Neuauflage vom "Grünen Goblin" (Mentor Peters/Wissenschaftler/verunglücktes Experiment/Danach schizophrener Gutmensch zum Verbrecher durch Nachwirkungen gezwungen). Das Ende besitzt einen schwachen Twist (bezüglich Harry Osborne), und ansonsten sind viele Parts des Films zu sehr der ökonomischen Fortsetzungslogik unterworfen. Dennoch:
8/10
"Cinema is everything to me. I live and breathe films... I even eat them" - Lucio Fulci
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#42
Geschrieben 15. November 2004, 14:26
Dann aber der Film: Der Text ist als Reaktion auf so Primatengeschreibsel wie hier zu verstehen:
OLDBOY
Südkorea, 2003. Regie: Park Chan-wook.
"Oldboy" ist da - und wird gefeiert. In Cannes bekommt er nicht nur den Großen Preis der Jury, sondern auch ein gesondertes Lob durch Regisseur und Kultfigur Quentin Tarantino seine Heiligsprechung. Doch ähnlich wie die Filme des Lobenden immer wieder polarisieren, so gibt es zu "Oldboy" genug kritische Stimmen, die den unbescholtenen Kinogängern weiß machen wollen, Tarantino würde hier nur einen Hype forcieren, und "Oldboy" wäre die ganze Aufregung nicht wert. Wo liegt die Wahrheit? Auf jeden Fall nicht im Umfeld der Person von Quentin Tarantino, das wir schleunigst verlassen, und uns auf den Film an sich konzentrieren.
"Oldboy" ist definitiv ein Produkt des neologistischen Kinos eines David Fincher, David Lynch oder Darren Aronofsky. Er nutzt all die optischen und technischen Spielereien, die uns Filme wie "Fight Club" oder "Lost Highway" dem "breiteren" Publikum vorstellten, und fügt dies in eine ähnlich irreale, vollkommen nihilistische Story ein, die der düsternen Weltanschauung eines David Fincher etwa sehr nahe kommen würde. Schauen wir auf die "Oldboy"-Soundtrack-CD, so fällt uns auf, das jeder einzelne Track des wunderschön getragenen Scores von Jo Yeong-wook mit einem anderen Filmtitel benannt ist. So reiht sich hier "Look who's talking" neben "Cries and whispers", "Dressed to Kill" neben "Jailhouse Rock". Ja, wir befinden uns in der Postmoderne, in der es erlaubt, ja geradezu gewollt ist, sich an Stilelementen und Impulsen unserer künstlerischen Vergangenheit zu bedienen.
In Park Chan-wooks vorherigem Film, dem hervorragenden "Sympathy for Mr. Vengeance" ging es um Rache und dem damit einhergehenden Teufelskreis. Auch in "Oldboy" geht es um einen Mann, der Rache an einem Mann nehmen will, der Rache an dem ersteren nahm. Was einfach klingt, ist durchaus kompliziert: Oh Dae-su (Choi Min-sik) hat eine Frau, eine Tochter, einen Bruder, einen scheinbar ordentlichen Job, aber auch ein Alkoholproblem. Und es geschieht an dem Geburtstag seiner Tochter, dass ihn sein Bruder aus dem Polizeirevier fischt und ihn zurück zu seiner Familie bringen möchte. Doch das gelingt nicht – auf offener Straße wird Oh Dae-su von einem Mann mit violettem Regenschirm gekidnappt, verschleppt und eingesperrt. Für fünfzehn Jahre sitzt Oh Dae-su in seinem Gefängnis, einem ordinären Raum, in dem er essen, schlafen und fernsehen darf. Im Laufe der quälenden fünfzehn Jahre wird er immer wieder hypnotisiert und unter Drogeneinfluss gesetzt. Als er nach fünfzehn Jahren unvermittelt freigelassen wird, sinnt er nur auf erbarmungslose Rache. Psychisch zwar ein Wrack, physisch aber durch das jahrelange Training in seinen kargen vier Wänden gestärkt, macht er sich auf die Suche nach dem Mann, der all sein Leid – während Oh Dae-sus Gefangenschaft ermordete er auch seine Ehefrau und schob dies dem Eingekerkerten in die Schuhe -, verursachte. Als er endlich vor dem überlegen grinsenden Lee Woo-jin (Yu Ji-tae) steht, beginnt jedoch erst das perfide Spiel: Oh Dae-su muss eine Reihe von Fährten und Hinweisen entschlüsseln, um hinter das "Warum" seiner Wegsperrung zu kommen – erst dann kann er seinen Todfeind niederstrecken, der ansonsten das Geheimnis mit ins Grab nehmen würde.
Die Geschichte ist wahrlich komplex und sehr konstruiert. Besonders im Finale, wenn Park Chan-wook alle seine Falltüren öffnet, und uns ein menschliches Schicksal von so unfassbarer Härte vorführt, mag dem spitzfindigen Zuschauer das eine oder andere logische Loch im Skript auffallen. Doch am Ende von "Oldboy", in dem die Helden des Films gebrochen, physisch am Ende ihrer Kraft und psychisch weitaus verwirrter, als ihnen zu dem Augenblick bewusst ist, im Schnee stehen, sich umarmend – dann bewegt das mehr als es alle Hollywood-Blockbuster des letzten Jahrzehnts getan haben. Wie oben erwähnt leben wir in einer postmodernen Kinowelt, in der jeder noch so ausgeklügelte Trick, jede clevere Storywendung in irgendeiner Form schon einmal dagewesen war. Der langjährige Kinofan, der anspruchsvolle, in gewisser Weise den Erzählmechanismen gegenüber angestumpfte Filmfreund wird es Park Chan-wook danken, dass er es durch seine Radikalität und übersteigerte Realitätsverzerrung es schafft uns zu überraschen, uns den Atem stocken lässt (wenn Oh Dae-su beispielsweise den letzten Hinweis innerhalb des violetten Präsents öffnet und sich unsere böse Vorahnung bestätigt) und uns verzweifeln lässt ob dieser Tragödie, die wir miterleben durften. Selten ist man derart von einem Drama Schrägstrich Thriller derart berührt und mitgenommen, wie von diesem emotionsgeladenen, wütenden Meisterwerk.
