Der Monroe ihre dicken Hupen
#571
Geschrieben 27. November 2006, 11:18
Herrlich! Die Geburtsstunde des Splatterfilms präsentiert sich als bunt glitzernde Schatulle angefüllt mit viel Gekröse und Blödsinn. Und nebenbei darf sich Herschell Gordon Lewis damit rühmen, die Langsamkeit noch einige Jahrzehnte vor Herrn Nadolny entdeckt zu haben. Das tut der Freude aber keinen Abbruch. Die hübsch doofe Geschichte um den Cateringservice des Herrn Fuad Ramses (erster Lacher), der sein Hinterzimmer dazu nutzt, ein blutiges Ritual für seine ägyptische Lieblingsgottheit Ishtar vorzubereiten, eiert von einer dullen Szene zur nächsten, Kohärenz wagemütig vorgaukelnd, wo sich in Wahrheit Logiklöcher von der Größe Neufundlands auftun. Inkompetentere Polizisten wurden nie auf Zelluloid gebannt, gleiches gilt für den schlauen Ägyptologen, dessen Vortrag ihn mitnichten zur Koryphäe, sondern höchstens zur Nebelkrähe erhebt. Großkotzig als Vorlesung zum Thema "Altägyptische Kulte" angekündigt, verliert der gute Mann zwei, drei Sätze zum "Blood Feast" von Ishtar, nur um dann alle wieder nach Hause zu schicken. Die Hörerschaft ist natürlich trotzdem begeistert, wie sowieso das ganze Kaff einen Ägyptentick zu haben scheint. Jedenfalls sind alle ganz versessen darauf, das mit "Ancient weird egypt rites" oder so hübsch betitelte Büchlein des Herrn Ramses zu lesen, was sie prompt auf dessen Todesliste befördert. Die zelebrierten Goreeffekte, die "Die Angst sitzt neben dir"-Autor Trebbin in seinem Schmöker gänzlich ohne Anflug von Ironie als "realistisch" bezeichnet, sehen aus, als hätte ein besonders experimentierfreudiger Küchenmeister ausgiebig mit Rote Bete experimentiert: Ich hatte Angst, dass mein Fernseher vor lauter Rot explodiert! Und die Ausführung der Morde entbehrt ebenfalls nicht einer gewissen Komik: Einer Frau die Zunge rauszureißen dürfte jedenfalls wesentlich leichter sein, wenn man sich die Mühe machte sie erstens zu betäuben und zweitens ein scharfes Werkzeug zur Hilfe zu nehmen. So sieht das Gezerre am Letschen der armen Frau aus, wie ein Handgemenge an der Wursttheke. Die wahren Highlights des Films sind meines Erachtens der famose, von Lewis selbst komponierte ultraslowe Score, zwischen dessen einzelnen Beats man bequem einen Kaffee aufbrühen kann, und die ebenfalls extrem nervenzerrende Verfolgungsjagd am Schluss: Die braven Gesetzeshüter brauchen STUNDEN, um den zu Fuß fliehenden, hinkenden Ramses einzuholen und Lewis hält voll drauf. Meine Lieblingsszene ist aber die, in der ein männlicher Überlebender eines Ramses-Angriffs in den Armen eines Polizisten einen theatralischen Heul- und Schreianfall bekommt. Insgesamt also eine prall gefüllte Wundertüte, ein schillerndes Kleinod großer Ödnis, eine faulig müffelnde Pralinenkiste, die man lieben muss, historische Bedeutung hin und her.
#573
Geschrieben 01. Dezember 2006, 13:57
Die nymphomane veranlagte Vixen (Erica Gavin) lebt mit ihrem Naturburschen Tom (Garth Pillsbury) in der Wildnis des kanadischen Westens. Tom verdingt sich als Buschpilot, fliegt unter anderem Ehepaare für Wochenendtrips in die Pampa. Diesmal bringt er Dave und Janet mit, deren Sexleben so vor sich hin dümpelt, nach der Spezialbehandlung von Vixen aber in neu entdeckter Ekastase aufblüht. Vixen lässt sie alle ran, auch ihren Bruder Judd, der mit dem schwarzen us-amerikanischen Deserteur Niles (Harrison Page) rumhängt. Dieser wiederum ist Zielscheibe von Vixens rassistischen Sticheleien, denn so liberal und aufgeschlossen die dralle Vixen in Sachen Sex auch ist, so vernagelt ist sie in anderen Dingen. Als der Konflikt zwischen Vixen und Niles kurz vor der Explosion steht, taucht Tom mit einem neuen Gast auf, dem Kommunisten O'Bannion ...
Es ist nicht ganz leicht den bekanntesten oder wichtigsten Film in Meyers Schaffen zu benennen, VIXEN! ist aber sicherlich einer der Kandidaten für diese Auszeichnung. Inhaltlich und athmosphärisch schließt er ziemlich nahtlos an den düsteren FINDERS KEEPERS, LOVERS WEEPERS an: Vixen ist eine absolut unsympathische Hauptfigur, macht es dem Zuschauer mit ihren rassistischen Tiraden und ihrer intriganten Art unmöglich, sich mit ihr zu identifizieren. Sympathieträger ist deshalb Niles, der aber ebenfalls nicht ohne Makel ist, was eine interessante Parallele zum im gleichen Jahr enstandenen Romeroklassiker NIGHT OF THE LIVING DEAD ist. Vixen ist aber eindeutig Dreh- und Angelpunkt dieses Films, der zwar für seine Freizügigkeit bekannt ist, die in einer für 1968 wahrscheinlich sehr mutigen lesbischen Liebesszene kulminiert, heute aber fast zahm wirkt und viel weniger grafisch ist als einige spätere Filme des Breastman. Der thesenhafte Charakter des Films tritt deshalb heute viel stärker hervor. So endet VIXEN! beinahe antiklimaktisch mit einem erst kurz vor Schluss etablierten Konflikt, der irgendwie nicht in den sonst so geschlossenen Film passen will. In einer dialoglastigen Szene in Toms Flugzeug, dass der Kommunist O'Bannion misamt den Insassen Vixen, Tom und Niles nach Kuba entführen will, wird die aufklärerische Botschaft noch einmal explizifiert. Doch schließlich gehen alle geläutert aus dem finalen Konflikt gehen hervor, schließt Meyer mit einem Happy End: Der Kommunist O'Bannion ist überwältigt worden, Niles bekennt sich zu seinem Land und Vixen spricht den Schwarzen zum ersten Mal mit dessen richtigen Vornamen an, betrachtet ihn als Menschen. VIXEN! ist ein sehr konstruierter Film, aber gerade deshalb auch ziemlich spannend, vor allem wenn man den Rahmen bedenkt, in dem das alles passiert. Auf der DVD ist noch ein schönes, kurz nach dem Tod Meyers entstandenes Interview mit den "Stars" des Films enthalten, Harrison Page und natürlich Erica Gavin. Letztere sieht entsetzlich ausgemergelt aus, ist kaum wiederzuerkennen und erzählt, dass ihr damaliger Besuch einer Aufführung von VIXEN! und der Anblick ihres Körpers auf einer Leinwand der Ursprung einer langjährigen Anorexie gewesen sei. Das Interview beschließt sie auf die Frage nach dem Regisseur mit Tränen in den Augen und den Worten, dass sie ihm ihre "fifteen minutes" zu verdanken habe. Nicht nur der Film ist also harter Stoff.
#574
Geschrieben 01. Dezember 2006, 16:32
Harry (Charles Napier) ist Sherriff in einem Wüstenkaff in Colorado, durch das in großem Stil Marihuana geschleust wird. Verantwortlich dafür ist der alternde Unternehmer Franklin (Frank Bolger), der den ganzen Film über nicht aus dem Bett kommt und immer ein Betthupferl dabei hat. Der virile Harry – er vergnügt sich nicht nur mit der englischen Krankenschwester Cherry (Linda Ashton), sondern auch mit der Prostituierten Raquel (Larissa Ely) – verdient sich am Drogengeschäft auch was dazu, muss aber ws tun für sein Geld: Der Mittelsmann Geronimo, ein Apache, will auf eigene Kosten ins Drogengeschäft einsteigen, ws wiederum Franklin nicht passt. Der Apache muss weg, Harry und der Mexikaner Enrique (Bert Santos) sollen ihn aus dem Weg räumen. Doch der Mordversuch geht schief. Der Indianer kann entkommen und kehrt schon bald zurück, um Rache zu nehmen.
Diese Mär wird vom Meister Russ Meyer mit vielen Sexszenen angereichert, in denen die gesamte Besetzung lustig durcheinander gewürfelt wird. Viel interessanter als die Handlung ist die psychedelische Inszenierung des Ganzen. Immer wieder werden skurrile Bilder mit einer nackten Frau in Indianerkostümierung eingeschnitten, die in den Credits als "Soul" bezeichnet und von der üppigen Uschi Digard gespielt wird (hier als Astrid Lillimor gecreditet). Oft wird sie aber auch mit verblüffendem Effekt ins laufende Geschehen integriert – Harry wirft ihr sogar einmal einen flüchtigen Blick zu. Sie tritt als Geist auf, der die Protagonisten zum Leben auf der Überholspur anheizt, sie dazu treibt, sich im Wüstensand eingegraben zu vögeln, Marihuana zu rauchen und generell nix anbrennen zu lassen. Ähnlichkeiten zu Hajis Waldhexe aus GOOD MORNING ... AND GOODBYE! sind rein zufällig. Der Film ist eine Augenweide: Vor den gigantischen Wüstenpanoramen verschwinden die Figuren geradezu, das Ende ist erstaunlich hart und blutrünstig und über Meyers pointierte Schnittfolgen und originellen Perspektiven muss man eh kein weiteres Wort verlieren. Besonders schön fand ich die Szene, in der Soul auf einem vor Harrys Haus stehenden, ausrangierten blauen Sofa herumsprinngt, während Harry und Cherry es drinnen wild miteinander treiben. Aber auch der bizarre Felsen, der wie ein Penis aussieht und von der nackten Indianerseele förmlich angebetet wird, hat was. Wenn es überhaupt etwas zu meckern gibt, dann allerhöchstens an Linda Ashton, die ihre Lippen beim Reden kaum auseinanderbekommt und so klingt als müsste sie ständig ein Gähnen unterdrücken. Ihr englischer Akzent könnte außerdem auch gut und gern als schwedisch durchgehen.
