Kitanos Regenschirme
#181
Geschrieben 24. Januar 2008, 11:22
Ein Film mit einer ordentlichen Ausgangssituation und dadurch Potenzial für einen creepigen Grusler. Leider verspielt er seine Möglichkeiten mit zunehmender Laufzeit, denn die durchaus atmosphärische Grundsituation: 30 Tage in Dunkelheit durchzuhalten auf einem Dachboden, draußen der Schneesturm und die Vampire, wird zerstört durch die Beliebigkeit der Darstellung des zeitlichen Ablaufs; gerade das Vergehen der 30 Tage hätte mehr ins Zentrum gerückt werden können. Doch so wird nie klar, wieviel Zeit eigentlich vergangen ist. Lediglich eine kurze Einblendung alle paar Viertelstunden zeigt an, daß man jetzt bei Tage 11, etwa, ist. Gut,.. was haben die Menschen gegessen in der Zeit, wie geschlafen, welche gruppendynamischen Streßsituationen hat es gegeben? Nichts davon. Irgendwann bricht man halt auf, um auf Proviantjagd zu gehen. Und selbst nach 20 Tagen zermürbenden Überlebenskampfs sehen die Darsteller immer noch gut aus; insbesondere unser Heldenpärchen, ein besonders übles Beispiel eines all-american gesichtslosen Nichts. Gut, daß der Typ ein bißchen wie Brad Pitt aussieht, dann weiß man wenigstens, wer wichtig ist.
Auch auf der Ebene des Suspense enttäuscht der Film; das hätte ein Pintersches Vampir-Kammerspiel par excellence werden können, doch es wurde ein Splatterfilm. Übrigens auch ärgerlich: da wird gezeigt, wie ein Kopf abgehackt wird, ohne Scheiß. Aber wie der Hilfssheriff seine Familie im Bett ermordet hat, da schwenkt die Kamera weg. Unglaublich bieder also. Da müßte man mal sich Gedanken über die Spießermoral machen, die solche Konstellationen zuläßt. Ansonsten fallen noch etliche Dinge negativ auf, etwa der häufig unzwingende Handlungsablauf in einem Film, der sonst auf allen Ebenen nach traditionellen Mustern funktioniert.
Zur Ehrenrettung sei gesagt: ganz unspannend ist er nicht. Die teils heftige Gewalt beglückt durchaus. Die Bilder sind durchaus sehr ansehlich, und so manche Idee gelungen: etwa wie die Vampire ihre Opfer unter die Häuser ziehen. Oder wie sich der Held zum Schluß selbst opfert, und hierbei meine ich die Methode, die er anwendet. Das Schlußbild hingegen läßt einen wieder den Kopf schütteln. Die Liebe muß schon eine wahnsinnige Macht sein, heutzutage...
#182
Geschrieben 28. Januar 2008, 23:02
Sotaro (Kenichi Hagiwara) besitzt ein kleines Lokal in Yokohama. Am Sterbebett seiner Frau verspricht er -die ewige Liebe- nie wieder zu heiraten. Seine Frau nimmt ihn beim Wort, und sagt voraus, als Geist wiederzukehren, sollte er sein Versprechen brechen. Als sein Bruder ihm später ein wunderhübsches Mädchen vorstellt, kann er dann doch nicht widerstehen, und heiratet dieses. Das Glück währt natürlich nur kurz, denn die betrogene Tote kehrt tatsächlich als Geist zurück.
Der Film beginnt wunderbar ernst in schönen Bildern und mit originellen Ideen. Um etwa den Schwur zu besiegeln, zwingt ihn seine kranke Frau, ihr in den Zeigefinger zu beißen; was er natürlich sehr gerne tut. Nach ca. 20 min Laufzeit nehmen die humorigen Elemente zu, und spätestens mit der Geistererscheinung mit wehenden Haaren, ganz wie in Tsui Harks CHINESE GHOST STORY, wird der Humor in seinen Pointen auch ausgelassen, manchmal auch ein wenig dämlich. Dennoch wird das immer wieder geerdet durch einen liebevollen Einblick in das Alltagsdrama der kleinen Leute. Nach meinem Dafürhalten fällt die zweite Hälfte also etwas ab, was aber niemanden davon abhalten sollte, sich diesen tatsächlich schönen Film anzusehen.
#183
Geschrieben 29. Januar 2008, 14:38
Spätestens seit Yoji Yamadas (TWILIGHT) SAMURAI-Trilogie ist man ja etwas sensibler geworden für die Belange und Probleme, die sich den herrenlosen Samurai der Edo-Zeit gestellt haben; denn nicht alle wurden zu gewissenlosen Streunern und Killern á la Ryunosuke aus SWORD OF DOOM, Okami Itto aus LONE WOLF oder Samanosuke aus Hideo Goshas TANGE SAZEN. Völlig vergessen hatte man den Familienvater, den Ehemann, den sanftmütigen Samurai, der immer noch an Ehre glaubt, an ein moralisches Miteinander. Yamada hat einem das mit seinen drei tollen Filmen ins Bewußtsein zurückgeholt.
Umsomehr ist man dann für die Probleme der Samurai in HUMANITY sensibilisiert, die in einer Gesellschaft leben, in der die Ehre wenig gilt, in der das Geld regiert und derjenige, der sich am besten durchsetzen kann. Deutlich wird das gleich in der Eröffnungsszene, in der ein Samurai gefunden wird, der sich aus Verzweiflung, aus Armut, erhängt hat. Die Bewohner des Viertels beklagen den Verlust, und vollziehen die Totenwache, die dann allerdings in ein Trinkgelage mündet, und den Ton des Films festschreibt: humorvoll, komödiantisch vor dem Hintergrund eines tragischen Daseins. Dadurch erreicht der Film eine Form der tiefen Menschlichkeit, wie man sie aus Yasujiro Ozus Filmen kennt. Die eigentlichen Hauptfiguren, die sich erst nach und nach aus diesem Gesellschaftsportrait herauskristallisieren, sind der Friseur Shinza, der illegale Glückspiele durchführt, sowie der Ronin Matajuro Unno, der verzweifelt bei einem Clanvorsteher vorzusprechen sucht, um Arbeit oder Unterstützung zu bekommen. Dort wird er aber permanent abgewiesen. Seiner Frau, mit der er Papierlampions faltet um die finanzielle Situation aufzubessern, verheimlicht er dies, da er sie vor der Grauenhaftigkeit ihrer Lage bewahren will. Leider entscheidet er sich hier aus übertriebener Rücksichtnahme falsch; die Wahrheit wäre wohl besser gewesen. Als sie hinter seine fortwährenden Lügen kommt, wählt sie ein sehr drastisches Mittel, um sich und ihren Mann von den Leiden zu erlösen.
Dieser fantastische Film voller Menschlichkeit des früh verstorbenen Filmemachers Yamanaka zählt zu den großen Klassikern des japanischen Kinos und er kann wohl in einem Atemzug mit Ozu, Mizoguchi oder Kobayashi genannt werden. Das Ineinanderweben der menschlichen Tragödie, die sich im täglichen Überlebenskampf manifestiert, wird hier mit einem feinen und leichten Komödienton verknüpft, sodaß man gebannt und gerührt, tief bewegt den Film genießt. Dieser Film ist voll tragischer Schönheit, frei von Pathos und Kitsch.
Bearbeitet von deadpointer, 29. Januar 2008, 14:39.
#184
Geschrieben 30. Januar 2008, 22:32
Sehr starke, spannungsgeladene Anfangsszene, die das Hetzlevel auf neue Höhen treibt. Atemlose Verfolgung gekoppelt mit menschlicher Tragik. Die zurückgelassene Ehefrau jedoch wird wiederkehren.
Insgesamt gelungene und mehr als befriedigende Fortsetzung des dystopischen Zombiefilmerneuerers von 2002. Leider kann die Story den Film nicht richtig tragen. Interessant ist jedoch der Fokus auf die familiäre Gewalt; dabei stellt sich allerdings die Frage, weshalb denn bitteschön der Rage-Vater sich so auf seine Kinder stürzt, geradezu deren Verfolger wird. Ganz so, als hätte man es hier mit einem reflektierteren Exemplar der Spezies Zombie zu tun. Hm. Und für den Anschluß an einen dritten Teil wurde auch gesorgt. Ordentlich, aber ein bißchen dünn. Ich fürchte, übermorgen werde ich schon die Hälfte vergessen haben.
#185
Geschrieben 01. Februar 2008, 16:20
Der Gangster Taeshik (Rae-won Kim) wird nach Verbüßung seiner 10-jährigen Haftstrafe entlassen. Wieder auf dem rechten Weg, kehrt er in seine Heimatstadt zurück und findet bei der Betreiberin eines kleinen Restaurants am Rande eines Sonnenblumenfeldes ein neues Zuhause. Einen Job findet er in einer Autowerkstatt. Die Tochter der Wirtin umflirtet ihn. Alles scheint gut zu werden. Bis ein skrupelloser Politiker und Unternehmer, der mittlerweile mit Taeshiks alter Gang zusammenarbeitet, das Feld aufkauft, um dort ein Einkaufszentrum hinzubauen. Nur das Restaurant steht ihm noch -sprichwörtlich- im Wege; die wollen nämlich nicht verkaufen und wehren sich. Taeshik, der sich geschworen hatte, nie wieder zu kämpfen, wird wieder in die Welt aus Gewalt und Abhängigkeiten hineingezogen.
