31.10.05 – Die Stunde wenn Dracula kommt, Italien 1960
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So, jetzt ist es soweit. Immer habe ich einen Eintrag zu diesem Film aufgeschoben, trotz gelegentlicher Sichtungen desselben, da ich meinen Hang zum Autobiographischen mittlerweile kenne und nach dem kleinen „Evil Dead“-Gedächtniskonzert und dem „American Werewolf“-Musical nicht wieder so tief in das Geschichtsbuch meines Lebens einbrechen wollte. Aber bei diesem Film ist das einfach ganz unmöglich und ich muss nun all jene warnen, die an einem nüchternen objektiven Bericht interessiert sind…, geht heim!
Sollte sich ein Psychologe hierhin verirren, darf er ruhig alles notieren und mir dann eventuell Vorschläge, falls da noch Handlungsbedarf bestehen sollte, zusenden. Dieser Eintrag dürfte zudem sicherlich ein aufrüttelnder Text für alle Medienpädagogen sein, sollten sie nach einem besonders krassen Fall von schädlicher Auswirkung medialer Morbidität und Gewalt auf den jugendlichen Geist auf der Suche sein…
„Maschera“, der ein schillernder Vertreter seiner Zunft ist, wie wir wissen (hoffentlich), kam es zu, eine ganz besonders große Rolle speziell in meinem Leben zu spielen, zunächst einmal völlig losgelöst von irgendwelchen handfesten Kriterien, mit denen der kühle Wissenschaftsgeist das Objekt seines Interesses in seine Einzelteile zu zerpflücken und zu verstehen sucht. Denn, ich muss es leider sagen, im Alter von zehn oder elf Jahren, da fehlte es mir an so einem Werkzeug noch völlig und wenn ich heute in meinen dafür zuständigen Werkzeugkasten blicke, ist da nicht allzu viel Werkzeug hinzugekommen…. Damals allerdings war da wie gesagt noch nicht einmal ein abgebrochener Schraubenzieher, meine Erfahrungen in Sachen Horrorfilm beschränkten sich hauptsächlich auf ein paar “Gevierteilte“: „Tanz der Vampire“, „Die Herren Dracula“, den TV-Frankenstein von Glenn Jordan, diverse Horrorcomics, Märchen und vielleicht noch „King Kong“. All jene hatten das Zeug, mich ganz schön zu verstören und nachhaltig tiefe Gräben in meine Seele zu graben. „King Kong“ beschäftigte mich tagelang und „Frankenstein“ war so ziemlich das Schaurigste, was ich mir vorstellen konnte. Dann, eines schönen Tages, schob ein Nachbarskind den berühmten Bava in den altehrwürdigen Video2000-Kübel und ich sollte erst noch erfahren, was Grauen wirklich ist…!
Diagnose: Trauma
Der Film hatte Nachwirkungen. Damals besaß ich noch keinen Namen für die befremdlichen dunklen Wogen, die fortan durch meine noch junge Psyche wogen sollten. Ich beschrieb das selbst immer so, dass dieses Machwerk fortan jeden Tag in einen verregneten Sonntag verwandelte, egal wie das Wetter und welcher Tag tatsächlich war (den englischen Titel kannte ich noch gar nicht). Heute würde ich das eine handfeste Depression nennen. Zwei Jahre lang hatte mich die Hexe Asa fest in ihren knorrigen Klauen, ihre dunklen leeren Augenhöhlen ließen nicht ab von mir. Ich musste zwangsneurotische Rituale vor dem Bettgehen entwickeln, um mich von ihrem Zauber zu befreien, beinahe jeden Abend. Genauer gesagt, von ihrer Todesfratze. Ich hasste Frauennamen, wenn sie ähnlich klangen. Also z.B. „Anna“ oder „Klara“. Auch „NASA“ und sogar die Bezeichnung ASA auf Fotoapparaten war mir höchst verdächtig.
