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24 Frames/Sec - Spektralanalyse & Halogenflackern - Filmforen.de - Seite 24

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24 Frames/Sec - Spektralanalyse & Halogenflackern


818 Antworten in diesem Thema

#691 moodswing

    Albert Emanuel Voglers Adjutant

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Geschrieben 30. Mai 2008, 13:28

I Am Legend
Francis Lawrence, USA 2007

Can you hear God's plan?

Die Vision des letzten Mannes auf der Erde ist eine mehr als spannende Konstruktion. Das Einsamkeitsempfinden, die tatsächliche Zurückgeworfenheit auf sich selbst, die Realisierung des Alleinsein in dieser Welt, die Erkenntnis der Selbstverantwortung - nur ich, hier, im Dschungel, in der Urbanität, anonym weil sonst ja keiner da. Ein Faszinosum. Angsteinflößend und ein ausformulierter Freiheitsdrang des Mannes gleichzeitig. Ein Zustand in Plotform gegossen.

Das Blockbuster-Projekt des "Last Man on Earth" ging durch verschiedene Hände - Ridley Scott hatte seine Finger bereits Anfang der 90er an dem Stoff, 10 Jahre später zeigte Michael Bay Interesse und sogar Guillermo del Toro sollte zuletzt Regie führen. Letztendlich fiel es in die Hände Will Smiths und Francis Lawrences, die daraus ihre Version formen konnten. Dass dies böse nachwirkende Ergebnisse zu Tage bringen würde, war abzusehen - Sowohl Lawrence, der als Leitender des Sets von CONSTANTINE bereits übel in Christenmystik und CGI-Wust ausrutschte, als auch Smith, der mittlerweile vor allem die Fotogenität seines Sohnes entdeckt hat, sind nicht gerade unstrittige Sympathen aus Hollywoods Garde. Dem Film wurde grünes Licht ohne existierendes Script gegeben, allein das lässt der Sache etwas skeptisch gegenüberstehen.

Soviel falsch macht I AM LEGEND dabei zunächst einmal gar nicht. Im Gegenteil: Der Film weiß um seine Situation, weiß um das angesprochene Faszinosum. Er nimmt sich tatsächlich Zeit um zusammen mit dem Zuschauer dieses seltsam leere und "chaotisierte" New York zu entdecken. Ein Dschungel, freie Wildbahn, letzte Anzeichen einer kaputten Gesellschaft, die sich mit dem vermeintlich letzten Heilmittel dann selbst zerstörte. Back to nature, Smith und sein Dog machen sich - stets mit Sorgenfalten auf der Stirn - breit im Dickicht. Alltagskapriolen, Spannungsmomente, Szenenarrangements. Ältere Dystopien, wie auch Genrekollegen jüngeren Datums zeigen ihre Einflüsse, am deutlichsten vielleicht Boyles und Garlands 28 DAYS LATER.

Nach dem ruhigen, bedächtigen, fast nachdenklichen Anfang, der dem Szenario tatsächlich viel Zeit zur Entfaltung zugesteht, kommen dann die zu nachtzombieesken Nackedeis mutierten Menschen heraus aus ihren Löchern und damit ins Spiel des Plots. Hier nun lassen sich die ersten Grobschnitzereien und Unaufmerksamkeiten erkennen: der grobschlächtige Anführer etwa, der anscheinend neben der Triebhaftigkeit noch klar militärisch rationalisiert denken kann und so schreit wie es die Körperfresser in eben jenen Filmen taten. So ein Antagonisten-Gesicht muss sein und verwirrt ein wenig. Vor allem deshalb - weil es in purer Künstlichkeit eine Horde CGI-Zombies anführt, die man problemloser und authentischer auch als Originale hätte rumzappeln lassen können. Warum diese halbherzigen Animationen? Unpassend und ärgerlich.

So ein paar CGI-Hampelmännchen aber können keinen Streifen ernsthaft kaputt machen. I AM LEGEND ist bis hierhin immer noch ein guter Film. Dann jedoch wird es arg. Es taucht eine Südamerikanerin auf, inszeniert im gleißenden, weißen Licht, als von Gott geschickter Engel Smith aus einer aussichtslosen Situation rettend. Tiefgläubig und mit fanatistischer Vision vom Erlöser. "The world is quieter now. We just have to listen. If we listen, we can hear God's plan." Drei Mal darf man nun raten, wer dieser Erretter denn sein mag. Und was macht der Film nun mit dieser Ausgangslage? Eine kleine Abhandlung über religiöse Fanatiker? Leider nicht, sondern das Gegenteil, nämlich das möglichst Schlimmste. "God didn't do this. We did!" Die ausgelebte Wissenschaftsfeindlichkeit erlebt ihren Höhepunkt praktisch schon in der ersten Einstellung, die auch noch bewusst oder unbewusst sexistisch ist: Die "vergiftende Mutter" - die unfreiwillig das Virus in Umlauf bringt - ist Wissenschaftlerin und weiblich, grinst am Schlussbild der Einstellung, bevor der zynische Schwenk ins verlassene New York drei Jahre später kommt. "I can help. I can save you. I can save everybody." Wie das dann aussieht, wenn Will Smith zum zunächst aufbegehrenden, dann erkennenden, "sehenden" Übermenschen mutiert, kann sich jeder selbst ausmalen. Wenn Jesus einen Hund gehabt hätte, so wäre er auch am Leiden gestorben. Das Ärgerlichste an I AM LEGEND ist vor allem die Umkehr der Dystopien des Science-Fiction-Genres, und auch der Vorlage - der Mensch ist nicht das Krebsgeschwür, was zu erkennen gewesen wäre, sondern er war fehlgeleitet und ist nun mit der Hilfe Gottes wieder zurück geführt auf den Pfad der Tugend. Ein gezielter Schlag ins Gesicht eines eigentlich progressiven Genres.

I AM LEGEND ist am Ende krudester Christenkitsch, der jeden Zuschauer, der sich reaktionäre Ideologie nicht in dieser plakativen Art und Weise aufdrängen lassen mag, verprellen wird. Das Idealbild, das der Film am Ende setzt, ist ein ruhendes Dorf mit freundlichen GIs an der Eingangstür und der Kirche im geografischen Mittelpunkt dieser schönen, neuen Welt. Dies steht dann eindeutig dem Archetypus der Stadt als urbanes Chaos entgegen. Alle 9/11 Posttraumata (Smith: "This is Ground Zero. This is my site. I can fix. I can fix this."), alle iPod-Werbemaßnahmen werden nun schnell vergessen. Der gute Mensch ist zurück an seinem Bestimmungsort: "Light up the darkness." Mit diesen wiederholt ritualhaft hervorgebrachten Worten endet der Film. Wer spätestens jetzt noch nicht weiß, wohin der Hase mit Heiligenschein läuft, der ist wohl selbst von Will-Kinski-Erlöser nicht mehr zu retten.

#692 moodswing

    Albert Emanuel Voglers Adjutant

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Geschrieben 02. Juni 2008, 18:37

Jesus, du weisst
Ulrich Seidl, Österreich 2003

Wenn Ulrich Seidl seine Reibungspunkte sucht, dann tut er das schmerzfrei. JESUS, DU WEISST ist dabei noch nicht einmal sein (im besten Sinne) taktlosestes Werk und doch schon ein Kuriosum: Den Menschen in der Kirche beim Gebet in die Seele schauend - zunächst skandalös und voyeuristisch, beschämend und distanzlos anmutend. Die Highlights aber sind die Kontrastpunkte, die Heimaufnahmen. Wenn die Frau im Vordergrund bügelt und ihr Mann hinter einer getönten Brille kaum erkennbar halbtot in den Fernseher schaut. Oder wenn der Junge mit den "unkeuschen Gedanken" im Zimmer auf und ab geht und bemitleidenwerte Gebete gen Himmel schickt. Zwischen Einsamkeit im Leben und Alleingelassensein durch Gott entsteht das Mitleid; während die Aufdeckung der gutbürgerlichen Fassade, die alle Figuren aufrecht zu erhalten versuchen, auch ihrer plumpen Naivität - und ja, auch Dummheit - vor allem zur Verachtung einladen, irgendwo dazwischen formuliert Seidl seine Hassliebe zu diesen Menschen. Das macht seine Filme so ehrlich und besonders.

Orfeu Negro
Marcel Camus, Brasilien/Frankreich/Italien 1959

Ein Gedicht als Film, griechische Mythologie trifft lateinamerikanisches Temperament, die gute Mine des Tanzbeines zum bösen Spiel der Tragik der Geschehens. Ein formales Drama wird zum aufgehellten Farbspektakel. Marcel Camus ORFEU NEGRO ist ein Bilderbogen aus Tanz, Lebensfreude und kindlicher Naivität, die mich sehr an die Filme Vittorio De Sicas, aber auch aktuelle spanischsprachige Produktionen erinnerte. Orfeu Negro ist ein Festival des Spektakels, in dem Genres (z.B. der Horrorfilm), sogar ganze Gattungen (der Dokumentarfilm) ebenso wie non-narrative Momente (der Karneval) eingewebt ein unerwartet stimmiges Bild ergeben. Der Film als dynamischer Katalysator von Stimmungen erfindet in positiver Progressivität eine filmische Grammatik neu, und ist zurecht mit der goldenen Palme in Cannes 1959 ausgezeichnet worden.

Kes
Ken Loach, Großbritannien 1969

Spröder, ruppiger, sandiger Sozialbalg, der im Kern eine Abhandlung ist über ein frustriertes Losertum in der Erwachsenenwelt - die Lehrer - gegen das renitenten, ausbrechenden, aber auch lethargischen Geist der Jugend. Die freien Welten, die sich geschaffen werden, bieten auch keinen Schutz. Besser man sucht sich erst gar keinen Halt im Hier und Jetzt. Tief Pessimistisch.

#693 moodswing

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Geschrieben 06. Juni 2008, 00:09

Judge Dredd
Danny Cannon, USA 1995

Tiefstes Mid-90ies-Action-Vehikel, das sich aus Erlebnissen mit Blade Runner, Robocop und dem Dystopien-Kino der 70er speist. Einige unvergessliche Momente - Sylvester Stallones heruntergezogene Mundwinkel, die in Kombination mit seinem Helm, Outfit und dem "Ich bin das Gesetz!" Ausschrei eine fließende Darstellung des grummelbärigen good guys ergeben; oder auch die Szene der Reaktivierung des bösen Schrotthaufens, der dann ganz gierig und sabbernd als aller Erstes "KRIIIIIIIIEG!" ausspuckt. Auch die dorfigen Hillbillies, die folternd und marodierend ihren christlichen Glauben zelebrieren sind eine Schau. Dem gegenüber verliert sich JUDGE DREDD später leider in einem genrekonventionalisierten Einheitsbrei, bei welchem mir besonders Rob Schneider als platziertes Humorbonbon und nervender Sidekick übel aufstieß. JUDGE DREDD verdingt sich damit als naives Blockbuster Kino aus den 90ern.

2010 - The Year We Made Contact
Peter Hyams, USA 1984

Über die weiteste Distanz schafft es Peter Hyams eine ähnlich grundierte, ruhige Atmosphäre des Klassikers und Vorgängers 2001 nachzuzeichnen. Das ist natürlich unnötig, weil längst da gewesen, optisch den 80ern angepasst, und über weite Teile leidlich spannend, obwohl immer schön anzusehen. Gegen Ende dann aber offenbart 2010 seine eigentlichen Bestrebungen, nämlich einen pazifistischen Kommentar zur aktuellen Weltlage abzugeben. Damit ist er in höhstem Maße erklärender - und damit auch weit weniger epochal und gravitätisch - als noch Kubricks Vision, irgendwie aber auch sympathisch naiv in seine Zeit eingebettet. Die Befriedung zwischen Ost und West ist heute reinster Geschichtsunterricht, der Film als Stichwortgeber ein grauhaariger Schaukelstuhl-Veteran, der von längst vergangenen Zeiten erzählt...

The Island
Michael Bay, USA 2005

In geradezu beschämender Weise plündert Bay die 70er Science-Fiction-Dystopien, um eine Verfolgungsjagd inszenieren zu können, bei der er seinen ganzen Oberflächenbombast zur Schau stellen kann. In der Weise wie hier Affirmation und Kritik gekoppelt werden lässt sich ein Weg der kommerziellen Ästhetik erkennen, der in eine unschöne Richtung weist. Nun kann man es als Hommage oder Verachtung der Vorbilder und Diskurse lesen, aber diese Zweideutigkeit ist der Entwicklung eben eigen. Bay schafft es letztendlich nicht einmal, eine Reflexion über die "gespiegelten Stars", die sich doch so aufdrängt anklingen zu lassen und ergeht sich in seinen blendenden, glänzenden Bilderwirbeln. Ein rückwärtsgewandter Rülpser ins Gesicht eines bedeutenden Genres.