Wie verhält es sich nun aber mit Parks Originalität? Kommen wir exemplarisch zu dem Mann zurück, zu dem wir uns Anfangs eigentlich abwenden wollten. Wenn Quentin Tarantino die Underground-Klassiker der Siebziger, der Gegenkultur, des Hongkong-Kinos und des italienischen Gewaltfilms plündert, und einen simplen Fun-'N'-Violence-Unterhaltungsfilm, wie es "Kill Bill" einer ist, daraus bastelt, wird er von all seinen Bewunderern in den siebten Himmel gepriesen. Warum? Weil diese Bewunderer vermutlich nicht die Weitsicht besitzen, dass auch Tarantino sich nur bereits dagewesenen Ideen und Stilen bemächtigt, ohne sich selber welche auszudenken. Wenn jetzt aber Park Chan-wook vorhandene Themen und optische Effekte aufgreift und weiterverarbeitet und diese in einem der aufwühlendsten, intelligentesten Filme des Jahres 2003 einfließen lässt, ohne dass das homogene Grundkonzept Schaden nimmt oder schlimmsten Falls ins Lächerliche gezogen wird, dann ist er ein Dieb? Diese Logik geht nicht auf. Die Kritiker an Parks Originalität sind höchstens beleidigt, dass Park sein Publikum für derart clever hält, dass es sich nicht geschmeichelt fühlt, wenn er sich aus unbekannteren Filmen bedient, anstatt, wie hier der Fall, Impulse und Ideen der jüngeren Zeit weiterzuführen.
"Fight Club" mag insgesamt der bessere Film sein, ist er jedoch allgemein als Initiator dieses aggressiven, alptraumhaften, aber durchaus unsere perverse Realität abbildenden Filmstils anzusehen, und somit ist "Oldboy" kein Abklatsch, sondern ein Kind dieser Generation junger Filmemacher. Und dieses Kind, dieser "alte Junge", der ist der Beweis, dass wirklich gutes, faszinierendes Kino momentan aus Korea entstammt. "Oldboy" ist aufregend, entfesselt, gewalttätig, aber so unendlich schön, tragisch und herzzerreißend, dass man Park Chan-wook vor Dank um den Hals fallen möchte, da er vermutlich einer ganzen Kinogängergeneration den Glauben an bewegendes, zutiefst emotionales Kino zurück geschenkt hat. Vorbei sind die Zeiten Hollywoods! Es lebe Korea!
"Cinema is everything to me. I live and breathe films... I even eat them" - Lucio Fulci
"I ask of film what most North Americans ask of psychedelic drugs." - Alejandro Jodorowsky
"When two or more people agree on an issue, I form on the other side." - Bill Hicks
#43
Geschrieben 03. Januar 2005, 00:46
Originaltitel: No si sevizia un paperino. Italien, 1972. Regie: Lucio Fucli.
Bin doch überrascht, wie wenig ich Fulcis angeblich bestem Werk abgewinnen konnte. Im ganzen Internet wird unentschlossene Hinterwäldlerkrimi als Meisterwerk des Giallos gefeiert. Doch ganz Giall-untypisch verzichtet Fulci auf halnackte Mädels als Opfer und auf psychedelische Kameraarbeit. Da war der "A Lizard in a Woman's Skin" deutlich besser. Man hat zwar schon das Gefühl, dass Fulci hier mehr Zeit und Ruhe hatte, seine Produktion zu Ende zu bringen und die Geschichte über ein recht reaktionäres Italodörfchen, das sich mit der Moderne konfrontiert sieht, ist auch recht anständig durchdacht, doch durch das Fehlen jeglicher ästhetischer Attraktivität und einem wirklichen Hauptdarsteller hat mich "Duckling" nicht sonderlich beeindruckt. Ziemlicher Durchschnitt.
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#44
Geschrieben 03. Januar 2005, 17:26
Originaltitel: All'onorevole piacciono le donne (Nonostante le apparenze... e purché la nazione non lo sappia). Italien, 1972. Regie. Lucio Fulci.
Und noch'n Fulci und noch 'ne filmische Katastrophe. Diesmal war ich aber vorbereitet. Denn mir war schon fast bewusst, dass "Der lange Schwarze mit dem Silberblick" nicht die offensive Politsatire ist, wie es die Fulcifans und andere Pro-Parteien es meinen - sondern eine viel zu alberne Sexposse in der die Hände eines italienischen Senators automatisch und selbstständig nach den Popöchen von überraschten Frauen greifen. Der Humor ist nicht witzig, der Sex nicht aufreizend und die satirischen Elemente dadurch viel zu verwässert.
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#45
Geschrieben 25. März 2005, 02:41
Originaltitel: Hostage. USA, 2005. Regie. Florent Siri
Bruce Willis spielt den legendären Verhandlungstaktiker Jeff Talley, der allerdings keinesfalls die Details von Geschäftsverträgen verbal ausfechtet, sondern stattdessen in seiner Position als LAPD Cop bei Geiselnahmen den Einsatz von Schusswaffen auf beiden Seiten durch das gesprochene Wort verhindert. Gleich die Eröffnungssequenz zeigt, dass ihm sein Ruf anscheinend gerecht wird. Während unzählige SWAT-Cops auf dem Dach nach möglichen Schusswinkeln suchen, hat er den verrückten Familienvater an der Strippe, der droht seine Frau und seinen Sohn umzubringen. Von Anspannung ist bei Talley jedoch keine Spur: Entspannt liegt er auf dem Dach, lässt sich Sonnen und steckt sich während des Telefongesprächs einen Kamm in den Rauschebart. Er ist sich seiner Sache sehr sicher. Deswegen lehnt er auch die Option ab, den Verrückten eindeutig umzubringen, während dessen Frau in der Nähe, der Sohn aber in bestätigter Sicherheit ist. Auf ein Schild schreibt Talley "No one dies today".