Beginnt der Film zunächst als melancholische Feel-Good-Komödie, schlägt er nach etwa der Hälfte um in ein beinhartes koreanisches Brett. Und ist dabei konsequenter als der ebenfalls interessante THE SHOW MUST GO ON. Die Faustkämpfe sind äußerst realistisch und roh, die Gewalt explodiert wie aus dem Nichts, in diesem Film auch gegen Frauen. Sicherlich, das Ende ist etwas martialisch geraten, aber alles bleibt deutlich realistischer als beim überschätzten A BITTERSWEET LIFE.
Zum Negativen: einige Elemente werden sehr plakativ umgesetzt. Taesiks Läuterung, seine guten Vorsätze, nie wieder zu kämpfen, zu trinken, oder zu rauchen, schreibt er wie ein Plakatmaler in ein kleines Notizbuch, das er wie einen Schatz hütet. Hat er eines seiner notierten Ziele erreicht, dann streicht er es dick mit dem Stift durch. Das ist so überdeutlich in Szene gesetzt, daß man sich schon fragt, ob die einen vielleicht für verblödet halten. Kommt es zum Beispiel zu einer halbromantischen Szene zwischen den beiden Herzchen, dann geht die Sonne pinkfarben am Horizont über dem Häusermeer unter. Dazu natürlich die obligatorische Klavierminiatur. Und auch das Abschlußbild ist von ähnlichem Kaliber.
Positiv, das sei erwähnt, ist aber eine sehr stringente und immer logisch nachvollziehbare Handlung, was gerade im asiatischen Raum ja nicht immer selbstverständlich ist. Und auch die Schauspieler sind hervorragend, besonders der Verzweiflungs-Monolog der Mutter sei erwähnt.
Sehr sehenswert: romantisch, spannend, brutal.
#186
Geschrieben 02. Februar 2008, 19:03
Tsui Ting-Yin (Lee Sinje) ist eine berühmt-geliebte Autorin in ihrem Lande, die aber mit einer Schreibblockade zu kämpfen hat. Daß ihr Verleger der lesehungrigen Anhängerschaft bereits ein neues Werk ("Re-Cycle")versprochen hat, war ein Fehler: dies setzt sie natürlich noch mehr unter Druck. Daß das neue Buch ein Fantasy-Roman werden soll, ist ihr bereits klar, doch hat sie enorme Probleme bei der Gestaltung der Protagonistin; und wie es der Geisterfilm so will, verschwimmen immer mehr die Grenzen zwischen Realität und Geisterwelt. Auslöser ist in unseren modernen Zeiten natürlich der Computer. Denn jedes Mal, wenn sie etwas Geschriebenes löschen möchte, scheint sich diese in die Realität gesetzte Fiktion zu wehren und aufzubegehren.
Der klug konstruierte Plot verhandelt also gleich mehrere interessante Aspekte: Fiktion und Realität, Literatur als (Sprach-)Speicher gegen das Vergessen, ganz generell Vergessen des Vergangenen und Verdrängen des Ungewollten. Dabei geht der Film so vor, daß er in die Vorstellungswelt der Autorin vordringt, und diese als quasi-reale erstehen läßt. Dies mag dem einen als großer Humbug erscheinen, dem anderen als Quell und Möglichkeit kreativer Tausendfaltigkeiten. Und daß es nicht (nur) um Schocks geht, habe ich oben bereits anzudeuten versucht. Es geht um 'Die Vergessenen', egal welchen Bereichs. Das abgetriebene Kind, den toten Großvater, die verdrängten Träume und Wünsche. Hier wird der Film konkret und realisiert dies alles als Landschaft, in der die Heldin herumspaziert. Wobei man eher von Flucht sprechen muß, denn das Verdrängte ist häufig Böses, oder zumindest: bös Gewordenes, das sich nicht mit einer Entsorgung am sprichwörtlichen Rande der Welt abfinden will. Her geht es nun drunter und drüber, doch macht das überbordend barocke CGI-Setdesign nur den Weg frei zur Reflektion; keineswegs ist das alles ein willkürlich angehäuftes Horror-/Fantasy- und Actionspektakel, das sich auf seine Schauwerte reduzieren läßt, denn inhaltlich passen die Erlebnisse der Heldin in der 'Parallelwelt' sehr gut in die Koordinaten Verdrängung/Fiktion und Alptraum/Realität. Lediglich der sehr stark eingesetzte Score hat mich etwas genervt; das passiert immer dann, wenn dieser so dominant wird, daß man nicht mehr richtig unterscheiden kann, ob das nun zur Figurenhandlung gehört, oder zur akkustischen Zusatzunterstützung. Aber daß sich auch hier die festen Kategorien auflösen, ist wahrscheinlich nur konsequent. Die Kamera ist die ganze Zeit über sehr dynamisch, und scheint sich nicht mit bloßem 'Abfilmen' zufriedenzugeben; eine markante Szene: als die Heldin in die neue Welt tritt, durch eine Tür (!), steht sie auf einer Art Balkon, von dem eine halbverfallene Treppe hinab führt. Um die Höhe des riskanten Abstiegs ins Bild zu fangen, fährt die Kamera zurück und streift knapp über eine weitere Treppe, die quasi im Rücken der Kameraposition weiter hinten von einem ähnlichen Balkon ebenfalls hinab führt. Als die Kamera fast diese Treppenstufen streift, gibt es ein scharfes metallenes Geräusch mit anschließenden Rauschen. Hier setzt also die Kamera und ihre Bewegung selbst eine realitätsrelevante und tatsächliche existierende Handlung in die Welt. Stellt sich natürlich die Frage, wie so etwas zu beurteilen ist....
Und am Ende, nach dem Twist, zeigt sich: die Differenz zwischen Geist und Mensch ist oft gar nicht so groß. Überraschend schön.
#187
Geschrieben 07. Februar 2008, 10:51
Sehr romantische Aufbruchs- und Coming-of-age-Geschichte, die den Weg eines jungen Mannes nachzeichnet hinein in ein unabhängiges Leben. Dabei streift der Film eigentlich alle Freiheitsmythen, die die amerikanische Kultur bereit hält: die literarische Romantik, der landnehmende Westerner, der Tramp, der Hobo, der Obdachlose, der Hippie, und der Rebell.
Der Film zeichnet so auch –wie nebenbei- eine (1) kulturelle Entwicklung Amerikas nach. Und ist dabei interessiert an einer ‚History of Peace’; denn die Gewalt ist es, die Christopher McCandless (Emile Hirsch) zu überwinden sucht. Die der Familie, der Gesellschaft, des Kapitalismus. An einer Stelle sagt er etwa "Life is full of shit...", und die Kamera kippt um 45 Grad, als der Truck an ihm vorbeidonnert. In einem konsequenten Befreiungsschlag spendet er sein Erspartes (immerhin 25000 $) der gemeinnützigen Organisation Oxfam. Als er sein Auto zurückläßt, verbrennt er sein restliches Geld. Selbst solche Momente werden nicht ausgeschlachtet; er zündet es an, und geht. Hier gibt es keine vordergründigen Pseudotiefgründigkeiten. Die Tat ist Ausdruck einer Abkehr, die schon lange im Kopf stattgefunden hat. Daß der Entschluß allem den Rücken zu kehren aber durchaus massives Konfliktpotential birgt, verschweigt der Film ebensowenig. Christopher reißt ein rieiges Loch in die zurückgelassene Familie, bei seiner Schwester, und natürlich den Eltern. Die gehen tatsächlich irgendwann den Weg der Läuterung, und hier hat William Hurt dann einen wahnsinnigen Auftritt.
Daß der Film in seiner Darstellung dabei fast gänzlich auf Kitsch verzichtet, ist ihm hoch anzurechnen. Das eingesetzte Pathos dagegen wirkt ‚echt’, und wird weniger gezeigt, als im Rezipienten durch Empathie ausgelöst. Die Musik ist großartig; Eddie Vedder hat da einen wunderbaren Soundtrack geschaffen.
Ein überwältigendes, uramerikanisches Kinoerlebnis (wo wollte man so einen Film in Deutschland drehen – im Sauerland?), vor dem man nur kapitulieren kann, selbst der größte Zyniker. Am Ende wird man auf sich selbst zurückgeworfen.
#188
Geschrieben 10. Februar 2008, 11:38
Katsukuni-san hat es endlich geschafft! Das eigene Häuschen am Stadtrand! Jeder bekommt ein eigenes Zimmer, Tochter, Sohn, und morgens kann man voller Stolz mit dem Fahrrad zur Station fahren, um mit dem Schnellzug zur Arbeit zur fahren. Wunderbar. Die Tochter möchte gerne Sängerin werden, und der Sohn büffelt wie ein verrückter, hat er sich doch ein hohes Ziel gesetzt: die Aufnahmeprüfung zur Tokioter Universität zu bestehen. Alles gerät jedoch durcheinander, als der verrückte Großvater vor der Tür steht; beim Bruder sei er herausgeflogen, weil sein Verhalten nicht mehr auszuhalten gewesen sei. Und tatsächlich: der Mann ist anstrengend. Ganz klar: so kann es nicht weitergehen, er braucht mindestens ein eigenes Zimmer. Leider ist aber kein Platz mehr da....Kazukuni kommt die rettende Idee: mit Schaufel und Preßlufthammer wird mitten im Wohnzimmer ein Loch ausgehoben, um ein zusätzliches Zimmer zu bekommen. Der steigende Wahnpegel triggert innerhalb der Familie alle möglichen Verrücktheiten los, und bald herrscht ein unglaubliches Tohuwabohu.
