Ich habe dir niemals einen Hasenbraten versprochen
#271
Geschrieben 03. Dezember 2005, 20:00
Whoa! Selten bin ich dermaßen von einem neueren Horrorfilm gekickt worden. In letzter Zeit war das eigentlich nur bei DONNIE DARKO der Fall. Worum geht's?
SESSION 9 beginnt wie ein typischer Slasher-Streifen: Eine Gruppe von Handwerkern soll eine seit den achtziger Jahren stillgelegte Klinik für Geistesgestörte für bauliche Veränderungen vorbereiten und Asbest beseitigen. Bei den Arbeiten treten charakterliche Untiefen zutage. So weit, so gut. Kommt nun ein geisteskranker Mörder und schnetzelt sich quer durch die Besetzung? Spuken Geister einstmals mit Lobotomien und Hydrotherapie Gequälter durch die maroden Mauern? Das werde ich genausowenig verraten, wie es der Film tut. SESSION 9 nimmt sich eine Menge Zeit und braucht etwa 50 Minuten, bis sich Thrillerkompatibles zuträgt. Andere Filme, die die üblichen dummschwätzenden Teeniebratzen in ihrem Wappen führen, hätten da bei mir rettungslos verspielt. Ein solider Slasher braucht Action und Tempo. SESSION 9 aber liegt es fern, diese Route zu nehmen. Seine Genrezugehörigkeit ist einigermaßen vage, wie dies auch bei THE MACHINIST der Fall war, dem späteren Achtungserfolg des Regisseurs Brad Anderson. Was bei THE MACHINIST bestach, war – neben der herausragenden Schauspielerleistung von Christian Bale – die sehr atmosphärische Inszenierung, die unter Verzicht auf grelle Sensatiönchen eine ungemein ungesunde Stimmung erzeugte. Der Film wirkte etwas wie eine Mischung aus Hitchcock und David Fincher. Lediglich die Auflösung war etwas mager und mag in ihrer Artifizialität so manchen etwas enttäuscht haben. Das ist nicht, oh nein, das ist nicht der Fall bei SESSION 9!
Sieht man davon ab, daß SESSION 9 für einen Film dieser Preisklasse ungewöhnlich gut aussieht, bestechen vor allem die Charaktere. Beginnen wir bei Gordon. Gordon (der übrigens lustigerweise eine starke Ähnlichkeit mit George Bush besitzt!) ist der Chef des Unternehmens und muß strampeln, um seinen kleinen Handwerksbetrieb am Laufen zu halten. Er ist angewiesen auf diesen Job und erklärt sich auch zu Dumping-Bedingungen bereit. Gleichzeitig geht es drunter und drüber in seinem Privatleben. Er liebt seine Frau, die ihm gerade ein Kind geschenkt hat. Doch es wird deutlich, daß Unfrieden herrscht zwischen den beiden. Gordon ist nicht wirklich dazu in der Lage, den Schweinejob in der abgemachten Frist zu erledigen. Sein Kompagnon, Phil (der sehr wie Bill Macy ausschaut), ist einer seiner ältesten Kumpel. Auch bei ihm hängt aber der Haussegen schief: Ex-Frau Amy poppt mit dem Sunnyboy Hank herum, der überflüssigerweise auch noch im selben Team arbeitet. Beide würden liebend gern einander an die Gurgel gehen. Dann wäre da noch Mike, der später mal Anwalt werden will. Er findet im Keller der Klinik eine Kiste mit alten Tonbändern, auf denen Therapiegespräche festgehalten sind. Besonders fasziniert zeigt er sich von einer Patientin namens Mary Hobbes. Und während er sich immer mehr in den lange zurückliegenden Fall einer geisteskranken Frau hineinlauscht, umso mehr zeigt es sich, daß die betriebsinternen Spannungen zur kompletten Katastrophe geraten...
SESSION 9 entwickelt seine Handlung sehr vorsichtig und sorgfältig. In demselben Maße, wie die Arbeiter immer tiefer in das Gewirr von Korridoren hinabdringen und seine „Schätze“ entdecken, nimmt auch der Zuschauer an dieser Entdeckungsfahrt in die unbeleuchtete Moderwelt teil. Dabei entfaltet sich auch langsam der Privathorror der Protagonisten. Und die Krankengeschichte der Mary Hobbes nimmt ebenfalls Konturen an. Mein erster Eindruck von dem Film war, daß er sich einen ungewöhnlich attraktiven Schauplatz für seine Geschichte ausgesucht hat. Das Irrenhaus des Filmes existiert tatsächlich und bietet neben seiner prachtvollen, herrenhausartigen Erscheinung ein Inneres, das aus heruntergekommenen und mit Graffiti zugesprühten Hallen und Gängen besteht – einstmals sterile Zweckmäßigkeit, jetzt marode Schattenwelt. An den Wänden der „Rückzugsräume“ (=Zellen) der Patienten befinden sich lauter Fotos, die von den Geschichten, aber auch den Besessenheiten der Eingesperrten berichten. Wir bekommen nur einen kleinen Teil der Geschichte dieses Hauses gezeigt, aber, bei Gott, dieser Teil hat es in sich! Fazit: Ein mit mäßigem Aufwand gedrehter, aber exzellent gestalteter und sehr unheimlicher Thriller – absoluter Geheimtip.
Zitat Simon: „Ich wohne in den Schwachen und den Verletzten, Doktor!“
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#272
Geschrieben 06. Dezember 2005, 18:39
Wes Craven muß ein hochsympathischer Mann sein. Das geht zumindest aus den Interviews hervor, die ich bisher gesehen habe. Was sein Gesamtwerk angeht, so handelt es sich dabei um eine äußerst wechselwarme Angelegenheit: Mal hat man es mit guten Ansätzen zu tun, die dann zu sehr den Weg des geringsten Widerstandes entlangzittern; mal wird eine völlig blödsinnige Idee durch eine vergleichsweise saubere Inszenierung oder einen plötzlich aufblitzenden Sinn für subversiven Humor gerettet. Bei CURSED habe ich nun wirklich hochgradigen Bockmist erwartet, zumal Wesley selber nach einer ruckeligen Produktionsgeschichte von anderthalb Jahren Dauer die Nase wohl ziemlich voll hatte. Auch hatte sich Drehbuchautor Kevin Williamson mit Sachen wie ICH WEISS, WAS DU LETZTEN SOMMER GETAN HAST nicht gerade um meine besondere Wertschätzung verdient gemacht.
Um es kurz zu machen: CURSED ist wesentlich weniger gurkig, als ich dies erwartet hätte. Tatsächlich habe ich mich sogar recht ordentlich unterhalten dabei. Christina Ricci (hach!) spielt eine junge Dame, der bei einer nächtlichen Fahrt mit einem Amigo ein Wolf auf den Kühler springt. Das führt zur Kollision mit dem Auto einer anderen jungen Dame, die daraufhin vom angefahrenen Wolf halbiert wird. Nach diesem unschönen Erlebnis versuchen die beiden Youngster, wieder in ihr Alltagsleben zurückzufinden. Doch da sind diese pentagrammförmigen Male, die sich auf ihren Handflächen zu bilden beginnen...
Zu Anfang dachte ich, es würde sich um einen ernsthaften Horrorfilm handeln. Genaugenommen bin ich auch jetzt noch davon überzeugt, daß ein ebensolcher beabsichtigt war. Nach verschiedenen Differenzen mit den Produzenten mußte das Drehbuch jedoch komplett umgeschrieben und diverse Rollen umbesetzt werden. Was dabei herauskam, ist ein fröhliches Gemengsel von Klischeecharakteren, die man bereits aus unzähligen Teenie-Heulern kennt. Wimmeln aber bereits die meisten heutigen Hollywood-Schocker vor autoreflexiven Kaspereien („Hey, ist ja nur Spiel...“), so scheint es mir hier recht offensichtlich so, als wäre den Machern die grundlegende Schwäche des Konzeptes erst später aufgegangen. Craven inszeniert das Ganze wie eine trockene Komödie, und auch die Darstellungen der Ricci und ihrer Kollegen sind eindeutig komödiantischer Natur. So richtig zünden tut das Ganze nicht, aber immerhin ist CURSED ausgesprochen temporeich gestaltet, es gibt ein wenig Schplädder, einen vergnüglich deplazierten homosexuellen Subplot und ein Finale, bei dem endgültig aus allen Rohren gefeuert wird. Und nein, ein guter Film ist dabei natürlich nicht herumgekommen. Wohl aber ein kurzweiliger Zeitvertreib. Vielleicht sollte ich mir Williamsons TÖTET MRS. TINGLE doch mal anschauen...
Werwolf: „Es ist nur für ein Alphamännchen Platz!“
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#273
Geschrieben 06. Dezember 2005, 19:40
Als Clive Barker 1987 mit HELLRAISER seine erste abendfüllende Regiearbeit absolvierte (auch aus Frustration über die bis zu jenem Zeitpunkt lausigen Verfilmungen seiner Werke), wurde der in einer Weise als Geniestreich abgefeiert, die mich doch etwas verblüfft hat. Keine Frage, daß HELLRAISER in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich gut war, aber filmisch gesehen empfand ich das Werk doch eher als „Geht so“. Die große Stärke der Erzählungen und Romane Barkers liegt für mich in den wirkungsvollen Bildern, die er entwirft, nicht so sehr in der erzählerischen Finesse oder der Prosa der Texte. Auch HELLRAISER verband Motive von poetischer Schönheit mit sehr körperbetontem Horror. Daß Pinhead und seine Zenobiten in ihrer Fetischpracht grundsätzlich parodistische Konzeptionen sind, funktionierte im ersten Teil noch recht gut, da man sich einfach viel zu sehr gruselte, um das Dargebotene lachhaft zu finden. Teil 2 bastelte eine ordentliche Fantasy-Geschichte um die Vorgaben von Barkers Erstling und fügte einige reichlich drastische Momente hinzu. Bei Hickoxens Teil 3 war der Ofen dann aber schon ziemlich aus: Was die beiden ersten Teile als ernstzunehmende Story aufgebaut hatten, wurde hier zu Suppenkasperei von hohen Gnaden. Der episodeske vierte Teil war dann endgültig ein Puzzle von Schnittabfällen. Die Teile 5 und 6 hatten es bei den angestammten Fans der Serie damals schwer, begingen sie doch einen ganz anderen Weg und fügten die Figuren rund um die Puzzlebox eher als verbindendes Element ein, wie es damals auch schon HALLOWEEN 3 erfolglos probiert hatte.
Da ich die beiden letztgesehenen Teile der HELLRAISER-Saga ganz okay fand, waren meine Erwartungen in bezug auf Teil 7 zurückhaltend, aber durchaus wohlwollend. Im Grunde beginnt er ja auch ganz okay: Eine junge Journalistin namens Amy wird von ihrem Boß auf eine mysteriöse Sekte, die „Deaders“, angesetzt, die bizarre Todesrituale pflegt, bei denen Menschen sich erst entleiben, um dann zu neuem Leben zu erwachen. Die Spur führt nach Bukarest, wo Amy sofort einem SEVEN-Gedächtnis-Schock ausgesetzt wird, der zwar unoriginell ist, aber leidlich hinhaut. Ab da entwickelt sich der Film aber zu einer richtigen Güllepumpe. Das erste Gelächter erklang im Zuschauerraum, als Amy in den offiziellen Fetischparty-U-Bahn-Zug eindringt, in dem sich lauter getürkte Lederboys und –girls vermeintlich abgründigen Genüssen hingeben. Da Amy selbstverständlich eine Puzzlebox findet und diese auch öffnet, bekommt sie schon bald Schwierigkeiten mit ihrer Realitätswahrnehmung. Das hätte funktionieren können, wenn die Macher des Werkes nur ein klein wenig Sorgfalt auf solche Dinge wie Glaubhaftigkeit oder Übersichtlichkeit gelegt hätten. Tatsächlich wirkt alles aber nur effekthascherisch und völlig humorlos. Der Bierernst des Filmes wurde von mir und Cora nach spätestens 30 Minuten nur noch mit dem Absingen von Karnevalsliedern quittiert („Da steht ein Pferd auf'm Flur...“), was einiges über die „furchterregenden“ Qualitäten des Filmes aussagt. Und dann taucht selbstverständlich auch noch Pinhead auf, der alte Pillemann, und er hat nur zwei seiner weniger aufwendigeren Spielkameraden mitgebracht. Der Doug Bradley schaut wirklich immer tuckiger aus, und was er hier mit volltönender Stimme zu sagen hat, ist so banane, daß es mich jetzt auch nicht mehr gestört hätte, wenn er zu singen und zu tanzen begonnen hätte... Nein, Freunde, der HELLRAISER-Zug ist ein Zug nach Nirgendwo, das ist vermutlich sicher. Teil 8 werde ich mir noch ansehen, aber diesmal erwarte ich wirklich nur noch eine Trashgranate. Wer sich liebgewonnene Erinnerungen an die ersten beiden Teile nicht verderben möchte, sollte vom Betrachten von HELLRAISER: DADA bzw. DÄDÄ wirklich Abstand nehmen.
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#274
Geschrieben 18. Dezember 2005, 00:35
Ich erinnere mich, mal einen Disco-Remix der John-Carpenter-Filmmusik gekauft zu haben, der groß und fett "John Carpenter's The End" betitelt war...
Die gegenwärtige Narretei, originelle Konzepte gegen stumpfen Remake-Wahn einzutauschen, will mir nicht so ganz einleuchten. Okay, wenn das Remake interessante Neuerungen zu bieten hat, die dem alten Grottenolm neues Leben einhauchen - fein. Ist aber fast niemals der Fall. Das Update besteht meistens in einer Konzentration auf modischen Tinnef, der das einstmals Bewährte einer neuen Generation von Kinokassen-Gebührenentrichtern andienen soll. Im Extremfall sieht das dann so aus wie in der komplett überflüssigen Neuverfilmung von PSYCHO, die Hitchcocks Original zwar nicht das Rampenlicht raubte, aber u.a. das Talent des begabten Gus van Sant verschwendete. Selbst so grundrenovierte Remakes wie das von Romeros DAWN OF THE DEAD vermochten mich nicht wirklich zu entzücken. (Siehe auch den entsprechenden Eintrag.)
Da ich John Carpenters ASSAULT - ANSCHLAG BEI NACHT (DAS ENDE) für den mit Abstand besten Film dieses Idols meiner Jugendtage halte, bin ich mit großen Vorbehalten an das Remake herangetreten. Der Anfang schien diese Vorbehalte auch zu rechtfertigen, besteht er doch aus einer hektischen und von gezielter politischer Unkorrektheit (so behandelt man doch keinen Hund!) gezeichneten Polizeiaktion, in der ein Undercover-Bulle einen fremdländischen Drogendealer hoppnehmen will. Eine falsche Entscheidung führt zum Tod eines Kollegen, was den Undercover-Mann, Sgt. Jake Roenick (Ethan Hawke), mit einem waschechten Trauma versieht. Monate darauf ist Roenick versoffen, desillusioniert und schiebt Bürodienst in einem dem Abriß geweihten Polizeirevier. In der Silvesternacht bereitet sich der eine Teil der Cops auf eine ruhige Kugel, der andere auf alkoholische Exzesse im Jahreswechseltaumel vor. Jake ist auch dabei und harrt der Dinge, die da kommen. Und, oh nein, es wird keine Nacht wie jede andere, denn aufgrund eines Unfalles werden verschiedene Strafgefangene, darunter der berüchtigte Killer Marion Bishop (Laurence Fishburne), im Revier 13 zwischenquartiert. Auch so könnte der Abend ruhig verlaufen, erschienen nicht auf einmal maskierte Angreifer, die Bishop offensichtlich aus seiner mißlichen Lage befreien wollen...