Zehn Filmminuten später ist die Situation außer Kontrolle geraten. Talley hat seinen Gesprächspartner verloren. Nicht nur, dass der bewaffnete Familienvater ihm nicht mehr zuhört, er hat sich, seine Frau und sogar den Jungen erschossen. Talley gibt sich die Schuld am Tod der Familie, hätte er zuvor zumindest den Jungen sicher retten können. Die Tragödie nagt verständlicherweise an ihm. Ein Jahr später ist Talley Polizeichief von Bristo Camino. Kein L.A., keine allzu extreme Verantwortung – die gewöhnlichen Vorstadtverbrechen. Da seine Ehe zu scheitern droht, ist die Ruhe in dem Ventura County Örtchen genau das, was Talley nach all den traumatischen Ereignissen der Vergangenheit braucht. Und so ist er wohl auch ganz glücklich, als andere Spezialisten das Kommando übernehmen und Talley nach Hause schicken, als in seinem Bezirk eine Geiselnahme in dem gigantischen Anwesen des stinkreichen Walter Smith (Kevin Pollak) stattfindet. Er darf nach beruhigt in den Diner fahren - er hat keine Leichen mehr zu verantworten. Talley telefoniert noch einmal mit seiner Frau, sie versprechen sich gegenseitig eine Versöhnung.
"Hostage" ist einer der cleversten Thriller der letzten Zeit, denn nachdem die Vorkommnisse des Films unseren Filmhelden in spe in Ruhe lassen, öffnet sich eine weitere Storyebene des Thrillers – denn "Hostage" hat gleich zwei Geiselnahmen zu bieten: Der Überfall auf Smith ist von drei No-Future-Kids, die sich eigentlich nur des schicken Fuhrparks Smiths bemächtigen wollten, durchgeführt worden – und die nicht wissen, dass Smith Buchhalter für wichtige Männer ist. Wer diese maskierten, brutalen Männer sind, bleibt unklar. Mafia, FBI, internationale Gangster – tendenziell von allen ein bisschen. Da sich in Smiths Gewahrsam noch eine Disc mit brisanten Daten, als "Der Himmel kann warten"-DVD getarnt, befindet, wird Talley von diesen mysteriösen Männern erpresst: Er soll an den Tatort zurückkehren, das Kommando wieder übernehmen und die Situation in alter Talley-Manier auflösung – Hauptsache diese DVD oder mindestens Smith selbst gerät in die Hände der Drahtzieher. Wenn Talley versagt oder sich weigert, bringen diese Männer die gekidnappte Familie Talleys um. Der Köter musste bereits dran glauben.
Und genau da sind wir bei einem interessanten Punkt von "Hostage": Besonders zu Anfang scheint sich der Film nicht im geringsten für Hollywood-Konventionen zu interessieren: Der Hund gibt eine hässliche Tierleiche ab, zu Anfang stirbt eine ganze Familie, samt Kind, in Großaufnahme und das Mobiltelefon zu Beginn ist kein stylishes Product-Placement, sondern ein klobiges Ding, das sich nicht um Coolness oder Status bemüht. Besonders nach diesem unberechenbaren ersten Drittel des Films, in dem Hollywoods Heilige Kühe bereits getötet wurden, kann man "Hostage" kaum mehr einschätzen. Regisseur Florent Siri hatte bereits in der Eingangssequenz keine Skrupel den blutigen Halsschuss eines jungen Bubs zu zeigen – was soll da noch auf uns zukommen?
Es kommt so einiges, denn Siri spielt seinen komplexen Plot voll aus: Der Spannungsbogen bleibt bis zum knallharten Finale erhalten und hin und wieder nimmt "Hostage" eine kleine, aber feine Wendung. Zum Beispiel die furiose Mutation eines des jugendlichen Straftäters. Der Ruhigste des Trios, Mars, gespielt von Ben Foster, nimmt mit einem Mal dämonische Züge an: Wenn er in seiner manischen Boshaftigkeit die zwei Kinder Smiths durch einen Lüftungsschacht des Hauses jagt, erinnert er nicht an einen Menschen seines Alters, sondern an das Titelwesen aus "Alien". Als wären die Quasi-Mafia und ihre brutalen Methoden nicht schon genug für Bruce Willis, dieser junge Mann, der den Film zu einem infernalischen Horror verwandelt, stellt ihn auf eine besonders extreme, unerwartete Probe.
Nicht nur, dass "Hostage" auch noch eine wirklich ansprechende, ungewöhnliche Titelsequenz und einen wahrlich tollen Soundtrack zu bieten hat, auch ansonsten findet Regisseur Siri durchweg gute Scope-Bilder und vermeidet es glücklicherweise seinen Film trotz der ständigen Nutzung von modernem Sicherheits-Schnickschnack und Mobiltelefonen auch optisch zu einem High-Tech-Thriller zu machen. Der Look des Films bleibt weitestgehend kristallklar bis natürlich – nie zu sehr stilisiert oder verfremdet. Ungewöhnlich, wenn man bedenkt, dass Regisseur Siri in der Vergangenheit besonders durch die Inszenierung des High-Tech-Videospiels "Splinter Cell" aufgefallen ist. Doch für die Funktionalität des Thrillers "Hostage" nimmt sich Siri hier vornehmlich zurück und verzichtet auf allzu verkrampfte Technikspielereien.
