Der Monroe ihre dicken Hupen
#1111
Geschrieben 24. Januar 2008, 15:32
Regie: Teddy Page
Der Supersoldat Jack Kaplan (Richard Harrison) hat alles, was ein Actionheld braucht: einen fetten, immer ordentlich gewichsten Schnäuz, eine Superwumme ("Diese Waffe kann eine halbe Kompanie ersetzen. Ihr Codename ist Omega.") und eine fesche Freundin. Diese hat aber auch noch einen anderen, ausgesprochen hartnäckigen Verehrer, der sie entführen lässt, während Jack sich mal wieder von erlittenen Kriegsverletzungen erholt, weil "Omega" geklaut worden ist. Und weil hinter einem starken Mann immer ein blondes Dummchen steht, das man aus der Scheiße retten muss, pfeift Jack auf Omega und macht sich auf die Suche nach seiner besseren Hälfte ...
Vieles spricht dafür, dass der Actionfilm philippinischer Prägung (USA 1978? Dass ich nicht lache!) das beste Genre der Welt ist. Wenn Richard Harrison mitmacht, wird aus dieser Vermutung schließlich Gewissheit. Von der ersten Minute an, wenn Jack die Superwumme vorstellt und demonstriert ("Omega ist speziell für die Kriegsführung in Vietnam entwickelt worden."), weiß man: Hier geht Einiges. Und dieses Versprechen erfüllt Regisseur Teddy Page jede Minute aufs Neue. Hinter seinem Namen verbirgt sich die vielfilmende Multipersönlichkeit Teddy Chiu/Irvin Johnson/Ted Johnson, der der Welt bisher solche Perlen wie KICKBOX TERMINATOR, BLOODFIGHT 4 oder AMERICAN FORCE FIGHTER beschert hat und hier sein ganzes zweifelhaftes Können ausspielt. Vor allem in Sachen Suspense nimmt ihm keiner das Brötchen vom Teller: So wird der böse Nebenbuhler bis kurz vor Schluss immer so abgefilmt, dass man sein Gesicht nicht sieht, dabei ist mit seiner Enttarnung gar keine Spannung verbunden; eine andere Szene erinnert mit ihrem virtuosen Einsatz der Zeitlupe fast an De Palma oder Peckinpah – mit dem gravierenden Unterschied, dass bei diesen Filmemacher niemals hässliche Nippesfiguren als Wurfwaffen benutzt wurden. Die Actionszenen zu Beginn scheinen Überreste eines anderen Films zu sein und auch der Dümmste dürfte bemerken, dass die Settings mitnichten in den USA zu verorten sind, wie das Drehbuch glauben machen möchte. Wahrscheinlich hat man auf einer winzigen philippinischen Insel gedreht, das würde auch erklären, warum einige besonders schmucklose Räumlichkeiten gleich mehrfach verwendet wurden. Neben diesen "Irritationsmomenten" (hüstel) hat der Film aber auch einige surreale Einfälle zu bieten, etwa den Mann mit der goldenen Hand, der offensichtlich so viel Kohle für seine teure Prothese hingeblättert hat, dass es nur noch für einen hässlichen Trainingsanzug als Bekleidung gereicht hat. Naja, immerhin kann er sich ein Hemd leisten, was man von dem Afroamerikaner mit dem Hitlerschnurrbart (den man auch aus Bruno Matteis/Vincent Dawns ROBOMAN und Claudio Fragassos epochemachendem AFTER DEATH kennt) nicht behaupten kann: Der trägt unter der offenen Jacke nur den öligen Schmerbauch zur Schau, macht das aber mit der Goldkette mehr als wett. Sein Charakter trägt den Namen "Digger", auf die Dialogzeile "'türlich, 'türlich, sicher Digger" wartet man dennoch vergebens. Mike Monty ist der "Polizeipräsident" und sitzt in zwei Szenen in einem holzvertäfelten Büro mit vier Telefonen; um die Schmach perfekt zu machen, hat man ihm ein groteskes orangefarbenes Toupet auf den Holzkopf geklebt, das farblich perfekt zu seinem sandfarbenen Cordsakko passt. Ein Ninja macht auch mit: Sein übermenschlicher Orientierungssinn wird unter Beweis gestellt, als er die "Höhle rechts neben der großen Lichtung" auf Anhieb findet. Allerdings ist dafür seine ganze Kraft draufgegangen, denn Jack macht ihn ohne große Probleme platt und borgt sich den Ninjadress aus, um dann seinen Kontrahenten zu killen. Der ist noch nicht ganz tot, da rollen auch schon – schwupps! – die Credits über den Bildschirm, in denen unter anderem ein "Man in Motorcycle" erwähnt wird; für einen "Man on Motorcycle" fehlte vielleicht der nötige Führerschein. Besonderes Augenmerk möchte ich aber noch einmal auf die berühmte "Omega"-Sequenz lenken, die mir der Schlüssel zum Verständnis des Films zu sein scheint. Hier tun sich Cronenbergsche Mensch-Maschinen-Abgründe auf: Jack behauptet nicht nur, diese Waffe könne eine halbe Kompanie ersetzen (wenn man seine Soldaten sieht – unmotiviert dreinblickende Trinkhallenbesitzer und -kunden –, kommt man zu dem Schluss, dass Omega eine sehr notwendige Erfindung ist), er bezeichnet diesen monströsen Kawenzmann, der sowohl MG, Granat- und Raketenwerfer als auch ein Funkgerät (?) enthält, auch noch großmäulig als "Handfeuerwaffe". Um den zu halten, muss man sich aber wohl erst die Schulter ausrenken und ein paar Rippen entfernen lassen, jedenfalls sieht es alles andere als bequem aus, wie sich Jack dieses Teil unter die Achsel klemmt. Hoffentlich ist Omega wasserdicht, Jack schwitzt nämlich wie eine Wildsau, wie man an seinen riesigen Schweißflecken unschwer erkennen kann, die andernorts einer neuen Bestimmung als Rorschach-Test zugeführt werden könnten. Ob Maschinenmensch oder Menschmaschine: Richard Harrison ist ein Tier, das drei Wochen ohne Schlaf auskommt und in dieser Zeit auch noch geile Filme am Fließband dreht. Der deutsche Untertitel von FIREBACK lautet ICH WILL KEINE GNADE: Ich auch nicht, gebt mir ein Sequel!
#1112
Geschrieben 24. Januar 2008, 17:50
Regie: Frank Harris
Der abgehalfterte Privatdetektiv Joe Wong (Leo Fong) gammelt in seinem ranzigen Büro vor sich hin und knallt ab und zu mal ein paar Räuber über den Haufen, die mit ihrem Geballer seine Mittagspause stören. Eines Tages steht der reiche Industrielle Templeton (Troy Donahue) auf der Matte und beauftragt Wong damit seine verschollene Tochter zu finden. Schon bald stellt sich heraus, dass diese in die Fänge einer Sekte geraten ist, aus der es kein Entrinnen gibt ...
LOW BLOW (zu deutsch DEADLY WEAPON – EIN MANN FÜR GERECHTIGKEIT) ist das Baby des Hauptdarstellers Fong, der nebenbei nicht nur produzierte, sondern auch gleich noch das Drehbuch verfasste. Wer damals nach Betrachtung des Covers die Videokassette von Highlight auslieh und einen kernigen, muskelbepackten Superdude mit Feinrippunterhemd und Sonnenbrille erwartete, dürfte ziemlich doof aus der Wäsche geguckt haben, als er zum ersten Mal des Hauptdarstellers ansichtig wurde: Leo Fong entpuppt sich als fußkranker Rheumatiker mit sich lichtendem Haupthaar, dessen O-Beine dem guten alten Pierre Littbarski ernsthafte Konkurrenz machen könnten. Doch wer sich voreilig auf eine peinliche Lektion in Sachen Fremdscham einstellt, wird enttäuscht, denn Fong hat sehr wohl erkannt, dass man ihm den eisenharten Fighter kaum abnehmen würde. Sein Joe Wong knackt den Fall dann auch nicht mit physischer Überlegenheit, sondern eher mit der Beharrlichkeit eines Terriers, der einmal Blut geleckt hat. Als er merkt, dass er allein keinen Erfolg haben wird, veranstaltet er schnell ein Turnier, bei dem Ninjas, Bodybuilderinnen, Hispanics mit Butterflymesser, Boxer und fette Kraftmenschen gegeneinander in einem Erdloch antreten und aus denen er seine Kompagnons erwählt. Am Ende stürmt dieser bunte Haufen das "Unity Village", in dem die Sekte haust, und kloppt das vermisste Töchterchen raus. Anführer der Sekte ist der mit Sonnenbrille und Kapuzenumhang an Anthony Zerbes Matthias aus THE OMEGA-MAN erinnernde Yarakunda (Cameron Mitchell), den nur ein auf die Wange tätowierter Davidsstern von seinem Vorbild unterscheidet. "Anführer" ist dabei durchaus mit Vorsicht zu genießen, denn eigentlich steht Yarakunda unter der Fuchtel seiner Geliebten Karma, die die Zügel fest in der Hand hält, ständig Süßigkeiten nascht und einen der Wachleute anhimmelt: Bei diesem handelt es sich um keinen Geringeren als Tae-Bo-Erfinder Billy Blanks, der hier noch aussieht wie ein Mensch – allerdings einer mit Schnurrbart. LOW BLOW hat mich mit seinem höhepunktarm dahin mäandernden Plot nicht gerade um den Schlaf gebracht, aber Leo Fong ist schon eine Schau. Man kann ihn sich ein bisschen als die Synthese aus einem unsportlichen Bruce Lee und einem weniger gewitzten, sehr langsamen Chuck Norris vorstellen, wenn man dafür die Kapazitäten hat. Humor hat er aber offensichtlich: Der Schlussgag – Joe will mit dem frisch verdienten Geld und seiner Sekretärin nach Las Vegas, aber zum wiederholten Mal versagt seine Karre, die Credits rollen über seine vergeblichen Versuche, den Wagen zu starten, während die Kamera zurückfährt – ist der originellste Moment des Films und lässt ihn im Nachhineien in einem ganz anderen (helleren) Licht erscheinen. Außerdem kann jemand, dessen gesamte Filmografie sich aus Titeln wie NINJA ASSASSINS, JUNGLE HEAT, BLIND RAGE, RAPID FIRE oder BLOOD STREET zusammensetzt, kein schlechter Mensch sein. Hätte man noch jemanden gefunden, der dem feinen Eighties-Score ein paar Texte verfasst, in denen stilecht die "Heat of the Night", die "Bright City Lights" oder meinetwegen irgendwelche "Little Girls" besungen werden, wäre der Film gleich nochmal so gut gewesen.
#1113
Geschrieben 24. Januar 2008, 20:46
Regie: Bruno Mattei
Die letzten Überlebenden des Dritten Weltkriegs – in der deutschen Synchronfassung Mitglieder der "Riffs" aus Castellaris Endzeit-Filmen – geraten auf der Suche nach Nahrung und der "Überlebensdroge" in ein Gebäude, in dem Wissenschaftler versucht haben, den Fortbestand der Menschheit zu sichern. Zwar gibt es sauberes Wasser und sogar ein Gewächshaus, von den Forschern fehlt aber jede Spur. Dafür tauchen bald schon Unmengen von äußerst aggressiven Ratten auf ...
Teil 3 meiner Triple Trash Threat ist eine sichere Nummer für Liebhaber des unsagbar Blöden: Mit dem Output Matteis aus den Achtzigern macht man selten etwas falsch, wenn man auf der Suche nach einem Baddie ist. Obwohl RIFFS 3 – DIE RATTEN VON MANHATTAN in dieser Hinsicht einen fast schon legendären Ruf genießt, habe ich ihn heute zum ersten Mal gesehen: Schande über mein kahles Haupt. Matteis Filme zeichnen sich meist durch ihre nur fadenscheinig verhüllte Epigonenhaftigkeit aus, eine miserable Schauspielführung, die die Akteure zu Holzpuppen degradiert, schwachsinnige Drehbucheinfälle, eine durchgehende rammdösig machende Langatmigkeit, den immer wieder beherzten Griff in die Gülle und – aber das will ich Mattei am wenigsten vorwerfen – ihre sichtbar geringen Budgets. Auch RIFFS 3 macht da keine Ausnahme. Verlässliche Italoakteure wie Ottaviano Dell'Acqua oder Massimo Vanni benehmen sich wie ADS-Kranke auf Koks, der eh schon unfähige Rest implodiert fast vor lauter Overacting und die Synchro unterstreicht das mit Verve (besonders hervorzuheben die Szene, die die Superhirne von Laser Paradise mit dem Fingerspitzengefühl von Elefanten nachvertont haben). Die von Claudio Fragasso mitgeschriebene Story, die die Gewissheit, dass die Ratten uns überleben werden, eigentlich ganz gut aufgreift und in ein Endzeitszenario überführt, versumpft schon nach wenigen Minuten in elendem Gehampel und die immergleichen fünf Takte sakraler Orgelmusik töten den letzten Nerv. Als wolle Mattei das kollektive Versagen aller Beteiligten wettmachen, werden die Ratten gleich eimerweise ins Bild geschaufelt und geschmissen; man sieht förmlich die eifrigen Helferlein hinter den Kulissen, wie sie mit Gummistiefeln und Schaufeln bewaffnet in Wagenladungen von Ratten stehen. Wenn es schon keine Qualität gibt, muss wenigstens die Quantität stimmen. Richtig klasse ist die Szene mit dem Supercomputer der Wissenschaftler, der nur unschwer als guter alter C64 zu erkennen ist. Der spuckt dann irgendwann die Meldung "Total Elimination Group" aus, was den Anführer "King" zu der Frage veranlasst, was das denn heißen solle. Tja, da schreibt der Autor schon einen Deus ex Machina ins Drehbuch und die Figuren checken es nicht einmal. Da kann man nix machen. Natürlich fällt einer nach dem anderen den Ratten zum Opfer, die ihr Revier vor den Eindringlingen verteidigen wollen, aber dem Zuschauer ist das trotz lautem Geschrei und viel Tamtam herzlich egal. Man müsste mal untersuchen, warum die ab Mitte der Achtziger kontinuierlich mieser werdenden italienischen Exploiter nahezu identisch wirken: Vergleicht man RIFFS 3 etwa mit Lenzis einige Jahre später entstandenem Baddie-Meisterwerk GATES OF HELL, möchte man kaum glauben, dass da zwei unterschiedliche Regisseure am Werk waren. Die Ähnlichkeiten beginnen bei der quälenden Langsamkeit, die das Filmerlebnis zum Fiebertraum werden lässt, der generellen formalen und inhaltlichen Minderbemitteltheit und hören bei einem vollends hirnrissigen Schlussgag auf. Diese Pointe ist dann auch der Lichtblick in RIFFS 3, einem zum Gottserbarmen miesen Haufen Rotz, den man kaum noch als Film bezeichnen möchte. Das hört sich jetzt sehr wie ein Verriss an, aber so ist das natürlich nicht gemeint: RIFFS 3 ist einfach nur so unfassbar schlecht, dass man ihm unrecht täte, das nicht ernst zu nehmen.