#694 moodswing

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Geschrieben 09. Juni 2008, 03:03

Charlie Wilson's War
Mike Nichols, USA 2007

Saft- und kraftlos ist Nichols Kriegssatire (?) vor allem ein typisches Starvehikel, eine beliebte Kopplung ans Biografische, und ein feel good movie für Schunkeleien und Schmunzeleien. Mutiges und Gewagtes wird nicht mal ansatzweise angeschnitten, obwohl sich jederzeit Gelegenheit dazu bieten würde. Hanks Figur ist so forciert ambivalent und ein Charmebolzen, das es wehtut, Hoffman skurril chargierend, Roberts mysteriös anziehend und dominant - jeder hat hier seinen angestammten Platz. Und auch Nichols mutiert hiermit wohl endgültig zum alternden Voyeur, interessiert sich mehr für die nackten Beine der Akticen als für politischen Zündstoff oder bissige Dialoge. Lahm und skandalös langweilig.

Before the Devil Knows You're Dead
Sidney Lumet, USA/Großbritannien 2007

Ein toller Film, und doch einer bei dem ich nach der ersten Sichtung wenig Worte übrig habe, vielleicht auch weil ich mich (es könnte für keinen Film kaum passender sein) unter einem kleinen Schock befand, dessen Programm mein Körper wider besseren Wissens abspielte. Tolles Script, tolle Schauspieler, großartige Narrativik, gelungener Mix aus Gesellschaftsstudie, treibender Tragödie und Krimiplot. Hm, das ist furchtbar oberflächlich und nicht nur daher bedarf der Film einer konzentrierteren Zweitsichtung.

A Thousand Years of Good Prayers
Wayne Wang, USA 2007

Zurückhaltend, depressives Arthousekino, das sich in seiner skurril-anbiedernden Art auch gerne mal zu Heiterkeiten hinreißen lässt. Ein Publikumspleaser wie er im Buche steht. Wang erzählt seine Geschichte des kulturell und familiär entfremdeten Menschen im Generationskonflikt Vater - Tochter. Zunächst bleibt die Einsamkeitsstudie noch recht angenehm allgemein gehalten, gegen Ende jedoch geht es Wang vor allem um das Einzelschicksal der Familie, hier verliert das Indy-Wohlfühlkino dann leider seinen Faden und rutscht auf das Niveau einer seichten US family story ab.

#695 moodswing

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Geschrieben 10. Juni 2008, 23:51

Love in the Time of Cholera
Mike Newell, USA 2007

...wenn ein Film den potentiellen Leser weg von der Literatur treibt. Zutiefst konventionell, uninspiriert, fast ratlos angesichts der bombastischen Vorlage, zerfällt der Streifen nach Gabriel García Márquez Roman El amor en los tiempos del cólera in ein erbärmliches, streckenweise unfreiwillig komisches Häufchen Elend. Die Schauspieler chargieren kräftigst zu Shakiras unpassendem Schmalzscore. Lausiger, melancholischer Romanzenaufguss vom mutlosen Handwerker Newell.

Lars and the Real Girl
Craig Gillespie, USA 2007

Wieder eine amerikanische Tragikomödie, die ähnlich wie zuletzt The Savages stilistisch wesentlich zurückgenommener und damit ehrlicher und sympathischer funktioniert. Tadellose Schauspielleistungen und ein natürlich punktuell kalkuliertes Script lassen den Film im Groben gelingen, nur eben eines stört am Ende ungemein: Lars and the Real Girl glaubt fest an das Gute im Menschen und lässt zum Schluss das Ideal einer uramerikanischen Gemeinde entstehen, in der jeder "mitspielt" und hilft, niemand böse ist und der menschliche Egoismus praktisch aus den Köpfen entfernt zu sein scheint. Die Ecken und Kanten sind geglättet, und das bekommt einem Film nicht, der realistischer und ehrlicher sein will, als seine zumeist prätentiösen Vorgänger.

Mio fratello è figlio unico
Daniele Luchetti, Italien/Frankreich 2007

Ich mag die Idee eine Familiengeschichte (und Landesgeschichte) über einen brüderlichen Konflikt der politisch gegensätzlichen Positionen zu erzählen. Das geht vielleicht nur in Italien. Überraschend unspekalutiv, die Zeitsprünge emotional gut verarbeitend, die ganzen "perfektionierten" Äußerlichkeiten (Kostüme, Schauspieler) nicht negativ ins Gewicht fallend, gefiel mir der ziemliche traurige Blick auf die entfremdende Politisierung eines Landes.

#696 moodswing

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Geschrieben 12. Juni 2008, 23:43

Saw IV
Darren Lynn Bousman, USA 2007

Nach dem reinen Torture-Spektakel in SAW III versucht sich das SAW-Team nun an einer verstärkten Narrativierung und möchte aus dem HOSTEL-Bruder nun lieber einen Psychopathen-Thriller ganz in der Tradition der alten Michael Myers-Flicks machen. Also bekommt "Jigsaw" eine konventionelle, und doch lächerlich konstruierte Vorgeschichte zusammengebastelt, die nun als Spannungsmoment im Hintergrund dazu hinhält dem Treiben ein nervenaufreibendes Sujet zu geben. Wirkt immer noch hingerotzt und sauerstoffarm.

One Missed Call
Eric Valette, USA/Japan 2008

Der Film funktioniert vorne und hinten nicht. Dabei ist er gar nicht so lächerlich, wie man vielleicht befürchten könnte. Er verliert sich nur nach und nach und formuliert seine angeschnittenen Diskurse nicht aus. Religion, Massenmedien, Technikmanie, Todesahnung und -verdrängung - all das ist da, aber huscht nur für Minuten durch die Bilder, die sich nicht ganz einig sind, wohin es gehen sollte. Literally Hirnlos, sichtlich geistlos.

Red Eye
Wes Craven, USA 2005

Ein aufs Spektakel getrimmter Performanceritt. Und Spektakel, das ist hier der Spannungsaufbau. Nach charmantem Auftakt geht's dem Film nur ums Eine: Die Rasanz des Fluggeschosses auf den Zuschauer übertragen. Musik, Kamera und Schnitt möchten uns in die Sitze pressen und dürften das bei den meisten auch schaffen. Interessant ist aber vor allem der postfeministische Haupttext, den RED EYE schon fast zu offensichtlich ausbuchstabiert. Die moderne Frau von heute überwindet ihr Trauma in der multitaskischen Alltagsbewältigung und überwindet ihre Ängste (zuerst im Flugzeug, dann im "unsicheren" Heim), indem sie den androgynen Macho-Sadisten und Narzissten nach und nach kastriert (mit der Stimme angefangen). Hübsch!

#697 moodswing

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Geschrieben 14. Juni 2008, 13:48

Le Fantôme de la liberté
Luis Buñuel, Frankreich/Italien 1974

Langsam komme ich dahinter, warum mir Buñuel so fremd bleibt. Er entwickelt abstrakte Ideen und gießt sie in Fragmente, die statisch und "unfilmisch" bleiben müssen. Die Knotenpunkte sind unmotiviert, die Figuren immer sarkastisch belächelt. Eine Idee = 5 Minuten Sequenzkonstrukt. Die Zeitdifferenz macht mir da besonders zu schaffen, weil man (natürlich auch gerade durch ihn) nach Buñuel so viel mehr könnte. Daher dann auch rührt das Grundproblem, denn er geht mir selten weit genug, als filmisches Konstrukt halte ich auch weiterhin lediglich SIMÓN DEL DESIERTO für wirklich gelungen (und ausgerechnet dieser wurde nicht fertig gestellt). Das Groß seiner Werke wirkt immer insoweit unterkühlt, dass dort automatisch eine seltsam seelenlose Leere entsteht. Passt hier jedoch wiederum auch zum Thema, der Illusion einer freien Übermenschlichkeit.

Le Journal d'une femme de chambre (Tagebuch einer Kammerzofe)
Luis Buñuel, Frankreich/Italien 1964

Auch hier meine typischen Problemchen, die ich mit Buñuel habe. Ein Konzeptalbum, bei dem jegliche Figuren destruiert werden - zu Recht wohlgemerkt - nur in einem filmischen Kontext äußerst erschöpfend. Bourgeoisie-Bashing, die Enttarnung der Bürgerlichkeit als unschönes Menschengesindel mit monströsen Makeln, der Spießbürger und die Triebverdrängung. So nüchtern und "konventionell" wie Buñuel das abfilmt wirkt mir das insgesamt zu heiter dahin plätschernd. Ins Mark getroffen haben mich Buñuels Filme irgendwie nie. Mit dieser Tatsache muss aber ich allein umgehen.

The Duellists
Ridley Scott, Großbritannien 1977

Scotts Erstling ist ein ambitioniertes Historien-Projekt eines visuellen Fetischisten. Trotz mangelndem Erfolg empfiehlt er sich für Hollywood, da die Inszenierung von Schauspielführung über Musik, bis hin zur Kameraarbeit perfektioniert sind. Ein detaillierter Blick auf die grossartige Mise-en-scène empfiehlt sich. Die Dramaturgie bleibt dafür ziemlich trocken, springt zwischen Zeiten und Figuren hin und her, der Misserfolg - auch die distanzierte Rezeptionshaltung vieler heutiger Konsumenten - lässt sich damit wohl erklären. THE DUELLISTS bleibt trotzdem ein faszinierender Film über Ehrgehabe und ziviliserte Drohgebärden, auch ein fast etwas ironischer, misanthroper Blick auf Konfliktentstehungen, und damit im Prinzip daueraktuell. Sein Profil schreit geradezu nach einer aufgemotzten Neuverfilmung durch Scott im Hollywoodzirkus.

#698 moodswing

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Geschrieben 17. Juni 2008, 16:16

We Own the Night
James Gray, USA 2007

Glattpoliert oder Raucherabteil - Der geneigte Betrachter ist sich nicht sicher

In vielen Momenten erinnert HELDEN DER NACHT an Cronenbergs EASTERN PROMISES. In der Uneindeutigkeit ist er ihm ähnlich, in seiner klareren ideologischen Linie vielleicht nicht. Auch wenn jegliche Lesart es wohl kaum verleugnen kann, das der Film in gewisser Weise reaktionär ist - es wird immerhin auch über die Eingliederung des "aus dem Rahmen Gefallenen" in die funktionierende Wertegesellschaft, über Heterogenität und Normativität erzählt - wusste der Film mir unerwarteter Weise zu gefallen.

Zum Einen weil er die Geschichte einer irreparablen, kaputten Familie konsequent durchgeht, einer Familie, die zwischen Hass und Werteorientierung mit Toten bezahlen muss um irgendwie wieder auf Vordermann gebracht werden zu können. Andererseits aber vor allem auch aufgrund der immensen Stilsicherheit, mit welcher die Kamera diesen relativ gradlinigen Cop-Thriller inszeniert. Der Höhepunkt dürfte die so wunderschön unsaubere, verregnete und unkonventionell abgefilmte Autoverfolgungsjagd sein, die im Detail aufzeigt, das der gesamte Film beileibe nicht so rückschrittig ist, wie man ihn auf die scheinbar offensichtliche Aussage reduzieren könnte. Die Schaupieler, allen voran Joaquin Phoenix, sorgen für den Rest um aus WE OWN THE NIGHT einen überdurchschnittlichen, geschmeidigen Genrevertreter zu machen.

#699 moodswing

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Geschrieben 20. Juni 2008, 00:33

Stalker
Andrej Tarkowskij, Sowjetunion 1979

Die Kamera fährt in den Raum, in das Gemälde hinein. Eine Familie liegt beieinander. Drei entscheidende Motive stellt der Film voran. Die Perspektivenverschiebungen in dem Dualismus Außen - Innen, welche den Filmraum in den 160 Minuten stehts begleiten wird. Der statisch Gezeichnete, stoische, in Bilder gegossene Stil. Und die zerrüttete Familie, lesbar in alle Himmelsrichtungen, umrahmt motivisch den Plot. Ohne Worte und Schnitte arbeitet uns Tarkowskij in die hoch schwermütige Filmwelt ein. Die Bilder sind rostig, Erdfarben im Grauton, das Interieur nasskalt, feucht, zersplittert und ungemütlich. Aus der Wand erheben sich Gesichter in Lehm und Mörtel, die stumme Schreie von sich zu geben scheinen. Die Kamera fährt von dem Gesicht der schlafenden Mutter, über das der Tochter zum wachen Vater. Er ist unruhig, gehetzt, verkopft. Mit jedem abgefilmten Gesicht erhöhen sich die Pulsschläge der pumpenden Maschinen der im Hintergrund lärmenden Eisenbahn. Beim Vater - dem STALKER - angekommen ist der Geräuschpegel unerträglich.

