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24 Frames/Sec - Spektralanalyse & Halogenflackern - Filmforen.de - Seite 26

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24 Frames/Sec - Spektralanalyse & Halogenflackern


818 Antworten in diesem Thema

#751 moodswing

    Albert Emanuel Voglers Adjutant

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Geschrieben 06. November 2008, 02:33

My Life Without Me
Isabel Coixet, Kanada/Spanien 2002

Stichwort: Traurigkeit

So ein Film hat mir jetzt gerade noch gefehlt. Nicht nur mir, sondern uns allen. Und der Filmwelt. Jemand bekommt den Bescheid, dass er bald an Eileiter-Krebs stirbt und hat nun noch eine Restzeit, die filmisch abgeleuchtet wird. Kennt man sonst nur aus Emergency Room. Ist aber tatsächlich ein filmischer Stoff, der gelingen muss.

Ann (Sarah Polley) also ist die von Gott Auserwählte. Sie hat einen liebenden Ehemann, 2 tolle Töchter, wohnt im Trailerpark, hat emotionale Eiszeit mit der Mutter und gar keinen Kontakt mehr zum Vater, der im Knast sitzt. Was nun passiert zeugt von Gelassenheit und Stärke. Sie schmiedet in melancholischer Nonchalance Pläne - neue Frau für den Mann und Töchter suchen, einen Anderen in sich verliebt machen, den Vater wiedersehen etc.

My Life Without Me ist überwältigend, ob man das positiv oder negativ konnotieren mag. Die Tränen fließen auf und abseits des Bildschirm in rauen Mengen. Nicht schwer bei dem Thema möchte man meinen. Und doch hat der Film etwas Bemerkenswertes zu leisten. Er handelt von Traurigkeit. Von scheiß Leben. Vom Leben als Scheißehaufen. Trailerpark, Schönheitsidealen hinterherrennenden Frauen, Hebammen die Säuglinge in den Tod begleiteten, Männer die Swimming Pools für sozial Höhergestellte bauen, Männer die im Knast fernab der lebendigen Welt verrotten. Die Welt ist so ein großer Haufen Dreck, das wir nicht anders können als in jeder Minute heulen. Wunderbar.

Erstaunlich wie Coixet im Nebenher eine Romanze (Mark Ruffalo als Lover und gescheiterte Figur, nochmal jemand der am Ende seiner Kräfte ist) etabliert und Musikstücke zur emotionalen Untermalung drunterhaut als ob das hier nicht alles ein ganz großer Depri-Reigen wäre. Das macht Ann natürlich ziemlich zwiespältig und lässt doch eine Geschichte der letzten Liebe aufkommen, wie sie in einem Lebensabschnitt etabliert bleibt. Die letzte Szene als emotionaler Aufbau Ruffalos zeugt von moralischem Abdecken der Episode. Überhaupt gibt's immer mal wieder was zu kritisieren unter den Tränen. Die Musical-Szene im Supermarkt etwa, bei der das arbeitende Volk doch etwas überhöht dargestellt wird. Hier bitte soziale Kontexte mitbeachten. Und genau: Leben so lebenslustig-zufriedene Menschen im Trailerpark?

Oh ja, My Life Without Me versprüht ebenfalls einen gewissen Lebensoptimismus. Sei froh Kunde, das du noch Leben kannst. Tu es dann bitte auch. Mit dem abruptem Ende verschweigt uns Coixet den Schmerz der Nebenfiguren. Erspart uns auch die Trauer. Reicht ja auch, wir haben genug gelitten. My Life Without Me ist ein Kopffilm, bei dem Coixet jedoch gezielt die Knöpfe zu drücken vermag. Ein emotionaler Magengrubenbearbeiter. Eine großartige Entdeckung.

#752 moodswing

    Albert Emanuel Voglers Adjutant

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Geschrieben 09. November 2008, 04:00

It's a Free World...
Ken Loach, Grossbritannien/Italien/Deutschland/Spanien/Polen 2007

Angie (Kierston Wareing) ist ein toughes Mädel, hat britischen Charme, sieht aus wie 'ne Businessschlampe und spielt auch gerne mit diesem Image. Nachdem sie von ihrem chauvinistischen Chef vor die Tür gesetzt wird pfeift sie auf all die Warnungen und macht ihre eigene Firma auf. Angies Beruf war Arbeitsvermittlung und so vermittelt sie nun Leiharbeiter weiter. Schnell merkt sie, dass illegale Schwarzarbeiter ja auch Herzen und Familie haben und sich außerdem noch gut Kohle mit ihnen machen lässt, weil sie nicht aufmucken. So verstrickt sie sich immer weiter in Komplikationen...

