Nicht nur allein der Name Steven Seagal ließ Erwartungshaltungen nach unten sinken, auch die ungeheuer schlechten Kritiken in den USA (Tomatometer bei rottentomatoes: grandiose 3 Prozent!) taten ihr übriges. Doch beides reichte nicht aus, um den Film würdevoll über die Leinwand geistern zu lassen und hinterher ist man zumindest dahingehend schlauer, dass selbst noch niedrigste Erwartungen mit leichter Hand unterschritten werden können.
Weitgehend peinlich versucht der Film einerseits über stumpfe, schwerfällige NuRock-Standardriffs auf der Tonspur dem xXx-Zug hinterherzuhecheln ("aufzuspringen" wäre wohl in der Tat der falsche Terminus, schon allein angesichts des dargebotenen Seagal'schen Unvermögens hinsichtlich athletischer Leistungen), andererseits aber auch - eigens dafür wurde gar ein Schlitzaugenchoreograf, mit dem sich reichlich profiliert wird, aus Fernost importiert - den Sehgewohnheiten eines Post-Hongkongfilm-Publikums gerecht zu werden. Ganz konkret sieht das dann so aus, dass ein, analog zur Tonspur, recht plumper, bisweilen markanter übergewichtiger Seagal, dessen streetcredibility mit einem leicht albernen Bandana zu erhöhen versucht wurde, immer mal wieder durchs Bild fällt und ca. alle 2 Minuten vollkommen willkürlich Actionszenen runtergeleiert werden, die durch ihre Beliebigheit, ihre dramaturgische Nichtigkeit und ihrer, selbst für Freunde des Selbstzweckhaften nicht zumutbaren, Selbstzweckhaftigkeit eigentlich bloß nerven. Die Story an sich ist selbst Freunden gestandener 80er-Gülle nicht servierbar, das lediglich vermeintlich trickreiche biographische Geflecht zwischen den Hauptdarstellern ist eigentlich schon noch nichtmal mehr abgeschrieben, zudem auch nicht sonderlich einfallsreich und gleich drei Mal nicht ausgereizt worden. HALF PAST DEAD, unumwunden ein Fall für die nächste Kloschüssel.
"Halb tot" nennt sich dieser Schmu dann in deutschen Landen. "Todlangweilig" oder "Mausetot" hätte es weit besser getroffen. Man kann eben nicht alles haben.
With Immo at the movies...
#91
Geschrieben 04. Mai 2003, 16:05
#92
Geschrieben 04. Mai 2003, 23:16
Die lange Reihe der Neuinterpretationen klassischer Universalfilme der britischen Hammer Studios versprühen, zumindest zu Beginn jener Adaptionsphase, einen ganz eigenen Charme. Nicht nur das in der Filmgeschichte erstmalige Verwenden buchstäblich blutroten Lebenssaftes, damit einhergehend die, für damalige Verhältnisse, recht graphische Gewaltdarstellung, die den sich bereits am Horizont abzeichnenden Splatterfilm erahnen ließ, gehört dazu, sondern auch, und vor allem, die stellenweise ziemlich pfiffigen Spielereiein mit dem Originalplot und -stoff sorgen für die eine oder andere angenehme Überraschung. "Horror Of Dracula", die zweite Universal-Adaption, ist das beste Beispiel dafür.
In wunderschönen Sets und Locations wird da die Geschichte um den blutsaugenden Aristokraten, komplett ins Deutschland des 19. Jahrhunderts verlegt, erzählt. Dramatisch, unglaublich dramatisch wird sie angelegt, das Orchester kommt kaum zur Ruhe, so häufig sind die bedeutungsschwangeren Fanfaren vonnöten. Wir werden Zeuge einer einzigen Passionsgeschichte von Verlusten und Niederlagen. Getragen wird diese, wie so oft bei den Hammerstudios, eigentlich recht traurige, am Ende nur wenig versöhnliche Geschichte vor allem durch die klassische Besetzung jener glückseligen Tage: Peter Cushing als Van Helsing, Chrisopher Lee als Dracula, beide gehen sie mit der höchsten Perfektion ihrer Kunst zu Werke. Wunderbar die Szene, als sie sich zum ersten Mal begegnen: Van Helsing entdeckt Draculas Ruhestätte, den Sarg, im Keller eines Anwesens, plötzlich stürzt der Graf zur Tür hinein, erblickt seinen Gegenspieler, verlässt den Ort umgehend wieder, schlägt die Tür hinter sich zu.
Früher, ganz früher, waren die Hammer-Filme - mehr Einträge werden in den nächsten Tagen noch folgen - wohl eher Kost für Jugendliche. Heutzutage wird man jene Klientel wohl kaum von den gotisch-romantischen Schauer-Moralgeschichtchen überzeugen können, dafür sind sie, jetzt nicht etwa kulturpessimistisch gemeint, einfach nicht mehr grell genug. Man muss schon in die Filme hineinreifen, sich von ihnen und ihren ganz eigenen Reizen verführen lassen können, um ihre überschaubar angelegten Erzählungen, ihre visuellen Reize und ihre Umdeutungen gängiger Topoi genießen zu können. Wenn dies aber gelingt, diese Voraussetzungen erfüllt sind, dann sind die Hammerfilme einfach Genrekost zum rundum Liebhaben.
#93
Geschrieben 04. Mai 2003, 23:17
Postmodern angehauchter Ex-Werbefilmer macht mediterrane "Verlassene-Insel"-Schnulze mit der Gattin in der Hauptrolle. Wer meint, das könne doch eigentlich nicht gut gehen, der hat Recht. Die Ironie und Coolness, mit der Ritchie berühmt geworden ist, gibt's hier nicht, hier soll die ganz große Romanze auf die Leinwand gezaubert werden. Unfreiwillig komisch ist das ganze Geschehen jedoch, bestenfalls. Blöd nur, dass sich der Film gerne als ernsten Beitrag verstanden wissen möchte.
#94
Geschrieben 06. Mai 2003, 11:04
Erzählzeit und erzählte Zeit fallen, zumindest emphatisch, aufeinander, allein David ist zu spät. Seltsam, ist doch sonst eigentlich nicht seine Art...
Gelungene Suspense-Studie vom Altmeister, die mich mit inszenatorischem Witz, geschliffenen Dialogen und einer überaus reizvollen Ausgangssituation vor einem ansonsten doch recht langweiligen Abend gerettet hat. Und nach einer Niete wie SWEPT AWAY am Vormittag braucht's einfach zumindest abends etwas für den Genießer. Kleiner, überschaubarer Film. Dennoch sehr, sehr groß!
#95
Geschrieben 06. Mai 2003, 11:06
Eigentlich mag ich solche Geschichten ja sehr gerne: ein Kleiner, der sich durchsetzt, der gegen die Normen rebelliert und sich allein aufgrund seiner Hingabe, seiner Passion, seinem Glauben an die eigene Sache durchsetzt. Sowas darf auch gerne etwas kitschig sein, mir meist egal.
Kurioserweise funktioniert Billy Elliot dann aber doch nicht mit mir. Klar, hier und da ist das schon nett anzuschauen, wie sich der kleine Billy gegen die Ideologie schaffender Männlichkeit im englischen Arbeiterbezirk der Mitt-80er durchzusetzen versucht, seinen Traum, Tänzer zu werden, hartnäckig, against all odds, verfolgt. Über weite Strecken bleibt das dann aber eben doch nur bloße Behauptung von Emotion, reines Runterkurbeln gängiger Motivkonventionen, die weder sonderlich spannend noch sonderlich charmant vorgetragen werden. Der Film will vor allem, schafft es aber nicht, einfach nur zu sein. Und wenn dieser Umstand erstmal klar ist, dann wartet man eben nur noch gelangweilt auf den Schluß, um sich danach wieder anderen Dingen zuwenden zu können. Immerhin: der Vorspann mit dem springenden Billy ist sehr gelungen, was aber vor allem an der musikalischen Untermalung liegt. Formal mag das ganze zwar versiert umgesetzt worden sein, andererseits ist das aber auch ein zu erwartender Standard, wenn jemand schon knapp 2 Stunden meiner Lebenszeit für sich beansprucht.
Schlecht ist Billy Elliot ganz sicher nicht, aber eben auch nicht sonderlich gut. Durschnittlich also, lauwarm, gewollt, aber nicht gekonnt, behauptet, aber nicht eingelöst. Ich bleibe dabei: das ist das schlimmste, was ein Film sein kann. Über schlechte Filme kann man sich wenigstens noch aufregen. Verspürt man indes während einer Sichtung den Drang, mal eben nebenher seine E-Mails zu checken, so sollten die Alarmsirenen grell aufheulen!
#96
Geschrieben 06. Mai 2003, 19:28
Mai in Berlin, Frühling! Von wegen, vor meinem Wohnzimmerfenster ist Herbst, mit allem was dazugehört: grauer Wolkenhimmel, steifer Wind, hochgekrempelte Kragen, dann und wann ein kleiner Regenguß. Außerdem ist's Samstag Nachmittag, man hat so richtig gar nichts geplant - keine Verabredungen, keine Verpflichtungen! -, hat seine Wohlfühlklamotten an, etwas Kuchen und eine frischgebrühte Kanne Kaffee stehen ebenfalls bereit. Was bietet sich da besseres an, als sich faul vor die Glotze zu flätzen, das schlechte Wetter ein genau eben solches sein zu lassen und sich einen alten Schinken der legendären Hammer Studios anzusehen? Eben! Und die erst jüngst erschienene DVD zu Yeti, der Schneemensch fristet ja auch noch ungesehen ihr Dasein im Regal.
Mit Hammer, wie man's eigentlich kennt - knallig farbig, gotisch -, hat Yeti nicht allzu viel zu tun: In kontrastreichem schwarzweiß kommt er daher und auch wenn sich der Film motivisch hier und da ein wenig an King Kong anlehnt, ist das keiner der klassischen Hammer-Grusler - wurde ja auch noch kurz vor der Initialzündung Curse Of Frankenstein gedreht -, sondern vielmehr ein Abenteuerfilm mit gruseligen Untertönen: eine kleine Gruppe unterschiedlich motivierter Abenteurer macht sich, ausgehend von einem tibetanischen Kloster, in die Höhen des Himalayas auf, um den "abscheulichen Schneemenschen" (so der ins Deutsche übertragene Originaltitel) ausfindig zu machen. Kein Monster aus alten Universal-Filmen, keine Schlösser, keine Aristokraten!
