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Tagebuch eines Filmliebhabers - Filmforen.de

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Tagebuch eines Filmliebhabers


10 Antworten in diesem Thema

#1 innominate

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Geschrieben 04. Januar 2008, 19:22

Die Fliege
(The Fly)

Drama/Horror, USA 1958
Regie: Kurt Neumann
Drehbuch: James Clavell
Kamera: Karl Struss
Musik: Paul Sawtell
Produzent: Kurt Neumann
Darsteller: Al Hedison, Patricia Owens, Vincent Price, Herbert Marshall, Charles Herbert u.a.

Story:
Andrè Delambre (Al Hedison) ist leidenschaftlicher Wissenschaftler. Wochenlang verkriecht er sich in sein Labor und arbeitet an neuen Erfindungen. Seine neueste ist eine Teleportationsmaschine, die bahnbrechend in der Entwicklung des technischen Fortschritts zu sein scheint. Bei einem Selbstversuch übersieht er, dass sich eine Stubenfliege mit in der Transportkammer befindet, so dass er mit der Fliege den Kopf und einen Arm tauscht. Zunächst kann er das vor seiner Frau Helene (Patricia Owens) verbergen und schreibt ihr Nachrichten via Schreibmaschine. Das geht gut, bis ihre Sorge zu groß wird und ihn enttarnt. Darauf hin entscheidet er sich für einen verzweifelten Schritt. Er will sich umbringen, doch Helene muss ihm dabei helfen...

Filmbesprechung:
"She had to kill the Thing, her Husband has become - but could she?" Mit den abenteuerlichsten, aufreißerischen Sprüchen wurde Die Fliege zum Kinostart 1958 beworben. Tatsächlich ist der Film sehr erschreckend, aber weniger aufgrund Spezialeffekte oder allzu grausamen Szenen. Auch die Plakate, auf denen man eine gezeichnete monströse Fliege sieht wie sie eine Frau anfällt, waren nur ein Mittel den Film publikumswirksam als typischen und damals sehr beliebten Tier-Horrorfilm gepaart mit Science-Fiction zu verkaufen. Mit der Wahrheit hat dies wenig zu tun. Er unterscheidet sich wesentlich von anderen Filmen mit Tieren als Horrorwesen der 50er Jahre. Liest man sich nur die Story durch, die vielleicht auch zusätzlich etwas sehr isoliert auf die Verwandlung des Wissenschaftlers zur Fliege eingeht, kann man den Film sicher oberflächlich auch in dieses Subgenre einordnen. Tatsächlich aber ist Andrè Delambre die tragischste Gestalt aller "mad scientists", wie heute in Literatur und Film ein Wissenschaftler bezeichnet wird, der in einem Anfall von Größenwahnsinn und Übereifer versucht Gott zu spielen und neues Leben zu erschaffen. Das erste mal tauchte dieses typische Horror-Thema in Mary Shelley's Roman Frankenstein von 1816 auf und fand in den meisten Tier-Horrorfilmen Verwendung. Hier war es dann oft ein Wissenschaftler, der ein Experiment anstellt, welches katastrophale Auswirkungen hat.
Warum aber ist Andrè Delambre die bemitleidenswerteste Figur unter den ohnehin eigentlich tragischen "mad scientists"? Der Grund liegt zunächst darin, dass er tot ist bevor der Film überhaupt seine Geschichte in einer Rückblende erzählt. Hier wird er dann als ein überaus sympathischer Mann vorgestellt, dessen Eigenschaft "er könne keiner Fliege etwas zu leide tun" auch benannt wird. Er ist immer auf das Wohl der Allgemeinheit bedacht (abgesehen von seinem gescheiterten Versuch mit der Katze), was sogar so weit geht das er sich selbst umbringt um seine Mitmenschen zu schützen.

Doch auch sonst unterscheidet sich Die Fliege erheblich von anderen Filmen, die in der besagten Tierhorror-Welle des Kinos entstanden. Er erzielt die Spannung nicht aus den Spezialeffekten, obwohl diese qualitativ weit über dem Durchschnitt liegen. Das für einen als Tier-Horrorfilm beworbenen ungewöhnlich hochwertige und komplexe Drehbuch macht die atmosphärische Dichte und die eher dramatische als gruselige Stimmung aus. Früher war allein der (sehr gut gemachte) Fliegenkopf furcht erregend für die Zuschauer und die Erwartungen die durch das geschickte Marketing geschürt wurden, sahen sich erfüllt. Da man heute allerdings schon alles mit doppelter und dreifacher intensität in Filmen gesehen hat, kann das heute eher weniger schocken. Außer auf der Ebene eines Dramas. Und hier funktioniert der Film für mich perfekt. Als Helene ihren Ehemann das erste mal mit Tuch über dem Kopf erblickt, bin ich jedes mal wieder den Tränen nahe. Die Entwicklung der Handlung ist so geschickt aufgebaut, dass man jedes mal wieder gefangen ist in einer Stimmung aus Furcht und Mitleid. Womit ich zurück komme zum Drehbuch, das den gesamten Film über mit einer Erzählstruktur aufwartet, die ein Beispiel ist wie eine Handlung dramaturgisch erstklassig funktioniert.
Ein erstes Exempel dafür verfolgen wir bereits zu Beginn des Films. Andrès Bruder François Delambre (Vincent Price), erhält einen Anruf von Helene, sie hätte ihren Mann umgebracht und ihr Schwager solle sofort zu ihr kommen. Nachdem er erst denkt, es wäre ein schlechter Scherz, will er der Sache doch nachgehen. Doch gerade als er das Zimmer verlassen will, ruft der Nachtwärter der Gießerei-Fabrik an und berichtet ihm von einem toten Mann unter einer Presse. Eine Frau, die wie Madame Helene Delambre aussah, rannte vor dem Wächter davon. Aufgrund dieser beiden Telefonate, kann sich François bereits vorstellen was und wie es geschehen ist. Und das noch bevor er von irgendeiner Person auch nur den Hauch einer Erklärung erhalten hat. Die meisterliche Erzähltechnik zeigt sich auch darin, wie der Film aufgeteilt ist. Er besteht aus drei Akten, von denen jeweils der erste und der letzte von Vincent Price als François getragen wird. Im mittleren Teil sehen wir per Rückblende die tragischen Begebenheiten um den Wissenschaftler Andrè und Helene. Dieses geschickte Arrangement macht es aber möglich, François auch in dieser Rückblende zu sehen und so schließt sich für den Zuschauer der Kreis. Die Rolle von Francoise ist in diesem mittleren Akt um die Experimente und letztlich die Verwandlung von Andrè Delambre zwar eigentlich eher unbedeutend, aber das Auftauchen von ihm auch hier erfüllt seinen Zweck um die drei Akte noch zusammen hängender erscheinen zu lassen. Und es bietet eine der zunächst witzig erscheinensten, später aber unheilschwangersten Bemerkungen des Film. Denn als Francoise seinen Bruder und Schwägerin zum Abendessen besucht und er und Helene nur einen Zettel von Andrè an der Laboratoriumstür vorfinden, meint Francoise beiläufig: "Seine Handschrift wird auch immer schlechter." Zu diesem Zeitpunkt wissen weder François und Helene noch der Zuschauer, dass der Unfall durch den Andrè halb Mensch - halb Fliege wurde, bereits geschehen ist und sein Gehirn im Fliegenkopf eine exakte Schriftart nicht mehr zulässt.

Diese Dramaturgie ist es also, die den Film ausmacht und von anderen Produktionen des Subgenres abhebt. Doch auch die sorgfältige Produktion von 20th Century-Fox des Low-Budget Films, macht diese Eigenschaft aus. Der deutsche Regisseur Kurt Neumann, spezialisiert darauf Filme mit geringem Budget zu Kassenschlagern zu machen, ließ ihn als ersten Horrorfilm überhaupt im Cinemascope-Verfahren drehen. Neumann hielt auch Drehbuchautor James Clavell dazu an, zu der phantastischen Story glaubwürdige, realistische Dialoge zu schreiben. Von den Schauspielern forderte er eine gradlinige Darstellungsweise. Niemand sollte sich allzu sehr in den Vordergrund spielen., was aber die Leistungen der Akteure hier nicht eindämmte sondern förderte. Gerade durch die nüchtern-sachliche und nur selten schnelle Inszenierung, wirkt der Film sehr bedrückend und tragisch.
Das alles gibt dem Film ein Antlitz, das für einen Horrorfilm sehr untypisch war und so bleibt letzten Endes tatsächlich nur der Kern-Plot um die Verwandlung des "mad scientists" zur Fliege um den Film doch im Horrorgenre einordnen zu können. Das damalige Marketing wirkt aus heutiger sicht nur noch charmant und auch das Mitwirken des als Horror-Star geltenden Vincent Price kann jemanden, der auch seine zahlreichen Filme abseits des Horror-Genres kennt und mag, nicht mehr zum Schubladendenken veranlassen. Zumal seine Rolle und sein Spiel hier eh weitere Aspekte der akkuraten und schnörkellosen Produktion sind und nur im Zusammenhang mit dem Gesamtwerk seiner Karriere sein Horror-Image untermauern.


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Bearbeitet von innominate, 04. Januar 2008, 19:24.


#2 innominate

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Geschrieben 04. Januar 2008, 19:26

Ekel
(Repulsion)

Psychothriller, Großbritannien 1965
Regie: Roman Polanski
Drehbuch: Roman Polanski, Gérard Brach
Kamera: Gilbert Taylor
Musik: Chico Hamilton
Produzent: Gene Gutowski
Darsteller: Catherine Deneuve, Ian Hendry, John Fraser, Yvonne Furneaux, Patrick Wymark u.a.

Story:
Die junge, schüchterne Französin Carol (Catherine Deneuve) lebt mit ihrer Schwester Hélène (Yvonne Furneaux) zusammen in einer kleinen Londoner Wohnung. Sie fühlt sich unwohl in der von Männern dominierten Welt. Die Zuneigung des netten Colin (John Fraser) zu Carol, kann sie aus unerklärlichen Gründen nicht erwidern. Er hört jedoch nicht auf, ihr Avoncen zu machen - was sie als sehr unbehaglich empfindet. Als ihre Schwester mit ihrem Freund verreist und sie allein lässt, gerät sie immer stärker in den Bann ihrer Neruose, die sich in Wahnvorstellungen und Psychose entwicklen. Die psychische Hölle ihrer Angst und die Abneigung egenüber dem männlichen Geschlecht lässt sie schließlich zur Mörderin werden...

Filmbesprechung:
Der Film beginnt mit einer beeindruckenden Nahaufnahme eines starren Auges, über die die Credits laufen. Danach wird langsam heraus gezoomt und das apathische Gesicht von Carol ist zu erkennen. Sie befindet sich in einem Schönheitssalon für Frauen, wo sie arbeitet. Auffällig ist, das die sich gerade im Raum befindende Kundin um die sich Carol kümmert eine alte Dame ist, deren Hände leblos wirken und das mit einer lehmkur überzogene Gesicht ebenfalls leblos wirkt. Der Raum wirkt eher wie eine Leichenkammer. Wenn man die Gegensätze einer solchen zu einem Schönheitssalon bedenkt, kann man nur zu dem Schluss kommen, dass uns hier der Gegensatz von Verfall und dem Wunsch nach jugendlicher Schönheit sowie dem daraus resultierenden Interesse der Männerwelt angedeutet wird. Damit wird schon in der ersten Szene klar: In diesem Film ist nichts zufällig, sondern Polanskis Liebe zu Symboliken und Metaphern kommt auch hier voll zur Geltung. Und mit der Einstellung des Auges ganz zu Beginn auch seine Vorliebe für kreisförmige Dramaturgien. Denn der Film wird nach ca. 98 Minuten beendet mit einer Kameraeinstellung, die wieder eine Großaufnahme von Carols Auge (diesmal allerdings als Kind auf einem Familienfoto) zeigt. Die Kamera droht in dieser letzten Einstellung sogar durch das Auge in ihren Kopf zu fahren, womit man allegorieren kann, dass im Film das Innere eines Menschen nach außen "gestülpt" wird. Und genau dies tut der Film auch in einer ungeheuer behutsamen, aber eindrücklichen und intensiven Weise.