Und ab da rockt und rollt der Film massiv! Damit kein Mißverständnis auftritt - die Carpenter-Vorlage ist natürlich erhaben, und trotz des Plus an Gewalt und Lärm wirkt der neue Film harmlos, denkt man etwa an die Szene mit dem kleinen Mädchen und dem Eismann, die Carpenters Original mit unvergleichlicher Kälte versah. Jean-Francois Richets Herangehensweise ist eher actionzentriert und setzt auf Jux & Dollereien. Daß diese Rechnung aufgeht, liegt nicht nur am deutlich vorhandenen inszenatorischen Talent des Franzosen, sondern auch am sehr ordentlichen Drehbuch von James de Monaco, das es fertigbringt, seine Figuren glaubhaft und mitzitternswürdig zu zeichnen - ein Manko vieler anderer neuer Actionfilme. Daß aus der amorphen Bedrohung des Originals hier ein klar zielgerichtetes Unterfangen wird (bei dem auch viele böse Polizisten mitmischen, allen voran Gabriel Byrne), setzt ihn deutlich ab vom älteren Film, verhindert aber auch, daß man allzu pingelig vergleicht. Der Film funktioniert auch so ganz famos, und der Umstand, daß mit Leuten wie Hawke, Brian Dennehy und Byrne wirklich begabte Schauspieler zu Verfügung standen und nicht nur Nulpen von der Filmschule oder vom Laufsteg, trägt zum Gelingen bei. Habe mich ungemein gut unterhalten, und angesichts dieses ungewöhnlich gelungenen Remakes halte ich auch die Augen offen nach anderen Hollywood-Arbeiten von Richet.
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#275
Geschrieben 18. Dezember 2005, 01:25
Ein zutiefst eigenartiger und ungewöhnlicher Film, der wohl auch in seinem Ursprungsland - den USA - die "direct to video"-Route angetreten hat, und dies durchaus zu unrecht.
Es geht um eine junge Frau, Megan, die von ihrer Mutter in Kleine-Mädchen-Kostüme hineingesteckt wird, da jene nicht nur Kinderbücher schreibt, sondern schwer einen am Sender hat. Bei einem Besuch in einem Nachbarhaus trifft Megan einen jungen Mann, der zwar sofort verschwindet, sie aber schwer beeindruckt. Wie es scheint, ist das Gefühl durchaus gegenseitig, denn der junge Mann schreibt ihr Liebesbriefe, die zusehends konkreter werden. Mutter fängt die Briefe ab, und das ist kein Wunder, denn der junge Mann hegt nicht nur unkeusche Gefühle der Tochter gegenüber, sondern kann Mama nicht leiden. Gibt es Messer im Haus? Es gibt Messer im Haus, und die werden zweckentfremdet...
Ich weiß nicht, ob der aus der Ukraine stammende Regisseur mit dem wunderbaren Namen Boris Undorf sich mit SONATA einen Kindheitstraum verwirklicht hat, aber ich möchte es nicht hoffen. Zum Zeitpunkt der Dreharbeiten war Undorf noch Filmschüler in Kalifornien, und was er mit dem Film abgeliefert hat, ist ein ungemein bedrückendes und intelligentes Drama, das den Zuschauer mit einer jungen Frau konfrontiert, die von einer Geistesgestörten beherrscht wird. SONATA zieht seine Route absolut konsequent durch und verweigert von Anfang an konkrete Bezugnahmen auf Zeit und Ort, zu der/an dem sich die Geschichte abspielt. Aufgrund der zahlreichen Märchenbezüge könnte sich die Handlung ebensogut im heutigen Amerika zutragen wie einer fiktiven Scheinwelt. Megan ist von Anfang an als sonderbar ausgewiesen. Ihr Wirkungsraum beschränkt sich völlig auf das heimische Domizil. Wenn sie mal das Haus verlassen darf, so geschieht dies auf mütterliche Weisung. Die einzigen Begegnungen mit anderen Menschen, die sie hat, geschehen bei ihren Salonmusikvorstellungen, bei denen sie vor einer ausgewählten Freundesschar der Mutter Schumann und van Beethovens "Mondscheinsonate" spielen darf.
Wer Splatter und grobe Spannungstaktiken erwartet, ist bei SONATA komplett fehl am Platze. Wohl aber setzt es ein mit bescheidenen Mitteln, aber offenkundig vorhandenem inszenatorischem Geschick realisiertes Drama, das einfühlsamen Menschen ziemlich zusetzen wird. Die durchweg unbekannten Schauspieler machen ihre Sache ebenfalls gut. Kein Partyfilm, aber wer sich für solche morbiden Geschichten erwärmen kann, der liegt hier goldrichtig.
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#276
Geschrieben 18. Dezember 2005, 02:22
Wenn ich mir dieser Tage eine DVD kaufe, so handelt es sich in den meisten Fällen um Klassiker, die die digitale Veredelung erfahren haben. So kaufte ich mir gerade neulich den wirklich tollen STADT IN ANGST (BAD DAY AT BLACK ROCK), der nach wie vor zu den spannendsten Filmen zählt, die ich jemals gesehen habe...
Natürlich freute ich mich wie ein Schneekönig, als ich feststellen durfte, daß auch Robert Aldrichs wundervoller HUSH HUSH, SWEET CHARLOTTE den Weg auf den Silberling angetreten hat. Natürlich hätte ich es umso lobenswerter gefunden, wenn auch des Chefzynikers brillanter WHATEVER HAPPENED TO BABY JANE? mitveröffentlicht worden wäre, aber was nicht ist, kann ja noch werden... In BABY JANE leistete sich einer der kantigsten Hollywood-Stars der alten Schule, Bette Davis, eine unerbittliche Feldschlacht mit Joan Crawford. Daß die beiden sich auch im wirklichen Leben spinnefeind waren, arbeitet für den Film. Großes Kino. Die Davis - stets ein Stachel im Heimchen-am-Herd-Image weiblicher Hollywood-Damen - bewies großen Mut, sich als abgehalfterte und völlig verkarstete Horrorfrau darzustellen. Das war nicht nur angenehm, sondern manchmal schon schmerzhaft.
SWEET CHARLOTTE spinnt den Faden weiter und führt ihn von Hollywood in die Südstaaten: Als Tochter eines reichen Plantagenbesitzers (Victor Buono) will sie einen nahezu mittellosen Jungspund (Bruce Dern) heiraten. Vater sein dagegen sehr, und da auch der Bräutigam in spe einem Kuhhandel nicht abgeneigt ist, wartet auf Charlotte eine böse Überraschung. Bruce Dern muß seine Illoyalität am Kreuze bereuen und bekommt Hand und Kopf abgehackt. Zeitsprung.
Viele Jahre später ist Charlotte zu einer alten wirren Dame herangewittert, die nur noch zum Kinderschreck taugt. Auf ihren Geisteszustand gibt keiner mehr einen müden Penny. Das ändert sich auch nicht, als ihre Kusine Miriam (Olivia de Havilland) eintrudelt, um ihr bei der Verwaltung des Anwesens zur Hand zu gehen. Charlotte mißtraut Miriam, hatte sie doch eine äußerst undurchsichtige Rolle im Streit um den ehemaligen Galan. Wie passend ist es da, daß auf einmal grausige Dinge passieren: Abgetrennte Hände fallen Treppen herunter, Klavierspiel erschillt wie einst vom hehren Geliebten gedroschen, und kopflose Erscheinungen plagen das seelische Gerüst der maroden Hausdame. Was geht vor sich?
Robert Aldrich war niemals ein Regisseur der leisen Töne, aber, bei Gott, er verstand sein Handwerk! Das heruntergekommene Anwesen, in dem Charlotte umgeht - anders kann man das nicht mehr nennen - wird in ein stetes Spiel von Licht und Schatten getaucht, das jedem gotischen Grusler gut zu Gesichte stehen würde. Daß mit dem Mordfall, für den Charlotte von ihrer Umfeld verantwortlich gemacht wird, etwas gehörig im Unreinen liegt, ist dem Zuschauer von Anfang an klar. Trotzdem genießt man die Reise in die böse Vergangenheit, die der Film vollzieht. Denn natürlich wird hier - wie auch bei BABY JANE - mit Klischees gründlich aufgeräumt. Was die große Frau Davis hier vollzieht, ist eine schaurige Karikatur ihres Charakters aus JEZEBEL - die Südstaaten als Heimat finsterer Krankheiten. Was einstmals eine leidenschaftliche und anziehende Frau war, ist nunmehr eine umnachtete Vettel, die durch die heruntergekommenen Zeugen einstiger Größe schlurft. Besaß das alte Hollywood früher eine große Fertigkeit darin, die Makel vergangenen Sklavenhaltertums schönzuzeichnen, so gestattete sich das neue Hollywood den Luxus, in der gründlichen Zerlegung alter Euphemismen zu waten. Quillt das Kino der 70er Jahre über vor dämonischen Kleinstadtsheriffs und ähnlichen Spießern, die die rustikale Umgebung der einstmals blühenden Südstaaten in einen TOBACCO ROAD-Sumpf von Grenzdebilen und niedrigsten Instinkten gehorchenden Submongoloiden verwandelte, so zeichnet sich die Rache für die frühere Verklärung hier schon deutlich ab. Charlotte ist ein Schauerbild des alten Südens. In ihr stecken die großen Bälle, die süßen eleganten Südstaatenmamsells, die mit wallenden weißen Kleidern über Tanzflächen wogten, getragen von der virilen Kraft edler "cavaliers", die ein Rittertum andeuteten, wo vermutlich selten wahres Rittertum geherrscht hat. Clark Gable/Rhett Butler ist Moos bei Aldrich. Der neue Süden ist lügnerisch, betrügerisch und yankeemäßig profitorientiert. An Schmäh und zarter Pracht ist den Usurpatoren nicht gelegen. Stattdessen zählt der schnöde Materialismus. Charlotte wird im Grunde von allen ausgebeutet: von der Kusine, die sie niemals gemocht hat; vom Hausarzt, der seinen einstigen Idealismus in Alkohol ersäuft; von der Haushälterin, die nur ihren eigenen Gewinn im vermutlich ebenfalls Jack-Daniels-getränkten Kopf hat. Charlotte ist eine arme Irre, die einem verlorenen Ideal hinterherschlurft, das ebenso von der Realität überholt worden ist wie das Anwesen, das von Moos und dem Zahn der Zeit kompromittiert worden ist.
Aldrich serviert uns das mit dem Holzhammer, und Lob und Preis sei ihm dafür, denn der Film ist ein einziges Freudenfest! Während er in seinen später erfolgten Sektionen amerikanischer Befindlichkeit den schebbigen Charakteren eine ebenso schebbige Bildführung entgegensetzte (vgl. etwa THE GRISSOM GANG oder THE CHOIRBOYS), so läßt er seinen Stammkameramann Joseph Biroc hier sehr stilisierte Bilder entstehen, die viel vom vermeintlichen Glanz des früheren Südens in unsere desillusionierte Zeit hinüberretten. Traurig nur - alles fällt auseinander! Alles ist Lug und Trug und die Verachtung allen edlen Bestrebens. Was die Charlotte verhaßten Schmutzgazetten angeht, die den Mordfall von einst zu sensationalistischem Haifischfutter machen, so sind sie in ihrer Art vergleichsweise ehrlich und geradeheraus, wenn man das Gebahren der wirklich Bösen begreift. Bette Davis leistet Vorzügliches in diesem traumhaften Alptraumfilm. Ihre Partnerin Olivia de Havilland (die Schwester der gleichfalls schönen Joan Fontaine) hat sie dem Vernehmen nach nicht ganz so gehaßt wie Frau Crawford, aber das tut dem Film keinen Abbruch. Joseph Cotten als Arzt ist den ganzen Film über betrunken. Und die unvergleichliche Agnes Moorehead (THE MAGNIFICENT AMBERSONS, eine der anbetungswürdigsten Fraufrauen des Kinos!) gibt komplett Vollgas in ihrer Rolle als dragonerhafte Haushälterin, die sich trotz ihrer degenerierten Ideale einen Rest von Anstand bewahrt zu haben scheint.
Ein völlig großartiger Film, jetzt erhältlich in einer würdigen DVD-Version.
P.S.: Für die Südstaaten (von VOM WINDE VERWEHT bis MANDINGO) habe ich schon immer eine schwache Seite besessen. Tennessee Williams gehört zu meinen Lieblingsdramatikern. Ich habe deshalb einen Hausarbeitstext online gestellt, in dem ich zwei der bekannteren Werke Williams´ miteinander vergleiche. Findest Du hier.
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#277
Geschrieben 29. Dezember 2005, 20:42
Wie das halt so ist, wenn ein neuer Horrorfilm im DVD-Regal steht und wochenlang verliehen ist - schließlich bekommt man ihn doch, und in neun von zehn Fällen erwartet einen eine große Ernüchterung. Dies ist fraglos der Fall bei SEVEN MUMMIES, einem Western-Horror-Hybriden, der fünf entflohene Strafgefangene mit Geisel auf die Spur eines verfluchten Indianerschatzes hetzt. Das Alphamännchen der Gruppe ist ein blonder Hüne mit dem passenden Namen Matt Schulze, und ich habe ihn bisher nur als Unterbösewicht in einem der weniger fulminanten Steven-Seagal-Filmchen gesehen. In weiteren Nebenrollen glänzen Charaktergesichter wie Danny Trejo, Billy Drago und Martin Kove. Nach etwa 20 Minuten tapern die Knackis in eine Westernstadt, die mit Cowboys bevölkert ist, die alle schwer nach Bad Segeberg aussehen, und die Nutten im Saloon haben alle moderne Frisuren, Make-Ups und sogar aufgemoppelte Brüste! Da dem Regisseur so schöne Eigenschaften wie Stil oder Geschmack gänzlich abgehen, wird das Ganze auch noch mit dullem HipHop-Gerappe minderer Machart und dem üblichen Nu-Metal-Gekrache unterlegt. Wer wildes Geschnetzel sehen will, kriegt das gewohnte rasant geschnittene Geschaschlike, das mit allerhand Lärm unterlegt ist, so daß man trotz aufgespießter Augäpfel und abgebissener Ohren eher vom Getöse entnervt wird. Als dann nach einer Stunde auch noch die titelgebenden Mumien kamen und ihre Kickbox- und Aikido-Künste präsentierten, habe ich den Hochglanz-Müll abgeschaltet. Fazit: Braucht man nicht wirklich. Bruno Mattei hätte das besser hinbekommen. Selbst Empires GHOST TOWN ist da noch lohnender.
