Cinema Paradiso
#91
Geschrieben 01. November 2005, 21:04
(Cat People, Regie: Paul Schrader, 1982)
Um eines klar zu stellen: Jacques Tourneurs wegweisendes Original von 1942 ist ohne Frage der bessere Film. Gefallen hat mir aber auch Schraders Remake, das zwar vor allem auf eine ästhetische Oberfläche bedacht ist, aber zumindest darin auch wirklich erfolgreich ist. Ich war ohnehin überrascht von der Freizügigkeit des Films und vor allem von seinen saftigen Gore-Szenen (die auch effekttechnisch hervorragend sind). Und spontan fallen mir allenfalls Brian De Palmas SCARFACE und Michael Manns MANHUNTER ein als Filme, die noch perfekter einen atmosphärisch unterkühlten 80er-Jahre-Look mit einem extrem stimmigen Synthesizer-Klangteppich kombinieren. Sehr fein, was Giorgio Moroder (SCARFACE!) da fabriziert hat, wenn auch garantiert Geschmackssache. Ohnehin finde ich es begrüßenswert, wenn Remakes zumindest äußerlich einen anderen Weg als das Original einschlagen. Besser natürlich noch, wenn sie auch ein inhaltliches Update, einen aktualisierten Kontext bekommen, was ich hier nur bedingt erkennen kann. Immerhin: die Schwimmbad-Szene wurde sehr gelungen vom Original herüber gerettet und ist sogar richtig creepy – wie erfreulicherweise auch einige andere Momente in Schraders Film.
#92
Geschrieben 02. November 2005, 18:37
(Regie: Sergio Corbucci, 1964)
Sergio Corbucci mag mit diesem Film laut Hembus zwar der erste gewesen sein, der sich zum italienischen Western bekannt und sich nicht hinter einem Pseudonym versteckt hat – die revolutionäre Erneuerung des Genres geht aber dennoch eindeutig auf das Konto von Sergio Leone und dessen FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR. Denn im Vergleich mit Leones Film fällt MINNESOTA CLAY ironischerweise noch vergleichsweise klassisch (sprich: amerikanisch) aus. Natürlich nicht im Sinne des Klischees (Kavallerie/Indianer; Saubermann-Helden etc.), sondern eher in Bezug auf das gesamte Erscheinungsbild des Films. Die Ausstattung (Kostüme etc.) geht zwar schon in Richtung der späteren Corbucci-Western, aber ansonsten fehlt es dem Film etwas an typischem Italo-Pepp. Das ist freilich nichts zwangsläufig negatives, aber wer einen Italowestern-Kracher erwartet, ist hier sicher an der falschen Adresse. Kein markiger Ohrwurm-Score à la Morricone, kein grimmiger Zynismus (wobei es einen ziemlich niederträchtigen Mord gibt, der allerdings im Off passiert). Dafür entschädigt die Story um einen wegen seiner fortschreitenden Sehschwäche und drohenden Erblindung von Anfang an gehandicapten Helden, der zu allem Überfluss auch noch unschuldig zur Schufterei im Arbeitslager verurteilt wurde und dessen Tochter gar nichts von seiner Existenz weiß. Das Leben des einsamen Revolverhelden ist also auch in diesem Frühwerk kein Zuckerschlecken, und sein letztes großes Aufbäumen inklusive wachgerütteltem Ehrgefühl ist durchaus ansprechend aufbereitet und von Cameron Mitchell überzeugend gespielt. Insofern ein solide inszenierter, recht unterhaltsamer Film mit einigen Höhepunkten (das Finale! – auch wenn der in der deutschen Fassung sich daran anschließende Epilog fast so unpassend wie das alternative Ende von LEICHEN PFLASTERN SEINEN WEG ist), der für Genre-Fans schon allein wegen seines Charakters als Bindeglied zwischen amerikanischem und italienischen Western mit Sicherheit lohnenswert ist. Aber an Corbuccis spätere Großtaten reicht er nicht heran.
#93
Geschrieben 04. November 2005, 00:42
(Regie: David Cronenberg, 2005)
Von der Inszenierung bin ich begeistert, denn die ist ziemlich phänomenal. Ich liebe diesen wohlbedachten, lakonischen Rhythmus, der am allerdeutlichsten in der Vorspann-Sequenz zum Tragen kommt (deren düstere Fortführung samt abruptem Szenen-Wechsel übrigens auch hervorragend ist). In diesem Sinne ist der Film einfach toll anzusehen und auch unter dem Gesichtspunkt eines Thrillers spannend. Inhaltlich hatte ich eigentlich nur lose Erwartungen, die in Richtung von WER GEWALT SÄT, Peckinpahs differenzierter, ambivalenter und kontroverser Studie artverwandter Themen, gingen. A HISTORY OF VIOLENCE geht dann aber letztlich doch anders an die ganze Sache heran. Es gibt viele überaus interessante Ansätze und Ideen, aber bin mir noch nicht sicher, inwieweit ich mit ihrer jeweiligen Auflösung bzw. generellen Abhandlung zufrieden bin. Werde darüber noch ein bisschen nachgrübeln, was ja immerhin schon deutlich macht: sollte es ein Anliegen des Films gewesen sein, intensive Denkanstöße zu geben, hat er das bei mir auf jeden Fall schon mal geschafft.
Im Reich der Leidenschaft
(Ai no borei, Regie: Nagisa Oshima, 1978)
Mit dem vermeintlichen Vorgänger IM REICH DER SINNE kann ich nur eine Ähnlichkeit ausmachen: die Art der Beziehung, die auch hier die beiden Liebenden zumindest anfangs führen. Im Gegensatz zum äußerst expliziten SINNE ist LEIDENSCHAFT allerdings sehr zurückhaltend und beschränkt sich auf Andeutungen. Nach kurzer Zeit schlägt der Film dann ohnehin einen ganz anderen Weg ein: um ungestört zu sein, töten die Liebenden den Ehemann der Frau und hoffen, dass sich niemand weiter um dessen plötzliches Verschwinden schert. Das scheint zunächst gut zu gehen, doch dann taucht der Geist des Getöteten auf und macht sich daran, die Frau in den Wahnsinn zu treiben.
Klingt nach Geisterfilm-Grusel, ist es aber nur bedingt, weil die Geister-Szenen eigentlich nur wenig Raum einnehmen und der Film eher in Richtung Drama um Gewissenskonflikte & Sühne tendiert. So oder so wirkt IM REICH DER LEIDENSCHAFT auf mich aber recht unentschlossen. Es gibt hin und wieder Bildkompositionen von erlesener Ästhetik, aber der Film ist entschieden zu lang geraten und plätschert insgesamt recht überraschungsarm vor sich hin. Ich könnte nicht behaupten, dass ich mich durchgequält hätte, aber bereichert fühle ich mich davon auch nicht. Da finde ich den sich in völliger Ekstase suhlenden IM REICH DER SINNE dann doch deutlich reizvoller.