Apropos Schwedisch: Russ Meyers stets einfallsreiche Gestaltung der Tonspur findet hier in einem surrealen Sprachengemisch seinen Ausdruck: Es wird spanisch gesprochen, englisch natürlich, schwedisch oder dänisch und deutsch. Der noch in VIXEN! offenkundige kämpferische Ton begegnet dem Zuschauer ebenfalls wieder. Gleich zu Beginn peitscht Meyer uns eine ellenlange Schmähschrift gegen Zensoren und Spießertum um die Augen. Dass Meyer in CHERRY, HARRY AND RAQUEL gleichzeitig und nicht sehr glaubwürdig gegen das "Teufelszeug" Marihuana wettert (u. a. in einer langen Rede per Voice-Over zum Abschluss), wirkt besonders albern, wenn man bedenkt, dass der gemeinsam gerauchte Joint Harry und Raquel zum schön abgefilmten Lovie-in inspiriert hat. Aber CHERRY, HARRY AND RAQUEL drängt sich einem wahrlich nicht als schwerer Thesenfilm auf, sondern ist in erster Linie mal ein Film der GESEHEN werden will. Und als solcher ist er ein absoluter Gewinner, keine Frage. Definitiv einer der stärksten Meyers und wichtiges Bindeglied zu den späteren Comicfilmen des Regisseurs.
#575
Geschrieben 02. Dezember 2006, 21:27
Es könnte so friedlich zugehen, im von Ilsa geführten Camp 9, das zu medizinischen Experimenten an den Gefangenen benutzt wird. Schnibbelt Ilsa mit ihrem verrückten Doktor (der aussieht wie Rainer Werner Fassbinder!) mal gerade nicht an ihren Opfern rum oder wirft sie ins kochende Wasser, lädt sie männliche Gefangene zu sich ein, um sich von ihnen mal so richtig durchorgeln zu lassen. Für die Männer gibt es aber regelmäßig ein böses Erwachen: Schaffen sie es nicht, die liebestolle Ilsa zu befriedigen, das heißt, kommen sie vor der gestrengen Bunke zum Höhepunkt, wird ihnen der Schniedelwutz ratzfatz abgeschnitten und als Beleg für die Inferiorität anderer Rassen in ein feinsäuberlich beschriftetes Einmachglas gesteckt. Erst als der Amerikaner Wolfe (hört, hört!) eingeliefert wird, wendet sich das Blatt für Ilsa und die Gefangenen: Denn der tapfere Recke hat das Talent, seinen Orgasmus bis in alle Ewigkeit hinauszuzögern ...
So rein objektiv gibt es natürlich eine ganze Menge, was man an diesem Film bekritteln kann: Das ganz reale Grauen der KZs gereicht Don Edmonds hier zur mit viel nacktem Fleisch garnierten Schlachtplatte. Feine Gaumenfreuden werden dort nicht feilgeboten, vielmehr bekommt der geneigte Betrachter eine ganze Wagenladung grobes Rinderhack vor die Füße gekotzt. Ja, als Historiendrama, Antikriegsfilm oder Mahnmal wider den Naziterror ist ILSA, SHE-WOLF OF THE SS wirklich nur bedingt zu gebrauchen. Aber – oh Wunder! – genauso wenig ist es nötig, sich nach der Betrachtung des Films einer Reinigung mit Stahlwolle und Terpentin zu unterziehen. Don Edmonds Film ist eine Naivität zueigen, die das Gezeigte erheblich entschäft. Das beginnt bei den obligatorischen budgetbedingten Beschränkungen, wie etwa beim Lager, das wahrscheinlich im nächsten Film als Feriencamp herhalten musste, setzt sich bei den hoffnungslos überzeichneten Figuren fort, die man nur als Karikaturen betrachten kann, und endet schließlich bei den berüchtigten Goreszenen von Joe Blasco, die heute mehr als nur fadenscheinig wirken und nur selten echte Effekte aufweisen. So ist ILSA tatsächlich ein ansehbarer Film geworden, der dann und wann durchaus positiv zu überraschen weiß. Der Nazigeneral etwa, der zum Finale auftritt, ist so abstoßend widerlich geraten in seiner sexuellen Devianz, dass man dann doch mal einen Hauch Authentizität durch den Film zu wehen verspürt, und Dyanne Thorne ist als Ilsa eine solch absolute Bombe, dass man sich gar nicht vorstellen mag, wie der Film mit einer anderen Schauspielerin ausgesehen hätte. Und die deutsche Volks- und Marschmusik, die das Geschehen untermalt, ist so richtig gruselig.
#576
Geschrieben 02. Dezember 2006, 21:53
Neville (Charlton Heston) ist der nach dem dritten Weltkrieg der letzte Mensch auf Erden. Nur eine zahlenmäßig überlegene Schar von Vampirwesen teilt sich mit ihm die Stadt und belagert jede Nacht sein Haus. Eines Tages begegnet Neville aber noch ein anderer Mensch: die Schwarze Lisa (Rosalind Cash) ...
THE OMEGA MAN ist ein Film, den man bedingungslos geil finden kann, obwohl er alles andere als perfekt ist. Eigentlich gibt es sogar ziemlich viel zu meckern: Boris Sagal vernachlässigt den Horroranteil der Geschichte viel zu schnell zugunsten relativ handelsüblicher Action; Charlton Heston ist zwar als "letzter Mann der Welt" ideal besetzt, aber viel zu unsympathisch, um mit ihm mitzufiebern. Dass der damals fast 50-jährige Superstar hier gern selbstverliebt seinen teigigen Altherrenoberkörper zur Schau stellt und geckenhaft in Leggings herumrennt, sollte Beleg genug sein. Die Darstellung der Vampirwesen ist ebenfalls nicht wirklich effektiv. Die Bedrohung, die von diesen Spätschicht-Heinos ausgehen soll, ist nie greifbar, was aber eben auch an der Anwesenheit von Heston liegt, der so emotionslos wie ein Holzplock durch diesen Film walzt. Ja, und als wäre das noch nicht genug, so kann man auch über das Drehbuch, dass in der zweiten Hälfte verzweifelt versucht, den Schwung der ersten Hälfte wieder aufzugreifen, trefflich streiten. Aber was ist es dann, was THE OMEGA MAN immer wieder zum gern gesehenen Timewaster macht? Da ist zum einen der unwiderstehliche Look eines typischen Frühsiebziger-Big-Budget-Hollywood-Krachers, in dem amerikanische Großstädte einfach immer noch am geilsten aussehen, und der vom Breitwand-Score von Ron Grainer perfekt untermalt wird. Und natürlich ist auch die Grundkonstellation der literarischen Vorlage viel zu interessant, als dass man daraus nichts herausholen könnte. So klingt in den Passagen, in denen Neville zuerst allein, dann in Begleitung von Lisa einkaufen geht, eine Konsumkritik an, die Romero ein paar Jahre später in DAWN OF THE DEAD auf die Spitze treiben sollte. Mit dem Überzombiefilm hat THE OMEGA MAN sowieso viel gemein: So darf der Zuschauer am Ende über die Frage meditieren, ob angesichts der Überzahl der Vampire nicht die Menschen die echten Monster sind. Eine Frage, die Sagal mit seiner Jesus-Allegorie am Ende leider mehr als deutlich zugunsten der Menschen beantwortet. Vielleicht war dieses Ende aber auch ein Zugeständnis an den Star: dass der Hardliner gleich zu Beginn gezwungen wurde, sich eine Vorstellung von WOODSTOCK anzusehen (und den Fil auch noch gut zu finden), möchte ich jedenfalls durchaus als kleinen Affront verstehen ...
#577
Geschrieben 03. Dezember 2006, 18:48
Die keineswegs tote Ilsa verdingt sich als Zuchtmeisterin im Harem des Scheichs El Sharif. Ihre Aufgabe ist es, die Sklavinnen für den Verkauf aufzupeppeln, eine Aufgabe, die die ehemalige KZ-Queen voller Hingabe und Enthusiasmus erfüllt. Da der Scheich nur zu gern jedoch prominente Damen entführen lässt, ist der amerikanische Geheimdienst ihm und damit auch Ilsa bald schon auf den Fersen ...
Für die Fortsetzung seines Naziploiters hat Don Edmonds den relativ unverfänglichen Haremsbackground gewählt. Der Shock Value des Vorgängers geht HAREM KEEPER deshalb nahezu vollständig ab, stattdessen wird das auch in SHE-WOLF schon gegenwärtige Comic-Element weiter betont. Die Experimente der wieder mit Dyanne Thorne besetzten Ilsa sind hier gänzlich ins Reich der Fiktion zu verweisen. Ob Frauen ein Plastiksprengstoff implantiert wird, der beim Orgasmus losgeht und die Damen damit zu tickenden Zeitbomben macht oder aber ein zu flacher Arsch mal eben so per Silikonspritze schön aufgepumpt wird: Mit den fest in der Realität verwurzelten Gräueltaten aus SHE-WOLF hat das nix mehr zu tun. Das mag sicherlich vom ein oder anderen positiv bewertet werden, HAREM KEEPER ist aber leider, trotz aller grafischer Bemühungen – die Effekte sind diesmal tatsächlich solche – ein nur leidlich unterhaltsamer Film geworden. Das liegt eben an dem nicht sonderlich involvierenden, irgendwie beliebigen Background, einem lange Zeit ziellos dahinplätschernden Handlungsverlauf und an den im Vergleich zum Vorgänger zu flachen Figuren. Der Held, Commander Adam (der verblüffende Ähnlichkeit mit Ruud van Niestelrooy hat), ist als Sympathieträger völlig blass und dass man Ilsa in diesem Film nun auch noch als deutlich gemäßigteren Charakter als im Vorgänger zeichnet, trägt auch nicht gerade dazu bei, seine Heldenposition zu stärken. Und dass die interessanteste Figur, der von Richard Kennedy, dem Nazigeneral aus ILSA, gegebene US-Regierungsmann Kaiser (wieder mal mit fiesem deutschen Naziakzent), so mir nichts dir nichts aus dem Film scheidet, ist eine besonders auffällige Verfehlung. Dennoch gibt es natürlich einige schön schmierige Szenen, wie die, in der der Scheich Ilsa von einem Leprakranken ablutschen lässt. In diesen Momenten läuft der Film dann doch wieder zur überdrehten Geschmacklosigkeit seines Vorgängers auf. Insgesamt zeigt das Konzept aber schon Abnutzungserscheinungen. Wirklich erstaunlich fand ich dann auch in erster Linie wie gut es Don Edmonds gelungen ist, sein Haremsthema mit Minibudget einigermaßen glaubhaft darzustellen, obwohl in den schattigen Außenaufnahmen deutlich erkennbar ist, dass die arabische Wüste eher eine Sanddüne vor New Jersey oder so gewesen sein dürfte. Als Partyfilm ist HAREM KEEPER also allemal zu gebrauchen. Da ich den Film aber allein und noch dazu unmittelbar nach dem Wachwerden im Bett geguckt habe, konnte ich den durch akute Langeweile induzierten Minutenschlaf nicht ganz abwenden. Die Russ-Meyer-Regulars Uschi Digard und Haji spielen übrigens auch mit, letztere habe ich aber nicht erkannt. Vielleicht sollte ich den Film noch mal schauen ...