#1114
Geschrieben 25. Januar 2008, 15:22
Regie: José Pinheiro
Der Lyoner Cop Daniel Pratt (Alain Delon) quittiert den Dienst als die Mörder seiner Ehefrau aus Mangel an Beweisen auf freien Fuß gesetzt werden. Er wandert nach Afrika aus und führt mit den Einheimischen ein Leben als Fischer, seine Tochter begleitet ihn, kehrt jedoch für ihr Studium immer wieder in die Heimat zurück. Eines Tages erhält Pratt die Nachricht vom Tod seiner Tochter: Bei einem Raubüberfall wurde sie brutal erschossen. Pratt begibt sich nach Lyon, um die Mörder zu finden und zur Strecke zu bringen ...
An diesem Alain-Delon-Vehikel zeigt sich sehr gut, dass der Actionfilm der Achtziger keine Innovation bisheriger Strukturen und Motive seines Genres und mithin keine Zäsur darstellte, sondern vielmehr den logischen Kulminationspunkt einer Entwicklung darstellte, die schon in seinen Vorgängergenres – Western, Kriegsfilm und Krimi bzw. Copfilm – begonnen wurde. PAROLE DE FLIC ist dann auch ein lupenreiner Actioner seiner Zeit und hat mehr mit den Abenteuern amerikanischer Helden der Dekade zu tun als mit der eigenen Erblinie. Pratts Exildasein erinnert an Rambos Existenz im thailändischen Kloster: Wie dieser hilft Pratt den Einheimischen und nimmt einen beinahe halbgottähnlichen Status bei ihnen ein. Der durchtrainierte Körper Delons, den Pinheiro gleich mehrfach fetischistisch ins Bild rückt, spricht eine deutliche Sprache: Da hat sich jemand gegen eine feindliche Welt abgehärtet, sein Herz unter mehreren Muskelschichten versteckt. Er ist endgültig am Ende, wenn seine Tochter stirbt: Der Strahlemann der ersten Viertelstunde altert von einer Einstellung zur nächsten um mehrere Jahre. Sein folgender Rachefeldzug ist dann auch von bitterer Zwangsläufigkeit und entbehrt jeglicher Spannung: Ein Versagen kommt für den Vollprofi Delon, der sich mit äußerster Arroganz und einem selbstverliebten Haifischlächeln durch die Plattenbausiedlungen Lyons pflügt, nicht in Frage. Pinheiro hakt die einzelnen Set Pieces unaufgeregt ab und unterwirft sich darin eher dem Zuschauerbedürfnis nach Spektakel als dass er mit ihnen die Handlung fortschreiben würden. In PAROLE DE FLIC hat sich das Wesen des französischen Copfilms wie in seinem Äquivalent aus den USA bereits in abstrakte Chiffren aufgelöst: Die Einsamkeit des Einzelgängers und sein Zerbrechen an der Welt, der Wunsch nach Gerechtigkeit und die Erkenntnis, dass diese immer einen Schritt zu spät ist, werden hier nicht mehr emotional empfunden, sondern nur noch behauptet. Das System ist so starr, so fest gefügt, dass selbst seine Antithese direkt vereinnahmt wird: Pratt gehört genauso dazu wie sein ehemaliger Kollege Reiner (Jacques Perrin), der eine Vigilantenbande beschäftigt, weil er erkannt hat, das seine Mittel als Cop unzureichend sind, das Verbrechen zu bekämpfen. Pinheiro setzt seiner kongenial unflexiblen Regie eine hyperdynamische Kamera entgegen, die als einzige die Illusion am Leben hält, in dieser Welt bewege sich noch irgendwas. Das Happy End mit der jungen Polizistin, die einen Schuss mit der Pumgun wegsteckt, um mit Pratt am Ende der Welt neu anzufangen, wirkt wie Hohn: Die Welt ist unrettbar im Arsch, man muss wegrennen und die Augen verschließen.
#1115
Geschrieben 29. Januar 2008, 14:31
Die Brian-De-Palma-Werkschau
Femme Fatale (Frankreich 2002)
Regie: Brian De Palma
Die Amerikanerin Laure Ash (Rebecca Romijn-Stamos) nimmt an einem spektakulären Diamantenraub teil und betrügt ihre Komplizen um den Gewinn: Einer wandert sofort in den Bau, der andere sinnt auf Rache. Beim Versuch, unbemerkt aus Frankreich zu fliehen, fällt Laure zufällig einem Ehepaar in die Hände, das in der Frau die gemeinsame Tochter Lily erkannt haben will und sie aufnimmt. Besagte Lily begegnet Laure bald leibhaftig: Die verzweifelte Frau hat ihr Kind verloren und bringt sich nun im Beisein Laures um. Laure ergreift die Gelegenheit: Sie nimmt Lilys Identität an und steigt in einen Flieger nach Übersee, wo sie dem Diplomaten Hewitt (Peter Coyote) begegnet. Sieben Jahre später ist Hewitt Botschafter in Paris und "Lily" seine Ehefrau. Als der Paparazzi Nicolas Bardo (Antonio Banderas) ein Foto von der unnahbaren Diplomatengattin macht, muss sie wieder die Rache der einst hintergangenen Komplizen fürchten. Sie inszeniert ein Komplott, in das sich der arme Fotograf hoffnungslos verstrickt ...
Der Grund dafür, dass es in meinem Tagebuch ein paar Tage still war, ist FEMME FATALE, ein vordergründig „einfacher“ Thriller mit einem sehr prominent platzierten Plottwist, der allerdings kaum eine echte Überraschung darstellt. Die Erstsichtung formte lediglich das Bedürfnis, diesen tückischen Film noch einmal zu sehen. Diese Zweitsichtung habe ich jetzt ebenfalls hinter mich gebracht, trotzdem bekomme ich FEMME FATALE nicht richtig zu greifen: Auf dem gewohnten Feld des Metathrillers – auch hier geht es wieder um das Verhältnis zwischen dem Beobachter und seinem Objekt, das nicht nur innerhalb der Handlung thematisiert, sondern auch auf das Verhältnis von Film und Zuschauer übertragen wird – legt De Palma einen ungemein bedeutungs- und detailreichen Film vor, dessen kühne, halbzyklische Struktur allein schon eine Herausforderung für den Betrachter darstellt. Wo beginnt man bei diesem Film, der den ganzen De Palma in komprimierter Form zu enthalten scheint und der einem aus den Händen gleitet, sobald man glaubt, ihn zu fassen bekommen zu haben? FEMME FATALE ist wie das Wasser, das sich als Leitmotiv durch den Film zieht: transparent, niemals stabil, immer in Bewegung, an seiner Oberfläche bricht sich der Blick des Betrachters und wird in die Irre geführt. Wie so oft bei De Palma erweist sich FEMME FATALE aber nicht als zwar formal hochstehende, aber gleichzeitig emotionslose Studie über die Funktionsweisen des Thrillers (und speziell des Film Noirs), sondern vielmehr als lupenreines morality play: Kann die femme fatale aus ihren Handlungsmustern ausbrechen oder ist sie für immer in diesen gefangen? FEMME FATALE erzählt von den Rollen, in die wir uns selbst hineinträumen und von den Erwartungen, die andere auf uns projezieren. In der Figur Laures/Lilys laufen alle unsere Zuschauerbegierden zusammen, Nicolas Bardo ist unser alter ego, dessen Erwartungshaltung immer wieder getäuscht wird und dessen Wahrnehmung von Einzeleindrücken eher getrübt als erhellt wird. FEMME FATALE ist ein Traum, in jeder Hinsicht.
Mit diesem Text endet die Brian-De-Palma-Werkschau vorerst. Als Work in Progress werde ich sie aber weiterführen: Schon im März wird es mit REDACTED weitergehen, der selbst von De-Palma-Apologeten äußerst zwiespältig aufgenommen wurde: Mir ist das egal, die DVD ist schon bestellt.
#1116
Geschrieben 29. Januar 2008, 15:11
Regie: Matt Reeves
Die Überraschungs-Abschiedsparty für den erfolgreichen Jungunternehmer Rob (Michael Stahl-David) am Vorabend seiner Abreise nach Japan endet mit einem Knall und einer riesigen Explosion: In Hafen von Manhattan soll ein Öltanker havariert sein. Diese Nachricht entpuppt sich jedoch schnell als Trugschluss: Ein gewaltiges Monster trampelt durch die Metropole, macht alles dem Erdboden gleich und scheint nicht aufzuhalten. Die sofortige Evakuation wird befohlen, doch Rob hat erst noch etwas zu erledigen: Seine Freundin Beth (Odette Yustman) ist verletzt in ihrem Appartement am Columbus Circle eingeschlossen und ohne sie will Rob Manhattan nicht verlassen ...
Die Authentifizierung durch "echtes" Videomaterial in Verbindung mit einer cleveren Marketingkampagne machte BLAIR WITCH PROJECT einst zum Riesenhit. Promogenie J. J. Abrams erinnerte sich dieses Erfolges und verbindet die bereits erprobte Technik nun mit dem Monsterkino und damit mit einem Genre, das kaum weiter entfernt von dem rund zehn Jahre älteren Ideenstifter sein könnte. Statt Suggestion und dem Horror, der sich gerade nicht im Auge, sondern im Kopf des Betrachters abspielt, setzt der Monsterfilm japanischer Prägung auf das sichtbare Spektakel: Wir wollen sehen, wie Godzilla Tokio zertrampelt. Die Verbindung dieser beiden unvereinbar erscheinenden Gegensätze – Authentizität hier, die spektakulären Schöpfungen der Effektstudios dort – ist die Meisterleistung von Abrams und seinem Regisseur, Debütant Reeves, die den aus den Vorbildern bekannten Plot konsequent aus der Opfer- und damit sprichwörtlich der Froschperspektive erzählen, ihm den Camp-Charme nehmen und ihm die Ernsthaftigkeit des Katastrophenfilms verleihen. Mehr als ein harmloser, Gummikostüm-induzierter Spaß ist CLOVERFIELD nämlich ein echter Schocker, der das Erschauern vor dem Erhabenen kongenial umsetzt und die atemlose 90-minütige Hatz durch die dem Untergang geweihten Straßen Manhattans zum körperlich spürbaren Spießrutenlauf für den Zuschauer werden lässt. Es ist lange her, dass mich ein Film derart mitgenommen hat: Zwischendurch beschlich mich das dringende Bedürfnis, meine liebe zora nazurufen und zu fragen, ob alles in Ordnung sei, so plausibel wird die eigentlich in das Reich der Pulp-Fantasie zu verweisende Monstermär erzählt. Man steht unter Dauerbeschuss, vor der Zerstörungsorgie auf der Leinwand gibt es auch im Kinosaal kein Entrinnen. Technisch ist CLOVERFIELD nichts weniger als beeindruckend: Wie sich die grandiosen Effekte, deren Größenordnung selbst einen ARMAGEDDON wie einen Sturm im Wasserglas erscheinen lassen, und die Handkameraästhetik hier verbinden, sucht seinesgleichen und gehört jetzt schon zu den Höhepunkten des Kinojahres. Über CLOVERFIELD muss (und darf) man nicht viel reden: Man muss es ganz einfach selbst erleben. Der Schauder wird nachhaltig sein, versprochen. Ich zittere jetzt noch ...
#1117
Geschrieben 29. Januar 2008, 18:36
Regie: George Cukor
Zwei Jahre nach der Trennung von ihrem damaligen Ehemann, dem schwerreichen C. K. Dexter Haven (Cary Grant), lässt sich Tracy Lord (Katharine Hepburn), Tochter einer der wohlhabendsten Familien Philadelphias, erneut vor den Traualtar führen. Ihr Auserwählter ist der steife George Kittredge (john Howard), ein Arbeiter, der es mit viel Ehrgeiz bis nach oben gebracht hat, dem aber immer noch der Stallgeruch des Kleingeists anhaftet. Doch Dexter, bei den Lords immer noch sehr gut angesehen, will die Hochzeit nicht so einfach geschehen lassen. Einen Tag vor der Hochzeit taucht er bei seiner Ex auf, im Schlepptau den erfolglosen Schriftsteller und Society-Reporter Macaulay Connor (James Stewart) und die Fotografin Liz (Ruth Hussey), die das gesellschaftliche Großereignis sehr zum Missfallen Tracys journalistisch aufbereiten sollen. Doch zwischen der unnahbaren Tracy und den drei Männern sprühen bald schon die Funken ...
Klassiker wie dieser lassen mich immer reichlich wortkarg werden: Mir fällt zu diesen Filmen einfach selten etwas Gescheites ein. Cukors Film lebt ganz von seiner Figurenkonstellation und den eloquenten und verspielten Dialogen sowie dem Glanz, der solche Legenden wie Grant, Hepburn und Stewart umgibt. Cukor nimmt das amerikanische Standesbewusstsein aufs Korn, ohne je wirklich böse zu werden: Hinter den Journalisten, die sich dem Boulevard verschrieben haben, stecken Künstler, die eben auch etwas zum Beißen brauchen, Kittredge ist trotz allen Erfolges von Misstrauen und Minderwertigkeitskomplexen geplagt und die reiche, kluge und attraktive Tracy hat sich in ihren Elfenbeinturm zurückgezogen, von wo aus sie abschätzig auf alle anderen herabblickt. Der Bonvivant Dexter hingegen ist stets ungezwungen geblieben und deshalb auch die bessere Wahl für die weibliche Hauptfigur, die von den drei Männern auf den rechten Weg gebracht wird – allerdings ganz anders als zumindest Kittredge und Connor sich das vorgestellt haben. Das alles ist wunderbar leicht und geistreich vorgebracht, sodass auch das aus heutiger Sicht reichlich angestaubte Geschlechterbild nicht negativ ins Gewicht fällt. Und die Eröffnungsszene, in der Grant der zickigen Hepburn mit Verve die Handfläche ins verdutzte Gesicht drückt und sie kommentarlos umwirft, kommt für mich gleich nach Cagney und der Pampelmuse.
EDIT: zora weist mich gerade darauf hin, die "Tragik des Ganzen" "nicht erfasst" zu haben. Da ist was dran. Mitnichten wird Dexter nur positiv gezeichnet, sondern als über die Eheprobleme mit Tracy zum Alkoholiker gewordenen Zweifler dargestellt. Wie ich schon sagte: Mir fällt zu solchen Filmen einfach nix Gescheites ein.