#94
Geschrieben 04. November 2005, 17:06
(Ascenseur pour l'échafaud, Regie: Louis Malle, 1958)
Und schon wieder ein Film über eine Verkettung von Zufällen. Auch wenn der Protagonist hier im Gegensatz zu jenem in DETOUR kaum von sich behaupten könnte, völlig unschuldig ins Schlamassel geraten zu sein. Das macht FAHRSTUHL ZUM SCHAFOTT aber nicht weniger fesselnd, denn die bis ins Detail perfekt konstruierte Story zieht unweigerlich in ihren Bann. Und wenn (und das auf fieserweise durchaus realistische Art) dermaßen viel Pech zusammen kommt, verschlägt es einem ohnehin die Sprache. Faszinierenderweise wirkt das Ganze bisweilen wie ein französischer Film Noir, weil sich in Fotografie und Charakteren deutliche Einflüsse der amerikanischen Genre-Klassiker finden lassen. Schlichtweg atemberaubend finde ich die Fahrstuhl-Szenen, in denen sich das Dilemma des Protagonisten manifestiert, der den perfekten Mord plante, an einer dummen Kleinigkeit scheiterte und nun verzweifelt & weitgehend hilflos dem Scheitern seines Geniestreichs entgegen sieht. Und ich liebe die Szenen, in denen Jeanne Moreau orientierungslos durch die Straßen irrt, begleitet von Miles Davis' stimmungsvollen Jazz-Improvisationen. Kurzum: FAHRSTUHL ZUM SCHAFOTT ist ein Meisterstück und noch dazu ganz einfach ein hochgradig spannender Film.
#95
Geschrieben 05. November 2005, 22:58
(Jitsuroku Abe Sada, Regie: Noboru Tanaka, 1975)
Zugrunde liegt die gleiche wahre Begebenheit, die auch Vorlage für Nagisa Oshimas IM REICH DER SINNE war, hier allerdings schon zuvor als Low-Budget-Film realisiert wurde und später im Skandal um den Oshima-Film zumindest im Westen untergegangen ist. Dabei ist auch Tanakas Film einen Blick wert, zumal er sich sein geringes Budget kaum anmerken lässt, sondern im Gegenteil gerade in Sachen Kameraführung und Musikuntermalung sehr ansehnlich gestaltet ist. In der Sex-Darstellung ist er deutlich weniger explizit als Oshimas Film und die Grenzen zur Pornografie werden hier zu keiner Zeit überschritten. Ohnehin konzentriert sich der Film nicht nur auf die körperliche Besessenheit der beiden Liebenden, sondern räumt danach auch Abe Sadas Umgang mit ihrer Tat bzw. dem anhaltenden Verlangen nach ihrem toten Liebhaber noch einigen Platz ein. Unglücklich finde ich dabei allerdings die Einbindung ihrer schweren Vergangenheit, denn auch wenn das womöglich den Tatsachen entsprechen mag, wirkt es im Film nur wie ein recht plumper Erklärungsansatz und bringt als solches wenig. Gerade an dieser Stelle sammelt im Vergleich IM REICH DER SINNE Pluspunkte und sagt mir auch insgesamt mehr zu, weil er die bedingungslose Obsession intensiver vermittelt. Aber auch DIE GESCHICHTE DER ABE SADA kann Interessierten durchaus empfohlen werden.
#96
Geschrieben 05. November 2005, 23:04
(Play Misty for Me & Breezy, Regie: Clint Eastwood, 1971 & 1973)
Ein kleines Eastwood-Double Feature am Samstagnachmittag, um sich nicht vom tristem Wetter und einer ungemütlichen Erkältung die Laune verderben zu lassen. Nun, sehenswert sind beide Filme. SADISTICO ist ein stellenweise sehr spannender Stalker-Thriller, der schon durch seine markigen Dialoge & Sprüche zu unterhalten weiß und bei dem Eastwood nebenbei auch ausgiebig seinen musikalischen Leidenschaften frönt, wozu sich seine Rolle als Radio-DJ natürlich bestens anbietet. Nur das letzte Drittel des Films fällt ein bisschen arg vorhersehbar aus. Interessant übrigens, dass Eastwood in seinem Regiedebüt wohl auch nachholen wollte, was ihm in seinen meisten vorherigen Rollen als einsamer Revolverheld verwehrt geblieben ist, und so inszeniert er sich selbst in einer fünfminütigen Liebesszene oder läuft nur mit einer Unterhose bekleidet durchs Bild. Doof natürlich andererseits, dass ihm die holde Weiblichkeit in Form eines obsessiven Fans gehörig zu schaffen macht und er bald seines Lebens nicht mehr sicher ist. Zumindest in dieser Hinsicht hatte er es als high plains drifter sicher leichter. Apropos HIGH PLAINS DRIFTER: dessen Filmplakat taucht überraschenderweise in BREEZY auf – entweder hat sich mir der Sinn dieses Zitats einfach nicht erschlossen oder das stinkt ziemlich nach Selbstreferenz. Das wäre dann aber auch fast der einzige Kritikpunkt, den ich an BREEZY hätte, denn ansonsten war ich schlichtweg geplättet von diesem Eastwood-Regiewerk, das leider beinahe völlig in Vergessenheit geraten ist. Erstaunlich auch, wie sicher sich Eastwood hier auf fremden Terrain bewegt, und wie intelligent, gefühlvoll und vor allem ehrlich er seine Geschichte erzählt, in der WILD BUNCH-Anführer William Holden einen zurückgezogen und geschieden lebenden, betont griesgrämigen alten Kerl spielt, der sich in ein lebenslustiges Hippie-Mädel verliebt und erhebliche Probleme hat, das mit sich selbst und seiner Stellung in der Gesellschaft zu vereinbaren. Ein wunderbarer Film, der zwar erst die dritte Regiearbeit von Eastwood war, aber stellenweise schon fast wie ein weises Alterswerk wirkt und obendrein sehr gut gespielt ist. Zusammen mit BRONCO BILLY mein neuer Geheimtipp des Regisseurs.
#97
Geschrieben 09. November 2005, 21:07
(La frusta e il corpo, Regie: Mario Bava, 1963)
Wunderschön anzuschauen und in pure Verzückung versetzend. Ein echter Genießerfilm, dessen Qualitäten sich daher vielleicht auch nicht jedem erschließen. In visueller Hinsicht aber schlichtweg eine Offenbarung. In ruhigen Kamerafahrten gibt es eine prächtige Ausstattung, die äußerst faszinierende Ausleuchtung und die elegante Schönheit Daliah Lavis zu bestaunen. Die wohldurchdachten Bildkompositionen wirken mitunter wie Gemälde, und ein ums andere mal möchte man am liebsten ein Standbild machen, es auf Plakatgröße ausdrucken und sich erst einmal ausgiebig daran ergötzen. Da kommt es sehr gelegen, dass sich die deutsche DVD in fabelhafter Bildqualität präsentiert (und ja, das mag nur das Urteil eines ungeschulten Auges sein, aber die Technik-Fetischisten, die hier das Pixel-Zählen anfangen und sich dann einen Verriss der DVD ausrechnen, tun mir leid). Überdies ist auch die Story um unterdrückte Sexualität und die emotionalen Fesseln der Vernunftehe bemerkenswert und vor allem angesichts der Entstehungszeit beachtlich. Für mich ist DER DÄMON UND DIE JUNGFRAU jedenfalls eine echte Entdeckung, die mir einmal mehr vor Augen führt, was für ein Fehler es war, Mario Bava bis vor einem Jahr (wenn auch ohne böse Absicht) komplett zu ignorieren. Bin sehr gespannt auf die nächsten Bava-Erschließungen, die ich noch vor mir habe.