Die Familien-Kultkomödie schlechthin! Ein punkig-anarchisches Freudenfest skurilen Humors, das immer großartig und sorgfältig inszeniert ist. Sowohl was die Charakterentwicklungen der Figuren und deren Interaktionen betrifft, die Wahl der Musik, die dynamische Kamerarbeit, oder die Seitenhiebe auf die japanische Gesellschaft. Dabei wird naturlich aus dem japanischen Kulturspeicher zitiert, was das Zeug hält. Wunderbar etwa die Szene, als Vater und Sohn mit selbstgebastelter Ausrüstung in bestem Samuraistil gegeneinander antreten; und im Gebaren des Sohnes tritt eindeutig Toshiro Mifune auf den Plan. Muß man gesehen haben.
Bearbeitet von deadpointer, 10. Februar 2008, 11:38.
#189
Geschrieben 12. Februar 2008, 10:52
Lok (Simon Yam) hat die Triade zwei Jahre erfolgreich geführt, und kommt auf den Gedanken, noch eine weitere Amtszeit dranzuhängen, zumal ein Nachfolger nicht so richtig in Sicht ist. Jimmie aus Teil 1 (Louis Koo), ein erfolgreicher Geschäftsmann (mit Porno-Raubkopien (!)) sieht das anders, und wird von Regierungsseite unter Druck gesetzt: entweder die machen sein illegales Geschäft kaputt, oder er übernimmt die Triade und regiert nach Absprache mit den Behörden. Da man amEnde von Teil 1 gesehen hat, wozu Lok gewaltmäßig in der Lage ist, sind hier deutliche Konflikte zu erwarten...
Election 2 ist deutlich stringenter als der Vorgänger. Auch logischer, soll heißen, verständlicher erzählt. Aber auch: langweiliger. Gerade der disparate -und deswegen interessante- Charakter Loks verliert in der Eindeutigkeit seines Machtstrebens alle Tiefe. Und Jimmie ist sowieso ein Unsympath. Da ändert auch seine hübsche Model-Frau nichts, die ein bißchen puppenhaft über die grünen Hügel von Kowloon blicken darf. Also: enttäuschend einfach (!) und deutlich, mit mir viel zu deutlicher Gewalt, siehe Hundeszene. Da fehlt die Atmosphäre und jeder Schock. Auch die erste Schlägerei ist behäbig inszeniert und lahm geschnitten. Das sieht aus wie ein Amateurvideo. Dennoch: schlecht ist der Film im Ganzen nicht; aber sicher nicht besser als Teil 1.
#190
Geschrieben 17. Februar 2008, 10:07
Wong nimmt die Grundkonstellation aus CHUNGKING EXPRESS, verkehrt das Personal, und begleitet Norah Jones in zwei Episoden auf einem Roadtrip, der zur Selbstfindung führen soll. Jude Law wartet derweil hinter seiner Theke, und ist auch ein wenig traurig. Wäre ich auch.
Erzählt wird das in HK-Kinostyle, rot eingefärbt, Farbenwischerei, alles grobkörnig. Gepaart mit pseudo-seltsamen Bildausschnitten, wodurch alles sehr gut aussieht. Und gut funktioniert. Man lehnt sich zurück, reibt sich seinen Cinemathekenbauch, und genießt, mal ganz Genießer zu sein. Und das geht gut. Ein vielleicht gefälliger, aber schöner Film. Am Ende hätte ich mich aber fast in Jude Law verliebt.
#191
Geschrieben 19. Februar 2008, 23:42
In New Mexiko werden die Bewohner eines Dorfes tot aufgefunden. Bald stellt sich heraus, daß ein grünschleimiger Erreger, der sich in einer Satellitenkapsel befand, die Ursache für die tödliche Infizierung ist. In einem unterirdischen Labor versucht ein Forscherteam ein Gegenmittel zu finden, und so der Ausbreitung der Infektion durch den Virus zuvorzukommen.
Der Film lebt von der Darstellung des unterirdischen Labors, welches sich in fünf riesigen Ringetagen um einen Kern im Erdinneren herumzieht. Technikverliebt schwelgt der Film in Bildern seiner Ausstattung; und die ist wirklich formidabel. So schön und funktional designt wie ein Raumschiff, detailverliebt wie ein U-Boot. Beinah jede Einstellung reizt zur Herstellung eines Screenshots. Deutliche Schwächen hat der Film aber auf Seiten der Dramaturgie. Scheinbar endlos werden hier Dekontaminationsprozeße und wissenschaftliche Mikroskopuntersuchungen durchgeführt. Zäh, wie man im Deutschen sagt.
Sehr deutlich wird auch die Angst vor der chemischen Kriegsführung zu Zeiten des Kalten Krieges und der Paranoia vor dem 'Ostblock'. Aber auch Vietnam spielt sicher eine Rolle: einerseits die medizinischen Experimente an den eigenen Soldaten, andererseits das Verheizen des eigenen Nachwuchses im Angesicht eines übermächtigen Gegners. Denn auch dieser Virus scheint unbesiegbar; lediglich die Superbombe, eine Atombombe scheint die Rettung im Falle eines Supergaus bringen zu können. Außerdem werden noch weitere Strategien der Authetifizierung wahrgenommen: ein Prolog führt in den Film ein, versichernd, daß die gezeigten Ereignisse auf bislang geheimgehaltenen Dokumente basieren würden. Innerhalb des Films erscheinen dann ständig Zeitenblendungen, die den dramatischen Ablauf authentisieren. So ist dieser Film in seinem Kern auch wieder eine Reflexion auf damalige politische Zustände. Schön, aber spröde.
#192
Geschrieben 21. Februar 2008, 23:50
Dem Schuljunge Satoru hat das Schicksal schon früh übel mitgespielt: knapp überlebte er einen Autounfall, bei dem aber tragischerweise seine Mutter verstarb. Daraufhin zieht sich der Junge, nun gehbehindert, in sein Zimmer zurück und kapselt sich von der Welt ab. Seinem Vater jedoch gibt er unbewußt die Schuld an der Tragödie. Dieser ist beruflich eine Ingenieur, der an einer Art Roboterentwicklung arbeitet; um überhaupt wieder Kontakt zu seinem Sohn zu bekommen, läßt er diesen einen Roboter aus seinem Zimmer heraus steuern; aber nicht irgendeinen Roboter, sondern ein hochtechnisiertes Gerät, das sich feinmechanisch bewegen läßt und sogar sprechen kann. Dazu tippt Satoru auf seiner Tastatur die Worte in den Rechner, die dann das Sprachprogramm des Roboters zu formulieren weiß. Eine Schulkameradin Satorus verliebt sich nun in den abwesenden Jungen und versucht ihn, aus seiner Isolation herauszuholen.
Was sich als Nacherzählung vielleicht wie ein stussiges Kinderfilmchen anhören mag ist jedoch ein ernstzunehmendes und komplexes Jugendlichendrama. Es ist klug konstruiert, spannend und schön gefilmt. Die Darsteller sind allesamt hervorragend und ähnlich toll wie die Kinder in Kore-edas Meisterwerk NOBODY KNOWS. Im weiteren Verlauf schleicht sich noch eine fantasyähnliche Nebenerzählung ein, die auf den Erfahrungen der Jugendlichen als Computerspielzocker basiert. Und bleibt doch immer völlig glaubhaft und seltsamerweise geerdet, selbst wenn mächtig an der Romatikschraube gedreht wird und der Kitsch anfängt zu fließen. Daß das trotzdem nie zuviel wird kann nur an dem gut strukturierten Erzählaufbau liegen, sodaß alle Ereignisse immer im Bereich des Film-Möglichen liegen. Eine gute Portion japanischen Humors bekommt man natürlich auch serviert, die aber weit hinter skurilen Extremen wie die der FAMILIE MIT DEM UMGEKEHRTEN DÜSENANTRIEB bleibt. So durchgeknallt wird es nie. Eher gefühlvoll und traurig. Und bleibt dabei stets wahrhaftig. Da der Junge über seinen Roboter mit der Außenwelt kommuniziert, ist neben dem akkustischen Aspekt vor allem das Sehen von Bedeutung. So werden sehr häufig Hinokios Kameraaugen und dazu imWechsel das Schauen der Protagonisten ins Bild gerückt. Das geht soweit, daß von Pupille auf Pupille gegengeschnitten wird, in denen sich die Protagonisten wiederspiegeln.
Das Finale findet in einer Kreisbewegung zu den Anfängen des Filmes zurück und schließt so mit einem Rahmen. Und da wird dermaßen auf die Emotionen gedrückt -auf eine gute Art- daß im Kino um mich herum gestandene Männer ins Schluchzen geraten sind.