#1119
Geschrieben 31. Januar 2008, 18:50
Regie: José Pinheiro
Mehrere Mitglieder der Unterwelt werden brutal umgebracht: Dahinter steckt der Fascho-Cop Scatti (Michel Serrault), der eine Todesschwadron beschäftigt, die von nicht unerheblichen Teilen der Justiz und Polizei gedeckt wird. Kommissar Grindel (Alain Delon) wird beauftragt, die Morde aufzuklären. Doch einer seiner Assistenten steckt mit Scatti unter einer Decke ...
Nachdem Pinheiro mit PAROLE DE FLIC noch leidlich erfolgreich dabei war, das damals moderne Actionkino amerikanischer Prägung und den französischen Copthriller zu verbinden, gerät sein NE RÉVEILLEZ PAS UN FLIC QUI DORT (der auf deutsch als DER PANTHER II – EISKALT WIE FEUER reüssierte) zur mittelschweren Katastrophe. Die Narration holpert sich von einer schlecht aufgebauten und motivierten Szene zur nächsten, Action gibt es fast gar nicht mehr, Spannung leider auch nicht und mehr als einmal hatte ich den Eindruck, hier einer Parodie beizuwohnen. Obwohl Pinheiro seinen Film wohl als düsteres Gesellschaftsbild angelegt hat, ist von Serraults Vorstellung des Faschisten Scatti bis hin zu Delons souveränem Grindel alles so dermaßen übertrieben und überspitzt, dass es einem schwer fällt, das alles noch Ernst zu nehmen. In dieses Bild passen die drastischen Gewalttätigkeiten, mit denen Pinheiro den Zuschauer schon in den ersten zehn Minuten völlig überrumpelt und die reiner Selbstzweck sind. Der Sadismus des Films gipfelt in einer Sequenz, in der ein soeben von den Todesschwadronen erschossener Zivilist mit seinen letzten Zuckungen noch ein paar innocent bystanders – Kinder und Mütter – über den Haufen schießt. An anderer Stelle würde eine solche Szene vielleicht eine angemessene Wirkung zeitigen, hier trägt sie nur zum zerfahrenen Eindruck bei: Da werden völlig unwichtige Handlungselemente lang ausgeführt, andere, wesentlich wichtigere Informationen erhält man mal eben so zwischen Tür und Angel. Nee, hier geht wirklich nicht viel zusammen. Schade drum, hatte richtig Bock auf einen ernsten, finsteren Copfilm.
#1121
Geschrieben 01. Februar 2008, 10:39
Regie: Billy Wilder
Der humorlose Geschäftsmann Wendell Armbruster jr. (Jack Lemmon) muss unvorbereitet auf die italienische Insel Ischia reisen, um dort die Leiche seines Vaters abzuholen. Armbruster sr. pflegte dort jedes Jahr im Sommer zur Kur zu weilen. Armbruster jr. hat nichts weiter im Sinn als schnellstmöglich mit dem Sarg im Gepäck die Heimreise anzutreten, schließlich soll alles den gewohnten Gang weitergehen. Doch seine Pläne werden durchkreuzt: Zum einen von der italienischen Mentalität, die jegliche Hektik vermeidet und lieber ausgiebig Mittagspause macht, anstatt zu arbeiten, zum anderen von der pummeligen Britin Mrs. Piggott (Juliet Mills). Diese möchte ihre tote Mutter abholen, mit der Armbruster sr. pikanterweise eine langjährige Liebesbeziehung verband ...
"Italy s not a country, it is an emotion." Dieser Satz ist nur unschwer als Schlüssel zu diesem Film zu begreifen. AVANTI! ist eine zweistündige Hymne an die Lebensfreude, an das dolce vita und den Müßiggang, den auch Protagonist Armbruster jr. im Laufe des Films zu schätzen lernt. Schon zu Beginn, wenn er das Flugzeug besteigt und Wilder den Start in sehr prägnanten Bildern einfängt, ist klar, dass diese Reise ein Aufbruch zu neuen Ufern ist. Armbruster jr., der frei nach der Maxime "Zeit ist Geld" lebt und es nicht ertragen kann, wenn etwas nicht nach seinem Willen geht, wird sich nicht nur mit seinem Vater auseinandersetzen, er wird auch das Leben mit neuen Augen sehen, ein neuer Mensch werden. Die Reise nach Ischia wird zur Zäsur, zur Neuorientierung. In Italien wird er lernen, den Lauf der Dinge zu unterbrechen, dem Leben den eigenen Stempel aufzudrücken, anstatt sich dem Schicksal zu fügen. Und wie der Vater - dem er, so sagen alle, ja so ähnlich sei - lernt er, sich neu zu verlieben. Diese gleichzeitig moralische wie unmoralische, aber niemals strenge Geschichte erzählt Wilder auf seine gewohnte, fast musikalische Art und Weise. AVANTI! - schon der Titel enthält den ganzen Zauber des Films: eine Aufforderung zum Eintritt, die - dem befehlenden Ausrufezeichen zum Trotz - wie ein Lockruf klingt, wie ein Versprechen. Feinsüße Mandolinenmusik untermalt die Bilder des sommerlichen Ischia, einer Insel, auf der die Zeit ganz buchstäblich stehen geblieben ist. Mehr noch: auf der die Menschen die Zeit angehalten haben. Wilders Ischia ist ein magischer Ort voller Geschichten, einige davon erzählt der Film: von dem Hotelchef Carlucci, dessen Familie einen altehrwürdigen Friedhof besitzt, und der mit unschlagbarer Diskretion jedes Problem aus dem Weg räumt; von dem Leichenbestatter, dem es gelingt, die Schwere des Moments mit seiner professionellen Routine nicht zu entwerten, sondern sie im Gegenteil noch gravitätischer erscheinen zu lassen; von der Winzerfamilie Trotta, deren winziges Weingut eine ganze Schar von Menschen versorgen muss; von Bruno, dem Hoteldiener, der sich trotz einer einstigen Deportation nichts sehnlicher wünscht als nach Amerika zurückzukehren; und von dem gemütlichen Wächter auf dem Helikopterlandeplatz, der sich heimlich den Duce zurückwünscht. Es ließe sich stundenlang schwärmen über AVANTI!, der selbst wie eine Reise ist und den man voller Eindrücke und Empfindungen verlässt. Zeitlos schön, urkomisch, geistreich, warmherzig, liebenswert, klug: Es gibt nicht viel mehr, was ein Film leisten kann.
#1122
Geschrieben 01. Februar 2008, 11:14
Regie: Juan Carlos Fresnadillo
28 Wochen nach Ausbruch des Rage-Virus hat sich die Lage in England entspannt: Die Seuche ist eingedämmt, ein Stadtteil Londons wird - von US-Einsatztruppen überwacht - neu besiedelt. Doch der Frieden ist trügerisch: Bald bricht die Krankheit erneut aus. Und für diesen Fall hat die US-Armee nur einen Befehl: totale Auslöschung aller Bewohner. Unter diesen befindet sich aber auch der kleine Andy. Und der ist möglicherweise der Schlüssel zu einem Heilmittel. Es gilt, ihn auf den sicheren Kontinent zu bringen ...
Das Sequel zu Danny Boyles 28 DAYS LATER setzt das apokalyptische Szenario des Vorgängers zunächst als Dystopie fort: Die neue Siedlung, wie einst Carpenters New York in ESCAPE FROM NEW YORK eine abgeschottete Insel, wird rund um die Uhr überwacht, die Bewohner werden vor ihrer "Weidereinbürgerung" strengen Sicherheits- und Gesundheitschecks unterzogen, außerhalb der Grenzen ist London ein einziges Massengrab, das immer noch genug Gefahren birgt. Hier gelingen Fresnadillo (der einst den schönen INTACTO gedreht hat) äußerst beunruhigende Bilder totaler Überwachung, etwa wenn die überall postierten Scharfschützen sich die Langeweile vertreiben, indem sie die Bewohner durch ihre Zielfernrohre beobachten. Leider vermischt sich diese düstere Zukunftsvision mit einem stark moralisch aufgeladenen Schuld-und-Sühne-Plot, der mit seiner Theatralik nicht so recht zum trist-nüchternen Rest passen will: Fresnadillo erzählt auch die Geschichte des Überlebenden Don (Robert Carlyle), der sein Überleben nur dadurch sichern konnte, dass er seine Frau bei einem Angriff Infizierter zurückließ. Die Schuld plagt ihn umso stärker, als er seine beiden Kinder wiedertrifft, denen gegenüber er die Wahrheit natürlich verschweigt. Fresnadillo folgt den Gesetzen des gothischen Schauerromans und der Geistergeschichten, wenn Dons Frau als Rachgeist schließlich zurückkehrt, und verlässt damit das Terrain, das er mit 28 WEEKS LATER eigentlich betreten hat. Weil Sohnemann Andy Angst hat, zu vergessen, wie seine Mutter aussah, schleicht er sich mit seiner Schwester von der Insel, um das ehemalige Haus aufzusuchen und von dort Fotos mitzunehmen. Mutter Alice hatte offensichtlich dieselbe Idee: Das Drehbuch will es so, das Alice zwar selbst immun gegen den Virus ist, jedoch als Träger fungiert. So gibt es zwar ein Wiedersehen zwischen Don und Alice, doch hält dieses kein Happy End bereit: Nach einem leidenschaftlichen Kuss ist Don infiziert und rennt von nun an als Butzemann durch einen Film, der gut ohne solche Gut-Böse-Dichotomien und Plausibilitätslücken ausgekommen wäre. Diese Fehltritte sind umso ärgerlicher, weil Fresnadillo einige wirklich nervenzerrende Momente gelingen, die er jedoch zunehmend zugunsten des Spektakels und der Konvention aus den Augen verliert. Es spricht Bände, dass das splatterige piece de resistance ausgerechnet an eine Szene aus Rodriguez' Crowdpleaser PLANET TERROR erinnert und damit an einen Film, der konzeptionell kaum weiter von 28 WEEKS LATER entfernt sein könnte. Auch das vorhersehbare offene Ende ist ein Ärgernis, stellt es mit seiner defätistischen Weltanschauung doch geradezu einen Schlag ins Gesicht des Zuschauers dar, dem 90 Minuten lang Hoffnungen gemacht wurden. Was bleibt, ist ein überdurchschnittliches Sequel und ein extrem affizierender, streckenweise äußerst rabiater Schocker, der als gutes Beispiel für die "neue Härte" des Mainstreamkinos herhalten kann, in seinem Versuch, möglichst schonungslos zu sein, aber leider doch wieder nur auf die üblichen, abgegriffenen Mechanismen zurückfällt.
#1123
Geschrieben 04. Februar 2008, 10:06
Regie: Rolf Olsen
Dr. Jan Diffring (Curd Jürgens) ist die gute Seele vom Kiez, Herbergsvater, Onkel Doktor und hilfsbereiter Opa in Personalunion. Schon in den ersten Sekunden eilt er einer Frau zur Hilfe, die gerade von ein paar Loddels vermöbelt wird. Danach gibt es zur Abkühlung erstmal ein zünftiges Herrengedeck in der "Sailor's Bar", wo ollen Curd einem streitlustigen amerikanischen Matrosen beibiegt, was ein rechter Schwinger ist. Und als wüsste man nach diesem Auftakt nicht schon, was für ein aufrechter Bursche dieser Dr. Diffring ist, sagt es der treudoofe Boxer Willi mit der Blumenkohlnase (natürlich Heinz Reincke) nochmal: "In ein paar Stunden steht der schon wieder wie 'ne eins in seiner Ordination!" Ja, dieser Arzt ist buchstäblich ein Geschenk des Himmels, ein Freund aller Nutten und Verlierer, der seine Untersuchungen gern für lau zu machen pflegt. Ließe sich Olsens Film nicht als Propagandafilm für die Gesundheitsreform instrumentalisieren? Es wäre einen Versuch wert. Als Gegenbeispiel zum braven Jan fungiert dessen schmieriger Bruder Klaus (Horst Naumann): Der sieht aus wie Michel Friedmann, verrät den fiesen Schmierlappen also schon auf den ersten Blick, noch bevor man erfährt, dass er seine schicke Praxis auf dem teuren Jungfernsteg unterhält. Doch eigentlich ist es seine karrieregeile Frau, die ihn zu immer neuen Schandtaten antreibt: So lockt Diffring hilfesuchende Pateintinnen auf die Partys ekler Bonzen, wo sie unter Drogen gesetzt und ordentlich durchgezogen werden, wie etwa die arme Elisabeth aus Bielefeld (Suzanne Roquette), die doch nur mal kurz abtreiben wollte. Doch Diffrings Pläne werden von der verschlagenen Margot (Christiane Rücker) und ihrem Stecher durchkreuzt: Sie knipsen schöne Bilder von der Orgie und planen Diffring und seinen Kompangnon zu erpressen. Die Strafe folgt auf dem Fuße: Als die beiden Geldsäcke in Margots Wohnung eindringen, um die Fotos zu stehlen, stirbt die kleine Betrügerin: "Sie ist am Knebel erstickt!" Weil St. Pauli in Olsens Filmen ein echtes Dorf ist, bleibt dieser Unglücksfall auch für die anderen Figuren nicht folgenlos, besonders nicht für den armen Hein Jungermann (Fritz Wepper), ein Matrose, der mit besagter Margot seit zwei Jahren verlobt war und nun gerade in Hamburg von Bord gegangen ist, um sie zu besuchen. Wie es in solchen Filmen so geht, steht Hein bald unter Mordverdacht, doch zum Glück lernt er Dr. Jan Diffring kennen, der ihm tatkräftig zur Seite steht. Am Ende sind die Bösen alle tot, Hein schließt die reizende Karin (Marianne Hoffmann) in die Arme und alles ist gut.