Das druchweg in französisch geschriebene Drehbuch von Polanski, das er wie so oft mit seinem Freund und Kollegen Gerard Brach zusammen geschrieben hatte, trug ursprünglich den Titel Revulsion (Abneigung). Bei der Übersetzung ins Englische (es war Polanskis erster komplett in englisch gedrehter Film) unterlief dem Übersetzter ein Fehler und aus Revulsion wurde Repulsion (Ekel). Die beiden Worte drücken zwar ungefähr den gleichen Sachverhalt aus, letzteres aber wesentlich stärker. Womöglich war es für Polanski zu spät den Titel ändern zu lassen, oder aber er akzeptierte ihn weil er das Geschehen im Film verdeutlicht. Doch dies war nicht das einzige, was im Vorfeld der Produktion gegen Polanskis eigentliche Absicht lief. Ekel wurde damals von der Presse als Horrorfilm beworben, was natürlich falsch ist. Sicher ist die Assoziation mit dem Genre nicht an den Haaren herbei gezogen, wie wir im Laufe der Filmbesprechung noch feststellen werden. Jedoch wurde darüber einfach vergessen, dass es eine detailgenaue, beinahe klinische Dokumentation über die Neurosen und Ängste einer an der Grenze zur Schizophrenie stehenden Frau ist. Man kann Produzent Eugene Gutowski, der dem Film das Etikett "Horrorfilm" als erster selbst aufdrückte, jedoch nicht böse sein. Denn nur so schaffte er es, englische Finanziers für das Projekt zu begeistern.

In der grob gesagt ersten Hälfte des Films bekommen wir Carol vorgestellt. Wir bekommen als distanzierte Beobachter ihre Zwänge, Ängste und Abneigungen zum männlichen Geschlecht gezeigt. Man nimmt sie wahr als ein ängstliches junges Mädchen, das sich in der fremden Umgebung (fremdes Land, fremde Sprache) nur schwer zurechtfindet. Am liebsten würde sie ihre eigene Welt verschließen und nur Frauen darin leben lassen (wie im Schönheitssalon oder einem Nonnenkloster, auf das sie von ihrem Wohnungsfenster aus immer wieder sehnsüchtig blickt). Sie hat eine ganz offensichtliche Abneigung gegen die Männerwelt, die sie als lüstern kennen lernt, beispielsweise durch die Bauarbeiter die ihr auf der Straße anzügliche Bemerkungen zurufen (was im Kontext mit diesem Film übrigens überhaupt nicht klischeehaft rüber kommt) oder die Erzählungen von Kolleginnen, die sich mit ihrem Freund gestritten haben und die Männerwelt schematisch "zum Teufel schicken".
Gleichermaßen erkennt man aber auch ihre Sehnsucht nach echter Liebe zu einem Mann und Geborgenheit. Carol hat durchaus Interesse an Colin, jedoch kann sie seine Zuneigung aufgrund ihres schlechten Männerbildes nicht erwidern. Sie flüchtet sich in kleinkindliche Verhaltensweisen, freut sich und ist enttäuscht wie ein Kind und trägt oft auch tagsüber ein mädchenhaftes Nachthemd. Durch den hartnäckigen Colin und ihre Einsamkeit (in die sie sich natürlich aus eigener Schuld manövriert) kommen ihre Neurosen immer mehr zum tragen und sie schließt sich in ihrer Wohnung ein.
Damit beginnt, könnte man sagen, die zweite Hälfte des Films. Der Wechsel wurde von Polanski aber sehr behutsam vorgenommen und wird erst deutlich beim wiederholten ansehen bzw. beim reflektieren über den Film. Der Zuschauer ist nun nicht mehr nur distanzierte Beobachter, sondern wird in den seelischen Zustand von Carol mit hinein gezogen. Ihre horror-esken Schreckensvisionen werden auch die des Zuschauers. Alltägliche Geräusche bekommen für Carol und dem Zuseher einen bedrohlichen Klang, es tun sich bedrohliche Risse in den Wänden auf und aus den Wänden eines scheinbar schmaler gewordenen Flures greifen Hände nach Carol. Dies alles kann auch beim Zuschauer Alpträume erzeugen und daher liegt es natürlich nicht ganz so fern, den Film im Horrorgenre einzuordnen oder ihn wie damals eben geschehen als einen solchen zu bewerben. Diese Visionen, die allesamt nur durch Halluzinationen Carols entstehen, symbolisieren ihren seelischen Zustand. Die Risse in Wänden und Straßenoberflächen auf der sie geht (und mit denen die zweite Hälfte des Films quasi beginnt), stehen für ihre zu zerbrechen drohende Seele. Die Risse in den Wänden benutzte Polanski einige Jahre später auch in seinem Psychothriller Der Mieter (1976), der ein ähnliches Thema behandelt, als Metapher. Jedoch weiß man bei dem Film von 1976 im Gegensatz zu Ekel nicht, ob die Risse tatsächlich da sind oder nur eine Einbildung der Hauptfigur sind. Und wie auch in Der Mieter arbeitete Polanski bei der Realisierung der bedrohlichen Veränderung der Wohnung mit speziellen Kameraeinstellungen, Weitwinkellinsen und veränderter Ausleuchtung durch die die Proportionen von Gegenständen verändert Wirken. Um diese Wirkung zu erreichen ließ er von einigen Zimmern größere und niedrigere sowie mit schrägen Wänden versehenen Duplikate anfertigen. Diese Techniken setzte er aber in Ekel um einiges vermehrter ein als in der Der Mieter und stehen in dem Film von 1965 sogar fast schon in der Tradition des deutschen Expressionismus der Stummfilmära. Bekanntestes Beispiel dieser Filmart ist Robert Wienes Klassiker Das Kabinett des Dr. Caligari (1919), in dem auch Größen veränderte Requisiten, schräge Mauern und Wände sowie Licht- und Schatteneffekte den seelischen Zustand der Hauptfigur widerspiegeln. Der Filmgelehrte und Schriftsteller Rudolf Kurtz erläutert in seinem Buch Expressionismus und Film das Grundprinzip des Expressionismus: "Es ist ein einfaches Gesetz der psychologischen Ästhetik, dass bei der Einfühlung in Formen genau entsprechende Strebungen in der Seele entstehen. Die gerade Linie führt das Gefühl anders als die schräge; verblüffende Kurven haben andere seelische Entsprechungen als harmonisch gleitende Linien".

Carol driftet immer mehr in ihre eigene Welt ab, in der sie bald alles und jeden als Bedrohung ansieht. Sie befindet sich in einer Art Delirium, kümmert sich um nichts mehr in der Wohnung. Die sonst so auf Reinlichkeit achtende Carol vergisst ein Kaninchen, das sie eigentlich zum essen aus dem Kühlschrank geholt hat aber wegen des Klingeln eines Telefons vor lauter Schreck und Verwirrung auf dem Tisch stehen lässt. Da steht das tote Tier nun tagelang und verwest vor sich hin. Und trotz des Gestanks nimmt Carol es nicht wahr. Wie zuvor die alte Frau im Schönheitssalon und alte Kartoffeln in Großaufnahme, symbolisiert das mittlerweile bereits Insekten anziehende Kaninchen Verfall und Tod. Gleichzeitig verdeutlicht es aber auch die verstreichende Zeit (ansonsten kann man in der Wohnung als Käseglocke nicht mal zwischen Tag und Nacht unterscheiden) und das wachsende Chaos in der Wohnung. Die in einem Anfall von Wahnsinn getöteten Männer beseitigt sie auch ungründlich in der Badewanne und lässt die Spuren von Kämpfen einfach liegen. Ihre scheinbare Gleichgültigkeit verdeutlicht nach dem ersten Mord auch wieder ihr kindliches Verhaltensmuster: sie näht eine Bluse und summt ein Kinderlied vor sich hin. Diese kindischen Handlungs- und verhaltensweisen lassen die Vermutung aufkommen, dass ihre Neurose in einem frühkindlichen Trauma zu begründen sind. Mit dem Familienfoto, das Carol als tatsächlich kleines Kind zeigt und den - wie bereits erwähnten - Zoom auf ihr Gesicht in der letzten Szene des Films, verdeutlicht uns Polanski das diese Begründung ihrer Krankheit wohl wirklich beabsichtigt war. Carol wird "zum bemitleidenswerten Opfer ihrer eigenen Taten", wie der Medienwissenschaftler und Autor Paul Werner in seinem Buch über den Regisseur das Gefühl des Zuschauers Carol gegenüber beschreibt.


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#3 innominate

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Geschrieben 05. Januar 2008, 14:30

Django

Western, Italien/Spanien 1966
Regie: Sergio Corbucci
Drehbuch: Sergio Corbucci, Franco Rossetti, José G. Maesso
Kamera: Enzo Barboni
Musik: Luis Enríquez Bacalov
Produzent: Manolo Bolognini
Darsteller: Franco Nero, José Bódalo, Eduardo Fajardo, Loredana Nusciak, Ángel Álvarez, Luciano Rossi u.a.

Story:
Eines Tage kommt ein wortkarger Fremder (Franco Nero) in ein herunter gekommenes US-Städtchen, der einen Sarg hinter sich herzieht und unter seinem Poncho eine Soldatenuniform aus dem Bürgerkrieg trägt. Dort begegnet er Major Jackson (Eduardo Fajardo), der in der Gegend sein Unwesen treibt. Jackson treibt bei der ärmlichen Bevölkerung Schutzgelder ein befindet sich im Klinch mit dem mexikanischen General Rodriguez (José Bódalo), wie der Fremde namens Django bald fest stellt. Da kommt ihm eine Idee: Er hat vor den mächtigen Jackson und Rodriguez gegeneinander auszuspielen, da er mit seinem ehemaligen Freund Rodriguez sowieso noch eine Rechnung offen hat...

Filmbesprechung:
Mit diesem Film Film verankerte Sergio Corbucci, neben Sergio Leone der bekannteste Western-Regisseur Italiens, den Italo-Western endgültig als ein fast schon eigenes Genre in der Filmlandschaft. Orientierten sich die meisten Italo-Western noch stark an den amerikanischen Vorbildern, ist Django neben Sergio Leones Für eine Handvoll Dollar (1964) und der epochalen Fortsetzung Für ein paar Dollar mehr (1965) mit Clint Eastwood der Film, der den Stil des typischen Italo-Western wie keine anderen bildeten. Courbucci, der nach einigen italienischen Western mit noch starken amerikanischen Einflüssen 1966 sein Meisterwerk schuf, war natürlich inspiriert von Für eine Handvoll Dollar, vor allem wegen dessen Kompromisslosigkeit. Auch Corbucci war ein großer Verehrer der japanischen Samurai-Filme und auch er erzählte in Django wie auch Leone in seinem ersten Western eine ähnliche Story wie Akira Kurosawa in Yojimbo (1961).
Trotzdem ist Django anders als Leones Film. Hier wird nicht schmerzlos gestorben und es gibt keine rührselige Mutter-Kind-Geschichte. Damit unterscheidet sich Django deutlich von allen Western, die man bisher gesehen hatte. Gier, Hass und Gewalt beherrschen die trostlose und in Schlamm und Staub erstickende Szenerie und dabei kann man die Guten von den Bösen nicht mehr unterscheiden. Der titelgebende Antiheld ist nur auf seinen eigenen Vorteil aus und möchte sich selbst bereichern. Die pessimistische Grundstimmung ist noch um einiges intensiver als in Kurosawas Yojimbo, der durch seine anarchistische Ästhetik der Hauptbeweggrund für italienische Regisseure war, die unheroische Seite des Westens zu zeigen und den Amerikanern ihre heilige Kuh zu stehlen. Bei Corbucci ist auch ein Einfluss durch Regisseure aus dem eigenen Land wie die als intellektuelle Filmemacher geltenden Roberto Rossellini und Gualtiero Jacopetti zu bemerken. Er nahm sich Rossellinis differenzierte Zeichnung von Moralität zwischen menschenverachtendem Terror im Glauben gefestigter Menschenliebe sowie Jacopettis dokumentarisch anmutende provokante Gegenüberstellung von verschiedenen Kulturen zum Vorbild und flechtete dies in seinem Western mit ein. Corbucci erschuf eine fast schon gothische Atmosphäre und eine postapokalyptische, beklemmende Szenerie. Rückblickend könnte man ihn als einen der ersten Endzeitfilme betrachten und ohne Zweifel beeinflusste er Filme wie die George Millers Mad Max- Trilogie mit Mel Gibson.
Das ganze wurde, wiederum nach dem Vorbild der japanischen Samurai-Filme, ausgesprochen comichaft und überspitzt inszeniert sowie mit viel schwarzem Humor versehen. Die Idee mit dem einen Sarg hinter sich herziehenden Mann hatte Corbucci übrigens tatsächlich aus einem Comic, das er damals entdeckte. Allein der glorreiche Einfall, dass sich in diesem Sarg ein Maschinengewehr befindet, lässt mich Sergio Curbucci als genialen Kopf bezeichnen. Ein genialer Kopf mit viel Humor, die in seine Arbeit mit einfloss. Zuviel darf man in Django nicht hinein interpretieren. Beispielweise kann man die roten Kapuzen, die die Männer von Major Jackson tragen als Anspielung auf die in der USA aufkommende Ku-Klux-Klan-Bewegung deuten. Was aber nicht gerechtfertigt ist, denn das ganze entstand als Notlösung. Neben dem geringen Budget musste sich Curbucci auch noch mit Statisten rumschlagen, die als "Ramsch" in der italienischen Filmfabrik Cinecittà übbrig bleiben - Leute ohne Zähne und anderen Verunstaltungen. Von Regieassistent Ruggero Deodato stammt die witzige Idee mit den Kapuzen. Den Film hatten die Macher nie als Statement betrachtet, sondern wollten ein Comic für Erwachsene machen. Dazu passt eine nette Anekdote, die Franco Nero immer wieder gerne erzählt und die humorvolle Art des Regisseurs unterstreicht. Sergio Corbucci ließ Nero eines Tages für eine Aufnahme den berühmten Sarg einen Hügel hochziehen. Oben angekommen stellte er fest, dass das gesamte Team während dessen das Set abgebaut und verlassen hatte.
Francesco Sparanero, der seinen Namen erst für diesen Film kürzte, wurde in der Rolle des Django quasi übernacht zum Star. Seine Darstellung machte ihn international bekannt, unzählige Filmangebote vor allem natürlich für Western folgten. Da Django einer der einflussreichsten (Italo-)Western aller Zeit ist, zog er natürlich viele Nachahmer und inoffizielle Fortsetzungen nach sich. In Deutschland wurden alle Western ähnliche Filme mit Franco Nero noch zehn Jahre danach mit "Django" betitelt, obwohl sie nicht das Geringste mit dem Echten zu tun haben. Nero sagte übrigens nicht sofort für die Rolle zu, weil der gerade vom Theater in Mailand kommende junge Mann seriöse Rollen spielen wollte. Sein Agent riet ihm jedoch: "Sage zu! Du hast nichts zu verlieren." Eine gute Entscheidung, wie sich heraus stellte. Da Nero bei der Produktion mit 23 Jahren deutlich zu jung für die Rolle des abgerissenen Bürgerkriegs-Veteranen aussah, musste er sich nicht nur einen Bart wachsen lassen. Es wurden ihm falsche Fältchen um die Augen geschinkt. Laut Nero hatte dies für ihn persönlich noch einen weiteren Vorteil: Wenn man ihn heute betrachtet und dagegen den Django von damals, denkt man er wäre kaum gealtert.