#97
Geschrieben 06. Mai 2003, 20:00
Eine alte Swingplatte entdeckt, behutsam aus dem Cover geholt, hier und da schon die Altersspuren auf dem alten Vinyl, und dann sachte aufgelegt. Es knarzt, knistert, zärtlich, und dann, aus heiterem Himmel, geht es los! Es kracht, es fetzt, es swingt, mann, das Timing, es passt exakt, kurzum: es begeistert! Euphorie und, ganz einfach, eine gute Zeit, egal was der Alltag mit sich bringt. Das ist Eskapismus, sicher. Egal, manchmal braucht man das!
Genauso fühlt sich Some Like It Hot an, ein großes Konzert verschiedenster wilder Elemente, die genau aufeinander abgestimmt sind, genau im richtigen Moment zünden und dem Zuschauer keine ruhige Minute lassen. Die Patina, die der Film sicher schon angesetzt hat, schadet nicht im geringsten, unterstreicht eher noch den zeitlosen Charakter!
"Nobody's perfect!", das Schlußwort. Auch kein Film ist perfekt, könnte man ergänzen. Allein, nach diesem Filmerlebnis fällt es sichtlich schwer.
#98
Geschrieben 08. Mai 2003, 13:51
Hammer-Retro, Teil 3: 1966 waren die Zombies noch ganz der klassischen Tradition verpflichtet: willenlose Arbeitssklaven, derer man sich mittels exotischer, haitianischer Voodoorituale ermächtigen konnte. Bis zur modernen, esoterischen Hokuspokus gänzlich beraubten Neuinterpretation der Untoten sollte es in der Lumière-Galaxis noch 3 Jahre dauern, erst ein us-amerikanischer Werbefilmer aus Pittsburgh sollte diesen filmgeschichtlich ungemein wichtigen Schritt wagen.
Hier jedoch sind wir bei den vergleichsweise konservativen Hammer-Studios und dort beginnt ein Zombiefilm eben, ganz der Tradition verpflichtet, in einer scharf kontrastierenden Parallelmontage, die das "das Eigene" und "das Andere" nachhaltig unterstreicht: hier das beschauliche England, Cornwall, um genau zu sein, dort das geographisch noch nicht lokalisierbare Voodooritual, stilecht mit Grotte, exotischen Masken, monoton vorgetragenen Beschwörungsformeln und, nunja, trommelnden "Negern", deren filmdramaturgischer Zweck sich allein auf den exotischen Mehrwert reduziert. Dem folgt eine beinahe etwas behäbige Gruselgeschichte um eben jenes Cornwall, in dem mysteriöserweise in den letzten 12 Monaten ein seltsames Sterben die Runde macht. Der noch recht junge, nicht sonderlich anerkannte Dorfarzt ruft seinen ehemaligen Lehrmeister in die Stadt, um mit dessen Hilfe dem Mysterium auf den Grund zu gehen. Dass die eingeschworene (buchstäbliche) Lokalgemeinschaft beiden nicht traut, ist schon allein den Genrekonventionen geschuldet: "Reing'schmeckte" von Außen, Intellektuelle obendrein, die hinter verschlossenen Türen seltsam vor sich hin forschen.
Kurz bevor der Film droht, langweilig zu werden, tritt er gehörig auf's Gaspedal: das Grauen, zuvor ja immer nur behauptet, tritt ganz offen, schockierend in den Bildkader: die Gestorbenen werden - "Von wem?" , "Ja, genau darum geht's!" - ausgebuddelt, werden zu Wiederkehrern! Mit formalen Mitteln wird dieses "Einbrechen ins Vertraute" unterstrichen: denkbar spektakulär wird der erste Zombie des Films in Szene gesetzt. Was folgt ist eine, für damalige Verhältnisse und für den Kontext des viktorianischen Gothikgruslers, in dem wir uns bewegen, einzigartige Achterbahnfahrt, die mit Schauwerten nicht geizt: Wo hat man schonmal die Übergangsphase vom Toten zum Wiederkehrer derart charmant aufgelöst gesehen? Wo gab es zuvor - später in Genrefilmen oft zitiert! - einen wildgeschwungenen Spaten zur Dekapitation eines Zombies zu sehen? Und die existenzialistische Erfahrung, die Entfremdung, die man desnächtens auf dem Friedhof durchlebt, wenn sich vor den eigenen Augen die Erde auftut und Untote ausspeit, wurde kongenial mit formalen Mitteln zum Ausdruck gebracht. Und der Showdown, ja, der Showdown nimmt schon wesentliche Aspekte von Fulcis 13 Jahre später entstandenem Heuler Woodoo vorweg.
Jedoch, nicht nur die Toten kehren wieder, auch den Sets und Locations wird ein zweites Leben gegönnt: wie's bei den Hammer-Schinken der klassischen Horrorphase schöner Brauch ist, wurden die Bauten, aus ökonomischen Gründen, auch für andere Filme verwendet, für Das Schwarze Reptil, genauer gesagt. Auch einige Darsteller sind die gleichen, was zu nicht wenigen, schönen Déja-Vu-Effekten führt, vom heimeligen Gefühls des "Alte-Freunde-Wiedersehens" mal ganz abgesehen. Der Fairness halber sei's aber nicht verschwiegen, dass Plague der eigentlich Ältere der beiden Filme ist, in der filmischen Biographie des Autors dieser Zeilen aber der Zweitgesehene!
Fazit? Plague ist ein schöner, nostalgischer Horrorstreifen, den es zu entdecken gilt. Mit einigen ganz köstlichen, kindlich naiven, genau deshalb aber sehr effektiven Spielereien kann er auch heute noch das Herz des Zuschauers erobern. Einen Grund zur Vorfreude gibt es obendrein: der Film ist für den Mai kommenden Jahres von Anolis in der, bislang voll zu überzeugen wissenden, "Hammer-Edition" auf DVD für den deutschen Markt angekündigt.
#99
Geschrieben 11. Mai 2003, 00:09
Der etwas bodenständigere Zwilling von George Clooneys Regiedebut: auch hier ein TV-Star, den die Geltungssucht in die Medien treibt, den vor allem aber die Libido umtreibt, auch hier ein retro-chices Ästhetikdestillat der 60er und 70er. Allein, in Auto Focus geht's ein wenig ernsthafter zu als beim "The Showbiz Must Go On"-Kollegen. Bob Crane steht hier im Mittelpunkt, den man hierzulande wohl vor allem als Hogan aus Ein Käfig voller Helden, dieser bisweilen recht witzigen Klamotte im Nazi-Gefangenenlager, kennt, und wie er - Schrader bleibt sich treu - einsam in der Masse ist, mit den Konventionen seiner Zeit nicht umzugehen weiß, an diesen zusehends zu ersticken droht. Am Ende ist er tot: ermordet, 1978, der Schuldige wurde nie gefasst.
Crane ist, wenn auch zunächst noch biederer Familienpappa, sexsüchtig. Mit seinem überaus zwielichtigen Kumpan John Carpenter (nein, nicht etwa zu verwechseln mit...), der Cranes Celebrity-Status bereitwillig nutzt, um ebenfalls zum Zuge zu kommen, dreht er Homemade-Pornos, denn Carpenter ist Technikaficionado und Bastel-Ass, hat zudem einen hohen Posten in der Entwicklung bei Sony und kommt an alle Goodies und Prototypen: Video tritt seinen Weg an, die Welt zu erobern! Die Pornobänder stapeln sich, zusammen (aber ganz klar: nicht gegenseitig) holt man sich vor dem Bildschirm einen runter, redet über den Fick auf dem Bildschirm, weiß schon den Namen der Frau gar nicht mehr: Sex, Lügen, Video. Doch Crane zerbricht an seinen Obsessionen, mit denen er, trotz zweier Scheidungen, noch immer recht naiv umgeht: "Ich liebe Titten! Große, kleine, hängende, straffe - Titten sind was Schönes!", verkündet er aus dem Off und klingt dabei wie ein Kind, das mit leuchtenden Augen von seinen Lieblingsschokoriegeln erzählt. Dem kurzen Ruhm von Hogan's Heroes folgt der lange Absturz, das lange Siechtum, die biederen 70er, die political correctness.
Ein Film über den Wandel, den das davon betroffene Individuum nicht fassen, lediglich fassungslos beobachten kann. Ein Film über den Zeitgeist der Mode also, über die Mode des Zeitgeists. Die Interieurs ändern sich, die Kleidungen ändern sich, die Frisuren ändern sich, Vorstellungen vom gesellschaftlichen und privaten Miteinander ändern sich. Ja, sogar die Technik zur Bildfabrikation, die ändert sich, ebenso wie die Archivierung: die blanken Bandrollen der ersten Videotage werden, geradezu beiläufig, eines Tages von den noch globigen Vorreitern der heutigen Videokassetten abgelöst. In grellen Farben kommen die 60er daher, wie in einem hippen Club in Berlin Mitte sieht das alles aus, die 70er dann schon etwas reduzierter, wenn wir dann am Tiefstpunkt angelangt sind, wechselt gar das Aufnahmemedium: Crane ist - buchstäblich - gefangen im Videobild, grobkörnig, verwackelt, amateurhaft, blass: Video killed the tv-star!
Schrader wagt es nicht, über Crane zu urteilen. Klar, das ist schon ein Arschloch, so irgendwie. Egozentriert, geltungssüchtig, gegenüber anderen geradezu sorglos hedonistisch. Doch Crane ist auch ein Mensch, der für seine Veranlagung augenscheinlich nichts kann, für den "Sex vollkommen normal" ist, so normal gar, dass er sein Fotoalbum, darinnen Aufnahmen zahlloser geschobener Nummern der letzten Jahre, bereitwillig jedem zeigt, der sie gar nicht sehen will. Einer also, der mit den bürgerlichen Vorstellungen von Monogamie und Sexualität nichts anzufangen weiß, letzten Endes gerade an der Allmacht dieser Moralvorstellungen im Leben scheitert. Disney wagt es jedenfalls nicht mehr, mit diesem Mann einen Film zu drehen. Nicht, nachdem "diese Fotos" in der Boulevardpresse aufgetaucht sind.
Auto Focus ist sicherlich kein Meisterwerk, auch ob er als großer Klassiker in die Annalen der Filmgeschichte eingehen wird, ist zumindest fraglich. Mit Bedacht inszeniertes, seine formalen "Gimmicks" sehr pointiert einsetzendes Qualitätskino, dem man die vielen Jahre seines Urhebers im Geschäft, damit einhergehend dessen Reife hinsichtlich der Wahl und des Einsatzes filmischer Mittel, in jeder Einstellung ansieht, ist Auto Focus aber in jedem Falle.