#578
Geschrieben 04. Dezember 2006, 12:39
Ilsa führt zu Beginn der Fünfziger-Jahre ein Gulag in Sibirien und tut dort, was sie am besten kann: Gefangene quälen, auf höchst originelle und kaltblütige Art und Weise umbringen und ihre Helfer mit Liebesdiensten bei Laune halten. Am neuen Insassen Yakurin jedoch verzweifeln Ilsa und ihre Handlanger: Alle Versuche, ihn klein zu kriegen scheitern und als das Lager schließlich in einem Blutbad dem Erdboden gleicgemacht wird, kann der Widerständler entkommen. 20 Jahre später kreuzen sich die Wege Yakurins und Ilsas aber nochmal: in Montreal sinnt Ilsa auf Rache ...
Der dritte Ilsa-Film – da Francos GRETA – HAUS OHNE MÄNNER in den USA als ILSA, THE WICKED WARDEN vermarktet wurde, wird TIGRESS dort als vierter Teil behandelt – sieht einen Neuankömmling auf dem Regiestuhl: Jean LaFleur (im selben Jahr zeichnete er für den Schnitt von Cronenbergs RABID verantwortlich) löst Don Edmonds ab und bringt wieder etwas frischen Wind in die Serie. TIGRESS ist dank des realistischen geschichtlichen Backgrounds näher dran am Original, düsterer und weniger goofy als der vorige HAREM KEEPER. Auch die Idee, einen Zeitsprung von 20 Jahren einzubauen, verleiht dem Film Tiefe, weckt Assoziationen zum Aufeinandertreffen zwischen Foltermeister und ehemaligem Opfer im MARATHON MAN. Natürlich ist auch TIGRESS in erster Linie ein Exploiter mit allem, was dazugehört. Ilsa hat hier ganz im Stile der Bond-Schurken eine Maschine konstruiert, die die verborgenen Ängste der Testpersonen erkennt und als Illusion reproduziert: Ex-Gulag-Insasse Yakurin fürchtet sich zum Beispiel vor der Tigerfrau Ilsa, die ihm in seiner entsprechenden Halluzination mit lustigem Make-Up den Schniepel abbeißt. Da fragt man sich schon, was sich die Russen von der Maschine versprechen: Da man das Opfer ja schon in seiner Gewalt haben muss, um die Maschine anzuwenden, kann man sich den ganzen Aufwand doch auch eigentlich gleich ganz sparen und einfach die gute alte Daumenschraube ansetzen, oder? Naja, wer Logikfehler sucht, wird fündig werden, aber etwas anderes hat man wohl auch nicht erwartet. Splatter-Enthusiasten möchte ich den Film nahelegen, weil es hier eine der wenigen ECHTEN Onscreen-Kettensägen-Aktionen, die hier auch noch besonders perfide ist: Statt zweier Kerzen sorgen eben zwei Kettensägen für den zusätzlichen Kick beim Armdrücken, mit ziemlich nachhaltigem Erfolg. Insgesamt ein würdiger Abschluss der Trilogie, die erstaunlicherweise überhaupt keinen inneren Zusammenhang hat. Wenn man von der monumental ausgestatteten Ilsa/Dyanne Thorne einmal absieht.
#579
Geschrieben 06. Dezember 2006, 16:52
Die Zweitsichtung wischt die bisher noch bestehenden Zweifel beiseite: Christophe Gans hat die bisher beste, um nicht sagen die einzige gelungene Videospieladaption hingelegt. Akribisch werden nicht nur vordergründige optische Details des Spiels übernommen, sondern gleich dessen ganze Erzählstruktur: Immer wieder gibt es die "Laufsequenzen", in denen man in der Verfolgerperspektive hinter der Hauptfigur her läuft und sich so von einem Handlungsort zum nächsten begibt, immer wieder werden für den Fortgang der Handlung wichtige Gegenstände oder Hinweise gefunden und wieder verloren, sobald sie ihren Zweck erfüllt haben. Wie Gans seinen Film sowieso sehr streng segmentiert: Neben der aus dem Spiel bekannten Zweiteilung in die beiden Silent-Hill-Parallelwelten – der Wechsel wird jedesmal mit einer Sirene akzentuiert – gibt es noch einen weiteren Handlungsstrang, der in der "Realität" zu verorten ist (ich komme darauf zurück). Wie schon erwähnt sind auch die Gestaltung des Settings und der Musik und Soundeffekte mehr als nur "nah dran" am, wird die Stimmung des Spiels nahezu perfekt nachempfunden. Und natürlich ist auch die oft bemängelte Erklärungswut, die den Film im letzten Drittel befällt, eine Schwäche, die der Film mit seiner Vorlage teilt und die eben auf die Erzählstruktur eines Videospiels zurückgeht. (Man denke etwa an den ellenlangen Brief, der dem Spieler zum Abschluss von SILENT HILL 2 vorgelesen wird!) Es ist sicherlich zu diskutieren, ob es sinnvoll ist, die Erzählstruktur eines Videospiels auf einen Film zu übertragen, dass es hier perfekt gelungen ist, lässt sich aber kaum bestreiten.
Zum Glück hat SILENT HILL aber auch inhaltlich einiges zu bieten – offenkundige und derzeit anscheinend unverzichtbare THE RING-Anleihen hin oder her: So ist etwa die Trennung zwischen männlichem und weiblichem Prinzip unübersehbar. Hauptfigur Rose und ihre Tochter Sharon sind geografisch (und mehr als das) voneinander getrennt und diese Trennung kulminiert dann schließlich in dem Satz "A mother is god in the eyes of a child". Und überhaupt ist auffällig, dass alle handelnden Charaktere in SILENT HILL weiblich sind. Ob er deshalb als weiblicher Horrorfilm auszuzeichnen ist, weiß ich nicht, wohl aber, dass SILENT HILL meiner Meinung nach ein Mainstream-Highlight des Jahres ist – und leider auch recht unterschätzt. Dass er, wie sich das für einen Horrorfilm gehört, auch noch die Magengrube bedient, fies gruselige Szenen (die Krankenschwestern!) und einige feiste Splattereien (Stacheldraht!) darreicht, ist da nur das Sahnehäubchen.
#580
Geschrieben 07. Dezember 2006, 11:22
In einem Zeit und Raum enthobenen Örtchen namens Estherslope, das nur aus einem Platz und einer Mine zu bestehen scheint, gründet der Außenseiter Dick (Jamie Bell) die "Dandies", den ersten pazifistischen Waffenclub. Dick und seine Mitstreiter treffen sich mit ihren Handfeuerwaffen in einer alten Mine, reden dort über ihre Waffen, schlüpfen in die Rolle gesellschftlicher Libertinärs. Das wichtigste Gebot ihres Clubs besagt, die Waffen niemals außerhalb der Mine abzufeuern – sie dürfen nur als moralische Unterstützung getragen werden. Doch wie das so ist mit Waffen: Wenn man sie besitzt, dann möchte man sie auch benutzen ...
Zweitsichtung: Thomas Vinterbergs Film weist deutliche Parallelen zu DOGVILLE von Lars von Trier auf, der hier als Drehbuchautor fungierte. Vor allem ist die ähnlich schematische Darstellung des Ortes zu nennen – das Geschehen spielt sich an einem an die alten Western erinnernden Platz ab, der von den Dandies per Grenzziehung in neun verschiedene Zonen eingeteilt wird. Wie sein Bruder im Geiste ist auch DEAR WENDY unschwer als Parabel zu entziffern. Es geht um das Wesen der Macht, die Dynamik von Gewalt und den trügerischen Charakter von Waffen und diese schweren Themen werden ziemlich clever in die Erzählung eingewoben: DEAR WENDY wird retrospektiv per Voice-Over erzählt: Dick liest aus dem Off den Abschiedsbrief vor, den er seiner Waffe Wendy geschrieben hat. Ja, im Kern ist DEAR WENDY ein Liebesfilm. Neben von Triers zehrendem DOGVILLE mutet DEAR WENDY sehr viel leichtfüßiger und witziger an. Vinterberg erzählt die Geschichte um eine Gruppe verhinderter Robin Hoods als schwarze Komödie, die mit zahlreichen verbalen Seitenhieben auf das Amerika der Gegenwart gespickt ist. Die Eloquenz des Films ist außerordentlich: Der Voice-Over von Dick ist unglaublich pointiert, dabei jedoch niemals aufdringlich. Darin liegt das große Geschick dieses Films, der eine wichtige Botschaft transportiert, politisch eindeutig Stellung bezieht, sich aber nie zu wichtig nimmt. Das hat dann wahrscheinlich auch die FSK bewogen, diesem Film einen "Ab 18"-Stempel aufzudrücken, eine Entscheidung, die so unverständlich wie fatal ist. Denn DEAR WENDY ist ein Film, der von zukünftigen Amokschützen und Waffennarren unbedingt gesehen werden sollte. Es ist schon ein Kreuz: Geschwätzige, politisch korrekte, verlogene und vor allem strunzlangweilige Thesenfilmchen werden mit Filmpreisen beworfen und von nachdenklichen Kulturjournalisten im Fernsehen mit Dackelblick gepriesen, aber kaum nähert sich jemand einem wichtigen Thema einmal ohne Trauermiene und messianischen Feuereifer, sondern stattdessen mit Humor, fürchtet man sofort die ethische Verwirrung der unmündigen Zuschauer. Langer Rede, kurzer Sinn: DEAR WENDY ist ein großartiger, der Ursprünge seines Machers zum Trotz wunderbar undogmatischer Film, der unbedingt gesehen werden sollte.