Dogville
(Regie: Lars von Trier, 2003)
Habe ich immer mit einer guten Portion Skepsis betrachtet, weil mich als Fan von visuellem Kino die Theaterhaftigkeit (noch dazu in Verbindung mit der Laufzeit) dieses Experiments abgeschreckt hat. Umso erfreulicher, wenn man dann vom Film eines besseren belehrt wird, denn seine extrem karge Ausstattung (die natürlich thematisch sinnvoll & zweckmäßig ist) macht DOGVILLE schnell vergessen, wenn Schauspieler und Story ihre Bannkraft entfalten. Dementsprechend fühlte ich mich dann tatsächlich drei Stunden bestens unterhalten und sogar in hohem Maße emotional eingebunden. Und ordentlich Futter für den Denkapparat gibt's noch obendrauf. Beeindruckend!
#98
Geschrieben 11. November 2005, 12:56
(Au revoir les enfants, Regie: Louis Malle, 1987)
AUF WIEDERSEHEN, KINDER hat formale Qualitäten, die ich gerne anerkenne, aber emotional hat mich der Film leider nicht wirklich erreicht. Tja. Vielleicht war ich auch einfach nur zu müde...
#99
Geschrieben 12. November 2005, 21:47
(Major Dundee, Regie: Sam Peckinpah, 1965)
Endlich die letzte fehlende Lücke in Peckinpahs Filmografie als Spielfilm-Regisseur geschlossen. Menschenskind, was hatte ich mich auf die DVD mit der restaurierten Langfassung gefreut, und dann liegt das gute Stück ganze drei Monate ungesehen rum...
Vielleicht lag es an der Aussicht, dass MAJOR DUNDEE auch in der Extended Version noch weit davon entfernt ist, der ursprünglichen Vision des Regisseurs zu entsprechen, auch wenn zumindest ein Teil der einstigen Verstümmelungen, die der Film durch Produzenten erfuhr, halbwegs rückgängig gemacht werden konnte. Deshalb lässt sich jetzt einiges von der wahren Größe, die der Film hätte haben können, ausmachen, andererseits aber nicht verbergen, dass die Story mitunter holprig & lückenhaft wirkt und es gerade beim (von fremder Hand angefertigten) Schnitt deutliche Schwächen gibt. Außerdem mag ich beispielsweise das finale Gefecht nicht so wirklich, was aber auch an einer persönlichen Abneigung gegen derlei Massen-Szenen liegen dürfte. Dennoch ist MAJOR DUNDEE auch in dieser Form wirklich lohnenswert, wegen der hochkarätigen Darsteller-Riege einerseits (bei der in den Nebenrollen bereits viele von Peckinpahs späteren Stammschauspielern an Bord sind), wegen seiner interessanten Thematik andererseits. Denn der Film ist dahingehend eine Art Bindeglied zwischen THE SEARCHERS und THE WILD BUNCH, und es geht bereits um einige der wesentlichen Konflikte, die auch Peckinpahs spätere Antihelden umtreiben. Spannend ist an MAJOR DUNDEE natürlich auch weniger die vordergründige Abenteuergeschichte, sondern vor allem die Auseinandersetzungen innerhalb der von Major Charlton Heston angeführten, bunt zusammengewürfelten Truppe. Denn die kann man durchaus als Sinnbild sehen für in sich zerrissene, an der eigenen Identität zweifelnde USA, die ihre inneren Probleme auf Dritte projizieren, um sich an einem gemeinsamen Feind aufzurichten und erst daran als Einheit zu definieren. In diesem Sinne ein gerade in den letzten Jahren wieder hochaktuell gewordener Film.
So, und bei dieser Gelegenheit müssen endlich mal wieder alte Traditionen ausgepackt werden:
Sam Peckinpah Top Ten
1. THE WILD BUNCH
2. WER GEWALT SÄT
3. GETAWAY
4. BRING MIR DEN KOPF VON ALFREDO GARCIA
5. PAT GARRETT JAGT BILLY THE KID
6. SACRAMENTO
7. STEINER – DAS EISERNE KREUZ
8. JUNIOR BONNER
9. SIERRA CHARRIBA
10. DIE KILLER-ELITE
Mit anderen Worten: sechs Meisterwerke, ein Beinahe-Meisterwerk, ein unscheinbarer Geheimtipp, ein ausgebremstes Meisterwerk und einer meiner liebsten Agentenfilme. Nicht zu vergessen ist aber, dass das Regiedebüt GEFÄHRTEN DES TODES ein bemerkenswertes Frühwerk ist, dass ABGERECHNET WIRD ZUM SCHLUSS als vielleicht persönlichster Peckinpah-Film besondere Beachtung verdient, dass CONVOY zumindest ein unterhaltsames Road Movie mit Trucker-Feeling ist, und dass DAS OSTERMAN-WEEKEND zwar Peckinpahs letzter und vielleicht auch schwächster Film ist, aber dennoch voller interessanter Aspekte steckt. Anders ausgedrückt: für mich gibt es unter diesen 14 Regie-Werken keinen einzigen schlechten, noch nicht einmal einen mittelmäßigen Film. Jeder Film von Peckinpah ist auf seine Weise lohnens- und entdeckenswert. Aber das ist natürlich nur die mit Sicherheit voreingenommene Sicht eines Fans...