#100
Geschrieben 12. Mai 2003, 00:49
Schwierig, was zu diesem bemerkenswerten Film zu schreiben, wirklich schwierig. Nur zwei Zitate deshalb, beide via angelaufen.de: "Es sind nur die besten aller Filme, die diesen Wunsch auslösen: Dass man jedes Detail notieren, ihr Universum komplett verstehen, die Geschichte Bild für Bild nacherzählen möchte.", schrieb Tobias Kniepe in der Süddeutschen. Und Tom Tykwer meinte im Spiegel: "Schon lange nicht mehr haben wir etwas so Andersartiges im populären Kino gesehen, eine filmische Erfahrung gemacht, die so substanziell abweicht von all den vielen hysterischen, freundlichen, absurden und biederen Bildern, die uns ständig auf die Netzhaut prasseln. Punch-Drunk Love, so heißt dieser lächelnde Alptraum, diese zärtliche Bestie von einem Film. Er wird niemanden enttäuschen, der noch auf der Suche ist."
Besser kann man diesem Juwel wohl nicht begegnen, ohne ihm Gewalt anzutun. Dieser Film ist herrlich, glaub' den Unkenrufern kein Wort!
#101
Geschrieben 12. Mai 2003, 16:41
Im letzten Schnitt wird in einem Essay der Film als Zeitmaschine bezeichnet und Video als deren neue Qualität. Eine Zeitreise stellt, zumindest für mich, die Ausstrahlung von L'Aile ou la cuisse auf dem neuen Senderkonglomerat RBB definitiv dar, eine Reise zurück in frühste Kindheitstage, als der Betamax-Rekorder unterm Fernsehgerät mich zum Film, zur Liebe zum Film brachte.
Was habe ich diesen Film doch geliebt! Seine dummen Sprüche habe ich mitgesprochen, mich über Funes' Grimassen amüsiert, zwar nichts vom Plot wirklich verstanden - war ja auch gar nicht nötig! -, aber stets hemmungslos gelacht. Was habe ich diesen Film also geliebt, wie auch alle anderen mit Louis de Funes, oder aber auch mit Pierre Richard, oder mit Bud Spencer und Terence Hill, mit Dudu, dem Käfer, mit Chewbacca und Rocky, mit Conan und dem Orang-Utan Clyde und wie die ganzen Figuren des 70er/Früh-80er Unterhaltungskinos noch heißen mögen, dessen Pforten mir, zum Glück, nicht von pädagogikverblendeten Eltern verschlossen wurden (später, bei Rambo und Konsorten - ich war gerade mal 10 - wurde es dann etwas kritischer, aber man hat ja so seine Wege, bzw. seinen Freudeskreis).
Und heute? Heute ist's ein willkommenes Wiedersehen, ein Sprung zurück in jene Zeit, als dämliche Filme noch unberührte Herzen weit öffnen konnten, als die Welt der Erwachsenen, die meine eifersüchtig gehüteten Juwelen - was ein Drama, wenn eine dieser kleinen Betamaxkasetten abhanden gekommen, vermutlich gar gelöscht worden war! - als "Blödsinn" belächelten und stillschweigend hofften, dass mit dem Alter wohl auch die Einsicht käme, seltsam entrückt wirkte, unerreichbar weit weg. Ich hatte auch gar keine große Lust darauf, irgendwann mal so reif zu sein wie die, um dann etwa - Gott, bewahre! - meine eigenen Filmlieblinge nicht mehr schätzen zu können.
Natürlich, heutzutage würde mich L'Aille ou la cuisse ohne Vorgeschichte wohl nicht mehr vom Hocker reißen, klar. Doch anschauen mag ich mir das noch immer sehr gerne, zum Glück! Ich kannte sogar noch einzelne Elemente des Plots - irgendwas bleibt selbst beim größten "Nicht-Verstehen-Müssen", ewigen Wiederholungen sei's gedankt, hängen - und die Witze konnte ich noch immer mitsprechen, auch die Slapstickszenen waren mir noch wohlbekannt. Fast gruselig eigentlich schon, was man selbst noch nach Jahren des "Lange-Liegen-Lassens" dem Hirn an abgespeicherten Informationen entlocken kann. Neu waren mir, da war der kleine Junge vor dem Fernseher dann doch noch zu naiv, ein paar soziale wie politische Seitenhiebe in den Dialogen, die sich aus einer ähnlich rustikalen, ganz spezifisch französischen "mir-san-mir"-Mentalität speißen wie die Asterixcomics und dieser seltsame Antiglobalisierungsaktivist (wie heißt der noch gleich? Dieser Typ, der links daherkommt und rechtes spricht, während er McDonald's an die Fassade pinkelt?). Da passt es dann auch ganz gut zusammen, wenn man auf der imdb nach kurzer Recherche feststellt, dass Claude Zidi, der als Regisseur für diesen Delikatessenklamauk mitverantwortlich zeichnete, in den späten 90ern diese Asterixadaption mit realen Menschen bewerkstelligte.
Irgendwann war der Spaß dann auch vorbei und ließ mich mit dem festen Entschluß zurück, auf dem Regal eine kleine Extrasektion einzurichten: "Kindheitserinnerungen". Der Betamaxrekorder ist lange schon den Weg alles Irdischen gegangen, liegt vermutlich auf irgendeiner fränkischen Müllhalde unter, mittlerweile wohl, 20 bis 30 Metern Hausmüll begraben, die dazugehörigen Kasetten, die sind schon längst von der Sperrmüllabfuhr abgeholt worden, sind vermutlich schon verrottet, die Informationen auf den Bändern schon lange nicht mehr abrufbar. Aber der naive, mit großen Augen staunende Junge, für den diese Kasetten und dann diese Wundermaschine einst ein kleines Stück Paradies auf Erden darstellte, den gibt's noch immer. Manchmal, wenn sich irgendein öffentlich-rechtlicher TV-Sender erbarmt, die alten Bestände aus dem Archiv mal wieder auszuwerten, kommt er zu Besuch.
#102
Geschrieben 13. Mai 2003, 12:42
Die Feuertaufe eines Films stellt immer erst die zweite Sichtung dar. Erst hier bewahrheitet sich, ob ein Film in erster Linie davon lebt, dass man ihn schlicht und ergreifend noch nicht kennt und den Zuschauer dadurch bei Laune hält, oder ob er auch jenseits dessen zu begeistern weiß.
City Of God darf sich in dieser Hinsicht, zumindest was meine Person betrifft, entspannt zurücklehnen: Auch beim zweiten Mal ein rundum spannender, sehenswerter und geradezu euphorisierender Film, der zumindest mich ganz ungemein in seinen Bann zieht. Steckt man erstmal drin, in diesem Geflecht, dann möchte man - perfiderweise eigentlich, ob der dargestellten Gewalt - gar nicht mehr heraus. Man möchte sehen, wie es weiter geht, möchte zurückblicken, ob in den Gassen und Hinterhöfen der Favellas nicht noch etwas ausgelassen wurde, ob es da nicht doch noch etwas gibt, was nicht erzählt wurde.
Einmal mehr benommen den Saal verlassen, benommen und begeistert.
#103
Geschrieben 13. Mai 2003, 12:54
Samstagnachmittagsfilme, wie ich sie mag: augenzwinkernd, geschmeidig in der Umsetzung und ohne größeres Drama - alles klappt wie am Schnürchen, am Ende steckt man sich grinsend eine Zigarre in den Mundwinkel und klopft sich gegenseitig auf die Schulter. Dazu, diesseits des Bildschirms, ein paar Gläser White Russian und der Tag ist gerettet.
Ein schöner "Rauben wir gleich die ganze Bank"-Film ist das, mit einem ganz unglaublichen Plan, einer haarsträubenden Umsetzung desselben und reichlich Schlitzohrentum. Sogar der Zuschauer wird an der Nase rumgeführt und das, obwohl er es doch eigentlich, schon allein aufgrund des ersten Clous gleich zu Beginn des Films, besser wissen müsste. Schön, dass Soderbergh mit Ocean's Eleven eigentlich eher ein Remake von The Sting gedreht hat und sich nicht 1:1 an die Vorlage des eher ödern Ratpacks gehalten hat.
Köstlich!
#104
Geschrieben 15. Mai 2003, 18:41
"Film is like a battle ground. It has love, hate, action, violence, death. In one word: emotions.", antwortet Samuel Fuller, lässig, vielleicht sogar leicht gelangweilt, an eine Wand gelehnt, während einer Party, jenem Ort also, an dem, dem Ideal nach, die Klassengegensätze aufgehoben, soziale Begehrlichkeiten formuliert und eingelöst werden sollen. Nichts dergleichen hier, es herrscht allein die Sprache der Reklame, des Kommerzes. Ein Leben, das, selbst in eigentlich ja Momenten des Ausbruchs, nurmehr in der Vorgabe dieser Koordinaten, in Begriffen der Verwaltung denkbar scheint.
Es geht also um Emotionen, weiß Ferdinand nunmehr. Er war es, er hatte die Frage zuvor gestellt, was Film denn sei. Und eigentliche Emotionen, das Authentische, scheint es in seiner Welt - die unmittelbare Umgebung gibt ihm recht - nicht mehr zu geben. Er nutzt die Chance des Nunmehr-Besser-Wissens und macht sein Leben zum Film, zum Genrefilm, um genau zu sein. Dazu gehört eine schöne Frau mit einem Geheimnis an der Seite, ein schnelles Auto, viele Dollars, Schlägereien, Polizisten, Verfolgungsjagden, Unfälle, gefolgt von Feuerbällen, eine einsame Insel, wilde Tiere! Und es gehört etwas Außenseitertum dazu, der Ausbruch aus den Konventionen als solcher, und Musik, Liebe, Poesie! Die ganz wilde Räuberpistole also, eine wilde Reise durch's Kino, durch die Genres, liebevolle Hommagen allenthalben.
Vielleicht sogar Godards schönster Film.