Überall auf der Welt war Django lange Zeit nur gekürzt oder auf dem legalem Wege gar nicht zu sehen. Gerade wegen der Szene, in der einem Typen ein Ohr abgeschnitten wird, war der Film beispielsweise in England 25 Jahre lang verboten. Einige Kritiker erkannten zwar schon damals, dass alles überspitzt inszeniert ist und - um es mit den Worten des zeitgenössischen Filmkritikers Franz Schöler zu sagen - "Die Kunst der Manieristen nicht vorab abschätzig zu bewerten sei", jedoch dauert es seine Zeit bis Django als Kultfilm und moderner Klassiker, der Filme aus verschiedenen Genres beeinflusst hat, anerkannt wurde. Heute befindet sich sogar eine Kopie des Films im Museum of Modern Art in New York.

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#4 innominate

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Geschrieben 05. Januar 2008, 14:35

Die Nacht der lebenden Toten
(Night of the living Dead)

Horror, USA 1968
Regie: George A. Romero
Drehbuch: George A. Romero, John Russo
Kamera: George A. Romero
Musik: Karl Hardman, Scott Vladimir Licina
Produzenten: Karl Hardman, Russel Streiner
Darsteller: Duane Jones, Judith O'Dea, Karl Hardman, Marilyn Eastman, Russell Steiner, Kyra Schon u.a.

Story:
Als sie das Grab ihrer Mutter besuchen, werden die Geschwister Barbara (Judith O'Dea) und Johnny (Russell Steiner) von einem Fremden angegriffen. Während Barbara fliehen kann, wird ihr Bruder von dem Mann getötet. Sie flieht in ein altes Farmhaus, wo sie auf den schwarzen Ben (Duane Jones) trifft. Dieser ist gerade dabei das Haus zu verbarrikadieren. Unzähligen selbstsam aussehende Wesen belagern sie und versuchen in das Haus einzudringen. Ben entdeckt, dass sich im Keller weitere Flüchtlinge verborgen haben, darunter ein Ehepaar mit ihrer von einem der Wesen schwer verletzten Tochter. Die Fernsehnachrichten sprechen von einer Katastrophe, der in der ganzen Provinz Menschen zum Opfer fallen. Doch die Toten stehen nach ihrem Ableben wieder auf und fallen ihre Mitmenschen wie Kannibalen an. Als die Übermacht der Untoten immer größer wird, planen die Menschen im Haus eine Flucht...

Filmbesprechung:
Als der junge Werbefilmer George Andrew Romero 1967 die Idee zu seinem ersten Spielfilm hatte, steckte die amerikanische Filmindustrie in einer quasi Krise. Die Hauptmarktanteile besaßen damals Kriegsfilme und Western. Diese beiden kommerziell bis dahin gewinnbringendsten Genres hatten aber mehr oder weniger ausgedient. Die mangelnde Beliebtheit für Kriegsfilme rührte selbstverständlicher Weise von dem damals allgegenwärtigen Krieg her, insbesondere natürlich das Treiben in Vietnam. Die "heilige Kuh" der Amerikaner, der Western, wurde durch den europäischen Markt mit Filmen wie Sergio Leone's Dollar-Trilogie und Sergio Corbucci's "Django" (1966) abgelöst. Einerseits überzeugte das Pubilkum auch in Übersee die realistische Machart der Spagetthi-Western, andererseits hatten die mit einem gesellschaftskritiken Unterton versehenen Italo-Western so genannter intelektueller Regisseure wie Sergio Sollima oder Damiano Damiani für die Hippiegeneration mehr zu bieten als die amerikanischen Edelwestern. Kein Wunder, dass sich nun auch US-Regisseure in ihren Western gegenwartsnäheren Themen annahmen. Als ein beliebtes Beispiel wäre Ralph Nelson's Meisterstück "Das Wiegenlied vom Totschlag" zu nennen. Aber die Gewinne, die in den 50ern durch die typsichen US-Western mit John Wayne und Gary Cooper gemacht wurden, konnten nicht mehr gedeckt werden. Die amerikanischen Regisseure mussten umdenken und sich an neue Genres wagen. Wie kaum ein anderer deutete George A. Romero die Zeichen der Zeit. Das Drehbuch für "Die Nacht der lebenden Toten" schrieb er zusammen mit seinem Freund John Russo und legte es verschiedenen Hollywoodstudios vor. Diese lehnten das Drehbuch aus diversen Gründen ab mit der Empfehlung, doch eine Liebesgeschichte einzubauen und die allzu expliziten Gewaltdarstellungen raus zu lassen. Außerdem hatte das Manuskript kein Happy End, was laut den Studios sowieso fatal ist. Romero und Russo dachten jedoch nicht daran, das Buch zu ändern und gründeten zusammen mit einigen Freunden, die alle mehr schlecht als Recht im Filmgeschäft tätig waren, ihre eigene Produktionsfirma Image Ten. Romero musste nämlich nach den Ablehnungen das Geld für die Finanzierung selbst auftreiben. Image Ten, das zur damaligen Zeit mehr als Projekt denn Firma bezeichnet werden musste, half ihm dabei. Mehr als 114.000 Dollar Budget sprang jedoch nicht heraus, von dem übrigens Schauspieler und Image Ten- Mitglied Karl Hardman einen Großteil stellte. Das kleine Budget war auch der Hauptgrund, warum der Film in Schwarzweiß gedreht werden musste. Obgleich sich die Crew natürlich über die Vorteile dieses Materials für einen Horrorfilm im Klaren war.

Eine wirkliche Beschränkung, die zu einem Glücksfall wurde, ist in der alles andere als namentlich bekannten Besetzungsliste zu finden. Man versteht es heute als Ironie, dass die Hauptcharaktere sowohl in "Die Nacht der lebenden Toten" als auch in Romero's zweiten Zombiefilm "Dawn of the Dead" (1978) schwarz sind. Im damaligen Hollywood ging ein Schwarzer gerade noch als Mann im Dienste des Staates mit tadellosen Manieren durch, wie ihn der Vorzeigeschwarze Sidney Portier in Norman Jewison's "In der Hitze der Nacht" (1967) verkörperte. "Black-Power" mit Pam Grier ("Coffy", 1973; "Foxy Brown", 1974) oder Richard Roundtree (Shaft, 1970) hielt erst einige Jahre später Einzug in die weißen Kinos. Ein "gewöhnlicher" Schwarzer als uneingeschränkt handlungstragende Figur zwischen Weißen, die in einer Szene sogar eine weiße Frau schlagen darf, war zu der Entstehungszeit von "Die Nacht der lebenden Toten" noch etwas völlig neues. Doch Romero verneinte eine beabsichtigte Provokation immer. Im Drehbuch wird der Hauptdarsteller nicht im terminus seiner Hauptfarbe beschrieben. Duane Jones war Romero's Meinung nach einfach der beste Schauspieler am Set und bekam deshalb die Rolle. "Ich habe bewusst keine neuen Dialoge geschrieben, nur weil er Schwarz ist. Ich habe alles so belassen und nach dem Script gedreht.", sagte Romero in einem Interview und offenbarte damit eine Sichtweise und einen Drang der Veränderung, die/der sich zumindest unterbewusst abspielte.

Ganz bewusst war dagegen seine gesellschaftskritischen Anspielungen und Allegorien. Die Zombies sind dabei ein Symbol für Randgruppen oder Minderheiten, mit denen sich die Gesellschaft nicht auseinandersetzen will. Ein Beispiel der Unterdrückung von Problemen unserer Gesellschaft. Die äußerst gewaltsame, wenn auch natürlich unsinnige vermeintliche Lösung am Ende wird gerade durch ihre Sinnfreiheit kritisch betrachtet. Bei der so genannten "Such und Vernichtungsaktion" wird der Befehls habende Sheriff als Mann dargestellt, der vergessen wurde in der Zeit als er an der Seite von John Wayne Indianer abgeknallt hat. Natürlich sind diese Symboliken und Anspielungen auch eine Stellungnahme zum Vietnamkrieg. Selbstredend wird diese Thematik in der deutschen Synchronfassung sogar angesprochen. Ein Nachrichtensprecher im Fernsehen verwechselt, wenn er über den Oberbefehlshaber der Einheit zur Tötung der Zombies spricht, Washington mit Saigon. Zunächst eine köstliche Verstellung, wenn Romero dies wirklich so gewollt hätte. Jedoch muss man ihm zugute halten, dass er sich mit solchen Plattheiten nicht zufrieden gab.
Eine weitere Kritik zeigt sich in der Darstellung des schroffen Kapitalisten Harry Cooper. Anstatt mit Ben gleich zu Beginn an einem Strang zu ziehen, will er das Kommando in die Hand nehmen und sich nicht auf Konversationen einlassen. Romero zeigt dies als Quelle der Gewalt, die sich als mindestens genauso tödlich erweist wie die Zombies, die versuchen ins Haus einzudringen. Interessant ist, dass die meisten Leute nicht direkt durch die Untoten ihr Leben verlieren, sondern durch die Streitigkeiten untereinander.

Als Meisterleistung Romeros zu bezeichnen ist, dass diese ganzen kritischen Anspielungen und Symboliken nicht davon ablenken, dass wir es hier mit einem Meilenstein des Horrorgenres zu tun haben. Sein besonderer Reiz liegt vor allem in seinem suggestiven Schrecken und seinen auch Jahrzehnte später noch verstörenden Bildern, wie man sie bis dato nicht gesehen hat. Anders als in der Quasi-Fortsetzung "Dawn of the Dead" gibt es hier aber keine allzu blutigen Splatter-Einlagen, sondern nur wenige aber gezielt eingesetzte Explizitäten. Im ersten Zombiefilm der nichts mit Voodoo oder anderen übernatürlichen Kräften zu tun hat (wie z. B. "White Zombie" aus dem Jahre 1932), ist noch wenig zu sehen von Romeros liebe zu Blut und Gedärmen. Genau die Tatsache, dass es in "Die Nacht der lebenden Toten" keine über die Untoten bestimmenden Voodoo-Priester gibt, sondern der Schrecken realitätsnäher ist, bewirkt auch das der Film der entscheidende Durchbruch für den modernen Horrorfilm war. Die Zombies tappten hier das erste mal nicht einfach nur willenlos von einem Voodoo-Zauber geleitet durch die Gegend, sondern stiegen aus eigener Kraft aus den Gräbern und kamen von überall her. Bezeichnend dafür ist folgende Szene, die auch eindrücklich das handwerkliche Können Romeros unterstreicht. Eine Nahaufnahme eines Zombies gibt den Blick frei auf eine Totale mit weiteren Untoten und eine "Vision der Verdammnis". Dies multipliziert den Horror weit über die Erwartungen des Zuschauers hinaus. Im Bezug auf das filmhandwerkliche gesehen, zeigt es Romeros Gespür für räumliche Designs. Und genauso werden nervenaufreibende Szenen gemacht. Dies war besonders zur damaligen Zeit sehr unkonventionell. Sich an Regeln bei der Bildregie und sich an formelle, nach Muster ablaufende Schnitte zu halten, war Romero zuwider. Diese, am Nervenkostüm des Zuschauers zerrenden, Szenen und schnelle Schnittfolgen lassen Vergleiche aufkommen zur Genialität eines Alfred Hitchcock.