#100
Geschrieben 12. November 2005, 21:53
(Regie: Rainer Werner Fassbinder, 1974)
Ein starker und bitterer Film, weil er einem allgegenwärtige gesellschaftliche Mechanismen schmerzlich vor Augen führt. Zuerst habe ich die in ungenierter Offenheit zur Schau getragene Fremdenfeindlichkeit der Figuren als etwas plakativ empfunden, bis mir von Zeitzeugen bestätigt wurde, dass das in dieser Form in den bundesdeutschen 70er Jahren tatsächlich regelrecht bürgerlicher Konsens war. Die damals offensichtlichen Probleme sind heute durch Gewöhnung einerseits, durch Ghettoisierung andererseits (deren für alle Seiten verheerende Folgen sich wiederum gerade in Frankreich und womöglich bald auch andernorts aufs Extremste bemerkbar machen) zumindest von der Oberfläche verschwunden – aus den Köpfen sind die Ressentiments aber nicht gewichen, weshalb Fassbinders Film noch immer erschreckend aktuell ist (zumal die Problematik heute sogar noch um eine Dimension erweitert ist, wenn die sog. Parallelgesellschaft ihrerseits ein Ausbrechen ihrer Angehörigen aus den eigenen Konventionen nicht zulässt – siehe die kürzliche Ermordung türkischer Mädchen durch die eigenen Geschwister als "Strafe" für Integration im Gastland). Auch, weil es ihm eher um das Aufzeigen allgemeiner Mechanismen (und in Bezug auf die durch Abweichung von der konstituierten Norm hervorgerufenen Reaktionen ist es im Grunde egal, ob es nun die unterschiedliche Herkunft & Kultur, das unterschiedliche Alter oder das gleiche Geschlecht ist) als um den konkreten Fall im konkreten Umfeld geht. Und im Gegensatz zum ersten plakativ-Reflex gefällt mir bei näherem Hinsehen, wie differenziert ANGST ESSEN SEELE AUF letztlich doch ist. Es gibt nicht nur die stumpfen Anfeindungen, sondern auch Graustufen (etwa die Duldung des Vermieters, auch wenn sich selbiger später als recht teilnahmslos entpuppt [indem er etwa die im Treppenhaus weinende Emmi ignoriert], was die Frage aufwirft, ob er nicht lediglich früher als die anderen ökonomische Gesichtspunkte über seine Abscheu erhoben hat). Was am Ende schmerzlicherweise auch auf Emmi selbst zutrifft, die so sehr auf ihre Re-Integration angewiesen ist, dass sie dafür schließlich sogar selbst an der Ausgrenzung anderer teilnimmt.
#101
Geschrieben 13. November 2005, 23:09
(La maschera del demonio, Regie: Mario Bava, 1960)
Pures Gold. Besser als BLUTIGE SEIDE und DER DÄMON UND DIE JUNGFRAU ginge es nicht, dachte ich, aber Mario Bava beweist mir mit seinem wahrscheinlich bekanntesten Film das Gegenteil. Ein schaurig-schönes Gruselmärchen mit kraftvollen, einmal mehr ungeheuer atmosphärischen Bildern. Gewissermaßen ein Pionierwerk - ungeheuer einfallsreich und mit einem inszenatorischen Wagemut, der DIE STUNDE WENN DRACULA KOMMT mühelos in eine Reihe von Filmen wie PEEPING TOM oder AUGEN OHNE GESICHT stellt. Und über allem schwebt Barbara Steele in einer unglaublichen Doppelrolle. Ganz einfach reine Kinomagie und ein Meilenstein seines Genres. Ab heute zählt Mario Bava offiziell zu meinen Lieblingsregisseuren.
#102
Geschrieben 13. November 2005, 23:14
(Chûgoku no chôjin, Regie: Takashi Miike, 1998)
Ein ungewohnt ruhiger, fast meditativer Film vom cineastischen Wüstling Takashi Miike. Witzigerweise erinnert der Schauplatz stellenweise an italienische Kannibalenfilme, und große Wasserschildkröten gibt's auch, und eine davon wird sogar übel traktiert – hier aber nur filmisch (bzw. im Off) und dankenswerterweise nicht als echte Tiertötung. Und Menschenfresser sind unter den Vogelmenschen (ha, schon wieder Deodato) auch keine zu finden. Schließlich ist Miikes Film eher eine Huldigung an ein in friedliebender Naturverbundenheit lebendes Dorf irgendwo tief drin im chinesischen Hinterland. Anfangs werden noch einige herrlich skurrile Momente serviert, aber je weiter sich die beiden Hauptfiguren, ein Geschäftsmann und ein Yakuza, von der gewohnten Zivilisation entfernen, desto grandioser werden die Landschaftsaufnahmen und faszinierender die Menschen, denen Protagonisten und Zuschauer begegnen. Mitunter zaubert Miike hier wirklich pure Poesie aus dem Ärmel. Ein wirklich schöner Film, für den es natürlich nur einen passenden Smiley geben kann:
Takashi Miike Top Five
1. THE BIRD PEOPLE IN CHINA
2. ICHI – THE KILLER
3. AUDITION
4. VISITOR Q
5. DEAD OR ALIVE
#103
Geschrieben 17. November 2005, 00:11
(Regie: Herschell Gordon Lewis, 1964)
Yeeeee-Ha! Oh, the South's gonna rise again!
Wortwörtlich eine Mordsgaudi! Ein Südenstaatenkaff feiert den 100. Geburtstag des Bürgerkrieges und holt sich dazu ein paar Yankees als "Gäste" an Bord, denn zu einer zünftigen Feier gehören nach Auffassung des liebreizenden Pleasant Valley schließlich auch Blutopfer, die selbstverständlich auf möglichst sadistische Weise eingefordert werden. Also wetzt man das Schlachtermesser, baut Foltergerätschaften auf und macht dann fröhlich Jagd auf die Eingeladenen...
Keine Frage: TWO THOUSAND MANIACS ist Trash reinsten Wassers und die Liste seiner formalen Mängel ist kaum zu überblicken – von lausigen Schauspielern über amateurhafte Kameraführung bis hin zu lachhaften Splattereffekten (mit roter Farbe übergossene Puppen...). All das macht aber herzlich wenig, weil der Film aus ganz anderen Gründen stellenweise verdammt viel Spaß macht. Die grobschlächtige, hölzerne, rüde Art des Films ist einfach herrlich! Natürlich darf man das Ganze nicht mal ansatzweise ernst nehmen – aber das nicht im Sinne der augenzwinkernden Ironie-Tour, nein, dieser Film lacht einem mit voller Kraft ganz einfach laut und schallend ins Gesicht! Genau wie die Metzgermeister hier bei ihren teils überaus grotesken Tötungsmethoden ihren Opfern mit brüllendem Gelächter und aufgedrehter Fröhlichkeit zu Leibe rücken. Vor allem in der wahnwitzigen ersten Hälfte (Stichworte: Umleitung; Kind & Katze; Finger ab & Arm auf den Grill...) ist das wirklich ziemlich unfassbar – muss man gesehen haben, um es zu glauben! In der zweiten Hälfte verliert der Film dann etwas an Drive & Einfallsreichtum und man hat Gelegenheit, zum Beispiel darüber nachzugrübeln, dass Hauptdarstellerin und Playmate Connie Mason bisweilen sehr an (die aber erst später bekannt gewordene) Faye Dunaway erinnert. Trotz des schwächelnden Ausklangs wird man von TWO THOUSAND MANIACS aber insgesamt richtig gut (und gar nicht mal doof, sondern mitunter sogar recht gewitzt!) unterhalten. Zudem ist das Ding natürlich auch aus filmhistorischer Sicht von einigem Interesse, auch wenn der krude Spaß, den offensichtlich auch die Filmemacher beim Dreh hatten, im Vordergrund steht.