#105
Geschrieben 18. Mai 2003, 12:26
Das Grauen gleich zu Beginn: eine Enthauptung. Groß füllt die Guillotine den Bildkader aus. Baron Frankenstein – wie immer natürlich großartig: Peter Cushing – soll für seine Verbrechen aus Curse Of Frankenstein mit dem Tode büßen. Der Priester spricht salbungsvolle Worte, der Henker und sein Gehilfe nicken sich bedeutungsschwanger zu. Die Kamera tastet die Guillotine nach oben entlang ab. Da - auf einmal! – aus dem Off die Geräuschkulisse des Miteinanderringens, ein Ächzen, ein Krachen, das Beil saust nach unten und – Schnitt! Buchstäblich und doppeldeutig! Ein gellender Schrei überlagert ihn, doch sofort wird ein burleskes Lachen draus, wir befinden uns, nach dem Schnitt, im nahen Wirtshaus. Das Entsetzliche und der (Mords)Spaß, das Grauenhafte und das Komische, es liegt nahe beieinander. Die Quintessenz des Horrorfilms also, in nur wenigen Bildern auf den Punkt, mit minimalem Aufwand zustande gebracht. Und auch erzählt uns das: dass nichts im Horrorfilm so ist, wie es uns das Bild glauben machen möchte. Dass alles immer auch ein scherzhaftes, augenzwinkerndes Spiel mit dem Grauen ist, dass der Bildinhalt (dass es, natürlich, nicht etwa Frankenstein gewesen war, der im Off geköpft wurde, das erfahren wir schon kurz darauf) nie bloß das ist, was er vorzugeben scheint. Dass der Horrorfilm, was das Inszenatorische angeht, vor allem immer ein doppeldeutiges Spiel mit filmischen Mitteln ist, eigentlich ja sogar, nimmt man den Film beim Wort, filmische Essenz darstellt.
Auch jenseits dessen ein schaurig-schöner Film, eine Geisterbahnfahrt durch die Welt der Hammer-Studios, mit subtilen ironischen Untertönen, einer moralisch – wie es sich für einen zünftigen Film aus dem Frankensteinkomplex gehört – vollends grau gezeichneten Welt und einer gewitzten, lakonischen Pointe am Ende.
#106
Geschrieben 18. Mai 2003, 13:21
Die Skyline der Großstadt bei Nacht, ein markerschütternder Schrei, ein rennendes Mädchen, Blut, ein zweites Mädchen, tot. Mittendrin in einem Giallo, möchte man meinen, etwas mehr Blut, etwas mehr Gewalt und das könnte vielleicht auch ein Film von Argento oder Fulci sein. Doch dann trittt Donald Sutherland als ermittelnder Polizist ins Bild, dem die Lösung des Verbrechens zur Obsession wird, und das wirkt, in den Siebzigern, eben immer auch wie Wenn die Gondeln Trauer tragen von Nicolas Roeg. Auf dem Regiestuhl saß jedoch Chabrol und so ist’s kaum ein Wunder, dass der Thriller einen etwa nach halber Laufzeit im Stich lässt, zum Familiendrama mutiert. Recht elegant geschieht das: Die Ermittlungen bleiben stecken, nicht zuletzt auch weil die Überlebende des Verbrechens, die „Schwester“ des Opfers, recht widersprüchliche Aussagen macht. Das Tagebuch des Opfers, im Müll geborgen, soll Aufschluss geben, bleibt alleiniges Indiz. Um Inzest geht es, gewissermaßen, denn das Opfer war lediglich in jungen Jahren in die Familie aufgenommen worden, nur Cousine der Überlebenden und deren Bruders. Mit dem sie ein Verhältnis hatte. Und der sehr eifersüchtig ist.
Die Suche nach dem Mörder da draußen, irgendwo zwischen den Fassaden der Stadt, gerinnt zur spannenden, buchstäblichen Lektüre der Obsessionen da drinnen, ausgefochten allein in den Seiten des Tagebuchs, zu einer Studie familiärer Stukturen und Implikationen. Chabrol eben, einmal mehr. Mir hat's gefallen.
#107
Geschrieben 27. Mai 2003, 09:03
Adaption des gleichnamigen, über die tschechischen Landesgrenzen hinaus wohl kaum bekannten Märchens mit Witz: verlegt in unsere Neuzeit entblättert sich nicht nur die Erzählung des Märchens, nein, ein den Verlauf des Geschehens beobachtendes Mädchen wird sich dessen gewahr - es kennt das Märchen aus dem Buch! - und versucht das Ende zu verhindern. Dass das nicht klappt, ist schon allein Svankmajers Vorliebe für die Verquickung des Organischen mit dem Mechanischen geschuldet: das Organische wird gleichsam mechanisch, das Fleischliche ist stets im fremdbestimmten Fluss, ein Vorgang, gleich welcher Art, ist nur als automatisiert verstehbar.
Ein kinderloses Paar wünscht sich als nichts mehr als Nachwuchs, durchlebt, aufgrund des Ausbleibens desselben, eine neurotisch durchtränkte Alltagshöllenwelt und fetischisiert schlußendlich ein Stück Wurzelholz - es erinnert entfernt an einen Säugling, sehr offensichtlich aber an die Skulpturen David Lynchs. Nach 9 Monaten schließlich kommt das Kind auch noch zur Welt: Das Holz, es schreit, entwickelt Leben, vor allem aber: Hunger. Der Vater hätt's ja niemals geglaubt, die Mutter hingegen war von der Niederkunft extra utero felsenfest überzeugt. Wie nun aber das nimmersatte Wurzelstück vor den neugierigen Blicken der Nachbarn - den kann man ja schließlich keinem Menschen zeigen - schützen, wie den Hunger des Vielfraßs - gestatten, Otik sein Name - stillen, wie Aberdutzende Fleischzentner durch's hellhörige Treppenhaus schleusen, ohne aufzufallen. Da schief geht, was schief gehen muss, wird das "Kind" obendrein auch noch zum Menschenfresser, lässt schon mal Postboten, allzu neugierige Jugendamtbeauftragte, Hunde und auch Nachbarn im Schlund verschwinden. Das kleine Nachbarsmädchen, das die Augen vor allem in Aufklärungsbücher steckt, sich selbst als "possesiv" umschreibt und auch sonst nicht müde wird, die Verfehlungen ihrer Mitmenschen psychologisch zu analysieren, riecht den Braten schon bald, sieht endlich - endlich! - die Chance auf einen, zumindest halbwegs, gleichaltrigen Spielgefährten im Haus. Und setzt dementsprechend alle Hebel in Bewegung, den kleinen Gierschlund vor dem mittlerweile panischen Zugriff der Elten zu schützen, ihn zu bemuttern. Dafür wird dann auch schon mal - der Otesánek will schließlich auch in der Diaspora des Kartoffelkellers weiterhin gefüttert werden - der senile Lustgreis von nebenan verfüttert.
Svankmajer bleibt seiner surrealen Welt, zumindest auf der reinen Handlungsebene, treu, wenngleich eine stete Loslösung von der totalen Absurdität seiner frühen Kurzfilme, die nicht mal den Verdacht aufkeimen liessen, eine authentische Abbildung unserer Welt darzustellen, festzustellen ist. Geradezu auffällig normal ist der Blick auf's Prag der Jetztzeit über weite Strecken, die gewohnten Animationsphantastereien, die Svankmajerschen Reisen ins Surreale, die Illustrationen unterbewusster Vorgänge werden nur pointiert und dezent eingesetzt, wohingegen die altbekannte Lust an der Textur des Organischen nach wie vor herzhaft ausgelebt wird: Spiegeleier, Rühreier, Kartoffelsuppe, abgenagte Hundeskelette, Gemüsebrei, Sabber am Mundwinkel und was sonst nicht noch alles wird im Detail vorgeführt, die Konzentration unseres Blicks darauf immer wieder durch die gnadenlose Montage erzwungen. Das mag für einige gewöhnungsbedürftig sein, grenzt, in der Radikalität dieser Darstellung - trotz des Allerweltscharakters des Gezeigten, ein Spiegelei sehen wohl die meisten täglich -, nicht selten ans Ekelerregende. Es entsteht eine Welt des Organischen, eine Klaviatur des Ertastbaren, Schaubuch der Ursuppe, aus der alles, auch der Mensch - wenngleich unsere Vorstellung von diesem in der Regel kaum dem Svankmajer-Brei entspricht -, entsteht. Dem steht das zeugungsunfähige, sehr unorganisch gezeichnete Paar gegenüber, deren Flüssigkeiten in der Vermengung, nun ja, rein gar nichts ergeben.
Gegen Ende wird's dann ein wenig lang, das kann der Film kaum verbergen, zu sehr wurde da die eigene Note zu unterstreichen versucht, zu wenig ließ man sich auf's bloße Genre-Dasein - vom Märchen über's Drama hin zur schwarzen Gesellschaftssatire und dem Splatter reicht das Spektrum - ein. Da ertappt man sich dann schon dabei, dass man den Film gerne überholen, ihn doch endlich zum Abschluß bringen möchte. Das soll aber mitnichten darüber hinwegtäuschen, dass dem beinahe 90 Minuten gewitzten, phantasievollen Kinos vorangegangen waren.
#108
Geschrieben 28. Mai 2003, 19:14
Die Tickets sind gebucht: Am 10. Juni, abends um 17 Uhr, geht's gen Big Apple. Grund genug, für eine kleine, undurchdachte, herzlich unverkrampft verfolgte "New York im Film"-Reihe. Die Wahl auf FAST FOOD FAST WOMEN als ersten Teil dieser Reihe ist dann auch gleich nicht etwa Resultat einer großen Überlegung, eines konzeptuellen Vorgehens, sondern allein einem uninspirierten Gang durch die Gänge meiner Kiezvideothek geschuldet: "Was denn nur schauen... Ach ja, der da... Habe ich ja damals im Kino verpasst... Und SUE fand ich ja eigentlich ganz nett... Ist wieder vom gleichen Regisseur und mit der gleichen Schauspielerin... Und so langsam solltest Du die "New York"-Reihe eh mal in Angriff nehmen." Keine Minute später war der Film entliehen.
Knapp 3 Stunden später wurde er zurückgebracht, etwas widerwillig wurden die fälligen 1,60 Euro bezahlt. Was, bitte schön, soll das denn jetzt gewesen sein? Wer soll sich das denn, und zu welchem Zweck bitte, ansehen?