Andrej Tarkowskij legte 1979 mit STALKER ein essentielles Werk vor, das so sehr Film ist, das es für sich steht und unantastbar für die Ewigkeit bleibt. Tarkowkijs philosophischer 3-Stunden-Essay ist in jeder Hinsicht eine Ungeheuerlichkeit. Auffällig und den Atem verschlagend ist an der Oberfläche vor allem erst einmal eines: Das präzise, monströse, perfektionierte Szenenbild, für das sich Tarkowskij persönlich verantwortlich zeichnete. Jede Einstellung ist durchkomponiert, die Bauten, die Landschaften, die Interieurs, die Details - der Schutt, der industrielle Schrott, der Stahl, der Rost, die Maschinen - die Natur, das fließende Wasser, Blumen, die Pfützen, die Unendlichkeit der Wälder. Mit so etwas Monumentalem kann kein BLADE RUNNER, kein Spielberg, kein Gar Nichts mithalten - STALKER ist übergroß, in einhelliger Korrelation von Form und Inhalt.

Betrachtet man Film als Bildermaschine, so geben "normale" Großproduktionen hier und dort mal etwas an Material für die kulturelle Mythenbildung her. STALKER nun ist eine perfekt geölte Bildermaschine, der die Schöpfungskraft, auch die Kreativität nicht ausgeht. Wenn manche Filme eine stimmige, wohltemperierte Atmosphäre erzeugen können, was vermag STALKER dann? Die Welt, in die er uns schmeißt ist gleichzeitig so real und abstrakt, das die Faszination keinen Abbruch erleiden kann.

Wie wir nun STALKER lesen, das bleibt bei diesem Meisterwerk tatsächlich jedem selbst überlassen. STALKER ist eine postapokalyptische Science-Fiction-Version, STALKER ist ein Aufeinanderprall einer Trinität von Weltanschauungen (Kultur/Kunst/Nihilismus/Zynismus vs. Fortschritts- und Wissenschaftsgläubigkeit vs. Mystik/Glauben/Natur), STALKER ist die Innenansicht eines zerrissenen Menschen, STALKER ist politischer Kommentar - Der Raum als Projektionsfläche ist immens, allein das Spiel von Innen - Außen, bei dem jeder wieder selbst interpretieren darf, wo denn nun was ist zeigt die Vielschichtigkeit an.

STALKER ist auch ein Post-Genre-Film. Science-Fiction, das ist klar. Überall verstecken sich aber auch Elemente anderer Genres. Da fällt beispielsweise der wortkarge Barkeeper auf. "Sagen sie meiner Frau das ich sie liebe, wenn ich nicht zurück komme." Protosprache eines Genres. Überhaupt scheint der raue, verschmutzte, sich bereits schuldig gemacht habende (der Stalker war im Gefängnis) und desillusionierte Charakter aus einem Italo-Western oder Noir-Thriller entsprungen. Nur ist er eben ein wenig nachdenklicher.

STALKER traut sich tatsächlich etwas: Er erzählt eine Geschichte, die keine ist. Grob umrissen gehen die drei Protagonisten in die Zone, reden dort viel, liegen herum, fantasieren und gehen ungetanen Werkes am Ende wieder zurück zum Ausgangspunkt. Es verletzt sich noch nicht einmal jemand, geschweige denn stirbt. In jedem Slacker-Film gibt es mehr Plot Points.

STALKER ist aber auch eine Familiengeschichte. Das erfahren wir so richtig erst gegen Ende des Films. Hier offenbart sich das Wesen der Stalkers erst in seiner Ganzheit: Er ist ein Humanist. Überhaupt hält seine Frau eine flammende Rede auf den Humanismus ihres Mannes, ohne Leid und Schmerz ist dieser nicht realisierbar. Jeder trägt sein Kreuz. STALKER ist das Schwermütigste, was das Kunstkino jemals ertragen musste. Dieser Schwermütigkeit aber ist die kollosale Form absolut angemessen.

Man könnte und müsste gar über noch so sehr viel mehr reden: Der psychodelische Übertritt bei der Fahrt mit der Draisine, bei dem die mechanisch-industriellen Außengeräusche zur Musik werden. Der Hund, der zunächst wie eine Fata Morgana, wie ein Symbol wirkt, am Ende aber ganz realer Bestandteil der Familie wird. Die Wassersequenzen, bei denen die Kamera ganz langsam den postindustriellen Schrott, Öl und Schmutz beim Aufeinandertreffen mit den organischen, natürlichen Elementen des Lebens abfilmt. Tarkowskij ist mit STALKER ein intuitives Meisterwerk gelungen, das den Zuschauer in Hypnose versetzt als ob Film dafür gemacht sei.

#700 moodswing

    Albert Emanuel Voglers Adjutant

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Geschrieben 26. Juni 2008, 00:43

Johnny Got His Gun vs Du Levande vs Running with Scissors
Dalton Trumbo, USA 1971 vs Roy Andersson, Schweden 2007 vs Ryan Murphy, USA 2006
Ideen gemeißelt in Film - Wie sich dunkle Wolken aufs Zelluloid legen können

Johnny ist ein braver, guter Mensch. Pflichtbewusst meldet er sich freiwillig zum Kriegseinsatz. Er wird verwundet und liegt nun als "Experimentierfleisch" im abgedunkelten Krankenhauszimmer. Gefangen in sich selbst rotieren Erinnerungen und Gedanken in ihm, wir als Zuschauer sind perfiderweise mit ihm, während sein steinherziges Umfeld über ihn "rational" fabuliert.

Wenn das alles nicht so großartig wäre, könnte man meinen es sei schon eine Frechheit, was Dalton Trumbo uns da zumutet. So naiv wie er das Bild des Protagonisten - auch die Erinnerungen an Vergangenes, die so auch aus Unserer kleinen Farm entspringen könnten - zeichnet, muss man schon eine mutwillige Realitätsverzerrung feststellen. In Anbetracht des Themas ist dies wiederum natürlich nur eine logische Konsequenz des Geschehens.

Grob betrachtet ergeht sich JOHNNY GOT HIS GUN in Stilisierungen und nichts als das. Die gutmenschliche Zeichnung des Protagonisten und seines "natürlichen" Umfeldes, die surrealistischen Zwischensequenzen (Buñuel hatte ein Drehbuch geschrieben, was Trumbo umarbeitete), das absurd-pessimistische Theater im Krankenhaus. Alles besteht aus Stilisierungen über die Schmerzgrenzen hinaus. Soviel Wille zum Abstrakten verhindert ein emotionales Gewitter, was der Film partout nicht heraufbeschwören will. Hakige Rankenpflanzen statt tränendem Rosenduft.

Roy Anderssons DU LEVANDE - DAS JÜNGSTE GEWITTER statt DU LEBENDER übersetzt - macht das anders. Abstrakter und doch griffiger. Das ganze Elend der Welt kippt sich als düstere Masse über den grau in grau gehaltenen Figuren aus. Andersson verwendet anders als Trumbo keine "Protagonisten" mehr, sondern erstellt Szenenbilder, in denen die Figuren nur noch positioniert werden. Ein Anti-Posieren. Männlein, die im Walde stehen. Allein gelassen.

Abstrus und skurril wären noch die "uninterpretativsten" Worte, die sich finden lassen. Selbstverständlich aber ist DU LEVANDE mehr als das. Im Kern ist er ziemlich deprimiert und hoffnungslos, und schafft es doch auch oberflächlichen Lachanreiz zu geben. So wird der Eine oder Andere DAS JÜNGSTE GEWITTER als nette skandinavische Humorwürzung sehen, wenngleich der Schmerz des Filmes tief liegt und ähnlich verkannt wird wie beim berühmt berüchtigten sad clown.

Umschreiben lässt sich Anderssons Stil doch, Kaurismäki schaut vorbei und auch Becketts absurdes Theater gibt seine Viskitenkarte ab. Andersson installiert eine punktgenau ausgearbeitete Tableauschau, die vielleicht in einigen Jahren für sich stehend Klassiker-, zumindest aber Kultstatus haben dürfte. Obwohl einen das seltsame Gefühl beschleicht, dass sich Skandinavien irgendwie treu bleibt.

Man könnte es deplatziert nennen, die beiden erwähnten Filme nun mit RUNNING WITH SCISSORS zu vergleichen. Und doch war mein Gefühl, irgendwie etwas ähnlich Trostloses gesehen zu haben groß genug, um ihn hier einzuweben.

Ryan Murphys Ensemble Dramödie hätte auch allzu leicht dem Trend der modernen amerikanischen Genrekoppelung folgen können, tut dies aber glücklicherweise nicht. RUNNING WITH SCISSORS ist ein durchgeknallter, biografischer Bericht über eine groteske Familiensituation und ein beschwertes Heranwachsen als Jugendlicher. Das dies in aller skurrilen Überspitzung der Psychologenfamilie nicht heiter zugehen dürfte ist klar, und so wirken die tragischen Sequenzen tatsächlich tieftraurig, trotz der Kontrastierung mit dem spezifischen Humor, der Einem irgendwie doch immer im Halse stecken bleiben möchte angesichts der Psychosen, die einem hier vorgesetzt werden. Nicht zuletzt dank des beklemmend monotonen Scores von James S. Levine führt uns der Film in die (Ton-/Film-)Spur des gefangenen Teenagers. Sehr strange, nicht immer gelungen, aber anders, neu und wertvoll. Ähnlich dem Vermögen eines JOHNNY GOT HIS GUN und DU LEVANDE.

#701 moodswing

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Geschrieben 02. Juli 2008, 18:34

Der rote Baron
Nikolai Müllerschön, Deutschland/Großbritannien 2008

Pathos und Popanz - Wenn Bilder eine andere Sprache sprechen

Gleißendes Sonnenlicht durchflutet die Wälder und Heiden. Die Bilder verlangsamen sich und die Musik erhebt sich zu Größerem. Der Gestus des Erhabenen durchzieht den deutschen Pro-Kriegsfilm DER ROTE BARON zu jeder Zeit. Der 1.Weltkrieg ist toll, weil ziemlich abstrakt und altbacken (vor allem diese dollen Doppeldeckerflieger). Endlich reden wir mal nicht über den Holocaust, wenn wir über deutsche Kriege fabulieren...Halt, Stopp! Reden wir doch. Eilig teilt uns der Film nämlich am Ende mit, dass es ja auch ganz viele fleißige Juden gab, die mitgeholfen haben den Gegner abzuschießen. Sozusagen anti-antisemitische Kriegs-Integrations-Politik.

Krieg ist so lange geil, wie du ein Ritter und ein fairer "Sportsmann" bist, weiß der Film zu berichten. Wenn's dreckig wird hat das mit dem Ursprung von "Konkurrenzkampf" und "Kräftemessen" nichts mehr zu tun. Man könnte dem ROTEN BARON fast gar nicht vorwerfen, dass er ein kriegslüsterner Schlingel ist - er gibt sich redlich Mühe immer wenn man am Vergessen ist, zu betonen, halt: Krieg tut weh! Allerdings: Das man des häufigeren mal am Vergessen ist, das muss man dem Film eben zur Last legen.

Denn DER ROTE BARON mag seine Kriegsposen ebenso gerne wie Ideologieschrott a la PEARL HARBOR. Er kann gar nicht so recht lassen vom stets lächerlich überhöhten Posieren seiner Helden. Die stilisierten Pophelden haben Markenzeichen (Schlafmützen, Stengel im Mundwinkel (hüstl), Nerzfliegerjacken) und sind immer ein Stückchen "cooler" als ihr ach so gestrenges Umfeld, das betonter Weise stets das schlechte Gewissen auf das nahende Unheil "2.Weltkrieg" ist.

Selbst der Narzist von Richthofen wird nicht verleugnet, dafür allerdings die Tatsache, dass der olle Manni über die gesamte Lebenszeit "frauenlos" war und sich doch lieber den Männerbündeleien widmete. Das vorgeformte, bereits fertig installierte "love interest" Drehbuchversatzstück kann bei soviel Pathos natürlich nicht einfach "der Wahrheit zuliebe" weggeworfen werden. Wir sind ja historisch überkorrekt, aber hier, naja, wir leben ja in einer Gesellschaft des Recyling, man wird ja noch ein wenig lügen dürfen...

Kurzum: DER ROTE BARON ist ein richtiger Scheißfilm, nicht allein wegen des Pathos verströmenden Parfüms, das den Streifen nach preußischem Männerpuff riechen lässt - über deutsche Urtugenden wie halunkiges Schauspielertum (Juchu, Til Schweiger als tolles Fliegerass!) usf wird geschwiegen) - doch ja, vor allem wegen diesem. Denn während uns die Story einzudrischen versucht, dass Krieg doof ist, tun es die audivisuellen Dauerschmankerl zu keiner Zeit. "Papi, ich will auch Pilot bei der deutschen Reichs-Luftwaffe werden!"