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Das ist leider kein Witz und deswegen ein guter! Die Dame verfolgte mich lange Zeit. In dieser Phase wurden Schwarzweißfilme für mich beinahe unerträglich, sie waren grundsätzlich gruselig und sei es „Pat und Patachon“. Ich entwickelte eine derart große Besessenheit, dass ich mir letztendlich gar einredete, sollte ich jemals wieder auch nur einen Blick in diesen Film werfen oder einen Fetzen der Filmmusik hören, was ich komischerweise als noch bedrohlicher empfand…, dann müsste ich wohl mindestens wahnsinnig werden. Ich konnte mich an die Melodien selbst nicht mehr erinnern, aber ich witterte Ähnlichkeiten in der Musik von nahezu jedem anderen schwarzweißen Film, wenn dieser unheimlicher Natur war. Ich entsinne mich da an die seltsame Stimmung, die Billy Wilders „Sunset Boulevard“ zu der Zeit auf mich ausübte. Wahrscheinlich, weil dieser ebenfalls schwarzweiß, melancholisch/unheimlich und mit einer markanten Hauptdarstellerin versehen war. „Sunset“ fällt mir auch heute noch automatisch ein, wenn mir „Maschera“ begegnet und umgekehrt. Vieles, was damals drum herum stattfand, gesellte sich zu diesem “Fluch“ hinzu, wurde ein Teil von ihm. Anfang der 80er gab es beispielsweise Zweikanalton-Testsendungen in den Öffentlichrechtlichen. Die sah ich mir eigentlich immer recht gerne während der Hausaufgaben an, auch in den unmittelbaren Tagen nach meiner Erstbegegnung mit der Hexe. Darin wurden Ausschnitte aus einer Oper, einem Mars-Film mit Maria Schell und andere Sachen gezeigt. Ich kann mich heute noch nicht völlig eines eisigen Schauers erwehren, wenn ich jene Opernmelodie höre, oder den Film mit Maria Schell sehe. Es ist schon äußerst seltsam, wie die Thematik dieses einen Bava-Films bei mir über die Grenze der Mattscheibe hinaus so an Realität gewinnen konnte und alles andere mit vergiftete. Ganz wie die armen Vajdas im Film von Asas Fluch heimgesucht werden, wurde auch ich fürwahr von ihr heimgesucht. In dieser, alles verdüsternden Form hat dies seither kein Film auch nur Ansatzweise wieder geschafft. Irgendetwas in seiner Ästhetik, im Zusammenwirken mit gewissen Storyelementen vielleicht, musste wohl gerade recht gekommen sein, um einige, eigentlich sonst gut verschlossenen Türen zu meinem Innersten aufzustoßen und sein Gift besonders tief zu spritzen...
Witzig/erschütternd in diesem Zusammenhang vielleicht noch folgendes Anekdötchen. Als einige Jahre später „Maschera“ wiederholt wurde, spielte ich auf dem 64er gerne „Wizard of Wor“. Und nun bitte ich, ein Lachen zu unterdrücken!
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Seitdem ist das für mich nämlich nicht mehr „Wizard of Wor“, sondern das Spiel zum Film. Wer es kennt, kann das vielleicht ein wenig verstehen. "WOW" ist düster und ganz schön nervenaufreibend. Wenn man Glück hat, taucht sogar “Asa“ (eigentlich die Titelfigur) höchstpersönlich auf, die man dann erledigen muss. Gelingt es einem, wackeln die Wände von ihrem garstigen Todesschrei….
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Dabei hatte ich mir die Wiederholung noch nicht einmal angesehen. Zeitgleich lief auf dem anderen Kanal „Futureworld Westworld“ und selbstverständlich wurde der geschaut. Schon allein das Wissen um die Wiederholung entwickelte wieder genug toxischen Einfluss. Vielleicht sollte ich nicht unerwähnt lassen, dass ich die Fernbedienung andersherum hinlegte, damit kein Wackelkontakt versehentlich umschaltete. Ich hatte wirklich Schiss und in Zusammenhang mit Asa glaubte ich durchaus auch ein wenig an böse Schwingungen…!
Therapie: Konfrontation
Aber man wird auch älter und in Sachen Medien erfahrener. Die Dämonen der Kindheit erlangen dann wieder neue Macht, nur diesmal ganz anders, speziell dann, wenn sie einst von besonders großem Einfluss waren. So mancher feiste Splatterfilm verstand es zudem, meine martialische Seite zu stählen, ich sollte also eines Tages gewappnet sein. Ein Wiedersehen gab es schließlich im Alter von 18 Jahren . Das Casablanca-Kino in Nürnberg, das ich bis dahin noch nie besucht hatte, zeigte den Film in einer Mitternachtsvorstellung. Trotz der Unannehmlichkeit, hernach die ganze Nacht allein in Nürnberg verbringen zu müssen, da es zur damaligen Zeit einfach noch keine öffentlichen Verkehrsmittel nach 1:00 Uhr gab, machte ich mich auf, den alten Drachen endlich zu töten. Zugegebenermaßen höchst neugierig und auf angenehme Weise innerlich erregt, bis unter die Haarspitzen. Dass ich dann den bis dato großartigsten Horrorfilm sehen sollte und sämtliche Schwarzweißfilme damit mehr als rehabilitiert waren, dürfte zu erwähnen überflüssig sein. Aber ich sage es trotzdem: Ich sah den bis dato großartigsten Horrorfilm, sämtliche Schwarzweißfilme waren rehabilitiert!