Gleich danach reingewirbelt, aber aufgrund von Zeitdruck nicht zu Ende gesichtet:
Curse of the Forty-Niner (DVD)
Ein paar Twens begeben sich in altes Schürfgebiet, um dort neben den zu erwartenden Campingfreuden noch etwas Gold zutage zu fördern. Leider treibt sich dort ein zombifizierter Original-Goldgräber mit kannibalischen Tendenzen herum, was sich abträglich auf das bunte Wochenende auswirkt. Dies ist mal einer jener Fälle, in denen ich mir ausdrücklich Splattereffekte gewünscht hätte, denn obwohl Regisseur John Carl Buechler von Haus aus Spezialeffektespezialist ist, bleibt der Film relativ zurückhaltend, wenn Black & Decker ihr grausames Strafgericht halten. Vielleicht geht der Film ja auch noch später richtig in die Vollen, aber bis ca. Minute 40 behält Luzie den Rock an. Eine Axt im Kopf macht noch keinen Zimmermann, aber wäre hier noch etwas losgebrezelt worden, hätte man es mit einem nostalgisch stimmenden 80er-Jahre-Slasher zu tun gehabt. Die Twens sind wie aus dem Quäle-Versandhauskatalog und schreien nach Verwurstung. Der Film ist recht temporeich und leistet sich einige akzeptable Späße. Das Entleihgeld gelohnt hat allein schon der Auftritt von Richard Lynch als Hinterwäldler, komplett mit Kinnbart, selbstgebranntem Fusel und Latzhose! John Philip Law taucht auf als gutgelaunter Sheriff, und auch die unvermeidliche Karen Black ist wieder mit dabei und wartet auf den neuen TAG DER HEUSCHRECKE... Fazit: Machte auf mich einen netten und ganz sympathischen Eindruck, aber neue Originalitätsdimensionen werden nicht erschlossen.
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#278
Geschrieben 01. Januar 2006, 16:31
Wenn man sich einen Film für den Silvesterabend aufhebt, um ihn in geselliger Runde zu kucken, so empfiehlt es sich für gewöhnlich, den Bergman und den Rossellini im Schrank zu lassen und zu cineastischem Knabberkram zu greifen. Wenn sich der ausgewählte Film dann als Gurke erweist, so kann das schon als schlechtes Vorzeichen für das kommende Jahr gewertet werden. Was aber macht man mit einem Film, der so kolossal danebengegangen ist, das man noch am Tag danach völlig fassungslos ist?
Sprechen wir von Tobe Hoopers jüngstem Streich, MORTUARY. Die Prämisse ist schon einmal toll: Eine kleine Familie (Mutter, Tochter, Sohn) bezieht ihr neues Eigenheim. Und was meint ihr, wo sie hinzieht? In ein ehemaliges und halb zerfallenes Leichenhaus, das inmitten einer Art von Müllkippe liegt, die dem Anwesen ein hübsches Tschernobyl-Ambiente verleiht. Sehr apart nimmt sich auch die übergelaufene Klärgrube aus. Als Makler fungiert ein heftig grimassierender Krüppel, der verkaufstechnisch geschickt darauf hinweist, daß Arbeiter wegen der freigesetzten Chemikalien derzeit leider nicht aushelfen können. Klingt irgendwie verlockend, gelle? Da möchte man doch sofort mit seiner Schrankwand einziehen... Muttchen (die aussieht wie eine Mischung aus Glenn Close und Ellen de Generes, also Typ Kampflesbe) soll sich dort als neue Leichenbestatterin betätigen, hat aber offensichtlich keine Ahnung von dem Gewerbe, da sie sich mit der Einbalsamierungsflüssigkeit anstellt wie Tante Trude im Maggi-Kochstudio. Dann tischt uns Hooper eine Reihe von Genreklischees auf, die nach Vorsatz riechen: Es gibt eine „niedliche“ kleine Tochter (Typ Carol Ann aus POLTERGEIST), die sich auch schon mal als Fee mit Zauberstab kostümiert. Es gibt einen leicht anämisch aussehenden Sohn, der heimlich Heavy-Metal hört und Zigaretten raucht. (Good God!) Dann sind da ein paar böse Grunge-Kids, die sich heillos betrinken und dann auf dem Friedhof Gräber entweihen. Und natürlich gibt es auch noch einen deformierten Mörder, der im Haus gelebt hat, bis er auf mysteriöse Weise von der Bildfläche verschwand. Cool.
Was seine Horroranteile angeht, so läßt sich MORTUARY extrem viel Zeit. So richtig geht die Luzie erst nach etwa einer Stunde ab. Dann aber so richtig: Ein merkwürdiges Geflecht, das wie eine Mischung aus Spinnenbeinen und falschen Bärten aussieht, wuchert auf einmal quer durch das Haus; Menschen werden von einer rätselhaften Krankheit befallen und kotzen einander schwarze Gülle ins Gesicht; und Leichen stehen auf und wandern durch die Gegend. Mutter verwandelt sich in ein besessenes Etwas, das die Kinder quer durch die Kemenade jagt. Erklärt wird von dem ganzen Spuk rein gar nichts. Das Finale ist ein besonderer Leckerbissen: Die nicht nicht infizierten Kinder werden mit einem Brunnen im Keller konfrontiert, der mit computergenerierten Darmzotten ausgestattet ist und von den Schurken mit einem andächtig gewisperten „Blutfest! Blutfest!“ gepriesen wird. Was dann passiert, weiß ich zum Glück nicht mehr, denn war mal kurz auf dem Klo. Leider bin ich noch vor dem Abspann zurückgekommen, und so weiß ich, daß es einen jener völlig sinnlosen Schlußschocks gibt, die selten funktionieren. Im Falle von MORTUARY bedeutete er das Tüpfelchen auf dem i. Man hat es mit einer gewissen Form von Vollkommenheit zu tun.
Ist Tobe Hooper der Helge Schneider des Horrorkinos? Steckt hinter der klischeegesäumten Wirrnis von MORTUARY ein subversiver Geist, der den Horrorfans durch eine ironische Konzeption den Schwachsinn aufzeigen will, der gegenwärtig im Genre grassiert? Ist Tobe Hooper suizidal? Bei THE TOOLBOX MURDERS dachte zumindest ich: Och, das ist ja ein durchaus spannendes Filmchen, da hat der Onkel Tobe ja mal wieder etwas richtig gemacht. Mein Problem ist nun, daß das Autorengespann von TOOLBOX MURDERS ebenfalls verantwortlich zeichnet für MORTUARY wie auch für den, sagen wir mal, suboptimalen CROCODILE. Kann es sein, daß MORTUARY einfach nur grausig mißlungen ist? Gegen die These spräche, daß die vorangegangenen Drehbücher von Anderson und Gierarsch im Rahmen des Genres durchaus funktionierten und nicht jene befremdliche Selbstvereitelung betrieben, die in MORTUARY so zelebriert wird. Es gab zentrale Figuren, mit denen der Zuschauer mitfiebern konnte, so er denn wollte. Es gab eine übersichtliche Storyentwicklung, die einen Spannungsaufbau ermöglichte. Bei MORTUARY stimmt hingegen gar nichts: In eine völlig unglaubwürdige Prämisse – ach was, unglaubwürdig: Das ist der andalusische Hund! – werden völlig beliebige Pappfiguren hineingesetzt, die eine Stunde lang völlig uninteressanten Tönjes reden. Die Horrorszenen sind kurz und eher verwirrend als schockierend. (Wird der grenzdebile Sheriff da von einem Yeti zur Seite gezogen, oder was soll das sein? Man kriegt das gar nicht richtig mit...) Charaktere werden einfach vergessen. (Was passiert z.B. mit der angegöbelten Imbißchefin?) Und das Miteinander von offensichtlich parodistisch gemeinten Ideen und eher generischen Horrorzutaten ist bestenfalls irritierend. Funktionieren tut der Schmarren keine Sekunde. Aber er beeindruckt. Die Musikauswahl beispielsweise kann nicht ernstgemeint sein. Als die mit irgendwas infizierten Grunge-Kiddies in den Imbiß wanken und herumgöbeln, hört man „lustige“ Musik, die aus elektronischem Gegluckse besteht. Eine Szenencollage, in der – wenn ich mich recht entsinne – Mutti gerade mit Einbalsamierungsbesteck herumkleckert und die Kinder im Nebenraum heimlich rauchen, wird mit unglaublich miesem Pseudo-Techno unterlegt. Was soll das?
Betrachtet man Tobe Hoopers Gesamtwerk, so befindet sich dieser Film qualitativ irgendwo zwischen LIVING NIGHTMARE (der uns Robert Englund als Marquis de Sade präsentierte) und THE MANGLER (in dem u.a. auf einem dämonischen Kühlschrank herumgekloppt wird). CROCODILE ist vergleichsweise gut! Keine Ahnung, wie man MORTUARY aufzufassen hat. Vielleicht handelt es sich um eine beabsichtigte Frechheit, in welchem Falle Hooper ein gewisser Respekt zu zollen wäre. Ich befürchte aber, daß MORTUARY einfach nur spektakulär danebengegangen ist. Dann wäre er einer der schlechtesten Horrorfilme, die ich jemals gesehen habe. Ein Film, bei dem rein gar nichts stimmt. Eine dumme Idee, miserabel ausgeführt. Helge Schneider oder Ed Wood – you decide!
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#279
Geschrieben 04. Januar 2006, 21:09
Groß war meine Überraschung, als ich bei der traditionellen Silvesterausleihe auf Wolfgang Bülds alten Dokumentarfilm PUNK IN LONDON stieß! In diesem werden Bestandteile der damaligen Musikszene unter die Lupe genommen, was sowohl echte Klassiker wie The Clash und The Adverts einschließt, aber auch kleinere Bands, die die Dreharbeiten vermutlich nicht allzu lange überlebt haben werden. Lange vor seinen schillernden Exkursionen in den Bereich der „Neuen Deutschen Welle“ (feat. Nena, Markus und ähnliche Knallschoten) hatte Büld hier Gelegenheit, sich mit einer echten Gegenkultur zu befassen, die im Schatten des Thatcher-Regimes ihre jugendliche Subversivität austobte. Sein Ansatz ist dabei im besten Wortsinne dokumentarisch: Er reiht Aufnahmen von Konzertauftritten und Interviews mit den Beteiligten aneinander, ohne die Bilder durch einen zusätzlichen Kommentar einzuordnen. Wer eine historische Aufarbeitung des Punk-Phänomens erwartet – die 1978 ohnehin etwas verfrüht gewesen wäre –, der wird mit Sicherheit nicht gut Knackens haben. Wohl aber offeriert der Film einen denkbar unverfälschten Blick in die sehr aufregende Subkultur jener Tage – eine Fahrt mit der Zeitmaschine. Was sich bereits Anfang des nächsten Jahrzehnts Punk nannte, hatte mit den gezeigten Verhältnissen kaum noch etwas zu tun. Politisierung und Kommerzialisierung bliesen dem relativ unschuldigen Geist der Anfangsjahre die Lichter raus. Wer sich für die Punkmusik dieser Frühphase interessiert, sollte unbedingt zugreifen, denn Musik gibt es satt. Und da ich nicht gerade ein Freund jener ARTE-spezifischen, mit wohlklingenden soziologischen Kommentaren und lyrischem Klabaster angereicherten Dokus bin (die mehr über ihre Macher verraten als über ihren Gegenstand!), gefiel mir gerade die nüchterne und „unbehauene“ Herangehensweise dieser Doku sehr exzellent. Ich meine sogar, daß es sich um eine der besten Dokus handelt, die ich zum Thema jemals gesehen habe.
P.S.: Die britische DVD, die ich mir entlieh, lief schlanke 84 Minuten. Ich mutmaße, daß die Fassung wohl etwas gekürzt gewesen sein muß, da sowohl die Boomtown Rats als auch The Jam durch Abwesenheit glänzten. Hmmh. Na ja, immerhin gab es noch je 20-minütige Konzertzugaben von The Clash und den Adverts. Unser Silvesterfest wurde durch den Film jedenfalls ziemlich bereichert!
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#280
Geschrieben 08. Januar 2006, 18:24
Taxifahrer Earl ist nicht gerade ein Gewinner im Spiel des Lebens. Wenn er nicht zwielichtige Gestalten herumkutschieren muß, wird er von den Schergen des Gangsterbosses Stephen (David Cronenberg) drangsaliert. Auch seine heimliche Angebetete Molly, die in einem Donut-Restaurant arbeitet, will von dem jungen Mann nichts wissen. Alles ändert sich aber, als Earl die Bekanntschaft von Boya macht. Was das abgerissene Aussehen des Fremden nicht gerade nahelegt: Boya ist ein jahrhundertealter Vampir, der wieder zum Leben erwacht ist und jetzt die Scherben seiner vorangegangenen Existenzen aufzukehren versucht. Da auf Earl die Bezeichnung „dumm, aber treu wie Gold“ zutrifft, zeigt er sich tolerant ob der blutsaugenden Tendenzen seines neuen Kumpels. Kompliziert wird der Fall aber, als sich Boya in Molly verkuckt...
Ich hatte von diesem bereits zehn Jahre alten Vampirfilm noch nie etwas gehört. Das Cover der just herausgekommenen DVD läßt eher jene Art von „Gruselspaß“ erwarten, die mir für gewöhnlich so auf die Nerven geht. Ausgeliehen habe ich mir det Dingen nur, weil es sich um eine kanadische Produktion handelte und Mr. Cronenberg mitspielt. BLOOD AND DONUTS erwies sich aber als überaus nette Überraschung, die einen der ungewöhnlichsten Vampire der Filmgeschichte aufweist: Boya wirkt bei seinen ersten Auftritten wie einer der weniger eindrucksvollen Vertreter des Lumpenproletariats. Seine Zottelperücke und sein bizarres Mienenspiel erinnern mehr an Helge Schneider als an die hehren Aristokraten traditioneller Vampirfilme. Mit ruckartigen Bewegungen schlurft er durch enge Seitengassen und gibt sich dem Spott der Umwelt preis. Je länger der Film andauert, desto sympathischer wird einem der Zottelphilipp allerdings, denn man spürt die Last der Jahrhunderte – das ewige Leben ist kein Zuckerschlecken. Die Menschen, die man lieb gewonnen hat, ständig zurücklassen zu müssen oder sterben zu sehen, ist keine wirkliche Freude. BLOOD AND DONUTS wirkt wie eine sehr preisgünstig hergestellte Independent-Produktion und sollte Fans moderner Materialschlachten à la KÖNIGIN DER VERDAMMTEN oder UNDERWORLD nachhaltig vergraulen. Der bizarre Humor – speziell der saftig überchargierende Kasper Earl – wirken zunächst befremdlich, aber sobald man gemerkt hat, daß man nicht zum Lachen gezwungen wird, kann man die grotesken Bestandteile des Filmes leicht verknusen. Der Schluß läßt einen dann sogar zum Taschentuch greifen. David Cronenberg wird in einer Szene am Ohr genuckelt. Frage mich, ob ihm das wohl gefallen hat. Die Musikuntermalung ist exzellent ausgewählt und enthält neben einem hübschen Gruftrock-Stück solche Standards wie Screaming Jay Hawkins´ „I Put A Spell On You“, sowie „Mr. Sandman“ und ähnliche freundliche Schluchzer von anno dunnemals. Die kanadische Regisseurin Holly Dale hat danach leider fast nur noch für das Fernsehen gearbeitet, mit einer Freundin aber eine Produktionsfirma aufgemacht. Kein Meisterwerk, aber ein ungewöhnlicher und sehr sympathischer Vampirfilm – für mich einer der bemerkenswertesten der neueren Zeit.