Das Schöne an diesem Film - wie auch etwa an Olsens DER PFARRER VON ST. PAULI - ist neben dem Nostalgiebonus die ungemein charmante Mischung aus burlesken und sleazigen Elementen. Für erstere sorgt zuerst natürlich der Onkel der Nation, Curd Jürgens. Man kann sicherlich nicht in Abrede stellen, dass Jürgens einer der wenigen internationalen Filmstars war, die Deutschland hervorgebracht hat, ebensowenig zur Diskussion steht für mich aber auch, dass seine weihevolle Art und seine Angewohnheit, mit wässrigem Blick und nordischer Erdigkeit jeden Satz mit der Gravität eines ewigen Treuegelübdes zu versehen, harter Tobak ist und einen manchmal regelrecht würgen lässt. Sein Dr. Diffring wird so zum Engel in Weiß überstilisiert, dass man vermuten möchte, selbst sein Stuhlgang rieche noch nach Weihrauch und er könne Hamburg allein mit dem Glanz seiner Aura beleuchten. Da muss das Hamburger Urgestein Reincke ganze Arbeit leisten, um den Film vor dem Abheben zu bewahren. Die beste Szene gehört aber eindeutig Horst Naumann: Wenn er einer Unglücksseligen ein Kind "wegmachen" will und bei der äußerst unsanft durchgeführten Operation von einem Anrufer belästigt wird, entgleitet ihm – schwupps – die Schere. Da hilft nur eine ordentliche Ladung Mull, die er der Patientin vaginal einführt, um sie für den Transport in ein Krankenhaus zu wappnen. Weil Diffrings Gattin aber keinen Bock auf Ärger hat, muss sich die Patientin allein auf den Weg machen und verblutet in einem Taxi. Am Schluss gibt es dann noch eine feiste Ballerei auf einem Schrottplatz, bei der Willi mit seinen Jungs tatkräftig mitwirkt. Die Schau stiehlt ihm höchstens der Scherge mit der geilen Sonnebrille, der schon den Heinz Klett aus BLUTIGER FREITAG erahnen lässt. Olsen selbst ist als Leichenbeschauer zu sehen, wie natürlich auch Dieter Borsche als Pfarrer anwesend ist. Statt des Gesäusels um den blöden Hein hätte ich gern noch mehr von Heinz Reincke gesehen oder ein paar weitere Nuttenbehandlungen vom Curd, aber man kann halt nicht alles haben. Insgesamt betrachtet ist DER ARZT VON ST. PAULI aber ein wunderbares Stück bundesdeutscher Filmgeschichte und so reizend, dass man am liebsten zwischen all den Charakteren einziehen würde.
#1124
Geschrieben 05. Februar 2008, 10:53
Regie: Billy Wilder
Don Birnam (Ray Milland) ist Alkoholiker und seit zehn Tagen trocken. Um ihn auf andere Gedanken zu bringen, will sein Bruder Wick (Philip Terry) ihn für ein Wochenende mit aufs Land nehmen, doch Don hat schon wieder nur den Alkohol im Sinn. Mit einem Trick gelingt es ihm, die Abreise hinauszuzögern und seine Aufpasser – besagten Bruder und die eigene Geliebte Helen (Jane Wyman) – loszuwerden. Don stürzt sich in ein Wochenende voller Schnaps, Selbsthass und Demütigung ...
In seinem vierfach Oscar-prämierten Alkoholikerdrama (dem – ich spekuliere hier – für den Alkoholismus eine ähnliche Bedeutung zukommen dürfte wie Premingers zehn Jahre später entstandenem THE MAN WITH THE GOLDEN ARM für die Heroinsucht) zeigt Billy Wilder in bedrückenden Bildern wie sich Don selbst immer mehr in die Enge manövriert, bis ihm sowohl der Raum zur Entfaltung als auch die Handlungsmöglichkeiten ausgehen. THE LOST WEEKEND (dessen deutsche DVD mit einem unsäglichen Klappentext bedruckt ist) ist ein Film der räumlichen Verdichtung. Fast der gesamte Film spielt in abgeschlossenen Räumen, freien Himmel gibt es fast nie zu sehen (insofern ist THE LOST WEEKEND wieder auch ein sehr typischer New-York-Film). Don, einst ein ambitionierter Schriftsteller, geht von seinem Appartement in die nächste Bar und von dort nach Hause. Als ihm das Geld ausgeht und er seine Schreibmaschine – die ihn als einziges noch an seine einst großen Pläne und somit auch an sein eigenes Versagen erinnert – versetzen will, kapituliert er schon vor der Aussicht, anderthalb Blocks zum Pfandleiher laufen zu müssen. Sein Aktionsradius wird immer enger, sein Lebensraum zieht sich immer weiter zusammen. Bald stehen ihm Türen wie jene zur Cocktailbar, in der er beim Diebstahl erwischt und hinausgeworfen wird, nicht mehr offen, im alcoholic ward des Krankenhauses ist er ganz buchstäblich ein Gefangener. Aber nicht nur die Räume nehmen immer mehr bedrohliche, dunkle Züge an, auch die Zeit arbeitet gegen Don: Sie gliedert sich nicht mehr in Tag und Nacht, sondern in Phasen, in denen ihm der Zugang zu Alkohol offen steht oder aber verschlossen ist. Wilder kristallisiert die Dynamik der Sucht klar heraus: Der Anstoß zum Handeln wird aus dem Inneren Dons immer mehr nach außen verlagert; nicht mehr er ist es, der die Entscheidung zum Saufen trifft, sondern der Alkohol entscheidet über ihn. THE LOST WEEKEND ist aber nicht nur ein Säuferdrama, er handelt auch von der Unfähigkeit eines Künstlers, die Initiative über sein Leben zu ergreifen. Don fehlt jegliche Selbstdisziplin, sein Versagen lässt ihn immer wieder zur Flasche greifen, die ihm vorgaukelt, der Größte zu sein. Die Selbsterkenntnis nach dem Suff führt nur wieder zu neuen Selbstzweifeln und Depressionen und somit zum erneuten Griff zur Flasche. Das ist der vicious circle, den Don beinahe zärtlich benennt, als er die nassen Ringe vor sich auf der Bar sieht, die seine Schnapsgläser auf dem Holz hinterlassen haben. So vollkommen wie diese perfekten Ringe wird Don niemals sein.
THE LOST WEEKEND ist ein bitterer Film, der den Verlust der Würde, der mit dem Alkoholismus einhergeht, für den Zuschauer auf unangenehme Weise spürbar macht. Mitansehen zu müssen wie Don sich gegenüber seinen einzigen Freunden in immer neuen Lügen verstrickt, Versprechen in dem Wissen gibt, sie zu brechen, ist kaum zu ertragen. Neben Wilders überaus affektiver Inszenierung – THE LOST WEEKEND greift durchaus Mechanismen des Horrorfilms auf: man beachte das unheimlich-verführerische Säuseln des Scores, das die Verlockungen des Alkohols ausdrückt, die besagte Szene im alcoholic ward oder Dons klimaktische Albtraumvision – ist es vor allem das aufopferungsvolle Spiel Ray Millands, das einen in diesen Film hineinzieht und das völlig zu Recht mit dem Academy Award gewürdigt wurde. Für anderthalb Stunden ist man ein Verbündeter dieses jammervollen Gesellen, ist man gezwungen, seinen Fall aus nächster Nähe zu beobachten. Dass dieser Fall am Schluss durch einen sehr unvermittelten deus ex machina gebremst wird, mag einem Kompromiss aus kommerziellen Erwägungen heraus geschuldet sein und mutet etwas forciert und naiv an, dennoch: Wenn es eine Rettung für Don geben konnte, dann diese. Aus eigener Kraft hätte er es niemals schaffen können.
#1125
Geschrieben 05. Februar 2008, 13:59
Regie: Michael Davis
Mr. Smith (Clive Owen) sitzt Karotten mampfend an einer Bushaltestelle als eine schwangere Frau sichtbar leidend an ihm vorbeiwankt. Nur wenige Sekunden später folgen der Frau einige bewaffnete Schergen mit beunruhigend entschlossenem Gesichtsausdruck. Ein kurzes Innehalten, ein kurzes „Fuck!“ und schon steckt der Held in einem 75-minütigen Showdown, der den Titel zum Programm macht.
Die direkte und unvermittelte bildliche Kontrastierung von neugeborenem Leben und dem unfreiwilligen Tod gehört zu den stärksten Bildern des Actionfilms und seiner Vorgänger. Fulci montiert den Showdown seines umbarmherzigen I QUATTRO DELL’ APOCALISSE parallel zu einer Geburt, das Plakatmotiv von John Woos HARD-BOILED bringt den Actionhelden und das Baby zusammen und auch Woos Landsmann Tsui Hark wartet in TIME AND TIDE mit einer Szene auf, in der Anfang und Ende des Lebens innerhalb einer Einstellung aufeinanderprallen. Keine schlechte Idee also, aus diesem Bild einen ganzen Film zu machen und die dem Genre inhärente Reflexion über Leben und Tod auf vorderster Bildebene zu verhandeln. SHOOT ’EM UP ist, wie der Titel schon sagt, ein Film der radikalen Reduktion. Eine Expositon oder einen Handlungsaufbau gibt es nicht, der Brite Davis dampft seinen Actionfilm konsequent auf das ein, was er wohl für die Essenz des Genres hält: Action. Form und Inhalt sind in seinem Film kaum noch voneinander zu trennen: So wie er von der ersten Sekunde an auf Tempo und bildliche Klarheit setzt, präsentiert sich auch der rudimentär vorhandene Plot als jeglichen Ballasts beraubt. Es geht ganz sprichwörtlich um Leben und Tod. Smith muss das Baby der Schwangeren retten und beschützen und zu diesem Behufe unzählige Killer umlegen, deren Geschäft – der Waffenhandel – sie buchstäblich zu death merchants macht. Als wäre das Prinzip hinter diesem Gerüst aber nicht eh schon deutlich zu erkennen, steht besagtes Baby gleich in zweifacher Hinsicht für das besagte Prinzip des Lebens: Sein Rückenmark soll nämlich einen liberalen Politiker vor dem Tod bewahren, den die Waffenlobby ihm wiederum von ganzem Herzen gönnt. In seinen besten Momenten gelingt es Davis tatsächlich, das seinen Film sonst bestimmende Element des Gimmickhaften zu überwinden und einige tiefere Einsichten in die jedem Actionfilm zugrunde liegenden existenziellen Konflikte zu ermöglichen, etwa wenn Smith bei einem Pfandleiher versucht, Essensmarken gegen Patronen einzutauschen, oder er seiner Geliebten, der Prostituierten Donna (Monica Bellucci), den Abzugschutz seiner Pistole als Ehering ansteckt. Leider merkt man aber auch, dass Davis offensichtlich gar nicht bewusst war, wie nah er in diesen Augenblicken an die Essenz des Actionfilms dringt: Für ihn sind auch diese Szenen nur Nummern in einer nicht enden wollenden Revue spektakulär choreografierter Schusswechsel (die Liste der Stuntmen überragt die der Darsteller um Längen), politischer Unkorrektheiten, die mal sehr witzig sind – Donnas vermeintliche Vergewaltigung entpuppt sich als freiwilliger Blowjob, der Geld für Babynahrung erwirtschaften soll –, mal einfach nur billigste Affirmation: Mit dem Besuch im Metalschuppen wird der spießige Tiefpunkt erreicht. SHOOT 'EM UP wird so für den Liebhaber des Genres zur mehr als zwiespältigen Angelegenheit, weil man sich für jeden schönen Einfall (die Darstellung Smiths als menschlicher Bugs Bunny ist so einer) durch die dreifache Menge an infantilem Unsinn kämpfen muss, der einer jeder Tiefe beraubten, zynischen Coolness dient. Schlimm ist nicht, dass die moderne Videoclip-Klitsche, die das Actionkino mehr und mehr vereinnahmt und zu der auch Davis gehört, mit ihren Filmen kaum noch mehr als hohle Spaßfilme im Sinn haben, die gar keinen Hehl mehr daraus machen müssen, dass sie auf ein ADS-gestörtes Kiddiepublikum zugeschnitten sind; diese Tendenz erkennt man ja auch in anderen Genres. Was wirklich ärgert, ist der zunehmende Historizitätsverlust Filmschaffender, deren Horizont kaum mehr weiter als zehn Jahre zurückzureichen scheint. Dass Action vor allem aus dem Wechselspiel von langsamen und eruptiven Passagen entsteht, deren Spannungsverhältnis erst die innere Dramatik ausmacht, scheint ein längst vergessener Grundsatz zu sein. Das seit SPEED immer mal wieder erfolglos aufgegriffene Konzept eines filmlangen Showdowns muss aus ebendiesem Grund scheitern. SHOOT ’EM UP muss immer spektakulärere „Showdowns“ präsentieren und gerät so gegen Ende immer mehr zum völlig überzogenen Kinderkram, der die guten Ansätze gnadenlos untergräbt. Ausgesprochen schade, denn mit etwas mehr Sachverstand, Mut und längerem Atem wäre hier vielleicht wirklich ein Spaßfilm „gegen den Strich“ möglich gewesen. Von diesem Potenzial ist im fertigen Film nur noch wenig zu sehen: SHOOT ’EM UP dürfte einer der wenigen Filme sein, in dem sich der Held völlig entgegen der Konvention konsequent von links nach rechts durchs Bild bewegt. Es steht aber zu vermuten, dass das nur Zufall ist.
#1126
Geschrieben 06. Februar 2008, 11:25
Regie: Richard Brooks
Die Familie Pollitt – Mutter Ida (Judith Anderson), die beiden Söhne Gooper (Jack Carson) und Brick (Paul Newman) sowie deren Gattinnen Mae (Madeleine Sherwood) und Maggie (Elizabeth Taylor) – erwartet in ihrem stattlichen Herrenhaus im amerikanischen Süden die Ankunft des Familienoberhaupts „Big Daddy“ (Burl Ives), um seinen 65. Geburtstag zu feiern. Es wird sein letzter sein, denn er leidet an Krebs im Endstadium, was Gooper und Mae in Absprache mit dem Arzt jedoch vor den Eltern verheimlichen und sie in dem Glauben lassen, er leide lediglich an einem Reizdarm. Während Gooper und Mae Big Daddy umgarnen und ein riesiges Schauspiel inszenieren, weil beide nach der großen Erbschaft trachten, spielt sich im Zimmer von Brick und Maggie eine Ehekrise ab: Der ehemalige Footballstar Brick hat sich von seiner Gattin abgewendet, verweigert jede Konversation mit ihr und schüttet ein Glas Whiskey nach dem anderen in sich hinein. Er ist des bigotten Treibens in seiner Familie längst überdrüssig, aber unfähig, den offenen Dialog zu suchen. Bis sein Vater ihn zur Rede stellt: Plötzlich kommen all die jahrelang aufgestauten Konflikte ans Licht ...