Durch das Verhältnis zwischen Sozialkritik und Horrorelementen in den meisten seiner Filme, ist es schwer George A. Romero als Genreregisseur zu bezeichnen. Er selbst verstand sich sowieso erst spät als ein solcher. Er machte sich das Horrorgenre ganz einfach zu nutze, seine Feststellungen von politischen und sozialen Missständen auf die Leinwand zu bringen.
Die Nacht der lebenden Toten ist übrigens im New Yorker Museum of Modern Art ausgestellt, als einer der wegweisendsten Filme des modernen Kinos ab den 70er Jahren. Dort befindet er sich in guter Gesellschaft von einigen Filmen Alfred Hitchcock's und Tobe Hooper's "The Texas Chainsaw Massacre" aus dem Jahre 1974.


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Geschrieben 06. Januar 2008, 17:20

Dark Star

Science-Fiction/Satire, USA 1974
Regie: John Carpenter
Drehbuch: John Carpenter, Dan O'Bannon
Kamera: Douglas Knapp
Musik: John Carpenter
Produzent: John Carpenter
Darsteller: Brian Narelle, Andreijah Pahich, Carl Kuniholm, Dan O'Bannon u.a.

Story:
Vier Astronauten befinden sich auf einer mittlerweile bereits zwanzig Jahre dauernden Dienstreise durchs Weltall. Ihr Job ist es, aus der Umlaufbahn geratene Planeten mittels selbstständig denkender Atombomben zu zerstören. Das der Kommandant dieser Mission seit Jahren tot ist und - was noch schwerer wiegt - der gesamte Toilettenpapier verbrannt ist, wäre ja noch zu verkraften, aber als eine der Atombomben ihre Existenz zu hinterfragen beginnt, spitzt sich die Situation unangenehm zu...

Filmbesprechung:
"Dark Star" war der erste lange Spielfilm von John Carpenter, der später mit "Halloween - Die Nacht des Grauens" (1978) seinen kommerziellen Durchbruch schaffte. Heute gilt "Dark Star", der Capenter's Abschlussarbeit an der Filmhochschule war, als ein kleiner Kultfilm unter Carpenter-Fans und Sci-Fi-, bzw. Raumfahrt-Movie-Liebhabern. Der Low-Budget- Streifen ist jedoch kein typischer Raumfahrt-Film. Im Vordergrund steht eine Seite der Raumfahrt, die zeigt, wie die Weltraumpiloten Unterwäsche zum trocknen aufhängen und sich mit Problemen wie fehlendem Toilettenpapier herumplagen. Außerdem bietet "Dark Star" auch viel Witz und satirische Schärfe und so mutet er manchmal an wie die parodistische Antwort auf ähnlich gelagerte, aber ernste Filme wie z.B. Stanley Kubrick's "2001 - Oddysee im Weltraum" von 1969. Dies zeigt sich für mich einfach dadurch, dass er eben nicht die prunkvolle Seite und philosophische Bedeutungshuberei der Raumfahrt zeigt wie 2001, sondern die dreckige und vielleicht auch realistischere. Die Männer (von denen einer so gut wie nie mit den anderen zusammen ist) leben in Ödnis und Langeweile und sprechen kaum miteinander. Man bekommt wirklich den Eindruck, dass der Weltraum der Arsch der Welt ist.

Für mich ist dieser Film ein filmisches Juwel, allein schon wegen dem sehr einfallsreichen Dialog mit Bombe #20, der einen immer wieder zum schmunzeln bringt. Neben "Assault - Anschlag bei Nacht" (1976), "Die Klapperschlange" (1981) und "Das Ding aus einer anderen Welt (1982)" ist "Dark Star" mein Lieblingsfilm von John Carpenter. Eine geniale Humoreske auf die Raumfahrt. Die Gags sind zwar sparsam eingesetzt, erzielen aber ihre maximale Wirkung. Und weil es kein oberflächlicher Klamauk (à la Bully Herbig's "(T)Rraumschiff Surprise" aus jüngerer Zeit) ist, ist der Film sehr angenehm und hat eine einzigartige Atmosphäre. Schauspielerisch bewegt er sich auch auf gutem Niveau.
Einer der Weltraumpiloten, Dan O'Bannon, sollte etwas später eine der wichtigsten Personen im Sci-Fi-Genre werden. Er war Drehbuchautor u.a. von "Alien" (1979) sowie "Total Recall" (1990) und war für die Computer-Automationen bei "Star Wars" (1977) verantwortlich. Bei "Dark Star" war er nicht nur schauspielerisch tätig, sondern schrieb neben Carpenter auch am Drehbuch mit und war des weiteren für die Special Effects verantwortlich, die aber aufgrund der billigen Produktion nicht gerade bahnbrechend aussehen. Das tut dem Filmvergnügen jedoch keinen Abbruch, vielmehr macht auch dies den unvergleichlichen Charme dieses humorvollen Sci-Fi-Klassikers aus.

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Geschrieben 06. Januar 2008, 17:24

Assault - Anschlag bei Nacht
(Assault on Precinct 13)

Thriller, USA 1976
Regie: John Carpenter
Drehbuch: John Carpenter
Kamera: Douglas Knapp
Musik: John Carpenter
Produzent: J. S. Kaplan
Darsteller: Austin Stoker, Darwin Joston, Laurie Zimmer, Martin West, Charles Cyphers, Nancy Loomis u.a.

Story:
Eine Polizeistation in einem heruntergekommen Bezirk von L.A. soll geschlossen werden. In der letzten Nacht, ist der Polizist Bishop (Austin Stoker) beauftragt, die Stellung zu halten. In seiner Gesellschaft befinden sich zwei Frauen, die dafür zuständig sind Anrufe umzuleiten. Umwissend, dass die Station gar nicht mehr geöffnet hat, macht ein Gefangengentransport halt. Einer der drei veurteilten Mörder an Bord ist schwer krank. Während die Gefangengen in den Zellen schmoren und versucht wird einen Arzt aufzutreiben, taucht ein völlig verstörter Mann auf der von einer Streetgang hier her gejagt worden ist. Er hat ein Mitglied der Bande umgebracht, nach dem diese seine kleine Tochter ermordet hatten. Die Gang belagert die Polizeitstation und als sie zum Angriff übergehen, ist Bishop gezwungen die Gefangenen aus den Zellen zu lassen um mit ihnen zusammen eine möderische Schlacht einzugehen...

Filmbesprechung:
Von seinem ersten langen Spielfilm (seiner Abschlussarbeit an der Filmhochschule) "Dark Star" (1974) beeindruckt, stellte das Independent-Studio CKK Regisseur John Carpenter 100.000 Dollar zur Verfügung, um einen Film realisieren zu können. Das Studio redete ihm nicht in seine Arbeit rein, nur das schmale Budget setzte Grenzen. Er wollte eigentlich einen Western drehen. Einer seiner Lieblingsfilme war schon immer "Rio Bravo" (1959) von Howard Hawks. Doch schnell musste er feststellen, dass bereits für eine detailgetreue Ausstattung das gesamte zur Verfügung stehende Geld drauf gehen würde. Also entschloss er sich für einen Film, der in der Gegenwart spielt. Hawks' Western der 50er und 60er Jahre, besonders Rio Bravo hatten aber einen solch großen Einfluss auf ihn, dass er mit Assault - Anschlag bei Nacht eine Art Western im modernen Gewand machte. Sicher auch als Hommage an Howard Hawk's Gedacht, seinem Lieblingsregisseur, was er oft betont. Ein logischer Schritt war es, als er 1982 mit "Das Ding aus einer anderen Welt" sogar ein Remake von Hawk's gleichnamigen Sci-Fi-Abenteuer aus dem Jahre 1951 schuf.
Die Story die Carpenter in Assault erzählt, bietet tatsächlich Parellen zu Rio Bravo. Eine Gruppe von Leuten verschanzt sich in einem Haus (Hawk=Sheriffbüro, Carpenter=Polizeistation), das von einer Bande (Hawk=Banditen, Carpenter=Streetgang) belagert wird. Carpenter, der bei Assault auch den Filmschnitt übernahm, tat dies wie den Credits zu entnehmen ist unter dem Pseudonym John T. Chancler. So hieß John Wayne's Charakter in "Rio Bravo".
Sehr deutlich erinnert Assault aber auch an George A. Romero's Meisterwerk "Die Nacht der lebenden Toten" (1968). In der Grundstimmung und wenn die Gang, bzw. bei Romero Zombies angreifen und versuchen ins Haus zu kommen. Carpenter selbst bestätigt auch diesen Einfluss. Romero's Low-Budget-Movie stand für ihn jedoch in erster Linie als Beispiel, wie man aus einem niedrigen Budget alles heraus holt. In einem Interview sagte er mal: "Romero's Die Nacht der lebenden Toten hat alle Low-Budget-Filmemacher beeinflusst. Und wer etwas anderes sagt, lügt".

Assault war Carpenter's erster Film, bei dem an jedem Tag gedreht wurde. Bei "Dark Star" ging oft das Geld aus und die Dreharbeiten standen einige Tage lang still. Anders als viele seiner Schauspieler wie Austin Stoker, musste er sich erst an den vollen Terminplan gewöhnen. Das merkt man der Inszenierung aber nicht an. Der Film bietet eine sehr dichte Atmosphäre. Der Zuschauer wird in eine beklemmende Situation versetzt und man fühlt mit den gut gezeichneten Charakteren. Wie als wäre man selbst in dem Gebäude beobachtet man, wie die Männer und Frauen in der Polizeistation sich der erdrückenden Belagerung der Bande versuchen zu widersetzen. Alles ist dabei sehr subtil beschrieben und inszeniert. Angefangen bei den Charaktern, zwischen denen keine unnötigen Dialoge stattfinden, bis hin zu den sparsam aber besonders im Mittelteil wenn die Gangmitglieder mit aller Gewalt versuchen ins Haus zu kommen, eingesetzten Actionszenen.

Das Hauptaugenmerk lag für Carpenter ganz klar im Verhältnis der Figuren zueinander. Um die Situation zu bewältigen, müssen Polizist Bishop sowie Sekretärin und die Verbrecher zusammen halten, Seite an Seite kämpfen und sich gegenseitig vertrauen. So schafft es Capenter, aus dem Gewaltverbrecher Wilson überzeugend so etwas wie einen Helden zu machen und in dem Zuschauer Sympathien zu wecken. Carpenter ist jedoch weit davon entfernt, aus Wilson plötzlich einen guten Kerl zu machen. Im gemeinsamen Kampf um ihr Leben finden sie einfach einen gemeinsamen Konsens, der sie schließlich zum Triumph führt. Es ist keine Freundschaft, sondern ein Respekt der sich im Laufe des Films entwickelt. Den Charakteren bei dieser Entwicklung zu zusehen, macht den besonderen Reiz von Assault aus. Dem entgegen wird das Böse im Film, die Streetgang, nicht weiter vorgestellt. Zwar erfährt der Zuschauer, dass sie auf Rache sinnen und deshalb das Gebäude stürmen wollen. Aber wie die Gang entstanden ist, wer die Typen sind und was genau in ihren Köpfen vorkommt, wird weder dem Zuschauer klar noch den Leuten im Polizeirevier. Außer bei ihren Ritualen und Zielübungen auf Menschen aus einem Auto, bekommt man sie auch nur in der schockierensten Szene des Films in Großaufnahmen zu sehen. Ich spreche natürlich von der Szene, in der das kleine Mädchen kaltblütig erschossen wird. Welche übrigens auch der Grund ist, warum der Film von der MPAA damals keine Jugendfreigabe erhielt.
Das Böse als undefinierbare Macht dargestellt fängt in Assault an und zieht sich durch Carpenter's filmisches Œuvre wie ein roter Faden. Wer oder was ist dieser Michael Myers, der nicht tot zu kriegen ist, wirklich? Was verbirgt sich in dem dichten Nebel? Der Zuschauer muss die Existenz des Bösen auch in Carpenter's kommerziellen Durchbruch "Halloween - Die Nacht des Grauens (1978)" sowie in "The Fog - Nebel des Grauens" (1980) einfach als gegeben hinnehmen. Auch in anderen seiner Filme bekommt man nur wenig über das Unheil erzählt. Aber eins ist klar: Renn oder kämpfe, sonst wird es dich holen!