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Eine denkwürdige Fügung war es zudem, dass ich etwas zu spät eintraf, die ersten Minuten liefen schon durch den Projektor. Da sich der Betreiber des Lichtspielhauses selbst unter den Zuschauern befand, wurde ich als störender Eindringling schnell herein gewunken, ich musste keinen Pfennig berappen. Na, wenn mir das mal kein Friedensangebot aus der Hölle war! Hinterher hockte ich dann die ganze Nacht selig im kleinen Minipark beim Casablanca und hatte einiges zu überdenken…
Wenn sich etwas so Verhasstes plötzlich als großartig entpuppt, muss es einfach zu einem Fetisch unsterblicher Verehrung werden und sein Macher zu einem Zelluloid-Gott oder etwas Ähnlichem. Mein Interesse für den unheimlichen Film wurde mit ihm wohl endgültig in Granit gemeißelt. So wird „Die Stunde“ immer etwas Besonderes bleiben, zunächst wirklich ganz unabhängig von nüchternen Gesichtspunkten seiner Beurteilung, zu denen ich jetzt versuche zu kommen.
„Die Stunde wenn Dracula kommt“ ist in erster Linie audiovisuell ein Fest. Einen wohlfeileren Albtraum in Schwarz und Weiß gibt es eigentlich nicht, so schön und wirkungsvoll ist beinahe jedes Bild und jede Einstellung. Die Art, wie Bava mittels Kameraschwenks und -Fahrten Bedrückendem und Bedrohlichem Ausdruck verleiht, wie er mit Licht und Schatten umgeht und mit Schnitten, das war schon ziemlich innovativ oder zumindest fortschrittlich. Die Story an sich mag bereits damals absolut nichts Neues mehr gewesen sein und wie man ja weiß, lagen die Ambitionen italienischer Drehbuchautoren auf dem B-Sektor seit jeher wohl eher darin, Bekanntes fix zu recyceln, um überhaupt etwas zu Papier zu bringen, das man irgendwie auf Zelluloid bannen konnte. Das Ganze ist also handlungstechnisch betrachtet sagen wir einmal Durchschnitt, aber Bava gelingt es spielend, daraus die Essenz des Schreckens durch seine Bildsprache besonders rein zu fördern. Man spürt in „Die Stunde“, wie kaum in einem anderen Film, das Grauen, das eine tot geglaubte Vergangenheit durch die Heimsuchung ihrer Nachkommen zu versprühen vermag. Ich kann mir nicht helfen, aber die Vorstellung, mumifizierten Vorfahren zu begegnen, die mir nicht freundschaftlich gesinnt sind, gehört zu dem Schrägsten und Unheimlichsten, was ich mir überhaupt nur vorstellen kann. Bava addiert zum Gefühl der Bedrohung recht gekonnt eine gehörige Portion Melancholie und Niedergeschlagenheit, eine Kapitulation vor dem scheinbar Unausweichlichen, wie ich es besser vielleicht nur noch aus Cormans „Die Verfluchten“ kenne. Ich glaube, dass diese Kombination es war - Schrecken und Tragödie -, die mir damals eine große Schraube rausgedreht hat. Das traf genau ins Schwarze.
„Die Stunde wenn Dracula kommt“ war seiner Zeit voraus. Er bietet vieles, was man als Patent für moderne Werke des Horrorfilms ansehen könnte. Ach, man kann! So gibt es dezenten Splatter; Untote, die sich fotogen aus der Erde wühlen; der CGI vorgreifende Transformationen; wilde Kamerafahrten und Schwenks und was weiß ich. Ein Meilenstein, was rede ich noch lange herum.
Anmerkung:
Das Werk ist in der deutschen Fassung sogar mal vorzuziehen, weil hier hat die alte Hex’ eine besonders markige (Raucher-)Stimme, was ausgezeichnet passt, während im Original beide Rollen von Steele stimmlich nicht sonderlich unterschiedlich angelegt werden. Dass da dann auch Dracula mitmischt, blendet man einfach aus, man kennt ja das Original.
Bearbeitet von FakeShemp, 25. Juni 2007, 18:40.