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#281
Geschrieben 08. Januar 2006, 19:11
Dieser Dokumentarfilm des gebürtigen Österreichers Hubert Sauper erzählt die Geschichte von Menschen, die am tansanischen Viktoriasee – dem zweitgrößten See der Erde – den sogenannten Nilbarsch aus den Fluten holen. Der Nilbarsch wurde vor etwa 40 Jahren im Rahmen eines wissenschaftlichen Experiments dort ausgesetzt, vermehrte sich rasend schnell und rottete nahezu alle anderen Fischarten des Sees aus. Die Lebensgrundlage der Eingeborenen wurde somit weitgehend getilgt. Anstatt sich nun aber am Nilbarsch gütlich zu tun, müssen sie die Fische filettieren und für den Export nach Europa vorbereiten, wo sie als Delikatesse in die Kühlregale wandern. Tja – bis hierhin keine wirklich weltbewegende Sache, möchte man meinen. Der Anfang des bewußt unspektakulär gestalteten Filmes läßt Fischer und ihre Frauen zu Wort kommen. Auch einige Leute der beteiligten Firmen erzählen. Etwas durchwachsener wird es, als klar wird, daß die Eingeborenen eine sehr eingeschränkte Berufswahl haben: Männer werden Fischer, ältere Frauen Fischsortierinnen, jüngere Frauen Huren für die zumeist russischen Flugzeugbesatzungen, die allesamt wie typische Söldnertypen wirken. Die Interviewer gehen dabei sehr behutsam vor und vermeiden zugespitzte Fragen. Stattdessen plaudern die Leute sehr alltägliche Geschichten aus, die sich dann allerdings zunehmend zu einem Bild zusammenfügen, das einem das Haar ergrauen läßt. Um doppelt zu verdienen, fliegen die Gesellschaften nämlich Waffen in die krisengeschüttelte Region. Die Waffen werden dann in Angola, Uganda oder wo auch immer vertickt, wo schwarze Menschen einander umlegen. Die Eingeborenen arbeiten wie die Bekloppten, verrecken dabei entweder an Hunger oder an AIDS und müssen zusehen, wie „ihr“ Fisch aus dem Land geflogen wird. Immerhin bekommen sie ja die Überreste: Tonnen und Abertonnen von Gräten mit „was dran“ (z.B. die leckeren Fischköpfe, komplett mit Maden und Dreck) werden von den älteren Frauen sortiert. Eine dieser Frauen erzählt uns ein wenig, u.a., wie nett das war, als ihr die Faulgase das Auge rausgeätzt haben. Dann muß sie schon aufhören zu reden, denn von außen wird Druck gemacht. Die kleinen Kinder prügeln sich um Essensreste, bekiffen sich mit verbranntem Industrieplastik oder schnüffeln Leim. Die hübschen Prostituierten erzählen leutselig von ihrem Geschäft, während sie sich zulaufen lassen. Ein wenig geweint wird dann auch, als bekannt wird, daß eine von ihnen gerade von einem australischen Kunden massakriert worden ist. Die Flieger sind ohnehin ganz große Klasse und zeigen Digitalfotos von ihrer Familie in Rußland, bestehen aber darauf, nicht über Politik sprechen zu müssen. Nur einer davon wird unter Alkoholeinfluß etwas zutraulicher und redet deprimiert von den Kindern und den Familien, die hier vor Hunger sterben. Gleichzeitig verrät er, daß er Waffen einfliegt. Ein schwarzer Wachtposten, der liebend gerne studieren oder wenigstens zum Militär gehen würde – da gibt es richtig Kohle – meint, es gäbe sehr viele Leute im Lande, die sich einen Krieg wünschen würden.
Und betrachtet man den Film, versteht man auch, warum. Es ist Hubert Sauper hoch anzurechnen, daß er seinen Film so unknallig gestaltet hat. Die Videobilder wirken fast so, als habe der Betrachter selbst mit der Urlaubskamera geschossen und dabei – wie zufällig – eine Wahrheit eingefangen, die gruseliger ist als jeder Horrorfilm. Sauper verzichtet auf einen polemisch zugespitzten Kommentar, geht somit eine gänzlich andere Route als etwa Michael Moore. Das Resultat saugt den Betrachter immer mehr in den Film hinein und läßt ihn teilhaben an einem Elend, das sich nicht so leicht abschütteln läßt wie die Hungerbäuche in UNICEF-Werbespots. Dabei drückt er überhaupt nicht auf die Tränendrüse, schildert die Zustände „dort unten“ sehr sachlich und glaubwürdig. Die Zusammenhänge – die menschenverachtende Ausbeutung der „Dritten Welt“, hallo WTO! – ergeben sich wie zufällig, werden aber niemanden verfehlen. Wenn ein EU-Kommissar zu Besuch kommt, den Fabrikbetreibern hervorragende Kompetenz zubilligt und sich für eine Festigung des Systems ausspricht, möchte man nach all den vorangegangenen Bildern am liebsten den Fernseher zertrümmern. Daß DARWINS ALPTRAUM hierzulande zwischen Schwarzenegger und Stallone in den Regalen liegt, empfinde ich als deutlichen Pluspunkt: Bestimmt wird es viele geben, die ihn aufgrund seines gelungenen Covers und knalligen Titels ausleihen und dann an etwas klebenbleiben, das sie sonst vielleicht niemals gesehen hätten. DARWINS ALPTRAUM dürfte selbst hartgesottene Zyniker nachhaltig verstören, denn es ist wirklich eine Sache, den Weltengang pessimistisch zu beäugen, aber eine ganz andere, sich das mal wirklich aus der Nähe anzuschauen. Der moralische Zeigefinger ist dem Film fremd – ein jeder ziehe seine eigenen Schlüsse. Ein ziemlicher Kracher, der Film.
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#282
Geschrieben 09. Januar 2006, 16:09
Hurra, dem Brian Yuzna ist wieder die Güllepumpe explodiert! Mittlerweile schäme ich mich fast dafür, BEYOND RE-ANIMATOR noch halbwegs freundlich besprochen zu haben...
Was erwartete ich? Böse Hunde, ein gotisches Gruselschloß, fiese Aristokraten. Nichts da: Im Jahre 2018 wird ein langhaariger Dressman namens Dante zusammen mit ein paar Freunden von der „Immigrationsbehörde“ Südspaniens hoppgenommen. Zwar gelingt dem jungen Mann die Flucht, aber er wird von einem Rottweiler-Biomechanoiden (oder was auch immer) durch Wald und Flur gehetzt. Und das, liebe Freunde und Nachbarn, ist der Film!
ROTZWEILER beginnt sehr schlecht, steigert sich im weiteren Verlauf zu einem „Naja, gerade mal so“, um dann zum Finale noch einmal richtig in die Tonne mit den Fischköpfen zu greifen. Deprimierend fand ich den Film insofern, als er den Eindruck erweckte, man hätte durchaus etwas daraus machen können. Die Story ist denkbar reduziert und beschränkt sich auf die Menschenjagd und die Suche nach der verlorenen Freundin Ulalume. (Ja, der Drehbuchautor mag Poe – schön für ihn!) Vielleicht war ja so etwas wie eine Allegorie oder Parabel geplant, aber herausgekommen ist dabei höchstens eine Spirale. Merke: Wenn man eine so simple Story erzählt, zahlt es sich niemals aus, sie mit unzähligen Flashbacks und irritierenden Einfällen „kunstvoller“ zu gestalten. Daß der Protagonist zum Beispiel über einen Zeitraum von etwa 20 Minuten nackt herumläuft, um dann von einer männerhassenden Bäuerin quasi vergewaltigt zu werden, ist zwar ungewöhnlich, hat aber mit der Handlung rein gar nichts zu tun. Da hätte man auch eine Tanzszene einbauen können oder z.B. eine Eisrevue. Als dann auch noch Dantes verstorbener Freund als Geist auftaucht und ihm von seiner verschollenen Beatrice berichtet („Sie rollt durch einen Äther von Seufzern!“), wird der Streifen endgültig zur Hanswurstiade. Die einzigen Szenen, die ein wenig Spannung erzeugen, sind die mit viel Lärm und Effektgewurschtel arrangierten Auftritte des titelgebenden Tieres, das aber meistens von einem wenig überzeugenden Puppenhund mit Metallzähnen und blauen Leuchteäuglein ersetzt wird. Trotz allen Kraches und viel Blutgespritzes fand ich den Film zum Auslaufen öde.
Positiv zu vermerken ist die sehr schöne spanische Landschaft, die dem Film deutlich zugute kommt. Auch sehr nett der Gastauftritt von Paul Naschy, der den faschistischen Chefbösewicht spielt. Davon abgesehen ging mir ROTZWALDI mächtig am Po vorbei. Nee, das war nix...
P.S.: Skorpionfans werden am Schluß ihren Spaß haben!
P.P.S.: Achtet auf die Szene mit dem entsetzten Hahn!
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#283
Geschrieben 16. Januar 2006, 17:05
Ende des 16. Jahrhunderts: Die beiden Brüder Genjuro und Tobe fristen mit ihren Frauen Miyagi und Ohama eine kärgliche Existenz auf dem Lande. Da ihre Region gerade von Kriegswirren heimgesucht wird, hofft zumindest der geschäftstüchtige Genjuro, aus der Not eine Tugend zu machen und verkauft seine Töpferwaren auf dem Markt in der Stadt. Tobe hingegen wird von dem Wunsch getrieben, ein echter Samurai zu werden. Bei der Verfolgung ihrer Wünsche nach sozialem Aufstieg vernachlässigen die beiden aber ihre Familien, und so nimmt die Tragödie ihren Lauf...
Auf der Grundlage von Geschichten des Autors Akinari Ueda erzählt Mizoguchi die Geschichte zweier Männer, deren Ehrgeiz, aus der eigenen gesellschaftlichen Klasse auszubrechen, zu einer Tragödie führt. Während Genjuros Leben aus harter Arbeit besteht, in dem seiner Frau die sehr nüchterne Rolle der Kumpanin, Mutter des gemeinsamen Kindes und Arbeitskollegin zukommt, ist Tobe ein Hanswurst, der sich mit seinem vergeblichen Wunsch, Anerkennung zu erlangen, zum Gespött der Leute macht. Als die Wünsche der Männer in Erfüllung zu gehen scheinen, werden ihre Begleiterinnen durch das harte Leben einfach fallengelassen. Das ersehnte mondäne Dasein erweist sich als nicht aufrechterhaltbar, da das Fundament verrottet ist. Kenji Mizoguchi (der aus ärmsten Verhältnissen stammt und u.a. die Prostitutisierung seiner eigenen Schwester miterleben mußte) beschäftigte sich in vielen seiner Filme mit der wenig dankbaren Rolle der Frau in der japanischen Gesellschaft. UGETSU MONOGATARI bindet diese Kritik (die Mizoguchi in späteren Filmen auch in die Gegenwart verlagerte - hat sich nicht viel geändert!) in eine Geistergeschichte ein, die nicht viel mit entsprechenden Stories westlicher Prägung zu tun hat. Zwar sind die Gespenster, die Genjuro schließlich erscheinen, unleugbar das Resultat einer schuldigen Vergangenheit, aber sie werden nicht als Schreckgestalten verwendet, sondern wirken wie eine Weiterführung des einstigen Lebens mit all seinen Sorgen und Nöten. Die geisterhafte Lady Wakasa etwa ist nur ein weiteres Opfer männlicher Willkür, dem sein einziger Wunsch - einmal Liebe erleben zu dürfen - letztlich verwehrt bleibt. Auch die zweite Erscheinung des Filmes ist kein rachedürstiger Dämon, sondern will letztlich nur sehen, wie die Schäden von einst repariert werden. Insofern erwarte man bei diesem Klassiker keinen Gruselfilm, sondern eher ein aufrüttelndes Sozialdrama mit Geistern. Formal ist Mizoguchis Film sehr zurückhaltend, verwendet viele Totalen und bindet seine Figuren untrennbar an ihr jeweiliges Umfeld. Das persönliche Drama ist eben nur Bestandteil eines großen und höchst unsentimentalen Gesamtbildes, das seine Wurzeln sicherlich in der herben Jugend des Filmemachers hat. Ein sehr schöner und bewegender Film.
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#284
Geschrieben 25. Januar 2006, 14:43
Über mich und die Züge haben sich keine Feen gebeugt. Warum das so ist, kann ich nicht sagen. Möglicherweise war da ein Schockerlebnis zuviel im Hinblick auf mißliebige Mitreisende, seien es nun gröhlende Bundeswehrangehörige oder Omas mit übersteigertem Mitteilungsbedürfnis. Eine Argumentationshilfe bietet hier der amerikanische Film THE INCIDENT von 1967, der zwar eher den Nahverkehr im Auge hat, aber bleibenden Eindruck hinterläßt.
Inhaltlich bietet der Film eine eigentümliche Mischung aus ASSAULT ON PRECINCT 13 und LAST HOUSE ON THE LEFT. Ein bunt gemischtes Grüppchen von Reisewilligen findet sich ein in einem New Yorker U-Bahn-Zug. Wen haben wir anzubieten? Da wäre zum einen ein vergnatzter Pappich, der Ärger mit seinem Sohn hat und deswegen seiner resigniert zuhörenden Gattin unentwegt Tiraden über die „Jugend von heute“ zukommen läßt. Es gibt einen Halbstarken, der seine prüde Klassensprecher-Freundin herumzukriegen versucht. Ein zorniger Schwarzer ist dabei, der die Diskriminierung satt hat, sich aber nicht ganz zum bewaffneten Widerstand durchringen kann. Ein kleiner schüchterner Angestellter versucht, seine Schickimicki-Trulla von Gattin bei der Stange zu halten. Ein frustrierter Homosexueller, der gerade einen Geschäftsmann angebaggert hat, ist auch dabei. Das Bild wird abgerundet von zwei Soldaten auf Heimaturlaub. Und ein Betrunkener döst bewußtlos vor sich hin. In diesen repräsentativen Querschnitt des neuen Amerika platzen nun zwei Nachtschwärmer (Tony Musante und Martin Sheen), die Bock auf Pussy und/oder Gewalt haben. Beide führen sich auf wie komplett Geisteskranke. Und während die Zugpassagiere dem Treiben zu Anfang noch amüsiert bis verärgert zuschauen, so wachsen sich ihre Gefühle bald zu nackter Angst aus. Der Terror regiert...
THE INCIDENT wurde vom Kameramann Gerald Hirschfeld in kaltem Schwarzweiß gefilmt, was die Stadt New York in den Außenaufnahmen wie einen mythischen Dschungel aus Hell und Dunkel erscheinen läßt – Noir York, sozusagen. Bei den Innenaufnahmen hingegen herrschen harte Kontraste vor, die den erzählten Geschichten einen dokumentarischen Anstrich verleihen, der in einem Farbfilm nie möglich gewesen wäre. Auch wenn sich die Stories auf dem Papier eher wie das später oft erprobte AIRPORT-Klischee ausnehmen, so funktionieren sie unter den von Regisseur Larry Peerce geschaffenen Umständen ganz anders: Man ist geneigt, die Charaktere trotz ihrer sehr alltäglichen Sorgen ernstzunehmen, denn es handelt sich um dieselben Neurosenbündel, die man in jeder Gruppe von mehr als zehn Menschen unschwer herausfinden kann. Die meisten Figuren haben sich ihre kleine Scheinwirklichkeit aufgebaut, deren Solidität eine trügerische ist, denn viele kleine Lügen sind der Leim, der das Gefüge mehr schlecht als recht zusammenhält. Der Sturm, der die wackelige Fassade so richtig zum Wanken bringt, wird repräsentiert von den beiden „bösen Kindern“, die in die kleine Welt hineinbrechen und Gas geben bis zum Exodus: Musante und Sheen drücken beide drauf, als gäbe es kein Morgen. Und tatsächlich: Was das Schreien, Johlen und Glucksen andeutet, ist das völlige Aufgehen im Hier und Jetzt, was die beiden Bösewichte trotz aller abstoßenden Eigenschaften als zutiefst ehrlich erscheinen läßt. Beide (Soziopath Musante und sein Mitläufer Sheen) sind Instinktwesen, die einfach nur das tun, was ihre Natur ihnen vorgibt. Das ist weit mehr, als alle anderen Mitreisenden von sich behaupten können, die alle feige und stumm vor sich hinbrummeln und das Störende ertragen, sich aber nicht zum offenen Widerstand aufraffen können. Im Extremfall sieht das so aus wie bei dem Schwarzen (Brock Peters), der sich vorher bereits mit einem latent rassistischen Bahnbeamten angelegt hatte. Als die beiden Rowdies gerade richtig am „Spielen“ sind, bekundet er ihnen seine Solidarität. Tja, da ist er bei Musante aber an der ganz falschen Adresse, denn der sagt ihm mit jenem feisten Grinsen, das nur Musante hinkriegt, daß er keine Nigger möge, denn die stinken so. Am Schluß hat man einen weinenden Schwarzen und eine fehlgeschlagene Revolte. Wenn dann am Schluß der kollektive Bernhard Goetz (=der große U-Bahn-Vigilant aus den 80ern, ein „true American hero“, johoho!) aus den Schlaffis herausbricht, hat das nichts Heroisches, sondern wird von der Regie ironisch kommentiert.