#104
Geschrieben 19. November 2005, 17:50
(E Dio disse a Caino, Regie: Antonio Margheriti, 1970)
Zu Beginn ein bisschen gemächlich, aber sobald der Rachefeldzug beginnt entpuppt sich die exotische Mischung aus zwei der bemerkenswertesten italienischen Filmgenres der 60er Jahre, Spaghettiwestern und Gothic Horror, als außerordentlich faszinierend und effektiv. Statt sonnenverbrannter Präriesteppe und lichtdurchfluteten Wüstenkäffern gibt es hier zwei Drittel der Laufzeit nächtliche Finsternis und eisig durch alle Ritzen pfeifenden Wind als reichlich unwirtliche Umgebung. Angefangen beim Unheil verkündenden Läuten der Kirchenglocke, den bedrohlichen Hausfassaden, wehenden Vorhängen und einem faszinierenden Spiegelkabinett drängen zunehmend Horror-Elemente in den Vordergrund. Ebenfalls untypisch, aber gleichfalls sehr überzeugend verkörpert ist auch Klaus Kinskis positive Rolle, wobei Margheriti schon im Originaltitel und auch beim Schlusstext darauf hinweist, dass wir es weniger mit einem heldenhaften Sympathieträger zu tun haben, als vielmehr mit einem Verdammten, der zwar mit besessener Konsequenz das tut, was er tun muss (und damit auf seine Weise auch für eine Art Gerechtigkeit sorgt), aber dadurch weder Glück, noch Erlösung findet. Ein tragischer Satan der Rache.
#105
Geschrieben 19. November 2005, 17:56
(Gli orrori del castello di Norimberga, Regie: Mario Bava, 1972)
Gehört nicht ganz zur Spitzenklasse der Bava-Filme, hat aber auf jeden Fall genügend Reize, um dem Bava-Enthusiasten den Tag zu versüßen. Ausstattung, Farbgestaltung und Fotografie sind wieder mal erste Sahne, wobei es Bava diesmal weniger auf ausgiebige Interieur-Begutachtungen anlegt, sondern viel mit Freiluft-Lichtspielen experimentiert. Vor allem die vielfältigen Einsätze von Nebelschwaden wissen zu gefallen. Schön ist auch Bavas mitunter leicht ironische Inszenierung, bei der Szenen und Motive aus DIE STUNDE WENN DRACULA KOMMT oder BLUTIGE SEIDE einer sanften Selbstparodie unterzogen werden. Mitunter gibt's auch Trash-Anflüge, aber der Film kippt nie, weil er auf der anderen Seite eine Reihe harscher und wirkungsvoller Schockmomente auffährt. Für wohliges Gruselgefühl sorgt wiederum der Hauptschauplatz: ein großes, geheimnisvolles Schloss in der Nähe von Wien, auf dem der aus dem Totenreich zurückgeholte Blutbaron sein mörderisches Unwesen treibt. Eine bemerkenswerte Kulisse, deren Möglichkeiten Bava zu nutzen wusste.
#106
Geschrieben 20. November 2005, 19:05
(The Comedy of Terrors, Regie: Jacques Tourneur, 1964)
Frühsport mit Felix. Oder so. Wenn die Horror-, Krimi- und Gruselfilm-Legenden Vincent Price, Peter Lorre, Boris Karloff und Basil Rathbone sich unter der Regie von Altmeister Jacques Tourneur gemeinsam in einem Film versammeln, kann ja eigentlich nicht viel schief gehen, aber dass der Film so viel Spaß macht, hätte ich dann doch nicht erwartet. Eine wahrhaft turbulente Bestatter-Groteske (wenn auch an einigen wenigen Stellen vielleicht zu turbulent) mit einem wendungsreichem Drehbuch voller irrwitziger Einfälle, reichlich makaberem Humor und herrlich bissigen Dialogen. Genau so (und gerade wenn man später am Tag zufällig ein paar Minuten eines Schwachsinns wie SCOOBY-DOO sieht, wird einem das umso deutlicher bewusst) sollte eine originelle Komödie aussehen!
#107
Geschrieben 22. November 2005, 22:12
(Flatliners, Regie: Joel Schumacher, 1990)
Joel Schumacher hat vom millionenschweren Blockbuster-Vehikel bis zur Low-Budget-Produktion wahrlich schon die unterschiedlichsten Sachen gemacht – auch in qualitativer Hinsicht. Auf der einen Seite konnte ich nie mehr als ein paar Minuten seiner BATMAN-Filme ertragen, halte 8MM für eine recht zwiespältige Angelegenheit und auch THE LOST BOYS war gar nicht mein Fall. Auf der anderen Seite finde ich FALLING DOWN brillant, war von TIGERLAND beeindruckt und halte NICHT AUFLEGEN für ein gelungenes formales Experiment. FLATLINERS dagegen ist eher so etwas wie ein inhaltliches Experiment, bemerkenswert allein deshalb, weil er sich dem wohl größten aller unzähligen "letzten" Geheimnisse menschlichen Lebens widmet – der Frage, ob und wie es nach dem Tod mit uns weitergeht. Das wollen fünf Medizinstudenten per im Selbstversuch herbeigeführter Nahtoderfahrung herausfinden. Das Problem von FLATLINERS besteht natürlich darin, dass er ähnlich wie Science-Fiction-Filme mehr oder weniger auf pure Spekulation angewiesen ist (auch die realen Erfahrungsberichte von Menschen mit Nahtoderfahrung sind ja eher vage, was schon an ihrer mangelnden Konvertierbarkeit in menschliche Kommunikation liegen dürfte). Deshalb tut der Film gut daran, mit einem soliden Thriller-Gerüst, der teils beklemmenden Optik und seiner Besetzung (spätere Stars in jungen Jahren, u.a. Kiefer Sutherland, Julia Roberts, Kevin Bacon) zumindest in handwerklicher Sicht überzeugend zu sein und darin auch einiges Unterhaltungspotenzial zu bieten. Die Visualisierung der Nahtoderlebnisse dagegen ist eher konventionell, gleichfalls aber naturgemäß eben trotzdem ziemlich spekulativ. Problematischer ist aber, dass der Film gegen Ende abbaut und sich vor allem viel zu sehr auf die Schuld-und-Sühne-Aspekte konzentriert, ohne damit seiner komplexen und vielschichtigen Thematik gerecht zu werden. Klar, der Film kann sicherlich keine Antworten geben – denn das kann in diesem Fall schließlich sowieso niemand. Dann hätte man es sich aber ehrlicherweise auch verkneifen können, unbedingt simple Antwortmöglichkeiten und Botschaften präsentieren zu wollen. Dennoch ist FLATLINERS sehenswert, weil er als spannender Thriller funktioniert, gleichzeitig aber trotz allem auch eine Menge interessanter Denk- und Diskussionsanstöße gibt.