#581
Geschrieben 07. Dezember 2006, 17:06
Das immens erfolgreiche Sequel zum Hit THE TEA HOUSE knüpft direkt an den Vorgänger an: Teehausbesitzer und Proletarier-Pate Cheng (Chen Kuan-Tai) muss vor dem Druck des organisierten Verbrechens fliehen. Doch in der Heimat haben nun seine wehrlosen Verwandten unter den Übergriffen der Gangs zu leiden. Es dauert deshalb keine drei Minuten (ernsthaft!), da bewegen zwei Tote den flüchtigen Chen zur Rückkehr. Sein Schwur, das Verbrechen mit aller Macht zu bekämpfen weckt in Verbindung mit seinem schicken Schnurrbart und der geilen Seventies-Mode natürlich Erinnerungen an unser aller Lieblingsvigilanten Paul Kersey. Und BIG BROTHER CHENG haut auch sonst in diese Kerbe, allerdings im Hongkong-Style. Das bedeutet, dass der Zuschauer sich darauf einstellen muss, wie im Vorgänger keine klassisch strukturierte Dramaturgie vorzufinden, sondern eine ziemlich episodenhaft aufgebaute Story. Da tauchen Figuren auf, nur um in der nächsten Szene wieder abzutreten, ereignen sich große Schicksalsschläge, deren Wirkung aber schon in der folgenden Einstellung wieder verpufft ist. So mutet BIG BROTHER CHENG wie THE TEA HOUSE in der Breite seines Blicks sehr sozialstudienhaft an, was er aber auf der anderen Seite durch seinen sehr lapidaren Ton torpediert.
Das Thema Selbstjustiz wird jedenfalls denkbar eindimensional behandelt: Verbrecher gehören ohne Differenzierung plattgekloppt und am besten noch per Todesstrafe entsorgt. Da muss man als Zuseher schon schlucken, vor allem, weil komisch-überdrehte Einlagen und ernste Momente wüst durcheinandergewürfelt werden. Als runden Film kann man BIG BROTHER CHENG beim besten Willen nicht bezeichnen und man möchte sich gar nicht vorstellen, was für Auswirkungen es (für den verantwortlichen Regisseur) hätte, wenn ein solcher Film in unseren Breiten vom Stapel laufen würde. Technisch ist BIG BROTHER CHENG aber über jeden Zweifel erhaben: Die Musik ist toll und fetzt so wie der Cheng ganz gut was weg und wenn das Interesse angesichts des sich stetig wiederholenden Handlungsverlaufs mal abebbt, dann reißt uns Regisseur Kwei Chi-Hung mit seiner Assoziationsmontage aus der Lethargie. Der rasante Schnitt ist sowieso die halbe Miete dieses Films, dem die Gäule auch in anderen Bereichen gern mal durchgehen.
#582
Geschrieben 08. Dezember 2006, 19:13
Die sieben Söhne der Familie Yang sind allesamt tapfere Kämpfer und stellen sich so todesmutig einer Armee von Tartaren. Doch sie kämpfen auf verlorenem Posten, denn ihr Vertrauter Pan Mei macht mit dem Feind gemeinsame Sache und hat sie in eine Falle gelockt. Nur zwei der Brüder überleben: Bruder Nummer 6 (Alexander Fu-Sheng) kehrt irrsinnig vor Wut und Trauer heim, Bruder Nummer 5 (Gordon Liu) findet Zuflucht in einem Shaolin-Kloster, in dem er sich fieberhaft auf seine Rache vorbereitet.
THE EIGHT DIAGRAM POLE FIGHTER ist ein weiterer Höhepunkt in Regisseur Liu-Chia Liangs Schaffen und einer der letzten echten Klassiker aus dem Hause Shaw. Eine der größten (und ungewöhnlichsten) Stärken des Films lässt sich unschwer an der obigen Inhaltsangabe ablesen: Für einen Hongkong-Film ist THE EIGHT DIAGRAM POLE FIGHTER schon fast erschreckend stringent. Es gibt weder störende Comic Reliefs noch unnötige Subplots, die mit ihren unzähligen Nebenfiguren meist nur dazu beitragen, dass man die Übersicht verliert. Hier ist der Plot glasklar und so kann man sich ganz auf das konzentrieren, wofür man einen solchen Film schließlich hauptsächlich in den Player schubst: edelmütige Charaktere, tragische Konflikte und natürlich den Gesetzen der Physik trotzende Körper im erbitterten Kampf gegeneinander. Gerade von Letzterem gibt es reichlich. Doch obwohl Liu-Chia Liang auch im Verlauf des Films immer wieder seine furios choreografierten Kampfszenen einstreut, geht er doch so sparsam mit ihnen um, sodass zum Finale hin, wenn dann tatsächlich die Fetzen fliegen, ein echter Höhepunkt zu vermelden ist. Wenn die Shaolin-Mönche den bösen Tartaren mithilfe ihrer Stöcke die Zähne aus dem Kiefer dreschen – das ist keine Umschreibung! –, gibt es wirklich kein Halten mehr. Bleiben drei Fragen: Warum ist im Titel nur von acht Kämpfern die Rede, obwohl es ja streng genommen neun sind? Warum spart sich der internationale Titel das Plural-S am Ende? Und warum zum Teufel wird Alexander Fu-Sheng als Leading Man gecreditet (und auf dem Poster abgebildet), wenn er doch nicht mehr als eine kleine Nebenrolle innehat? Sonst ist aber alles klar!
#583
Geschrieben 09. Dezember 2006, 10:43
Die Monkees stürzen, stolpern und verlaufen sich von einer surrealen Szene zur nächsten, räubern sich quer durch alle möglichen Filmgenres und sind am Ende so schlau wie vorher. Eine durchgängige Narration gibt es nicht, HEAD ist ein knallbunter Flickenteppich, dessen einzelnen Flicken äußerst kunstvoll mit dem Rest verknüpft sind. Da treffen die Monkees in einem Schützengraben des 2. Weltkriegs auf einen Footballspieler, besichtigen sie eine äußerst unsichere Fabrik, sind sie die Schuppen im Haar Victor Matures, die mit einem Schuppensauger abgesaugt werden, um sich danach im Inneren des Staubsaugers wiederzufinden. Drummer Micky Dolenz wird in der Eröffnungsszene nach einem Sprung von einer Brücke von Meerjungfrauen gerettet und kämpft wenig später mit einem Cola-Automat mitten in der Wüste. Bandzwerg Davy Jones ist Boxer und sucht sich für seinen großen Fight einen schwarzen Hünen aus, der ihn um zwei Köpfe überragt. Nebenbei kriegt auch Regisseur Bob Rafelson sein Fett weg, weil seine Stars auf manche der erdachten Filmsegmente einfach keinen Bock haben: So wird die Westernszene boykottiert, das Matte Painting einfach zerrissen, das Loch im Film als Ausgang benutzt. Frank Zappa hat eine sprechende Kuh und weiß, dass die Monkees die Welt retten werden. Es passiert so viel in HEAD, dass eine solche lose Aneinanderreihung von kurzen Eindrücken dem Film am ehesten gerecht wird. Aber das allein ist es nicht, das HEAD zu einem solchen Erlebnis macht, es schafft, dass er sich tatsächlich im Kopf des Betrachters einnistet und dort einige Synapsen neu verlötet: HEAD ist schon beinahe unverschämt subversiv, sowas könnte sich eine Popgruppe heute in dieser Form gar nicht mehr leisten. Vor allem nicht eine solche Popgruppe: Die Monkees, reines Kunst- und Kommerzprodukt gewitzter Produzenten, fungieren als eine Art Führer durch den Popdschungel. Das heißt nicht, dass sie immer den richtigen Weg finden, aber sie haben immens viel zu den Sackgassen zu sagen: Wenn in diesem sehr selbstverliebten und eigentlich nur um sich selbst kreisenden Film plötzlich die berühmte Exekution eines vietnamesischen Bürgers gezeigt wird oder Archivmaterial-Bombenteppiche niederregnen, dann werden damit Grenzen gesprengt, die auch heute noch ziemlich zementiert sind. So ist HEAD neben aller formalen Finesse und erzählerischer Kreativität auch ein sehr politischer (und sogar kämpferischer!) Film geworden, der Bob Rafelsons spätere Involvierung im New Hollywood vorankündigt. HEAD ist ein ebenso spannender wie auch wunderbar kurzweiliger Film geworden: Die Zeit vergeht doch am schnellsten, wenn einem mal so richtig der Kopf durchgeblasen wird. Und die Monkees singen dazu. Klassiker.
#584
Geschrieben 09. Dezember 2006, 11:14
Hätte ich vorher gewusst, wie gut HEAD und Russ Meyers Studiopremiere bei Fox zusammenpassen, ich hätte die DVD direkt im Anschluss in den Player geschmissen! Das freche und attraktive Poptrio um Kelly, Casey und Petronella, die "Kelly Affair" hits ist big in Hollywood, als sie auf der Party des Superproduzenten Ronnie "Z-Man" Barzell das Haus rocken. Schwuppdiwupp ist die flugs in The Carrie Nation umbenanntene Band in aller Munde, Stammgast auf den in schöner Regelmäßigkeit gegebenen Drogenparties von Z-Man, während Harris, ehemals Manager der Band und Liebhaber von Kelly das fünfte Rad am Wagen ist. Es kommt wie es kommen muss und wie man das aus zahlreichen Popdramen kennt: Mit dem Erfolg kommen die falschen Freunde, die leeren Exzesse. Schaffen es unsere drei Damen, dem Sumpf aus Drogen, Schnaps und Promiskuität zu entfliehen?