Ein echter Wahnsinn, daß solche Filme einst von großen Hollywood-Studios produziert wurden! (Wobei ich nicht weiß, ob es sich nicht eventuell um eine unabhängige Produktion handelt, die dann von einem „Major“ vertrieben wurde...) Regisseur Larry Peerce brachte später noch den vielbeachteten GOODBYE COLUMBUS, bekam danach aber nur noch Ramschangebote (z.B. den unsäglichen Rick-Springfield-Film HARD TO HOLD – korrekter Titel!) und arbeitete fast ausschließlich für das Fernsehen. Mit THE INCIDENT ist ihm eine der spannendsten und härtesten Abrechnungen mit der amerikanischen Wirklichkeit gelungen, die in den 60ern produziert wurde. Ein echter Geheimtip, ein echter Kracher!
P.S.: Da dem Filmteam die Dreherlaubnis an Originalschauplätzen versagt wurde, handelt es sich bei dem U-Bahn-Waggon, in dem sich der Großteil des Filmes abspielt, um einen Nachbau. Die Außenaufnahmen wurden von Desperado Hirschfeld mit versteckter Kamera hergestellt!
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#285
Geschrieben 25. Januar 2006, 15:28
Und hier eine weitere erfreuliche Überraschung aus dem zur Zeit nicht übermäßig inspirierenden Angebot an DVD-Neuveröffentlichungen: THE DARK HOURS handelt von einer kanadischen Ärztin namens Samantha, die sich um die Heilung von Geisteskranken kümmern soll. Tatsächlich hat sie selber beträchtliche gesundheitliche Probleme, da sie an einer sehr seltenen Form von Gehirntumor leidet, deren Behandlung sich noch im Teststadium befindet. Um sich von ihren Sorgen abzulenken, besucht sie ihren schriftstellernden Lebenspartner David (Gordon Currie, der Vampir aus BLOOD & DONUTS), der sich in eine verschneite Hütte zurückgezogen hat. Auch Samanthas jüngere Schwester Melody befindet sich dort. Die Drei könnten eine wunderschöne Zeit verbringen, bekämen sie nicht unverhofften Besuch von einem jungen Mann mit langer Nase, der sich in der Gegend verirrt hat. Sie bieten ihm an, sich am Kamin aufzuwärmen, was sich allerdings als Fehler herausstellt, denn der junge Mann zückt auf einmal eine Pistole und erschießt den Hund des Hauses. Daß das einen kleinen Schatten auf den Abend wirft, versteht sich von selbst. Der Schatten wird aber zu einer Gewitterwolke, als sich ein älterer Mann namens Harlan hinzugesellt, denn Samantha kennt Harlan aus der Therapie: ein geisteskranker Vergewaltiger mit sadistischen Tendenzen. Und Harlan hat seinen Spielekoffer mitgebracht...
THE DARK HOURS gehört zu jenen relativ bescheidenen Produktionen, bei denen man erst einmal etwas lustlos hinkuckt und mit einem gepflegten „Na und?“ reagiert. Wenig hilfreich im Ringen des Filmes um Anerkennung ist auch der Umstand, daß Protagonistin Samantha trotz ihrer Krankheit im Grunde eine höchst unsympathische Schraube ist. Der bereits angekündigte Hunde-Schock führt dann aber dazu, daß der Film auf einmal die ungeteilte Aufmerksamkeit des Zuschauers besitzt. Die „Spiele“, die Harlan dann mit seinen unfreiwilligen Gastgebern aufführt, sind unerquicklich und würden den Film, für sich gesehen, auch nur als weiteren LAST HOUSE ON THE LEFT-Ableger erscheinen lassen. Tatsächlich läuft dann aber alles in eine ganz andere Richtung, die vieles von dem, was im ersten Teil des Filmes passiert ist, in einem gänzlich anderen Licht erscheinen läßt. Der Schluß ist dann ein ziemlicher Stimmungsdämpfer und gehört in die Kategorie: „Was, der Film ist ab 16 freigegeben? Johoho...“ Mit seinen gerade einmal 75 Minuten plus Abspann ist THE DARK HOURS ein sehr kompakter, intensiver und spannender Psychothriller geworden, dessen kanadische Herkunft vielleicht an seiner konsequenten Auflösung (Finger!) schuld sein mag. Er ist aber vor allen Dingen intelligent konstruiert und lohnt das Zuschauen. Als wir den Film fertiggekuckt hatten und auf TV umschalteten, lief da gerade FUNNY GAMES – Prost Mahlzeit!
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#286
Geschrieben 08. Februar 2006, 20:20
Wish You Were Here (2005) (DVD)
Der junge David hat gerade seinen Job verloren und besucht mit seiner Verlobten Georgie seinen leiblichen Vater, den er seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hat. Jener war einst Preisboxer, lebt jetzt in Spanien und ist in zwielichtige Geschäfte verstrickt. Als David mit seiner Süßen eine Nacht durchtanzen möchte, ist sie am nächsten Morgen verschwunden. Niemand will etwas von ihr gesehen haben. David kommt das spanisch vor, und er stellt seine eigenen Nachforschungen an... Tja, achselzuck, gähn. Von Minute 1 an zeigt der Regisseur, was er nicht kann – eine fesselnde Geschichte erzählen. Stattdessen gibt er den Prahlhans und läßt die Kamera kreiseln, kurbeln und juckeln, was einem die Protagonisten nicht näher bringt. Das führt schon bald zu einer gewissen Ermüdung beim Zuschauer, denn wenn selbst das kleinste Nasebohren bereits überinszeniert wird, fällt es schwer, Interesse für die Nöte der Hauptfigur aufzubringen. (Ganz zu schweigen vom Vater-/Sohn-Konflikt, der auch noch aufgekellt wird.) Nach etwa der Hälfte wird der Film dann endgültig zu Quatsch mit Soße, wenn auf einmal ein geisteskranker Russe eingeführt wird, der sich für einen Araber hält und auf seiner Luxusjacht hübsche Mädchen mit Drogen zu Lustsklavinnen abrichtet. So schwer es fällt, nachzuvollziehen, wie ein laues Milchgesicht wie David eine Befreiungsaktion durchführen will, so wenig interessiert das folgende Gepolter. Wäre er von Michael Dudikoff gespielt worden, hätte det Janze noch einen gewissen Trash-Charme gehabt, aber der Film versteht sich als ernsthafter Thriller und fällt damit volle Kanne auf die Nase. Murks.
Freeze Frame (DVD)
Noch ein Debütfilm, und ein deutlich besserer, wenngleich leider in letzter Instanz unbefriedigend. Sean Veil (Lee Evans) ist vor etwa 10 Jahren Hauptverdächtiger bei einer Mordserie gewesen. Sein Leben wurde durch die Berichterstattung der Medien völlig zerstört. In der Folge hat er sich zu einem paranoiden Klapsmühlenkandidaten entwickelt, der sein ganzes Leben (falls man das so nennen kann) katalogisiert und jede Minute seines irdischen Wirkens auf Video festhält – nie wieder soll ihm jemand etwas unterstellen können. Doch jedes System hat seine Fehler... Ein visuell bemerkenswert konsequent gestalteter Schwarzweißfilm, der zu Anfang fast den Eindruck eines neuen ERASERHEAD macht. Sehr viel abgespaltener vom normalen Gefühlsleben kann eine Figur kaum sein wie der Protagonist von FREEZE FRAME, der zudem sehr achtbar gespielt wird von Lee Evans. Evans kennen manche vielleicht noch aus der hervorragenden Tragikomödie FUNNY BONES, in der er den eigenwilligen Stand-Up-Komiker spielt, dessen Karriere von einem Unglücksfall entscheidend geprägt wurde. In Großbritannien ist er als Komödiant sogar eine richtig große Nummer. Hier hatte er halt mal Gelegenheit, eine durch und durch ernsthafte Rolle zu spielen, und er macht das sehr gekonnt. Das Problem, das ich mit FREEZE FRAME hatte, war, daß er seine Nummer nicht bis zum Ende hin durchzieht. Stattdessen verwandelt er sich von einem Film über Paranoia im modernen Großbritannien zu einem grotesk angehauchten Thriller, bei dessen finalen Entwicklungen zumindest in meinem Bekanntenkreis recht unbarmherzig gelacht wurde. Ich bin mir noch nicht vollständig im Klaren darüber, ob ich den Film einfach grob mißverstanden habe. Sicher ist, daß man keinen lupenreinen Thriller erwarten sollte, und wenn ja, dann empfiehlt es sich, einiges an Sympathie für artifizielle Plots aufzubringen. Bei mir wich die anfängliche Begeisterung auf jeden Fall einer ziemlichen Ernüchterung, da der Schlußteil den Kredit weitgehend verspielte, den der Anfang aufgebaut hatte. Aber, wie schon gesagt: Hier bin ich geneigt anzunehmen, daß andere Betrachter das anders sehen könnten. Hübsch anzukucken isser jedenfalls.
Traumata (DVD)
Von Marc Evans hatte ich vorher den Big-Brother-Thriller MY LITTLE EYE (UNSICHTBARE AUGEN) gesehen, der trotz wenig appetitlicher Charaktere und einiges internetten Mumpitzes gegen Ende hin beeindruckend unangenehm wurde. Zudem waren in jenem Film die formalen Anstrengungen durchaus gedeckt von der Story, die von der Entfremdung der Menschen von ihrer Natur im Zeitalter der Webcams und des anderen Internet-Schnokes handelte. Bei TRAUMATA wird die Geschichte eines jungen Künstlers namens Ben erzählt, der seine Frau Elisa bei einem Autounfall verloren hat. Aufgrund von Schuldgefühlen kann er ihren Tod nicht verwinden und vergräbt sich in seiner Wohnung. Auf rätselhafte Weise scheint seine Vergangenheit aber mit dem Mord an einem Popstar zusammenzuhängen, über den London sich derzeit den Kopf zerbricht... Gut und schön, aber leider auch sehr schwergängig. Hauptdarsteller Colin Firth leistet durchaus gute Arbeit und macht die Abkapselung seines Charakters nachvollziehbar. Leider wirkt er nicht sonderlich sympathisch dabei. Ich weiß ja nicht, wie Euch das geht, aber es bereitet mir immer eine gewisse Schwierigkeit, Leuten minutiös beim Leiden zuzusehen. Irgendwann möchte ich da immer mit der Faust auf den Tisch hauen und sagen: „Jetzt komm´ mal wieder in die Puschen, Alter!“ Ben kommt nicht in die Puschen, und wenn man zum hundertsten Mal die Ameisen gesehen hat, die er in seiner Wohnung züchtet, dann überkommt einen eine gewisse Sehnsucht nach Polanski und dem vergammelnden Hasen... Es ist bald klar, daß Ben nicht wirklich gesund ist. Wie alles zusammenhängt, ist dann letztendlich noch ein bißchen komplizierter als zunächst vermutet, aber ich kann nicht sagen, daß ich mich bei dem Weg zur Auflösung gut unterhalten hätte. Unterm Strich keine komplette Arschbombe wie WISH YOU WERE HERE, aber mit Sicherheit auch kein Juwel, nach dem man übermäßig Ausschau halten müßte.
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#287
Geschrieben 09. Februar 2006, 03:00
Eigenartiger Film, den ich zunächst als total ekelhaft und mißlungen in die Tonne kippen wollte.
Internet-Cop Michael Carter befaßt sich mit der Dingfestmachung von perversen Geschäftemachern, die auf sehr eindeutigen Websites exotische Lustbarkeiten verkaufen. Einer dieser Finsterlinge, Philip, verdingt sich mit der Mästung wohlgerundeter Frauen, die er vollstopft bis zum Anschlag. Obwohl ihm seine geringe Erfolgsquote die Gefolgschaft seines Vorgesetzten versagt, hängt sich Carter an die Spur des ruchlosen Soziopathen, welche nach Ohio führt. Und wie auch die Opfer beißt er mehr ab, als er schlucken kann...
Regisseur Brett Leonard begann seine Karriere als Schöpfer des mäßig interessanten Splatter-Horrors THE DEAD PIT. Mit der weithin gescholtenen Stephen-King-Bearbeitung THE LAWNMOWER MAN errang er keine Meriten. Was von seinem Thriller HIDEAWAY (mit Jeff Goldblum) zu halten ist, weiß ich nicht, aber das Drehbuch stammt von Andrew Kevin SEVEN, 8MM Walker. In FEED widmet er sich dem Feeder-Fetisch. Einige Menschen empfinden wohl eine sexuelle Befriedigung bei der Entschlankung von Frauen, die im Idealfall zur totalen Unbeweglichkeit und Abhängigkeit der Objekte führt. Das macht Feeder zu einer seltenen Spielart des Sadomaso-Gewerbes. Erster Eindruck des Filmes: Hier wird Schindluder mit diesem dankbaren Thema getrieben. In sehr greller Form wird eine typische Cop-Geschichte etabliert, die bereits im Prolog das erste Aufstoßen bereitet: Der Fall des Kannibalen von Rotenburg wird aufgegriffen und hollywoodgemäß verwurstet. („Ah, nein, ich will gegessen werden!“) Das angebliche Hamburg des Filmes – wo sich der Fall zuträgt - ist erschütternd, und der unmittelbar nachfolgende Gebrauch des Bubble-Gum-Klassikers „Yummy Yummy Yummy, I got love in my tummy“ bringt den Bauch zum Gulpen. In perfekter John-Waters-Kitschumgebung wird eine offensichtlich an Elefantiasis leidende Amerikanerin von einem mit sehr geschmacklosen Tattoos ausgestatteten Blondschopf bezirzt und gemästet. Zwischengeschnitten sind völlig wohlfeile Sexszenen des Cops mit seiner leicht anorektischen Bumsschnepfe. „Füttere mich!“ meint audreyesk das wabbelige Fettpolster in Menschengestalt. Nahrung wird per Trichter in die Dame reingestopft, und glibberig quillt's aus dem Maul. Ich dachte, ich muß mich übergeben. Frühe Szenen rücken die Devianz des Feederisms in die Nähe der Pädophilie. Es scheint, daß der Schurke Frauen systematisch zu Tode mästet. Auch Wetten werden internett abgeschlossen, wann der Fettwanst krepiert. Eine sehr wohlfeile Mutterfixierung wird als Motivation für den mörderischen Hajupei angeboten.