Was der alte Sozialknuffbär Ken Loach hier auftischt, ist mehr als happig, es ist ein verdammt guter Film. Loach lernt noch im Alter mit jedem Film dazu möchte man meinen. Waren seine früheren Arbeiten häufig sperriges Politkino, das nicht selten Thesenformulierung anstatt Figurenentwicklung im Sinn hatte, änderte sich dieses die letzten Jahre vermehrt. In It's a Free World... findet der Prozess nun seinen vorläufigen Höhepunkt. Loach kreuzt seinen sozialen Impetus mit einem Happy-Go-Lucky Charme und führt seinen Zuschauer auf die Eisbahn. Angie ist ein fesches Blondinchen, das nicht nur attraktiv, sondern auch bodenständig und abgehärtet ist - eine Macherin, lebenslustig, sympathisch, liebenswürdig. Angie gerät aber in die soziale Wirklichkeit. Und die hat es in sich. Die ersten Risse werden deutlich als man bemerkt, was für eine lausige Mutter sie für ihren Sohn ist. Die alltäglichen Situationen in die sie gerät, sind auf den ersten Blick normal, auf den zweiten offenbart sich aber eine knallharte Realität. Was machen mit den illegalen Asylanten? Wieviel Arschkriechen ist erlaubt beim Unternehmer, der für seine Firma billige Ausländer will, die ihr Maul halten? Wie die eigene Firma auf die Beine stellen angesichts der Widrigkeiten? Woher dann auf einmal das Geld nehmen, das den Vermittelten zusteht?

Die ganz normalen Konflikte der Arbeitswelt verdichten sich zum physisch schmerzenden menschlichen Drama. Man spürt die soziale Kälte durch die Leinwand nur zu gut, und das trotz unserer doch zu freudeversprühenden Protagonistin. Auch ein filmisch intensivierter Charakter muss mit den sozialen Umständen klar kommen. Dass dies nicht immer so rosig aussieht wie im durchschnittlichen Kino, davon erzählt It's a Free World.... Von einer ehrlichen, erschütternderen Welt. Von einer Alltäglichen.

#753 moodswing

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Geschrieben 11. November 2008, 05:45

Palindromes & You and Me and Everyone We Know
Todd Solondz, USA 2004 / Miranda July, USA 2005

Wo es das postmoderne Independentkino aus Amerika in den letzten Jahren hinverschlagen hat ist anmerkenswert. Die neuen Welten von Anderson, Russell und co setzen sich zusammen aus seltsamen Stimmungen, grotesk-tragischen Situationen, skurril-neurotischen Figuren und narrativen Tricksereien, die meist weniger selbstzweckhaft sind als die Plotpointen des Hollywoodkinos. Diese filmischen Verwirrspiele vermögen es besser als jeder Genrefilm einen Zeitgeist nachzuzeichnen, den es sich lohnt aus der bunten Gemüsesuppe herauszulesen.

Zwei der vielleicht kennzeichnendsten Vertreter aus dieser New Whimsy-Welle sind Todd Solondz PALINDROMES und Miranda Julys YOU AND ME AND EVERYONE WE KNOW. Solondz Film greift zunächst ein bedeutsames Phänomen auf: Im ersten Drittel skizziert er die Leidensgeschichte des adoleszenten Unbehagens, der sensiblen und häufig verqueren Identitätsfindung. Acht verschiedene Figuren spielen ein Mädchen, dass sich aus einem Mix aus Neugier und Langeweile schwängern lässt - eine bezeichnende Szene der Unsicherheit. Alle acht Figuren unterscheiden sich in etlichen Aspekten voneinander (Körperfülle, Hautfarbe), jedoch nur geringfügig im Alter. Das Teen flüchtet und stürzt in eine Situation, von der an PALINDROMES seltsam umkippt in einen überdrehten Abgesang an eine fundamentalistische christliche Rechte und praktisch einen neuen Film anfängt. Am Ende dreht sich alles zurück auf die Vorstadthölle aus der das Mädchen gekommen ist, und die tragische Figur der Geschichte - der intellektuelle Schwarzseher - ergreift als Ausgestoßener das Wort und klärt im pessimistischen Schlussmonolog auf.