Nun gut, also von vorne. Die Wurzeln sind klar: Auf Teufel komm' raus wurde da versucht, das "Wang"-Gefühl entstehen zu lassen. Wildes Treiben geschlechtsreifer, im Leben gestrandeter, liberaler Mitt-30er bis Mitt-70er in New York City rund um ein kleines Bistro, im Zentrum Bella, dargestellt von jener immer etwas affektiert zeigefreudigen Anna Thomson. COFFEE IN THE FACE hätte man's wohl nicht nennen können, ohne dümmlichen Slapstick einzubauen, wurde eben FAST FOOD FAST WOMEN draus. Und was geschieht? Wüsste ich auch gerne, aber ich versuch's mal: Da legt man sich auf die Straße vor ein Auto, um sich den Sonntagnachmittag etwas aufregender zu gestalten (es versteht sich von selbst, dass diese seltsame Sequenz keinerlei Zweck im Film erfüllt, zumindest keinen, der sich mir erschlossen hätte), da verkehrt die Affäre der einen mit der Affäre des anderen, ohne dass die beiden gehörnten davon was mitkriegen, grantelnde Männer mit zuviel Zeit seit ihrer Pensionierung trinken schlürfend ihre Kaffees, nur einer mag nicht so recht in den Kanon des Alterzynismus miteinstimmen und sucht die Freuden des Lebens - er bringt die alte, nervige Vettel sogar mal mit ins Bistro. Allesamt haben sie liberal eingerichtete Appartements, allesamt kommen sie eigentlich ja nun gar nicht so recht mit dem Leben zurecht, aber für etwas lebensweisen, liberalen Small-Talk im liberalen Cafébistro mit dem liberalen Chef reicht's allemal. Liberale Wünsche werden formuliert, liberale Lebensträume wahlweise verwirklicht oder verworfen, Allen meets Wang unter Berücksichtigung der femininen Perspektive also.
Klappt aber alles nicht, da kann Anna Thomson noch so oft beatnik-like (und natürlich: liberal) desnächtens das um den Körper geschlungene Badetuch frohlockend vom Balkon aus in die Finsternis schmeißen und dem Obdachlosen unten auf der Straße ihre prallen Titten präsentieren. Das mag den vielleicht ja sogar erfreuen, aber unsereins kriegt die nun wirklich in nahezu jedem ihrer Filme auf's Auge gedrückt und für etwas mehr als käsiges Angeödet-Sein ob der bemühten Etablierung New Yorker Schrulligkeit reichen solche und vergleichbare Szenen nun wirklich nicht aus. Ferner ist's einem auch einfach nur vollkommen scheißegal, was da vorne passiert. Ist eh meistens die andauernd aufs Neue reichlich lauwarm aufgewärmte Sauce von den New Yorker Stadtgeschichten, die in diesem Fall weder sonderlich charmant noch dramaturgisch sonderlich gewitzt in den Sand, pardon, in Szene gesetzt wurden, zumal sich der Film auch gar keine Mühe gibt, zu verstecken, dass dem traurigen Treiben ein äußerst lahmes, undurchdachtes Drehbuch zugrunde liegt. Angesichts der Lücken in selbigem, angesichts der seltsamen Sprünge in der Dramaturgie und angesichts der zahlreichen Weglassungen in der Geschichte, deren Zeigen wohl dringend nötig gewesen wäre, um die einzelnen Episoden wenigenstens halbwegs in ein wie auch immer geartetes homogenes Ganzes zu verwandeln, beschleicht einen dann und wann gar der Gedanke, lediglich eine Aneinanderreihung all jener Szenen zu sehen, die in der Post-Production eines vollkommen anderen (vielleicht ja sogar recht gelungenen?) New-York-Films den Schneideraum nicht mehr verlassen hatten, zumindest nicht in den Filmrollen, die anschließend zum Kopierwerk gebracht wurden.
FAST FOOD FAST WOMEN ist durch und durch, ganz ohne Zweifel, ein abgeschmackter, fader B-Movie-Abklatsch eines Arthausfilms und das ist etwas, was die Welt nun wirklich überhaupt nicht braucht. Und das nächste Mal Frau Thomson bitte unbedingt etwas mehr Gage anbieten, um ihr diesen nicht nur ihre primären Geschlechtsmerkmale betreffenden, seltsam peinlichen Zeigegestus auszutreiben. Das kann sich ja kein Mensch ansehen, wie die sich da zum Horst macht.
edit: voller grauen soeben festgestellt, dass regisseur kollek und frau thomson ja wie die karnickel einen gemeinsam realisierten film nach dem nächsten rauskloppen, von denen die meisten noch nicht mal den sprung in unsere kinos geschafft haben. auweia.
#109
Geschrieben 29. Mai 2003, 13:36
Das ist jetzt auch wieder so ein Fall, wo man sich anschließend fragt: Für wen soll das was taugen? Mauer, langweiliger Abklatsch von EINE VERHÄNGNISVOLLE AFFÄRE für Teenies. Hausbacken inszeniert, darstellerisch hölzern, zu 100% vorhersehbar, nicht mal für ordentlichen Trash hat's gereicht. Fade, unheimlich fade.
#110
Geschrieben 05. Juni 2003, 17:03
Liebestrunken sitzt Hsiao-Kang in Taipeh/Taiwan nachts vor dem Fernsehschirm, schaut sich sehnsüchtig Truffauts 400 coups an, denn seine Liebste, Shiang-Chyi, lediglich eine Projektionsfläche, weilt in Paris, wo sie, wie wir wenig später sehen werden, etwa zum gleichen Zeitpunkt auf einer Parkbank sitzt, neben sich – Nanu! - Jean-Pierre Léaud. Hektisch kramt sie in ihrer Tasche, sucht, wie sie Léaud auf dessen Frage nebenbei antwortet, nach einer Telefonnummer, nach Hsiao-Kangs Nummer, wie wir es wissen, auch er fungiert als Projektionsfläche. Ganz französischer Charmant kritzelt Léaud die eigene Nummer auf einen Zettel, reicht ihr diesen mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht, stellt sich als „Jean-Pierre“ vor und meint, da habe sie nun eine – seine – Telefonnummer. Mal ganz ehrlich, muss man einen Film nicht alleine schon für diese Szene, diese Idee lieben?
Nun, man kann, natürlich, ist aber - zum Glück - nicht dazu angehalten, ihn allein aufgrund dessen zu lieben, denn auch jenseits dieser kleinen, cineastischen Augenzwinkerei – es versteht sich von selbst, dass Léaud allein für diese Idee, nicht aber darüber hinaus eine Rolle spielt – weiß WHAT TIME IS IT THERE? von Tsai Ming-Liang mit vielen kleinen und größeren Einfällen zu überzeugen.
Um was geht’s? Hsiao-Kang ist Straßenhändler, verkauft, eher lustlos, Uhren. Der Vater ist vor kurzem gestorben, die Mutter flüchtet sich in den Trost des Buddhismus, glaubt, dass ihr Gatte reinkarniert zurückkehren werde, richtet die Organisation des Alltags und damit auch des Zusammenlebens zunehmend auf dieses Ereignis aus, was zusehends zum Zwist mit dem Sohn führt. Shiang-Chyi lernt er dann auf der Straße beim Geschäft kennen, sie interessiert sich für die Uhr an seinem Handgelenk, doch die ist, zunächst, unverkäuflich. Im Verhandlungsgespräch stellt sich heraus, dass die junge Frau schon bald in Paris weilen werde, dass sie deshalb eine Uhr benötige, die ihr beide Uhrzeiten – die lokale, wie die der Heimat – anzeige. Für den nächsten Tag wird ein weiteres Treffen verabredet, dann könne Hsiao ihr ein Exemplar dieser Uhr besorgen, verkauft wird, letztendlich, dann dennoch das eigene. Für beide - Hsiao durch den Tod des Vaters, die Entfremdung der Mutter traumatisiert, Shiang-Chyi in der Fremde isoliert - gerinnt die flüchtige Begegnung zur Projektionsfläche eigener Sehnsüchte, zum sicheren Anker in Zeiten der Unsicherheit. Hsiao flüchtet sich in französische Filme, die er nicht versteht, macht es sich zur Aufgabe, jedwede Uhr in seiner Umgebung nach Pariser Zeit einzustellen (was die Mutter im Haushalt als Zeichen der baldigen Wiederkehr des Gatten umdeutet), denkwürdige Parallelen im Bestreiten des Alltags, wie etwa die eingangs skizzierte, tun sich auf.
Klingt vielleicht ein wenig nach Wong Kar-Wai, ist aber in der Auflösung denkbar weit von den stilisierten Melancholielektionen des Hongkong-Chinesen entfernt. Eine weitgehend unbewegte Kamera fängt das Geschehen ein, macht sich selbst so zum statischen Fenster, den Kinosaal zum Kuckkasten in die Alltagsrealitäten weit - auch voneinander - entfernt lebender Menschen. Der Zuschauer ist auf sich selbst zurückgeworfen, ist durch und durch Betrachter - die bestrahlte Leinwand als bewusst wahrgenommene Fortsetzung des Raums. Denn um den trennenden Raum – immerhin der halbe Globus liegt zwischen beiden Spielorten - geht es: Hier das moderne Taiwan, dort das gleichsam alt wirkende Paris. Und damit immer auch verbunden die Zeit, die man rumkriegen muss, bis man den anderen wieder sieht, die man totschlagen muss, ist doch nichts anderes zu tun, als den Verlust an sich nagen zu lassen.
Doch sind die einzelnen - ja, man kann sie wohl so nennen - Bildkapitel, die WHAT TIME IS IT THERE? aneinander montiert, niemals beliebig oder gar banal. Jedes Bild erfüllt seinen Zweck im Ganzen, jedes ist, wenn auch oft understatement-haft, durchkomponiert, in sich austariert. Der Film entwickelt dabei eine ganz eigene Freude am Sehen, lässt durch die empathisch nur langsam vergehende Zeit die Freude am Detail und am Blick darauf erwachen: Ein Treppenhaus, so und nicht anders, die Kamera keinen Millimeter anders positioniert, in Szene gesetzt, ein Hausflur, so banal in seinem Dasein, so schön in der Aufnahme. Ruhig, gleichsam meditativ das Erzähltempo, geradezu verschwenderisch werden Aspekte des Alltags gezeigt, doch immer eingebettet in ein, wenn nicht narrativ, so doch atmosphärisch in sich geschlossenes Ganzes.
Und dann immer wieder der trockene, poetische Humor, etwa wenn Hsiao jede, aber auch wirklich jede Uhr umzustellen versucht. Von einem flachen Dachgelände aus beugt er sich zur Fassade hinab, angelt mit einer zweckentfremdeten Antenne nach dem Uhrzeiger eines Hochhauses, zieht den Zeiger in die gewünschte Position, Paris Ortszeit bitte schön. Gänzlich unspektakulär setzt der Film das in Szene, fast schon beiläufig, kein Kommentar. Man schmunzelt in sich ein, lächerlich indes wird’s nie. Man bleibt gespannt, mit welcher Begebenheit uns der Film als nächstes auf Entdeckungsreise schicken wird.