#702 moodswing

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Geschrieben 08. Juli 2008, 22:12

Iron Man
Jon Favreau, USA 2008

Robocop vs Osama - Amerikanische Ermächtigungsfantasien oder Wie ich mir die passende Waffe schmiede

Erheiternd hörte man den Einen oder Anderen aus den ersten Vorführungen des neuen Marvel-Comic-Kino-Strips kommen. Und tatsächlich besitzt der Gute-Laune-Flick eine Menge gar nicht einmal so unintelligenten Humor. Neben affirmativen Actionszenarien und rasanten PS-Furoren ein weiterer Katalysator, der IRON MAN weit vor an den Kassen spülen wird.

Dabei ist Jon Favreaus Spass unter all dem schicken Oberflächenglanz vor allem Eines: Politisch integriert, man könnte auch sagen aktuell, was in jedem Fall erstaunlich ist. Nach einem sarkastischen Einstieg um den Waffenhersteller Tony Stark (Robert Downey Jr.) entschließt sich der Film doch tatsächlich mit seinem Sujet fortzufahren. So sieht man Stark ein Drittel des Films in einer afghanischen Erdhölle (vermeintlich) Waffen für dumm-doofe Talibans zusammen basteln.

Das Geschehen verlagert sch alsbald der charismatische Chauvi mit einem kunterbunten Knall diesen amerikanischen Alptraum verlässt und zurück in die Staaten kehrt. Jetzt heißt es vor allem: Amerikanischer Arbeiter gegen amerikanschen Waffenhändler. Denn Downey Jr. hat Hände aus Stahl und ist ein Ingenieur erster Klasse. Natürlich erkennt er das Leiden, das sein tun anrichtet, der Geschäftssinn seines Firmenpartners (Jeff Bridges) kommt allerdings nicht abhanden. So läuft das Endduell dann auf den hard working Dude vs den kapitalistischen Allmachtsfantasierer hinaus.

Aprospos - Das soll aber nicht die Allmachtsfantasien verschleiern, die IRON MAN in sich trägt. Ich bastele mir meine Maschine - im Idealfall auch noch ein amerikanisches Wahrzeichen wie ROBOCOP oder die TRANSFORMERS (spätestens seit Bay) - und fliege eben mal fix rüber um die Schurken schnell und sauber zu eliminieren. Ja ja, die Welt wäre eine bessere, gehe es so einfach.

IRON MAN ist also ein ziemlich wild umher geschmissenes Maschinchen inmitten aktuell politischer Bezüge, keines das allzu bösen ideologischen Verwerfungen folgt, und auch ein durchaus ironie-begeistertes. Ein Sommerblockbuster, dem die gute Laune aus dem Herzen leuchtet.

#703 moodswing

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Geschrieben 10. Juli 2008, 16:46

Paranoid Park
Gus Van Sant, Frankreich/USA 2007

"No one is ever ready for Paranoid Park"

Eine kreisende Kamera, die selbstverliebte Soundcollage und die Augen eines Teenagers - das sind die wesentlichen Elemente aus denen Gus Van Sants neuer Film PARANOID PARK besteht. Zu allen drei Bestandteilen kann man auch noch ein wenig mehr sagen. Zur Kamera ist vielleicht nur ein Name nötig: Christopher Doyle, der Van Sants manchmal etwas statisch geratene Aufnahmen aufwirbelt (im wahrsten Sinne), Esprit verbreitet, mit dem Material spielt, Bilder sucht - Körnigkeiten, Tempospielereien, Schattenmomente findet. Eine sehr eigenständige Kamera dominiert PARANOID PARK. Eine, die stets auf den filmischen Moment verweist.

Die Soundcollage tut dies auch. Vehement. Sie bekommt noch stärker als je zuvor bei Van Sant Gehör. Bilder verlangsamen sich und verlieren ihren Dialog, Elektro-Pop und kontrapunktisch gesetzte. Launige Musik, die ein wenig an einen starken Score eines 40er oder 50er Jahre Films erinnern mag, verleihen dem Film eine ganz eigene Aura, Gesicht, Logik. Der Sound flirrt stetig im Hintergrund, setzt dem Material zu, bewirkt aber auch, dass PARANOID PARK scheinbar manches Mal wie ein cooler Videoclip der Generation X auftreten will.

Gabe Nevins spielt diesen Teenager, um den sich die Kamera ohne einmal Abzurücken bewegt. Sein Gesicht stets fokussierend machen wir den doppelten Teenager-Alptraum mit. Denn neben dem Alltag, der für einen Pupertierenden meist schlimm genug ist, muss der Jugendliche auch einen Mord, den er auf dem Gewissen (wenngleich nicht vorsätzlich begangen) hat, verarbeiten. Die häufig ausdruckslosen Augen des Jungen stellen den effektivsten Kontrast dar in den Momenten, in denen er seine Schuldigkeit "realisiert".

PARANOID PARK ist neben einer Adoleszenzgeschichte, die eher instinktiv "mitgefühlt" wird also vor allem auch ein Schuld-und-Sühne-Drama, was allerdings nicht spürbar, nur "sichtbar" wird - Wie auch mögliche Gesellschaftsbezüge über die private Sphäre hinaus (Der Irakkrieg findet mehrfach Erwähnung). Durch die Geschichte, die er stärker auserzählt bei gleichzeitiger Reduzierung der Ebenen gegenüber Van Sants Cannes-Gewinner, erreicht der Film nicht die Intensität von ELEPHANT, wenngleich er unlängst mehr zu sagen hat als noch LAST DAYS. PARANOID PARK hinerlässt den Zuschauer verduzt, aber welcher Van Sant hat das in den letzten Jahren nicht getan?! Eine Zweitsichtung ist daher unabdingbar um den Film noch einmal angemessen "sehen" zu können.

#704 moodswing

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Geschrieben 12. Juli 2008, 18:13

The Wind That Shakes the Barley
Ken Loach, Irland/UK/D/I/Sp/Fr 2006

Ken Loach und seine Formulierung eines Antikriegsfilms

Ken Loach bekommt die Goldene Palme und alle freuen sich bescheiden. "Ist ja gut und richtig, dass der Loach die mal erhält, hat er sich verdient. Es muss aber wohl ums Prinzip gegangen sein, denn sein Film, der war ja nicht so dolle." Liebe Filmfreunde, war jemals ein Loach-Film "dolle"?

Ken Loach gelingt mit THE WIND THAT SHAKES THE BARLEY eine kleine Zusammenfassung seines liebsten Schaffens (sicher, man könnte es auch schlicht Wiederkehr der bekannten Motive nennen). Der politische Film in Reinkultur, allerdings schon "Loachesk". Sein Palmengewinner steht LAND & FREEDOM von 1995 erstaunlich nahe. Wieder gibt es ein Personenkaleidoskop, wieder treten einst Verbündete am Ende gegeneinander an - Realos gegen Anarchisten. Ging es 95 noch um die politische Linke und den spanischen Bürgerkrieg, setzt sich Loach hier mit der irischen Unabhängigkeit und der britischen Suppression Anfang des letzten Jahrhunderts auseinander. Fixpunkte im wilden Durcheinander sind dabei ein Gebrüderpaar (Cillian Murphy & Padraic Delaney), der Ältere erst radikaler, der Jüngere unpolitisch naiv, dann der Seitenwechsel - der Eine zur Freiheitsarmee, der Andere ein von Freiheit beseelter Radikalo. Soweit, so altbekannt.

Wichtig aber ist Loachs Lernfähigkeit bezüglich der Emotionssteuerung des Publikums. Die melodramatischen Effekte, die er in einigen schönen Filmen um 2000 ausgearbeitet hat, setzt er auch in seinen streng politisch didaktischen Werken wie eben diesem hier ein. Die emotionale Schlinge zieht sich in den letzten Minuten zu, es heißt Bruder gegen Bruder, Sinnlosigkeit von hohlen Militärgesten, Verbitterung angesichts des tiefen Hasses, der alles und jeden zerstört. Loach ist ein richtiger Antikriegsfilm gelungen. Einer der auf "loacheskes" nicht verzichtet - wie z.B. den ausführlich dargestellten, unfilmisch statischen Debatten im linken Lager - der aber trotzdem weiß, wie er sein Anliegen auch epischer verpacken kann. Sowas verdient dann auch mal die Goldene Palme.

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Geschrieben 14. Juli 2008, 12:47

Funny Games vs Funny Games U.S.
Michael Haneke, Ö 1997
vs USA/Fr/Ö/UK/D/I 2007
Haneke ist da angekommen, wo er mit seinem Originalfilm hin wollte - nach Hollwood. Doch er kam nur, um ein Statement zu setzen.

Das Szenario konnte sich der alte, weise, graumelierte Österreicher wohl nicht nehmen lassen. Auch wenn er dafür die Sonne von L.A. für Verhandlungen und das Über-Amerikanische von New York für den Dreh hat ertragen müssen. Hier wird schließlich Geschichte geschrieben. Haneksche Geschichte. Kinogeschichte.

Hanekes FUNNY GAMES, den er vor 10 Jahren drehte, ist ein Musterbeispiel an didaktischem Zeigefingerkino. Mit zahlreichen medialen Verweisen versehen erzählt der Film lakonisch von purer Gewalt aus Langeweile. 2 böse, latent homosexuelle Jungs terrorisieren Familien und quälen sie sadistisch bis zu ihrem Tod. Die Pointe des Films ist der diegetische Ausbruch und das Wort an den Zuschauer. Dieser soll mit der eigenen Rezeptionshaltung konfrontiert werden - nach Haneke muss diese automatisch schlecht sein.

Ebenso zynisch wie die Kommentare der Jungs in die Kamera ist die ganze Haltung des Films. Die sich aufdrängende Frage ist: Wie borniert muss ein Filmemacher eigentlich sein, das Publikum so zu verhöhnen. Wohl gemerkt sein Publikum. Man kann den Film eigentlich nur mögen, wenn man eine ironisch-überhebliche Distanz zum Geschehen einhält - eine Distanz, die Haneke zu seinem Schaffen selbst besitzt. Es zeugt schon von unglaublicher Erbärmlichkeit, wenn ein Filmemacher sich auf solch eine Ebene zu seinem eigenen Werk begibt. Genau genommen ist es sogar reichlich schizophren. FUNNY GAMES kann damit nur zum Konzeptwerk werden, auf ein Ziel hinarbeitend, der Fixpunkt heißt Moral, abwertend wird das Genre abgehandelt, die Affektlenkung des Publikums populistisch benutzt für eine "gute Sache". Damit begibt sich Haneke prinzipiell auf ein ideologisches Niveau, auf dass es von Harlan bis Bay so einige beanstandenswerte Filmemacher geschafft haben.

Eine kleine Überlegung: Vielleicht ist diese - praktisch durchgängig übereinstimmend erfolgte - Lesart ja auch falsch interpretiert? Unterstellen wir Haneke nicht vielleicht doch Borniertheit, wo er eine allgemeine Anklage formuliert? Sinnlose Gewalt, der Einbruch des Realen in die scheinbar immer sichere, perfekte Familie. Dafür sprechen würde zumindest die Idee, dass es doch nicht tatsächlich Ernst gemeint sein kann, wenn Haneke zu Beginn des Films die Bilderbuch-Bildungbürger-Familie zu Händels Klängen dahingleiten lässt, während mit den Credits der Metal-Horror auftritt. Ist Haneke so dumm? Kaum vorstellbar...

Besonders toll wäre es, könnte man doch noch eine vermeintliche Kritik am gegenwärtigen Zeitgeist der Gesellschaft herauslesen. Die zwei gelangweilten Buben tänzeln gewalttätig im weißen Tennis-Outfit der Oberschicht, sind mindestens metrosexuell und geben eine gespielte Höflich- und Freundlichkeit vor, die an die "happy faces" erinnert, mit welchen heutzutage Deals abgeschlossen werden, Werbeplakate gefüllt sind und das gesamte Alltagsleben bestritten werden soll. Diese Lesart wäre aber nur möglich, wenn sich der Film selbst kritisch sehen würde und allesamt einschließt in seine Moral, nicht das Hintertürchen offen lässt für einen elitären Blick auf die Dinge. Hanekes Aussagen zufolge lässt sich darauf leider nicht wirklich hoffen...

FUNNY GAMES U.S. nun erzählt die gleiche Geschichte noch einmal. Das wäre purer Dadaismus, wäre das Konzept Hanekes nicht so perfide, dass es sich damit tatsächlich nochmal steigert. Denn wo, wenn nicht im effektheischerischen Hollywoodzirkus, inmitten der Bildermaschine die gut und gerne Gewalt und Genre produziert, kann man besser solch ein subversives Statement setzen? Bei diesen Überlegungen fällt auch noch einmal der Vergleich zu Kubricks CLOCKWORK ORANGE auf, den FUNNY GAMES nur allzu offensichtlich zitiert (und auch hier kann man seine Position zum Referenzwerk nur erahnen). Mit FUNNY GAMES U.S. kommt Haneke dem Klassiker nochmals näher, wenngleich nur noch anschaulicher gemacht wird, was Haneke alles falsch macht und Kubrick vor nun mehr über 35 Jahren längst richtig vorgemacht hatte. Hanekes geschachtelter, portionierter Pseudo-Irrsinn vs Kubricks monumentalem Wahnsinn.