Der Plot bekommt seinen einzigen Dämpfer, als der finale Showdown dann doch recht gewöhnlich ausfällt, jedoch an sich nicht mit der düsteren Grundatmosphäre des Thrillers bricht. Das beklemmende Kammerspiel, bei dem Willis und auch der Zuschauer ständig unter Druck stehen, funktioniert beachtlich gut: Nicht weil die Stellen, in denen der Film mögliche Schwächen mit extremer Action ausfüllt, sondern weil er die Action größtenteils nur an das Ende und nur an notwendige Stellen setzt. Ansonsten gibt es Nervenkitzel, der weitestgehend auf Klischees und allzu peinliche Stereotypen verzichtet. Das wird durch die durchweg gute Besetzung bereits verhindert, bei der der oben bereits erwähnte Ben Foster und der kleine Jimmy Bennett als minderjährige, aber raffinierte Geisel herausstechen. Nicht alles macht "Hostage" richtig – aber vieles. Viel mehr, als man es einem Hollywoodthriller, der Pyrotechnikeffekte beinhaltet, zutrauen möchte. Und so ist "Hostage" wahrlich eine angenehme Überraschung – zwei Stunden kurzweiliger Nervenkitzel und akzeptable psychologische Tiefe inklusive.
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#46
Geschrieben 31. März 2005, 23:59
1. Es war einmal in Amerika
2. Psycho
3. El Topo
4. Meshes of the Afternoon
5. La Jetée
6. Fight Club
7. High Fidelity
8. Der andalusische Hund
9. The Big Lebowski
10. The Holy Mountain
11. Spiel mir das Lied vom Tod
12. Lucifer Rising
13. Apocalypse Now
14. Shining
15. Eine Leiche zum Dessert
16. Der Clou
17. Dog Star Man
18. Die Verachtung
19. Swallowtail Butterfly
20. Das Imperium schlägt zurück
21. Letztes Jahr in Marienbad
22. Fantastic Planet
23. Living in Oblivion
24. Tetsuo – The Iron Man
25. Suspiria
26. Die Frau in den Dünen
27. Possession
28. Eraserhead
29. Der Mondmann
30. Die Außenseiterbande
31. Lost Highway
32. Die Handschrift von Saragossa
33. Das Mädchen am Ende der Straße
34. Emperor Tomato Ketchup
35. Der Stadtneurotiker
36. Blue Movie
37. 2001: Odyssee im Weltraum
38. Marquis de Sade
39. Vase de Noces
40. Taxi Driver
41. Der unsichtbare Dritte
42. The Player
43. Natural Born Killers
44. Das Irrlicht
45. Allures
46. 25 Stunden
47. Heat
48. Gimme Gimme Octopus
49. Tanz der Teufel II
50. The Flicker
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#47
Geschrieben 19. Mai 2005, 14:09
Originaltitel: Star Wars: Episode III - The Revenge of the Sith, USA 2005. Regie: Lukas.
Anakin wird zu Darth Vader, Padmé wird Luke und Leia, die Helden aus den "Krieg der Sterne"-Episoden IV bis VI gebären, Palpatine entpuppt sich als Sith-Lord und übler Imperator in spe. Der Löwenanteil der Handlungsfläche vom abschließenden "Star Wars"-Film "Die Rache der Sith" ist selbst dem gemeinen Kinopublikum bekannt. Überraschungen, wie die urplötzlichen Offenbarungen familiärer Verbindungen, wie in den Achtzigern es üblich war, wird es hier nicht mehr geben. Und vielleicht ist gerade das der größte Pluspunkt dieses krönenden Abschlusses der größten Science-Fiction-Reihe des Films.
Rümpften wir wenige Jahre zuvor bei der Sichtung von Episode 1 und 2 noch skeptisch die Nasen, angesichts von neuer "Innovationen" des "Star Wars"-Masterminds George Lucas. Das Universum, das er mit "Die Rückkehr der Jedi-Ritter" 1983 vorerst abschloss, wurde mit eigentümlichen, neuen Kreaturen bevölkert, Charaktere, die niemand mochte wurden uns als neue Helden aufgezwungen und viel technischer Schnickschnack wurde betrieben. Durch einen konzeptuellen Fehlgriff, wie die Figur des Jar Jar Binks, einer nervigen comic-relief-Silhouette ohne Charme, kippte insbesonders der schwache "Episode I - Die dunkle Bedrohung" zu sehr in seichte Gewässer gepflegter Vorschulkinderunterhaltung.
Doch damit sei Schluss. "Episode III - Die Rache der Sith" ist die unmittelbare Schnittstelle zu jener Trilogie, die wir einst liebgewonnen haben. Zu jenen Heldentaten, die noch Luke Skywalker und Han Solo vollbracht haben. Von Qui-Gon Jinn wollten wir doch eigentlich nie etwas wissen, oder? Und nicht nur die chronologische, sondern auch die inhaltliche Nähe macht "Episode III" zu einem derart sympathischen, weil nostalgischen Feuerwerk, dass man sich dem aufkeimenden Zauber alter, längst vergangener Tage großen Popcorn-Kino-machens zurückerinnert fühlt. Jar Jar Binks sagt nicht mal einen kompletten Satz und alle anderen Infantilismen und Albernheiten sind auf den Beginn des Films verlagert und auch noch auf den Roboter R2-D2 reduziert. Ansonsten geht's actionmäßig und dramatisch mächtig zur Sache.
Lucas erzählt uns das Duell zwischen Sith-Lords und Jedis. Und von einem jungen Mann, namens Anakin Skywalker, der zwischen den Fronten steht und einige falsche Entscheidungen zu treffen hat, damit die Urtrilogie ermöglicht wird. Während das erste Drittel des Films noch wie ein hysterisches Videospiel aussieht, beginnt der Film nach zirka einer halben Stunde endlich alles richtig zu machen. Der Fokus liegt auf den richtigen Personen: der diabolische Imperator, der weise Yoda, die wunderhübsche Padmé Amidala und die restlichen Jedis. Ewan McGregor sieht mit Vollbart wirklich so aus wie ein junger Alec McGuinness und Hayden Christensen macht nicht mehr den Eindruck eigentlich zu einem Boyband-Casting gehen zu wollen, anstatt den Jedi-Macker zu mimen. Und mit Samuel L. Jackson alias Mace Windu tritt auch die einzige, wirklich starke Neukreation der neuen Trilogie in den Vordergrund.