BEYOND THE VALLEY OF THE DOLLS ist wohl das, was man "quintessenziell" nennt. Gerade für die späten Sechziger/frühen Siebziger gibt es wohl kaum einen Film, der die Popwelt ähnlich gut einfängt. Natürlich ist BEYOND zu jeder Zeit als modernes Märchen zu entziffern, steht er mit beiden Beinen knietief im Pulp. Den beiden kreativen Köpfen hinter dem Film, Regisseur Russ Meyer auf der einen, Drehbuchautor und Kritikus Roger Ebert auf der anderen Seite, kommen dabei ganz entgegengesetzte Aufgaben zu: Fast scheint es, als hätte Ebert besonderen Spaß daran gehabt, die Protagonisten so tief wie möglich in die Scheiße zu reiten, während Meyer sie mit seinem Hang zur Moralerzählung dort wieder herausholen musste. Was dabei herauskommt, wenn zwei Hyperkreative zur richtigen Zeit aufeinandertreffen, zeigt sich überdeutlich: BEYOND ist so vollgepackt mit Geschichten, Ideen und Figuren, dass es eigentlich für zwei bis drei Filme gereicht hätte. Dass dennoch alles konzise zusammenhängt, erreichen Ebert und Meyer durch eine enorme Pointierung der einzelnen Segmente: Ein Auftritt bringt den Ruhm, der eine Einstellung später schon Alltag ist. Wofür sich andere einen halben Film lang Zeit nehmen, das haken Meyer und Ebert eben mal so ab, es funktioniert auch so. Wichtige, lang etablierte Figuren verschwinden plötzlich von der Bildfläche, ohne ihre Funktion letztlich erfüllt zu haben. Und der genannte Alltag des Popstardaseins entwickelt sich binnen kürzester Zeit zu einem Albtraum, aus dem es nicht für alle Protagonisten ein gutes Erwachen gibt. Und auch für den Zuschauer bietet das Ende Unerwartetes, mündet der – bis auf einige im Vergleich zum restlichen Schaffen seines Regisseur auffallend brave Nackt- und Sexszenen – beinahe schon familientaugliche Film in eine echte Horrorshow. All hell breaks loose in Hollywood, da hat so mancher schon den Kopf verloren! Zur Beschwichtigung meldet sich dann doch noch einmal Meister Meyer, lässt einen gewohnt überemphatischen Sprecher das Hohelied der Moral singen und beendet einen einfach nur als denkwürdig zu bezeichnenden Film. Hier stimmt einfach alles, Two Thumbs Up!
#585
Geschrieben 10. Dezember 2006, 16:59
Die Lehrerin Samatha Caine (Geena Davis) lebt ein glückliches und behütetes Leben mit ihrem Ehemann und ihrer kleinen Tochter. Vor Jahren erwachte sie mit einer Amnesie am Strand ohne jegliche Erinnerung an ihr voriges Leben. Neun Jahre später blitzen immer wieder Erinnerungsfetzen vor ihr auf und nach einem Verkehrsunfall verfügt die junge Frau plötzlich über ihr vorher unbekannte Talente. Mit dem von ihr engagierten Privatdetektiv Mitch Hennessy (Samuel L. Jackson) findet Samantha heraus, dass sie früher unter dem Namen Charly Baltimore als Auftragskillerin für das CIA tätig war. Und wie das so ist, wenn man plötzlich verschwindet, sind meist noch einige Rechnungen offen, auf deren Begleichung die betuppten Gläubiger pochen.
Unter der sicheren Regie des Finnen Renny Harlin entstand dieser postmoderne Actionfilm nach einem Drehbuch von Shane Black, der zuvor mit den Drehbüchern für LETHAL WEAPON 1 – 3, THE LAST BOY SCOUT und LAST ACTION HERO in Erscheinung trat und letztes Jahr mit KISS KISS BANG BANG sein Comeback und Regiedebüt feiern durfte. Wie das so ist mit Filmen, die ihrer Zeit voraus sind, ging THE LONG KISS GOODNIGHT, den man in Deutschland mit dem selten einfallslosen Titel TÖDLICHE WEIHNACHTEN auf ein ratloses Publikum losließ, ganz gewaltig baden und markierte nach CUTTHROAT ISLAND (ebenfalls mit Ehefrau Geena Davis) den zweiten großen Flop des Regisseurs in Folge. Demzufolge musste er dann auch drei Jährchen pausieren, bevor er mit DEEP BLUE SEA 1999 wieder in Erscheinung trat. Dabei hat THE LONG KISS GOODNIGHT eigentlich alles, was ein großer Actionblockbuster braucht: einen cleveren Plot, der bekannte Genremechanismen transzendiert, ein gut aufgelegtes Hauptdarstellerpaar, pointierte One-Liner aus dem Mund von Samuel L. Jackson, der hier einen der besten Auftritte seiner Karriere hinlegt, und natürlich krachende Knochen, blutige Einschüsse und fette Explosionen. THE LONG KISS GOODNIGHT ist ein Unterhaltungsfilm auf hohem Niveau, bei dem man aber in Kauf nehmen muss, dass der augenzwinkernde Hintersinn zum Showdown hin immer mehr dem Kintopp weicht: Wenn Samantha Caines Tochter einen gewaltigen LKW-Unfall in einem zwischen den Rädern des Brummis angebrachten Kasten ohne Kratzer überlebt, der Bösewicht nach einem Sturz von einer Brücke in einen reißenden (und sicher eiskalten) Strom nach wenigen Sekunden wieder topfit oben auftaucht, die dem Tode geweihte Killerin/Lehrerin sich mithilfe des ebenfalls von den Toten auferstandenen Mitch und dem tränenreichen Flehen ihrer Tochter noch einmal aufrafft und die Brücke dann schließlich von einer Explosion erfasst wird, die einen ganzen Bundesstaat wegfegen könnte, wird die Glaubwürdigkeit vielleicht etwas über Gebühr strapaziert. Das kann diesem Film aber kaum schaden: Er gehört für mich immer noch zu den herausragenden Actionfilmen der Neunziger und weiß einiges über das Genre zu erzählen. Und er zählt zu den Filmen, deren Sichtung nach 9/11 einige ganz neue Perspektiven bietet.
#586
Geschrieben 10. Dezember 2006, 18:41
#587
Geschrieben 12. Dezember 2006, 16:55
"The Kings of Horror battle to the Death!" verkündet das Cover, der Trailer weiß zu ergänzen: "Together in one Film they meet in a Fight of Fright!" Wer mit dem Namen Al Adamson vertraut ist, weiß aber, dass er dieses großspurige Versprechen nicht allzu ernst nehmen sollte. DRACULA vs. FRANKENSTEIN ist zu jeder Sekunde billig heruntergekurbelter Mummenschanz, der mit dem gothischen Grusel, für den seine beiden Titelhelden stehen, so viel zu tun hat wie Heidi Klum mit grober Leberwurst. Typisch für das Grindhouse-Kino der Sechziger und Siebziger ging es auch bei diesem Film eher darum, einen kleinen Film um einen großen (=verkaufsträchtigen) Titel zu stricken. Sowohl Dracula als auch Frankenstein (gemeint ist natürlich Frankensteins Monster) haben nicht mehr als Gastrollen abbekommen und aus dem großspurig angekündigten Fight of Fright ist ein müdes Gerangel im Halbdunkel geworden. Das alles macht aber nix, im Gegenteil: Adamsons Film ist ein veritabler Spaß geworden, von dem man allerdings keine Wunder erwarten sollte.
Zur doofen Handlung: Der alte Hollywood-Haudegen J. Carrol Naish ist Dr. Duryea, der eine Geisterbahn betreibt, in deren Keller er merkwürdige Experimente mit menschlichen Leichen durchführt. Seine Opfer verschafft ihm der schwachsinnige Groton, ein sichtlich vom Alkohol gezeichneter Lon Chaney jr. in einer erbarmungswürdigen Rolle, der nach Verabreichung eines Serums zum sabbernden Unhold mit Axt mutiert. Bald steht Graf Dracula (Zandor Vorkov) auf der Matte, der wiederum das Frankenstein-Monster exhumiert hat und Duryea erpresst, es zum Leben zu erwecken. Warum, habe ich nicht verstanden. Jedenfalls hat Dracula einen lustigen Ring, mit dem er komische Strahlen verschießen kann, allerdings nur, wenn das Bild angehalten wird. Zwischendurch und mittendrin sucht die Sängerin Judith ihre Schwester, die bereits Groton zum Opfer gefallen ist. Ihre Suche treibt sie in eine Hippiekneipe, in der ihr gleich mal Drogen in den Drink gemischt werden. Nach ihrem ekstatischen Anfall wacht sie bei dem smarten Mike auf (Anthony Eisley), der ihr fortan mit einem anderen Hippipärchen zur Seite steht. Es kommt zum finalen Duell zwischen dem Monster und dem Vampirgrafen, das der Graf für sich entscheidet, aber dann von der aufgehenden Sonne überrascht wird.
Diese abstruse und nur lose zusammenhängende, dafür aber schnarchlangsam erzählte Geschichte lebt vor allem von ihren blumigen Details und doofen Nebencharakteren, die ebenso schnell abtreten wie sie aufgetaucht sind, und den großen Ungereimtheiten, die sich am laufenden Meter auftun. Da soll die Kirmes auf einem Pier gelegen sein – man gelangt durch eine Klappe im Keller (!) der Geisterbahn auf den darunter liegenden Strand –, obwohl in anderen Szenen deutlich wird, dass sich die Kirmes auf festem Boden befinden muss. Der Sinn der Experimente des Doktors bleibt ebenso unklar wie der Plan des Grafen und die zwei Attraktionen von Duryeas Geisterbahn (eine Guillotine und ein Plastikgorilla) werfen die Frage auf, warum er sich überhaupt dieser Tarnung bedient. Kartenabreißer ist übrigens ein Lilliputaner mit bissgem Humor. Naish sitzt den ganzen Film über im Rollstuhl, redet sich als Duryea unverantwortlichen Unsinn zusammen, fällt am Schluss selten dämlich in seine Guillotine und wird enthauptet und hat vor allem viele Zähne in seinem monströsen Oberkiefer. Der kriegt ja kaum das Maul auf beim Reden! Es gibt auch noch einen Polizisten, der erst groß eingeführt wird, dann aber bis zu einer letztlich ebenfalls unwichtigen Szene am Ende keine Rolle mehr spielt. Er macht aber einmal ganz bedeutungsvoll das Licht aus, was Adamson zu einem gekonnten Zoom veranlasst. Und Russ Tamblyn gibt einen Rocker mit Schnurrbart, der der Heldin erst Drogen verabreicht und am Ende die Axt Grotons zu schmecken bekommt.
Der absolute Gnadenhammer ist aber Zandor Vorkov als Dracula, der mich an einen chancenlosen Teilnehmer des Ali-G-Lookalike-Contests erinnert. Damit dieser Hampelmann wenigstens ein bisschen bedrohlich rüberkommt, wird über seine Stimme grundsätzlich Hall gelegt. Was soll ich sagen, es funktioniert dennoch nicht. Gegen Ende hat man den Eindruck, dass die Zähne Draculas immer größer werden und wenn sich dann die Sonne über dem Grafen erhebt, erkennt man auch die sonstigen Unzulänglichkeiten des Make-Ups: Das Gesicht ist komplett weiß, nur die Augen haben die Maskenbildner leider vergessen. Dracula, Fürst der Pandas! Die Sterbeszene und den sonnenbedingten Zerfall muss Vorkov dann in Ermangelung entsprechender Effekte spielen, was auch sehr lustig anzuschauen ist. Demgegenüber steht das Monster, an dem sich die "Make-Up-Artists" so richtig ausgetobt haben, denn es sieht aus wie ein frittierter Blumenkohl mit Haaren. Aber so teilt Adamsons Monster wenigstens etwas mit dem Karloff-Original: Man hat Mitleid mit ihm. Auch sonst möchte man sämtlichen Beteiligten am Liebsten die Hand auf die Schulter legen, ihnen tief in die Augen sehen und sagen: "Du, es ist schon gut. Sag nichts." Nur dem Vorkov nicht, der hat es nicht anders verdient.