Haneke ist angekommen und wird sich erwartungsgemäß auch gleich wieder angewidert abwenden. Seine eigene Schizophrenie, seinen Film und das Publikum nicht ernst zu nehmen, kommerzielle Faktoren, die den Film nun verstärkt umgeben einfach auszublenden, wird dadurch nur noch offener zutage gefördert. FUNNY GAMES U.S. schafft es damit einen der zynischsten Filme der Geschichte zu repetieren - diesmal in dem Umfeld, für das der Film als moralischer Spiegel immer bestimmt war.

#706 moodswing

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Geschrieben 18. Juli 2008, 19:21

Fantasy Filmfest Nights 2008

"Was ist nur mit den Franzosen los?" war allerorts zu lesen und zu hören. Die erste fast traumatische Schockreaktion der meisten Zuschauer folgte zunächst wenig Reflexion. Dabei lässt sich aus A L'INTÉRIEUR und FRONTIÈRE(S) doch so Einiges herausholen. A L'INTÉRIEUR erzählt in ultradüsteren Kaltbildern die Geschichte einer hochschwangeren Frau, die von einer Stalkerin bedroht wird. Dabei greift der Film nicht nur mythologische Motive des abgrund tief bösen Weiblichen auf - die ganz in Schwarz gehüllte Nachstellerin erfüllt alle Grundmotive einer "Rabenmutter" oder auch "Hexe" - sondern wird im Film auch eine "home invasion" ausformuliert, in der selbst das Haus an sich eine tragende Rolle zugewiesen bekommt, denken wir nur an die nebelige Luft, die Spiegel, das Licht (inkl. etwas abgelatscht: die Fotokamera als "sehendes" Element). Alexandre Bustillo & Julien Maury Todesvision geht nicht zimperlich zur Sache und formuliert in seiner gegen Ende hin schon ins Wahnhafte gleitende Harschheit und in seinem brutalen Auftreten seine Sorge über den Zustand des Landes mit aus. Denn A L'INTÉRIEUR wähnt sich zudem auch in aktuell-politischen Zuckungen: Das Baby muss sich am Ende der dunklen Mutter fügen, das Kind ist nun - dem Land gleich - dem Bösen anheim fallend.

Diese Sicht der Dinge teilt A L'INTÉRIEUR mit FRONTIÈRE(S). Dieser allerdings formuliert noch weitaus eindeutiger und rabiater die tendenziöse Atmosphäre des Landes aus. Beiden Filmen ist nämlich vor allem gemein, dass sie inmitten des Gemetzels eine melodramatische Komponente installieren, die fast überbordend den Grundgestus bestimmt. Schlimm sieht es aus, nicht nur die zugerichteten, deformierten und destruierten Körper besagen dies, sondern auch die (zunächst) höchst unpassend wirkende depressive Aura des Films, wohlwollend bestimmt durch einen grandiosen Elektroteppich (A L'INTÉRIEUR) bzw. einem fast verkitschten Musikerguss (FRONTIÈRE(S)).

Der vielfach als der plattere von beiden rezipierte FRONTIÈRE(S) entpuppt sich dabei als der mutigere, konzeptionell noch ausgeklügeltere Film. Eine Gruppe Jugendlicher flüchtet - gesucht von der Polizei - aus den Banlieus in denen gerade wieder Unruhen herrschen (gezeigt als Eingangssequenz werden interessanterweise übrigens die Studentenproteste - ein dezidierter Hinweis auf ein generelles Aufbegehren, kein rein "ethnisches" Problem). Sie landen in den Fängen einer schlachtenden Inzestfamilie, deren Vater und Söhne allesamt stramme Nazis sind und auf Namen wie Hans und Karl hören.

Allem Anschein zum Trotz ist FRONTIÈRE(S) viel mehr als er mit seiner Torture-Horror-Attitüde, seiner offensichtlichen Exploitation, seinem unpassenden Kitsch (grässlich: die Liebesszene im Gefängnis) und seinen bewusst stilisierten Figuren (furchtbar: Der Nazipapa, der wohl einen Deutschen spielen soll, dabei aber immer ein Franzose bleibt, der wie der perfekte Altnazi aussieht, aber nur gebrochenes Deutsch aus sich herauszupressen vermag) zunächst behaupten mag. Xavier Gens Film wächst zu etwas Größerem heran, was es am Ende tatsächlich vermochte mir den Atem zu stocken. Denn die zu offensichtlich forcierte Instandhaltung des bösen Nazigegners bekommt plötzlich Bezugspunkte, die sich durch den ganzen Film streuen. Wir werden Zeuge einer Vergasung, der Vater zieht seine SS-Uniform an und richtet einen Jugendlichen per Kopfschuß hin. So etwas sieht man nicht im Horrorfilm, das ist grenzüberschreitend, weil einzig und allein akzeptabel im moralischen Erinnerungskino.

Gens nimmt aber diese Grenze und rechtfertigt sein Vorgehen zum Einen mit der erwähnten melodramatischen Verkitschung der gesamten Filmaura, die damit auch ein Traumaszenario darzustellen vermag, zum Anderen mit seinem aktuell-politischen Bezug: Die letzte Überlebende fährt nach dem Gemetzel direkt in die Arme der Polizei - die sie sucht wegen der Unruhen und Ausschreitungen in den Banlieues. Klare Formulierung des Films: Den Rechten entkommst du nicht, auf dem Land sind es degenerierte Bauern-Schlächter, in der Stadt die Staatsmacht. Das ist reichlich krude und doch um so viel mutiger und interessanter als beispielsweise die müde, nicht erwähnenswerte und sich bereits zu Beginn erahnen lassende Auflösung von A L'INTÉRIEUR, die zudem im überbordenden Dauergemetzel unterzugehen droht.

Beides sind damit keine dezidiert guten Filme. Der Eine nimmt sein Publikum nicht Ernst genug und traut sich nur in seinen Genregrenzen wirklich bösartig zu werden. Der Andere ist exploitativ, krude und überformuliert. Beides ist over-the-top Kino wie man es lange nicht mehr zu sehen bekam. Trotzdem eine äußerst interessante Entwicklung des französischen Genrekinos, das so nicht einmal im Ansatz in Deutschland denkbar wäre.

Auch nicht vorstellbar wäre ein visueller Genuss wie EDEN LOG. Man möchte die Filmemacher allerdings dafür schlagen, dass sie diese Optik und Voraussetzungen für ein 08/15-Drehbuch verwenden. Was hätte der Film für eine grandiose Dystopie werden können, ein Mann "kriecht" förmlich aus dem Schlamm der (Arbeiter)Erde an die Oberfläche, erkennt nach und nach das Versagen der Menschen und kämpft permanent unter Einsatz seiner Körperlichkeit gegen die Umwelt. So ratlos der Bursche ist, so unfokussiert ist die Story und so verloren sind wir. EDEN LOG ist langatmig, verwirrend und unübersichtlich, das macht die hervorragende Optik leider nur unter Auflagen genießbar. Franck Vestiels Film Erinnert in seinen verschenkten Möglichkeiten leider an RENAISSANCE und Ähnliches der letzten Jahre.

Das spanische Blair Witch House [REC] wirbt mit seinen Zuschauerreaktionen im Trailer. „Oh! Ah!“ Verängstigte Männer, kreischende Frauen. Effektiv, genau wie der Film selbst. Erzählökonomisch gut getimet benutzt er als Authentizitätsnachweis ein Reporterteam, das eine Feuerwehrmannschaft beim Ausrücken filmt. Im Haus angekommen überschlagen sich die Ereignisse, das Chaos bricht los. Langsam mutiert das zunächst im Ahnungslosen belassende Werk zum waschechten Zombiehorror und bietet eine Vielzahl an Schockmomenten auf. Jaime Balagueró war mir bisher eher als Verfilmer von spanischem Standardgrusel aufgefallen, im Zusammenspiel mit Paco Plaza nun orientiert sich der Spanier an modernen Techniken des Genres. 10 Jahre nach Blair Witch Project perfektioniert [REC] das Konzept zum reinen Schockmoment und konstruiert obendrauf noch eine Geschichte um einen mad scientist und degenerierte Zombiemutanten, um fanatisches Christentum und lässt das Alles dann im tiefsten Dunkel enden.

Wildes Geschimpfe und Hasstiraden musste DOOMSDAY vom THE DESCENT-Regisseur Neil Marshall über sich ergehen lassen. Dabei zeigt er uns doch nur wohin die Reise geht, wenn man der Anarchie freien Lauf lässt: Ein Land (England) fällt somit wieder in alte kulturelle Normen zurück (Ritter) und langsam, aber historisch fundiert wächst eine aufbegehrende Jugend dagegen an (Punk-Rocker). So ungefähr sieht dann Genrekino aus, was sich der Plattheit bewusst ist und hingibt. MAD MAX meets ESCAPE FROM NEW YORK meets 28 DAYS LATER meets meets meets... Eine Autoshow gibt es auch noch mitgeliefert, die Ritter fallen in arachaische-mittelalterliche Urformen zurück, die Punks krächzen wild herum, sind Kannibalen und fallen in archaisch-mittelalterliche Urformen zurück. Der Barbar von heute trägt Schlips und Krawatte und ist Berater des Bürgermeisters. Er gewinnt am Ende, während unsere Heldin (Hey, immerhin keine Beschwerden von den Feministinnen) doch lieber Chefrockerin bei den abgefuckten fuck-you-all-Punks wird. Mir gefiel's, denn Trashkino ist mir allemal lieber als diese reflektiert-poetischen Tragödienbolzen des Herrn Bay, die so tonnenschwer ins Herz treffen. Wer diesen intellektuellen Schwerenötern im Studiokino um die Ecke seine Zeit leiht, sollte sich DOOMSDAY lieber sparen.

Die schlimmste Entscheidung des Festvals war es George A. Romeros DIARY OF THE DEAD am Ende zu zeigen. Wenn man gerade durch [REC], A L'INTERIEUR und FRONTIERE(S) gewatet ist und noch vollkommen ausgeknockt zurück in den Kinoring muss, dann kommt der Altmeister und schaltet erstmal einen Gang zurück. Gerade im Vergleich mit den Vorschlaghämmern des Festivals wirkt DIARY OF THE DEAD wie eine nette Hänsel und Gretel Geschichte, die man sich gerne anschaut, aber sich doch kaum fürchten mag. Dabei betont Romero doch gerade den Zeitaspekt, gibt sich streng intermedial, weiß ums BLAIR WITCH PROJECT und neue Erzählformen im Genrekino. Und doch, vom Hocker reißt der Film wohl niemanden, wenn gleich jeder mit nettem Lächeln zugeben wird, dass der Film gut war. Die Moral findet sich fein säuberlich platziert am Ende des Streifens wieder, bis dahin hat der Zuschauer aber einen irgendwie beschwerlichen Weg durch Dramaturgielöcher und unmotiviert geschriebene Figurenzeichnungen zu gehen. Alles sehr brav und fast ein wenig bieder.

Der kleine Lückenfüller LOS CRONOCRÍMENES/TIMECRIMES von Nacho Vigalondo aus Spanien hat vor allem eine Idee und ein agiles Drehbuch zu bieten. Der Rest ist so naja und etwas verworren, irgendwie aber bleibt der Film ein naives Sehvergnügen für den filmischen Puzzlefreund.

Zu SUKIYAKI WESTERN DJANGO braucht man nicht mehr viel zu sagen. Nach 2 Minuten ist klar wo lang der lustig zugedröhnte Hase läuft. Was mir Takashi Miike nochmal erklären müsste: Warum dreht man so einen Stuß?

#707 moodswing

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Geschrieben 23. Juli 2008, 12:05

Speed Racer
Larry & Andy Wachowski, USA 2008

1.) Zunächst einmal ist SPEED RACER ein Bilderbogen, ein Kinderbuch und ein kraftvoller Wechsel der Wachowskis vom düsteren, abgedunkelten Szenario der MATRIX-Filme in eine kunterbunte, durchgestylte Traumwelt. Bester Beweis dafür, dass der Film zumindest zum Teil auch konzipiert wurde, um das sehr junge Publikum anzusprechen, ist der junge Bruder, der - wenn auch nicht explizit - als Erzähler ausgewählt wird. Er und sein Affe sind überhöht infantil, überpräsent und fast ein Stück weit Slapstick für Kids.

Hin und wieder wird SPEED RACER sogar zu einem Plädoyer für den Kinderblick. Selten sentimental kann er dann Akzente setzen, gezeichnete Fantasien aufleben lassen. Im Großen und Ganzen aber bleibt der Film allerdings reines Spektakelkino - für Kinder wie Erwachsene.