Es bleibt zu erwarten, dass WHAT TIME IS IT THERE? auf nur wenigen der hiesigen Leinwände zu sehen sein wird. Wer die Möglichkeit dazu hat, sollte sich diesen kleinen, unspektakulären, lebensklugen, und, ja, auch gewitzten Film nicht entgehen lassen.
#111
Geschrieben 09. Juni 2003, 12:41
Der Schmerz, dass ein flüchtiger Moment größten Glücks nicht wiederholbar ist. Einen liebgewonnenen Menschen zu umarmen, etwa. Die melancholische Sehnsucht, kurz vor der biografischen Katastrophe, danach, dass jene Momente andauern, ewig im Fluß der Zeit einfrieren, immer und immer wieder durchlebt werden könnten. Das Gefüge, das sich Realität nennt, ist zu grausam, um diesen existenziellen Wunsch wahr werden zu lassen, die Montage dieses Films ist etwas gnädiger: im jump-cut sehen wir solche Momente hier und da perspektivisch leicht verschoben doppelt. Daraus spricht die unglaubliche Melancholie, solche Fragmente nicht fassen zu können, dass alles vergänglich ist. Erst die Aussicht auf eine Erfüllung dieses Wunsches (gleichzeitig verbunden damit: die Unmöglichkeit dessen, zu mehr als einer Dopplung reicht's nicht aus) etabliert die tiefe Trauer, die sich durch den Film wie ein roter Faden zieht.
Das Motiv der Wunde, der Verwundung: Ground Zero klafft mitten in Manhattan, zu Beginn ein halb zugrunde gerichteter Hund, am Ende dann Monty selbst: geschlagen, zerschunden, unansehnlich. "Diesem Hund das Leben zu retten, war das Beste, was ich je in meinem Leben gemacht habe - jeden Tag, den er erlebt, verdankt er mir!" Der Vater versucht den Hund gewordenen Sohn ebenfalls zu retten, ebenfalls in einem Auto: In seinem Mythos weist die US-Flagge am Wagen den Weg, es geht - wie früher - nach Westen, erst dort, wo das weite Land einst Nation wurde, könnte sich die USA nach der Verwundung wiederfinden, neu erfinden. Ein melancholischer Traum, der auszublenden versucht, der geschlagene Wunden leckt und gleichzeitig vergessen möchte, der sich nichts so sehr wie den vorherigen Status wünscht, unerfüllbar. 7 Jahre muß Monty verwundet ins Gefängnis, 7 dürre Jahre werden die Vereinigten Staaten durchleben. Es ist schwierig, den mythologischen Bezug auszublenden.
Eine Abrechnung mit der Politik, denn 25TH HOUR ist entgegen den hiesigen Unkenrufern, denen angesichts eine US-Flagge auf der Leinwand lediglich einfällt, resignierend seufzend den Blick abzuwenden, sich so um den Film zu bringen, kein patriotischer Film. Montys Freunde unterhalten sich vor der letzten Begegnung: Der eine liest die Times, ist liberaler Demokrat, schämt sich für seine Privilegien, ist auch ansonsten Komplexbündel, der andere outet sich als Post-Leser, ist ein skrupelloser Börsenzocker, unterteilt Menschen mittels der Sprache der ökonomischen Verwaltung. Beide vor dem Fenster, dahinter: Ground Zero, die Wunde, die nicht heilen will. Der eine, der Demokrat, blickt hinunter, fassungslos, betreibt Nabelschau und träumt von einer Welt, die so gnädig ist, dass Monty seinen Hund mit in den Knast nehmen könne, der andere indes wendet den Blick ab, blickt leer in sein Luxus-Appartement, das durch die Nähe der geschlagenen Wunde trotz, aller Reichtümer, kaum noch Luxus in Aussicht zu stellen vermag, und schwadroniert von Rache und Gerechtigkeit: Monty ist sein Freund, sicher, aber er hat den Knast verdient. Beide Vertreter der großen politischen Strömungen des Landes werden im Laufe des Films ihren Niedergang erleben.
Und Monty selbst? Er hat's "verbockt". Er besaß alles (wenn auch mit illegalen Machenschaften aufgebaut), was der amerikanische Traum verspricht, hat alles verloren. "Fuck You" steht auf dem Toilettenspiegel in der Kneipe, wo er sich mit seinem Vater trifft, geschmiert. Wo beginnt Eigenverantwortung? Sind die Anderen die Hölle? Die Spiegelszene ist intensiv, in aller Aggression ein Monument menschlicher Verzweiflung und Trauer.
Die Wunden sitzen tief, der Fall war denkbar groß. Wie damit umgehen? Der Film ist ratlos dahingehend, keine einsilbigen Lösungsvorschläge hier. Erst beim 2. Mal überaus intensiv, interessanterweise.
#112
Geschrieben 09. Juni 2003, 13:17
Tim Burtons nostalgische Ausflüge in die Tiefen der Retro-Nostalgie, des Pulps und der Popkultur sind ohne Zweifel die hedonistisch verwertbarsten im großen Gemenge postmodernen Filmtreibens. Seien es Marsianer aus den Invasionsfilmen der 50er, Superhelden im Fledermauskostüm in Noir-Kulissen, die Bilderwelten der zweiten Welle des gothischen Horrorfilms, Neuinterpretationen des Frankenstein- und Planet-der-Affen-Mythos oder aber auch diese liebevolle Hommage an den untalentiertesten Regisseur der Welt, der eben diese einst mit so charmanten Trash-Perlen wie PLAN 9 FROM OUTER SPACE oder NIGHT OF THE GHOULS beschenkt hatte, - allesamt liebevoll gestaltete Filme, denen man das Herzblut und die Begeisterung der Macher für den zugrunde liegenden Stoff in jeder Einstellung ansieht. Das Kino von Tim Burton vermittelt eine leise Ahnung davon, wie ein zeitgenössisches Kino jenseits reiner Vermarktungskalkulationen, dafür aber mit Lust an und Leidenschaft für die Kunst angereichert, aussehen könnte.
Alles, aber auch wirklich alles stimmt an diesem überaus unterhaltsamen Film: Das Casting, die Sets, die Story, die Bilder, die Anspielungen, die Gags, etc. Alles fügt sich zusammen in ein großes Ganzes: Verbeugung vor einem glücklosen, aus der Filmgeschichte dennoch nicht wegdenkbaren Regisseur, dessen Liebe zum Film, zum Pulp der B-Movies so groß gewesen war, dass selbst größte technische Unzulänglichkeiten - "Darauf achtet das Publikum doch gar nicht!" - mit dem staunenden Auge eines Kindes ausgeblendet werden konnten, Verbeugung auch vor einem großen, zu Unrecht ins Hinterrennen geratenen Schauspieler - Bela Lugosi -, sowie, nicht zuletzt, auch vor einer längst vergangenen, wilden Epoche der Filmgeschichte, deren Perlen heute erst mühsam wiederentdeckt werden müssen. Die Mühen, die solche Ausgrabungen mit sich bringen, sind diese Räuberpistolen allemal wert, lässt man sich nicht nur von cineastischer Schöngeisterei den Blick verkleistern.
#113
Geschrieben 09. Juni 2003, 15:00
Vor dem massiv beworbenen "Kinoereignis des Sommers" MATRIX:RELOADED ist eine erneute Vergegenwärtigung des ersten Teils vielleicht gar nicht mal eine schlechte Idee, alleine schon, um den zahlreichen, neu entbrannten Debatten rund um die Diskurse und Strategien des ersten Teils, die, in Ermangelung einer frühzeitigen Pressevorführung des Sequels, im Vorfeld der Premiere von MATRIX:RELOADED die Feuilletons bestimmten (zB Dietmar Daths lesenswerte Polemik in der FAZ, leider nicht online abrufbar), wissend begegnen zu können, aber auch, um die zeitliche Distanz zwischen 1. und 2. Teil so gering wie möglich zu halten. Da ich den 1. Teil der Cyber-Saga eh zum letzten Mal damals im Kino und danach nicht wieder gesehen habe, bot es sich auch an, den Film hinsichtlich seiner Halbwertszeit anzusehen: Damals setzte der Film Standards - wie stark sind diese gegenüber den zahlreichen Epigonen und dem gnadenlosen Diktum der Historie?
Vor 4 Jahren verließ ich den Saal euphorisiert - nicht unbedingt aufgrund der Realitätsspielereien (die waren doch recht einfach konstruiert), sondern vor allem wegen des offen klassenkämpferischen Pathos, der da bemüht wurde, gerade und besonders in der Epilogszene in der Telefonzelle. Eine damals für mich ungewöhnliche Erfahrung. Auch die Actionsequenzen wussten zu begeistern und trugen ihren nicht gerade unerheblichen Beitrag zum Gesamteindruck bei: MATRIX war mir damals sogar zwei Sichtungen im Kino wert.
Heute jedoch wirkt das Ganze schal, nicht wirklich befriedigend. Postmoderner Revolutionspathos ist längst schon gern bemühter Allgemeinplatz in den Kinosälen und die Actionsequenzen leiden unter dem Zahn der Zeit: Können Pappmaché- und ähnliche Billigeffekte noch Jahre später aufgrund ihres naiven Charmes als Retro-Kitsch eine Renaissance erfahren, glaube ich nicht, dass das mit MATRIX geschehen wird - zu betont professionell wirkt das, um den Charme des Unvollkommenen zu entwickeln, zu offensichtlich der technische Aufwand hinter den Bildern, als dass man Jahre später noch sagen könnte: "Naja, damals musste man sich eben noch zu helfen wissen!". Ein simples "Damals hatten die Rechner einfach noch nicht genug Power!" wird das kaum ersetzen können. Die Crux dieser Vorgehensweise ist also, dass die Effekte zwar im Momentanen reinstes eye-candy darstellen, jedoch binnen kürzester Zeit von den Epigonen übertroffen werden - und alleine um dieses Prinzip geht's ja nun im Kino des Spektakels -, während die Hintertür, die eine Rückkehr, Jahre später, in der Sphäre des nostalgischen Trashs, fest verschlossen bleibt. MATRIX bleibt, was diese Ebene anbelangt, somit auf ewig wenig Charme entwickelndes Zeitdokument des State Of The Art der SFX - gefangen in der Zeitblase reinster Gegenwart.
