Nostalghia | 31.5. 03| DVD
“each word is an unnecessary stain on silence and nothingness” (samuel beckett)
STALKER war vor drei jahren meine erste begegnung mit dem oeuvre andrej tarkovskijs, der auf mich als damals sechzenjähriger einen solchen eindruck machte, wie bis heute nur noch jodorowskys the holy mountain und vielleicht greenaways prospero's books. Nicht zuletzt aufgrund der begeisterung eines damals noch sehr religiösen freundes entwickelte ich allerdings gar zu schnell einen solchen respekt, der es mir lange zeit verwehrte, weiter in das schaffen tarkovskijs einzudringen.
Dank der veröffentlichung der criterion DVD habe ich vor kurzem mit der sichtung von SOLARIS, welcher wohl nach wie vor der film ist, mit dem der name tarkovskij unmittelbar verbunden wird, einen ersten schritt getan. allerdings halte ich solaris für tarkovskijs schwächsten film- nicht nur aufgrund des unverhätnismäßig großen raumes, welches das metaphysische geschwätz, als welches es hier im forum oftmals und nicht zu unrecht bezeichnet wurde, einnimmt, sondern vor allem weil dem film ein denkfehler zugrunde liegt: er erzählt von der sehnsucht nach der natur, welche die protagonisten innerhalb der künstlichen welt der raumstation befällt- ob der kulissenhaftigkeit der settings gerät jene welt innerhalb der raumstation allerdings im zwiefachen sinne künstlich, dem film geht jegliche natürlichkeit verloren, dass agieren der darsteller wird zum bloßen schauspiel. tarkovskij handelte entgegen seiner philosophie, denn die “zeit”, welche er hier “in ihren faktischen formen und phänomänen” festhält ist ganz und gar inszeniert.
"was die
drei forderungen sind, zu denen mir diesmal (...) meine liebe zur kunst den mund geöffnet hat?
Dass das Theater nicht Herr über die Künste wird.
Dass der Schauspieler nicht zum Verführer der Echten wird.
Dass die Musik nicht zu einer Kunst zu lügen wird."
(Friedrich Nietzsche: Der Fall Wagner)
MIRROR habe ich nur kurze zeit später gesehen und war angesichts der weiterentwicklung die sich zwischen diesen beiden filmen vollzog nicht nur beeindruckt, sondern angesichts der geringen bedeutung, die diesem film für gewöhnlich zugeschrieben wird, in höchstem maaße verblüfft. Erst jetzt scheint mir tarkovskij sein eigentliches thema gefunden zu haben- jenes ziel, dass ihm nur mit filmischen mitteln erreichbar scheint.
der spiegel ist gleichermaßen rück- als auch selbstbesinnung, die gedichte aus der feder des vaters, arsenij tarkowskij, ersetzen nicht nur die pilosophischen monologe, sondern jene bildhafteste form des wortes ist gleichermaßen auch die letzte, welche angesichts des aufkommens eines neuen mediums noch bestand hat- worte als relikte der vergangenheit.
NOSTALGHIA übertraf nun alle erwartungen, die ich in das spätwerk tarkovskijs zu setzen wagte- durch den naturalismus und das absolut cinematische, gehört nostalghia tatsächlich zu jenen filmen, die sich nur in worte fassen lassen, sofern der betrachter gewillt ist, dem gesehenen gewalt anzutun, oder aber sich auf die schilderung eines zutiefst subjektiven erlebnisses einzulassen- in beiden fällen ist er zur vereinfachung gezwungen.
Der titel nostalghia rührt von jener nostalgie her, die (zumindest laut tarkovskij) einen jeden russen fern der heimat unwillkürlich befällt und in unheilbare melancholie stürzt. Eine ebene des films die vor allem autobiografische züge trägt, mir selbst allerdings weitestgehend verschlossen blieb- viel bedeutsamer erschien mir das verhältniss zwischen domenico und gortchakov, welches sich letzten endes als zweieinigkeit herausstellen sollte und der daraus resultierende, finale schritt vom wort zur tat.
Domenico verkündet während seiner finale rede, er selbst reiche nicht aus, um wort und tat (oder körper...leider habe ich den genauen wortlaut nicht notiert) in eines zu fassen; der gleichung 1+1=1 zu folge ist gortchakov jene zweite hälfte.
Die einheit vollzieht sich, als domenico seine worte dem volk und um deren nachhaltige wirkung zu sichern, sie gewissermaßen ins gedächtniss einzubrennen, seinen körper den flammen übergiebt, während gortchakov die asche seiner verbrannten gedichte das ziel eröffnet, sein leben für das tragen einer kerze hinzugeben, hinweg über das von dem müll und den überresten einer in die irre taumelnden gesellschaft übersähte, ausgetrocknete bett eines gewässers.
diese beiden letzten szenen könnten angesichts der brutalität des feuertodes, der gewaltigkeit von ludwig vans neunter sowie der absoluten ruhe jener zweiten, minutenlangen szene bar jeglichen schnittes oder sonstiger stilmittel, welche ihren suspense ausschließlich aus dem möglichen verlöschen der kerze zieht, nicht unterschiedlicher sein, doch sie gehören nicht nur zu den besten, die tarkovskij je drehte, sondern schlicht zum großartigsten, was das medium film jemals hervorgebracht hat.
"... Ich wollte hier von der russischen Form von Nostalgie erzählen, von jenem für unsere Nation so spezifischen Seelenzustand, der in uns Russen aufkommt, wenn wir weit weg von der Heimat sind. Hierin sah ich, wenn man so will, meine patriotische Pflicht, so wie ich diese selbst empfinde und begreife. Ich wollte von der schicksalhaften Bindung der Russen an ihre nationalen Wurzeln, ihre Vergangenheit und Kultur, an Heimaterde, Freunde und Verwandte sprechen, über jene tiefe Bindung, von der sie ihr ganzes Leben lang nicht loskommen, gleich, wohin sie das Schicksal verschlägt. ... In Italien drehte ich einen Film, der zutiefst russisch ist."
— Andrej Tarkovskij: Die versiegelte Zeit. Frankfurt/M. 1988, S. 206