Um es kurz zu machen: Den unappetitlichen Beigeschmack wird der Film nicht mehr los. Es gibt einige relativierende Szenen, in denen klargestellt wird, daß der Held des Filmes kein solcher ist, sondern eigene Skelette im Keller hat. Was ich bedauerlich finde, ist, daß der Film kaum eine Anstrengung macht, die faszinierenden Dimensionen des Themas auszukundschaften und Verständnis für die Krankheit des „Bösewichts“ zu erzeugen. Seit Norman Bates müssen ja viele Mamatraumata herhalten für mörderische Irrwege, aber hier wäre es doch mal ganz interessant gewesen, den Ursachen für solch eine Entwicklung nachzuspüren. Das Fettsein der armen Deirdre (300 Kilo!) wird hier ganz in den Freakshow-Sektor verbannt, und auch, als ihre Bindung an ihren Mäster etwas näher beleuchtet wird, erscheint sie mehr als unzurechnungsfähiges Individuum, dem man kein wirkliches Mitleid schenken mag. Finde ich schade. Ich halte solche Störungen des Sexus für merkwürdig, aber nicht für pervers. Der Film betont die kommerzielle Auswertung solcher Neurosen und schildert eine eindeutig soziopathische Extremform, die aus dem Leid von Menschen Kapital zu schlagen versucht. Es scheint mir trotzdem so, daß Homosexualität, Zoophilie und Pädophilie hier auf einer sehr ähnlichen Ebene abgehandelt werden. Anderssein ist eklig, ob nun Wehrlose mißbraucht werden oder nicht. Das hat mir den Film etwas vergrellt. Schade eigentlich, denn der Schluß ist trotz seiner Künstlichkeit durchaus reflektiv und bricht mit den gewohnten Klischees. Daß mich die Extras der DVD dann darüber aufgeklärt haben, daß die hervorragenden Maskenbildner die Elefantiasis der (gesund moppeligen) Darstellerin nur gefaked haben, hat mich schon sehr beruhigt. Trotzdem rate ich empfindsamen Zuschauern nachdrücklich vom Betrachten des Filmes ab. Das ist harte Kost! Und um Himmels Willen sollte eine Sahnetorte im Beiprogramm gemieden werden – als Lohn wönke der Raum mit der Doppelnull.
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#288
Geschrieben 09. Februar 2006, 03:40
Als alter John-Waters-Fan habe ich mich immer gefragt, wie das realexistierende Baltimore wohl beschaffen sein mag. Ich stelle es mir so ähnlich vor wie die Heimat der Waltons: Nette Menschen in netter Umgebung tun nette Dinge. Hochwohllöblich, der ganze Kasten. In A DIRTY SHAME sieht Baltimore auch genauso aus. Zumindest bis zu jenem Zeitpunkt, als der Sexwahnsinn Besitz ergreift von der Gemeinde! Als frommes Beispiel wird die jedem frivolen Leichtsinn abholde Sylvia Stickles (Tracey Ullman) eingeführt, die ein leicht überschaubares und von hohen moralischen Werten geprägtes Dasein führt. Ihre Tochter (Selma Blair) hat sich zwar die Brüste auf gargantuanische Riesenmaße vergrößern lassen und ist als Sexstar „Ursula Udder“ in aller Munde, aber davon abgesehen geht alles seinen rechten konservativen Gang. Zumindest, bis Sylvia fast von Ray Ray über den Haufen gefahren wird. Ray Ray läßt sich gerade einen blasen und ist somit rechterdings abgelenkt, aber die Gehirnerschütterung, die Sylvia davonträgt, kommt einer Marienerscheinung gleich und befördert sie in den Olymp des Sexes. Das wird den ehrbaren Mitgliedern der Gemeinde spätestens dann klar, als sie im Altersheim eine Flasche Mineralwasser mit ihrer Mumu aufhebt! Und das ist nur der Anfang – wütende Entartungen verwüsten das traute Baltimore und kehren das Innerste nach außen...
Sehr lustiger Film! Zu Anfang war ich etwas verdutzt und sogar eingeschüchtert, da mir A DIRTY SHAME wie eine Sammlung von Zoten erschien, doch als ich das Programm erfaßt hatte, johlte ich nur noch: „Recht so!“ John Waters ist der Mann, der geschlechtlichen Verkehr mit Hühnern und sogar den Verzehr von Exkrementen niedlich erscheinen lassen kann. In seinem vielleicht derbsten Mainstream-Film gibt er dem Affen Zucker und läßt die scheinmoralische Wirklichkeit bluten, bis der Arzt kommt. Der rätselhafte Zirkel der Sexbesessenen verkörpert so ziemlich jede legale und verfemte Spielart der Sexualität, vom Infantilismus (von Polizisten, höhö!) bis zum lustvollen Penetrieren von Astlöchern. Die entfesselte Libido steht dabei der aus früheren John-Waters-Filmen gewohnten moralischen Mehrheit entgegen, die – ähnlich wie die Freigeister – saftig karikiert wird. Man mag nun darüber streiten, wem Herrn Waters´ Sympathie gehört. Ich persönlich vermute mal schwer, daß sie irgendwo zwischen den Extremen zu finden ist. Wenn bei ihm selbst die Büsche am Wegesrand vom Sextaumel gepackt werden und erigieren, so ist das keine Sekunde anstößig, sondern nur noch nett. Besonders herzig fand ich das „Bärenhaus“, in dem eine Familie von moppeligen und behaarten Homosexuellen untergebracht war, die alle schelmisch knurren. Natürlich findet man so manchen gewohnten Veteran wieder, wie z.B. Mink Stole, Patricia Hearst und Mary Vivian Pearce. Tracey Ullman gibt (unter denkbar ungewöhnlichen Umständen) eine Bombenvorstellung, und auch Selma Blair verzückt durch digitalisierte Prachteuter. David Hasselhoff hat einen denkwürdigen Gastauftritt, denn ich habe diesen verdienten Mimen noch niemals beim Kacken gesehen, und seine Exkremente gefrieren hier in der oberen Luftschicht und versetzen einen Charakter in höchsten Sextaumel! Ein völlig wunderbarer Film, mit dem sich John Waters nach dem relativ bitteren (aber gleichfalls hervorragenden) CECIL B. DEMENTED wieder etwas Frohsinn geschaffen zu haben scheint. Warum der Film bei uns nicht im Kino gelaufen ist, ist mir völlig unverständlich. Rockt massiv!
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#289
Geschrieben 09. Februar 2006, 19:41
Die an Flugangst leidende Hotelfachfrau Lisa Reisert trifft am Flughafen einen Mann, der einen sogar noch dümmeren Namen hat als sie selbst: Jack Rippner (hust!) ist charmant, hat tolle Leuchteaugen und sieht ein bißchen aus wie der junge Christian Slater. Daß er auch über charakterliche Untiefen verfügt, wird Lisa schlagartig klar, als er sich als professioneller Killer zu erkennen gibt. Zu diesem Zeitpunkt befinden sich beide aber bereits in luftiger Höh', und so fällt Lisa aus allen Wolken, als ihr Jack den wahren Grund seiner Anwesenheit offenbart: Ein hoher Politiker steht auf der Abschußliste, und Lisa soll bei der Ausführung des Plans behilflich sein. Widrigenfalls ihr Vater dran glauben muß...
Nach dem auf unterhaltsame Weise gurkigen VERFLUCHT stellt Wes Cravens neuester Film eine denkbar geradlinige Angelegenheit dar. Die Elemente sind alle wohlvertraut und verläßliche Standards. Wer also einen innovativen Thriller erwartet, darf getrost weitersuchen. Wer sich aber einfach nett unterhalten lassen möchte, liegt bei RED EYE goldrichtig, denn während manche von Cravens Filmen gerade über ihre „originellen“ Bestandteile stolpern, so stellt der Mann sein beträchtliches inszenatorisches Geschick hier in den Dienst einer konventionellen Entführungsgeschichte, deren Schauplatz halt mal weit über dem Erdboden angesiedelt ist. Mit der Kanadierin Rachel McAdams steht ihm eine sehr hübsche Hauptdarstellerin zur Verfügung, und der Ire Cillian Murphy überzeugt sowohl als Charmeur wie auch als vollkommen skrupelloser Mordbube. Die einzigen bekannteren Schauspieler, Brian Cox und Jack Scalia, geben soliden Support, und während das Drehbuch wohl kaum die große Überraschung des Theatersommers darstellt, so gelingt es ihm zumindest, Charaktere zu schaffen, mit denen man sich durchaus identifizieren mag. Wer Blut & Zähneklappern erwartet, liegt falsch, denn RED EYE ist ein typischer PG-13er. Wem aber an kompetenter Spannungsware gelegen ist, der kann hier nicht viel verkehrt machen. Ich war auf jeden Fall sehr zufrieden.
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#290
Geschrieben 10. Februar 2006, 03:25
Warum dieser Film in der IMDb so negative Kritiken bekommen ist, ist mir komplett schleierhaft...
Die junge Polizistin Maria Delgado (Mira Sorvino), deren Mann vor ihren Augen umgebracht worden ist, wird nach Sevilla versetzt. Fast zeitgleich entdeckt man ein grausiges Verbrechen: Zwei schwule Zwillinge (!) werden im Haus der alten Witwe Dona Catalina aufgefunden. Ihre Körper sind von Toreropiken durchbohrt, der Tatort einem Gemälde nachempfunden, das den Hl. Sebastian und sein Spiegelbild zeigt. Bei den Nachforschungen muß sich Maria nicht nur gegen ihre männlichen Kollegen durchsetzen, sondern auch einen Sprung in die spanische Geschichte wagen: Ein Unrecht, das zu Zeiten des Bürgerkrieges stattfand, fordert immer noch seine Opfer...
Ich habe das Betrachten dieses Filmes eine lange Zeit aufgeschoben, zumal ich nichts Spektakuläres erwartete – halt noch ein amerikanischer Horrorfilm, der für wenig Geld in Europa gedreht wurde. Doch ich sah mich angenehm getäuscht: Statt eines Horrorfilmes bekam ich einen spannenden Euro-Thriller mit starken Giallo-Anleihen geboten, der auf das törichte Geschwätz weitgehend verzichtet, das die meisten neueren Low-Budget-Horrorfilme aus den USA so schwer verdaulich macht. Die auf einer Romanvorlage basierende Story ist ausgesprochen lohnend und dürfte vor allem Fans von italienischen Gialli der Argento-Liga gefallen, denen eine gewisse Artifizialität nichts ausmacht. SEMANA SANTA ist ein Film über Familien: Sowohl Maria als auch der ihr gegenüber zunächst feindselig auftretende junge Kollege Quemada (Olivier Martinez) blicken auf kaputte Familien zurück; die Schurken stellen eine über Generationen hinweg degenerierte Familie dar; und auch Dona Catalina (die große Alida Valli in einer ihrer letzten Rollen) ist Endpunkt einer langen Ahnenreihe, deren Mitglieder sich durch Ehre und einen makellosen Ruf ausgezeichnet haben. Die Monster, die durch die Greuel des spanischen Bürgerkrieges in die Welt gesetzt wurden, sind auch in der Gegenwart noch aktiv. Der deutsche Regisseur Pepe Danquart (aus Singen!) plaziert das vor dem Hintergrund der heiligen Woche Sevillas und ihren religiösen Prozessionen, die durch die düstere Geschichte einen unangenehmen Beigeschmack bekommen. Man füge noch Peter Berling hinzu, der einen effektvollen Kurzauftritt hat (Augen auf!) – fertig ist ein bescheidener, solide geskripteter und inszenierter Thriller, wie ihn sich Freunde des spanischen Horrorthrillers der siebziger Jahre kaum besser wünschen können. War wirklich sehr überrascht und werde mal nach der DVD Ausschau halten...
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#291
Geschrieben 13. Februar 2006, 16:27
Für mich als alten Stuart-Gordon-Muffel war es etwas schwierig, seinem Nicht-Horrorfilm KING OF THE ANTS eine Chance zu geben. Jetzt war es endlich soweit, und mit einem gewissen Entsetzen muß ich feststellen: Der ist richtig gut!
Sean Crawley (Chris McKenna) ist ein kleiner Tunichtgut, der sich mehr schlecht als recht mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält. Als er den fröhlichen Handwerker Duke (Mitproduzent George Wendt) kennenlernt, vermittelt dieser ihm einen Job: Ein reicher Baulöwe (Daniel Baldwin) hat gewisse Probleme mit Korruptionsbezug, bei deren Beseitigung ihm Sean – gegen ein großzügiges Entgelt – behilflich sein soll. Einzige Bedingung: Sean müsse seine moralischen Ansichten etwas, nun ja, flexibler gestalten. Natürlich läuft die ganze Sache auf ein erstklassiges Verbrechen hinaus. Als Sean sein Geld sehen will, wird ihm nahegelegt, die Stadt zu verlassen, und zwar pronto. Da Sean an akuter Selbstüberschätzung leidet, droht er den Profis mit einer belastenden Akte, die er entwendet hat. Ein unkluger Schachzug, da er damit eine Reise in das in der Wüste gelegene „Ferienhaus“ des Baulöwen gewinnt. Und dort trampeln die Jungs so lange auf ihm rum, bis er aussieht wie der Zwillingsbruder von Rondo Hatton! Bevor er allerdings – wie von den Ganoven beabsichtigt – den Status eines menschlichen Gemüses erreicht hat, gelingt ihm die Flucht. Doch in diesem Leben begegnet man sich immer zweimal...
Während ich an früheren Stuart-Gordon-Filmen immer auszusetzen hatte, daß mir die Schauspieler mimisch zu sehr hyperventilieren und jeden ruppigen Horrorstoff auf unverbindliches Trash-Niveau herunterwirtschaften, hat Gordon in diesem Film einen wirklich guten Griff getan: Chris McKenna (bisher eher TV-geschult) gibt eine sehr realistische und faxenfreie Darstellung ab, die den etwas schwarzhumorig angelegten Performances von Wendt und Baldwin einen notwendigen Kontrast liefert. Sein Sean ist im Grunde genommen ein ziemlich unmoralisches Stück Dreck, das aus reiner Laschheit zum Killer wird. Moral ist nichts, was man sich im Laden kaufen kann. Mit seiner Tat beißt er aber entschieden mehr ab, als er kauen kann, und seine unerfreulichen Erlebnisse in der Wüste (die teilweise schwer erträglich sind - Gesundheitswarnung!) fügen dem schwammichten Moralkodex des Sean Crawley eine Härte hinzu, die er vormals nicht besessen hat. Trotz einer etwas überflüssigen Liebesgeschichte wird er zu einem ziemlich nihilistischen Motherfucker, der die Menschen als Ameisen betrachtet. Das ist nicht gut für die Leute, die seinen Weg kreuzen – oh nein, das ist gar nicht gut...
Der Film wurde vom Autor der zugrundeliegenden Novelle für die Leinwand bearbeitet, und er versorgt Gordon mit einem wirklich guten Drehbuch, das trotz der fiesen Möppe, die es bevölkern, dem Zuschauer eine Teilnahme am Geschehen ermöglicht. Ich fand KING OF THE ANTS ziemlich spannend, und wenn ich etwas kritisieren würde, dann höchstens, daß ich ihn passagenweise überhart fand. Die starke Betonung von Schmerz und generellem Schmuddel neigt dazu, von der intensiven Story abzulenken. Auch zwei Traumsequenzen (die etwas an Gordons Horrorsachen erinnern) hätte man sich vielleicht knicken können. Davon abgesehen ist KING OF THE ANTS eine sehr erfreuliche Überraschung für mich gewesen. Da der Film bereits 2003 herauskam, hat Gordon mittlerweile auch einen neuen Film am Start, und zwar die Bearbeitung eines Theaterstückes von David Mamet, mit William Macy, Joe Mantegna und Julia Stiles – uffa! Ich bin gespannt...