#588
Geschrieben 12. Dezember 2006, 21:08
Lady Susan Walker (sieht aus wie Sophie Marceau: Anouska Hempel) regiert mit lederner Peitsche (der "Blacksnake" eben) über die Plantage ihres verschwundenen Gatten. Ihr zur Seite steht der Schwarze Captain Raymond, der kein Problem damit hat, seine eigenen Leute zu knechten, derweil sich seine Chefin von einem schwarzen Mädchen den Arsch massieren lässt. Irgendwann schaut der aufgeklärte Sir Charles Walker (David L'ALDILA Warbeck) aus England vorbei, weil er seinen verschollenen Bruder Jonathan (David "Darth Vader" Prowse) sucht. Es gibt eine Revolte, jede Menge Foltereien und eine moralische Botschaft am Schluss.
Nach seinem Ausflug aufs Fox-Studiogelände mit BEYOND THE VALLEY OF THE DOLLS und dem eher unbekannten THE SEVEN MINUTES drehte Russ Meyer 1972 mit BLACKSNAKE wieder den ersten unabhängigen Spielfilm. Der Exkurs ins Mainstreamkino hat aber sichtbare Spuren hinterlassen: BLACKSNAKE dürfte der am konventionellsten erzählte und inszenierte Film des Meisters sein. Roger Ebert sagte in einem Interview mal, man könne die Handschrift Meyers in jedem seiner Filme sofort erkennen: Diesen Film würde ich da entschieden ausklammern, denn die typischen Meyer-Trademarks – die Assoziationsmontage, die Voice-Over-Narration, grelle Farben, bissiger Humor und überzeichnete Charaktere – sind hier schmerzhaft abwesend. Erst ganz zum Schluss gibt es eine Szene, die den Stil Meyers erkennen lässt (der schwachsinnige und stumme Jonathan lässt einige Erhängte an ihren Galgen schaukeln und von der Tonspur ertönen dazu Kirchenglocken), und einen sehr angeklebt wirkenden Epilog, in dem es dann auch – Tätärätäää! – den moralisierenden Voice-Over gibt, den man den ganzen Film über vermisst hat. BLACKSNAKE zeigt, dass Meyer durchaus in der Lage gewesen wäre, ganz "normales" Erzählkino zu machen, aber auch, wie gut es ist, dass er es bei diesem einen Versuch hat bewenden lassen: BLACKSNAKE ist vor allem eines, nämlich schrecklich dröge. Die Story bleibt stets überraschungsarm und vorhersehbar, mit dafür entschädigenden Schauwerten wurde ebenfalls gegeizt. Seiner festen thematischen Verwurzelung im geschmacklichen Morast zum Trotz ist BLACKSNAKE enttäuschend "geschmackssicher": Nicht nur die Gewaltdarstellungen halten sich halbwegs in Grenzen, auch was die Abbildung nackter Tatsachen angeht, ist BLACKSNAKE eher zahm. Die konkurrierende Studio-Großproduktion MANDINGO schlägt da wesentlich lautere Töne an und suhlt sich fett im Schlamm. Nein, Russ Meyer war eindeutig der falsche Regisseur für diesen Stoff, der so ein richtig gewissenloses Schwein auf dem Regiestuhl gebraucht hätte, um wirklich abzugehen. So war dem Film dann kein großer Erfolg beschieden und mit SUPERVIXENS kehrte Meyer im Anschluss wieder auf vertrautes Terrain zurück. Gott sei Dank!
#589
Geschrieben 12. Dezember 2006, 22:42
#590
Geschrieben 13. Dezember 2006, 11:09
Diesen Film habe ich schon letzte Woche gesehen und mich bisher erfolgreich um einen Text gedrückt. Eigentlich wollte ich ein echtes Review zu LONELY HEARTS KILLERS schreiben, aber ich weiß wirklich nicht, was es zu sagen gibt zu diesem Teil. Die Geschichte um die Jagd auf das mörderische Ehebetrügerpärchen (Jared Leto als schmieriger kleiner Heiratsschwindler und Witwenabzocker, Salma Hayek als seine eiskalte, mörderische Geliebte) ist von Regisseur Todd Robinson so emotionslos inszeniert worden, dass man sich am Ende fragt, warum er diese Geschichte überhaupt erzählen wollte, zumal es mit THE HONEYMOON KILLERS bereits eine recht bekannte Verfilmung des Stoffes gibt. Die vorhandene emotionale Bindung zur Geschichte (Robinsons Großvater war der ermittelnde Cop in diesem Mordfall, im Film gespielt von John Travolta) lässt sich dem fertigen Werk überhaupt nicht entnehmen, sachlich-nüchtern ist der Blick, den Robinson auf die Ereignisse wirft.
Aller Sachlichkeit zum Trotz wirkt LONELY HEARTS KILLERS aber extrem müde: Vor allem der Handlungsstrang um die ermittelnden Polizisten (eben Travolta und der massiv unterforderte James Gandolfini) ist von einer Langsamkeit und Trägheit geprägt, die jeglichen Anflug von Thrill oder Spannung im Keim erstickt. Und der Blick auf das Killerpärchen leidet unter der dramaturgischen Verknappung, die Robinson vornimmt: Die Beziehung der beiden zueinander bleibt seltsam unterentwickelt. Es ist ja nicht schlimm, wenn ein Film sich der Masche, mit vordergründigen Reizen nur so um sich zu schmeißen, entzieht, nur kommt bei diesem Verzicht allein noch kein wirklich guter Film raus. In LONELY HEARTS KILLERS – der technisch durchaus sauber inszeniert ist, keine Frage – gibt es genau eine Szene, die den Zuschauer packt und seine Stellungnahme erfordert: die abschließende Hinrichtung der beiden Verbrecher, deren Darstellung keinen Zweifel an der (ablehnenden) Haltung des Regisseurs zu dieser Art der Bestrafung lässt. Ansonsten plätschert der Film unaufgeregt an einem vorbei und hinterlässt kaum Spuren. Irgendwie ist das ja fast schon wieder spannend, ein Film, der sich so wenig Mühe gibt, positiv in Erinnerung zu bleiben, ja, überhaupt irgendwie aufzufallen. Außer Salma Hayeks wirklich beeindruckender Leistung – ich habe sie ja trotz Oscar bisher vor allem als attraktiven Kleiderständer betrachtet – gibt es nichts, was man hier hervorheben müsste. Ob das reicht, die Zuschauer ins Kino zu locken? Wenn noch nicht einmal der Regisseur weiß, warum man sich seinen Film angucken sollte, bezweifle ich, dass allzu viele Zuschauer der Verlockung der LONELY HEARTS KILLERS folgen werden, wenn der Film demnächst ins Kino kommt.
#591
Geschrieben 14. Dezember 2006, 13:05
"Mara - Queen of the black witches and her wolf-pack of voluptuous virgins invade Satan's tortured realm of the unknown!" – so wurde Hackmeister Ted V. Mikels' Film beworben. In Wahrheit sieht das ungefähr so aus: Genannte Mara, die wohl uncharismatischste Okkultistin der Welt, intoniert ihre Zaubersprüche mit dem immergleichen audruckslosen Duktus und hat vor allem einen Narren gefressen an der Zeile "So mote it be". Nicht nur, dass sich unter den Geistern, mit denen sie in Kontakt steht, ein Indianer befindet, der (durch Mara) von "big, big waters" und "silver birds" spricht, wenn er "Ozean" und "Flugzeug" meint, ihr zur Seite stehen auch ein vom Alkoholabusus aufgedunsener Penner mit grotesker, mit Christbaumschmuck behangener Pelzmütze und ein ganzes Rudel leichtbekleideter Damen, die mit Vorliebe amatuerhafte Orgien-Choreografien tanzen und sonst keine weitere Funktion haben. Ach doch, zum Höhepunkt ihrer Performance wird von ihnen meist ein am Boden gefesselter Mann durch die Speerspitze der Emanzipation entsorgt. Der knallharte Skeptiker Mark schaltet nach einer Seance, die er mit seiner hirntoten Freundin Lorraine besucht hat, ein paar Okkultismus-Experten ein, die der Magierin endlich das Handwerk legen, doch da sind leider schon alle tot und Mara hat sich in eine Plastikfledermaus verwandelt, die in einem solchen Film natürlich nicht fehlen darf.
"Short on story, long on narration": Das wäre der ideale und vor allem wahrheitsgemäße Spruch gewesen, um BLOOD ORGY anzupreisen. Dass man von jemandem wie Mikels kein gediegenes Schauerkino erwarten sollte, ist ja klar. Die zahlreichen Unzulänglichkeiten der Inszenierung – selbst gebastelte Sets, chargierende Statisten, ein ultrabilliger Score und eine Ausleuchtung, für die wohl ein Blinder verantwortlich war: Alle Wände sind voll mit Schlag- und Doppelschatten – nimmt man also gern in Kauf, zumal der Meister mit THE CORPSE GRINDERS selbst bewiesen hat, dass es auch noch billiger geht. Was aber an BLOOD ORGY ganz eklatant auffällt und dem Film seine bescheidene Größe verleiht, ist die auf ein Spurenelement reduzierte Handlung, die durch Dialogszenen nicht bloß aufgefüllt wird, sondern sich in solchen beinahe komplett erschöpft. Fast die gesamte zweite Hälfte des Films besteht aus den pseudowissenschaftlichen Erklärungen des Experten Dr. Helsford, die mit lustigen Bildern von Steinigungen (WEREWOLF WOMAN Annik Borel!), Hexenverbrennungen und sonstigen Foltereien illustriert werden. Der Subplot um zwei fiese Geschäftsleute, die Mara einen Auftragsmord begehen lassen, endet so unverhofft wie er zuvor begann: Der eine Killer stürzt sich beherzt aus dem Fenster, weil Mara eine Voodoopuppe von ihm in ein Glas mit Ameisen gesteckt hat, der andere wird von ihr totgetrampelt (ebenfalls via Voodoopuppe). Die Hauptfiguren, mit denen man zuvor 80 Minuten mitgefiebert hat (NOT!), geben am Schluss ganz unspektakulär den Löffel ab: Selbst Schuld! Warum lassen sich Mark und Lorraine denn auch tagelang über die Gefahren des Satanismus aufklären, wenn sie dann doch an der großen Abschlusssession teilnehmen? Wahrscheinlich, weil Mikels unbedingt noch die Indianerkostüme aus seinem Fundus einbauen wollte und dazu nur noch diese eine Sequenz übrig war: Mark erfährt dann kurz vor seinem Tod, dass er in einem früheren Leben nicht von amoklaufenden Satanisten gemeuchelt, sondern von den amerikanischen Ureinwohnern am Marterpfahl filettiert wurde. Ob das nun eine Verbesserung ist, sei mal dahingestellt, der Film profitiert aber selbstredend von jedem Einfall, den Mikels "auch noch" einbauen wollte und darüber seine eigentliche Geschichte vergessen hat. Ted V. Mikels: ein zerstreutes Genie? Ich bleibe dran!