2.) In ausgefeilter Manier schaffen es die Wachowskis in einem Akt von Überaffirmation im Visuellen, auf Handlungsebene eine unverhohlene Kapitalismuskritik auszuformulieren. Der Figur des Amerikaners, der sein Imperium "aus dem Keller heraus" aufgebaut hat, bleibt zumindest für einen Moment der Weg offen gelassen, auch "gutartig" zu sein. Nach kurzer Unsicherheitsphase dauert es nicht lang und der Film deckt seine Strategie des "in diesem System ist Menschlichkeit nicht möglich" auf. Als bösartiger Tumor stellt sich der Kapitalist heraus. Roger Allams Ikonografie als Bösewicht freilich weist auf diesen Weg schon frühzeitig hin.

3.) Das Stichwort ist schon gefallen: "System-Paranoia". Ähnlich dem Großen und Ganzen der Matrix, in dem der Mensch gefangen gehalten wird, ist auch die Welt in SPEED RACER eine des Scheins. In den bunten Plastikbildern, die in ihrer Dynamik zumeist affirmativ wirken, steckt der Zeitgeist, die Ideologie des 20. Jahrhunderts, transformiert auf diese Zukunftswelt. Der Perfektionismus der in der Maschinerie des Kapitalisten sogar in einer Sequenz ausführlich bebildert wird, das Verführerische und der Zynismus, sie alle bekommen ihre Stellen im Film. Die Wachowskis achten penibel darauf, die Systemkritik sichtbar zu machen und auf eine auch für die Handlung wichtige Ebene zu hieven. Der perfekte Anachronismus. Spektakel und Kritik im Einklang des Widersprüchlichen.

4.) Und doch bleibt SPEED RACER - da ist er ganz Familienfilm - in der Affektstruktur ganz konservativ. Die Familie ist verwachsen und das ist auch gut so. Werte und Normen des Zusammenlebens sind die Fixpunkte, an der dieser Film seine Moral aufhängt. Familie hält zusammen und geht auch durch schwere (ideologische) Zeiten. Dem entsprechend bricht sich die Hoffnung am Ende auch übermäßig den Bahn. Der geschärfte Blick ist gut, Family values sind wichtiger.

#708 moodswing

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Geschrieben 27. Juli 2008, 15:00

Shock Corridor
Samuel Fuller, USA 1963

Milos Formans EINER FLOG ÜBERS KUCKUCKSNEST sollte 1975 ein großer Erfolg werden. Samuel Fullers SCHOCK CORRIDOR blieb dies 12 Jahre verwehrt, und wurde sogar bis 1990 in England verboten. Dabei liegt das Böse, Zermürbende und psychisch Gewalttätige auch hier eng verbunden mit einem grotesken Humor, den ein Film der in einer Irrenanstalt spielt fast zwangsläufig ausstrahlen muss.

Der Journalist Johnny (Peter Breck) lässt sich in die Psychatrie einweisen, weil er einen Mordfall aufklären will, um - nicht gerade uneingennützig und hoch ehrgeizig - den Pulitzer-Preis zu gewinnen. Schon hier ein Einhaker: Unser Protagonist ist - ein wenig Noir-technisch - moralisch nicht einwandfrei, sondern entwickelt aus einem Behauptungswillen heraus einen fast unnatürlichen, ihn folgerichtig dann auch ins Verderben führenden Ehrgeiz. Hier schnappt die kritische Falle schon ein erstes Mal zu.

Mit der seinen Charakter bestimmenden Hybris (seine Freundin einmal: "Hamlet was made for Freud. Not you!") denkt er sich dann - filmisch fast vulgärpsychologisch gekoppelt an schief hängende Bilder von Freud - eine Geschichte aus, die ihn schnurstracks ins Irrenhaus befördert: Er habe seine Schwester begehrt - seine eigentlich Freundin (Constance Towers) spielt das Spiel mit und verhilft ihm trotz Bedenkens hinter die geschlossenen Mauern.

Johnny denkt einen Schritt voraus - nichts kann ihn erschüttern: innerer Monolog: "Right about now is when he's supposed to ask me if I hear voices..." Doktor Cristo: "Do you hear voices, John?"

In diesem Spiel der Selbstüberschätzung und Unterschätzung seines Gegenübers (die Wirkungen der Behandlungen, Verlustkontrolle über sich selbst, letztlich seiner manipulierten Biologie) kommt im Individuum zum Ausdruck, was SCHOCK CORRIDOR nun im Kernteil des Films eigentlich ausformulieren will. Der Film zeigt Amerika als kranken Patienten, schon vollkommen schizophren geworden, ob der eigenen Hybris.

Denn der aufzuklärende Mordfall fungiert hier nur als McGuffin, als Katalysator der symbolischen Handlung, an der Fuller eigentlich interessiert ist - 3 Zeugen gibt es, die abgearbeitet werden: Zeuge Nr. 1 spielt gerne den Bürgerkrieg nach, weil er als Frontsoldat meschugge geworden ist. Zeuge Nr.2 (grandios: Hari Rhodes) ist ein Schwarzer, der die Sprüche und den Hass des Ku-Klux-Klans überzeugend nachpredigt. Zeuge Nr.3 eine Atomphysiker, der an der Atombombe mitgebaut hat und nun auf dem Stand eines 6-Jährigen den ganzen Tag Bilder malt.

Krieg, Rassimus, Hiroshima - Amerikanische Traumata, die SCHOCK CORRIDOR abarbeitet, eindeutige Symbolismen, Absichten, Aufklärung. Nochmals ziemlich vulgärpsychologisch versimplifiziert entlockt Johnny den Dreien die Fakten über den Mord, indem er sich ihrer annimmt und ihr Spiel mitspielt - irgendwann tritt schon der "normale" Charakter hervor. Dem gegenüber steht die schöne Idee, jene "Verrücktheiten" auch für den Zuschauer sichtbar zu machen und diegetisch zu verarbeiten (z.B. in Farbaufnahmen der Gedanken der Insassen). Wir sprechen hier schließlich nicht distanziert über irgend jemanden, sondern auch du - lieber Zuschauer - bist hier angesprochen.

Am Ende also ist Johnny seiner Frau, seines Lebens, seiner Hybris - wohl aber nicht des Pulitzer Preises beraubt. Der Grund wohl, warum der Film so stiefmutterhaft ausgenommen wurde, schlicht die Konsequenz, diese fies ausgespielte Hoffnungslosigkeit. SCHOCK CORRIDOR gebührt damit höchste Sympathie und ein Zurückrücken ins öffentliche filmhistorische Gedächtnis.

#709 moodswing

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Geschrieben 31. Juli 2008, 20:21

All the Boys Love Mandy Lane
Jonathan Levine, USA 2006

Wenn ein Genre sein Sujet ernst nehmen will

Drehbuchautor Jacob Forman und Regisseur Jonathan Levine hatten da eigentlich eine schöne Idee. Einen High-School-Film machen. Und weil's einfacher ist so an Geld zu kommen, darf es auch ein Slasher sein. Denn Teenie im Slasher, das passt schon ganz gut zusammen.

An sich ist ALL THE BOYS LOVE MANDY LANE tatsächlich ein streckenweise beeindruckender Film, weil er sich eben so locker und unbedarft gibt, weil er an manchen Stellen auch gerade dadurch als Horrorfilm funktionieren mag. Mit Nostalgie und viel Musik versucht der Film auch den Nerv eines Publikums zu treffen, dass die Minderjährigkeit überschritten hat. Allein die Figurenausgestaltung mag da nicht immer gelingen. Am Ende handelt es sich doch nur um Dudes und Bitches.

Folgerichtig hält der Plot, als er zunehmend zum Slasher wird, auch nicht durch. Der Mörder enttarnt sich (wäre auch später keinerlei Überraschung mehr gewesen), die Morde laufen zusehends langsamer ab. Als Genrefilm versagt ALL THE BOYS LOVE MANDY LANE vor allem im Mittelteil, denn die flirrenden Bilder wollen nicht über die fehlende Spannung hinweg täuschen.

Als Slacker Vertreter kann er sich freilig nun auch nicht mehr ernsthaft gebärden. Spannend bleibt allein das Rekurrieren des Films auf seine Vorbilder - die grobpixeligen Landschaftsaufnahmen erinnern an TEXAS CHANSAW MASSACRE, die Versuche sich intuitiv in Mädchenprobleme einfühlen zu wollen an VIRGIN SUICIDES. Die letzte Szene verziert den Film gar als Augenzwinkern an die 70ies female-revenge-movies.

Überhaupt kann man über den Plottwist noch mehr sagen, ohne zuviel vorweg zu nehmen aber scheint mir vor allem interessant, wie hier die latente männliche Angst vor einem übermächtigen "final girl" thematisiert wird. Gute Ideen hat er viele, im Endeffekt aber merkt man ALL THE BOYS LOVE MANDY LANE sein ambivalentes Drehbuch zu sehr an.

#710 moodswing

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Geschrieben 02. August 2008, 17:15

Electroma
Thomas Bangalter/Guy-Manuel De Homem-Christo, Frankreich/USA 2006

Verlängerter Musikschock & postapokalyptische Clipfragmente

Thomas Bangalter und Guy-Manuel De Homem-Christo sind Daft Punk, Musiker aus Frankreich, die von den 90ern bis in dieses Jahrhundert hinein einen gewissen Einfluss auf die Musikkultur hatten, mit Michel Gondry Videos drehten und einen eigenen Funk-Elektro-Stil prägten. Mit ELECTROMA legten sie 2006 in Cannes einen Langfilm vor. Wenn man das so nennen kann.

ELECTROMA ist genau genommen eine Collage aus Story- und Musikfragmenten. Man kann den Film fein säuberlich in Abschnitte aufteilen: 2 Roboter fahren aus der Wüste in die Stadt - Sie sehen das Alltagsleben - Sie kommen in ein Labor, dass ihnen menschliche Gummigesichter anfertigt und aufsetzt - Sie kommen aus dem Labor, werden von den Bewohnern beäugt, es schmelzen ihre Masken in der glühenden Sonne, worauf hin die Bewohner sie durch die Straßen jagen - Sie flüchten wieder zurück in die Wüste - Der Eine hilft dem Anderen den Selbsttötungsautomatismus auszulösen, und er explodiert - der Andere wandert weiter - Als er selbst die Automatik im Moment der Aufgabe nicht betätigen kann, nutzt er die Sonneneinstrahlung, zerbricht seinen Helm und setzt sich mit Hilfe des Glases selbst in Brand - In der letzten Szene geht er brennend 3:20 Minuten lang langsam durchs Bild.

Die Bild- und Musiktableaus sind fein austariert, von Brian Eno über Joseph Haydn bis hin zum Blues-Gitarristen Jackson C. Frank wird Musik aus den verschiedensten Richtungen und Epochen eingesetzt. Die Bilder und die Diegese hingegen schreiten dabei unheimlich langsam voran. Das persönliche Dilemma, die eigene Depression steht in ELECTROMA einer allgemeinen Zivilisationskritik gegenüber. Die Symbolik ist platt: Eure biedere, uniformierte Welt akzeptiert nichts "Anderes", keine Menschlichkeit, wir sind verdammt zu flüchten, allein zu sein im Nichts. Stilistisch irgendwo zwischen Gus van Sants GERRY und einem emotionalisierenden Musikclip angesiedelt kann der Zuschauer entscheiden, ob ihm dies nun zu plakativ ist, oder er sich fallen lässt in Bilder und Musik.

Zweiteres lohnt sich. Nicht immer, aber in einzelnen Passagen, etwa wenn die beiden Roboter unter Electro- und Bassrauschen in die Spießer-Stadt einfahren oder wenn Linda Perhacs den fantastischen Song "If You Were My Man" singt und man währenddessen über Wüstenlandschaften streift, um am Ende in einer Einstellung aus den Konturen eines Hügels in der Abendsonne eine Vagina entstehen zu lassen in die wir eintauchen. Ganz besonders aber in der grandiosen Endsequenz, in welcher zu Jackson C. Franks "Dialogue" der brennende, aber nicht sterbende Roboter aus den Bildern, und damit aus dem Film gleitet - "I want to be alone" sind die Refrain-Zeilen des Stückes, und ja, dieser Abschluss ist zutiefst berührend in seiner Einfachheit und seinem Minimalismus.

Die Frage bliebe zu klären, on nun ELECTROMA ein "Langfilm", "Spielfilm", "Experimentalfilm", "Musikcollage", oder "verlängerter Videoclip" sein soll/kann/muss. Die Wirkung auf den einzelnen Zuschauer allein lässt diesen entscheiden. Finde es lächerlich, finde es berührend - finde es primitiv, finde dich und deine Philosophie darin wieder. Eines ist ELECTROMA jedoch mit Sicherheit: Eine Hommage an die aufgeführten Musiker.