#108
Geschrieben 24. November 2005, 18:51
(Harry Potter and the Goblet of Fire, Regie: Mike Newell, 2005)
Nett. (Und das darf jetzt jeder so verstehen, wie er mag.)
#109
Geschrieben 26. November 2005, 14:23
(Autostop rosso sangue, Regie: Pasquale Festa Campanile, 1977)
Eine Perle des italienischen Genre-Kinos, in Deutschland auch noch unter dem liebreizenden Titel WENN DU KREPIERST, LEBE ICH! bekannt. Der internationale Titel HITCH-HIKE passt aber besser, weil es sich hier weniger um einen reißerischen Brachial-Exploiter handelt, sondern eher um einen geschickt konstruierten, intelligenten Thriller, der mit einer bedrückend ambivalenten Charakterzeichnung überzeugt. Ähnlich wie Bavas WILD DOGS konzentriert sich auch DER TODES-TRIP vorwiegend auf die Kidnapping-Situation in einem fahrenden Auto und die daraus entstehende, beklemmende Atmosphäre. Untermalt wird das Ganze von einem wunderbar entspannten, zwischen Jazz und Easy Listening pendelnden Score von Ennio Morricone, der den Zuschauer aber mitunter auch mit irritierend sinnlich-erotischen Tönen aufs Glatteis führt. Und während Franco Nero und David Hess zuweilen die Frage aufwerfen, wer von beiden der größere Sauhund ist, zeigt sich Corinne Clery verblüffend freizügig (dahingehender Höhepunkt: die Szene, in der sie nackt, aber mit einem Gewehr bewaffnet aus dem Wohnwagen steigt!), während ihr Filmcharakter wahrlich nicht zu beneiden ist in diesem dreckigen Roadmovie voller Gier und Zynismus.
#110
Geschrieben 26. November 2005, 14:24
(Operazione paura, Regie: Mario Bava, 1966)
Ein weiteres Meisterstück von Mario Bava, das einem die Augen übergehen lässt. Eine faszinierende Verquickung von Ästhetik und Grauen, Sinnlichkeit und Übersinnlichem, Schönheit und Grausamkeit. Große Kunst, ohne gekünstelt zu sein. Farbenprächtig, ohne grell und überladen zu wirken. Perfekt arrangiert, ohne prätentiös zu erscheinen. Einfach sehen, staunen, genießen. Ich glaube mit Bava könnte selbst der langweiligste Museumsbesuch zur Augen öffnenden Entdeckungsreise werden. Diese Fähigkeit, seine Umwelt immer wieder neu zu entdecken & sie dabei visuell intensiv zu erleben, und mit kleinen Mitteln, aber unbändigem Gestaltungswillen aus eigentlich recht alltäglichen Dingen große Schauwerte zu kreieren, ringt mir große Bewunderung ab.
(Sehr witzig ist übrigens der deutsche Trailer, der vollkommen absurd ist und noch viel stärker am Film vorbei geht, als der ohnehin schon recht schwachsinnige deutsche Titel.)
#111
Geschrieben 26. November 2005, 14:26
(Regie: Martin Gypkens, 2003)
Den Anfang verpasst, weil nur durch Zufall eingeschaltet, dann aber direkt hängen geblieben. Junges deutsches Kino mit Geschichten und Momentaufnahmen, die nicht aufgesetzt und lebensfern wirken, sondern aus dem Leben gegriffen sind. Mit glaubwürdigen Charakteren und nachfühlbaren Konflikten, auch wenn an einigen Stellen vielleicht noch etwas mehr Feinschliff gut getan hätte. Und sicherlich hat WIR einen Bonus, wenn man in ähnlichem Alter und ähnlicher Lebensphase wie die Protagonisten ist, aber ich würde ihn auch jenseits der persönlichen Identifikation als lohnenswerten, erfrischend authentischen Film bezeichnen.
#112
Geschrieben 27. November 2005, 21:13
(Sydney, Regie: Paul Thomas Anderson, 1996)
Ziemlich weggeblasen worden. Ein solch geniales Spielfilm-Debüt sieht man wahrlich nicht alle Tage. Bin ohnehin ein Fan von Spieler-Filmen und speziell auch von Las Vegas-Filmen. Schließlich bietet diese Glitzerwelt die ideale Umgebung, um nicht nur von glamourösen Gewinnern & gescheiterten Existenzen, von Lebensträumen & zerstörten Hoffnungen zu erzählen, sondern sich mit Schein und Sein, Täuschung und Fassade auseinander zu setzen. Und um Fassaden geht es auch in LAST EXIT RENO in erster Linie, um verschiedene Ebenen, die nach und nach abgetragen werden. Hier gibt es wirklich eine Menge zu entdecken, und man ist sicherlich gut beraten, wenn man ohne großes Vorwissen an den Film heran geht. Und über die ungeheuer versierte Inszenierung (mal elegant, mal kühl-präzise, mal warmherzig, mal stimmungsvoll), die Charakterzeichnungen und die Darstellerleistungen könnte ich seitenlang schwärmen. Ein kleiner Geniestreich!
#113
Geschrieben 28. November 2005, 21:54
(Une femme est une femme, Regie: Jean-Luc Godard, 1961)
...und Godard ist Godard. Ähnlich wie viele seiner anderen Frühwerke (und ich kenne von ihm eigentlich nur die Filme aus den 60er Jahren) ist auch EINE FRAU IST EINE FRAU vor allem eines: eine Art kreatives Chaos. Nach Herzenslust und bis zum Exzess wird mit Form & Handwerk experimentiert, Althergebrachtes über Bord geworfen und traditionelle Erzähltechniken auf den Kopf gestellt. Durch gezielte Verfremdung (indem sich etwa die Schauspieler mitunter direkt ans Publikum wenden) wird man immer wieder bewusst aus dem filmischen Universum gerissen – ja nicht zu viel Identifikation, ja nicht zu viel Emotionen, ja nicht zu viel Story. Der Film ist Liebesfilm, Komödie, Tragödie und Musical zugleich – und doch nichts von alledem. Unentwegt prasseln Ideen, Statements, Zitate, Provokationen und Thesen auf den Zuschauer ein. Bisweilen ergeben sich aus diesen Einfällen wirklich köstliche Momente & Dialoge, und als eigenwillige und ironische Satire auf Kommunikationsprobleme zwischen den Geschlechtern ist das Ganze durchaus eine gelungene Sache, auch wenn der Film natürlich in erster Linie ein verblüffendes Spiel mit filmischen Ausdrucksformen ist. Die Experimente mit der Tonspur schossen mir diesbezüglich dann aber doch etwas übers Ziel hinaus und nervten mich zuweilen. Beim Bild lasse ich mir Jump-Cuts und Stakkato-Schnitte unter Umständen noch gefallen, aber beim Ton wird es schwieriger. Als Ausgleich gibt's allerdings eine mal wieder hinreißende Anna Karina, deren verspielte Darbietungen ich ausgesprochen gerne sehe. Schon deshalb kann ich dem Film natürlich nicht ernsthaft böse sein.