#593
Geschrieben 16. Dezember 2006, 22:22
Prof. Harrington, ein Wissenschaftler, wird von einem Dämon heimgesucht und umgebracht. Sein Freund und Kollege Holden (Dana Andrews), bekennender Skeptiker, erfährt von seinem Tod und lernt bald den mysteriösen Karswell kennen, der sich dem Studium der Schwarzen Magie verschrieben hat. Und um dem Rationalisten Holden etwas Demut beizubringen, belegt er auch ihn mit dem Dämonenfluch, der schon Harrington das Leben gekostet hat. Holden hat drei Tage Zeit, die drohende Gefahr abzuwenden.
Der Widerstreit zwischen dem Rationalismus und seinem als "Aberglauben" verschrieenen Widerpart ist so etwas wie die Grundlage des Horrorfilms. Selten jedoch wurde dieser Konflikt so dermaßen zentral und unverhüllt in einem Horrorfilm behandelt wie in Jacques Tourneurs Klassiker. Holden ist in seiner konsequenten Weigerung, an irgendetwas zu glauben, was seinem wissenschaftlichen Weltbild widerspricht, schon fast unsympathisch zu nennen. Die Spannung des Films erwächst dann auch aus dem Informationsgefälle zwischen dem Zuschauer, der weiß, dass es den Dämon gibt, und dem Helden, der die Prophezeiung seines Todes ins Reich der Märchen verweist und mit zunehmender Laufzeit immer unverschämter und unfreundlicher gegenüber den weniger verbohrten Zeitgenossen wird, obwohl sein Ende immer näher rückt. Das Finale, dessen Ausgang natürlich nicht verraten wird, ist schlicht brillant, wie Tourneurs Film sowieso an allen Ecken und Enden Begeisterung zu erzeugen versteht. Selbst die Auftritte des Dämons sind kreuzunheimlich und überzeugend geraten und haben kein wohlwollendes Beide-Augen-Zudrücken nötig. Ich bin begeistert!
#595
Geschrieben 17. Dezember 2006, 13:13
Ein freidlich im Einklang mit der Natur lebendes Naturvölkchen im südamerikanischen Urwald wird eines Tages von den fiesen Mayas überfallen. Kinder werden zurückgelassen, Frauen und Männer verschleppt. Der tapfere Pranke-des-Jaguars (Rudy Youngblood) kann seine schwangere Frau und seinen Sohn in einer Erdhöhle verstecken, wird aber ebenfalls gefangen genommen. In der Stadt der Mayas erwartet die Überlebenden ein Bild der Dekadenz: Sklaven erledigen die unmenschliche Arbeit, während die Herrscher sich auf einer Pyramide dem rituellen Morden hingeben. Pranke-des-Jaguars kann aber entkommen, gehetzt von den Jägern der Mayas. Kann er seine Frau noch retten?
Mel Gibsons Film macht schon mit der ersten Schrifteinblendung klar, wolang der Hase läuft. Ein Zitat (von wem, habe ich vergessen) erzählt von "erkrankten Volkskörpern", die dann leicht zu unterjochen seien, in deutlicher Anspielung auf den Niedergang der Maya-Kultur. Der folgende Film mutete dann trotz der Fremdartigkeit der Bilder und Dialoge (allesamt OmU) wie die Gesellschaftskritik eines Faschisten an: auf der einen Seite die braven, gesunden und rechtschaffenen Indianer, auf der anderen die perversen Mayas, die sich im Reichtum suhlen und Spaß nur noch am brutalen Mord empfinden können. Und am Schluss, wenn die spanischen Conquistadores am Strand landen, sind diese Mayas natürlich auch die, die die Gefahr nicht erkennen und wegrennen. Soviel also zur dumpfen politischen Message unsere Lieblings-Kryptofaschisten und Antisemiten Hollywoods.
Dass der Film dennoch recht ansehnlich geworden ist, liegt an dem geschickten Drehbuch, dass die Handlung extrem pointiert und verkürzt. APOCALYPTO ist ein Zweiakter, dessen Plot sich auf die Begriffe Verschleppung und Flucht reduzieren lässt. Vor allem die zweite Hälfte, in der Pranke-des-Jaguars vor seinen Häschern zu Fuß durch den dichten Urwald hetzt, ist ziemlich rasant und spannend geworden. Dass die Gewalt dabei nicht zu kurz kommt, war nach PASSION OF CHRIST ja nicht anders zu erwarten, dennoch habe ich APOCALYPTO nicht als selbstzweckhaft oder übermäßig brutal empfunden. Das schockierendste Bild ist dann auch der Blick über die Leichenberge, die sich jenseits der Maya-Metropole erheben.
Als Thesenkino ist APOCALYPTO also ein großer Haufen Schmutz, als Actionfilm im Exotengewand jedoch sehr ansehbar und durchaus respektabel.
#596
Geschrieben 18. Dezember 2006, 13:48
#597
Geschrieben 18. Dezember 2006, 15:27
Der junge Tankstellenangestellte Clint (Charles Pitts) sehnt sich nach der Arbeit nach einem ruhigen Feierabend, doch zu Hause wartet die stets liebestolle und überaus attraktive SuperAngel (Shari Eubank) auf ihren Hengst. SuperAngel ist – wie einst LORNA – zuviel für einen Mann, das muss Clint am eigenen Leib erfahren, als er von ihr kurzerhand rausgeschmissen wird, weil er ihr den Liebesdienst verweigert. Ersatz findet die üppige Dame bei der Polizei: Der Cop Harry (Charles Napier) kommt vorbei, entpuppt sich jedoch als Schlappschwanz. Die entsprechenden Beschimpfungen der kleinen Dreckschleuder SuperAngel lässt er aber nicht über sich ergehen: Und so liegt SuperAngel bald tot in der Badewanne und Clint muss fliehen, ist er doch der Hauptverdächtige für den Mord. Auf seiner Flucht begegnen ihm nicht nur haufenweise liebshungrige Damen, sondern schließlich auch der mittlerweile ziemlich durchgeknallte Harry ...
Mit SUPERVIXENS legt Russ Meyer so etwas wie ein Best-of seiner bisherigen Filme hin. Die Damen sind (schon auf der Wortebene: SuperAngel, SuperVixen, SuperEula ...) Superheldinnen, die die von Meyer bevorzugten Eigenschaften idealtypisch verkörpern. Die Männer stehen dieser sexuellen weiblichen Urgewalt völlig hilflos gegenüber, werden entweder zu fleischlichen Vibratoren degradiert oder sind impotent. Für einige Déjà Vus sorgen auch die Charakternamen: Es gibt eben eine (Super)Vixen, Clints Chef heißt Martin Bormann und ist Deutscher wie der Nazikellner aus BEYOND THE VALLEY OF THE DOLLS, Uschi Digard gibt eine österreichische Sexbombe, die von ihrem Gatten (Stuart Lancaster, ebenfalls ein Meyer-Regular) "Soul" genannt wird, was – wie auch einige kurze, eingeschnittene Bilder – an CHERRY, HARRY AND RAQUEL gemahnt. Selbiges gilt auch für Charles Napiers Psychocop, der zumindest ein Namensvetter seines Kollegen aus dem selben Film ist, und Haji schaut auch kurz vorbei. Der Showdown in der Wüste – Harry knallt völlig durch und bewirft seinen Konkurrenten Clint mit Dynamit – zeigt darüber hinaus deutliche Parallelen zum Finale von MOTORPSYCHO. So kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, sich in einem von Meyer geschaffenen Paralleluniversum zu bewegen, in dem alles auf einen anderen Film des Meisters verweist. SUPERVIXENS ist relativ konsequent in seinem postmodernen selbstreferenziellen Gestus, erfindet das Rad deshalb nicht neu, treibt Meyers Lieblingsthemen aber gekonnt auf die Spitze. Lediglich der bei Meyer sonst überpräsente moralische Ton ist völlig abwesend, was den Eindruck, sich bei SUPERVIXENS in einer völlig überhöhten Comicwelt zu bewegen, noch verstärkt. Dennoch ist SUPERVIXENS der perfekte Einstiegsfilm für Meyer-Interessierte: nicht sein bester Film, aber eben eine gute und rasante Best-of-Compilation mit viel Humor, Gewalt und natürlich Sex, der durchaus etwas grafischer daherkommt als in seinen anderen Filmen.
#598
Geschrieben 19. Dezember 2006, 15:06
Im schönen Schloss Neuschwanstein wird der von sadomasochistischen sexuellen Praktiken besessene Altnazi Adolph Schwarz von einem unbekannten Killer mittels eines Piranhas umgebracht. Ein harter Schnitt führt uns nach diesem Auftakt in vertraute Meyer-Umgebung: die Wälder Nordamerikas. Dort führt die bisexuelle Alice (Janet Wood) mit ihrem Mann ein Restaurant für hungrige Holzfäller. Sheriff Homer Johnson (Monty Bane) ist ebenfalls hungrig, vor allem nach dem saftigen Fleisch junger Damen. Als erstes landet die prachtvolle Margaux Winchester (Raven De La Croix) in seinem Bett, die er in seine Obhut nimmt, nachdem er beobachtet hat, wie sie sich in bester Tura-Satana-Manier eines Vergewaltigers entledigt hat. Es wird bunt in allen Kombinationen durcheinandergepoppt und zwischendurch tritt Meyers damalige Lebensgefährtin Kitten Natividad als griechischer Chor auf und kommentiert das Geschehen in blumigen Metaphern. Am Schluss gibt es Axt- und Kettensägenmorde und die brave Alice entpuppt sich als Tochter von Eva Braun ...