#193
Geschrieben 29. Februar 2008, 16:41
Nachgeholt, endlich. Wie macht man einen Film, der schon tausend Mal gemacht wurde? Wie erzählt man eine Geschichte, die so -oder so ähnlich - schon jeder kennt? Was macht man, wenn einem bewußt ist, daß der Zuschauer eh schon weiß, was passieren wird, weil es das Gesetz des Copthrillers in dieser Art verlangt? Richtig: man jagt die Story zum Teufel. Die Figuren sind sowieso Schablonen, warum also noch Tiefe und Charakterzeichnung. In einer uns fremden Welt wie Miami, in der alles Hochglanz ist, in der der Kick die Geschwindigkeit ist, und der schwarze Lack des Sportwagens, in dem sich das weiß des Spermas bricht, vollgekokst und mit der gestylten Ische auf dem Nebensitz, da kann man das offene Designerhemd bei zweihundert Sachen mal über den Golf von Mexiko flattern lassen. Wenn die beiden auf den Wagen zulaufen, dann ist das Auto im Zentrum. Beim Panoramaschuß sieht man eine Wohnzimmertapete. Aber auch wieder geil: Bei der Rettung der Geliebten im Trailerpark beobachtet Tubbs zwei Gangster: einen vor, einer schräg hinter ihm. Die Kamera schießt an ihm vorbei, im Hintergrund sieht man einen der beiden Bösewichte. Aber man sieht auch: Tubbs' flackerndweiße Augen, wie er gleichzeitig beide Gegner beobachtet. Sogkamera, super. Keinesfalls Popcornkino, sondern pure Ästhetik.
#194
Geschrieben 01. März 2008, 17:25
Mehrere Kopfgeldjäger, echte Hackfressen, jagen einen Mann durch die verschneiten Berge. Dieser ist am Ende seiner Kräfte, hat sein Pferd verloren und ist angeschossen. Aber dieser Mann hat schon viel erlebt, und weiß sich selbst in dieser ausweglosen Situation zu wehren. Allzuleicht will er es ihnen nicht machen.
Pierce Brosnan und Liam Neeson sind die beiden Kontrahenten in diesem bitterbösen, sackbrutalen Neo-Western. Großartige Naturpanoramen lösen sich am Ende, angekommen in der Wüste, in existenzialistischer Sinnsuche auf. Dazwischen immer wieder gegerbte Gesichter, schnelle Tode, viel Staub und Dreck. Alte Männer, die nicht aus ihrer Haut können. Der Jäger braucht den Gejagten, sonst ist er überhaupt nichts mehr. Und dieser den Jäger. Ein Film, den man im Kino sehen müßte. Er reiht sich nahtlos ein in die Reihe PROPOSITION, THREE BURIALS, usw. usf. Wunderschön, klar, stringent, atemberaubend. Wozu sprechen, wenn man die Worte schon lange verloren hat.
#195
Geschrieben 03. März 2008, 11:19
Kafka, der über allem thront. Mit Joyce und Beckett und Schmidt und Koeppen... Wie muß man zur eigenen Person stehen um sich an so einen Schriftsteller zu wagen? Heraus kommt eine verstörende Literaturverfilmung, die ich für gelungen halte. Und wahrscheinlich ist das oben sowieso einfach nur die falsche Frage. Vielleicht sollten sich noch viel mehr an solche Stoffe wagen. Wie immer wendet Haneke seine Methoden an. Methoden, die den Sehgewohnheiten zuwider laufen. Allerdings nur, bis man ein paar Hanekes gesehen hat. Oder ein paar andere radikalere Filmemacher. Dennoch, nimmt man den Mainstream als Maß (oh je), wird man doch zuerst mit dem Medium Film und dann nach und nach mit sich selbst konfrontiert. Schlecht ist das ja nicht, hält man so etwas wie ‚Anspruch’ hoch. Wenn Film nicht nur ‚unterhalten’ soll. Dieser Film unterhält nicht. Er ist lang, unangenehm und düster. Aber von einer eigenen Schönheit, die einen schnell ergreift. Bei der Lektüre des Romans ist das ja nicht anders; wenn man dran bleibt wird man hineingezogen in diese verstörende Welt und die fantastische Sprache. Überhaupt diese Sprache! Haneke weiß das, und wendet seine Methoden an. Etwa den Erzähler aus dem Off. Dieser (Udo Samel) spricht den Text, und Haneke bebildert diesen. Man hört also das, was man sowieso schon sieht. Oder anders herum: man sieht das, was man bereits hört. Mit diesem Verdopplungseffekt etwa beginnt Haneke seine Verstörungen. Haneke und seine Methoden….
Etwa Hanekes Methode, mit sekundenkurzen Schwarzblenden den Film kapitelähnlich zu strukturieren. Die oft, unvermittelt in die Handlung hineinschneiden, unterbrechen, nicht zuende erzählen lassen; in ihrer Art harsch und ruppig. Oder keinen Score zu verwenden. Das Geräusch des stürmenden Schnees scheint den akkustischen Raum auszufüllen und führt beim Zuschauer zunehmend zur Zerrüttung. Oder: Keine perfekten, sprich: gut ausgeleuchteten Bilder zu verwenden. Sondern daß er der Dunkelheit Raum gibt, und der erdrückenden Schwärze Platz macht, die öfter dann auch die Handlung verschluckt. Überhaupt sind die Innenräume nur sehr spärlich beleuchtet, sodaß alles sehr klein, dunkel und abgeranzt wirkt. Nirgends bekommt man Luft. Das gebiert natürlich extrem atmosphärische Bilder; aber eben jene der Unsicherheit, des Verlorenseins, des Nicht-Ankommens an einem Unort. Lediglich im Schankraum weitet das sich etwas, und da lernt er auch seine ‚Braut’ kennen, direkt und körperlich. In diesem unspezifischen Landstrich ist fast nie Tag, und wenn, dann wird durch den tiefen Schnee gestapft in Richtung Schloß, das einer Fata Morgana gleich unerreichbar bleibt. Dieses ist ein Licht der Erkenntnis, aber dasjenige der Vergeblickeit. Jeder Versuch mit dem Schloß, den Verantwortlichen, mit dem Sekretär Klamm in Kontakt zu gelangen, scheitert. Die Struktur dieser Gesellschaft verhindert und blockiert jede Aufklärung. Und wie sich überall Hindernisse in den Weg stellen, so rücken viele Körperlichkeiten zu nah. Oft fehlt die nötige Distanz zwischen den Menschen, der Respekt vor dem gesitteten Miteinander. Damit meine ich distanzlose Direktheiten in der Konversation, oder körperliche Nähe, die so nicht angebracht ist, etwa wenn sich K. auf das Bett des Sekretärs setzen soll, bei dem er irrtümlich hereinplatzt, (eine ähnliche Szene gibt es ja im Heizer-Kapitel des Verschollenen.) und die Zeit vertrödelt, obwohl er eigentlich diesen anderen Sekretär sprechen wollte.
Erwähnt werden muß noch die tolle Schauspielerleistung von Ulrich Mühe und Susanne Lothar, überhaupt des ganzen Ensembles. Haneke findet in seiner fordernden Inszenierung eine gelungene Visualisierung des Textes und erinnert mich an meine eigenen Nöte und Leiden bei der Lektüre des Romanfragments. Und an die Schönheit eines Textes, der wie einmalig in der Literutarlandschaft herumsteht.
Bearbeitet von deadpointer, 03. März 2008, 11:21.
#196
Geschrieben 04. März 2008, 11:31
Mitten hinein in all diese populäre, grimmige und harte Neo-Western-Hackfressigkeit schleicht sich dieser anachronistische, eher klassische Western. Denn hier geht’s um einen Mann, einen Farmer und Familienvater (Bale), der das ‚Richtige’ und ‚Gute’ tun muß. Für seine Familie, und auch egoistisch für ihn selbst, um seine Minderwertigkeitskomplexe loszuwerden. Dabei driftet der Film mitunter in ein Kammerspiel ab, was ihm gut zu Gesichte steht. Am Ende wird alles dafür getan, den Mythos vom aufrechten Mann in die Welt zu setzen (hier können Parallelen zu LIBERTY VALANCE gezogen werden), man bekommt nämlich gewaltig Unterstützung vom ‚Bösen’ (Crowe)… Nun denn: letztendlich gewinnt der Böse, was aber nicht so schlimm ist. Denn der Böse hat sich der naiven Loyalen entledigt (seiner bloodthirsty Gang), auch wenn seine Mannen für ihn in den Tod gegangen wären. Der Böse ist nämlich gar nicht so böse und primitiv. Das soll nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Film in sich sehr geschlossen ist und gut funktioniert. Ein wenig stört denn aber doch (mich) das heroenhafte Männlichkeitsbild. Auch wenn der Film zugleich kritisch die Mythenbildung beleuchtet.
#197
Geschrieben 05. März 2008, 14:01
Ein Kinderfilm mit gutgelaunter Klimpermusik: Drei Lausbuben klauen Äpfel, die größten und leckersten überhaupt!, aus Nachbars Garten. Dieser erwischt sie natürlich dabei und zeigt sie beim Klassenlehrer an. Dieser bringt sie dazu, sich zu entschuldigen, und verbringt in den folgenden Tagen immer mehr Zeit mit ihnen. Seine aufrechte und abenteuerlustige Art wirkt ansteckend, der Zusammenhalt wird stärker. Der Lehrer verspricht, im darauffolgenden Sommer mit ihnen den Berg Myôjindake zu besteigen, doch durch seinen plötzlichen Tod zerschlägt sich dieser Plan. Im Gedenken an ihren Lehrer machen sich die drei Jungs zusammen auf, gemeinsam, vereint, das Abenteuer zu meistern. Denn eines haben sie von ihm gelernt: gemeinsam sind sie stark!