Auch die Spielhandlung wirkt, ist man mit zeitlicher Distanz nicht mehr vom Pathos und den Bilderwelten geblendet, wenig überzeugend, nahezu undramatisch und seltsam offen. Rückblickend betrachtet - deswegen glaube ich es den Wachowski-Brothers sehr gerne, dass der Film von Anfang an auf eine Trilogie ausgelegt war, wenngleich ich doch Zweifel daran hege, dass die Sequels bereits damals fertig in Drehbuchform vorlagen - ist das der typische erste Teil einer Superheldengeschichte, als die sich MATRIX in bereits genannter Epilogszene - Neo fliegt vondannen -, spätestens aber im Sequel zu erkennen gibt: Geschichte eines Helden, der sich selbst erst langwierig als solcher entdecken muss. Das Spiel mit den Aussagen des Orakels ist zwar ein nettes Gimmick und verfehlt seinen Zweck nicht, ist aber bei wiederholter Sichtung - sieht man mal von den Mysterien, wer oder was das Orakel denn ist, warum es sich inmitten der Matrix unbemerkt vom System fortbewegen kann, ab - leicht zu durchschauen. Zudem haben wir ja nun mittlerweile auch schon MINORITY REPORT gesehen, der die Frage, ob denn nicht alleine die Aussage des Orakels bereits den Fluß der Dinge beeinflußt, somit als Mosaiksteinchen der vorhergesagten Zukunft funktioniert, noch etwas mehr in den Vordergrund stellte.
Bleiben allein die Realitätsdiskurse, mit denen MATRIX für sich wirbt. Auch hier eigentlich eher Enttäuschungen: MATRIX zieht scharfe Trennungslinien und macht sich keine Mühe, eine Logik des Verschachtelten zu entwerfen - hier also der Cyberspace, dort die blanke Realität, versinnbildlicht im Konstrast der texturreichen Kleidung der Protagonisten, wohingen in der VR Lack und Leder das Auftreten bestimmen. Da hat Cronenberg schon in den frühen 80ern mit VIDEODROME eine weit erkenntnisversprechendere Projektionsfläche intellektueller Diskurse entworfen, von EXISTENZ, der nahezu zeitgleich mit MATRIX in die hiesigen Kinos kam, mal ganz zu schweigen. Die Elemente klassischer Realitätssinnierungen werden also lediglich, gleichsam als Alibi, beim Namen genannt, aneinandermontiert, nie aber reflexiv, um ihre möglichen Implikationen wissend eingesetzt. Das in Aussicht gestellte Gewebe philosophischer Diskurse verschwindet so schnell wieder aus dem Nachbild wie das Buch von Baudrillard, das Neo zu Beginn so hastig wie beiläufig in den Bildkader zerrt, um es dann doch sogleich wieder zur Seite zu legen.
Nach dem Film fühlte ich mich seltsam beschämt. Wie kann es sein, dass MATRIX als einer der Schlüsselfilme der späten Neunziger in die Geschichte des Films eingegangen ist, wenn doch der Glanz des Lacks schon kurz nach der Dekadenwende verlustig geht und sich unter diesem ein recht abgemagerter Filmtorso entblößt? Eine Antwort fällt schwer, will man nicht kulturpessimistischen Überheblichkeiten das Wort reden.
#114
Geschrieben 22. Juni 2003, 22:52
Dass dieser Film nur unter Horror- und B-Movie-Freaks einen nennenswerten Bekanntheitsgrad aufweist, ist eigentlich sehr schade, denn Carnival ist ein ganz wunderbares Kunstwerk und kann ohne Zweifel als großer Klassiker des Genres (aber gut und gerne auch darüber hinaus) bezeichnet werden. Vielleicht liegt's ja an der B-Movie-Aura, die in der allgemeinen Wahrnehmung den Film begleitet, dass er nicht den Ruhm genießt, der ihm eigentlich zusteht, oder aber auch der ganz besonders tragische Umstand, dass es Regisseur Herk Hervey mit Ausnahme von Carnival vergönnt blieb, etwas Ambitionierteres jenseits dieser kurzen Schulunterrichtsfilmchen, die sein Oeuvre bestimmen, zu drehen. Wer weiß das schon.
Carnival bedient sich nonchalant beim Surrealismus und dem deutschen Expressionismus, um sein Anliegen zu vermitteln, zitiert den klassischen, gothischen Horrorfilm, lässt aber auch bereits den modernen, weit weniger metaphysisch orientierten Horrorfilm am Horizont erahnen. Auch scheint sich David Lynch an so mancher Stelle Inspiration verschafft zu haben, wenn's drum geht, die Idylle des Alltags zu verzerren, altbekannte Situationen neu, und zwar verwirrend, entfremdend, durchzuspielen. Und auch Shymalan dürfte sich, zumindest zur Recherche für Sixth Sense, diesen Film vergegenwärtigt haben. Ein Januskopf also, dieser, im wahrsten Sinne des Wortes, unheimlich schöne Film, der an der Position des Dazwischen nach vorne und nach hinten blickt. Das passt dann schon zur Spielhandlung des Filmes, in der eine junge Frau - sehr resolut und emanzipiert, vor allem aber weltlich orientiert: eine Anstellung in der Kirche als Orgelspielerin ist für sie bloß "ein Job" - gleich zu Beginn einen Autounfall überlebt (?) und fortan von seltsamen Erscheinungen bizarr geschminkter Menschen (einer davon der Regisseur in personam) heimgesucht wird und eine seltsame Affinität zu einem verlassenen, vor sich hin rottenden Vergnügungspark entwickelt. Pendelt sie zwischen den Welten? Ist sie eine Wiedergängerin? Alles nur eine Phantasie "near death"? Wer weiß das schon.
Flirrend surreal ist der Film, trocken und undramatisch, gleichzeitig bedrückend und hypnotisch. Seine stellenweise, an technischen Standards gemessen, krude Produktionsweise trägt dazu sicherlich bei. Gängigen Auffassungen von Genrefilmen dieses Budget- und Verbreitungskalibers wird der Film allerdings auch nicht gerecht, dafür ist Carnival wiederum viel zu sehr aufs Künstlerische konzentriert. Verhindertes Autorenkino also? Vielleicht ja sogar wirklich, ein Jammer ist es jedenfalls schon, dass dieser bezaubernde, atmosphärische Film das einzige Feature aus Herveys Feder blieb.
#115
Geschrieben 22. Juni 2003, 23:41
Dornenvögel auf mexikanisch, mit dieser Erwartungshaltung ging ich ins Kino. Nicht zuletzt die verfälschende Übersetzung des Titels, der im Original - El Crimen del... - den hierzulande versuchten, somit gleichsam scheinbar romantischen Protagonisten, schon vorab als Verbrecher zeichnet, trug - neben dem ganz ähnlich konzipierten Trailer - zu einer solchen Erwartung bei. Nicht gerade die beste Aussicht also, denn liberale, leidenschaftliche Zölibatkritiken sind, trotz allen guten Willens, nicht unbedingt Garant für besten Kinogenuß - zu abgehangen, zu altbekannt, zu obligatorisch die Aussage. Aber sei's drum - den jungen Gael Garciá Bernal halte ich für einen der vielversprechendsten Nachwuchsschauspieler auf internationalem Parkett (das ist jener verflixt gut aussehende Junge, den man als Kinogänger hierzulande aus Y Tu Mama Tambien und Amores Perros - grandiose Filme, im übrigen - kennen sollte) und wen sich die Liebste an der Seite als Leinwand-Beau ausgesucht hat, den sollte man eh - know your enemy - im Auge behalten. Also rein in den Film, sogar im Original mit Untertiteln, wie's im Lichtspielhaus des SonyCenters schöne Tradition ist.
Mit bereits angesprochener Zölibatkritik hat Padre Amaro, trotz solcher Versprechungen noch in der Etablierung der Diegese, erfreulicherweise dann aber doch rein gar nichts zu tun, im Gegenteil. Nicht das romantische Leid eines leidenschaftlichen, jungen Pfarrers im Widerstreit von Gelüsten und Gelübden ist das Motiv, nein, es geht um Vetternwirtschaft, Karriere, Machterhalt, somit also - nicht zuletzt, sondern als modus operandi - Skrupellosigkeit. Der zunächst so sympathische wie engagierte, junge Würdenträger mutiert - nicht etwa antithetisch, vielmehr, erschreckenderweise, evolutionär - zum verlogenen Machtmenschen, der, wenn auch vielleicht mit einer Träne im Auge, skrupellos über Leichen geht. Die auch körperliche Liebe zu einer jungen Frau aus der kleinen Dorfgemeinde, welche im weiteren Verlauf durch allerlei Widrigkeiten Amaros Biographie in Frage zu stellen droht, wird schließlich zum Ausgangspunkt einer verhängnisvollen Verkettung von Ereignissen, Amaros narzistische Unzulänglichkeiten zum Kitt dazwischen. Dass Amaro dabei nicht die Rolle rückwärts vom Paulus zum Saulus macht, sondern im Prinzip die gleiche Person bleibt, wie sie zu Beginn kaum sympathischer gezeichnet werden könnte, dass die Kirche als Institution, aber eben auch als Zusammenschluß einzelner Individuen dem Treiben zusieht, in anderen Belangen - etwa was die Finanzierung eines Hospitals angeht - als nicht minder korrupt und selbstsüchtig gezeichnet wird, dass selbst das Schuldbekenntnis der Eucharistie in der finalen Szene des Films den Padre Amaro kaum zur öffentlichen Reue, zum Schuldeingeständnis führt (dies vielleicht ja die negative Auswirkung einer Ideologie, die vor allem nur das Urteil einer überweltlichen Entität anerkennt), macht El Crimen Del Padro Amaro, aller inszenatorischen, wie sicher auch dramatischen Hausbackenheit zum Trotz, zu einer bissigen, harten Kritik am Klerikus an sich. Eine Reformierbarkeit im Namen der realistischen Menschlichkeit dieses Apparates stellt El Crimen - im Gegensatz zu vergleichbaren Filmen - somit, wie bereits angedeutet, in keiner Weise dar.