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#292
Geschrieben 19. Februar 2006, 02:06
Wenn man mein Tagebuch etwas zurückblättert, so kann man lesen, daß ich HELLRAISER 7 nicht wirklich bemerkenswert fand. Als ich nun vor kurzem einen Trailer zum achten Teil erblickte, war mir im ersten Moment gar nicht klar, daß es sich um ein ernstgemeintes Produkt handelte. Ich dachte, das wäre so ein niveauloser SCARY MOVIE-Nonsens.
Nun, HELLRAISER 8 ist draußen! In ihm geht es um eine Horde Teenager, die ein „Hellraiser“-Computerspiel zocken. Bei diesem gewinnen sie einen Aufenthalt in der „Hellworld“-Disco, eine Location, in der es so richtig krass abgeht. Lance Henriksen ist der Chef. Da liegen Dinge aus Menschenhaut rum und Föten in Einmachgläsern. Nebenan zuckt das Stroboskoplicht, und die neueste Mucke bringt den Tanzboden zum Glühen. Richtig lustig wird es, als auch noch der weißgesichtige Kahlkopf mit den Nägeln in der Omme vorbeischaut...
Dies ist der Film, bei dem wirklich alles in die Hose gegangen ist! Wo anfangen? Am besten am Anfang: Eine Horde Teenager (richtig, dieselben, die später das Computerspiel zocken!) beerdigt einen Freund und heult einander DER GROSSE FRUST-mäßig die Taschen voll. Ein blonder Bimbo geht an den Sarg, als auf einmal eine Krallenhand nach ihr greift und ein verbrannter Schrumpelmaxe aus dem Sarg lugt. Der blonde Bimbo (es heißt Chelsea) wacht auf – ein Alptraum! Eine Einblendung verrät: „Zwei Jahre später“. Häh? Was soll das? Hat die Olle vor zwei Jahren gealpträumt? Hat die Beerdigung vor zwei Jahren stattgefunden? Keine Ahnung – es ergibt keinen Sinn!
Und so geht das den ganzen Film über weiter. Ich habe mit einigen Freunden vor dem Fernseher gesessen und abgegröhlt ohne Ende. Dies ist nicht nur die völlige Entweihung einer einstmals respektablen Serie – es ist ein Absurdion reinsten Wassers! Fast jeder Dialogsatz ist eine Steilvorlage für böse Kommentare. Ob die Macher es darauf angelegt haben? Ich kann es mir kaum vorstellen. Es gibt Enttäuschungen, schlechte Filme und veritable Katastrophen. HELLRAISER 8 gehört eindeutig zur letzteren Kategorie. Ich hätte es einfach nicht für möglich gehalten. Ob Clive Barker weiß, was sein Freund Doug Bradley da treibt? Abgesehen davon, daß keiner der Charaktere, die das lausige Drehbuch bevölkern, auch nur den Schatten einer Chance hat, von irgendjemandem auf diesem Planeten ernstgenommen zu werden, entwickelt sich der Film zu einem tumben Slasher, dessen Auflösung anhaltendes Gejohle erzeugt. Da stimmt einfach gar nichts - un-fucking-believable! Lance Henriksen wird von der Synchronstimme von Al Bundy gesprochen, was auch absolut paßt. Schade nur, daß Pinhead nicht von Woody Allen gespielt wird. Auch Didi Hallervorden böte sich an. HELLWORLD ist zum Gottserbarmen schlecht, aber wenn man die grobe Respektlosigkeit für die vorangegangenen Teile in Kauf nimmt, handelt es sich um einen großartigen Bäddie. Das ist ehrfurchtgebietend. Wir haben Tränen gelacht...
Henriksen: „Was meinst du, was das hier ist – ein schlechter Horrorfilm?“
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#293
Geschrieben 21. Februar 2006, 03:58
Wenn man Menschen von Liebe erzählen hört, die mit Weisheit nicht übermäßig gesegnet sind (z.B. in Talkshows), so geht es da häufig auch um Eifersucht. Eifersucht – das wissen diese Menschen ganz genau – ist untrennbar mit der Liebe verbunden. Dieser bezaubernde Irrtum sorgt in vielen Beziehungen für schweren Seegang, doch schenkte er uns schon so manche schöne Stunde Kintopp!
In EL geht es um Don Francisco, einen ehrenwerten Mann von untadeligem Ruf. Als er sich in die hübsche Gloria verkuckt, entflammt sein Herz in holder Liebespein, denn wenn sich Don Francisco verliebt, so tut er das richtig. Dumm nur, daß Gloria bereits verlobt ist, und zwar mit Raúl, einem der Chefingenieure von Franciscos Baugesellschaft. Manchmal läuft aber alles so, wie man es sich wünscht, und Gloria zerschmilzt in den Armen des reichen Mannes. Raúl entschwindet daraufhin nach Südamerika und ertränkt seinen Kummer mit Arbeit.
Doch Gloria hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn schon in der Hochzeitsnacht stellt sich heraus, daß Francisco ein überaus eifersüchtiger Zeitgenosse ist. Kaum sind die Tränen getrocknet, kommt es schon zum nächsten Eklat, und auch der Rest der Flitterwochen will nicht mehr so recht munden. Was zunächst noch wie Ausfälle eines unsicheren Mannes anmutet, eskaliert alsbald. Francisco erweist sich als völlig paranoid und durchaus gewaltbereit. Und als Raúl schließlich wieder zurückkehrt, nimmt die Tragödie ihren Lauf...
Daß es sich hier nicht um ein banales Eifersuchtsdrama gewohnter Manier handelt, bemerkt man schon in der ersten Szene, in der Francisco Gloria zum ersten Mal zur Kenntnis nimmt. Sie befinden sich beide mit unterschiedlichen Gesellschaften in einer Kirche, in der gerade ein katholischer Ritus vollzogen wird: Ein älterer Priester wäscht jungen Ministranten die Füße und küßt diese. Die simple Geste der Reinigung und Unterwerfung bekommt eine etwas morbide Note, da Francisco seinen Blick über die beschuhten Füße einiger anwesender Frauen schweifen läßt, die ihn offenkundig interessieren. Der Blick geht nach oben – Maria bzw. Gloria strahlt ihn an. Love is here to stay...
Der Bunuel hat's mit Füßen, und überall sind sie sexuell konnotiert. Man erinnere sich an L'AGE D'OR und jene Szene, in der die Protagonistin vom Paramour zurückgelassen wird und ersatzhalber an den Zehen einer Statue nuckelt. Auch in LOS OLVIDADOS (DIE VERGESSENEN), den ich kurz vorher sah, gibt es diverse Fuß- bzw. Beinszenen. Bei EL steht der Teil für das Ganze, und er erleichtert es dem im Grunde zutiefst jammerlappigen Herrenmenschen Francisco, sich dem Objekt seiner Begierde zu nähern. Während die ganze Frau ihm Angst macht (Verlustangst und Angst vor Demütigung), geht er mit den Füßen auf Nummer Sicher. Man muß da ganz genau hinschauen, denn Bunuel ist ein sehr sorgfältiger Regisseur. Eine Flitterwochenszene etwa beginnt damit, daß er Glorias Schuhe (in denen er sie kennengelernt hat) in einen Schrank sperrt. Man beachte das beseligte Lächeln in seinem Gesicht! Auch später gibt es einen tollen Moment in einer Cantina, in der Francisco einen Eifersuchtsanfall bekommt. Umständehalber kuckt er unter den Tisch und erblickt ihre Füße. Als er wieder unter dem Tischtuch hervorkommt, ist er auf einmal ganz freundlich und sogar zärtlich zu seiner Frau. Das sind kleine, unbetonte Momente, aber sie zeigen, wie listig Bunuel arbeitet.
Was noch? Obwohl man den eifersüchtigen Francisco regelrecht hassen lernt und Gloria zuschreien möchte: „Verlaß´ den Deppen doch einfach!“ (was sie nicht tut, denn sie hat Mitleid und läßt sich von ihm immer wieder bezirzen), so ist er doch alles andere als der typische dämonisierte Gewaltmensch. Man bekommt einen Eindruck davon, wie sehr er unter der ganzen Misere leidet, und wenn er Gloria an einer Stelle bekundet, er leide viel mehr als sie, so entspricht das vermutlich sogar den Tatsachen. Er ist ein richtig armer Sauhund, der von patriarchalischen Moralvorstellungen geprägt ist, die ihn vom kühnen Geschäftsmann zum tollwütigen Hanswurst degradieren. Je tiefer er in seine Selbstbezogenheit hinabtaucht und sie als Liebe deklariert („Das Glück der Dummen tut mir weh!“ sagt er an einer Stelle jammervoll über die anderen Menschen), umso mehr verstrickt er sich und seine Frau in eine bizarre Sadomaso-Situation, die von einem Exzeß zum nächsten steuert. Auf die Aggression folgt die Zerknirschung, der aber gleich die nächste Aggression folgt. Der Mann dreht am Rad, da gibt es gar nichts.
EL ist der beste Film über krankhafte Eifersucht, den ich jemals gesehen habe. Das Ende ist wahrhaft erschütternd und verläuft im wahrsten Sinne des Wortes im Zickzack. Der Film enstand in Bunuels mexikanischer Periode, denn seinem Heimatland hatte er wegen den Faschisten den Rücken gekehrt. Im damaligen Spanien hätte solch ein zutiefst antikatholischer Film niemals das Licht der Projektoren erblickt. Dafür wäre der Mann gelyncht worden. Man könnte ihn in ein „Opus Dei“-Doppelprogramm einbauen, zusammen mit Bunuels gleichfalls erhabenem VIRIDIANA. Das wäre mal was.
P.S.: Bei LOS OLVIDADOS (von 1950) handelte es sich übrigens um ein realistisches Drama um Straßenkinder aus Mexiko City, die bei ihren alltäglichen Aktivitäten gezeigt werden. Ein Totschlag führt die Moral ein in die zutiefst materialistische Welt, in der der Film spielt. Man wartet immer auf eine Kompensation für die tragischen Verwicklungen, die sich da abspielen, aber am Schluß wird klar, daß jeder sich selbst überlassen ist. Der ehemalige Jesuitenschüler Bunuel baut in den Film kaum offene religiöse Bezüge ein, aber nichtsdestotrotz ist das ein hochreligiöser Film. In der Schlußeinstellung schwenkt die Kamera empor zum Himmel, und die unmittelbar vorangegangenen Ereignisse kommentieren das dann. Was Arrabal von seiner Gefühlswelt in Form von Exzessen auf die Leinwand gedroschen hat, das schafft Bunuel mit leichteren Waffen, aber nicht minder effektvoll. Ein Genie, der Mann.
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#294
Geschrieben 21. Februar 2006, 17:22
Daniel Defoes „Robinson Crusoe“ ist mir in erster Linie von seiner Europa-Hörspielversion her präsent, und auch ansonsten dürfte manch einer in seiner Kindheit mit der ausgedünnten Jugendbuch-Version des Stoffes Bekanntschaft geschlossen haben. Anders als bei Swifts „Gullivers Reisen“ hat mich die Geschichte aber niemals ausreichend in ihren Bann gezogen, als daß ich mir auch die komplette Fassung zu Gemüte gezogen hätte.
Luis Bunuels Bearbeitung aus dem Jahre 1954 war des Filmemachers erster Farbfilm und wohl auch seine erste englischsprachige Produktion. Für die Hauptrolle bekam er Hollywoods Dan O'Herlihy, den manche wohl noch aus Paul Verhoevens ROBOCOP kennen werden, wo er – alt und grau und fies – den bösen Boß mimte.
Robinson strandet auch hier und macht sich die Natur Untertan. Jahre der Einsamkeit fordern ihren Tribut und verwandeln den einstmaligen Vorzeigepuritaner in einen Grizzly Adams, der mit Käfern spricht. Als er einen Kannibalen vorfindet, gibt er ihm den sehr albernen Namen Freitag und behandelt ihn auch ansonsten wie etwas, was die Katze reingetragen hat. Da ihm das lange Alleinsein die alten Flausen nicht hat austreiben können, ernennt er sich selbst zum Herrn des schwarzen Mannes und biegt ihm die Grundbegriffe der Zivilisation bei. Dazu gehören das Rauchen, das dumm Rumschwätzen und die Bibel.
Also, wäre ich der Robinson gewesen, hätte ich mich mit Freitag an den Strand gepackt und von morgens bis abends gequalmt! Dieser ganze Quatsch mit Fußfesseln und Herrenmenschentum ist doch öde. Wer einen Freund haben will, darf sich keinen Lakaien heranzüchten. Aus diesem Abenteuerfilm Bunuels übliche Themen herauszuarbeiten, hätte wohl etwas Gewaltsames an sich, denn in erster Linie geht es um die Fähigkeit des Menschen, auch unter schwersten Bedingungen zu überleben. Daß dem Robinson nicht Bunuels ungeteilte Sympathie gehört, merkt man z.B. in der Szene, in der er Freitag das Wort des Herrn beizubiegen versucht. Damit hat es sich aber auch schon. Der Film ist hübsch bunt, es gibt drollige Tiere zu betrachten, aber es handelt sich nicht wirklich um einen Film des Meisters, den ich mir noch weitere Male anschauen werde. Robinson ist ein blöder Biffbaff! Meines Wissens gibt es übrigens verschiedene Softsex-Variationen auf das Thema, aber keine einzige Pornobearbeitung. Ich könnte mir das ja ganz gut als Gay-Porno vorstellen. Wie wäre es mit „Robinson Criscoe“?
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#295
Geschrieben 21. Februar 2006, 19:13
Auch bekannt als DER FUSS UND DER TOD.
Zwei kleine mexikanische Dörfer, die durch einen Fluß voneinander getrennt sind, werden von diversen Blutfehden heimgesucht. Eine davon ist jene der Anguiano- und der Menchaca-Familie. Seit etwa 100 Jahren vertreibt man sich die Zeit damit, Mitglieder der anderen Sippschaft umzupusten. Männer posieren dann immer ganz fotogen vor ihren Trinkgenossen, und die Frauen stehen am Herd und lassen die Tränen in die Bohnensuppe platschen. Gerardo, der letzte aus dem Clan der Anguianos, will mit der Tradition brechen. Doch die Bande des Blutes erweisen sich als untrennbar, und so kommt es zum Showdown...
Im Grunde genommen ein mexikanischer Western, in dem es um überholte Ehrbegriffe geht, mit denen die Männer den Freund in der Hose besänftigen. Der Großteil des Filmes besteht aus einer Rückblende, die die Geschichte der Fehde aufklabüstert. Dabei wird man recht ordentlich unterhalten, wenngleich es sich wirklich um nicht viel mehr als ein saftiges Melodram handelt, „ohne was extra“. Wer in Sizilien spielende Vendetta-Filme mag, in denen sich Bauern mit ihren Lupare (=dort sehr beliebte Schrotflintchen) gegenseitig umnieten, wird auch hier sein Knackens finden. Mir persönlich hat die ganze Zeit über eine Satire vorgeschwebt, in denen die Dezimierung absurde Ausmaße annimmt. Oder in der die beiden Überlebenden schließlich eine Schwulen-WG gründen. Die haben sie ja nicht alle.