Ständig schlägt der Film mit Referenzen zur alten Trilogie um sich, aber auf viel elegantere, weil erzählerisch ja notwendige Weise, als noch bei den vorhergegangenen Episoden. Chewbacca hat seinen ersten, zurückhaltenden Auftritt, General Tarkin steht bedeutungsschwanger am Ende im Hintergrund und wir sehen sogar imperiale Uniformen und Sternenzerstörer. Wer das nicht liebt, was bitte dann? Man kann George Lucas vielleicht Einfallslosigkeit vorwerfen, dass er hier einfach nur die bekannte Geschichte heruntererzählt - doch genau das ist die ungemeine Stärke dieses Films. Lucas hat endlich begriffen, dass man nichts repariert, was nicht kaputt ist. Die Urtrilogie war wunderbare Sci-Fi-Unterhaltung - mit all ihren Schwächen und Stärken. Die neue Trilogie addierte viel zu viel Neues hinzu, was hier glücklicherweise kaum Erwähnung findet.
Denn hier ist "Star Wars" wieder "Star Wars". Epische Musik, ausufernde Lichtschwertkämpfe - und die Bösen kann man von den Guten wie Schwarz von Weiß unterscheiden. "Star Wars: Episode III - Die Rache der Sith" ist der Film geworden, den Lucas bereits mit "Episode 1" hätte abliefern sollen. Frei von Neuerfindungen, frei von zusätzlichen Storylines, politischen Schamützeln. Frei von dem sauberen, nicht kanonischen Stil der Filme des neuen Millenniums. Frei von Infantilismen und Zugeständnissen an neue "Star Wars"-Generationen – Sondern endlich wieder "Star Wars", so wie wir es einst lieben gelernt haben. "Episode III" bietet zwar keine Überraschungen, aber hoch-emotionale, prunkvolle, grandiose Science-Fiction-Unterhaltung für alle diejenigen, die sich einst von der Macht leiten haben lassen. "Episode III" gewinnt durch seine chronologische und atmosphärische Nähe zur alten Trilogie uns hat das Potenzial, dem geneigten Kinogänger ebenso ans Herz zu wachsen, wie die alten Filme, und damit die neue, ach so verschmähte Trilogie mitzureißen. Endlich hat George Lucas mal was richtig gemacht. Bravo.
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#48
Geschrieben 20. Juni 2005, 01:20
USA, 2005. Regie: Christopher Nolan.
Verhunztes Prequel zu "Star Wars Episode I", in dem Qui Gon Jinn (Liam Neeson) zurückkehrt und seinen Padawan (Bale) durch progressives Jedi-Teaching zum Gegenspieler macht. Dunkle Seite der Macht = Dark Knight: Der gefallene Padawan wird zum dunklen Ritter.
Ein Film ohne den eleganten, gothischen Stil von Burton und ohne die menschliche Nähe von Sam Raimis "Spider-Man". Doch das alles würde die erstklassige Besetzung ausbügeln, wenn die Actionsequenzen nicht derart schlecht gefilmt und geschnitten wären.
Es bleibt dabei: Michael Keaton ist der beste Batman und Burtons erster Flattermann die beste "Bat"-Verfilmung.
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#49
Geschrieben 10. Juli 2005, 16:08
Diesen Text widme ich Howie Munson.
EQUILIBRIUM
USA, 2002. Regie. Kurt Wimmer
Als zwei Brüder namens Wachowski Ende des 20. Jahrhunderts einen Film namens "The Matrix" drehten, konvertierten sie schier eine ganze Generation von jungen Kinogängern zu ihren devoten Fans. Das Actionkino sei neu erfunden, so hörte man allerorts. Sowohl in den Feuilletons, als auch aus den langen Schlangen vor den einschlägigen Multiplexen. Bei so viel Zuspruch ist es klar, dass die obligatorischen Fortsetzungen und Nachahmer nicht lange auf sich warten ließen. Ebenso absehbar war der kritische Gegenpol, dessen Meinung sich frei machte von jenem Aufsehen erregenden Medienrummel um "The Matrix", der heutzutage neologistisch als "Hype" klassifiziert wird. Da viele den neuen "Kult" kategorisch nicht gut finden wollten, waren alsbald die gängigen Makel an der sonst so reinen Science-Fiction-Kluft der Wachowskis gefunden. Insbesondere die viel zu sehr als cool und nachahmenswert stilisierte Gewalt prangerten die Kritiker den beiden Regisseuren an.
Einer der Nachahmer im Zuge des "Matrix"-Erfolges war Kurt Wimmers "Equilibrium" – Eine ähnliche Utopie eines totalitären Staats, in dem ebenfalls nur ein einziger Mann mit faszinierend feinmotorischer Kampftechnik für das Recht auf persönliche Freiheit und Individualismus in den Krieg zieht. Und wie beim großen Blockbuster-Vorbild zieht der Held aus "Equilibrium" mit bestimmten Martial-Arts-Fähigkeiten ins Feld. Da der Begriff Martial-Arts, übersetzt Kampfkunst, bereits eine bestimmte Ästhetik synchron zum Menschenverdreschen impliziert, steht "Equilibrium" bereits in der Gefahr auch alsbald von cineastischen Weltverbesserern wegen seiner menschenverachtenden Natur torpediert zu werden (Es sei angemerkt, dass nicht erst "The Matrix" mit dem Problem umgehen musste, "coole Gewalt" darzustellen: Martial-Arts kommt im asiatischen Film seit ewigen Zeiten vor und dürfte nur eine logische Konsequenz der Fusion des Filmgenres Action mit dem Unterhaltungsauftrag des Mediums darstellen, so fragwürdig sie auch erscheinen mag). Doch Regisseur Wimmer lässt sich auf so etwas gar nicht ein: Natürlich ist sein Hauptdarsteller Christian Bale eine cooler Kämpfer und gut aussehender Mörder – doch der Zweck und die Wirkung der Gewalt wird hier in einen anderen, viel sarkastischeren Kontext gerückt. Und genau darin liegt die Stärke von "Equilibrium".