Miranda July hingegen entwirft keinerlei Konzeptwerk, sondern intuitives Fragmentkino. Im auf der DVD angehängten Interview mit ihr wird schnell klar mit welch künstlerischer Exaltiertheit man es bei der Stichwortgeberin zu tun hat. So ungeordnet und verquer ihre Gedankenwelt ausformuliert ist, so stellt sie sich auch in YOU AND ME AND EVERYONE WE KNOW dar. Keine Kurzgeschichte wird ohne Tabu versehen, keine Figur ohne Affektiertheit, keine Entwicklung ohne skurriles Gimmick. Wird bei PALINDROMES vor allem eine Ziellosigkeit und eine Gefangenheit in einer ungeordneten Welt thematisiert, gibt July auf formaler Ebene Auskunft über ihre Gefühlswelten, die sich im modernen amerikanischen Independentkino des Häufigeren finden lassen. Ihr bizarres Universum der Stichwörter, in dem man schnell - Hoppla! - die Hand vor den Mund nehmen darf, wirkt wie ein Prototyp eines Himmelskörpers, der in einer Galaxie aus Andersons und Braffs eine Richtung anzeigt, deren genaue Koordinaten erst noch gefunden werden müssen.

#754 moodswing

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Geschrieben 14. November 2008, 22:45

Slam
Marc Levin, USA 1998

Die größte Leistung von SLAM ist vielleicht das Desavouieren des Ghetto-Klischees, wie es "Rap-Filme" im Mainstream nur allzu gerne annehmen und weiterspinnen. Ray Joshua wird gespielt von Saul Williams, einem schmächtigen intellektuellen Youngster ohne Muskeln und Tattooes, dafür mit Grips und lyrischem Talent gesegnet. Der ultrarealistische Film kann nur so funktionieren, mit echten Figuren und echten Emotionen.

Ray Joshua kommt unschuldig in den Knast (soviel Erzählkino muss sein) um sich dann erstmal ein kleines, freundschaftliches Rapbattle mit Momolu Stewart zu liefern. 5 Minuten freestylen die beiden drauf los, während Wand und Töpfe als Beatmaker herhalten dürfen. SLAM versinkt gerne in solchen Momenten und hat dazu alle Zeit der Welt, denn der Film, der den großen Jurypreis in Sundance 1998 gewann, ist selbst ein Freestyle. Ein anderer Moment, in dem er sich ganz im Geschehen verliert ist der starke Augenblick als Ray Joshua sich mit Lauren (Sonja Sohn) - der Knastsozialarbeiterin mit Hang für sensible Typen - im Park streitet. Selten eine so intensiv gespielte Szene gesehen. Der Fahrradfahrer, der zwischen den beiden durchfährt wirkt nicht wie bestellt. Alles bleibt sich hier selbst überlassen.

Es ist also weniger die allseits bekannte Geschichte, die im Kopf bleibt als vielmehr einzelne herausstechende Momente, die den Film definieren. Dass er 10 Jahre nach seiner Entstehung so in Vergessenheit geraten ist und anderen Stylefabrikaten aus der aktuellen Mainstreamkultur weichen musste, ist traurig. Zeit, sich zu erinnern. Wenngleich dies leider viel zu früh geschehen muss.

#755 moodswing

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Geschrieben 18. November 2008, 17:27

The Wrestler
Darren Aronofsky, USA 2008

Narben und Narkose. Nascar und nasty american white trash.


Was haben wir mit dem Kerl dort auf der Leinwand zu tun? Mickey Rourke spielt Randy "The Ram" Robinson, einen all american Wrestler aus den End-80ern, der nun 20 Jahre später im Trailerpark dahinvegetiert. Ich fragte mich schon, wer sowas denn sehen wolle als ich erstmals davon hörte. Klar, Aronofsky ist interessiert am Mythos, der eigenen Kindheitserinnerung, am Tragischen der Geschichte eines alternden Wrestlers (man riskiere mal einen Blick auf youtube oder wikipedia, viele der werten Herren fanden sich zwischen 30 und 45 bereits im Kreise ihrer Urahnen wieder). Klar, einen klasse Film kann man daraus eh machen. Nur das Arthouse-Publikum ist doch spätestens seit The Fountain verschreckt, der Mainstream fällt bei dem Thema eh aus. Also wer soll das gucken?