Wofür Carpenter auch bekannt ist, ist die Musik. Diese hat er in fast allen seinen Filmen selbst komponiert. Das Halloween-Theme ist sicher sein bekanntestes. Eine minimale Tonabfolge erzeugt hier ungeheure Spannung. Von vielen als eine seiner besten, wenn nicht sogar seine beste Filmmusik bezeichnet wird auch die zu Assault. Sie versetzt den Zuschauer in eine Spannung, aus der es kein entrinnen zu geben scheint. Im Film eingesetzt erzeugt sie so noch mal eine zusätzliche Spannungsebene. Wie auch der Film selbst, ist die Musik als minimalistisch zu bezeichnen - aber als ungeheuer effektiv. Das Haupttheme wurde später sogar von DJ's in Remixen verwendet. Beispielweise in dem Song "Bombing Bastards" der Elektro-Band Terranova aus dem Jahre 1999.

Wenn man an John Carpenter denkt, fällt einem sofort "Halloween" ein. Natürlich ist dies auch berechtigt, schuf er doch mit diesem Film den ersten kommerziell erfolgreichen typischen Slasher und ebnete damit den Weg für alle Freddy Krueger's und Jason Vorhees' dieser Welt. Doch fragt man Filmfreunde oder Carpenter-Fans nach seinem besten Film, fällt der Titel Assault mindestens genauso oft. Der Film ist eine Perle, die lange Zeit beinahe in Vergessenheit geraten war aber in den letzten ca. 10 Jahren absolut zu Recht ein Revival erfuhr. So etwas zeigt sich natürlich auch in Remakes, weshalb die Wiederauflage aus dem Jahre 2005 mit Laurence Fishburne und Ethan Hawke in den Hauptrollen an dieser Stelle erwähnt werden muss. Aber auch sonst zeigt sich der Einfluss von Assault unbestritten in vielen Filmen von modernen Filmemachern, nicht zuletzt Quentin Tarantino. Was den bescheidenen John Carpenter selbst übrigens darauf angesprochen immer wieder zum lachen bringt.

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Geschrieben 08. Januar 2008, 11:06

Rosemary's Baby

Horror/Thriller, USA 1968
Regie: Roman Polanski
Drehbuch: Roman Polanski
Kamera: William A. Fraker
Musik: Krzysztof Komeda
Produzent: William Castle
Darsteller: Mia Farrow, John Cassavetes, Ruth Gordon, Sidney Blackmer, Maurice Evans, Ralph Bellamy, Patsy Kelly u.a.

Story:
Das jung verheiratete Paar Rosemary und Guy Woodhouse (Mia Farrow, John Cassavetes) zieht in ein altes Mietshaus. Schon bald lernen sie ihre Nachbarn Minnie und Roman Castevet (Ruth Gordon, Sidney Blackmer) kennen. Ein altes Ehepaar - zwar etwas aufdringlich, aber liebenswürdig. Nachdem der Schauspieler Guy durch die unerklärliche Erblindung eines Konkurrenten überraschend die Hauptrolle in einem Broadway-Stück erhält, schlägt er Rosemary vor, ein Kind zu haben. In der geplanten Liebesnacht ist Rosemary benommen. Scheinbar vom Alkohol... In einem furchtbaren Alptraum sieht sie sich von Guy, den Castevets und deren Freunden umringt, während sie selbst von einem teufelähnlichen Wesen vergewaltigt wird. Tatsächlich findet sie am nächsten Morgen zahlreiche Kratzspuren auf ihrem Körper und die Castevet sind sehr interessiert an dem gedeihen des Kindes...

Filmbesprechung:
Mit seinem ersten in den USA gedrehten Film greift Roman Polanski erneut sein Leitmotiv "Individuum gegen Umwelt" auf. Ein Mensch befindet sich in einer Situation, in der er von einer scheinbar oder tatsächlich feindlichen Umwelt in die Enge getrieben wird. Dieses Leitmotiv ist neben Rosemary's Baby u. a. in "Ekel" (1965), "Tanz der Vampire" (1967), "Der Mieter" (1976) und "Tess" (1979) zu sehen. Auch in seinem ersten (vollendeten) Kurzfilm "Zwei Männer und ein Schrank" aus dem Jahre 1958 ist dieses Motiv schon zu erkennen. Die Vorlage der Story von "Rosemary's Baby" entstammt dem gleichnamigen Roman des Broadway-Autors Ira Levin. Damit war dieser Film nicht nur Polanskis erster in Hollywood gedrehter Spielfilm, sondern auch der erste bei dem er aus einer anderen Quelle schöpfte. Interessant auch die Tatsache, dass Polanski mit dieser Arbeit der erste Regisseur aus einem Ostblockland war, der einen Auftrag in Hollywood erhielt. Produzent und Studiodirektor von Paramount, Robert Evans, lud Polanski Mitte 1967 in die Filmhauptstadt ein und gab ihm das Buch Levin's zu lesen. Produzent William Castle, erfolgreicher B-Movie-Regisseur der 50er und 60er Jahre, hatte sich kurz zuvor die Rechte an einer Verfilmung gesichert und hielt Polanski für den geeigneten Regisseur. Polanski erzählte mehrfach in Interviews, dass er von dem Roman so gefesselt war und ihn deshalb in nur einer Nacht durchlas - "...bis die Augen brannten." Gleich am nächsten morgen erklärte er sich bereit, ihn zu verfilmen. Evans und Produzent Castle erklärten sich wiederum bereit, Polanskis Bedingung den Roman nicht allzu sehr verändern zu müssen, obwohl dies damals in Hollywood gängige Praxis war. Auch waren sie damit einverstanden, Polanski das Drehbuch im Alleingang schreiben zu lassen. Ein großer Vertrauensbeweis für den kleinen polnischen Regisseur, zu Mahl dies eine Premiere für ihn war. Hatte er doch bisher alle Drehbücher zusammen mit seinem Freund und Kollegen Gèrard Brach geschrieben. Der Grund warum Polanski derart erpicht darauf war, sich bei der Adaption sehr eng an die Vorlage halten zu können, mag wohl die Erkenntnis gewesen sein, wie viel Ähnlichkeiten sie vom Thema her mit seinen bisherigen Filmen hatte (Leitmotiv "Individuum gegen Umwelt"). Später erklärte Ira Levin sogar, beim schreiben seines Romans an Polanskis Filme gedacht zu haben und von ihnen inspiriert gewesen zu sein.

"Rosemary's Baby" wurde Polanskis bis dato größter "Box Office"-Erfolg und der Roman von Ira Levin erst darauf hin ein Bestseller. Es ist eine Horror-Geschichte, die ihren Horror aber vor allem daraus gewinnt, das alles so real und als könne es jeden treffen wirkt. Man kann den Film noch so oft sehen, die Beklemmung die Rosemary empfindet überträgt sich immer wieder auf den Zuschauer. Es ist schon eine grauenhafte Vorstellung, dass man von jemanden den man liebt und dem man vertraut, verraten wird und Opfer eines zu scheußlichen Komplottes wird. Ganz davon abgesehen, dass man den Film auf keinen Fall werdende Mütter sehen lassen sollte. Levin und Polanski griffen ganz bewusst die Ängste von Schwangeren auf, die in einer instabilen Umwelt zu Neurosen führen können. Dabei wird "oft eine ambivalent-gestörte Beziehung zum Kind gefunden, die die Mutter eben nur in der Psychose (interesselos, aggressiv oder zwanghaft besorgt) offen zu äußern sich traut", wie Prof. Dr. med. Dr. phil. Klaus Dörner in seinem Buch Irren ist menschlich schreibt. In "Rosemary's Baby" geht es aber noch weit über eine Psychose hinaus, denn eine Verschwörung gegen die dramatische Hauptfigur gibt es wirklich. Polanski tat alles dafür, die Erklärungsmöglichkeiten es sei alles nur eine Halluzination Rosemary's zu vernichten. Dies ist genau die Variation seines Lieblingsthemas des Individuums gegen die Umwelt. Sowohl in "Ekel" als auch in "Der Mieter" wird der Hauptcharakter mit seinen Neurosen mit einer einfach gesagt "normalen" Welt konfrontiert, während die psychisch intakte Rosemary auf eine "verrückte" Welt stößt. Und da man sich so mit Rosemary identifiziert (was natürlich auch ein riesengroßer Erfolg des Spiels der sympathischen Mia Farrow ist), leidet man als Zuschauer spätestens wenn "Rose" dem Pakt auf die Schliche kommt, fast selbst unter Angstzuständen.
Das Unbehagen welches einen beim schauen des Films aufgrund der ohnehin schon schrecklichen Ereignisse erfasst, wird bis ins unermessliche gesteigert durch den geschickten Spannungsaufbau und die grandiosen schauspielerischen Leistungen. Alle Akteure agieren so überzeugend, dass man ihnen jede winzig kleine Regung abnimmt. Abgesehen davon, dass Sidney Blackmer als Roman Castevet allein durch seine spitzen Augenbrauen schon wie der Teufel in Person und damit zum gruseln aussieht. Apropos Teufel: Natürlich wurde der Film aufgrund seiner Thematik und einiger Kirchenkritischer Anspielungen von Seiten der Kirche arg kritisiert. Von der "National Catholic Office for Motion Pictures" (NCOMP) wurde er wegen "Perversion fundamentaler christlicher Glaubensvorstellungen" und "Verhöhnung religiöser Persönlichkeiten und Gebräuche" mit dem Prädikat "C" für "Condemned" (dt.: "Verflucht") belegt. Die Jury fügte hinzu, dass "die äußerst exzellente technische Gestaltung des Films dazu dient, seine diffamatorische Wirkung zu verstärken." Damit schoss sich die NCOMP aber letztlich ins eigene Bein, da sich zum erste Mal eine Major Company wie Paramount nicht scheute, einen Film mit dieser Note unter ihrem Namen zu veröffentlichen. Damit wurde ein Tabu gebrochen und der Einfluss der Kommission ging in der Folgezeit rapide zurück. Übrigens erhielten zuvor schon Polanskis Filme "Das Messer im Wasser" (1962), "Ekel" und "Wenn Katelbach kommt..." (1965) die C-Note "wegen freizügiger sexueller Szenen".

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Geschrieben 12. Januar 2008, 19:06

Der Mieter
(Le Locataire)

Psychothriller, Frankreich 1976
Regie: Roman Polanski
Drehbuch: Roman Polanski, Gérard Brach
Kamera: Sven Nykvist
Musik: Philippe Sarde
Produzenten: Andrew Braunsberg, Alain Sarde
Darsteller: Roman Polanski, Isabelle Adjani, Melvyn Douglas, Jo Van Fleet, Shelley Winters, Bernard Fresson u.a.

Story:
Der schüchterne, freundliche Büroangestellte Trelkovsky (Roman Polanski) ist ein einsamer Junggeselle. Auf Wohnungssuche zieht er in ein Appartment ein, aus dem sich die Vormieterin aus dem Fenster stürzte, wie die Concierge des Hauses (Shelly Winters) zu berichten weiß. Auch aus moralischen Gründen beginnt sich Trelkovsky immer unwohler in der Wohnung zu fühlen. Er halluziniert, hört Geräusche und identifiziert sich zunehmend mit der Toten. Der ängstliche Mann sieht in allen Nachbarn eine Bedrohung und ist sich sicher das Opfer einer Verschwörung zu sein. Schließlich ist sein Verfolgungswahn so stark, dass auch er sich zu Tode stürzen will...