In "Equilibrium" betäubt die ganze Menschheit ihre Gefühle mit einer Droge, deren Name ein Mischmasch aus Prozac und Valium ist: Prozium. Nach dem Dritten Weltkrieg dient nun die Elimination aller Emotionen zur Friedenserhaltung. Wenn kein Mensch jemals Wut oder Hass empfinden kann, wird er auch nie zur Waffe greifen wollen. Doch mit den negativen Empfindungen musste die Menschheit auch auf alle anderen Gefühlswelten verzichten. Es ist ihnen nicht mehr vergönnt einen anderen Menschen zu lieben oder sich an Kunstwerken zu berauschen. Einhergehend werden alle Kunstgegenstände oder nostalgische Erinnerungen an Zeiten der emotionalen Verbundenheit untereinander – zusammen mit den Mitgliedern des Widerstands – verbrannt. Diese eklektische Utopie über Individualitätsverlust und Kunstverbot mag sich wie ein wildes Konglomerat aus gängigen Verschwörungsstereotypen anhören, funktioniert aber überraschend gut. Vermutlich weil auch das Drehbuch unter der Vorgabe des "Equilibriums", das lateinisch für Gleichgewicht ist, entstand. Die vielen Einflüsse sind recht gekonnt mit den eigenen Ideen balanciert worden, so dass die Vorbilder zwar erkennbar werden, aber nie in einen Wettbewerb mit "Equilibrium" treten, da dieser dann doch zu Eigen bleibt.
Der Protagonist John Preston, gespielt von Christian Bale, ist ein Kleriker – und somit Staatswaffe gegen die Emotionen zulassenden Widerständigen. Doch als sein Partner die Seite wechselt und dadurch von ihm im Kampf eine tödliche Niederlage hinnimmt, beginnt auch Preston sich für ein Leben ohne jeglicher Exklusiven zu interessieren. Er setzt schließlich die Droge ab und kämpft nun selber gegen das System, dessen Teil er immer noch vorgibt zu sein.
Am Ende ist Preston natürlich der Siegende. Der Diktator ist gestürzt, die Welt ist befreit. Doch das Ende hat einen fabelhaft-sarkastischen Nachgeschmack: Am Ende wird Preston nicht als "Auserwählter" oder Befreier gefeiert – er ist nur ein weiterer Teil in einem großflächigen Chaos, das nun entsteht. Ja, am Ende von "Equilibrium" versinkt die Welt im Chaos – ob endgültig, dass verrät uns Wimmer leider nicht. Als die Welt von den Fesseln der Gefühllosigkeit befreit ist, reagiert sie nicht in schöngeistiger Besinnung auf die positive Natur der Emotionen. Es ist nicht so, dass sie sich kollektiv niedersetzen und gemeinsam die Wonnen der neunten Sinfonie Beethovens genießen oder sich der Freundschaft oder der Liebe hingeben. Die Gefahr, vor der die Antagonisten in "Equilibrium" ständig über Lautsprecherbeschallung warnten, nämlich die der unkontrollierten Wut und ihrem Resultat in Krieg und Zerstörung wird Wirklichkeit: Am Ende heißt es: Macht Krieg, keine Liebe. Diese finale Umkehrung dessen, für was Preston heroisch kämpfte, mordete, ist der brillante Schachzug Kurt Wimmers und macht aus "Equilibrium" mehr als nur einen Co-Reiter auf der Erfolgswelle der "Matrix".
Postmodern verweist "Equilibrium" besonders in seinen Kampf- und Gewaltszenen auf die halsbrecherischen Aktionen aus "The Matrix". Doch bedienten die Wachowskis in ihren Kampfszenen nur das alte Paradoxon, dass der Frieden durch den Krieg erschaffen wird, geht Wimmer hier eindeutiger und linearer vor: Als die Gefühle freigesetzt werden führen diese zwangsläufig zu Krieg. Das Aufbäumen Prestons gegen seinen Diktator führt nicht zu einem sofortigen Stillstand aller Kampfhandlungen, sondern mündet erst recht in einem explosionsartigen Tumult: Bomben werden gezündet, Feuer werden gelegt, das Chaos regiert nun. Und auch seinen Erzfeind bringt Preston nicht aus heroischen Gründen um, sondern lediglich aufgrund persönlicher Rachegelüste. Die zweifelhafte, andere und somit dunkle Seite der Individualisierung wird hier wunderbar überkarikiert. Liebe führt hier völlig zielstrebig zu Mord und Totschlag, Individualismus zu Krieg und Leid.
In der finalen Einstellung ist John Preston ein von persönlichem Hass motivierter Antiheld. Und sicher keine schillernde Erlöserfigur wie Keanu Reeves' Neo in "The Matrix". Und genau jene Umkehrung des Gewalteffekts in einen viel düsteren und kritischeren Kontext macht "Equilibrium" zu einem starken Film, der allerdings ohne jene faszinierende Intertextualität eindeutig an Qualität verlieren würde.
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#50
Geschrieben 30. Juli 2005, 02:51
Belangloses Rachekrimi-Filmchen. Tarantino hat "Kill Bill" gedreht und in Korea ist Park Chan-Wook mit seiner noch fertigzustellenden Vengeance-Trilogie ganz oben dabei. Rache macht also - cineastisch gesehen - Spaß und deswegen also nun hier noch mal: Weitaus weniger ambitioniert, weitaus weniger psychologisch (im Vergleich mit "Oldboy"). Ziemlich konventionell. Am Ende gibt's 'nen sehr gewalttätigen Showdown, der an den größenwahnsinnigen Brutalorausch von "Scarface" erinnert. Und ansonsten? Ansonsten wenig Lärm um Nichts. Gesehen, vergessen.
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#51
Geschrieben 25. August 2005, 00:57
Gestern war ich nun in THE ISLAND.