Ich habe ja schon in meinem Eintrag zu Cukors THE PHILADELPHIA STORY erwähnt, wie schwer es mir fällt, zu solchen unsterblichen Klassikern etwas zu schreiben, ohne dass es mir fürchterlich unzureichend und banal vorkommt. Für Erstsichtungen gilt das natürlich umso mehr und diese Betrachtung von Brooks’ Adaption des Tennessee-Williams-Bühnenstücks war eine solche. So war ich gestern vornehmlich darauf konzentriert, den andeutungsreichen Dialogen zu lauschen und – ganz banal – die Handlung zu verfolgen. Brooks’ Regie tritt – so schien es mir jedenfalls – zugunsten seiner Schauspieler zurück, lässt ihnen viel Raum und gönnt ihnen lange Einstellungen, in denen sie sich voll entfalten können. Allerdings ist mir da wohl etwas durch die Lappen gegangen, denn der Text, der der DVD der SZ-Cinemathek beigefügt ist, spricht von Schnitten gegen den „Zuschauerkomfort“, die im Kontrast zu den „zerdehnten“ Rhythmen des Filmes stehen, und von allerhand anderen formalen Feinheiten, zu denen ich jetzt rein gar nix sagen kann und mir deshalb unheimlich dumm vorkomme. Gefallen hat mir CAT ON A HOT TIN ROOF natürlich trotzdem: Heutigen Filmemachern geht das Talent, allein durch die Konstellation der Figuren im Raum eine solch immense Spannung zu erzeugen, leider weit gehend ab. So wird Brooks’ Film zu einer echten emotionalen Belastungsprobe: Man wird mit einer kaum noch aufzulösenden Krise konfrontiert, deren Ursachen lange verborgen bleiben, die sich aber immer wieder in Andeutungen, ausweichenden Blicken und einer generell aufgeladenen Atmosphäre offenbart. CAT ON A HOT TIN ROOF ist zuerst ein Film der Fünfzigerjahre, ein Film über den Generationenkonflikt und den Zusammenprall ganz unterschiedlicher Lebenskonzepte: materieller Wohlstand vs. Liebe – im Haus der Pollitts können diese beiden Bedürfnisse nicht koexistieren. Das stille Leiden im mondänen Anwesen überträgt sich sehr unvermittelt auf den Zuschauer, dem mit Brick und Maggie zwei sehr unterschiedliche Identifikationsfiguren zur Seite stehen. Während Brick mit seinem desillusioniert ins Leere gehenden Blick (Paul Newmans Augen sind eines der zentralen Gestaltungsmerkmale des Films), der jedoch immer wieder kurze schneidende Blitze abschießt, um sein Gegenüber zu verletzen, und den versteinerten Gesichtszügen die untrennbare Verbindung von Verletzt-Sein und Verletzen repräsentiert, ist Maggie die Stimme der Vernunft, die versucht den schwelenden Konflikt im Dialog zu lösen. Ihre Methode ist die Beharrlichkeit, die sie trotz der Demütigungen, die Brick über ihr ausgießt, nicht aufgeben wird. Dass sie so lang auf dem heißen Blechdach sitzen bleibt, weicht Bricks steinerne Fassade mehr und mehr auf: Wunderbar sind die kurzen Momente, in denen sich der Hass in Bricks Gesicht zugunsten eines nur halbherzig verborgenen Lächelns verflüchtigt.
Richard Brooks inszeniert dieses Familiendrama mit einem sicherenen Gespür für kleine Details, lässt die Gesichter und Blicke seiner Akteure mehr sagen als sich in ihren Worten offenbart und spinnt ein beinahe unentwirrbares Netz aus Kränkungen, Traumata, Enttäuschungen und Lügen, das die Pollitts zu ersticken droht. Ich freue mich auf die Zweitsichtung dieses wunderbaren Films, der mir dann sicherlich noch einige seiner verborgenen Geheimnisse verraten wird.
#1127
Geschrieben 06. Februar 2008, 14:46
Regie: Jean-Pierre Melville
Während der Überführung von Marseille nach Paris gelingt dem Ganoven Vogel (Gian Maria Volontè) die Flucht aus der Obhut des ihn begleitenden Kommissar Mattei (Bourvil). Gleichzeitig wird an anderer Stelle der Verbrecher Corey (Alain Delon) aus der Haft entlassen. Er ist jedoch mitnichten geläutert, vielmehr hat er von einem der Wärter einen heißen Tipp für einen Juwelenraub mit auf den Weg bekommen. Das Schicksal führt Vogel und Corey schließlich zusammen. Aus Mangel an Optionen fassen sie den Raubüberfall ins Auge. Dafür engagieren sie als dritten Mann den ehemaligen Polizisten Jansen (Yves Montand), einen Alkoholiker und Scharfschützen. Doch die Verbrecher hinterlassen deutlich sichtbare Spuren, die der eifrige Mattei sicher zu interpretieren weiß ...
Jean-Pierre Melville, der Gottvater des französischen Gangsterfilms und Vorbild zahlreicher moderner Genrefilmer, befreit seine düstere Geschichte um Freundschaft, Verrat und Bestimmung von jeglichem Pathos und emotionalem Überschwang. Corey und Vogel sind keine Rebellen gegen das System, ihren Handlungen wohnt kein Aufbegehren inne: Sie tun einfach nur das, was sie gelernt haben. Mit bitterer Zwangsläufigkeit schlagen sie immer wieder den Pfad des Verbrechens ein, regungslos nehmen sie das Schicksal an, das ihnen zugedacht ist. Ein Schnitt genügt Melville, um die Seelenverwandtschaft dieser beiden Männer zu etablieren. Weder verwundert es, dass sie schließlich wirklich zusammentreffen, noch, dass es gar keiner Worte bedarf, ihre Freundschaft zu zementieren. Es wird fast gar nicht gesprochen in LE CERCLE ROUGE, es ist sowieso alles fest gefügt, die Bestimmung lastet auf den Schultern der Protagonisten wie der feuchte Dunst auf den Straßen und Feldern Frankreichs. Doch obwohl sich dieser beständige Grauschleier niemals lüften wird, ist Melvilles Film von großer Klarheit: Da die Verbrecher, hier die Polizei. Dieser Ordnung wohnt allerdings keine Moral inne, alle sind mehr oder weniger schuldig, erfüllen nur die Rolle, die der kosmische Spielleiter ihnen zugedacht hat. Insofern ist LE CERCLE ROUGE natürlich ein stark von der existenzialistischen Philosophie geprägter Film: Ob Corey, Vogel und Jansen nun am Ende erfolgreich sein werden oder nicht, ist zweitrangig, entscheidend ist, dass sie ihren Part bestmöglich ausgefüllt haben. Leider sitzt die Polizei am längeren Hebel. Paris, das Corey noch als einzig sicheren Aufenthaltsort für Kriminelle bezeichnete, ist von einem engmaschigen Beziehungsnetz durchzogen, einem System aus Drohung und der Erpressung, das keine Ehre unter Dieben mehr zulässt. Und so entscheidet Mattei das Duell am Ende für sich. Ein weiterer erledigter Fall, aber kein Triumph. Der Kommissar hat ja nur seinen Job getan, jetzt kann er sich wieder seinen Katzen widmen.
Der Einfluss dieses Films kann kaum überschätzt werden: Die telepathischen Männerbeziehungen in den Filmen John Woos verweisen auf die Freundschaft zwischen Vogel und Corey, die keine Worte braucht, die von jeder Emotion bereinigte Routine, mit der der Einbruch ausgeführt wird, lässt wiederum an Michael Manns THIEF und HEAT denken. Was bei Woo jedoch zum überemphatischen, homoerotisch aufgeladenen Todesballett stilisiert und bei Mann zur Reflexion über die Einsamkeit des Individuums im Spätkapitalismus ausgearbeitet wird, das breitet Melville mit stoischer Ruhe und dem analytisch-scharfen, unbestechlichen Blick des Pathologen aus. Nur manchmal reißen heftige Jump-Cuts aus dem unaufhaltsamen Fluss der Dinge und markieren Zäsuren, schaffen Wischblenden und Schwenks unvermittelt Harmonie und Sinn, wie etwa in der wunderschönen Szene, in der Jansen seine Kugeln herstellt – ein Schelm, der vermutet, Glickenhaus habe sich für seine ganz ähnliche Szene in THE EXTERMINATOR davon inspirieren lassen. Meisterlich auch der sparsame Einsatz des Scores von Eric Demarsan, der die Unausweichlichkeit des Geschehens mit leisen percussiven Tönen untermalt und damit knisternde Spannung schafft. Die Stille ist überhaupt ein wesentliches Mittel von Melvilles Inszenierung: In der langen, völlig ohne Dialoge und Musik auskommenden Caper-Szene, schlägt sie dem Zuschauer als wahrer blast of silence entgegen.
So könnte ich endlos weiterschwärmen: über Gian Maria Volontè, der in jedem Film, den ich von ihm kenne, ein anderer ist; über Delons nicht mehr nur unterkühlte, sondern schon tiefgefrorene Ausstrahlung; über Montand, der als Jansen im Alkoholrausch von allerhand kleinem Getier aufgesucht wird und sich schreiend in die Ecke seines Zimmers drückt; über die Szene, in der Corey seine Ex-Freundin hinter der verschlossenen Schlafzimmertür eines ehemaligen Komplizen spürt, ohne sie zu sehen; über die Bilder voller Tod, Trauer und Tristesse und über den Moment, in dem inmitten eines matschigen Feldes eine Freundschaft erblüht, die sich nicht erklären muss. Ich könnte meiner Begeisterung aber auch Ausdruck verleihen, indem ich sagte, dass mich Melvilles LE CERCLE ROUGE von all den Klassikern, anerkannten Meisterwerken und formalen Bravourstückchen, die ich in der letzten Zeit sehen durfte, am meisten beeindruckt hat. Ein beängstigend perfekter Film, glasklar und schneidend wie ein Diamant.
#1128
Geschrieben 07. Februar 2008, 14:25
#1129
Geschrieben 08. Februar 2008, 16:07
Regie: Claude Chabrol
Als François Vasseur (Benoit Magimel) nach dreijährigem Exil in den USA in das Haus seiner Familie, der gutbürgerlichen Sippe Charpin-Vasseur, zurückkehrt, gerät er mitten hinein in eine Intrige. Seine Stiefmutter Anne Charpin-Vasseur (Nathalie Baye), die sich um den Posten der Stadträtin bemüht, wird zum Ziel einer widerlichen Schmierenkampagne, die den Namen der Familie zu beschmutzen sucht. Keine schwierige Aufgabe, können die Familien Charpin und Vasseur doch auf eine lange gemeinsame Geschichte voller merkwürdiger Todesfälle und Tragödien zurückblicken. Und ihre inzestuöse Verbindung wird nun in der Gegenwart von den Halbgeschwistern François und Michèle (Mélanie Doutey) fortgesetzt. Neben dem intriganten Vater Gérard (Bernard Le Coq), der seine Frau Anne betrügt, wo er nur kann, gibt es da auch noch die alternde Tante Line (Suzanne Flon), die ebenfalls ein dunkles Familiengeheimnis hütet. Die Spannungen innerhalb der Familie kulminieren schließlich in einem Mord ...
LA FLEUR DU MAL ist mein erster (bewusst wahrgenommener) Chabrol und vielleicht nicht der ideale Einstieg in dessen Werk. 2003 im zarten Alter von 73 Jahren inszeniert, ist er ein typisches Alterswerk, der Film eines Künstlers, dessen Sternstunden wohl schon 20 bis 30 Jahre zurückliegen. Die zeitgenössische Kritik war ebenfalls wenig angetan und monierte einen allzu altersweisen Blick auf die Abgründe der bürgerlichen Gesellschaft, die Chabrols Leib- und Magenthema sind. Tatsächlich werden die skandalösen Vorgänge in der Familie Charpin-Vasseur nicht mehr genüsslich demontiert, ihre Mitglieder nicht bloßgestellt, vielmehr beobachtet Chabrol sie mit dem Lächeln eines Mannes, dessen Zorn auf die Menschen mit den Jahren abgeschliffen und von humanistischer Nachsicht abgelöst worden ist. Anstatt die einzelnen Mitglieder der Familie für ihre Handlungen zu verurteilen, bringt er ihnen viel Sympathie entgegen und stellt ihre Verfehlungen eher als Symptome einer Erbkrankheit dar: Sie können gar nicht anders, sie sind – wie ein Bild deutlich macht – Gefangene der bürgerlichen Welt und ihrer eigenen Gene. François und Michèle begeben sich vielleicht allzu sorglos in eine inzestuöse Beziehung, aber an ihrer Liebe besteht kein Zweifel; Tante Line hat zwar wortwörtlich eine Leiche im Keller, aus menschlicher Sicht ist ihre Handlung aber durchaus nachzuvollziehen; Annes Interesse an der Politik mag einzig ihrem Drang nach Karriere geschuldet sein, aber wer will ihr das bei diesem Mann verübeln? Nur Gérard bekommt nur wenig sympathische Züge auf den Weg und muss mit fortgeschrittener Spielzeit zum Schurken mutieren. Doch trotz seines Themas ist LA FLEUR DU MAL ein sonniger, beschwingter Film: Helle Pastelltöne bestimmen die Bilder, der Score von Chabrols Sohn Matthieu akzentuiert den scharfzüngigen Humor, ein sehr gleichmäßiger Flow lullt den Zuschauer regelrecht ein, bevor es dann doch etwas bitterer wird. Wenn Michèle und Line zum Schluss die Leiche eines Familienmitglieds entsorgen und über ihre Bemühungen in herzhaftes Gelächter ausbrechen und die Familie im Anschluss nahtlos zur Tagesordnung übergeht und sich nicht einmal anstrengen muss, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, dann zieht sich dem Zuschauer die Kehle umso stärker zusammen, als Chabrol den beschwingten Ton seines Films auch in diesen Momenten beibehält, die große Moralkeule stecken und stattdessen Nachsicht walten lässt. In seiner Ambivalenz ist LA FLEUR DU MAL ein recht faszinierender Film, der leider das ein oder andere Mal etwas zu eindeutige (um nicht zu sagen platte) Bilder findet, um den Charakter der Famile offenzulegen. Insgesamt aber eine runde Sache, ein schöner Film und vielleicht doch gar nicht so ein schlechter Anfang für eine Beschäftigung mit Chabrol. Mein Appetit ist jedenfalls geweckt worden.
#1130
Geschrieben 09. Februar 2008, 11:30
Regie: Alfred Hitchcock
Während einer Zugfahrt wird der attraktive Tennisspieler Guy Haines (Farley Granger) von dem Mitreisenden Bruno Anthony (Robert Walker) angesprochen, der sich als äußerst gut informiert über das Privatleben des Sportlers zeigt: Dieser ist nämlich mit Anne Morton (Ruth Roman), der Tochter des Senators Morton (Leo G. Carroll), liiert und will sich deshalb von seiner Ehefrau Miriam (Kasey Rogers) scheiden lassen, die sich jedoch weigert. Der aufdringliche Anthony wird bald schon unangenehm konkret. Weil Anthony unbedingt seinen verhassten Vater loswerden will, schlägt er vor, der eine übernehme jeweils einen Mord für den anderen: Guy solle Brunos Vater töten, dieser übernehme im Gegenzug die lästige Miriam. So seien beide alle Sorgen los, kämen aber nicht selbst als Mörder in Frage. Guy ist schockiert, hält das alles für einen geschmacklosen Scherz, doch dann erhält er die Nachricht vom Tod seiner Gattin. Und bald schon drängt Bruno auf Einhaltung der gemeinsamen "Abmachung" ...