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#296
Geschrieben 27. Februar 2006, 16:38
Leibniz schrieb einmal, unsere Welt sei der beste aller möglichen Kekse (oder so ähnlich). Daß der Keks gelegentlich schwer zu schlucken ist, weiß Pater Nazario (Francisco Rabal in sehr jungen Jahren) nur zu gut. Der Priester – weltlicher Prasserei und Prunksucht überdrüssig – hat sich unter die Ärmsten der Armen gemischt, um dem Bild Jesu Christi näherzukommen. Als sich eines Tages eine verwundete und vom Gesetz verfolgte Prostituierte bei ihm verschanzt, pflegt er sie gesund. Ihre Reaktion könnte man als undankbar deuten: Sie zündet seine Wohnung an und macht sich dann aus dem Staube. Nicht nur die Brandschatzung wird Pater Nazario daraufhin zur Last gelegt, sondern auch Unzucht. Ganz klar, daß dieser Priester nicht mehr tragbar ist, und so ist er dazu gezwungen, sein Heil auf dem Land zu suchen, wo ihm viele wundersame Dinge widerfahren...
Diese bizarre Jesus-Geschichte stellt wohl (neben VIRIDIANA) den offensten mir bekannten Versuch Bunuels dar, seine streng katholische Erziehung zu verarbeiten. Dabei fällt auf, daß er sich nicht mit Blasphemien zufrieden gibt, wie das bei atheistischen Filmemachern recht häufig der Fall zu sein pflegt. Stattdessen nimmt er seinen Protagonisten ausgesprochen ernst und stellt ihn als arglosen Unschuldsengel in eine Welt der Niedrigkeiten. Misanthropen werden viel Applauswürdiges finden in NAZARIN, denn auf seinem langen Weg nach Golgatha begegnet Nazario eigentlich fast nur Menschen, an die das Wort Gottes verschwendet ist. Selbst jene, die sich dann als seine Jünger herausmendeln (eine häßliche Hure und eine erfolglose Selbstmörderin), haben ihre sehr eigennützigen Motive für die Verehrung des vermeintlichen Heiligen, wenn sie dies auch nicht wahrhaben wollen. Man kann auch nicht behaupten, daß Bunuel die Unzulänglichkeiten der Menschen auf diffamierende Weise verwendet. Niemand hat im Rahmen der Armut der mexikanischen Landbevölkerung wirklich eine Wahl, sich zu etwas anderem als zum Täter oder zum Opfer zu entwickeln. Wie es der Titelheldin am Schluß von VIRIDIANA ans Eingemachte und an den Glauben geht, so muß auch der eigentlich grundgute Pater Nazario erfahren, daß seine Ideale - die nicht einmal von den anderen Vertretern der Kirche (samt & sonders selbstgefällige Bürokraten des Herrn) geteilt werden - von einer gewissen Weltfremdheit geprägt sind. Tatsächlich ist er seinen Vorgesetzten ein Dorn im Auge, da eine konsequente Durchsetzung seines Kredos die liebgewonnenen sozialen Unterdrückungsstrukturen ins Wanken bringen würde. Der Film läßt am Schluß offen, in welche Richtung der Weg Nazarios führt, auch wenn die biblischen Analogien wenig Mut machen. Eine Ananas spielt allerdings eine wichtige Rolle – mehr möchte ich nicht verraten. Ein weiterer hervorragender Film von Bunuel, der ihn als großen Moralisten ausweist, aber nicht vor dem Herrn.
Da ich „meinen“ VIRIDIANA im Moment leider nicht finden kann und somit auch keinen Text folgen lassen werde, hier für Interessierte ein gelungener Text von Siegfried König.
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#297
Geschrieben 27. Februar 2006, 23:52
Archibaldo de la Cruz ist ein junger Mann aus gutem Hause, der als Kind von seinem patriarchalischen Vater und seiner grenzdebilen Mama verhätschelt worden ist. Als er eine wertvolle Spieldose geschenkt bekommt, bricht draußen auf den Straßen die Revolution aus. Das Kindermädchen wird von einer verirrten Kugel tödlich getroffen. Da Archibaldo sich genau dies kurz vorher gewünscht hatte, gehen Tod, Blut und Frauen in seiner Vorstellungswelt eine beunruhigende Union ein...
ENSAYO DE UN CRIMEN („Probe für ein Verbrechen“) ist ein vergleichsweise leichter Bunuel, in dem der Regisseur seinen üblichen Katalog an merkwürdigen bürgerlichen Verhaltensweisen vorführt. Archibaldo ist ein Biedermann reinsten Wassers, der ausgerechnet von einer wiederaufgetauchten Spieldose an die dunkle Seite seines Charakters gemahnt wird. Bis hierhin ein frommer Nettmensch, der den Geboten der Bibel gehorcht, erwacht nun die Supersau in seinem Busen – gebt dem Mann keine Axt! Erneut handelt es sich um einen sich selbst und anderen gegenüber unehrlichen Menschen, dem anerzogen worden ist, die angeblich unanständigen Anteile des Lebens in ein finsteres Kämmerlein zu sperren. Was immer ihn an sexuellen Gefühlen überkommt, artikuliert sich in bizarren Fetischen, z.B. erneut die guten alten Bunuel-Füße, bestrumpft, beschuht und nackend. Richtig finster wird die Geschichte, als er sich eine Frau nach Hause einlädt und sie mit einer nach ihrem Bilde gefertigten Schaufensterpuppe konfrontiert, die zu einer Art Konkurrenz wird...
Wie zumindest der Originaltitel andeutet, besteht der Witz des Ganzen darin, daß Archibaldo – von dem man eigentlich eine Landru-gemäße Mordserie großen Kalibers erwartet – tatsächlich unschuldig bleibt, zumindest in der rechtlichen Realität. Es gibt zwar Leichen, aber die gehen zumeist auf das Konto der sogenannten „normalen“ Männer aus seiner Umgebung. Als Fazit winkt die Einsicht, daß Männer im katholisch gefärbten Bürgertum alle einen kleinen Jack the Ripper in sich tragen. Da Bunuel den Film sehr straight durchspielt und niemals offen humoristisch wird (manche Elemente – wie die im Brennofen zerschmelzende Puppe etwa – sind sogar regelrecht schauerlich), ist das Ergebnis sehr angenehm zu konsumieren. Hitchcock und Chabrol hätten bzw. haben an diesem schwarzhumorigen Verbrecherporträt bestimmt ihr Vergnügen gehabt. Als „Einsteigerfilm“ für Bunuel eignet sich DAS VERBRECHERISCHE LEBEN auf jeden Fall recht gut.
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#298
Geschrieben 28. Februar 2006, 02:05
Welcher Teufel den deutschen Verleih geritten haben mag, als er diesem Film seinen irreführenden Titel gab, kann nur gemutmaßt werden. Vielleicht dachte man, das deutsche Kinopublikum sei für die behandelte Thematik nicht zu begeistern. Ich erwartete auf jeden Fall eine lockere Komödie mit leichten gesellschaftskritischen Schlenkern. Was ich bekam, war ein lateinamerikanisches Melodram, bei dem sich die Balken biegen!
LOS AMBICIOSOS („Die Ehrgeizigen“, wie der Film auf mexikanisch heißt) handelt von den Irrungen und Wirrungen in einer Bananenrepublik namens Ojeda, die vom Diktator General Barreiro mit eiserner Hand regiert wird. Als sein Gouverneur einem Attentat zum Opfer fällt, bekommt dessen idealistischer Sekretär Vasquez (Gérard Philipe) Gelegenheit, seiner Liebe zur frischgemahlenen Witwe des Dahingeschlichenen, Ines, Luft zu machen. Durch die Intrigen des neuen Gouverneurs kommt es aber zu Ungelegenheiten, die letztlich dazu führen, daß sich die Liebenden in Schuld verstricken...
Tja, das ist ein ziemlicher Stiefel, der da erzählt wird! Ich war ganz überrascht... Sieht man mal von der formalen Hoheit ab, die bei Bunuel halt zu gewärtigen ist, könnte die Story eigentlich auch von Konsalik stammen. Der Befreiungskampf der geknechteten Massen ist nicht viel mehr als ein pittoresker Hintergrund für Ränkespiele und schwelende Liebe, die nicht sein darf. Für Bunuel war diese französische Koproduktion mit Sicherheit ein Renommierprojekt, aber eben auch eines, in das er seine sonstigen Besessenheiten nur sehr verhalten einfügen konnte. Mit María Félix hatte er die vielleicht bekannteste Kinodiva Mexikos an der Hand, und auch Frauenschwarm Gérard FANFAN DER HUSAR Philipe (in seinem letzten Film; der wurde nur wenige Monate älter, als ich jetzt bin!) versprach gute Einspielergebnisse. Nehme man noch Jean Servais als diabolischen Schurken hinzu, dann hat man eine gute Grundlage für unterhaltsamen Tönjes. Nichtsdestotrotz wird man als Bewunderer des Regisseurs vielleicht etwas enttäuscht sein, denn sehr viel ist der Film wirklich nicht. Immerhin scheint es Bunuel durchaus Spaß bereitet zu haben, die Helden des Stückes allen Idealismusses zu entkleiden, bis sie ganz nackt dastehen. Aber auch der Schluß kitscht für meinen harten Gaumen gar zu sehr.
Vielleicht liegt es auch nur daran, daß mir Bananenrepubliken eingestandenermaßen am Arsch vorbeigehen, auch wenn das etwas homophob klingen mag...
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#299
Geschrieben 28. Februar 2006, 19:05
Dies ist einer jener Filme, die mich vor Entzücken zum Knurren bringen!
Die Vorlage stammt von Octave Mirbeau, der nicht nur als Erfinder der Octaveheftchen gilt (hust!), sondern zeit seines Lebens mit dem Anarchismus sympathisierte. Neben dem „Garten der Qualen“ ist „Tagebuch einer Kammerzofe“ sein berühmtester Roman und wurde erstmals 1946 verfilmt. Bunuel und sein späterer Stammautor Jean-Claude Carrière – ein glückliches Zusammentreffen! – machten daraus eine trockene, elegante schwarze Komödie, die die ländliche Bourgeoisie und ihre Verkorkstheiten in den Mittelpunkt eines lockeren Panoptikums rückt, dem sich die Protagonistin Célestine (Jeanne Moreau) gegenübersieht. Jene nämlich hat ihr heimisches Paris verlassen, um als Kammerzofe ihr Glück zu versuchen. Wen trifft sie so? Großvater Monteuil ist ein lieber Purzel, aber Schuhfetischist. Die ganze Freude seiner alten Jahre ruht in den Pantoffeln seiner Jugend, mit denen er die weiblichen Angestellten (die er alle „Marie“ nennt) auszustatten pflegt. In diesen müssen sie auch vor ihm paradieren. („Dürfte ich an Ihre Wade fassen, Marie?“) Seine Tochter ist eine frigide alte Schachtel mit Ordnungsfimmel, der Geschlechtsverkehr körperliche Schmerzen verursacht. Schade, denn ihr Mann (ein sehr junger Michel Piccoli) ist ein geiler Bock und rammelt alles, was nicht schnell genug auf die Bäume kommt. Bei Célestine beißt er auf Granit, obwohl ihm der Seiber zu den Ohren rausquillt.
Das sind die Herrschaften! Das Gesinde wird angeführt von dem ungebildeten Wildhüter Joseph, der nicht nur Militarist und Antisemit ist, sondern auch noch pädophile Neigungen zu seinen Nachteilen zählt. Die kleine Claire, die lolitesk in der Gegend herumläuft, wird von ihm mit Blicken eingedeckt, die eindeutig bedenklich sind. Garstig wird's, als Claire geschändet und sehr tot im Wald aufgefunden wird...
Es gibt zahlreiche umwerfende Szenen in TAGEBUCH. Zu meinen Favoriten zählt fraglos jene, in der Célestine zum ersten Mal mit den geheimen Neigungen des Fetisch-Oppas konfrontiert wird, der sie aus den Schriften Huysmans´ vorlesen läßt und dabei ihre benetzstrumpften Waden kosen will. Der Wildhüter ist auch so ein Schätzchen: „Gestern war 'ne Razzia auf die Untermenschen – endlich wird hier mal durchgegriffen!“ mosert er grimmig, während die Köchinnen friedlich ihre Arbeit verrichten. Daß er ein wenig wie Alfred Tetzlaff ausschaut, ist mir erst im Nachhinein aufgefallen, paßt aber irgendwie. Präsentiert wird diese Aneinanderreihung von gepflegten Ungeheuerlichkeiten in einem sehr nüchternen Stil, der den Eindruck erweckt, es ginge hier um ein ganz gewöhnliches Melodram. Dem ist im Grunde auch so, wenn man mal davon absieht, daß nahezu alle Beteiligten entweder komplett derangiert sind oder aber zumindest charakterliche Untiefen aufweisen, die sie mit der Wucht einer Abrißbirne vom Heldensockel herunterwuchten. Ach ja, Autor Carrière hat sich auch einen schönen Gastauftritt beschert, als streng lustfeindlicher Priester.
Ansonsten wie immer im Hause Bunuel: die Natur, ihre Unterdrückung und die Monstrositäten, die sich daraus ergeben – ein Genuß mit Beck's!
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#300
Geschrieben 01. März 2006, 14:35
Simon Stylites d. Ä. war ein Exzentriker, der im Jahre 422 n. Chr. in Syrien auf eine Säule kletterte und dort 37 Jahre lang ausharrte. Das sorgte immer für ein großes Bohei am Fuße der Säule, und seitdem haftet ihm der Begriff „Säulenheiliger“ an wie die „Ulknudel“ der Helga Feddersen. In seinem gerade mal 45 Minuten langen SIMON IN DER WÜSTE schildert Bunuel einige Episoden aus dem an Ereignissen eher armen Leben dieses Mannes. Tatsächlich sorgt erst Satan mit seinem wiederholten Auftauchen (selbstredend als Frau!) für Turbulenzen, die den Heiligen aber auch nicht von der Säule herunterholen können. Im Grunde genommen ist SIMON IN DER WÜSTE ein sehr viel subversiverer Film als der von der katholischen Kirche ebenfalls angefeindete DAS LEBEN DES BRIAN, da er – wie die meisten Filme Bunuels – lauten Humor eher vermeidet. Stattdessen präsentiert sich die Heiligenmär im Gewand eines realistischen Bibelfilmes. Anders als Pasolini ist Bunuel allerdings ein Ungläubiger, und so wirkt die Survivalist-Übung des bärtigen Herrn eher wie eine Freakshow. Wenn sich der Simon so nebenbei einen Zahn herausrupft (Vitaminmangel!), spricht er ihn erst einmal selig, bis er merkt, daß sein verwirrter Geist ihm hier einen Streich spielt... Den schwarzen Petrus bekommt in dem Film aber nicht der christliche Glaube an sich, sondern die Menschen, die sich ihm unterwerfen. Mein persönlicher Lieblingsmoment ist jene Stelle, an der ein Armloser am Fuße der Säule eine Linderung seiner Pein erbittet. Alles betet, und – schwupps! – sind die Hände wieder da! Der Gesichtsausdruck des Bauern, als er seine Hände zum ersten Mal wiedersieht, spricht aber jeglichem Wunderglaube Hohn, denn er kuckt mäßig interessiert, zieht eine Flappe, sagt: „So, jetzt gehemer nach Hause!“ und haut seinem quengelnden Kind einen auf die Gummel... Während der originale Simon übrigens auf der Säule starb, gelingt Satan hier der Coup: Simon wird von der Versuchung überwältigt. Sein Fegefeuer ist eine Beatdisco, wo einige Minuten lang fröhlich abgehottet wird, bis der Film zu Ende ist. Simon schaut so aus, als wäre er lieber wieder auf der Säule, aber man kann es nicht allen recht machen.
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
Besucher die dieses Thema lesen: 1
Mitglieder: 0, Gäste: 1, unsichtbare Mitglieder: 0