Was könnte man da Lustigeres von sich geben, als "Ach, du Eiland"? Wenig, denn der Film ist ein B-Movie in der Optik eines A-Blockbusters. Ich denke bei solchen Filmen immer im Kino, dass die Surrealisten so etwas geliebt hätten: Das Visuelle ist überhaupt nicht realitätsgetreu, eher traumhaft überzeichnet; die Geschichte quasi auf ein Minimum aller üblichen Frankensteinroutinen und Gentechnikfragen reduziert. Ein Film also der sich psychologisch und visuell so einer Traum-Parallelwelt verschreibt, hätte den Jungs sicher gefallen. Und irgendwie will ich den Film nicht gut finden. Irgendwie will ich nur gut finden, dass sich niemand getraut hat, doof rumzumeckern, weil ich mich in der Schlange vor dem Kino vorgedrängelt habe. Ach du Eiland.
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#52
Geschrieben 28. November 2005, 02:36
Schweden, 1990 - 2000. Regie: Richard Holm
Über so manche Filme kann man sich nur noch wundern. "Sex, lögner & videovåld" ist so ein Kandidat. Eine schwedische, bestenfalls semiprofessionelle Produktion, die sich als provokativer Affront gegen die aufkeimende Videozensur Schwedens versteht. Wundern kann man sich schon mal über die Produktionsbedingungen. Zwischen 1990 und 1993 von einem Team Amateure gedreht, das sich zuvor mit dem selten dämlichen Fanfilm "The Resurrection of Michael Myers" einen bestimmten Ruf angeeignet hat, legt der Film den Finger in die Wunde eines aktuellen Problems. Doch aufgrund verschiedener Probleme in der Postproduktion wurde die Veröffentlichung des Filmes immer wieder verschoben, bis er schließlich erst satte sieben Jahre später das Tageslicht erblickte. Dass im Jahre 2000 nicht nur das Trägermedium "Videokassette" längst überholt war und dazu auch noch sämtliche Zensurquerelen im Staate Schweden passe waren, tun dem fertigen Werk nicht allzu gut.
Sowieso ist es schwer, "Sex, lögner & videovåld" ernsthaft bewerten zu wollen. Tricktechnisch ist der Film überraschend gut. Nicht nur die zahlreichen Splattereffekte scheinen mit Liebe zum Detail bewerkstelligt worden zu sein, auch der Filmschnitt zeugt durchaus von einem gewissen Verständnis für Rhythmik und Timing. Wäre der Film wirklich 1993 veröffentlicht worden, dann wäre dies bestimmt bereits ein Meilenstein der Amateurfilme, kopiert er doch viele Stile und Ästhetiken, wie etwa Splitscreenaufnahmen, die erst Mitte der 90er mit dem Erscheinen des Recyclisten Quentin Tarantino, weltweit wieder hip wurden. Doch der Film wurde eben erst 2000 auf den Markt gebracht und entlockt uns so gerade mal ein müdes Gähnen. Außerdem muss man auch zugestehen, dass der Film vermutlich nie im Leben einen derart runden Schnitt bekommen hätte, hätte man sich nicht ganze sieben Jahre Zeit für eben diesen gelassen.
Der Rest ist purer Trash. Es wird zitiert bis die Schwarte kracht und noch weiter. Gleich zu Anfang erleben wir einen Chestburster aus "Alien", ein "Deutschland, Deutschland über alles"-singender, deutscher Terrorist aus "Stirb langsam" entsteigt dank kosmischen Kräften dem Fernsehgerät und eine Pornoheftphantasie mutiert zur Schlangenfrau mit Biss. Ausgedehnte Actionszenen voller Splatter- und Goreeffekte, die mit Figuren aus "Der Terminator", "RoboCop" und "Uhrwerk Orange" angereichert sind, bieten nicht das parodistische Potential, an das man vielleicht denken mag, wenn man bemerkt, das sogar der König der Filmverhohnepiepelung, Mel Brooks persönlich, einen Cameo-Auftritt hat. Die Szenen werden oftmals nur kopiert und vollkommen ernst dem gierigen Splattervoyeurismus untergeordnet. Den Zenit an augenzwinkernder Ikonentravestie erlang der Film, als Hauptdarsteller Mike Beck durch ein Stockholmer Ghetto düst und dabei zwei Mitglieder der Teenage Mutant Ninja Turtles beim Analsex erwischt. Dementsprechend zotig und platt fällt auch der Humor des restlichen Films aus.
Was bleibt ist ein ziemlich, ziemlich dürftiger Film, der dank des enormen Tempos ziemlich schnell an dem Zuschauer vorüber gegangen ist. Im Gedächtnis bleiben dabei allerdings lediglich die Gastauftritte wirklicher Ikonen, wirklicher Stars. Einmal der letzte Auftritt Brandon Lees vor seinem Tod und ein Wiedersehen mit der wunderbaren, aber leider doch sichtlich um 30 Jahre gealterten Christina Lindberg, die hier ihre Paraderolle Frigga aus "Thriller – A Cruel Picture" wiederholt.
"Cinema is everything to me. I live and breathe films... I even eat them" - Lucio Fulci
"I ask of film what most North Americans ask of psychedelic drugs." - Alejandro Jodorowsky
"When two or more people agree on an issue, I form on the other side." - Bill Hicks
#53
Geschrieben 27. Dezember 2005, 00:58
USA, 2001. Regie: Cameron Crowe.
Cameron Crowe hat mit "Vanilla Sky" etwas ganz unfassbares geschaffen. Ein Film, dessen visuelle, wie narrative Ebene devot und komplementär zu dem wohl wichtigsten Aspekt stehen: Der Songauswahl. Aufgrund der galaktischen musikalischen Selektierung morpht "Vanilla Sky" bereits in den ersten Minuten, wenn Tom Cruise zu den pulsierenden, trockenen Orgelklängen aus Radioheads Meisterstück "Everything in it's right place" aufsteht, zu einem Musikvideo. Zwar ist es Tom Cruise, der sich da auf der Leinwand die Ehre gibt, doch der Hauptdarsteller ist Thom Yorkes orgiastisch intensiver Vocalremix, der auf der Tonspur unglaubliches für die neue Generation der Kopfhörerjunkies leistet.