Wunderbar romantisch verklärter Jugendfilm, in dem die zu bestehenden Abenteuer nur deswegen gemeistert werden, weil jeder der Jungen einmal seine besonderen Fähigkeiten zum Dienste der Gruppe nutzen kann. So ergänzen sie sich und erfahren sich als starkes Team. Auch pädagogisch, aber vor allem auch albern, lustig und gutgelaunt. Die Begegnung mit dem Tod erlaubt für kurze Zeit auch ernsthaftere Töne, die dem Film die nötige Komplexität geben.
Als sie dann dem gefährlichen Sturm entkommen sind und durch die Felder zurückradeln an einem sonnigen Spätsommernachmittag, da beschließen sie, für immer Freunde zu bleiben.
#198
Geschrieben 06. März 2008, 12:00
In einem ungenannten Gefängnis irgendwo auf dem Planeten Erde, zu einer unbekannten Zeit, werden zwei junge Männer inhaftiert, die beide einen Mord begangen haben. Sie freunden sich an, Homoerotik liegt in der Luft. Da wird der stark tätowierte Shiro, der gewalttätige der beiden, tot aufgefunden. Zwei Ermittler versuchen den Mörder zu finden...
So könnte man die grobe Handlung des Films zusammenfassen, und hat ihn doch zugleich überhaupt nicht erfasst. Denn dieser Film verweigert sich der Kohärenz und Logik auf allen Ebenen. Inhaltlich, wie formal. Das beginnt beim Setting. Man befindet sich zwar in einem Gefängnis, dieses ist aber äußerst heterogen gestaltet. Eine Zelle mit 6 Gefangenen ist der Ort, der noch am realistischsten gezeigt wird; doch über Juns Bett befindet sich ein Loch in der dünnen Wand, durch das er nach draußen sehen kann. Dort sieht er eine riesige Rakete und eine Maya-Pyramide - Raum als feste Kategorie löst sich auf. Was auf eine Gleichzeitigkeit des Ortes, aller Orte, verweist. Aber auch auf eine Aufhebung der fortlaufenden Zeit. Der japanische Titel lautet genauer übersetzt 46 Millionen Jahre Liebe, was auf ein euphorisch-romantisches 'ewige Liebe'-Konzept anspielt, die man im Film verzweifelt zu verorten sucht.
Die Orte: die beiden Hauptdarsteller befinden sich im Freigang dann auch vor dieser Pyramide auf dem freien Feld und unterhalten sich, ohne miteinander zu sprechen. Die Sprache fließt, ohne daß sie die Lippen bewegen würden. Überhaupt verselbstständigt sich die Sprache permanent im Film: sie strukturiert ihn in Kapitel, erscheint als Texttafel etwa beim Verhör des Gefängnisdirektors, wird von einem Erzähler geflüstert.
Zu den Orten: der Essenssaal sieht - in Gegensatz zur Zelle wie ein Trierscher Raum aus, abgeschaut wie aus DOGVILLE. Oder eben eine Theaterbühne. Während draußen die Rakete startet in einen rotgefärbten CGI-Himmel.
Mag sich das nun alles sehr verstörend lesen: dieser Film scheint ein gut durchdachtes Konstrukt zu sein, das in seiner Vielgestalt(et)heit aufzugehen scheint. Hier kann mit mehreren Sichtungen sicherlich viel rausgeholt werden, und der Eindruck der Willkürlichkeit stellt sich während der Sichtung nicht ein. Man ist sich der ständig frei flottierenden gesellschaftlichen Referenzen bewußt, ohne daß es penetrant wirken würde, oder metaphernbelastet. Gerahmt wird der Film denn auch von einem Erzähler; die Kamera geht an, man sieht eine Klappe, und los geht's. Die Fiktion steht neben dir, als Realität.
#199
Geschrieben 06. März 2008, 19:03
Kunihiro wird nach 27 Jahren geläutert aus dem Gefängnis entlassen... und natürlich wünscht er sich nichts mehr, als von nun an ein sogenanntes ruhiges Leben führen zu können. Doch bald melden sich die einstigen Kollegen, und nachdem er einen niederen Posten angenommen hat, beweist er sich äußerst souverän in einer brenzligen Situation. Das macht die Sache nicht leichter, hat er sich doch in eine schüchterne Klavierspielerin verliebt, die sich sogar ein Leben mit ihm vorstellen kann. Die beiden ziehen in eine gemeinsame Wohnung, das Glück scheint greifbar. Doch das Schicksal der Schwester seiner Freundin bringt ihn erneut in Kontakt mit den Gangstern.
ONIBI ist ein Yakuza-Drama, das seinen Fokus ganz auf seine Figuren legt. So stehen nicht die action, shoot-outs und Schlägereien im Vordergrund, sondern die Identitätssuche Kunihiros (Yoshio Harada). Dieser kann sich nicht in eine bürgerliche Existenz fügen, er scheitert am 'ganz normalen Leben.' Entsprechend langsam ist der Film erzählt, die Handlung entfaltet sich zunächst auf unspektakuläre Weise. Die oft statische Kamera fängt die Personen häufig in Transitzuständen ein, etwa beim Spaziergang (über Brücken), in langen Straßenfluchten, sehr häufig unter Hochbahn-Gleisen, oder eben zuhause, dann aber im Fenster stehend, oder in der Eingangstür sitzend. An Un-orten also, die für Veränderung stehen, und nicht für ein Ankommen. Beim Brettspiel mit seinem Arbeitgeber verliert er die Contenance und in einem eruptiven Ausbruch der Gewalt schleudert er das Brett weg und steht bedrohlich über dem völlig verstörten alten Mann. Zweitsichtung dringend erforderlich.
#200
Geschrieben 07. März 2008, 17:34
1962: was für ein Jahr für das japanische Kino! Es entstanden drei der wichtigsten und bedeutendsten Samuraifilme: SANJURO von Kurosawa, HARAKIRI von Kobayashi und der erste Film der 26-teiligen Serie um den blinden Masseur und meisterhaften Schwertkämpfer Zatoichi (Shintaro Katsu). Dieser wird in die Querelen zwischen zwei verfeindeten Clans hinein gezogen. Sukegoro Iioka, der von seinen Künsten weiß, versucht ihn zu kaufen, um gegen seinen Kontrahenten Shigezo Sasagawa gut gewappnet zu sein. Dieser hat seinen Clan jedoch um den bekannten Ronin Miki Hirate (Shigeru Amachi) verstärkt, einen Kämpfer, der ähnlich grimmig aussehen kann wie Tatsuya Nakadai in SWORD OF DOOM oder Kinnosuke Nakamura als Tange Sazen in Hideo Goshas THE SECRET OF THE URN. Die beiden Meister jedoch verstehen sich ziemlich gut, da sie sich durch Zufall beim Angeln treffen. Nur widerwillig, und letztlich durch Verleumdung treten sie gegeneinander an. Und nun zeigt sich die ganze Größe der Zatoichifilme: sie sind alles andere als eindimensional. Da Zatoichi weiß, daß Hirate an Auszehrung, der Schwindsucht, leidet - an einer Stelle spuckt er bereits Blut - tut er ihm einen Gefallen, ihn in einem ehrbaren Kampf durch das Schwert sterben, anstatt ihn in einem langen und demütigenden Krankheitsverlauf verrecken zu lassen. Der "Sieg" Zatoichis ist also ein Akt der Würde und nicht zuletzt: der Nächstenliebe. Durch den Tod im Kampf erhält Hirate seine Ehre zurück.
Zatoichi jedoch weiß schon von Beginn an, wem er sich da verdingt. Und er hat seine Strategien, um den Preis in die Höhe zu treiben. Hier wird auch die Ambivalenz im Charakter Zatoichis deutlich: er ist keinesfalls ein Gutmensch, ein strahlender Held. Er verdingt sich gegen Bezahlung an einen verbrecherischen Clanboss - und bleibt gleichzeitig seinen inneren ethischen Prinzipien treu; und hierin unterscheidet er sich auch von Ryunosuke Tsukue in SWORD OF DOOM, der jedes menschlich-moralische Prinzip in seinen Kämpfen aus sich herausgeschlagen hat. Zugleich aber ist Zatoichi ein Yakuza, ein Gangster, der sein Geld mit Glücksspiel verdient, denn der Beruf des Masseurs bringt fast nichts ein. Beim Würfelspiel wird er von seinen Mitspielern ob seiner Blindheit unterschätzt, wodurch er kräftig abräumen kann. Natürlich betrügt er, wer hätte das gedacht. Zatoichi, der sympathische und ehrenhafte Bandit. Daß er das hinreißende Mädchen Tane (Masayo Banri), das sich in ihn verliebt hat, von sich weist, macht ihn zum Einzelgänger. Als sie am Ende an der Straße auf ihn wartet, verzieht sich Zatoichi ungesehen durch den Wald. Auf dem Weg ins nächste Abenteuer.