Zumindest Cinemaniacs bleiben übrig. Und Volk, das in den 80ern und 90ern mit dem Wrestling als Spasspark und Zirkusersatz im Fernsehen aufgewachsen ist. Da ich mich zu beiden Parteien zähle also ein Film für mich. Back to the roots sagt der Gassenhauer. Ja, die over the shoulder geschnallte Kamera und das Thema begeben sich wieder in bodenständigere Gefilde. Vor 2 Jahren trieb es Aronofsky noch im Weltall und im Mittelalter, heute im Trailerpark des weißen Abschaums seines Landes. Es sind auch mal wieder schnelle shots dabei, leicht Improvisiertes, schlecht Ausgeleuchtetes. The Wrestler erinnert hier und da an seinen Erstling Pi.

Und auch thematisch darf man Parallelen erkennen. Oberflächlich war Pi ein Thriller und ist The Wrestler eine Biographie. Beide Filme erzählen aber weitaus mehr, beide Filme bemühen sich ernsthaft um ihre zentralen Figuren. Sie erzählen über Einsamkeit, Entfremdung, Isolierung, vom täglichen Fristen in seiner Kaste, seinem System, was sich beide Protagonisten aufgebaut haben und aus dem sie sich nicht mehr befreien können. Besonders "herzzerreißend" (Wenders) ist dabei der verständnisvolle, zärtliche Blick Aronofskys. Selten hat die Kamera soviel Mitleid bei gleichzeitigem Respekt für den Protagonisten transportiert. Der Film liebt seine Figur, die es ihm erlaubt zu atmen - und das weiß er.

Schwer einzuschätzen, ob je die Gefahr bestand, dass Rourke irgendwie lächerlich wirken könnte in seiner Performance. Er tut es nicht, und weiß mit Stolz und Anstand seine Rolle des verletzten Einzelkämpfers zu verkörpern. Aprospos Verletzungen und Körper. The Wrestler ist selbstverständlich ein Film der puren Körperlichkeit. Rourkes muskulöses, zerschreddertes Gewebe spielt die Hauptrolle, es geht um Narben, Blut und nochmal Narben jeglicher Coleur. Es schmerzt vielfach hinzusehen, auf vielen Ebenen.

Man nähert sich mit diesen Gedanken auch der Frage, ob das nicht auch jemand Anderes so gut hinbekommen hätte wie Aronofsky und sein Team. Es ist schließlich der erste Film, bei dem er nicht das Drehbuch mitverfasste. Es hätte vielleicht, ja. Und doch tun sich vielerlei Motive und Ideen auf, ohne deren Grundlage dieses Werk nicht zu denken wäre. Vom Einzelmoment der emotionalen Entkopplung und Entfesslung des Protagonisten schrieb ich bereits (Burstyn in Requiem setzt dahingehend immer noch Maßstäbe). Von der harten Darstellung einer schroffen Körperlichkeit, die an die Nieren geht war die Rede. Auch das kennen wir aus allen vorhergehenden Filmen Aronofskys. Der Vergleich mit Pi, richtig. Und das Sounddesign. Clint Mansells entrückter Score. Die soundcollagenhafte Montage in Momenten der inneren Anspannung (sowohl des Protagonisten als auch des Films) sind auffällig. Ansonsten viel Zurücknahme und Dezenz.

Wie üblich in großen Werken bleiben trotz der Pietät viele großartige Szenen im Kopf zurück. Rourkes emotionales Geständis gegenüber seiner Tochter vor einem leeren, ausgehöhlten Casino am Strand von Coney Island. Rourkes Weg zur Arbeit als Fleischverkäufer. Rourkes letzer Blick in die leere Tribüne. Und das alles mit ziemlich wenig Pathos versehen.

The Wrestler ist ein fast schlichtes Drama über einen schlichten Typen. Entgegen der üblichen Bio-Pics liebt der Film seine verlorene, verlassene Figur. Er schmäht nicht einmal das Milieu des republikanischen "low class" Amerikas. Er hat einfach Mitleid und einen Blick fürs tägliche Leid. Am Ende ersäuft sich "The Ram" in seinem letzten, fast chimärenhaften Ruhm. Vor der amerikanischen Flagge torkelt er mit letzter Kraft. Die bändigende Weiblichkeit (Marisa Tomei und Evan Rachel Wood) hat ihn verlassen, weil er's verbockt hat. Er ist wieder allein, in seinem letzten Kampf. Der Ayatollah sein Gegner von vor 20 Jahren und das der Film gerade jetzt herauskommt und diese Parallelen zum politischen Treiben gegen Ende so sichtbar werden ist eigentlich fast gar keine Bemerkung wert.