#711 moodswing

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Geschrieben 04. August 2008, 10:11

Things We Lost in the Fire
Susanne Bier, USA 2007

Plädoyer für die Solidargemeinschaft

Susanne Biers erste US-Produktion behandelt genau genommen 2 persönliche Traumata - zum Einen den Verlust einer geliebten Person (Halle Berry verliert Ehemann David Duchovny), zum Anderen Drogensucht und das Loskommen von ihr (Benicio del Toro). Die Verwebung der beiden Stoffe gelingt nur bedingt (diegetisch so gelöst, dass del Toro der beste Freund des Ehemanns war), vor allem der motivische Zusammenhang spielt die übergeordnete Rolle.

THINGS WE LOST IN THE FIRE behandelt nämlich im Grunde genommen das Thema der Solidargemeinschaft. Die Familie des Toten übt sich - in der gemeinsamen Trauer - als Ersatz für (beide Seiten) und Retter des Drogenkranken. Alle kümmern sich nun aufrichtig um del Toros Figur, selbst die Kinder sind so erwachsen, dass sie die Situation intuitiv zu verstehen scheinen. Es gibt keine Reibungspunkte - keine Upper Class-Freunde, die damit ein Problem hätten, keine Schwiegermutter, die sich ekelt vor der sozialen Verantwortung.

Im Gegenteil formuliert der Film gar ein klassischen Gegensatz aus - zwischen dem, der es geschafft hat, erfolgreich ist, die perfekte (im übrigen: schwarz-weiße!) Familie hat, alles wie mit links zu schaffen scheint - und dem, der auf der Strecke blieb, gesellschaftlicher Außenseiter wurde, es versaut hat. Der Clou nun wird hier am deutlichsten: Der Gegensatz wird ausdrücklich dargestellt, hat aber keine negativen Konsequenzen für die Beziehungen. Kein Neid, keine Angewidertheit, keine bösen Worte, keine Reibung - nur Hilfe, Mitgefühl und Familienverband.

Das mag dem Einen oder Anderen vielleicht sogar übel aufstoßen. Weil es ein idealistisches und unrealistisches Bild der Gesellschaft abbildet und damit ziemlich konstruiert wirkt. Wie immer bei Bier hält dafür das "Außerordentliche" der Situation her. Mit "Unfassbarkeiten" kann man sich narrativ so Einiges erlauben, das war bei OPEN HEARTS und BROTHERS nicht anders.

THINGS WE LOST IN THE FIRE funktioniert als tieftrauriges Drama natürlich trotzdem. Bier ist eine zu gute, zu präzise Filmemacherin. Eine, die es wie kaum ein zweiter Realisateur versteht Figuren zu inszenieren und Schauspieler ans Limit ihres Telents zu bringen. Freilich hat sie dieses Mal mit Halle Berry und insbesondere Benicio del Toro auch noch eine ideale Ausgangsbedingung an die Hand bekommen. Dass der Film bei den Oscars keinerlei Erwähnung fand, ist vor allem in Bezug auf del Toros Darstellung merkwürdig und gar respektlos.

Letztlich kann Bier mit ihrem leisen und behutsamen Stil, ihrem einfühlsamen Inszenierungsgeschick im modernen Hollywood-Melodram für Belebung sorgen. Der mangelnde Erfolg indes weist wohl leider darauf hin, dass ihr Besuch nur ein Ausnahmefall war. Bleibt abzuwarten, was Benioff/Sheridan mit BROTHERS, und Zach Braff mit OPEN HEARTS anzustellen vermag.

#712 moodswing

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Geschrieben 05. August 2008, 13:20

Surveillance
Jennifer Lynch, USA 2008

Das alte Moralspielchen

Im schlechten Eindruck des halbdementen und beinahe senilen David Lynch bei dessen Auftritten der Betrachtungen jener "schönen, neuen Welt" Visionen seiner Sektenfreunde könnte man meinen, Lynch würde jetzt nur noch Happy Hippo Werbevideos drehen wollen. Dass nun ausgerechnet seine Tochter unter seinen Fittichen mit SURVEILLANCE so eine düstere Vision vorlegt, ist da fast erstaunlich und weist doch darauf hin, dass Lynchs filmischer Kosmos mit dem den er abseits propagiert nichts zu tun hat. Autorentheorie ahoi!

Eine junges Kokstantchen und ein kleines Mädel müssen die Morde von 2 Maskierten an ihrem Freund bzw. der ganzen Familie mitansehen. 2 FBI Detectives wollen die Sache in Parallelinterviews auflösen.

Der Fall liegt klar - die Welt der Erwachsenen ist eine moralisch verkommene. Selbst die Cops in diesem Film sind durch und durch korrupt, pervers und infantil. Die seltsam lynchsche Atmosphäre wirkt trotz einzelner durchgeknallter Anwandlungen der Figuren zwar etwas deplatziert, aber weist bereits hin auf die kranke Richtung, die der Film dann einschlägt.

Die Erwachsenenwelt ist kaum verständlich und vollkommen pervertiert. Das wird "gerächt", zumindest abgestraft durch Mörder, die hier wie ein Fallbeil auf alle Figuren niedergehen. Das ist ein altes Spiel - das der noch böseren Mächte, die aber durch ihre Strafungen eine moralisch höhere Position erhalten. Normalerweise ist dies noch religiös unterlegt, bei SURVEILLANCE reicht die bloße Erscheinung ohne Nennung von Gründen. Katharsis, die übel aufstößt.

Die Perspektive des Kindes soll unsere sein - so richtig zeigen tut SURVEILLANCE dies aber mit filmischen Mitteln nicht. Lediglich das Schlussbild (und Interviewfetzen) zeugen von dieser möglichen Lektürerezeption. Am Ende überlebt nur das kleine Mädchen, und das nur aus zufälligen, "romantischen" Motiven der Mörder. Die Beliebigkeit, mit der auch der Film seine Gewalt ausstellt ist erschreckend und damit tatsächlich ein kalter Schock für den Zuschauer (wie für das Mädchen). Lynch bleibt ein Label für düstere Visionen.

#713 moodswing

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Geschrieben 06. August 2008, 15:52

The Ruins
Carter Smith, Australien/USA 2008

Öko-Rassimus und die Natur als body snatcher

Die Amis dürfen von nun an nicht nur Angst vor ominösen Osteuropäern, europäischen Huren und verdreckten Hostel-Badezimmern haben, sondern können sich endlich auch einmal ihrer Angst vor den Urbewohnern ihres Kontinents stellen. Und nicht nur der.

4 amerikanische Studenten verirren sich, angeführt vom Deutschen Matthias (der ein Englisch mit französisch/spanischem Akzent spricht) in eine Ruine der Mayas. Hurtigst tauchen deren Nachfahren auf und drängen partout darauf, dass die jungen Dinger und Kerls nicht mehr ausbüchsen können. Obskure Rituale werden durchgeführt, ein Kind erschossen, dass mit einer Pflanze in Berührung gekommen ist.

Nach soviel rassitischem Klischee (inkl. eines mexikanischen Tequilla-Taxifahrer), kommt es dann zum body horror der besonderen Art. Die Planzen haben es aufs Fleisch des Studentenpacks abgesehen. Sie vereinnahmen diverse Körperteile, vor allem des Deutschen, dessen Beine darauf hin amputiert werden müssen. Ihgitt.

In THE RUINS werden die Planzen zum Körperparasiten, verändern die Wahrnehmungen der Kids und imitieren deren Stimmen und Handytöne klanglich. Das Ökosystem schlägt zurück. Schlitzereien und massig Blut sind die Folge. Da Pflanzen nur einen eingeschränkten Handlungsspielraum besitzen, richtet sich die Gewalt des Menschen auf sich selbst. Er fuhrwerkt an seinem Körper herum, den die Natur nun für sich eingenommen hat.

THE RUINS ist unter dieser Prämisse ein recht ungewöhnlicher Horrorfilm, der weniger mit Urängsten und nur vereinzelt mit Schocks arbeitet. Vielmehr ist es die eigene Körperlichkeit, die hier zum Ekel anregt. Damit ist der Film zwar leidlich spannend, aber immerhin einmal ein anderer Ansatz zum zur Zeit standartisierten Folter- oder Asiengrusel.

#714 moodswing

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Geschrieben 07. August 2008, 13:56

The Unknown
Giuseppe Tornatore, Italien/Frankreich 2007

Hitchcock, De Sica und hysterische Beiläufigkeiten

Nach und nach deckt sich die Geschichte von Irena (Kseniya Rappoport) auf. Mit jeder Kehrtwendung ändert sich auch das Genre von Giuseppe Tornatores Preisabräumer LA SCONOSCIUTA. Capri, Moskau, den europäischen Publikumspreis und alle wichtigen Preise des italienischen Filmpreises David wurden eingeheimst. Rühmen kann sich DIE UNBEKANNTE also.

Tatsächlich aber besteht der Film aus allerlei abstrusen, emotional immer - meist durch die Musik Ennio Moriccones - erhöhten Versatzstücken. Zunächst ist THE UNKNOWN ein Thriller in Hitchcock-Manier, voll auf Suspense setzend, höchst hysterisch durch viele Zeitsprünge determiniert. So wirkt das Geschehen wie beiläufig, gehetzt, mit Sorgenfalten versehen.

Besorgt, weil wir gehen den Weg mit der Protagonistin, von Anfang bis zum Ende. Wird sie uns von Beginn an sympathisch gemacht, kann man sich doch nicht wirklich sicher sein, ob sie nicht doch Böses im Schilde führt. Spätestens beim Fast-Mord kommt man ins Stutzen und denkt zwangsläufig an die blonden femme fatales aus Hitchcocks Klassikern.

Mit der langsamen Auflösung - die der Geschichte nebenbei gesagt auch alles Mysteriöse nimmt - entspinnt sich auch ein Melodram, das gegen Ende immer aufgesetzter und törichter wirkt. Die Geschichte um Zwangsprostitution und Kindesentziehung wirkt nach dem angedeuteten Thriller in ihrem überhöhten Pathos unglaubwürdig und seltsam.

Aber vielleicht sind das auch schlichtweg italienische Tugenden. Bestenfalls erinnert man sich noch an Vittorio De Sica - an seine melodramatischen Härten des Lebens, an die Liebe zu den Kindern in seinen Filmen, an den kräftigen Musikeinsatz, der alles zu verschlingen drohte. Wenn der moderne italienische Film aber nur derlei Versatzstücke aufbieten kann, mag das zu wenig sein.

#715 moodswing

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Geschrieben 09. August 2008, 19:17

Des Teufels General
Helmut Käutner, Deutschland 1955
Wenn Curd Jürgens sich so in Pose setzt und den eindrucksvollen Lebemann ohne Furcht und Tadel, Papa Bär für's Deflorationsprogramm Minderjähriger und ritterlichen Vielflieger Ernst Udet gibt ist das zwar zunächst einmal schön und gut, bei näherer Betrachtung aber hochgradig fragwürdig. Zum Einen schon aus dem Film ergibt sich ein kumpeliges Helden-Epos, das zwar ankündigt den Untergang des moralisch sauberen Gutmenschen im hässlich NS-System aufzuzeigen, dann aber doch nur halbherzig agiert, viel schwatzt, viel lamentiert, wenig zeigt und letztlich dadurch sogar noch zur dramaturgischen Wüste wird. Besonders ärgerlich ist DES TEUFELS GENERAL aber vor allem, weil der saubere Udet in Realität ein NSDAPler war, wo Helmut Käutner und Co vorgeben er sei ein strammer Verweigerer des Bösen gewesen. Geschichtsverklitterung anno 55.

Throne of Blood (Das Schloss im Spinnwebwald)
Akira Kurosawa, Japan 1957

Shakespeares allgegenwärtige Geschichte um Machtgier und Schicksalsvorherbestimmung auf japanisch. Kurosawa bearbeitet "Macbeth" größtenteils originalgetreu und verändert nur den Schluss zugunsten einer verdichteten und komprimierten Filmfassung. Dabei verdeutlicht er den misogynen Unterton durch den bösen Einfluss des intriganten Weibes, welcher nicht wie in der Vorlage durch Wahnsinn und Selbstmord gesühnt wird - ebenso wie die mysthische Komponente, in dem er die Samurai in ein vernebeltes, weltentrücktes, schimärisches Wäldchen schickt, in welchem sie sich und ihre Menschlichkeit verlieren. Toshirô Mifune spielt wahnsinnig, Kurosawa bleibt hier aber in den Grenzen der Literaturverfilmung.

Sasori: Jailhouse 41
Shunya Ito, Japan 1972

Weitaus kurzweiliger, optisch ansprechender und surrealistisch experimentierfreudiger als der im Jahr darauf folgende Den of the Beast. Ein Road-Revenge-Movie mit stummer Westernheldin, kompromisslos, antiautoritär, feministisch, gewalttätig. Kurz: Wie man es sich wünscht.

Laura
Otto Preminger, USA 1944

Mich nicht überzeugender Noir, was ich zunächst aufs noch junge Alter schob. Kann mich aber gut irren, muss meine eigenen Genrewanderungen erst noch ausgiebiger gestalten, bevor ich zu dem Werk mehr sagen kann.