Filmbesprechung:
Das Drehbuch zu Der Mieter schrieb Polanski zusammen mit Gérard Brach (häufiger Co-Autor bei Polanskis Filmen) in der Rekordzeit von nur sechs Wochen. Als Inspiration und grobe Vorlage diente der 1964 erschienene Roman Le Locataire chimèrique von Roland Topor, einem guten Bekannten von Polanski. Da der Film in Paris gedreht wurde, der in Frankreich geborene Pole Polanski einige Jahre zuvor die französische Staatsbürgerschaft annahm und der Film von einer französischen Produktionsfirma heraus gebracht wurde, gilt der Film als französischer Film und wurde somit 1976 auch als Wettbewerbsbeitrag Frankreichs bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes aufgeführt.
Darstellerisch wirkten aber bis auf einige Nebendarsteller, Isabelle Adjana und Polanski selbst ausschließlich amerikanische Darsteller mit, von denen einige mehrfach "Oscar-gekrönt" waren - Shelly Winters, Melvyn Douglas und Jo Van Fleet. Als Kameramann fungierte Sven Nykvist, Stamm-Kameramann des großen Ingmar Bergmann.
Doch genug von der (interessanten) Cast & Crew- Besetzung, hin zur Besprechung des sehr spannend inszenierten Film, der eine ungeheure Tiefe auf der Deutungsebene bietet. Selten gibt es in einem Film so viele Symboliken und Metaphern zu entdecken wie in diesem eher unbekannten Werk Polanskis. Zunächst einmal verdeutlicht er Polanski als Regisseur, dessen Œuvre eine durchgänge Struktur zu bieten hat. Das Thema "Individuum gegen Umwelt" findet sich in den meisten Filmen des Ausnahme-Filmemachers wieder. Ein Mensch befindet sich in einer Situation, in der er gegen eine scheinbar oder tatsächlich (dies variiert von Film zu Film) feindliche Umwelt ankämpft. Dieses Leitmotiv ist neben Der Mieter u.a. in Ekel (1965), Tanz der Vampire (1967), Rosemary's Baby (1968) und Tess (1979) zu sehen. Auch in seinem ersten (vollendeten) Kurzfilm Zwei Männer und ein Schrank aus dem Jahre 1958 ist dieses Motiv schon zu erkennen. Besonders in seinem zweiten Spielfilm Ekel und dem nun vorliegendem Der Mieter geht es darum, dass das Individuum nicht mit der "normalen" Umwelt klar kommt und dadurch psychisch krank wird.
Polanski selbst spielt Trelkovsky, der mit seiner beinahe unterwürfigen Bescheidenheit versucht, es all seinen Mitmenschen Recht zu machen. Er selbst nimmt sich immer zurück, passt sich wie ein Chamäleon seiner Umgebung an. Die Nachbarn stehen beim kleinsten Geräusch sofort auf der Matte und bitten ihn um mehr Ruhe - und der ängstliche Mann gehorcht natürlich aufs Wort. Lieber frisst er seine Aggressionen in sich hinein. Solche Wesenszüge sind keine Seltenheut bei Leuten, doch bei Trelkovsky sind sie so stark ausgeprägt (und noch intensiver beschrieben als im Roman von Topor, der dies eher durch Nebenhandlungen vermittelt), das es sich bis in eine schwere Identitätskrise steigert. Das ganze geschieht in Verbindung mit der Wohnung, die ohnehin nicht gerade Sicherheits vermittelnd ist. Sieh wirkt auf Trelkovsky gar unheimlich und da wir die Ereignisse meistens aus seiner Sicht sehen, auch auf den Zuschauer. Trelkovsky halluziniert und man sieht Dinge, die teilweise real sein könnten. Beispielweise sind die Risse an den Wänden wohl tatsächlich da. Wenn man bedenkt, das auch sein Leben und seine Identität immer mehr "Risse" bekommt, kann man dies aber auch als Metapher sehen. Manche Dinge sind aber definitiv nur als Einbildung zu deuten, wie die nur auf dem Nachttisch "aufgeklebte" Wasserflasche sowie ein Glas nach denen Trelkovsky in einem seiner Fieberwahne tappt.
Diesen subitlen Veränderungen entgegen stehen deutlichere (und in der Handlung unabdingbare) Anzeichen einer Persönlichkeitsveränderung. Er mischt sich nicht nur immer mehr in die Vergangenheit der verstorbenen Simone Choule ein, sondern umgibt sich auch mit ihren Freunden wie der selbstbewussten Stella und bekommt Dinge wie Kaffee und eine bestimmte Zigarettenmarke aufgedrängt, die die scheinbar beliebte Simone gerne zu sich genommen hat. Die schwache Persönlichkeit Trelkovsky's verkraftet diese Entwicklung seines Alltags und Lebens nicht und sie wird für ihn immer bedrückender. Die Störung seiner Persönlichkeit wird auch in folgender Szene deutlich: Als er eines Tages eine Vorladung aufs Polizeirevier bekommt und ihm Vorwürfe wegen seines nächtlichen Lärmens gemacht werden, wird sein Personalausweis bemängelt, der in einem sehr schlechten Zustand ist - wie seine Identität selbst.
In seiner Bedrängnis täuscht er sich selbst vor, eine Verschwörung der Nachbarn und überhaupt aller Leute wäre gegen ihn im Gange. Zunächst sieht es auch für den Zuschauer so aus (und möglicherweise beim ersten mal schauen den ganzen Film hindurch), doch spätestens beim wiederholten ansehen des Films wird klar: Trelkovsky ist psychisch erkrankt. Seine Krankheit "besteht sowohl aus einer Störung des Verhältnisses zu seiner Umwelt (paranoide Neurose), als auch zu seinem Ich (Schizophrenie)", wie Paul Werner in seinem Buch über den Regisseur fest stellt. Wie der Medienwissenschaftler und Schriftsteller Werner weiter treffend bemerkt, werden alle klassischen Symptome einer solchen Krankheit in verschiedene Szenen eingekleidet. Beispielsweise zeigen sich Wahrnehmungsstörungen durch Veränderungen des Zimmers und Derealisation durch die Deutung aller Verhaltensweise seiner Mitmenschen als potentielle Bedrohung. Ebenfalls zeigt sich eine Depersonalisation, in der Personen Teile ihres Körper als fremd empfinden. Letzteres Symptom macht sich in folgender Szene bemerkbar: In einer Unterhaltung mit Stella, der Trelkovsky länger als allen anderen Personen vertraut, philosofiert er makaber über das Verhältnis von Körper und Ich: "Von welchem Augenblick an besteht das Individuum als solches nicht mehr? Mir wird ein Arm amputiert, ich sage: ich und mein Arm. Mir werden beide Arme und Beine amputiert, ich sage: ich und meine Glieder. Man schlägt mir meinen Kopf ab, was soll ich sagen? Ich und mein Körper oder ich und mein Kopf? Mit welchem Recht maßt sich mein Kopf an, zu denken er sei ich?"
Sein gestörtes Verhältnis zu seinem Körper steht auch im Zusammenhang mit dem Verlust eines Zahnes. Er verliert ihn, gerade als er sich mit der verstorbenen Simone Choule zu identifizieren beginnt. Doch das dies noch nicht alles in Zusammenhängen war, verdeutlich die Szene, in der er einen Zahn findet, der von Simone stammen muss. Auch sie hat also während ihres Aufenthaltes in dieser Wohnung einen Zahn verloren. Einerseits zeigt dies das erste Mal deutlich, dass Simone vermutlich die gleiche Pein (die aber erst durch eine psychische Krankheit zu seiner solchen wird) durch die Nachbarn erlebt hat wie Trelkovsky. In Verbindung mit Anspielungen auf die altägyptische Mythologie beispielsweise durch die mit Hieroglyphen versehene Toilette des Hauses oder die wie eine Mumie in einem Verband eingehüllte Simone lässt es andererseits aber auch vermuten, das bei den Vorkommnissen und Halluzinationen Trelkovsky's übernatürliche Kräfte im Spiel sind. Tatsächlich sind neben einigen realen Ereignissen viele Dingen nur auf der phantastischen Ebene zu erklären. Ach ja, und die Zähne stellen demnach als Phallussymbol einen Verweis dar auf die ägyptische Legende des Osiris an dessen verlorenen Penis. In Der Mieter verliert die Hauptfigur also nicht einfach nur seinen Zahn, sondern seinen Phallus, sein Geschlecht (Trelkovsky kleidet sich in ein Kleid der verstorbenen Simone Choule) und seine gesamte Identität.
Doch warum hat Polanski und in abgespeckter Form auch Topor in seinem Roman diese Anspielungen auf altägyptischen Glauben und Religion verwendet? Wiederum muss man hierzu eine Verbindung herstellen. Diesmal zu einer weiteren Vorliebe von Polanski, neben den thematischen Leitmotiven. Fast alle seine Filme haben eine dramaturgische Struktur, die als kreisförmig oder zyklisch zu bezeichnen ist. Sieht man sich den Schluss mit diesem Hintergrundwissen an, erscheint es nicht mehr so unsinnig, das am Krankenbett in dem nun anstatt Simone Choule der arme Trelkovsky liegt, ein zweiter Trelkovsky steht. Die Annahme liegt nahe, dass auch dieser "neue Mieter" das gleiche Schicksal durchlaufen wird wie Simone und Trelkovsky. In dem Körper des neuen Mieters wird sich bald wieder der Geist des zuvor Verstorbenen einfinden. Und mit diesem Gedanken bekommen auch die Verweise auf die altägyptische Mythologie und deren Vorstellung von einem Weiterleben nach dem Tode eine Bedeutung. Gewissermaßen wird diese Entwicklung schon in der Eingangsszene, über die die Credits laufen, deutlich. Diese, mit ihren Schwenks künstlerisch sehr wertvoll gestaltete Szene zeigt zunächst ein Fenster, hinter dem das Gesicht Trelkovsky's zu sehen ist und durch Überblendung in das Gesicht einer Frau verwandelt und zurück. Weiterhin ohne Schnitt schwenkt die Kamera über weitere Fenster und einen Kamin zur Eingangstür, durch die in diesem Moment Trelkovsky zum ersten Mal das Haus betritt.

Die visuellen übernatürlichen, phantastischen Elemente (hier beispielweise Risse in der Wand und veränderte Gesichter der Menschen) benutze Polanski wie schon in Ekel, um den Horror des Alltags der Hauptfigur zur Verdeutlichung bis ins Surreale zu überspitzen. Wie in einem Gruselfilm muten seine handwerklich sehr originell und auch nach Ekel noch in der Filmwelt ungewöhnlichen Lichtveränderungen und Kamerawinkel an, mit denen er in einigen alptraumhaften Szenen auf das Anderthalbfache vergrößerte Nachbildungen der Wohnung und diverser Gegenstände in Szene setzt. So entsteht eine beklemmende Atmosphäre, in die man versetzt wird und der Hauptfigur bei ihrem psychischen Verfall zusieht als wäre man hautnah dabei. Polanski macht dabei auch vor der Kamera eine tolle Figur. Selten meistert ein Filmemacher die Schwierigkeit Regisseur und Hauptdarsteller in einer Person zu sein so perfekt wie Polanski, was sich auch eindrucksvoll in seinem wohl populärsten Film Tanz der Vampire aus dem Jahre 1967 zeigt.

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Geschrieben 13. Januar 2008, 15:19

Faster, Pussycat! Kill! Kill!

Thriller, USA 1965
Regie: Russ Meyer
Drehbuch: Jack Moran, nach einer Story von Russ Meyer
Kamera: Walter Schenk
Musik: Igo Kantor
Produzent: Russ Meyer
Darsteller: Tura Satana, Haji, Lori Williams, Stuart Lancaster, Paul Trinka, Susan Bernard u.a.

Story:
Die drei Go-Go-Tänzerinnen Varla (Tura Satana), Rosie (Haji) und Billie (Lori Williams) haben genug von ihrem Job und den lüsternen Männern. Sie hauen mit ihrem Auto in unbestimmte Richtung ab. An einer Tankstelle erfahren sie von einer Ranch und einem dort lebenden alten Sack mit viel Geld. Die drei beschließen dort unter einem Vorwand hinzufahren und den Alten auszunehmen. Dieser lebt auf seinem "Anwesen" zusammen mit seinen zwei Söhnen. Die Männer sind zunächst erfreut über den Damenbesuch, doch bald merken sie worauf es die Frauen wirklich abgesehen haben und um an ihr Ziel zu kommen auch vor Mord nicht zurück schrecken...