Die letzte Sichtung dieses Film liegt bestimmt schon über zehn Jahre zurück, damals hatte er mir ausgezeichnet gefallen. Die gestrige Sichtung war vor diesem Hintergrund aber doch etwas ernüchternd: Der Adaption von STRANGERS ON A TRAIN, einem Roman von Patricia Highsmith, geht nicht nur das ganz große Hitchcock-Feeling ab, der Film weist auch einige deutliche Schwächen in Plotkonstruktion und Charakterisierung auf, die einen durchschlagenden Erfolg verhindern. Der Held Guy wird von Bruno zu Beginn aufgrund seiner sportlichen Karriere als „Machertyp“ charakterisiert, eine Einschätzung, mit der er kaum falscher liegen könnte. Tatsächlich ist Guy im echten Leben ein Zauderer: Den Intrigen seiner Ehefrau steht er hilflos gegenüber und auch als Bruno ihn zu bedrohen beginnt, bleibt er merkwürdig passiv. Es dauert gut achtzig Minuten, bevor Guy das Schicksal in die eigenen Hände nimmt und beschließt, etwas zu unternehmen. Dieses Zauderhafte kehrt Granger mit seinem unflexiblen Spiel noch deutlich hervor. Guy gegenüber steht Bruno, der zwar ein würdiges Mitglied von Hitchcocks langer Ahnenreihe denkwürdiger Psychopathen, aber auch eine ziemliche Witzfigur ist: Er, ein Mann zwischen dreißig und vierzig, hat es immer noch nicht geschafft, sich von seinen Eltern zu lösen, und muss einen Dritten beauftragen, um den Konflikt mit seinem Vater zu lösen. Dieser Konflikt bleibt in STRANGERS ON A TRAIN ein Mysterium, ebenso wie die Ursache von Brunos Hass. In dieser Konstellation von zauderhaftem Helden wider Willen (eigentlich ja eine feste Größe in Hitchcocks Oeuvre) und feigem, infantilem Schurken liegt das Problem: STRANGERS ON A TRAIN ist eigentlich eine verhinderte Komödie, die Hitchcock jedoch als Thriller inszenierte. Das Versagen des Meisters wird umso deutlicher, wenn man seinen Film mit De Vitos famoser Hommage und Parodie THROW MOMMA FROM THE TRAIN vergleicht, der das ganze komödiantische Potenzial der Konstellation erkannt und erfolgreich umgesetzt hat.
Über Hitchcock zu lästern halte ich aber grundsätzlich für ein Zeichen von Kaltherzigkeit und falsch verstandenem Expertentum, deswegen werde ich auch einen Teufel tun und STRANGERS ON A TRAIN als schlechten Film bezeichnen. Aber in der langen, langen Reihe großartiger bis perfekter Filme, die auf das Konto des Briten gehen, ist STRANGERS ON A TRAIN eben einer, der nicht ganz so gut gelungen ist. Das spiegelt sich auch darin wieder, dass ihm zur Suspense-Erzeugung hier nichts besseres eingefallen ist, als Guy ein Tennismatch gegen die Uhr absolvieren zu lassen. Das sollte jedoch niemanden davon abhalten, sich auch diesen Film unbedingt anzusehen, denn ein nicht ganz so guter Hitch ist immer noch besser als 90 Prozent dessen, was andere auf die Menschheit loslassen. Und Szenen wie jene, in der Bruno die ahnungslose Miriam erdrosselt, er den armen Guy förmlich als Schatten verfolgt oder er seine Mordtat für neugierige alte Damen noch einmal auf einer Party vorspielt, zeigen die beispiellose Meisterschaft des Regisseurs. Leider wollen sich diese tollen Momente aber nicht zu einem hundertprozentig überzeugenden Film summieren.
#1132
Geschrieben 10. Februar 2008, 16:10
Regie: Claude Sautet
Max (Michel Piccoli) ist Polizist und ein ®echter Fanatiker: Bleich wie Graf Dracula, aber asketisch wie Van Helsing führt er ein Außenseiterdasein zwischen seinen proletarischen Polizeikollegen, für die er nur ein intellektueller Spinner ist. Der ehemalige Richter, für den der Job ein Beruf im Wortsinne ist, begnügt sich längst nicht mehr damit, nur die Reste wegzuräumen: Er will das Verbrechen ganz und gar auslöschen. Als ihm der ehemalige Armeefreund Abel (Bernard Fresson) über den Weg läuft, der sich mit seinen Kumpels kleinen Gaunereien und dem An- und Verkauf von Altmetall verschrieben hat, kommt Max eine teuflische Idee: Er pflanzt dem sympathischen Verlierer erst die Idee vom "großen Coup" ein und gibt sich gegenüber Abels Freundin, der deutschen Prostituierten Lily (Romy Schneider), als Bankier aus. Mit Details über Geldlieferungen und Sicherheitslücken ausgestattet, bedrängt Lily nun ihrerseits Abel dazu, den Bruch zu machen. Und Max und seine Vorgesetzten sitzen in ihren verqualmten Büros und warten nur darauf zuzuschlagen ...
Claude Sautet hatte nach eigenem Bekunden die intellektuellen Stalinisten im Sinn, als er den Roman von Claude Néron verfilmte: Menschen, die in ihrem Eifer und dem Drang, die Welt zu verbessern, irgendwann unbemerkt eine Grenze überschritten hatten und sich in das verwandelten, was sie eigentlich zu bekämpfen angetreten waren. Sautet zieht eine deutliche visuelle Trennlinie zwischen dem bürgerlichen Spießertum, das Max repräsentiert – verqualmte dunkle Zimmer, die so aussehen als röchen sie nach jahrealtem Staub und Filz; unkultivierte und in graue Anzüge gehüllte Maschinenmenschen, deren Lebensziel einzig darin zu bestehen scheint, möglichst schnell ein Magengeschwür zu entwickeln –, und der bunten Welt der ferrailleurs – Freunde, die sich dem Rennen nach Geld und Ruhm entzogen und dem süßen Müßiggang verschrieben haben, abends rauschende Feste mit Wein und Gesang feiern und ihre Tage wie die Zigeuner unter freiem Himmel verbringen. Es bleibt kein Zweifel, wem seine Sympathien gehören, doch er macht auch keinen Hehl daraus, dass diese ferrailleurs der Gnade der Spießbürger unterliegen: Gegen die eiskalt geplante Intrige Max' haben sie keine Chance, der Kapitalismus mit seinen Verheißungen von Luxus und Wohlstand duldet keine Enthaltung, jeder muss einverleibt werden. Und so wird Max letztlich zum Vollstrecker eines Systems werden, das er selbst verachtet. Sautets Film ist von einer sprachlos machenden Bitterkeit, dabei ungemein kalt und nüchtern. Fassungslos wohnt man dem abgefeimten Plan Max' bei, sieht mit Ekel und Abscheu, wie er Menschen aus Fleisch und Blut zu Schachfiguren in seinem Spiel degradiert. Sautet breitet das alles mit großer Ruhe und äußerster Präzision aus. Wenn er Romy Schneider und seinem Film dann den einen, großen emotionalen Moment beschert, ganz am Schluss, wenn sie das Ausmaß von Max' Verrat begreift, dann reißt es einen fast vom Stuhl. Ein erschütterndes Porträt und ein Film, der nirgendwo anders entstehen konnte als in Frankreich.
#1133
Geschrieben 11. Februar 2008, 13:04
Regie: Henri Verneuil
Der französische Schwerverbrecher Roger Sartet (Alain Delon) lässt sich vom sizilianischen Manalese-Clan beim Ausbruch während eines Gefangenentransports befreien. Gemeinsam mit der Familie unter der Führung des Patriarchen Vittorio Manalese (Jean Gabin) will Sartet einen spektakulären Juwelenraub durchführen: Während des Transports der Geschmeide von Rom nach New York wollen die Sizilianer das Flugzeug kapern, entführen und schließlich ausrauben. Zwei Dinge bereiten ihnen jedoch unerwartete Schwierigkeiten bei der Ausführung des tollkühnen Plans: die Polizei in Person des ehrgeizigen Le Goff (Lino Ventura), der mit Sartet noch ein Hühnchen zu rupfen hat, und die libidinösen Wallungen des undurchsichtigen Franzosen, die auch vor Schwiegertöchtern sizilianischer Mafiabosse nicht halt machen ...
Henri Verneuil, seinerseits Spezialist für vollveredelte französische Spannungsware, versammelte für LE CLAN DES SICILIENS mit Jean Gabin, Alain Delon und Lino Ventura drei Superstars des französischen Kinos vor der Kamera, mit denen er sich an einem klassischen Caper-Movie versuchte, nicht jedoch, ohne dem Genre seinen sehr markanten Stempel zu verpassen. Während Filme wie OCEAN’S ELEVEN oder TOPKAPI sich als unbeschwerter Eskapismus ausgeben, die ihre Zuschauer zusammen mit den lebenslustigen und nur selten gefährlichen, stattdessen vielmehr sympathischen Verbrechern und gesellschaftlichen Aussteigern zu aufregenden Abenteuern an exotischen Schauplätzen entführen, stellt Verneuil den Beruf des Meisterdiebs als wenig glamouröses Geschäft dar, das vor allem viel Arbeit bedeutet und keine Fehler gestattet, wenn man am Leben bleiben möchte. In Verbindung mit dem Mafiasujet, dem Widerstreit familiärer Bindungen und knallharter Wirtschaftsentscheidungen, ist ein düsterer Crimethriller entstanden, der dem Zuschauer kaum Möglichkeiten zur Sympathieentwicklung bietet. Sartet ist ein schweigsamer und gewissenloser Vollblutverbrecher, der nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist, der Manalese-Clan eine verschworene Gesellschaft, die Eindringlinge höchst effizient zu beseitigen weiß, wenn es denn nötig wird. Nur Le Goff scheint ein Mensch aus Fleisch und Blut zu sein: Wie sehr er diesen Sartet dingfest machen will, wird etwa darin deutlich, dass er sofort wieder anfängt zu rauchen, nachdem er von Sartets Aufenthaltsort erfahren hat, obwohl er doch die ganze Zeit enthaltsam geblieben war. Überhaupt der Zigarettenqualm: Der zieht sich im wahrsten Sinne des Wortes so penetrant durch den französischen Crime- und Copfilm, dass man eigentlich mal einen Essay darüber schreiben müsste. Glamour sucht man indes vergebens: Der Film ist in tristen Grau- und Brauntönen gehalten, kaum mischen sich einmal grelle Farben ins Bild, wird ihre Wirkung von den versteinerten Gesichtern der Protagonisten unterwandert, Morricones unverkennbarer Score verleiht dem Film eine Melancholie, die vom Ende einer Zeit kündet, in der auch dem Verbrechen noch eine gewisse Moral innewohnte. Die Spannung, die zwischen dem eiskalten Sartet (Delon mal wieder in einer idealtypischen Rolle) und dem ehrenvoll ergrauten Manalese, der seinen Ausstieg aus dem Geschäft und den Ruhestand auf Sizilien vorbereitet, ist dem Generationenkonflikt und dem damit einhergehenden Zusammenprall völlig konträrer Moralvorstellungen geschuldet. Am Ende behält „die Firma“ natürlich die Fäden in der Hand, gegen jahrhundertealtes Blut kommt eben auch ein skrupelloser Mörder nicht an. In erster Linie sollte LE CLAN DES SICILIENS als ein nach allen Regeln der Regiekunst gefertigter Spannungsfilm betrachtet werden, der auf allen Ebenen die Konkurrenz in Übersee sucht und findet. Im besten Wortsinn großes Kino und ein Nägelkauer vor dem Herrn.
#1135
Geschrieben 11. Februar 2008, 14:31
Regie: John Waters
1962: Die Jugend von Baltimore liegt Discjockey Corny Collins (Shawn Thompson) und seiner Musikshow buchstäblich zu Füßen. Wer in seiner Show zu den hipsten Rock n’ Roll-Nummern das Tanzbein schwingt und dabei per Großaufnahme eingefangen wird, hat es fast geschafft – sofern er kein Schwarzer ist, denn die dürfen nur einmal im Monat am „Negro Day“ mitmachen. Bislang ist die krankhaft ehrgeizige, von Mutter Velma (Debbie Harry) und Papa Franklin (Sonny Bono) auf Leistung gedrillte Amber von Tussle ( Colleen Fitzpatrick) der unangefochtene Star der Show, doch dann erhält die fettleibige Tracy Turnblad (Ricki Lake) ihre Chance und läuft der kleinen Zicke den Rang ab. Die Situation droht jedoch zu eskalieren als Tracy ihre Popularität dazu nutzt, sich für die Gleichberechtigung von Schwarzen stark zu machen ...
Mit John Waters ist das so eine Sache: Obwohl mir bisher eigentlich alle Filme, die ich von ihm gesehen habe, gefallen haben, habe ich ihn nie so wirklich auf der Rechnung. HAIRSPRAY habe ich in meiner Jugend mal im Fernsehen gesehen, konnte mich damals aber nicht so recht dafür erwärmen. Gestern dann habe ich diesen herrlichen Film als 90-minütiges Fest empfunden, das auch gern noch länger hätte andauern dürfen. Von den herrlich-bescheuerten Popsongs (auf „Mashed Potatoes“ folgt unweigerlich „Gravy“) und den dazugehörenden Modetänzen über die schrillen Outfits und absurden Turmfrisuren, bis hin zu der in großer Spiellaune auftrumpfenden Darstellerriege (neben den genannten geben sich Waters-Regulars wie Divine und Mink Stole als auch Gaststars wie Jerry Stiller, Ruth Brown, The Cars-Mitglied Ric Ocasek und Ex-Popstar Pia Zadora die Ehre) macht HAIRSPRAY einfach nur Laune. Aber das ist längst nicht alles: Nur selten habe ich jedenfalls einen Film gesehen, in dem weniger unverkrampft, ehrlich und sympathisch für Toleranz und Gleichberechtigung geworben wurde. Wenn sich in einem Hollywoodfilm ein Pummelchen wie Ricki Lake zum Sympathieträger emporschwingen würde, müsste man wahrscheinlich lange Ausführungen über innere Werte über sich ergehen lassen, die die eigentliche Botschaft ad absurdum führen würden, hier hingegen steht völlig außer Frage, dass Tracy Turnblad ein Star ist. Summiert man zu diesen nicht unerheblichen Meriten noch den unschlagbaren Witz und Einfallsreichtum seines Regisseurs hinzu – einfach alles, sein Gastauftritt als Psychiater mit Hypnosewindrad –, der sich auch noch in solchen Nebensächlichkeiten wie den Namen der Figuren und ihrer Geschäfte niederschlägt (ein Geschäft für Übergrößen nennt sich sehr hübsch „Hefty Hideaway“), kommt man nicht umhin HAIRSPRAY als absoluten Volltreffer zu bezeichnen. Persönliche Liebelingsszene: Die Panikattacke, die Prudence Pingleton (Joann Havrilla) im Schwarzenviertel ereilt, sehr zum Spaß der anwesenden Schwarzen, die sich kaum noch einkriegen vor Lachen.