#201
Geschrieben 09. März 2008, 08:57
Die Apokalypse war gestern. Der Zonetripper wandert durch die radioaktiv verseuchte Ödnis. Es ist heiß, der Himmel ist rot, die Wüste der kontaminierte Tod.
Visuell atemberaubend, von Beginn an. Die Erdatmosphäre ist eine hitzige, verstrahlte Brühe, die Sonne färbt alles rot-orange. Rot ist sowieso die Farbe dieses Films. Sie wird überall wieder aufgenommen, bis hin zum Blut, und der Kamera im Auge des Cyborgs. Das Sehen / Die Augen: weiteres Strukturmerkmal des Films, vielleicht sogar das dominierende. Überall Augen: hinter Brillen, in Mikroskopen, in close-ups, herangezoomt, herangecuttet, die Überwachungskameras - überall, die Infrarotkameras des Cyborgs, die Bildschirme der Computer, die Displays, die sich auf den Gesichtern widerspiegeln, das Objektiv, das Fernrohr. Sehen und gesehen werden, die Beobachtung des Anderen. Wird hier überlebensrelevant wenn vor dem Infrarot nur die Kühlschrankbeleuchtung hilft. Und Bilder großer Strahlkraft, SAW und Konsorten schon Jahrzehnte vorweggenommen: die zerschnittenen Beine der Protagonistin in der Dusche, das Aufschneiden des Unterarms, das Zerschneiden des Körpers in der automatischen Tür. Blutfontäne, asiatisch, bereitet das Zitat vor: Shades springt durch die Tür wie ein Kung Fu-Kämpfer und macht eine klassische Handkante. Dann direkt die Brechung, indem er ein japanisches (!) „Hai“ sagt, „Ja! (hier bin ich)“.
Der Score dieses Filmes ist beachtlich. Man ist deutlich – auch mit der Guitarre - in den 80ern verortet. Allerdings auch hier an den Randbezirken, dort wo ‚das Andere’ gestaltet wird: Soundcollagen, Rauschexperimente, Synthie-epen aus dem Maschinenraum. Industrial und Rauschfetzen mischen sich zum Soundtrack des Untergangs. Da hat man eine Tradition auf den Inseln, die bis nach Japan reicht und New York. Und dann proletig: Da knippst man auch mal ein Auge zu und haut dem Bierbuddy auf die Schulter wenn der Lemmy plötzlich im Motorboot sitzt und Motörhead laufen läßt. Da sieht VERFLUCHTES AMSTERDAM schön alt aus gegen. Auch Iggy Pop sei erwähnt als durchgeknallter Radiosprecher und verbaler Kommentator der Dystopie, der dann den planetaren Zusammenklapp ganz einfach auf den Punkt bringt: „---KILL---KILL—KILL—„. Und wie alles im Rausch versinkt, und der Psychotrip beginnt, da passiert das Tollste: der Score wechselt von der Elektronik zum klassischen Requiem. Das menschliche Leid beginnt, das große Sterben setzt ein. Der Leichenberg wächst, die Überlebenden kämpfen gegen das Monster, der Cyborg wird sterben. Der Score nimmt das vorweg: die Elektronik setzt wieder ein, wunderbar. Dann noch der BLADERUNNER-Schluß, oder ist das Hitchcocks VERTIGO? Der Kopf dreht sich, Referenzen und Allegorien innerhalb des Genres, genreübergreifende und medienreflektierende Verweise: wohl unzählige.
Und wichtig bleibt: die menschliche Tragödie in all dem Szenario. Der Held, der keiner mehr ist. Die Frau, die ihn nicht mehr liebt. Der Mann, der mit seinen Mach(o)ismen nichts mehr erreicht, aber die Katastrophe auslöst, der Überbringer des MARK 13-Kopfes. Fast tötet er die, die er liebt: eine (Objekt-)Künstlerin, eine die schafft und gestaltet und Neues in die Welt setzt. Dagegen die Regierung, die das Lebenschaffen, die Geburtenrate eindämmt, den Menschen wegregeln will. Welchen Sinn macht es im realen Alptraum Zukunft zu schaffen? Das Netz, das dieser Film webt, ist dicht. Die Bezüge innerhalb des Films sind unzählig. Noch einmal der Held: das ständige Herausstellen seiner Taten, das sich Anbiedern an die Frau, die schon über ihn weg ist. Die lieber, und vor allem: aufrichtiger, mit dem Loser Shades umgeht, mit diesem aus dem Fenster blickt. Das Fenster, die zärtliche Inszenierung einer Schwelle. Einer der wenigen positiven Momente des Films. Der Held jedoch steht im Hintergrund und ist abgemeldet.
Ein Film, reich wie ein Schatz.
Bearbeitet von deadpointer, 09. März 2008, 08:59.
#202
Geschrieben 11. März 2008, 11:28
Nach einem Überfall von Wegelagerern hat Zatoichi (Shintaro Katsu) die Schnauze voll und erinnert sich an ein Bergdorf, in welchem er in früheren Zeiten Frieden und Gelegenheit zur Besinnung gefunden hatte. Mittlerweile aber ist der herzensgute Bürgermeister ins Abseits gedrängt worden und die Bewohner fristen ihr Dasein unter der Knute eines Verbrecherclans. Zatoichi kann all dem nicht unbeteiligt zusehen - zu allem Übel aber wird er von Yojimbo (Toshiro Mifune) gejagt, der es auf das Kopfgeld, das auf Zatoichi ausgesetzt ist, abgesehen hat. Dieser besäuft sich aber ständig derart, daß er kaum einen Fuß vor den anderen setzen kann. Aber eigentlich geht es auch noch um eine ganze Menge Gold, die ein reicher Kaufmann irgendwie hat verschwinden lassen. Daß es da zu einem Showdown kommen muß, scheint unausweichlich...
Der 20. Teil der Serie ist ein fulminanter, eigenständiger Film mit Weltklassecast und prominentem Regisseur. Wie so häufig in Chambarafilmen muß man noch etliche Subplots mitdenken, die sich hier aber alle auflösen und einen geschlossenen Film ergeben. Der in vielen Artikeln und Besprechungen prophezeite "größte Schwertkampf aller Zeiten" ist eine absurde Behauptung, die ins Leere läuft. Hier scheint mal wieder einer vom anderen abgeschrieben zu haben. Ja, man hätte es gern, daß sich hier die zwei Monumente des Samuraifilms die Köpfe einschlagen, aber das markante ist eben, daß uns ausgerechnet dieser Kampf verweigert wird. Denn, es geht ums Geld. Da vergessen selbst die größten Ronin ihre Pflichten gegenüber ihrem Publikum. Okamoto, sukida!
#203
Geschrieben 13. März 2008, 11:43
Inspektor Bun (Lau Ching Wan) hat ganz eigene Ermittlungsmethoden: Seine Sensibilität und (übersinnliches) Einfühlungsvermögen in die „Seele“ anderer Menschen läßt ihn hinter die äußere Fassade der Personen sehen, und deren wahre Motivationen erkennen. Dazu geht er ganz unkonventionell vor: um sich einfühlen zu können, muß er das Erlebnis nacherleben, die Atmosphäre aufsaugen oder die Personen berühren. Irgendwie Kontakt aufnehmen jedenfalls. Da steigt er in einen Koffer und läßt sich die Treppe hinunterschmeißen, oder er legt sich in ein offenes Grab und läßt sich lebendig begraben. Seine Radikalität zeitigt Erfolge: er löst beinahe jeden Fall. Für seine Frau und Kollegen allerdings ist Bun eine Belastung. Die Mischung aus Genie und Maniac ist nur schwer zu verkraften. Als er sich zum Abschied seines Vorgesetzten aus Loyalität ein Ohr abschneidet, der Verrückte (van Gogh von HongKong), wird er rausgeschmissen. Seine Frau verläßt ihn. Bun vereinsamt. Als ein Kommissar nach einer Verbrecherhatz monatelang verschwunden bleibt, kommt ein junger Polizist auf ihn zu, und bittet ihn um Hilfe. Und dieser Fall ist viel komplizierter, als man sich ausmalen kann…
Johnnie To wird immer besser. Ein dunkler Polizeifilm, ruhig und elegisch, getragen von einem umwerfenden Score. Und einem Lau Ching Wan, der diese im Ansatz bizarre Rolle glaubhaft verkörpert. Ich kenne ihn nur aus THE MOST WANTED, wo er auch schon den ganzen Film getragen hatte.