Filmbesprechung:
Ausnahmsweise habe ich mal nicht den deutschen Video-, bzw.- DVD-Titel angegeben, denn der hört sich wirklich selten dämlich an, obwohl sich deutsche Titelgeber in der Filmgeschichte oft skurrile Sachen einfallen haben lassen. Aber wer sich Die Satansweiber von Tittfield ausgedacht hat, muss entweder viel oder gar keine Phantasie besitzen.
Der Film jedenfalls gilt zu recht als Wegbereit für viele ähnlich gelagerte Exploitation-Filme wie Switchblade Sisters (1975) von Jack Hill, in denen Frauen die Hauptfiguren spielen und Männern in Sachen Gewaltbereitschaft in nichts nachstehen. Der Film entstand noch bevor die Emanzipationsbewegung Ende der 60er Jahre richtig los ging und hat zu dieser Bewegung auch viel beigetragen, sagt man sich zumindest. In den 90er Jahren erlebte er in der lesbischen Szene eine große Renaissance. Nun bin ich weder eine Frau noch lesbisch, kann also nicht beurteilen wie viel der Film wirklich für die Frauenbewegung getan hat oder er in lesbischen Kreisen wirklich bedeutet. Jedoch würde ich nicht sagen, dass der Film feministisch ist. Genauso wenig wie Kult-Regisseur Russ Meyer Feminist war. Bekannt wurde der ungekrönte Busen-König durch seine billig produzierten Sexfilme, die er meist mit Frauen mit großen Brüsten besetzte. Filme wie Vixen (1968), Supervixens (1975) und Megavixens (1969; im Original Cherry, Harry and Raquel, also keine Vixen-Triolige) sind Filme mit viel Sex, aber auch Gewaltszenen. Seine Werke, die damals als Pornographie galten heute aber höchstens noch als Softcore bezeichnet werden können, werden auch Sex & Crime-Movies genannt oder mit dem Fachausdruck Sexploitation betitelt. Er revolutionierte den Sexfilm und sein Einfluss auf die Darstellung von Nacktheit und Sex im Medium Film war ohne Zweifel enorm. Vixen hat eine Szene, in der eine Frau eine andere verführt. Zwar wird der Sex zwischen den beiden nur angedeutet, aber wie sich die beiden Frauen berühren ist sehr erotisch und lesbische Liebe so offen gezeigt war damals neu. Es sollte nicht Meyers einzige Lesbenszene in seinen Filmen bleiben, was seinen Bekanntheitsgrad in der gleichgeschlechtigen Frauenbewegung festigte. Mit Der unmoralische Mr. Teas (1959), sein erster Spielfilm, drehte er einen Nudistenfilm, der sich von anderen zu dieser Zeit aber abhebte aufgrund seines Humors. Es geht um einen Mann, der gerne Frauenbrüste betrachtet - wie Meyer zu Lebzeiten (er starb am 18. September 2004 als sicher glücklicher Mann) selbst. "Wenn ich mich nicht so sehr für Busen interessiert hätte, hätte aus mir vielleicht ein großer Filmemacher werden können.", sagte Meyer einmal.
Und genau diese Vorliebe für Frauenbrüste und die Tatsache, dass er diese auch gerne und oft in seinen Filme zeigte, hat zur Folge das seine Filme vor allem von Männern gesehen werden - und eben nicht von Frauen. Und das ist eine Tatsache. Daher kann ich persönlich in ihm keinen Mann sehen, der die Emanzipation der Frau forderte. Sicher, die Männer in vielen seiner Filme und ganz besonders auffallend in Faster Pussycat! Kill! Kill! werden als armseelige Würstchen oder geile Böcke da gestellt und die Frauen sind ihnen in vielerlei Hinsicht überlegen. Gerade der Muskelprotz unter den Söhnen des Alten ist der hirnloseste von allen. Aber, und so viel sei auch Leuten die den Film noch nicht gesehen haben verraten, am Ende müssen sie für ihr Verhalten auch bezahlen.

Von der Diskussion, was in diesem Film nun emanzipationistisch ist und was nicht abgesehen, ist der Film aber ein Höchstgenuss auf B-Movie- Niveau. Ein großes Vergnügen mit allen Zutaten, die ein guter Exploitation-Film braucht: Gewalt, Action, coole Musik, Witz und Sex. Letzteres fällt in Faster, Pussycat! Kill! Kill! zwar im Vergleich zu den meisten anderen Filmen von Meyer eher weniger durch nackte Tatsachen auf (mit einem nackten Rücken muss man(n) sich hier begnügen), aber wie sich die Damen benehmen ist schon sehr reizvoll. Vom Aussehen her spricht mich zwar die blonde und tanzwütige Billie eher an, aber die Anführerin Varla macht ihr toughes Verhalten durchaus auch sexy. "I never try anything. I just do it." sagt sie und bricht ohne Probleme einem ihr von der Statur eigentlich nicht unterlegenen Mann das Genick. Dargestellt wird Varla von Tura Satana, die japanischer, halb cherokee-indianischer Herkunft ist und durch ihre äußere Erscheinung die Idealbesetzung für die dunkle Anführerin ist. Satana hat durch diesen Film auch einen gewissen Kultstatus unter Fans erreicht. Zu Beginn ihrer leider eher mageren Karriere war sie zu sehen als mehr oder weniger Statistin in den Hollywood-Produktionen Das Mädchen Irma la Douce (1963) mit Jack Lemmon sowie Shirley MacLaine und Wer hat in meinem Bett geschlafen? (1963) mit Dean Martin. Die einzigen Filme in denen sie noch größere Rollen spielte waren 1968 in der Trash-Granate Astro-Zombies und der B-Actioner The Doll Squad (1973).

Faster Pussycat! Kill! Kill! ist handwerklich sehr gut gemacht, was man von den meisten Meyer-Filmen behaupten kann (jedenfalls ich von denen, die ich bisher gesehen habe). Man merkt dem Film in seinen ausgefallenen Kamerawinkeln, Detailgenauigkeit in der Inszenierung und Kameraarbeit allgemein einen gewissen Perfektionismus an. Meyer setzte auf Kamerastellungen oft aus einem sehr tiefen Blickwinkel, um die Darstellerinnen noch voluminöser, größer oder bedrohlicher wirken zu lassen. Rasante Schnittfolgen geben dem Film ein hohes Tempo. Er befindet sich sogar im Archiv des New Yorker Museum of Modern Art. Russ Meyer hatte recht mit seiner weiter oben bereits zitierten Aussage, dass aus ihm ein großer Filmemacher hätte werden können. Aber ich bin nicht traurig, dass er es nicht geworden ist.

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#10 innominate

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Geschrieben 14. Januar 2008, 18:47

Blutige Seide
(Sei donne per l'assassino)

Thriller (Giallo), Italien/Deutschland 1964
Regie: Mario Bava
Drehbuch: Mario Bava, Giuseppe Barilla, Marcello Fondato
Kamera: Ubaldo Terzano
Musik: Carlo Rustichelli
Produzent: Alfredo Mirabile, Massimo Patrizi
Darsteller: Eva Bartok, Cameron Mitchell, Dante Di Paolo, Thomas Reiner u.a.

Story:
In einem Modesalon in Rom sorgt eine Handtasche für erhebliche Aufregung. Offenbar enthält diese ein Geheimnis, das den Damen und Herren der Modeszene zum Verhängnis werden könnte. Schon bald treibt ein maskierter Mörder sein Unwesen...

Filmbesprechung:
Soweit kurz zusammen gefasst die Story dieses Klassikers des Giallo-Films. Giallo, so werden die italienischen Thriller der 60er, 70er und auch noch Anfang 80er Jahre genannt. Giallo bedeutet schlichtweg gelb und bezeichnet die Farbe des typischen Umschlages italienischer Kriminalromane.
Wichtigste Regisseure dieses Genres sind Dario Argento (Tenebre, 1982) und Mario Bava. War Bava mit Filmen wie Die Stunde wenn Dracula kommt (1960) und Der Dämon und die Jungfrau (1963) Anfang der 60er noch im Horrorgenre zu Hause, widmete er sich ab Blutige Seide mehr dem Bereich Thriller zu - aber immer mit einer Portion Grusel. So gilt Blutige Seide als das Pionierwerk des Giallo, das viele andere Regisseure (auch Argento) inspirierte. Im Gegensatz zu Argento, dem bekanntesten Giallo-Regisseur, setzte Bava - sicher auch Entstehungszeit bedingt - nicht so sehr auf Blut und andere Explizitäten. Zwar sind die Morde recht brutal, dennoch bleibt dem Zuschauer genug Platz für eigene Fantasien. Durch den starken Einsatz der Farbe Rot bei den Ausstattungsgegenständen wie z. B. einem Telefon wird Blut auf andere Weise suggeriert. Womit wir auch schon beim visuellen wären, dass genrell bei Giallos wichtiger ist als die Handlung. Diese ist auch bei Blutige Seide recht einfach gestrickt und bleibt eigentlich immer ziemlich vorhersehbar. Bava gelang ein visuelles Meisterwerk, das zehn Jahre später selbst Dario Argento kaum besser hinbekam. Es dominieren die prachtvoll ausgestatteten Sets, die hervorragende Kamera und die betonte Ausleuchtung mit einer starken Farbdramaturgie. Und bei einem guten Giallo wie Blutige Seide fallen auch die Beschränkungen eines niedrigen Budgets nicht auf. Beispielsweise benutze der gelernte Kameramann Bava statt eines Kamera-Dollys einen handelsüblichen Kinderwagen, setzte da die Kamera drauf und konnte somit lange aber trotzdem ruhige Kamerafahrten realisieren. Wenn schon das Budget nicht stimmt, muss man zumindest ideenreich sein.
Geldmäßig war wohl auch die deutsche Co-Produktion nicht wirklich hilfreich. Von den deutschen Coproduzenten war der Film übrigens ursprünglich als ein weiterer kinokassenfüllender Beitrag zu der anhaltenden Edgar Wallace-Welle gedacht, denn die Handlung hört sich zugegebernermaßen wirklich an wie die eines typischer Edgar Wallace-Krimis. Doch Bava inszenierte den Film so kunstvoll und stilisiert, dass darüber hinaus nichts an die Edgar Wallace-Filmreihe erinnern lässt. Bava verschaffte sich seinen Freiraum und so ist der deutsche Einfluss nur an einigen Darstellern zu erkennen. Neben einigen Models ist da vorallem Thomas Reiner als Inspektor zu erwähnen. Reiner dürfte vielen bekannt sein aus der deutschen Kultserie Raumpatroullie Orion aus den 60er Jahren. Reiner spielt in Blutige Seide wie die meisten anderen Darsteller routiniert, aber nicht überragend. Doch vielleicht ist es auch gut so und von Bava gewünscht, dass sich keiner in den Vordergrund spielt. Die Hauptrolle nimmt auf jeden Fall des Visuelle ein. Neben der simplen Handlung (die aber wie schon geschrieben Genretypisch ist), fallen negativ eigentlich nur ein paar kleine Logiklücken auf. Diese sind aber keine Klopfer, die den Filmgenuss beeinträchtigen würden.

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Bearbeitet von innominate, 14. Januar 2008, 18:49.


#11 innominate

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Geschrieben 16. Januar 2008, 11:53

M - Eine Stadt sucht einen Mörder

Krimi/Thriller, Deutschland 1931
Regie: Fritz Lang
Drehbuch: Fritz Lang, Thea von Harbour
Kamera: Fritz Arno Wagner, Karl Vash
Musik: Edvard Grieg
Produzenten: Ernst Wolff, Seymour Nebenzahl
Darsteller: Peter Lorre, Gustaf Gründgens, Otto Wernicke, Paul Kemp,
Theo Lingen, Theodor Loos, Inge Landgut u.a.

Story:
Berlin des Jahres 1931. Die Stadt wird seit Monaten von einem Kindermörder (Peter Lorre) terrorisiert. Die ganze Stadt spricht von den bestialischen Untaten des Triebverbrechers. Immer größer wird die Nervosität der Polizei und die Bevölkerung sieht in jedem Verdächtigen den Kindermörder. Doch die Methoden des Verbrechers verletzten jede Ganovenehre und die Razzien der Polizei verderben den Kleinkriminellen jedes Geschäft. Und so nimmt auch die Unterwelt die Suche nach dem Mörder auf. Unter Führung des Schränker (Gustaf Gründgens) schlagen sich alle Ganoven mit den Bettlern der Stadt zusammen und gemeinsam schaffen sie es, der "Bestie in Menschengestalt" auf die Spur zu kommen...