#716 moodswing

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Geschrieben 10. August 2008, 14:28

Das fröhliche Gebashe geht los, wenn es um Hollywood-Remakes bekannten Asienhorrors geht. Meist zurecht wie erst die kürzlich angelaufene Knallschote One Missed Call zeigt. Und doch gibt es auch Ausnahmen: THE EYE des Regie-Duos Xavier Palud & David Moreau (Ils/Them) - nach dem gleichnamigen, modernen Horrorclassic der Pang Brüder Oxide und Danny - ist weißgott kein besonders toller Film. Aber doch einer, der nicht auf ganzer Linie enttäuscht. Zugegebenermaßen liegt das vor allem an der starken Vorlage - denn in THE EYE geht es ausnahmsweise mal nicht um schwarzhaarige, mysteriöse Kleinkinder, sondern der Geistergrusel wird hier zum dauerumnachtenden, auch für den Zuschauer fühlbaren Horror. Selten hat das ein Geisterfilm bei mir so intensiv geschafft, und das liegt sicher auch an einer erfolgreichen Inszenierung. Aber eben auch an dem Diskurs, den der Film - selbstverständlich wieder einmal nur - anreißt. Die Protagonistin "sieht" ihren eigenen Film, die diegetische Außenwelt hingegen verneint den Tod permanent. Damit ließe sich etwas Schönes anfangen (was am Original dann zu überprüfen wäre), THE EYE allerdings beschränkt sich auf eine seltsam unfeine Trivial-Rhetorik und das übliche Schicksalsgedöns. Damit ist er atmosphärisch gelungen, insgesamt aber sicherlich beanstandenswert.

Wer bei IN BRUGES ein weiteres ironisch-überdrehtes Kriminalkomödchen im geschmacklosen Gewand eines Guy Ritchie erwartet, dem sei versichert, das dieser Film ein wenig mehr will. Er verhöhnt sein Genre nicht, sondern nimmt es sehr ernst. Schon die ersten Töne sind melancholisch, die Figuren desillusioniert. Der schwarze Humor bahnt sich seinen Weg, wenn der Mix aus ernstem Genreanklang und moderner Dramaturgie auch nicht immer ganz gelingen mag. Martin McDonaghs BRÜGGE…SEHEN UND STERBEN ist eine Überraschung, kein Begeisterungssturm, aber doch hat er viel aus dem Thema gemacht.

Vielleicht wird Keanu Reeves ja tatsächlich mal in die Fußstapfen großer Miesmacher und Grummelbären der Filmwelten treten. Und dann grimmig-böse, aber grundsympathische Cops spielen. In STREET KINGS versucht er sich darin schon mal, jedoch leider ein paar Jahre zu früh. David Ayers TRAINING DAY-Abklatsch, dessen Drehbuch er noch vor ein paar Jahren verfasste (nun darf die B-Größe Kurt Wimmer ran) ballert wild um sich, versucht es möglichst düster und blutig, allein ihm fehlen ein ordentliches Drehbuch und ausgearbeitete Figuren. Die vorhersehbare Story, das chargierende Spiel (Whitaker nimmt nun wirklich alles an, oder?), der "coole" Hip Hop Score, sie alle belassen STREET KINGS in den Grenzen des beschränkten filmischen Schaffens.

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Geschrieben 11. August 2008, 11:58

Ein kleiner Berlinale-Insider geht auf kurze Deutschkandtournee - der Taiwanese GOD MAN DOG begeisterte vor allem dem asiatischen Kino zugewandte Freunde und erzählt in Episodengeschichten Ausschnitte aus dem modernen Taiwan - von der neureichen, aber frustrierten Jungfamilie, über eine ärmere Kleinfamilie, deren Vater Alkoholiker und die Tochter damit zur wütenden Boxerin wird, bis zu - und vor allem - Abhandlungen über die Sehnsucht nach Göttlichkeiten und die tiefe Schicksalsgläubgkeit des kleinen Völkleins. Wie so häufig beim Episodenfilm gelingt Singing Chen die genaue Balancierung der Emotionen und Fokussierung auf die einzelnen Figuren nicht so recht, so bleiben Szenen im Kopf (die Eintracht im geframten Wolkenkratzer des Gottesstatuenbewachers mit seinen Buddhas oder das Niedersinken und in Tränen verharren des seine Beziehung verlierenden Familienvaters), insgesamt aber sind die Bilder im Kopf des Films verschwommen.

Ehe man sich darüber echauffiert - wie denn nun schon wieder jemand eine Doku drehen könne, in der mit dem Hauptdarsteller, einem ehemaligen RAF-Terroristen, sympathisiert wird, solle man sich doch diese bitte erst einmal anschauen. Das wird das Gegenargument sein, was bei einem Affront gegen DER WEIßE MIT DEM SCHWARZBROT von Jonas Grosch zu hören sein wird. Tatsächlich ist der Film eher eine Freundschaftsstudie, Christof Wackernagel ist offen und herzlich zur Kamera, hält sich und seine (inzwischen selbstverständlich gemäßigten) Meinungen nicht zurück. Ganz subjektiv nähert sich das kleine, selbstfinanzierte Filmteam seinem Objekt, Wackernagel blüht auf, zeigt sein Gesicht und läd ein zum gemeinsamen Kaffee/Musizieren/Brotbacken und Reflektieren über Vergangenes. Ein seltsamer Film, weil das Verhältnis zwischen geschenkter Aufmerksamkeit und Antlitz des tragikomischen Unbekannten nicht ganz stimmen mag. Der Protagonist erklärt sich gegenüber dem Film und Zuschauer sozusagen selbst. Er bleibt ein abgekehrter, aber nicht desillusionierter (Anti)-Held, einen für den sich diese spezielle Kamera eben mal viel Zeit genommen hat, Grosch - seinem Neffen - sei Dank...

Als überaus konstruiertes Schuld und Sühne-Drama entwickelt RESERVATION ROAD eine typisch für Hollywood-Dramen verdichtete Effektivitätsstruktur. Vor allem die Konzentration auf die Figuren leidet dadurch, sie verlieren die Möglichkeiten Konturen auszuarbeiten, bleiben Prototypen eines Drehbuchkonstrukts. EIN EINZIGER AUGENBLICK wird zum reinen Schauspielerfilm – das muss bei Darstellern wie Joaquin Phoenix und Jennifer Connelly nichts Schlechtes bedeuten – nur fehlt eben am Ende auch der „Überraschungsmoment“, der Moment des ruppigeren, kantigeren Umgang mit dem Kino, das letztendlich nicht viel mehr sein will, als ein Emotionsüberwältiger.

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Geschrieben 11. August 2008, 23:35

Das Greenpeace-Werbevideo SHARKWATER ist in gewisser Weise eine Mogelpackung. Im Vorfeld bereits wurden die Bilder für Teaser, Trailer und Vorberichte sorgfältig ausgewählt und ziemlich weitreichend verbreitet. So mutet der Film einerseits wie eine Ökogeschichte, andererseits wie augenfreundlicher Unterwasser-Ästhetizismus an. Für jeden Zeitnerv etwas. Und am Ende ist er doch etwas ganz Anderes. Nein, SHARKWATER nutzt leider nicht die sich ihm anbietende Möglichkeit bewusst den filmmythologischen Vergleich mit Spielbergs WIEßEM HAI zu suchen, dazu ist er tatsächlich zu beschränkt und filmisch zu anspruchslos. Vielmehr entwickelt Rob Stewart einen populistischen Öko-Doku-Thriller mit Fokus auf den Kapitän der Ocean Warrior von Greenpeace, und leider auch auf sich selbst. „Ist ja alles richtig und so.“. Trotzdem muss man das bewusste Verwirrspiel sowie den moralischen Zeigefinger am Ende nicht gutheißen. SHARKWATER ist definitiv überhyped.

An einem Punkt, an den der mündige Bürger nicht gerne schaut, wird in DRAUSSEN BLEIBEN angesetzt – ausländische Jugendliche und ihr gesellschaftliches Dasein im toten Winkel. Alexander Riedel verfolgt ganz unaufgeregt eine Gruppe von Mädchen unterschiedlichster Herkunft, die Kamera wird zum steten Begleiter, eigentlich sogar zum Freund. Ein nur nebenbei beachteter Aspekt, wir werden damit nämlich ebenfalls zum stillen Begleiter, der akzeptiert wird in einer für den gemeinen Kinozuschauer fremden Welt.

Mit dem dritten Reich lässt sich immer noch fein Unterhaltungskino fabrizieren. HITLERKANTATE erzählt eine kitschige Liebesgeschichte, während draußen der wilde SS-Offizier seinen Übermachtsfantasien frönt. Die Bilder sind grau, nur die Farbe Rot wird schrill erleuchtet. Es schnurrt das deutsche Fernsehprogramm, hat es seine Bestimmung anscheinend in der letzten Ausschlachtung der Bilder der unfassbaren Geschichte seines Volkes gefunden…

Jamie Babbits lesbisches Anarcho-Szenario ITTY TITTY BITTY COMMITEE hatte letztes Jahr bereits auf der Berlinale Premiere. Jetzt schickt es sich an, auch langsam und unbeobachtet in die deutschen Kinos zu gelangen. Der Low-Budget-Kampfschrei ist voll plakativem Siegeswillen, Laberanarchismus und einem „normativ-heterosexuellen“ Happy End. Pure Inkonsequenz.

#719 moodswing

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Geschrieben 12. August 2008, 18:34

Zwischen all dem Hokuspokus um Medienwechsel, den Nic Balthazars BEN X veranstaltet, lässt sich vor allem eine todtraurige Geschichte um Ausgrenzung und Anderssein lesen. Die Unfähigkeit der Umwelt mit einem "speziellen" Menschen wie Ben umzugehen spielt die gewichtigste Rolle. Die Nicht-Kompatibilität des überforderten, übersensiblen Individuums mit einer interpersonell intelligenzschwachen Gesellschaft lässt den Konflikt in diesem sehr bewusst auch als Kinder- und Jugendfilm konzipierten Drama (BEN X lief im Berlinale Generationenprogramm) bis zum emotionalen Schock anschwillen. Die letzten Sequenzen, in denen Ben immer mehr in Wunschträume flüchtet (eine selten intensive Love Story), verdeutlichen die Wucht des Zusammenpralls von Realität und eigenem Vermögen.

Woody Allen ist ja neuerdings so uneitel und inszeniert tatsächlich auch Filme, in denen er nicht neurotisch durchs Bild hüpft. Nach MATCH POINT ist nun CASSANDRA'S DREAM ein weiteres, goutierbares Erlebis, wenngleich es auch aussieht wie ein Johansson-Epigone. Das gleiche Krimischema um Schuld und Sühne im neureichen Europa wird angewandt und ist ebenso ansehnlich und mit Suspense gespickt. Viele mochten es nicht, und sicherlich ist CASSANDRA'S DREAM beinahe eben so unnötig wie der Großteil aus Allen Oevre, und trotzdem: Missfallen hat er mir nicht.

XXY von Lucia Puenzo ist puristisches Arthousekino aus Argentinien. Die Schauspieler füllen die Leinwand wie sie es nach ihrer Profession gehend tun sollten. Die Geschichte hingegen ist zu eindeutig und stromlinienförmig als das sie mehr ist als das Erzählte. Ein starker Moment, dieser Film. Mehr leider nicht.

#720 moodswing

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Geschrieben 13. August 2008, 18:17

3x unterschiedlichster Stoff aus 3 unterschiedlichen Dekaden...

The Omega Man
Boris Sagal, USA 1971

70er B-Movie-Blaxploitation, die seine Chance auf eine beklemmende Atmosphäre und Horrorelemente kaum nutzt. Sattdessen verwebt er eine Masse an diffusen Motiven (Gleichheit, Religiösität, Rassenkunde) zum Endgegner. Der Hipster kann dafür an anderer Stelle punkten, ist immer funky und soundbesessen. Noch fehlen hier die Zombies, dafür ist Hestons all natural weapon loving body stets blendend in Szene gesetzt.

Grace is Gone
James C. Strouse, USA 2007

Das Fiese am all american Trauma Verarbeiter ist sein Begehren, die Tragik des Verlustes in ein Politikum einzubinden und dabei nicht richtig zu reflektieren. So ist man dazu verdonnert mit einem sturköpfigen Army-Konservativen zu leiden, obwohl man gar nicht will. Auch einige sehr gelungene, leise Momente der Trauer täuschen nicht darüber hinweg, dass Grace is Gone gerade durch seine Nichtreflexion und sein Nicht-Stellungbeziehen in gewisser Weise doch zum passiven Redner wird.

Signers Koffer
Peter Liechti, Schweiz 1995

Signers Koffer sowohl Reisefilm, Sozialrealismus, Musikfilm, als auch zarte Satire und Experimentalfilm. Der Wechsel der Materialität wird bestimmend, selten zielt er darauf ab wirklich lustig zu sein, das Staunen weicht der puren Skurrilität in der Livekunst.





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