Das mit Sicherheit eindrücklichste Stilmittel der Regisseure ist die Entscheidung, Buns Blick durch eine subjektive Kamera darzustellen. Durch sein Einfühlungsvermögen gelingt es ihm ja, die unterschiedlichen Charaktereigenschaften, Motivationen der Personen zu sehen: die sich dann als Personifikationen im Bild darstellen. Ganz real: eine (1) Person ist mehrere Personen. Wenn also Verdächtiger Soundso durchs Bild läuft, dann sieht man nicht unbedingt diesen, sondern einen anderen Schauspieler, der diesen zum Beispiel als weinerlichen Schwächling darstellt. Wird dieser dann aggressiv, wechselt der Schauspieler, und man sieht einen unterhemdtragenden Proleten. Läuft der Verdächtige durch eine Gasse und wird von Bun beobachtet, dann laufen da mehrere Personen hinter und neben dem ‚eigentlichen’ Darsteller her. Das muß zweifellos sehr kurios und bizarr klingen, und erleichtert auch nicht unbedingt die Übersicht. Kurzzeitig wähnt man sich mit einem dostojevskischen Personeninventar konfrontiert. Hat man aber mal kapiert, wie das funktioniert - und diese Methode wird völlig ironiefrei durchgezogen! - wird der Film wirklich reizvoll. Vielleicht findet man das ja platt und überdeutlich, aber so werden Bilder gefunden und Motivationen dargestellt, die zur Komplexität beitragen. Ein weiterer Punkt ist selbstverständlich eine Verunsicherung der Perspektive. Denn letztendlich stellt sich natürlich die Frage, wer da eigentlich verrückt ist. Der ‚normale’ Mensch, der aber immer nur die Fassade und die gerade eingenomme Rolle seines Gegenübers sieht (und alles andere erstmal ausblendet), oder der ‚verrückte’ Bun, der eben mehr sieht, als diejenigen, die es sich einfach machen.
Das zweite zentrale Motiv ist die Schußwaffe. Und deren Registrierung in einer Polizeidatenbank. Also verkürzt: Technik. Denn über den Wechsel des Besitzes der Waffen wird sich auch der tatsächliche Killer (durch Indizien) finden lassen. To macht also die Opposition auf zwischen einer intuitiven, subjektiven und einer objektiven, faktengestützen Arbeitsweise und Herangehensweise an die Welt. Daß Bun im Endkampf sich eines Mobiltelefons bedient um den jungen Kollegen zu retten, weist schon thematisch auf das Ende. Bun überschreitet dadurch eine Grenze, und es wird sich zeigen, ob seine Freundin recht hatte, als sie ihm voraussagte, daß er aus diesem Fall nicht lebendig herauskäme.
Herzerreißend ist übrigends die Motorradfahrt durchs nächtliche Kowloon mit ebendieser Freundin auf dem Sozius. Da sitzt natürlich niemand. Für Bun aber ist da seine große Liebe, und das Lachen und Glücklichsein dieser tragischen Figur für diesen einen kleinen Moment in diesem durchweg hochspannenden und explosiven Film ist wirklich: sehr ergreifend.
Bearbeitet von deadpointer, 13. März 2008, 11:48.
#204
Geschrieben 15. März 2008, 10:37
Shomin geki deluxe, dazu ein Stummfilm. Gosho erzählt eine scheinbar simple Geschichte aus dem Leben der einfachen Leute, mit seinen Höhen und Tiefen. Als Goshos Lehrer gilt Yasujirô Shimazu, der auch die berühmten Regisseure Yasujiro Ozu und Mikio Naruse zu seinen Schülern zählen darf. Insgesamt drehte Gosho fast 100 Filme.
In diesem erwarten uns die für dieses Genre typischen Charaktere: der besorgte, manchmal strenge Vater, der aber die Liebe zu seinen Kindern über alles stellt, vor allem über sein persönliches Glück. Die Tochter, die sich für jemanden, oder für eine Sache aufopfert. Der Sohn, der in die weite Welt hinausgeht, und sich dort neuen, für die zurückgebliebenen unbekannten, Problemen stellen muß. Meist kommt noch eine geliebte Frau hinzu, die Tochter soll verheiratet werden, und irgendwer stirbt - meist ein Elternteil.
So ist es auch hier. Der Vater, ein im Dörfchen respektierter Arzt, verliert das Vertrauen seiner Patienten, als er eine beinah fatale Fehldiagnose stellt. Die Sache setzt ihm dermaßen zu, daß er sich zur Ruhe setzen möchte. Seine Tochter soll nun verheiratet werden. Seinem Sohn Hideo möchte er noch den Weg für dessen medizinische Karriere ebnen. Mehrere Kontaktaufnahmen zu dem in der Stadt studierenden Sohnes scheitern, sodaß sich die liebevoll sorgende Tochter Machiko auf den Weg macht. Dort trifft sie aber nur auf die Geliebte ihres Bruders, und wird mit der harten Realität konfrontiert. Nach einer nächtlichen Sauftour kehrt Hideo zurück und trifft seine Geliebte und die Schwester aufgelöst vor Sorgen an. Alles gute Zureden der beiden Frauen, die ihm auch an seine Verpflichtung gegenüber dem Vater erinnern, scheitern. Er wolle ein Schriftsteller werden, und nicht die vom Vater gewünschte Laufbahn des Arztes weiter verfolgen. Das Studium war also umsonst. Sein rüpelhaftes Benehmen verstört die Schwester zutiefst, und das Leid, das er seiner Geliebten zufügt, ist auch eine Gewalt, die er sich selbst antut. Als der Vater von den tatsächlichen Verhältnissen erfährt, ist er tief geschockt und fällt in Ohnmacht, woraufhin er stark erkrankt. Erst die Nähe zum Tod vermag den bockigen Sohn zu einem Einlenken zu bewegen, und er macht sich auf den Weg zu seinem Vater.
Ein wunderbarer Film, voller Details und liebenswerter Kleinigkeiten. Alle Charaktere werden in ihrer Komplexität gezeigt, selbst unbedeutenderes Randpersonal wie der Rikschafahrer ist nicht nur der comic relief, sondern eine eigenständige Person. Mit oft nur kurzen Momenten und wohl ausgesuchten Handlungsschnipseln erreicht er eine sehr große Nähe zu seinen Personen, sodaß deren Motivationen, Gedanken und Sorgen immer plausibel erscheinen. Ein psychologischer Erzähler, der wert auf eine flüssige Narration legt, und dessen Film eine stark poetische, zugleich einfache Aura ausstrahlt.
Bearbeitet von deadpointer, 15. März 2008, 10:38.
#205
Geschrieben 15. März 2008, 18:31
Tsukamotos hyperrealistische, bisweilen ins karnevaleske abdriftende Verfilmung einer Kurzgeschichte Edogawa Rampos (The Twins) setzt einen wunderbaren Kontrapunkt zur grauen Düsternis eines RINGU-dominierten Jahrzehnts. Eine Geschichte um die Rivalität zweier Brüder, von denen der eine ein hochgeschätzter Arzt wurde, der andere aber in der Gosse landete. Als im Slum die Pest ausbricht, stößt der Todgeweihte den Bruder in einen ausgetrockneten Brunnen und nimmt dessen Platz ein. Die Ehefrau riecht natürlich den Braten, ist sie doch selbst eine dem Slum Entkommene. Farbenreich und durchkostümiert wirkt der Film austattungsmäßig beinahewie eine frühe Variante von IZO, und wird dir gesamte Zeit von einer unterkühlten Atmosphäre durchzogen. Mitleid hat man mit der fragilen Ehefrau Rin, die wie ein überirdisches Wesen in tollen Kimonos und beeindruckender Haarpracht durchs Bild gleitet. Man lasse sich nicht von den teils miesepetrigen Kritiken abschrecken!, sicher das ist kein TETSUO, aber ein Film, der den erstarrten 90er Horror aus seinen Verkrustungen heraus auf ein neues Level hebt.
#206
Geschrieben 29. März 2008, 16:30
Knabberspaß für's Bürgertum.
#207
Geschrieben 30. März 2008, 11:16
Das alte Ehepaar Jim und Hilda leben im Grünen und haben es sich dort vor der Stadt gemütlich gemacht. Die politische Weltlage ist aber alles andere als entspannt: ein Atomkrieg steht bevor. Jim, ganz pflichtbewußter Bürger, hat eine Broschüre zum richtigen Verhalten im Ernstfall aus der Bücherei mitgebracht, und beginnt, einen Atom-Schutzraum zu bauen. Dazu demontiert er das halbe Haus und bekommt Ärger mit seiner Frau. Als die Katastrophe schließlich hereinbricht wird man Zeuge eines verzweifelten Überlebenskampfes, der doch nur verloren werden kann.
Speist sich der Humor des Filmes zunächst noch aus der familiären Situation der beiden, indem man ihnen bei den alltäglichen ehelichen Kabbeleien zusieht, wird aus dem liebenswerten, dabei erzkonservativen, Nebeneinander bald die schiere Hilflosigkeit. Das Ende ist dermaßen ergreifend, daß einem die Worte fehlen.
Nicht aber allein inhaltlich wird hier großartig erzählt, sondern auch produktionstechnisch. Der Zeichentrickfilm ist dabei nur die Basis, in den 'reale' Filmsequenzen eingefügt werden, als Zwischeneinspielungen, aber auch gleichzeitig, als Hintegrund etwa. Zudem arbeitet der Film vielfach mit Authentifizierungsstrategien, etwa dem Dazwischenschneiden von Polizeieinsätzen, von Zeitungsartikeln, von quasi-objektiven Radiomeldungen. Auch die reale Verortung des Films in Sussex gehört dazu. Aber auch die poetischen Möglichkeiten des Zeichentrick werden genutzt, etwa wenn Hilda die Samen eines Sonnenblümchens in den Wind bläst, die dann zu Elfen und Engeln werden, und beginnen, eine eigene, eine Traumgeschichte zu erzählen, oder eine Kindheitserinnerung visualisieren. Später wird derselbe Wind dann den radioaktiven Fallout bringen.
