(18. November 2003 | Kino: Pressevorführung | deutsch | Arri Kino, München)
Meine erste Pressevorführung. Und dann gleich sowas. Der erste Film, wo ich versucht bin, ihn bereits nach der ersten Sichtung meinen Lieblingsfilmen hinzuzufügen. Normalerweise mach ich das nicht, weil wirklich jeder Film beim zweiten Mal noch neue Aspekte aufweisen kann, positiv und negativ - und wenn es nur die traurige Tatsache ist, dass es keine neuen Aspekte gibt. Kann "Lost in Translation" bestimmt auch. Aber will ich das überhaupt?
Was habe ich erwartet? Mit der Einladung trudelte natürlich auch etwas (überraschend wenig) Infomaterial ein, aber hier nur die üblichen Lobhymnen, die wahrscheinlich immer gespielt werden. Also ab ins Internet, und mich mal ein wenig schlau gemacht, was mich so erwartet.
Durchgehend positive oder wenigstens zufriedene Stimmen, also erlaubte ich mir eine kleine Erwartungshaltung, doch immer noch war es das Genre (oder vielmehr das "Prinzip") des Films - zwei Leute treffen sich in einem Hotel, freunden sich an, vielleicht noch etwas mehr - was mich auf ein "wird bestimmt ganz nett"-Filmchen warten ließ.
Stattdessen bekomme ich eine äußerst einfühlsam erzählte Geschichte serviert, von zwei Fremdkörpern in der Fremde, zwei Menschen in ihren persönlichen Krisen, die sich mehr oder weniger gegen ihren Willen in einer völlig fremden Kultur - nämlich Japan - wiederfinden, wobei eben diese Kultur auch noch krampfhaft und wenig erfolgreich in Form eines Nobelhotels versucht, so wenig fremd wie möglich zu sein, und gerade damit alles noch schlimmer macht. Da sind die übertrieben bemühten Hotelangestellten nur ein Aspekt, neben der amerikanischen Band in der Hotelbar, dem hochmodernen hoteleigenen Fitnessstudio, dessen Geräte allerdings offensichtlich von Leuten eingestellt wurden, die dergleichen noch nie benutzt haben, sowie der krampfhaft höfliche Umgangston allerorts, der durch seine Erzwungenheit für westliche Beobachter aber nur noch Unpersönlichkeit vermittelt. Und inmitten dieser scheinbar lebensfeindlichen Umgebung zwei einsame Seelen: Bill Murray als Schauspieler Bob Harris, der in Japan eine Whisky-Werbung dreht, sowie die Philosophie-Absolventin Charlotte (Scarlett Johanson), die ihren Mann, einen Star-Fotografen, aus reiner Langeweile zu dessen Auftrag nach Tokyo begleiten wollte.
Bill Murray spielt den klassisch Erfolgreichen, der trotzdem vor der Unbill einer saftigen Midlife-Crisis nicht gefeit ist, zwar gewohnt sarkastisch, aber dennoch gelingt es ihm, seine Figur niemals der Lächerlichkeit Preis zu geben, so wie es beispielsweise in "American Beauty" passiert. Stattdessen liefert er eine absolut glaubwürdige Darstellung eines Mannes, der einfach unzufrieden ist, ohne dieses Gefühl genau lokalisieren zu können, und der sich deshalb zur Ursachenforschung verschiedenster Art hinreißen läßt: Vom kurzen Test der körperlichen Fitness, über eine offensichtlich lange nicht mehr getätigte Liebesbekundung gegenüber seiner Frau (die überdies erschütternd scheitert) bis hin zur Affäre mit einer Nachtclubsängerin - doch nichts will helfen. Selbst auf die Ankündigung, seinen Lebenswandel grundlegend zu ändern, hat seine Frau nur bissigen Spott übrig, der offensichtlich nicht bös gemeint ist, aber dennoch das taktvolle Maß weit verfehlt - und damit wie ein Schlag ins Gesicht wirkt. Erst die Freundschaft zur jungen Charlotte kann seine Lebensgeister beflügeln und ihm somit den nötigen Auftrieb verschaffen.
Doch auch Neuentdeckung Scarlett Johansson (Sie hatte zwar vorher einige Rollen, aber dieser Film erfüllt makellos den Tatbestand einer "Neu"-Entdeckung!) gibt die Mittzwanzigerin (sie ist übrigens 19!), die sich derzeit ebenfalls in einer massiven Sinnkrise befindet, als eine schüchterne Frau, dessen Selbstbewußtsein zwar genügend vorhanden, aber dennoch unter der Oberfläche verborgen ist. Überdies strahlt sie eine engelhafte Gutmütigkeit und Besonnenheit aus, die selbst den dunkelsten Raum zu erhellen vermag.
Neben dem eindringlichen Porträt dieser beiden parallelen Charaktere und der bezaubernden Geschichte ihres Aufeinandertreffens, die mit warmherzigem Humor und leicht philosophischem Wert angereichert ist, gibt "Lost in Translation" einen unvergesslichen Eindruck vom "culture clash", den man als westlicher Urlauber in Japan unweigerlich erleben muß.
Aus rein westlicher Sicht werden die örtlichen Sitten liebevoll dargestellt, durch subjektives Empfinden subtil überspitzt und dank einfühlsamer Dosierung trotz komischer Aspekte stets respektvoll behandelt. Sofia Coppola liebt offensichtlich die japanische Kultur, obwohl sie sie nicht versteht.
"Lost in Translation" erscheint mir als dermaßen persönlicher Film, dass er mir eher wie eine eigene Erinnerung als wie ein filmisches Erlebnis vorkommt. Stellenweise habe ich Tränen gelacht, der zutiefst ehrliche und realistische Schluß hat mich zutiefst beeindruckt und mindestens eine äußerst wahre Erkenntnis hat mir Sofia Coppola vermitteln können: Wie man einen anderen Menschen sieht, hängt immer von den Umständen der Begegnung ab.
"Es gibt Filme, denen man ewig hinterherschauen könnte..." (
Quelle)
Ich trage "Lost in Translation jetzt mal in meinem Nutzerprofil als vierten Lieblingsfilm ein. Sollte ich dann beim nächsten Mal doch noch Negatives entdecken, kann ich den Eintrag immer noch löschen. Aber das kann ich im Moment einfach nicht glauben.
Danke.
Filmkritik