#114
Geschrieben 30. November 2005, 23:56
(The Claim, Regie: Michael Winterbottom, 2000)
Hab den Film damals im Kino verpasst, was mich als alten Westernfreund sehr geärgert hat. Schließlich hat Winterbottom seine beeindruckenden Landschaften hier eingefangen in schönstem Cinemascope, dem einzigen wahren Format für Western und fürs Kino. Tja, nun habe ich das Versäumnis endlich nachgeholt, wenn auch nur auf dem heimischen Fernsehschirm, wo diese großartige, verschneite Winterlandschaft natürlich nur beschränkt zur Geltung kommt. Aber THE CLAIM hat ohnehin noch genug anderes zu bieten. Nicht nur in seinem landschaftlichen Hintergrund, sondern auch in seiner inhaltlichen und filmischen Herangehensweise sowie den Ähnlichkeiten zwischen den Hauptfiguren entpuppt sich Winterbottoms Film schnell als eine Art Variation von Robert Altmans McCABE & MRS. MILLER und steht auch sonst in der Tradition der nüchternen post-WILD BUNCH New Hollywood-Western. Insofern muss man auf gewohnte Genre-Zutaten weitgehend verzichten, und wer bleigeschwängerte Luft und stilisierte shoot outs sehen will, ist hier sich an der falschen Adresse. THE CLAIM ist ein Charakterdrama einerseits, eine (so weit möglich) authentische und ehrliche Zeitstudie andererseits – und das, was er zeigen und erreichen will, schafft er ganz fabelhaft. Das Leben des Westerners ist hier kein Zuckerschlecken und schon gar kein Abenteuer-Trip. Es ist eine einzige Schinderei, von den Unwägbarkeiten der Natur geprägt. Saukalt ist es und für jeden Krümel Gold muss der waghalsige Glücksritter schuften bis zum Umfallen und dabei zusehen, dass ihn nicht die Kälte, die Arbeit oder die Einsamkeit dahin rafft. Da ist man dann schon glücklich, wenn irgendwann ein Hauch von Zivilisation anrauscht und man sich beispielsweise im immer an vorderster Front Beistand bietendem Bordell etwas Abwechslung verschaffen kann. Sonst gibt's da draußen schließlich nicht so viele Freuden. Aber wenn man die nötige Skrupellosigkeit mitbringt und es geschickt anstellt, wird man vielleicht eine zeitlang König dieser Vorhut der Zivilisation, diesem Pionier-Haufen von Goldgräbern & Eisenbahnvermessern. Bis irgendwann die nächsten Claims abgesteckt werden, und der Lauf der Zeit und der Fortschritt über einen hinweg rollt...
P.S.: Sehr gelungen ist auch die Darstellung des Konflikts von "alter" und "neuer" Welt. Und in einer symbolischen Szene reitet der "alte König" Dillon einsam durch die Reihen der geschäftigen Bauarbeiter, wie es einst Henry Fonda im ähnliche Konflikte schildernden SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD tat...
#115
Geschrieben 30. November 2005, 23:57
(Regie: Christopher Cain, 1988)
Hat mich stark an Walter Hills LONG RIDERS erinnert. Warum? Weil die Filme einfach verdammt ähnlich aussehen. Der ganze Look, das Erscheinungsbild, sogar die Zeitlupen (wobei Hill sich da gekonnter als Cain bei Peckinpah bedient). Und nein, das ist nicht unbedingt positiv gemeint. Bei Western mag ich nämlich in erster Linie zwei Gruppen von Filmen, die man ganz grob so umschreiben könnte: kraftvolles Erzählkino amerikanischer Prägung auf der einen Seite; von visuellen Aspekten dominierte Italo-Opern, in denen man den Staub schmecken und das Blei riechen kann, auf der anderen Seite. YOUNG GUNS kann ich keiner dieser Gruppen zuordnen. Während LONG RIDERS wiederum auf seine Weise wenigstens als Ballade funktioniert, mag ich besagten Look in beiden Filmen nicht. Die Kostüme, die Ausstattung – all das wirkt auf mich so sauber, so maßgeschneidert. Das ist nicht abgetragen, nicht dreckig, nicht cool. Und die ganze Art, wie YOUNG GUNS gefilmt ist, wie die Reitszenen inszeniert sind, liegt mir auch nicht so recht. Ich will den Film nicht schlechter schreiben, als er ist. Die Jungstar-Besetzung (Brat Pack und so) ist bemerkenswert, und einige Momente sind wirklich richtig gut. Der Film ist schon okay und hat auch keine anödende Ausstrahlung, aber mein Fall ist es halt nicht unbedingt.
#116
Geschrieben 01. Dezember 2005, 23:58
(Lo strano vizio della Signora Wardh, Regie: Sergio Martino, 1971)
Ein toll anzuschauender Giallo, beatmet von den Originaldrehorten in Wien einerseits und der zeittypischen Mode & ebensolchen Wohnungseinrichtungen andererseits. Der Film ist spannend, fies und sexy. Mit einer angenehm einfallsreichen Kameraführung und einer sehr gern gesehenen Edwige Fenech. Der Plot ist zwar wie üblich manchmal ein bisschen löchrig, was aber durch die fesselnde Inszenierung ausgeglichen wird. Die letzte Viertelstunde ist sogar absolut unfassbar in ihrer bösartigen Irreführung – ganz große Klasse! Wirklich fabelhaft ist außerdem der schmissige Score von Nora Orlandi, die ihren bekannteren Kollegen im italienischen Filmmusik-Bereich von Ortolani bis Nicolai hier in nichts nachsteht.
#117
Geschrieben 02. Dezember 2005, 00:04
(Shadow of a Doubt, Regie: Alfred Hitchcock, 1943)
Ein toller Hitchcock-Film, wenn auch keines seiner großen Meisterwerke. Aber das Spiel um dunkle Geheimnisse, um geschickte Täuschung, besorgniserregende Verdachtsmomente und tiefe Verunsicherung funktioniert sehr gut und ist wie von Hitchcock gewohnt sehr clever konstruiert. Außerdem ist Joseph Cotton grandios in seiner undurchsichtigen Rolle als Mordverdächtiger, der in einer spießigen Durchschnittsfamilie untertaucht. Mein Favorit unter den erst in diesem Jahr kennen gelernten Hitchcock-Filmen (von denen es, wie mir bei dieser Gelegenheit auffällt, irgendwie kein einziger ins FTB geschafft hat) bleibt allerdings DER FALSCHE MANN.