Dass man sich durchaus fallen lassen kann in diesem akustischen Himmelbett, ohne auf Handlung und Plot zu viel zu geben, dafür hat Regisseur Crowe cleverer weise gesorgt. "Vanilla Sky" ist nur eine – schlechtere – Nacherzählung von Alejandro Amenábars "Abre los ojos", der bei uns als "Virtual Nightmare - Open Your Eyes" vermarktet wurde. Nur eben mit Tom Cruise statt Eduardo Noriega und Cameron Diaz statt Najwa Nimri. Nur Penélope Cruz als Sofia ist uns geblieben. Aber darauf achten wir ja gar nicht, schließlich läuft ja R.E.M.s hinreißendes, barockes "Sweetness Follows" aus ihrem Millionenalbum "Automatic for the People" über die Tonspur und sprengt unser sinnliches Wahrnehmen für optische Reize. Hier ist es nicht die Musik, die das Lächeln der Diaz oder der Cruz (auf welchen Typ man auch immer stehen mag) unterstreicht, sondern andersherum.
Crowe findet für jeden Song die perfekte Illustration. Ja, vielleicht ist "Vanilla Sky" nur ein Mixtape von Cameron Crowe, das er einst für einen lieben Menschen aufgenommen hat. Jemandem, dem er seine tiefe Zuneigung erklären wollte und dabei nicht vor dem Balanceakt zwischen Kitsch und Mut zurückschreckt, wenn er diese durch Peter Gabriels abgegriffenes "Solsburry Hill" artikuliert. Und jemandem, mit dem er durch Clubs ziehen konnte, was die Stroboskoplichterwelt, die er in der Discoszene zu zwei neuzeitlichen Clubklassikern, nämlich Underworlds "Rez" und dem genialen "Afrika Shox" von Leftfield, erschafft, erklärt. Denn ist das nicht der Stoff aus dem die Mixtape-Träume sind? Afrika Bambaataa neben Michael Stipe und U2 neben Radiohead? Und irgendwo dazwischen noch einen Adult-Alternative-Radio-Klassiker, den man immer wieder gerne hört? Vielleicht Joan Osbournes "One of us"?
Da ist es auch gar nicht verwunderlich, wenn "Vanilla Sky" und "Abre los ojos" motivisch nahezu kongruent sind. Etwas Neues soll man hier gar nicht entdecken können. Da klingt der vehemente Imperativ "Öffne deine Augen!" fast wie ein Flehen des Regisseurs, dem auf halber Strecke bewusst wird, dass das Publikum im Kino ihre Augen schließen und sich in den Wellen jener auraler Wonnen verlieren werden, da ihnen die Optik eh nichts Neues präsentiert. Die Gesichter von Tom Cruise und Cameron Diaz sind medial abgenutzt, die Ästhetik ist dem Original nachempfunden. Da hilft es nicht einmal Tom Cruise eine entstellte Fratze in "Johnny Handsome"-Stil zu verpassen. Nein, die Musik bleibt Herr dieses Filmes.
Und ein guter Herr ist sie. Cameron Crowe hält für uns mit dem ätherisch wirkendem Klassiker "The Porpoise Song" von The Monkees, der eigentlich dem Soundtrack ihres eigenen kleinen Filmes "Head" entstammt, dem brillant-psychedelischen "Ladies and Gentlemen, we are floating in Space" von Spiritualized, oder dem isländischen Dreampopwunder Sigur Rós mit ihrer Minihitsingle "Svefn-g-englar" noch genug akustische Feuerwerke bereit, die uns bei der Stange halten. Höhepunkt im Film ist dann allerdings ein anderer Song von Sigur Rós: Das herzzerreißende, wunderschön introvertierte, gleichzeitig ungemein schwelgerische "Njosnavelin", das während der finalen Begegnung zwischen Cruz und Cruise gespielt wird. Dass Ex-Beatle Paul McCartney eigens einen Song für diesen Film beigesteuert hat, ist bei dieser Masse an unwiderstehlichen Songs und Bands bald nur noch für eine Randnotiz gut.
Am Ende wollen wir den alles rationalisierenden Dialogen gar nicht zuhören, wie sie die surreale Geschichte entmystifizieren, sie nahezu vergewaltigen. Geträumt haben wir eh den ganzen Film über. Zusammen mit Tom Cruise. Denn wir alle haben eigentlich geschlafen und Cameron Crowes wunderbaren Mixtape gelauscht. Dass dabei auch ein über zweistündiger Musikclip dazu entstanden ist, dürfte uns ziemlich egal sein. Die DVD kaufen wir eh nicht. Aber den Soundtrack.
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#54
Geschrieben 19. März 2006, 17:53
Les Noces Rouges, Frankreich 1973. Regie: Claude Chabrol.
Typische Abgründe-hinter-Spießbürgerlichkeit-Suspense von Chabrol. Im Gedächtnis bleiben mir der schöne Soundtrack von Pierre Jansen, der besonders in der ersten Hälfte des Films mit seinem Hauptthema mitreißt, und die irgendwie eigentümliche Darstellung der Tochter Helene durch Eliana De Santis. Die Rolle scheint im ganzen Film eine Art Geistergestalt zu sein, vollkommen lebenslos, scheint sie sich mehr um das Leben und die Freuden ihrer Mutter zu kümmern, anstatt selber irgendwie voranzukommen. Aus einem Dialog wissen wir, dass sie ihr Studium so gut wie aufgegeben hat. Man mag es oberflächliche Charakterisierung nennen, aber gerade diese vage Oberflächlichkeit mit der Helene den ganzen Film über auftritt, und dann doch durch ihre eigene Naivität den Film und die Schicksale erst zu ihren Höhepunkten bringt, besitzt eine ungemeine surreale Qualität, die mir besonders gut gefallen hat.
7/10
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