Filmbesprechung:
Über 70 Jahre alt und immer noch aktuell wie eh und je ist der Film von Fritz Lang über einen Kindermörder, der eine ganze Stadt in Panik versetzt. M ist ein unglaublich atmosphärischer Film, fesselnd bis zum Schluss und mit ausnahmslos überzeugenden Schauspielern besetzt. Die meisten Darsteller wurden direkt von den deutschen Bühnen geholt und wurden mit diesem Film bekannt. Der einzige der bereits ein Star war, hieß Gustav Gründgens. Er war ein Vollblutschauspieler, der sich aber über Langs Angebot eine größere Rolle in M zu spielen sehr freute. Denn nun konnte er seine Begabung auch einem größeren Publikum und vor allem in einem anderen Medium vorführen. Dagegen wurde der Darsteller des Kindermörders Hans Beckert, Peter Lorre, erst mit diesem Film zum Star - und zwar "über Nacht", wie man so schön sagt. Fritz Lang entdeckte Lorre eines Tages im Theater. Lang plante gerade seinen Krimi über einen Kindermörder insperiert von den Taten der Serienmörder Fritz Haarmann und Peter Kürten einige Jahre zuvor. Als er Lorre sieht, weiß er sofort dass er diesen kleinen dicklichen Mann mit der sanften Stimme als Hauptdarsteller haben muss. Als er Lorre engagieren wollte, meinte dieser jedoch zunächst, er sei zu klein für einen Filmschauspieler. Doch Lang konnte ihn überreden anzunehmen. Gleich sein erster Auftritt als Schatten an einer Litfasäule lässt dem Zuschauer einen Schauer über den Rücken laufen. Und dann seine sanfte Stimmte: "Du hast aber einen schönen Ball. Wie heißt du denn?" Mit diesem einem Film wurde Lorre berühmt - auch im Ausland, denn der Film wurde in viele europäische Länder und in die USA verkauft. Sein erschreckend intensives Spiel des kranken und verzweifelten Kindermörder in diesem Film, brachte ihm zunächst die Achtung und das Interesse Alfred Hitchcocks ein und schließlich auch das der amerikanischen Film-Studios. Zu Beginn der Nazi-Ära emigrierte der in Österreich geborene jüdische Lorre über Paris nach England und schließlich in die USA. Er verabschiedete sich mit den Worten "Für zwei Mörder wie Hitler und mich ist in Deutschland kein Platz." Symptomatisch für die Wirkung seiner Darstellung in Langs Film.

M war einer der ersten Tonfilme überhaupt und Langs erster. Er sprach sich lange Zeit gegen die Einführung des Tonfilms aus. Nach seinen Stummfilm-Klassikern Der müde Tod (1921), Dr. Mabuse, der Spieler (1922), Die Nibelungen (1924) und Metropolis (1926) schien es als sei es aufgrund seiner Antihaltung gegenüber dem Tonfilm mit seiner Karriere vorbei, da der Ton im Film eine logische und unausweichliche Entwicklung dar stellte. Der Vertrag mit Nero Film gab Lang dann aber neuen Aufwind und er tat sich mit seiner (zu dieser Zeit eigentlich schon getrennt lebenden Ehefrau) Thea von Harbou wieder zusammen um ein Drehbuch zu schreiben. Ein Drehbuch für einen Tonfilm. Lang, der große Innovator, hatte sich hohe Ziele gesetzt: Er wollte es schaffen, den Tonfilm im Geiste eines Stummfilms zu nutzen und den Ton zu einem neuen Kunstwerk erheben. Und dies gelang ihm überaus gut. Seine Tonschnitte, die heute gang und gäbe sind, waren damals sehr ungewöhnlich. Lang setzte keinerlei Musik ein. Die einzige Melodie ist Edvard Griegs Peer Gynt, Suite No. 1, Opus 46-4, In der Halle des Bergkönigs, die der Mörder Beckert in seinem Wahn immer wieder peift. Weiterhin drehte er manche Passagen bewusst als Stummfilm und erst ein Pfiff oder Schrei leutet die Umgebungsgeräusche wieder ein. Ein Prädikat Langs besonderem Umgang mit dem Ton im Film. Er legte auch über manchen Szenen ein so genanntes Voice-Over. In einer Sequenz lässt uns der Film beispielsweise an einem Telefongespräch zwischen dem Polizeipräsidenten und dem Innenminister teilhaben. Während der Polizist von den eingeleiteten Maßnahmen zur Suche des Täters berichtet, werden uns die Ermittlungsmethoden vor Augen geführt. Solche Voice-Over-Szenen tauchen noch häufiger auf und waren zu dieser Zeit bahn brechend. Womit wir schon bei einer weiteren Qualität des Films wären. Lang zeigte die damals modernsten Polizeimethoden auf und schilderte ganz genau die akribische Arbeit der Polizei. Man ist teilweise ganz schön überrascht zu sehen, welche Methoden die Polizei damals schon angewandt hat - zumindest in Großstädten wie Berlin. Immer wieder haben Filmkritiker betont, dass Lang mit seinem Film den Schritt vom Expressionismus zur neuen Sachlichkeit vollzogen hat. Im Rahmen der dazu nötigen Recherche informierte der Regisseur sich bei der Kriminalpolizei über Fahndungsmethoden, bei Psychiatern und Psychologen über die Mentalität von Triebtätern. Auch dies war damals noch sehr neu in der Filmwelt.
Unbedingt erwähnt werden muss auch die Kameraarbeit von Hauptkameramann Fritz Arno Wagner. Eine Einstellung in einem sehr steilen Winkel nahezu senkrecht hinunter in ein vierstöckiges Treppenhaus ist zwar auch heute nicht alltäglich, aber war 1931 vollkommen neu. Oder Einstellungen von der Decke, die sehr verblüffend sind. Manchmal entwickel die Kamera sogar so etwas wie ein Eigenleben, die eingesetzt wird wie der Blick eines Menschen oder besser: unser Blick direkt in das Geschehen. Wenn Leute sich streiten, beobachtet sie alles aus nächster Nähe und bietet viele so genannte Close-Ups - ein Wort, was damals vermutlich noch gar nicht geboren war. Die Kamera ist somit nicht nur Erzähler, sonderun fungiert manchmal auch als eine Art Symbol für menschliche Schaulustigkeit.

Ein weiterer wichtiger Punkt in M sind die Verweise auf die damalige Aufziehende neue Politik die sich aus der Weimarer Republik entwickelte. Damit nimmt Lang auch eine gewisse politische Haltung ein. Der Film und seine düstere Stimmung wirkt noch um einiges düsterer wenn man bedenkt, dass zu der Entstehungszeit gerade Adolf Hitler mit seiner nationalsozialistischen Partei im Begriff war an die Macht zu gelangen. In einer Sequenz sieht und hört man einige Herren in einer Stammtischrunde munter fachsimpeln über die Morde. Dies ist ohne Zweifel eine Anleihe Fritz Langs an den scharfen Kritiker der kriegstreibenden Oberschicht und der rechten Szene Deutschlands, George Grosz. Die Inspiration zu seinen bitterbösen Karikaturen der 20er Jahre zog er aus der Weimarer Republik. Seine Arbeiten wurden im Jahr 1936 von Hitler verboten. Fritz Lang schätzte Grosz sehr und ließ es sich nicht nehmen, dessen Karikaturen als Vorlage für diese Tischrunde zu nehmen. Die Zigarre qualmenden Bonzen scheinen einer von Grosz' Kriegkarikaturen entsprungen zu sein und wie bei Grosz bekommen sich die Männer in die Haare, indem sie sich in ihrem Übereifer gegenseitig beschuldigen der Mörder zu sein. Bei Grosz waren die Gründe der Streitigkeiten Geld oder Hochverrat.

Des weiteren fallen im Bezug auf Anleihen an den Krieg, das Marschieren der Polizisten wie Soldaten auf. Und natürlich Schränkers Ansprache: "Diese Bestie hat kein Recht zu existieren. Sie muss weg, sie muss ausgerottet werden, vertilgt. Ohne Gnade und Barmherzigkeit." Erinnerungen an die Judenverfolgung kommen hoch, die aber eigentlich erst einige Jahre nach dem Entstehen des Filmes begannen. Lang als Visionär. Ein anderer politisch kritischer Ansatz Langs ist der Vergleich zwischen Unter- und Oberschicht, der aber ehrlich gesagt schwer auszumachen ist. Die Kritik an der Teilung in verschiedene Gesellschaftsschichten ist aber sicher vorhanden, wenn auch nicht so deutlich wie in Metropolis (1926). Kinder ärmerer Leute werden beispielsweise nicht von der Schule abgeholt und sind deshalb der Bedrohung für den Kindermörder eher ausgesetzt. Der Vergleich zwischen den Methoden der Polizei und Unterwelt ist eines der spannensten Themen im Film. Da die Polizei mit ihren Vorgängen lange Zeit im dunkeln tappt, fühlen sich die Kriminellen aufgefordert, selbst etwas zu tun. Unter Leitung des Schränkers stellen sie eine Organisation der Bettler zusammen, um den Mann der ihnen das Geschäft vermiest und mit dem sie von der Bevölkerung nicht in einen Topf gesteckt werden wollen, zu fangen. Gerade die Bettlerorganisation ist auch die effizienteste. Und dies ist ein kritischer Blick auf die Weimarer Zeit. Armut und Elend sind anscheinend so allgegenwärtig, dass alle Straßen und Plätze von den Bettlern, den Soldaten aus dem ersten Weltkrieg, beobachtet werden können ohne das dies besonders auffällig wäre.

Die lange Suche nach dem Mörder endet schlussendlich in einer Gegenüberstellung des Täters mit der Unterwelt, die schneller war als die Polizei. Dieser unbestrittene Höhepunkt des Films ging mit einem unfassbar emotionalen und sehr ergreifenden Plädoyer gegen die Todestrafe in die Filmgeschichte ein: Das Pädoyer des Mörders vor dem "Gericht" der Ganoven. Lang inszenierte diesen Prozess als Farce. Die Verbrecher respektieren zwar anscheinend die Form eines Prozesses, doch steht das Urteil im Vorhinein fest. Der Monolog des Mörders, so intensiv und eindringlich von Peter Lorre gespielt, schildert wie er zum Opfer seiner eigenen Zwänge wird. "Will nicht, muss" wiederholt er immer und verdeutlicht damit seine psychische Lage. Doch die "Geschworenen" um den Anführer Schränker wollen keine Gerechtigkeit, sondern Rache. Aber interessanterweise ist die Polizei trotzdem nicht der moralische Gewinner. Denn letztendlich sind es die Kriminellen, die für die Sicherheit der Kinder gesorgt haben. Auf diese Weise lässt Fritz Lang beim Zuschauer fragen nach Recht und Ordnung aufkommen. Und ganz zum Schluss, nachdem Hans Beckert von der Polizei "gerettet" wurde kommen dann auch noch mal drei Mütter der ermordeten Mädchen zu Wort ("Das macht unsere Kinder auch nicht wieder lebendig"). Spätestens jetzt befindet sicht der Zuseher endgültig in einem moralischen Konflikt. Und das Thema der Todesstrafe ist ja auch heute noch so aktuell wie damals. M, der unter vielen Filmhistorikern als 'bester deutscher Film aller Zeiten' gilt, balanciert geschickt zwischen Plädoyer und Analyse. Fritz Lang beleuchtete alle Seiten mit der nötigen Distanz. Er billigt dem Mörder zwar echte Gefühle zu und stellt ihn als kranken Menschen dar, vergisst aber auch nicht die Opfer und deren Angehörige.

Die bereits angesprochene Vorzeichung des Treiben von Hitler und Konsorten im Dritten Reich trug übrigens nur wenige Jahre nach der Entstehung des Films erschreckende Blüten im feindlichen Lager. In dem nationalsozialistischen Propaganda- und Hetzfilm Der Ewige Jude wurden 1933 Szenenbilder aus M eingebaut. Die komplette Aussage des Films wurde sozusagen umgedreht. Die Nazipropaganda machte aus dem Kindermörder Beckert den Juden Lorre und trat vor der deutschen Bevölkerung den "Beweis" an: "So sind sie, die Juden".
Die Nazis waren sicher nicht ganz stupide. Sie wussten ganz genau, dass das Medium Film eine wichtige Plattform war, die sie sich zu eigen machten wollten. 1933, kurz nach der Machtübernahme Hitlers und dem Verbot von Lang's Film Das Testament des Dr. Mabuse, bot Reichsminister Dr. Joseph Goebbels Fritz Lang die Leitung der deutschen Filmwirtschaft an. Seinen Stand als Aushängeschild des deutschen Films wollte Goebbels unbedingt nutzen. Aber Lang hatte keine Lust eine Propagandamaschinerie zu leiten und setzte sich eines Nachts still und leise nach Paris ab. Die einzige Möglichkeit für deutschsprachige Filmleute - egal ob Juden oder nicht - dem Naziregime zu entkommen war die Flucht ins Ausland, entweder direkt oder über Umwege in die Traumfabrik Hollywood. Regisseure und Autoren wie Fritz Lang, Josef von Sternberg, Billy Wilder, Max Ophüls, Schauspieler wie Peter Lorre, Conrad Veidt und Kameramänner wie Karl Freund wollten sich nicht für die Zwecke der Nationalsozialisten einspannen lassen und gingen ins Exil. Dies ist wohl auch der Hauptgrund, warum der deutsche Film nie wieder so eine Blütezeit erlebte wie vor Hitlers Machtergreifung.

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© Stefan Schuster (innominate)






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