#118
Geschrieben 07. Dezember 2005, 22:22
(The Anderson Tapes, Regie: Sidney Lumet, 1971)
Annehmbarer Film vom unscheinbaren Meister Sidney Lumet, aber nicht unbedingt Anlass für Euphoriestürme, denn der Mann hat eine Menge besseres gemacht. Trotzdem lohnt ein Blick durchaus, denn während der Film als kurzweiliges heist movie beginnt, wird er dann zunehmend eine bissige Kritik an staatlichen Überwachungsmethoden und deren Einfluss auf die individuelle Freiheit des Einzelnen. Dazu passt dann neben der ohnehin bisweilen recht stilisierten Inszenierung (man denke an das grotesk übersteigerte Finale mitsamt unüberschaubaren Heerscharen von Polizisten) auch, dass bizarre Soundeffekte erklingen, sobald Tonbandgeräte und andere Überwachungsapparate ins Bild kommen. Ohnehin ist der Score von Quincy Jones (GETAWAY) sehr gelungen und bemerkenswert experimentierfreudig. Nett ist außerdem, dass man im ANDERSON-CLAN den jungen Christopher Walken in seinem Spielfilmdebüt erleben darf.
P.S.: Wusste ja, dass Zeit & Motivation irgendwann wieder zurück gehen und will deshalb an dieser Stelle darauf hinweisen, dass es nach dem für meine Verhältnisse absoluten Power-November (sowohl was Filmkonsum, als auch Eintragsfrequenz angeht) in meinem FTB in nächster Zeit wieder ruhiger zugehen wird. Will nicht zwanghaft an der zuletzt praktizierten, lückenlosen Protokollierung festhalten, wenn mir nicht danach ist; würde nämlich nur dazu führen, dass die Einträge irgendwann in völlige Banalität absinken und das ganze zur lästigen Pflichtübung wird. Daher vorerst also wieder mehr nach Lust & Laune und weniger an strenger Vollständigkeit orientiert. Und kann auch gut sein, dass ich demnächst ein bisschen mit der Form der Einträge experimentiere.
#119
Geschrieben 07. Dezember 2005, 22:30
(Diabolik, Regie: Mario Bava, 1968)
Eine meiner schönsten filmischen Entdeckungen in diesem Jahr. Man sollte ja eher meinen, dass meine Bava-Euphorie sich beim Vordringen in Gefilde jenseits der anerkannten Meisterwerke zusehends in Enttäuschungen äußern würde wegen allzu in die Höhe getriebener Erwartungen und weil ich seine mutmaßlich besten Filme bereits gesehen habe. Stattdessen werde ich aber platt gemacht von einem DANGER: DIABOLIK, der alle Erwartungen spielend übertrumpft. Wobei das spielend hier durchaus wörtlich genommen werden darf, weil diese absurde Superschurken-Groteske sich so unverschämt leichtfüßig und verspielt von einem vollkommen durchgeknallten Einfall zum nächsten hangelt. Wenn man an die vielen mäßigen bis verhunzten Comicverfilmungen denkt, die an sklavischer Vorlagentreue oder lebloser Spezialeffekt-Gigantomanie krankten, wirkt Bavas im wahrsten Sinne des Wortes augenzwinkernde Herangehensweise (wo kein Superheld, sondern ein egoistischer & hedonistischer Superschurke im Mittelpunkt steht, seine Verfolger immer wieder aufs Neue zum Narren hält und dennoch alle Sympathien auf sich zieht) herrlich befreiend und vermittelt gleichzeitig ein Gefühl dafür, wie sich ein Comic in filmische Sprache übersetzt anfühlt. Vor allem die Experimentierfreudigkeit mit handwerklichen Aspekten spielt da eine wichtige Rolle, ob nun bei den liebenswert überbetonten Rückprojektionen oder den teils in beschleunigter Bildfolge abgespielten Actionszenen. Neben den Comic-Aspekten, die ich sowieso nicht hinreichend würdigen kann, weil ich leider weder Fan noch Kenner der Comic-Kultur bin, macht der Film vor allem als großartig ausgestattetes Zeitgeist-Kino riesigen Spaß. Sixties Pop-Art vom allerfeinsten bekommt man hier geboten, verbunden mit einem traumhaften Set Design und den Bava-typischen Ausleuchtungs-Orgien, die sich hier allerdings naturgemäß bunter, poppiger und fröhlicher als in seinen Horrorfilmen präsentieren und einfach nur wundervoll anzusehen sind. Überhaupt schwelgt DANGER: DIABOLIK fortwährend in purem Luxus und sieht daher auch richtig teuer aus – war es aber im Vergleich mit ähnlichen Produktionen aus dieser Zeit keineswegs, auch wenn Low Budget-Genie Bava hier offensichtlich die größten Produktionsmittel seiner Karriere zur Verfügung hatte. Ungewöhnlich auch seine meines Wissens einzige Zusammenarbeit mit Ennio Morricone, der hier nach meinem Empfinden einen der allerschönsten Soundtracks seiner irrwitzig umfangreichen Filmografie abgeliefert hat. Ein beschwingter, psychedelischer, erotischer und poppiger Score, der sofort ins Ohr geht. Toll ist auch der schelmische, subversive Humor des Films, der sich am besten in der Lachgas-Attacke zeigt – eine herrliche Szene, die im allerschönsten Sinne ansteckend ist! Nicht zu vergessen auch, dass DANGER: DIABOLIK – und das passt perfekt zu seinem erquickenden Oberflächenglanz – unerhört sexy ist. Vor allem Marisa Mell ist atemberaubend und macht eine verdammt gute Figur, ob nun im Bikini, in elegant-luftigen Kleidern oder in engsten Hot Pants! Zudem bestimmt eine betörende Atmosphäre sinnlicher Erotik viele Stellen des Films und vor allem die Szenen zwischen Mell und Hauptdarsteller John Phillip Law. Ansonsten liebe ich: den knallbunten Nebel der Eröffnungsszene; Diaboliks diabolisches Lachen; die Strudel-Sequenzen; Diaboliks absurde Klettereien; die eigentlich gar nichts mit der Handlung zu tun habende, zugedröhnte Drogen-Party in einem Nachtclub; Diaboliks riesige, futuristische Höhle und darin vor allem die ausgedehnten Sofa-Landschaften, das überdimensionierte Orgel-Warnsystem und die stylischen Duschen; Valmonts Pool mit Obst-, Knabbergebäck- und Likör-Schwimminsel; Diaboliks Attentat auf das Finanzwesen und die darauf folgende aberwitzige, an den Nationalstolz der Steuerzahler appellierende Ansprache des Finanzministers; und vieles mehr. DANGER: DIABOLIK ist einfach einer dieser Filme, die man nach Ansicht sofort jedem ans Herz legen möchte. Ein fantasievoller, hinreißender Film, der die Lust am Visuellen, am Sehen, aber auch am Leben, am Verschwenden, am Genießen feiert. So voller reizvoller Details und Kleinigkeiten, dass man ihn am liebsten gleich noch mal sehen würde. Einer meiner Kandidaten für die einsame Insel. Amen.
#120
Geschrieben 27. Dezember 2005, 23:59
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