Dieser Film: Ein Kindheitstrauma, und das, obwohl der der Kalte Krieg schon so gut wie gegessen war. Mit Schrecken denkt man allerdings an das Wettrüsten der Großmächte zurück, und an die alltägliche Diskussion ob es denn den 3. Weltkrieg im Falle eines atomar geführten Krieges überhaupt noch gäbe. Auch der Reaktorunfall in Tschernobyl von 1986 erschütterte nachhaltig und hatte zur Folge, daß die Themen Radioaktivität und Atomkraft in ihrer Brisanz und Gefährlichkeit auch von uns Kindern und Jugendlichen erkannt wurden. Ich erinnere mich noch deutlich, wie wir nachts die Fenster geschlossen halten sollten und tagsüber nicht hinaus durften. Dem Pilzsammler Handke muß das auch zugesetzt haben.
An kaum einen Film meiner Jugend kann ich mich erinnern, der mir derart zugesetzt und mich so sehr verstört hätte.
#208
Geschrieben 31. März 2008, 12:20
Als sich der Konflikt im Kalten Krieg zwischen den USA und der UdSSR in einem Atomkrieg entlädt, kommt es nach der Explosion mehrerer Atombomben in Kansas City und Umgebung zur totalen Verwüstung und radioaktiven Verseuchung. Anhand von mehreren Einzelschicksalen wird das Desaster, der Überlebenskampf der bald wie in einem Zombiefilm herumwankenden Kranken, eindrücklich veranschaulicht. Die Special Effects wirken etwas veraltet, was die Wucht der Bilder aber kaum schmälert. Insgesamt ein sehr stimmiger, etwas konstruierter, Katastrophenfilm, der seine Stärken auch in den Momenten des einsam und verzweifelt herumirrenden Arztes hat, der zum Schluß in den Trümmern seines nicht mehr vorhandenen Hauses herumtaumelt.
#209
Geschrieben 01. April 2008, 08:39
Die Kindergartenlehrerin (wird hier mit 'sensei' angesprochen) Takako (Nobuko Otowa) reist sechs Jahre nach dem Atombombenabwurf in ihre Heimatstadt Hiroshima, um die überlebenden Kindern zu treffen, die sie einst unterrichtete. Von ihnen sind nur wenige, eine Handvoll, übrig geblieben.
Der Film folgt Takako bei ihren Begegnungen mit ehemaligen Freunden und Kindern, und erzählt so deren Schicksal, wodurch sich ein kleiner Ausschnitt eines Gesellschaftsportraits ergibt. Der Film folgt nur lose der übergeordneten Handlung und konzentriert sich ganz auf die Menschen: etwa auf Iwakichi, einen ehemaligen Angestellten ihres Vaters, der nun strahlenkrank dahinvegetiert und sich um Taku kümmert, einen kleinen Jungen und ehemaligen Schüler Takakos. Diesem möchte sie eine Zukunft ermöglichen, indem sie Iwakichi anbietet, ihn auf die Insel mitzunehmen, auf der sie jetzt lebt. Dort könne sie für ihn sorgen und ihm eine Ausbildung ermöglichen. Was vor dem Hintergrund des nahenden Todes Iwakichis ein menschlich-moralisches Angebot der Nächstenliebe ist, wird jedoch von Iwakichi zunächst abgelehnt, da Taku dessen einziger Grund und seine einzige Freude am Leben ist. Auch Taku möchte natürlich nicht den Großvater verlassen. Eine menschliche Tragödie bahnt sich an. Der Film zeigt außerdem Takakos Besuch in einem Waisenhaus und thematisiert so das große Problem der vielen Waisenkinder Hiroshimas, deren Eltern beim Angriff ums Leben kamen oder später an der Strahlenkrankheit starben.
Ein zutiefst menschlicher Film, der sich mit Pathos überwiegend zurückhält und jeden Kitsch vermeidet. Aber auch die Bilder des Schreckens stehen nicht im Vordergrund, das Grauen vermittelt sich durch die menschlichen Schicksale. Beinah überflüssig zu erwähnen, daß hier immer wieder Bilder gefunden werden, die sich einem ins Gedächtnis brennen und durch die kolossal tolle Musik von Akira Ifukube unterstützt werden, der auch viel mit Ishirô Honda zusammen gemacht hat. Ein Film für die Ewigkeit.
Bearbeitet von deadpointer, 01. April 2008, 08:42.
#210
Geschrieben 02. April 2008, 09:45
Los Angeles am Tag vor dem Millenniumswende versinkt in bürgerkriegsähnlichem Chaos: Lenny Nero (Ralph Fiennes), ehemaliger Polizist, ist ein Dealer sogenannter Squid-Clips geworden. Clips, die über ein Sensorgerät am Kopf angebracht, den Konsumenten die verfilmte und gespeicherte Realität aus der Ich-Perspektive quasi-real Nacherleben lassen. Die ultimative Droge, der ultimative Kick; die Möglichkeit, aus dem eigenen Leben auszubrechen und ohne Risiken eine Alternative auszukosten, gleich was es sei: Action, Erotik, Nächstenliebe. Daß man auch von diesen Thrills einer 2. Realität abhängig werden kann, erzählt der Film erst später und weist damit auch gleich über sich hinaus reflexiv auf das eigene Medium. Lenny, der Dealer, muß natürlich immer neue Clips beschaffen, und hat da so seine Kandidaten, die die gewünschten, oft halsbrecherisch gefährlichen Situationen erleben und gleichzeitig filmen – denn irgendwie müssen diese Clips ja entstehen. Daß dann schnell auch auf Wunsch des Kunden gearbeitet wird, ist naheliegend. Die Prostituierung des Körpers ist ein weiteres zentrales Thema des Films, sei es als Produzent der Clips, als sich prostituierende Frau (Juliette Lewis als Faith in der zweiten Hauptrolle), die sich später erneut verkauft, nämlich an den Musikproduzenten Philo Gant. Überhaupt Körperkult: überall in Szene gesetzt: tanzende Leiber, Schlägereien, Fetischparties, Bondage- / SM-Szenen noch und noch in einer dystopischen Welt, bei der der Jahreswechsel auch der Weltuntergang sein könnte. Die Kleidung spielt dabei eine nicht unwichtige Rolle. Etwa in der Todesszene Maxens: dieser hat Lenny ein Messer in den Rücken gestoßen und hängt nun an Lennys Krawatte über dem Abgrund. Lenny zieht sich das Messer aus dem Rücken und schneidet die Krawatte durch, und Max stürzt vom Hochhaus auf ein Autodach, extrem stilisiert in ein Bett aus Konfetti. Die Krawatte als Symbol konservativer Werte ist ein weiteres zentrales Motiv des Films: sie verkörpert Lennys Hang zu altbewährten Werten wie Moral und (Nächsten-) Liebe, und das obwohl sein Leben sich in der Illegalität abspielt. Das ist auch einer der Gründe, warum er dem Zuschauer sympathisch ist, ein Mensch der noch in seiner Zerbrechlichkeit gezeigt wird, in seinen Zweifeln in einer Welt, die um ihn herum scheinbar hemmungslos tobt und den Moment hedonistisch feiert. Ohne Reflexion, wie es scheint. Ein Mann der Brüche, der sich nicht entscheiden kann für eine Seite, was ihm so beinah zum Verhängnis wird. Und hier rettet sie ihn: er wird nämlich nicht über das Geländer gezogen, sondern kann sie mit dem Messer durchtrennen, mit der (phallischen) Waffe übrigens, die die Gewalt zunächst gegen ihn richtete. Die Gewalt kommt zurück, die Waffe kehrt sich gegen den Urheber. So auch in der Schlußsequenz, in der Mace von den Schlagstöcken der Polizisten (was für ein Phallussymbol!) nieder- und beinah totgeknüppelt wird. Wiederum kehrt sich die Gewalt um, wenn Mace die Oberhand gewinnt und mit dem Schlagstock gegen den Polizisten einschlägt. Daß zuletzt die Masse eingreift und dem Unrecht ein Ende setzt ist ein schwer konservativer Schluß. Und die Kußszene ebenso.
Aber das gönnt man sich gerne nach dieser über zweistündigen Achterbahnfahrt durch eine panisch-dystopische Welt, in der letztlich wieder die Männer regieren und die Frauen zu Amazonen werden müssen, um mithalten zu können. Ach ja, eigentlich geht es ja noch um Rassenunruhen wegen eines Mordes an einem afro-amerikanischen Rapper. Der Verweise unzählige, in diesem sehr lauten, bisweilen aufdringlichen Film, der in übervollen Bildern gestaltet ist und das volle Spektrum audio-visueller Reize auslotet. Im Zentrum einer Analyse müßte natürlich die Beschreibung des Mediums Film stehen: der Clip, der zum Snuff-Clip wird, der der gesnufften Person im Moment der Gewaltanwendung über ein Sensorgerät selbst vorgespielt wird, und die so ihrer eigenen lusterzeugenden Tötung zusieht. Eine pervers durchdachte Konstruktion, in der das Medium in einem wilden Tanz um sich selbst wirbelt, auf sich selbst verweist, und wieder mal ‚an einem Endpunkt’ angekommen scheint. Ein äußerst gelungener, in einem Tagebucheintrag nicht ausreichend zu würdigender Film. Ganz groß.
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