UP! dürfte so ziemlich der wildeste Film Meyers bis zu diesem Zeitpunkt sein. Der Geschichte konnte ich kaum folgen, was zum einen am nur mittelmäßigen Ton der DVD lag, zum anderen an der sehr sprunghaften Erzählung selbst, in der unzählige Figuren auftreten, aber nur geringe Funktion erfüllen und schnell wieder abtreten. Die Verbindung zwischen dem Anfang im Nazischloss – fast komplett in "deutscher" Sprache und unterlegt mit feinster Marsch- und Volksmusik – und dem späteren Treiben in Betten, Flüssen und auf Astgabeln erschließt sich erst ganz zum Schluss und auch dann nicht vollständig. Das soll aber keine echte Kritik sein, denn auch UP! ist viel zu eigenständig, bunt, überdreht und originell, um ihn an "normalen" Maßstäben messen zu wollen. Was den Sex angeht dürfte UP! der bis zu diesem Zeitpunkt pornografischste Film des Meisters sein. Zwar ist er auch hier immer noch meilenweit vom Hardcore entfernt, er schiebt aber immer wieder sehr eindeutige Bilder ein: Nahaufnahmen von Zungen, die lustvoll an Nippeln und Kernobst lecken, gewaltige Plastikschwänze, die aus Schößen wachsen, wogende Lenden und wackelnde Brüste. In diesem Panoptikum gehen die gewohnten Meyer-Themen so ein bisschen unter, sind nur noch als kleine Zitate erkennbar, was vielleicht auch daran liegt, dass das Drehbuch aus der Feder von Roger Ebert stammt. Im mit einigem Recht als letzter "echter" Meyer-Film zu bezeichnenden BENEATH THE VALLEY OF THE ULTRAVIXENS, der drei Jahre später folgen sollte und sein Schaffen bis zum vernachlässigbaren Alterswerk PANDORA PEAKS beschloss, legt er, wenn ich mich recht entsinne, noch einmal eine Schippe drauf, was comichaft überzeichnete und in kleine Tableaus fragmentierte Handlungsfetzen angeht. Ein schönes Zitat zum Abschluss, sinngemäß: "Sie hat Nippel, die manche Frauen sich als Brüste wünschen würden!"
#599
Geschrieben 20. Dezember 2006, 00:52
Ein russisches Schiff wird von Piraten gekapert und versenkt. Ein Teil der Besatzung kann sich retten und landet auf einer Insel, die von einem braven Perlentauchervölkchen bevölkert wird, das wiederum ebenfalls unter der Knute der Piraten lebt. Mit Hilfe unserer Helden werden die Feinde besiegt und man kann heim in die Kolchose schippern.
Besonders aufmerksam haben wir (max, eva s. und ich) den Film nicht verfolgt, Käsefondue und angeregtes Gespräch standen im Weg. Dennoch spricht das nicht gegen diesen russischen Actionfilm von 1979, der formal durchaus auch aus jedem anderen europäischen Land hätte kommen können. Deshalb verwundert es auch nicht, dass PIRATYY XX VEKA nicht nur ein großer Erfolg in der UdSSR beschieden war, sondern auch ins Ausland verkauft wurde. (In den USA existiert wohl eine DVD, nach Deutschland hat der Film es aber bezeichnenderweise nicht geschafft.) Interessant ist PIRATY XX VEKA natürlich besonders, wenn man ihn im Kontext seiner Entstehung in einem sozialistischen Staat betrachtet: So wird der Oberschurke sehr subtil als Homosexueller diffamiert, ohne dass dies explizit thematisiert oder auch nur erwähnt würde – kein Wunder, war Homosexualität zwar auch in der Sowjetunion perfekt dazu geeignet, den Bösewicht zusätzlich zu diskreditieren, aber nichtsdestotrotz immer noch ein absolutes Tabuthema. Ganz beiläufig – es fällt kaum auf – tritt der Piratenboss da mit einem seiner jungen, sonnengebräunten Vasallen aus seiner Kajüte und zieht sich das Hemd über den nackten Speckwanst. Immer wieder begrabbeln sich die kernigen Seebären, halten sich gegenseitig am Arm fest und legen sich zärtlich die Hand auf die Schulter. Ein Hauch von sexueller Revolution fegt da über das Schwarze Meer. Oder auf welchem Gewässer der Film auch immer gedreht wurde – mit geografischen Details hält PIRATY XX VEKA nämlich hinter dem Berg. Auch wenn die Existenz dunkelhäutiger Perlentaucher und verstreut wachsender Palmen wohl auf Südsee hindeuten soll, mutet die karge Landschaft doch eher mediterran an. Doch die Mogelei funktioniert und auch sonst kann der Film mit seiner recht rasanten Plotentwicklung und der innerhalb des Abenteuerfilmkontextes verblüffend expliziten Gewalt, die in der Sowjetunion keiner Altersbeschränkung unterlegen war, da der Film als Eigengewächs dem ganzen Volk zugänglich sein sollte, zu gefallen. Und auch in anderer Hinsicht ist PIRATY XX VEKA im russischen Film ein Novum: Hier gab es zum ersten Mal Kung-Fu-Kämpfe zu sehen. Ein Kung-Fu-Film ist PIRATY XX VEKA deshalb zwar noch nicht, dennoch sind die kurz gehaltenen Fight ganz gut gelungen, vor allem wenn man bedenkt, dass ein Jean-Paul Belmondo noch sechs Jahre später mit den klassischen Schwingern und Leberhaken, Hill & Spencer gar mit völliger Kirmesboxerattitüde zu Werke gingen. Unterm Strich bleibt ein knapp überdurchschnittlicher Film, der aber aufgrund seiner Herkunft mit Exotenbonus versehen ist. Ein perfekter Film, um Vorurteile abzubauen – russische Filme sind entweder reine Propaganda, schwere Dramen und Historienstoffe oder philosophisches Kopfkino – und sich davon zu überzeugen, dass es tatsächlich so etwas wie ein russisches Mainstream- und Actionkino gab.
#600
Geschrieben 22. Dezember 2006, 12:38
Spanien im letzten Kriegsjahr: Ein paar versprengte Faschisten haben sich unter der Führung des eisenharten Capitàn Vidal (Sergi Lopez) in ein Haus in den Bergen zurückgezogen und sind dort damit beschäftigt, eine Gruppe von Partisanen zu bekämpfen. Die hochschwangere Frau des Capitàn, Carmen (Ariadna Gil), soll ihr Kind in der Gegenwart dessen Vaters zur Welt bringen und nimmt deshalb mit ihrer tagträumerischen Tochter Ofelia (Ivana Baquero), die beschwerliche Reise in die Berge auf sich. Dort angekommen, versinkt Ofelia gleich in ihrer Traumwelt: In einer Höhle begegnet sie einem Faun, der ihr erklärt, dass Ofelia die Tochter des Herrschers der Unterwelt sei, eine echte Prinzessin also, die sich aus ihrem Reich "ausgesperrt" habe. Sie muss einige Aufgaben bestehen, um in ihre Heimat zurückzukehren, und die Erfüllung dieser Aufgaben hat entscheidende Auswirkungen auf die Geschehnisse zwischen den Partisanen und den Faschisten um Capitàn Vidal ...
Mit EL LABERINTO DEL FAUNO kehrt Guillermo del Toro nach seiner ebenfalls wunderbaren Auftragsarbeit HELLBOY zum Sujet seines großartigen EL ESPINAZO DEL DIABLO zurück. Wie in diesem Film zeigt del Toro in LABERINTO DEL FAUNO wie sich Kinder im Angesicht des Krieges in ihre eigenen Fantasiewelt zurückziehen und wie diese Fantasie dann schließlich ganz reale Folgen nach sich zieht. Das alles verpackt del Toro in einen im besten Sinne als altmodisch zu bezeichenden Erzählfilm, der mit einer Fülle interessanter Charaktere und Situationen aufwartet. Da gibt es neben den drei Hauptfiguren noch den tapferen Arzt Dr. Ferreiro (Alex Angulo), der das böse Spiel Vidals irgendwann nicht mehr mitpielen möchte und dafür die Rechnung bezahlen muss und die Magd Mercedes (Maribel Verdu), die mit den Partisanen unter einer Decke steckt. Vor allem ist EL LABERINTO DEL FAUNO aber eine Ode an die Kraft der Fantasie: Ofelia entflieht den schrecklichen Ereignissen im Stützpunkt der Faschisten in eine Märchenwelt, die zwar nicht weniger unheimlich und schrecklich ist, ihr aber die Möglichkeit gibt, die Dinge in die eigene Hand zu nehmen. "Fantasie als Widerstand", so könnte man die dem Film zugrundeliegende Idee umreißen. Passend zu dieser Idee ist EL LABERINTO DEL FAUNO vor allem ein bilderstarker Film geworden: Anders als bei vielen anderen Vertretern aus der "Style over Substance"-Sparte reduziert del Toro das Geschehen aber nicht auf stylishe Bilderwelten, sondern lädt jede einzelne Einstellung und jeden Effekt mit Emotionen und Bedeutung auf.
Wie es sich für einen Märchenfilm gehört und man das aus den bisherigen Filmen del Toros kennt, ist EL LABERINTO DEL FAUNO hinreißend schön, erschreckend und traurig zugleich, verwöhnt jedoch nicht nur Ohr und Auge, sondern den Hirnkasten gleich mit. Den tragischsten und erschütterndsten Moment hält del Toro dabei übrigens für den fiesen Nazi Vidal bereit, dessen Tod ein sehr nachdrückliches Gefühl aus Befriedigung, Entsetzen und Mitleid evoziert. Auch diese Tatsache fungiert als Beleg dafür, wie einzigartig das Filmwerk del Toros bislang ist: Zwischen seinen Hollywood-Auftragsarbeiten und seinen eigenen, persönlichen spanischen Filmen hat er sich eine ganz eigene Nische geschaffen, in der er als Auteur im besten Wortsinn seit Jahren mit immenser Kreativität zu Werke geht. EL LABERINTO DEL FAUNO war in Cannes überwältigender Erfolg beschieden. Schön, dass es noch ein Publikum gibt, dass echte Größe erkennt.
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