Altbekanntes Thema, hausbacken inszeniert, somit kaum der Rede wert - so in etwa das Credo der Feuilletons zum Film. Für einen Film mexikanischer Herkunft ist der Film in seiner radikalen Ausformulierung seines Topos dennoch überaus bemerkenswert. Ferner wäre mir auch kaum eine derart gnadenlose Abrechnung mit der katholischen Kirche aus den westlichen Industrienationen, von deren Perspektive aus jene Kritiker den Film ja abkanzeln, bekannt, ehrlich gesagt. Dass El Crimen rein filmisch gesehen nicht unbedingt auf die Pauke haut, ist dann vielleicht sogar Strategie - andere Vorgehensweisen könnte man, als im Sinne des Films Kritisierter, schließlich ohne weiteres als reine Hysterie abtun. Und so einfach sollte man es keinem tun. Dass der zugrundeliegende Stoff, ein Roman aus Mexiko, zudem schon über 100 Jahre auf dem Buckel hat, sollte die vorschnellen "Altbekannt!"-Rufer ebenfalls wohl recht schnell zum Verstummen bringen.
#117
Geschrieben 24. Juni 2003, 23:32
Einer dieser vielen, unheimlich schönen Poe-Adaptionen aus dem Oeuvre des B- und Trashkönigs Corman mit Vincent Price. Mit den stellenweise recht albernen Filmen, die Corman einige Jahre später in seiner zweiten Karriere als umtriebiger Produzent finanzieren sollte, hat dieser, zugegeben, campige, nichtsdestotrotz sich aber seiner Verantwortung voll bewusste Film - wie auch der Rest seiner Poe-Adaption - nichts zu tun, erstaunlich ernsthaft und künstlerisch ambitioniert geht es hier - wie in vielen anderen, verkannten Filmen des klassischen, phantastischen Films - zu. Leider lag mir nur eine dieser überaus ärgerlichen Vollbildversionen zur Sichtung vor, die zudem auch noch recht blass war, was den knallebunten, in erster Linie vom Visuellen lebenden Filmen dieser Machart natürlich gleich doppelt Gewalt antut.
So blieb es in diesem Falle lediglich bei einem ersten Eindruck, mehr konnte diese Karriaktur des Films nicht bieten. Doch dieser war schonmal sehr gut: Klassischer Poe-Stoff, Liebe und Obsessionen, Sündenfall und Sühne, alles inmitten bezaubernder, herrlich ausgeleuchteter Sets und liebevoll gestalteter Kostüme. Großartig natürlich wie immer Horrorfilm-Ikone Barbara Steele (man kennt sie vielleicht von Die Stunde wenn Dracula kommt von Mario Bava) und auch Vincent Price. Herrliche Ideen allentorten - diese tiefblauen Traumsequenzen etwa, wie entzückend.
Schade nur, dass - wie gesagt - Bildformat und Kontrast meiner Kopie so unsagbar schlecht waren, dann wäre der Farbenrausch - der Film beginnt ganz programmatisch mit psychedelisch zerflissenden Farbströmungen - ein rundum perfekter gewesen. Muss also doch die, zum Glück ja recht günstige, US-DVD ins Haus.
#118
Geschrieben 25. Juni 2003, 01:49
Tischtennis ist ja nun nicht unbedingt die coolste aller Sportarten. Keine Cheerleader, keine Millionenverträge, die Sportler sehen aus wie zu groß geratene Computernerds und, ganz ehrlich, gegen den Ruhm matschverkrusteter Fußballtrikots kommen muffig-graue Tennissocken in der Regel auch nicht an. Auch ist das Genre des Sportfilms nicht genuin als das reizvollste oder gar innovativste bekannt: Ein streng vorgegebenes, dramaturgisches Konzept mit abgehangener Basismythologie verdammt seine Figuren zu bloßen Aufsagern des Drehbuchs, die Sportkulisse bietet reichlich Füllmaterial für die Montage - Begeistern geht nun doch anders. Eine Verbindung von beidem sollte infolgedessen also geradewegs ins blanke Desaster führen, umso mehr verwundert es, dass PING PONG doch tatsächlich Charme zu entwickeln vermag.
#119
Geschrieben 25. Juni 2003, 14:53
Das war's nun also, eines der vielen, großen Kinoereignisse des Jahres: das Sequel zu einem der Schlüsselfilme der späten Neunziger, Mittelstück einer groß angelegten Trilogie, deren beiden letzteren Teile in einem Stück gedreht wurden, unter Aufwendung größtmöglicher PR-Budgets, Technik und manpower. Vielleicht ist ja gerade der Aspekt, dass dieser Film eigentlich nur die erste Hälfte eines knapp 4stündigen ist, dafür verantwortlich, dass Matrix:Reloaded mir als unheimlich unausgegoren und zu wenig in sich geschlossen vorkommt. Etwas benommen ging ich aus dem Saal: Nicht nur wegen der vielen, ausufernden Actionszenen, die den Zuschauer schon fast verschwenderisch oft und lange in die Achterbahn schubsen, sondern auch, weil man versucht, den Film an sich zu finden, hinter diese ganzen Bilder zu steigen, den Kitt zwischen den Actionsequenzen sucht. Erfolglos, denn dieses Sequel erschlägt einen förmlich mit seinem "Schneller, höher, weiter", vor allem aber mit seinem "Mehr": mehr Action, mehr philosophisch angehauchte Dialoge, mehr Verwirrung, mehr Matrix, mehr Spielorte, mehr Plot. Einzig und allein einem Gesichtspunkt blieb ein "Mehr" vergönnt: der Nachvollziehbarkeit. Da steht man als Zuschauer herzlich alleingelassen auf weiter Flur, ist zum bloßen Anschauen verdammt, ohne aber im Film involviert zu sein. Alle möglichen Zutaten und Aussichten schmeißt der Film in einen Pott, vermengt das ganze zu einem dickflüssigen Brei und vertröstet am Ende, mitten in einem, nun ja, eher wenig spannenden Cliffhanger (man kann sich schon denken, was das heißen soll, was man da sieht), in grünen Buchstaben lediglich auf ein "Fortsetzung folgt". Mag sein, dass sich das Gebräu im Zusammenhang mit Matrix:Revolutions irgendwie erschließen mag, so aber bleibt man vor den Kopf gestoßen, fühlt sich ausgelacht und wird das Gefühl nicht los, einen ausgedehnten Trailer gesehen zu haben. Das hat mich ja schon an den bisherigen Star Wars Prequels gestört, dass da zwar alle Naselang irgendwas in den Raum, respektive Saal, geschmissen wird, man aber im Folgenden immer auf den späteren Teil vertröstet wird - im Falle von Star Wars hat das mittlerweile zu einem sagenhaft dichten gordischen Knoten geführt, den Episode 3 nunmehr verdammt ist, in seiner Gänze aufzutrennen, woran ich nicht so recht glauben mag (vom dramaturgischen Aspekt, dass das reichlich unbefriedigend ist, mal ganz abgesehen). Matrix hat, mit Ausnahme von Teil 1, der ja recht in sich geschlossen bestehen kann, den gleichen Fehler begangen. Nichts gegen Epen im Kino, aber ein Film ist, auch in einer Reihe, nunmal ein Film und keine TV-Serie, eine gewisse Geschlossenheit darf ich da dann doch wohl erwarten.
Was bleibt? Nette Actionsequenzen, die stellenweise in Spencer/Hill-Burlesken abdriften - diese Massenschlägerei mit den Hunderten Agent Smiths - und somit hier und da unfreiwillig komisch wirken, der eine oder andere eher verpatzte CGI-Effekt - nichts gegen diese Technik, aber (noch) sieht mir das zu steril aus, da hänge ich noch eher einem Kino von Blut, Schweiß und Tränen an - und viel, viel, viel pseudo-tiefes Geschwätz, das einem irgendwann, mit Verlaub, ob der Substanzlosigkeit tierisch auf die Eier geht.
#120
Geschrieben 25. Juni 2003, 15:39
Durchkomponiert ist dieser Film wie kaum ein zweiter, mit mathematischer Genauigkeit werden die vielen Linien, die Bezugspunkte und Spannungen in der mise-en-cadre beachtet, man möchte das Geodreieck ansetzen, glaubt man doch, dass sich selbst noch im Millimeterbereich der Geometrie künstlerische Mitteilungen verbergen könnten. Das Ergebnis verfehlt seinen Zweck nicht: Ein ungeheuer ästhetischer Film ist das, der den Film als in erster Linie noch immer visuelles Medium beim Wort nimmt, mit den Bildern arbeitet. Eine hypnotische Stimmung des Höchstartifiziellen wird entworfen (das kostet mich jetzt Cineastenpunkte, aber ich behaupte mal: Der Film wirkt wie die intellektuelle Auteurvariante eines Jess-Franco-Films), zu keinem Zeitpunkt lässt der Film Zweifel darüber aufkommen, es nicht mit der Wiedergabe einer - wie auch immer gearteten - realen Handlung zu tun zu haben, nein, hier wurde ein Essay, eine Überlegung versucht mittels Bilder zu vermitteln: Es geht um Erinnerung, das Selbst, das sich daraus speißt, die Frage, inwieweit wir uns unser Leben selbst inszenieren, inwiefern es fremdbestimmt ist, durch welche Folie wir uns im Verhältnis zur Welt und unseren Mitmenschen erleben.
Und vielleicht ist das mit diesem Essay - aus heutiger Perspektive! - auch ein klein wenig das Problem des Films. Ohne einer Wertigkeit verschiedener künstlerischer Ausdrucksmöglichkeiten das Wort zu reden, gibt es eben für jedes Anliegen auch unterschiedlich geeignete Wege, dieses zu vermitteln. Denn, wenn ich ehrlich bin, wirkt Marienbad doch im Gesamten etwas gespreizt, wenn nicht gar maniriert. Das, was jenseits der Spielhandlung, vermittelt wird, was als Gedankenexperiment hinter den Bildern liegt, ist zwar durchaus interessant und von Relevanz, hätte aber wohl in einem philosophischen Essay in Textform wohl weit zeitsparender und inspirierender vermittelt werden können. So bleibt das Gefühl, das da etwas künstlich auf Spielfilmlänge aufgeblasen und ins eigenen handwerkliche Können verliebt ästhetisch, unwidersprochen, ungemein anregend aufbereitet wurde. Das klingt jetzt eigentlich schon fast härter als es eigentlich gemeint ist, vielleicht spricht da auch wirklich nur die Arroganz der heutigen Perspektive, die zum Thema, meiner Meinung nach, weit aussagekräftigere und, jenseits der Ästhetik, auch weit hedonistisch verwertbarere Filme gesehen hat, aus diesen Worten. Nein, mir gefiel der Film schon sehr gut, man kann mich ja auch mit bloß visuellen Werten noch immer locken, nur beschleicht mich auch das Gefühl, dass L'année dernière à Marienbad heutzutage nur noch von musealer Bedeutung ist.
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