#1136
Geschrieben 13. Februar 2008, 14:04
Zitat
Auch in der in Deutschland erscheinenden gekürzten Fassung lotet Stallone die Grenzen der Belastbarkeit seiner Zuschauer gnadenlos aus; fast hat man den Eindruck, er wolle sein Publikum dafür bestrafen, dass es zwanzig Jahre auf die Rückkehr John Rambos gewartet und ihn zur Rückkehr gezwungen hat. Dennoch: „John Rambo“ rundheraus zu verdammen, zeugt einerseits von genereller Ratlosigkeit und Unverständnis dem Genre gegenüber wie auch von einem mangelnden Blick für die Entwicklungen, denen es in den Achtziger- und Neunzigerjahren ausgesetzt war und auf die „John Rambo“ eine sehr schlagkräftige Antwort ist; andererseits tritt in solchem Vorwurf überdeutlich die völlige Fehlinterpretation des Charakters John Rambo hervor. Symptome der Borniertheit: Das Actionkino ist eben immer noch „pfui“, man möchte sich daran weder die Hände schmutzig machen noch sich eine Blöße geben, indem man ihm etwas Positives abseits der bloß affirmativen Bedürfnisbefriedigung abgewinnt. In der feuilletonistischen Rezeption der Rambo-Filme spiegelt sich so das Drama des Veteranen, der im eigenen Land nichts mehr wert ist und zum Abschuss freigegeben wird – die Geschichte von „Rambo“ –, nahezu deckungsgleich wider.
Birma: Das Land wird von kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen der Junta und einigen Freiheitskämpfern geschüttelt, der Wahnsinn regiert. Im benachbarten Thailand verdient John Rambo sein Geld damit, Schlangen einzufangen, bis eine Gruppe humanistischer Hilfskräfte in seiner Hütte steht, die von Rambo per Boot in das Krisengebiet gebracht werden will, um der Zivilbevölkerung Birmas medizinische Hilfe zukommen zu lassen. Widerwillig hilft Rambo der Gruppe und kehrt nach getaner Arbeit zurück in seine Hütte. Einige Wochen später bekommt er jedoch erneut Besuch: Die Hilfskräfte sind seit einem Angriff der Junta verschwunden, eine Gruppe von Söldnern ist bereits abgestellt worden, um sie zu suchen. Und natürlich soll Rambo auch diesen dabei helfen ins Feindesland zu gelangen. Ein Gemetzel bahnt sich an …
Nach einigen dem Film vorangestellten Nachrichtenbildern, die von den unmenschlichen Zuständen in Birma berichten, sehen wir eine Gruppe Gefangener, die von den birmesischen Soldaten für ein grausames Spiel missbraucht wird: Mit vorgehaltenen Waffen treiben die Soldaten die ängstlichen Zivilisten durch ein Minenfeld, hysterisch lachend, wenn schließlich ein Mensch explodiert. Gegenschnitt auf John Rambo beim Einfangen einer Kobra: Der ehemalige Soldat und Posterboy der Reagan-Administration ist aufgedunsen und alt, das Gesicht eingefroren, der Blick müde. Seine ersten Worte in „John Rambo“ lauten „Fick dich!“ und das darf man durchaus programmatisch verstehen. Unterschlupf findet dieser Rambo nicht mehr wie im dritten Teil bei buddhistischen Mönchen, sondern in einem dreckigen Bretterverschlag im Regenwald. Dieser John Rambo hofft nicht mehr auf Absolution oder Erlösung, er hat längst aufgegeben, versteckt sich vor einer aus den Fugen geratenen Welt, damit er nichts mehr mit ihr zu tun haben muss. Oder – diese Interpretation scheint noch stichhaltiger – damit die Welt vor ihm sicher ist, dem das Töten so leicht fällt wie das Atmen. Auf das Hilfegesuch der amerikanischen Wohltäter reagiert er entsprechend ablehnend, weil er weiß, was den frommen Wünschen am Ende des Tages zwangsläufig folgen wird: Schmerzen, Qual und Tod. Doch dann kommt auch wieder die Gewissheit: Es ist nicht sinnlos, sein Leben für ein anderes aufs Spiel zu setzen.
„John Rambo“ steht symptomatisch für das moralische Dilemma, in dem sich unsere Welt gegenwärtig befindet: Sieht man tatenlos zu, wenn Unschuldige abgeschlachtet werden, weil eine Intervention alles noch verschlimmern würde, oder greift man ein und riskiert eine weitere Eskalation? Weil John Rambo seine Antwort auf diese Frage kennt, entzieht er sich der Welt. Er ist nichts anderes als die menschliche Inkarnation dieser moralischen Aporie: Ein Mann, der das Töten hasst, gleichzeitig aber nie etwas anderes gelernt hat. „Du hast nicht für dein Land getötet. Du hast es nur für dich getan.“, sagt eine Stimme in einem Albtraum zu ihm. Dieser John Rambo ist kein Held, sondern ein Monster. Er ist das Produkt unserer Zeit. Vor dem Hintergrund seiner Instrumentalisierung in den ersten drei Teilen kommt dieser Aussage ein besonderes Gewicht zu. Und die Erkenntnis, die sich dahinter verbirgt, ist der Schlüssel zum Verständnis des Films, der seinen Soldaten nicht mehr zum Helden verklärt, sondern ihn als seelischen Krüppel darstellt, den die Gewalt von innen heraus zerfressen hat.
Stallones Aktualisierung seines mythischen Kriegers wirkt umso radikaler, als er in seinem Film Elemente der Vorgänger aufgreift und einer Neuinterpretation unterzieht: Das beginnt bei seinem Exil in Thailand, das nun einer selbstauferlegten Gefangenschaft gleicht, setzt sich bei der Zeichnung Birmas als Hölle auf Erden fort und endet beim zyklischen Ablauf der Handlung (Aufbruch, Rückkehr, Aufbruch, Rückkehr), die keine großen Illusionen mehr zulässt. Vor allem im direkten Vergleich zu „Rambo II – Der Auftrag“ ist „John Rambo“ sehr aufschlussreich: Hatte Kamermann Jack Cardiff den vietnamesischen Urwald im Jahre 1985 noch als comichaft überhöhtes Fantasieland in satten Farben gezeichnet, dessen von der Natur überwucherten Buddhastatuen von einer ruhmreichen Zeit und einer uralten Kultur kündeten, hängen nun verrostete Fliegerbomben in den Bäumen, wabert dichter Nebel durch die Bilder und legt ein blasses Leichentuch über die in bleichen, kaum als solche zu erkennenden Grün- und Brauntöne. Birma ist kein Land, in dem Männer durchs Feuer marschieren, um erstarkt daraus hervorzugehen: Es ist schlicht die Hölle selbst, ein Ort, der nur vom Tod erzählt.
Das Eindringen sowohl der Missionare als auch der Soldaten wird als ein aussichtsloses Unterfangen dokumentiert: Beide gehören hier nicht hin. Mehr als an einer Auseinandersetzung mit einem existierenden Konflikt fungiert „John Rambo“ als Statement zum weltpolitischen Status Quo: Die Konflikte, die sich überall entzünden, sind für einen Außenstehenden längst nicht mehr nachvollziehbar, die nackte Gewalt, mit der der Zuschauer konfrontiert wird, lässt sich kaum noch adäquat in Worte fassen. Sie steht monolithisch vor ihm und zwingt zur Positionierung, gefallen will sie nicht. Demzufolge zeichnet Stallone auch keine übersichtlichen Actiontableaus mehr, die einer Agenda des Thrills folgen würden, sondern nähert sich ästhetisch hyperrealen Kriegsfilmen wie Spielbergs „Der Soldat James Ryan“ oder Ridley Scotts „Black Hawk Down“ an. Mit Scotts Film teilt „John Rambo“ auch den völligen Verzicht auf eine Charakterisierung der Gegner: Die birmesische Junta steht nicht für sich, sondern für jeden beliebigen fremden Aggressor. Der etwa in „Die Welt“ von Uwe Schmitt diagnostizierte Rassismus von „John Rambo“ ist kein solcher, sondern viel eher die Erkenntnis, dass die Werte der abendländischen Aufklärung nicht überall wirken, es Orte gibt, an denen – nach unserem Verständnis – das Irrationale selbst wütet. Diese Erkenntnis geht mit einer Parallelführung des Plots mit Motiven von Coppolas „Apocalypse Now“ einher: die Flussfahrt ins Feindesland, die Begegnung mit dem Fremden, die Konfrontation mit dem Unsagbaren, der Abstieg in Hölle und Wahnsinn. Doch was Coppola zum surrealen LSD-Trip stilisiert, holt Stallone zurück auf den Boden der Tatsachen, in den menschlichen Urschlamm sozusagen.
„John Rambo“ ist ein immens hässlicher, dreckiger Film, hin- und hergerissen zwischen tosender Wut und resigniertem Fatalismus. Und es ist ein Film des Ausbruchs: Nachdem in den letzten Jahren Dutzende von Actionfilmen über die Leinwände vergossen wurden, in denen das Tötungshandwerk als cooler Job für toughe Metrosexuelle verniedlicht wurde, öffnet Stallone seinen Zuschauern förmlich die Augen, bläst einem sein Film mit der Kraft eines Orkans ins Gesicht. „John Rambo“ ist auch ein Befreiungsschlag: Sein fragwürdiger Held hat sein Schicksal mit offenen Armen akzeptiert, die Maske endgültig abgelegt. Was darunter zum Vorschein kommt, lässt schaudern. Dieser John Rambo eignet sich weder zum neuen Volkshelden noch zum Liebling des Feuilletons. Innerhalb des Actiongenres ist die Bedeutung dieses Film jedoch kaum zu überschätzen: „John Rambo“ ist ein Endpunkt.
#1137
Geschrieben 15. Februar 2008, 13:18
Regie: Xavier Beauvois
Der junge Antoine (Jalil Lespert) kommt frisch von der Polizeihochschule. Von Polizeifilmen geprägt zieht es ihn zur Kriminalpolizei nach Paris, wofür er kurzentschlossen seine Ehefrau in der Provinz zurücklässt. In Paris angekommen nimmt sich „Madame Superflic“, Caroline Vaudieu (Nathalie Baye), seiner an: Sie kehrt nach einigen Jahren der Abwesenheit – der Verlust ihres Sohnes trieb sie in die Arme der Alkoholsucht – in den Dienst zurück, und erkennt in Antoine Züge ihres Sohns wieder, der jetzt im gleichen Alter wäre. Der Mord an einem Penner ist der erste gemeinsame Fall – und gleichzeitig auch Antoines letzter: Als ein Kollege seine Pflichten vernachlässigt fällt Antoine einem Angriff zum Opfer ...
LE PETIT LIEUTENANT lässt sich unter dem Genrebegriff des police procedural einordnen. Statt einer auf Action und Thrill setzenden Erzählung steht bei ihm die Porträtierung des Polizeidienstes als Job im Vordergrund. Es passiert nicht viel in LE PETIT LIEUTENANT, auch zum Leidwesen Antoines, dessen Bild von der Polizeiarbeit vor allem durch den Film geprägt ist. Als Caroline ihm erzählt, dass sie in ihrer Laufbahn vielleicht zwei oder drei große Fälle hatte, ist er sichtlich enttäuscht. Die meiste Zeit verbringen die Polizisten damit, Zeit totzuschlagen und darauf zu warten, dass etwas passiert, oder sitzen beim Bier in ihren Büros und treiben Scherze mit beschlagnahmten Drogen oder Waffen: normale Leute in einem scheinbar normalen Job. Und die Kamera ist immer dabei, mal ganz dokumentarisch eng an ihrem Objekt, mal mit etwas mehr beobachtender Distanz. Das etwas im Argen liegt, wird vor allem bei näherem Hinsehen deutlich: Beauvois legt eine sehr interessante Inszenierung des Bildhintergrunds vor. Die meist mit großer Tiefenschärfe fotografierten Bilder, in denen die Protagonisten vor einem sehr flächigen Background agieren, evozieren noch einmal die Differenz zwischen Film- und realer Welt, die in LE PETIT LIEUTENANT thematisiert wird. Wenn Caroline, Antoine oder ihre Kollegen nicht in ihren Büros oder anderen abgeschlossenen Räumen sitzen, werden sie vor Häuserfronten oder eben sehr bildhaft aussehenden Paris-Panoramas abgelichtet. Selbst wenn der Blick eigentlich frei ist, prallt er an einem plastischen Horizont ab, der sicher nicht zufällig an eine Leinwand erinnert. So ergibt sich eine Trennung zwischen den Protagonisten und der Welt, in der sie agieren; eine Trennung, die nicht zuletzt darin zu suchen ist, dass der Polizeidienst für die Figuren ein Traum-Job im Wortsinn ist. Die Wände ihrer Büros sind tapeziert mit Plakaten von Filmen wie Melvilles UN FLIC; Spielbergs SAVING PRIVATE RYAN oder Tarantinos RESERVOIR DOG, auch sonst geraten immer wieder Filmposter in den Blick und lassen erahnen, wie sehr die Wahrnehmung der Protagonisten durch diese Filme bestimmt ist. Anstatt sich nur in Kontrast zu diesen Filmen und ihren Heldenporträts zu setzen, macht Beauvois die Prägung seiner Figuren durch den Film also zum Dreh- und Angelpunkt: Antoine stirbt, weil er zu stark auf den Thrill aus ist, den er aus Filmen kennt, und nicht erkennt, dass ein Verbrechen keiner Dramaturgie folgt; sein Kollege, der lieber ein Bier trinkt, anstatt seinen Kollegen zu unterstützen, ist hingegen so durch die tägliche Langeweile abgestumpft, dass er längst vergessen hat, welche Gefahren der Job dennoch birgt; und „Madame Superflic“ Caroline, obwohl sie weiblich ist eine realistische Version des desillusionierten Bullen, zerbricht gerade an der Unberechenbarkeit der Normalität. In einem Film, der in einem sehr gleichmäßigen Fluss ohne größere Ausschläge nach oben oder unten an einem vorbeizieht wie die Zeit selbst, erschüttert vor allem das außergewöhnliche Ende: Caroline besucht das Meer. Wir hören es rauschen, doch es bleibt außer Sicht, die Kamera klebt an Caroline. Dann dreht sie sich zur Kamera und taxiert sie mit einem Blick, der nur ganz haarscharf am Zuschauer vorbeigeht, der Blick eines Theaterschauspielers, der vom Licht geblendet einen Augenkontakt im Auditorium sucht und nicht findet. Ihr Blick scheint auch eine Anklage zu sein: an die Zuschauer, die nur Helden ihrer Liebe teilhaftig werden lassen. Ein nachhaltig wirkendes Ende eines angenehm unprätentiösen Films.
#1138
Geschrieben 17. Februar 2008, 12:29
Regie: Richard Townsend
Richard Pryor: Live in Concert (USA 1979)
Regie: Jeff Margolis
Richard Pryor, der „Godfather“ schwarzer und zeitgenössischer Stand-up Comedy , und Eddie Murphy, seinerseits Film- und Show-Superstar, muss man eigentlich bei einem ihrer Auftritte gesehen haben, um zu verstehen, welche Bedeutung ihnen tatsächlich zukommt. Ihre Persona, die für ihre Filme immer nur etwas kanalisiert und gefiltert wurde (und wird), kommt erst bei einem ihrer Bühnenauftritte ungebremst ans Tageslicht.
Die vor kurzem in Aussies Kommfred geführte Diskussion über Homphilie vs. Homophobie in den ersten beiden BEVERLY HILLS COP-Filmen lässt sich nach einer Sichtung von EDDIE MURPHY RAW dahingehend forcieren, dass Murphy tatsächlich ein androgynes Kunstwesen ist, dass zwischen den Extremen schwarzer Supermacker und schwarzer Tunte pendelt. Murphy betritt die Bühne in einem hautengen Lederanzug und passenden Schuhen mit Absätzen und inszeniert sich als advocatus diaboli in Sexfragen. Ob er nun Frauen erklärt, dass alle Männer fremdgingen, weil es in ihrer Natur liege, und man einen Schwanz bräuchte, um die Unausweichlichkeit ihres Handelns zu verstehen, oder er Partei für die betrogene Frau ergreift und den Männern erklärt, dass diese sich nicht wundern müssten, wenn ihre hintergangene Frau irgendwann einmal zurückschlage – etwa während eines Kurztrips auf die Bahamas mit dem gut ausgestatten „Dexter St. Jacques“ –: Eddie Murphy lässt keinen Zweifel daran, dass seine Informationsquellen erstklassig sind. Eddie hat Männer und Frauen durchschaut und kann deswegen auch auf beiden Ufern Erfolge verzeichnen; zumindest kann man sich dieses Eindrucks nach EDDIE MURPHY RAW kaum noch erwehren. Wüsste man nicht, dass Murphy eine Ikone der Achtzigerjahre war, würde man es hier unschwer ablesen können: sein glamouröser Auftritt – zunächst sieht man nur seine Silhouette durch eine rote Wand –, sein Outfit, seine aufgeputschte Art, die unweigerlich an Kokainmissbrauch denken lässt und inhaltlich seine Exkurse über die materialistische Frau, den sexuell verunsicherten Mann und die konservative Sparmentalität der Elterngeneration sind untrennbar mit der Dekade verbunden, in der Murphy zu Pryors legitimem Nachfolger wurde. Vordergründig kann Murphy noch fantasievoller fluchen und so schnell sprechen wie eine Langspielplatte auf 45 Umdrehungen, seine Kunst auf diese Reize zu reduzieren, ist nach der Betrachtung dieses schlicht beeindruckenden Auftritts nicht mehr möglich. Wer Murphy nach Genuss seiner Filme zwar witzig findet, aber seinen Superstarstatus nie ganz verstanden hat, der muss diesen Film sehen. Erst im Kontext seines Auftritts werden seine Impersonations und Parodien wirklich lebendig. Murphy als Bill Cosby, Murphy als Pryor, Murphy als Michael Jackson, Murphy als schwarze Bitch oder als Brother, als Stallone- und Rocky-verehrender Italiener oder einfach als konservativer Cracker: Wie sicher er sich in diesen Rollen bewegt, Körpersprache, Duktus, Mimik, Gestik und Geisteshaltung imitiert, ist schlicht Extraklasse. Dieses wichtige Zeitdokument der Achtzigerjahre kann man sich komplett auf Youtube ansehen. Eigentlich Pflichtprogramm.
Richard Pryor – unzweifelhaft der Vorreiter moderner Stand-up Comedy – hat einen anderen Ansatz als Murphy: Pryor erzählt über sich. Der schlaksige, mit seinen Pockennarben eher unscheinbar wirkende Pryor schlendert hektisch die Bühne auf und ab, monologisiert in einem konstanten Fluss und unterbricht sich immer wieder mit seinem eigenen hechelnden Lachen. Seine Flüche erhalten ihre Wirkung nicht dadurch, dass sie besonders kreativ wären, sondern eher durch ihre Allgegenwart. Pryor hat jeden Scheiß gesehen, ihn wirft so leicht nichts aus der Bahn: Er rechnet mit allem. Pryor hatte ein bewegtes Leben, sein Vater war Zuhälter, sein Sohn Richard hn wuchs quasi im Puff auf, was die Drogenkarriere beinahe unweigerlich nach sich zog. Selbstmordversuchen – Pryor versuchte unter anderem sich anzuzünden – folgten Entziehungskuren und neue Abhängigkeiten. Zu den Anekdoten, die Pryor erzählt, gehören demnach nicht nur amüsante kleine Geschichten über sein Zwergpony, seinen Hund und seine beiden Äffchen, sondern auch ernstere: Wenn Pryor die Erfahrung seines Herzanfalls in einem Dialog zwischen ihm und seinem Herz einfängt, sich in Schmerzen auf dem Bühnenboden wälzt, dann wird deutlich, dass diese Shows auch eine Art Exorzismus für Pryor waren, der sich mit der „Normalität“ nie abfinden konnte und wollte. Pryor erzählt keine Witze, er lädt etwas von seiner Seele ab. Auf seinem Gesicht erkennt man den Schmerz und die anhaltende Unsicherheit und Verletztheit, das Grinsen trägt immer eine Spur Verzweiflung in sich: „Was bin ich nur für ein Freak?“ Dennoch verkommt sein Auftritt niemals zur Mitleid heischenden Nabelschau oder zur Ausstellung von sozialem Elend für weiße Mittelschichtler. Pryor hat sich zum Objekt seiner Späße gemacht, um sich selber aushalten zu können. Wenn er davon berichtet, wie er sein Auto mit einer .44er Magnum „getötet“ hat, nur damit seine Frau den Wagen nicht benutzen kann, er diese Tat mit einem Kopfschütteln quittiert, wird die Spaltung Pryors offensichtlich: Da ist ein Mann, der sich in der Hitze des Gefechts immer wieder selbst vor Probleme stellt, die sein alter ego später lösen muss. Aber er trägt dieses Schicksal mit Würde; letzten Endes ist auch er nur ein weiterer nigger, der sich damit abfinden muss, in der weißen Gesellschaft auf die Rolle des Outcasts abonniert zu sein. Neben Pryors Bühnenpersona, die gleichermaßen komisch wie traurig und somit im ganz klassischen Sinne clownesk ist, überzeugt natürlich sein Repertoire an Stimmimitationen und überhaupt sein Flow. Pryors Auftritt gliedert sich nicht mehr in Sinnabschnitte, in Kapitel, die durch einen größeren Spannungsbogen verbunden wären, das alles zusammenhaltende Element ist Pryor selbst, dem man stundenlang zuhören möchte. Im Vergleich zu aktuellen Stand-up Comedians und vor allem den deutschen Schmierenkomödianten, die mit ihren peinlichen Ausflügen in die Niederungen des Humors zur Fremdscham zwingen, offenbart sich die ganze Größe dieses Mannes: Ihm gelang es, das harmlose Witzeerzählen zu einer ebenso subversiven wie emotionalen kollektiven Erfahrung zu verwandeln.
#1139
Geschrieben 18. Februar 2008, 11:22
Wie schon vor längerer Zeit angekündigt, möchte ich mich nach meiner Brian-De-Palma-Werkschau dem Werk eines echten „Männerfilm“-Regisseurs widmen: Don Siegel. Zwar ist dessen umfangreiche Filmografie nur sehr fragmentarisch auf DVD erhältlich, doch finden sich unter seinen Filmen so viele Klassiker, dass eine Werkschau durchaus angebracht scheint – umso mehr, als mir viele Titel peinlicherweise noch unbekannt sind. Siegels erster eigener Film datiert aus dem Jahr 1945, davor war er bereits in verschiedenen Funktionen (Schnitt, Kamera, Regieassistenz etc.) tätig. INVASION OF THE BODY SNATCHERS (1956) – der erste Film meiner kleinen Retrospektive – war sein 13. Spielfilm neben diversen Engagements fürs Fernsehen. Zu seinem noch nicht verfügbaren Frühwerk zählt unter anderem der Gefängnisfilm RIOT IN CELL BLOCK 11, der als Klassiker des Genres gilt. Bis 1960 klafft eine weitere Lücke, erst ab dem 1960 erschienenen Elvis-Film FLAMING STAR sind seine Filme zunehmend auf DVD erhältlich. Meine Retro umfasst insgesamt 15 Titel, darunter auch Siegels letzter Film, JINXED! mit Bette Midler, nach dessen Misserfolg er sich vollkommen aus dem Filmgeschäft verabschiedete. Bis zu seinem Tod im Jahr 1991 trat er nur noch ein einziges Mal in Erscheinung: mit einem Cameo-Auftritt in John Landis’ INTO THE NIGHT. Ich hoffe mir mit dieser Werkschau einen Regisseur zu erschließen, der gerade für den in den Siebzigerjahren sich herausprägenden Actionfilm wichtige Pionierarbeit geleistet und mit „Dirty“ Harry Callahan eine der Ikonen des Copfilms geschaffen hat.
#1140
Geschrieben 18. Februar 2008, 11:30
Invasion of the Body Snatchers (USA 1956)
Regie: Don Siegel
Als der Arzt Dr. Miles J. Bennell (Kevin McCarthy) von einer Tagung in seinen beschaulichen Wohnort Santa Mira zurückkehrt, fallen ihm merkwürdige Veränderungen auf: Vorher florierende Geschäfte sind plötzlich geschlossen, Bürger geben an, ihre Verwandten nicht mehr zu erkennen, Kranke sind über Nacht plötzlich wieder gesund. Die Situation spitzt sich zu, als im Haus von Miles’ Freund und Kollegen Dr. Dan Kauffman (Larry Gates) ein geheimnisvoller Körper auftaucht, der langsam Ähnlichkeiten mit Dan entwickelt ...
INVASION OF THE BODY SNATCHERS ist ein Klassiker des Science-Fiction-Films und speziell des Paranoiakinos der Fünfzigerjahre und als solcher interpretatorisch relativ festgelegt. So wie jedes Kind weiß, dass Godzilla die Inkarnation der Atombombe darstellt, so ist die These, mit INVASION thematisiere Siegel die Angstzustände einer Nation, die sich durch den Kommunismus ernsthaft bedroht sah, längst Allgemeingut. Das Problem der Popularität solcher Deutungen: Sie versperren meist den Film, konkurrierende (und vielleicht bessere) Lesarten werden von vornherein unterdrückt. So auch im Falle von INVASION OF THE BODY SNATCHERS, dessen großes allegorisches Potenzial sich am besten daran ablesen lässt, dass der Film regelmäßig eine Neuinterpretation erfährt – so verfilmte Philip Kaufman den Stoff 1978, Abel Ferrara 1993 und 2007 gab es mit Hirschbiegels THE INVASION ein weiteres Remake. Natürlich bedient Siegel die in den Fünfzigerjahren vorherrschende Angst vor einer Invasion, einer schleichenden Übernahme durch die Kommunisten, doch ist das eher der Köder für die Zuschauer. Zu allererst ist INVASION ganz allgemein ein Film über die Angst vor Entfremdung, Isolation und Heimatverlust. In Siegels Film setzt diese Entfremdung schleichend ein und lässt sich zunächst nicht konkretisieren. Menschen haben lediglich das „Gefühl“, dass etwas nicht mit ihren Verwandten stimmt, und das machen sie bezeichnenderweise daran fest, dass sie bei ihrem Gegenüber „Emotion“ vermissen. Die Invasion äußert sich in einer absoluten Gleichmacherei, die jeden einverleibt, der (noch) anders ist. Hinter der Angst vor dem Konformismus mag man leicht die Angst vor dem Kommunismus vermuten, doch verwandelt sich die amerikanische Kleinstadt keineswegs in ein Klein-Moskau, vielmehr werden lediglich die ihr eh schon eigenen Züge ins Extrem gesteigert: Letztlich kommt auch die Angst vor der Macht des Spießbürgertums zum Ausdruck. INVASION OF THE BODY SNATCHERS beginnt mit dem panischen Bennell und endet mit diesem – dazwischen hören wir seinem Bericht der Ereignisse zu. Schon damit forciert Siegel das Gefühl der Paranoia: Sein Protagonist ist allein mit seiner Angst, muss damit rechnen, für verrückt erklärt zu werden. Die Invasion ist bereits erfolgt, wenn der Film beginnt, ihr Ausgang bleibt im Dunkeln: Der Film schließt genau zu dem Zeitpunkt, in dem die Gefahr beginnt von Santa Mira auf andere Städte überzugreifen. Auch dies ein Zeichen dafür, dass Siegel wohl nicht vor den Russen warnen wollte: Die Invasoren sind ja schon längst unter uns. Mit diesen einfachen Kniffen gelingt es Siegel nicht nur, den Druck auf den Zuschauer immens zu erhöhen, er drängt ihn auch in die Passivität und macht ihn damit ebenfalls zu einem Invasionsopfer. Der zu Beginn noch das amerikanische Kleinstadtidyll einfangende Film wird zusehends dunkler, bedrohliche Elemente, wie etwa schwingende Lampenschirme oder andere Gegenstände dringen in den Bildkader, die den Zuschauer ablenken und irritieren, und so eine Atmosphäre konstanter Anspannung kreieren.
Siegels dreizehnter Spielfilm (dazu gesellen sich noch einige Beiträge zu Fernsehserien) legt Zeugnis von seinem präzisen und klaren Inszenierungsstil ab, der ebenso unaufdringlich wie absolut effektiv ist. Szenen wie jene, in der Bennell und sein Love Interest Becky (Dana Driscoll) eine wie aus dem Nichts entstehende Versammlung der Invasoren beobachten, sind absolutes Gänsehautmaterial, gerade weil sie kein Horrorszenario abbilden, sondern die vermeintliche Normalität nur leicht verzerren: Die Potenz zum Grauen ist schon von Anfang an in ihr angelegt. INVASION OF THE BODY SNATCHERS ist zurecht ein Klassiker, absolut zeitlos und von einer immensen Dichte.
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