Irgendwie wirkt The Wrestler trotz allem fast wie im Vorübergehen angefertigt. Aronofsky hat in den 6 Jahren Arbeit an The Fountain eine Menge Zeit verloren, nun zeigt er im 4/4-Takt, was er für Potenzial besitzt. The Wrestler ist noch einmal ein ganz anderer Film als seine drei Vorhergehenden. Und doch wieder, ganz der qualitativen Konstanz verschrieben. Dieses Mal mit dem Blick von der Straße auf die Straße. Ungeschönt, ehrlich, obsessiv. Wie es Kino sein sollte.

#756 moodswing

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Geschrieben 22. November 2008, 15:48

Redacted vs Black Hawk Down vs Body of Lies
Brian De Palma, USA/Kanada 2007 --- Ridley Scott, USA 2001/2008

Irgendwie passt der letzt genannte Titel auch gut zum vorangestellten Film. REDACTED von Brian De Palma gewann den silbernen Regie-Löwen 2007 in Venedig und stellt einen ersten Versuch dar, den Irakkrieg ins Bild zu setzen. Ganz dem Zeitgeist verschrieben wird es formal wild: Per Digicam, Youtube-Clips, Überwachungskameras und Blogeinträgen erzählt De Palma die Geschichte eines US-Corps, der gelangweilt einen Stützpunkt bewacht. Ein Soldat wird hochgesprengt, ein anderer geköpft. Den Hauptstrang aber stellt die Vergewaltigung und Ermordung einer 15-jährigen dar, deren Familie ebenfalls ausgelöscht wird durch 2 Redneck-Soldaten. Hier bekommt der Film seinen Drive und gleichzeitig seine Problematik. Ohne diese eklatante Zuspitzung eines Kriegsverbrechens würde REDACTED tatsächlich nur müde dahinpletschern, weil De Palma nichts Neues zu erzählen hat aus dem Alltag der US-Soldaten. Mit dem grausamen Kriegsverbrechen aber fällt der Film hinter eine standardisierte Erzählung zurück, bedient sich ausgelatschter Stereotype und einem moralischen Zeigefinger. Das parallele Spiel von forcierter Authentifizierungsstrategie und klassisch-konventionalisiertem Erzählmuster geht nicht auf und verweist in den letzten Bildern (echte Bilder von toten Irakis) sogar auf einen plakativ-banalen und unreflektierten politischen Moral-Blick.

Wenn einem REDACTED aber schon besonders hohl vorkommt, dann schaue man besser nicht Ridley Scotts 2001er BLACK HAWK DOWN. Beleuchtet wird die US Intervention in Somalia 1993. Ein außer Kontrolle geratener Einsatz wird verdichtet zum Jump'n'Run und Hide and Seek Kriegsfilm. Assault on Precinct Mogadischu 93. Mit welcher Dreistigkeit Scott hier gelackte Bilder des Todes neben pathetisches Kriegsgeheul stellt, wie er schamlos sein ausformuliertes Konzept vom "Anderen" auf eine fremde, enthumanisierte Welt anwendet, wie er einen brutalst trivialen Film über Soldatenwerte wie Solidarität und Männlichkeit dreht, das ist schon ein erstaunlicher Tiefpunkt in der Karriere eines Mannes, von dem man ja doch ein wenig mehr Anstand erwarten hat können. Wirken die Stereotype in REDACTED noch wie buberlhafte Pappkameraden, sind sie hier schon schwerwiegender besetzt (allen voran Eric Bana als unhinterfragt mutiger Soldat). Beide Filme propagieren den Anti-Krieg, beide tun es auf so stupide wie ärgerliche Weise.

Dagegen wirkt Scotts neues Stück BODY OF LIES fast noch brav. Ein bisschen akute Terrorangst hier, aktuelle politische Verbändelungen da. Ein tougher Leonardo DiCaprio im Einsatzgebiet, ein rougher Russell Crowe als dezidiert abgebrühter Kopf an der Heimatfront. Ein wildes politisches Intrigenspiel auf breiter Fläche und ein wenig kulturelle Annäherung im Liebesspiel. BODY OF LIES hinterlässt in seiner Verdichtung von allem und jedem ein brandgerodetes Stück Zelluoid. Er kann als unterhaltsamer Quatsch abgetan werden, ein halbwegs politischer Film, der das alte Fazit vom "Niemand ist schuldlos" herauskramt und am Ende immerhin nicht ärgerlich ist. Dass Ridley Scott solch eine Konklusion nach seinen letzten Filmen fast schon gut zu Gesicht steht ist das eigentlich Beschämende.

#757 moodswing

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Geschrieben 24. November 2008, 16:28

Der Baader Meinhof Komplex
Uli Edel, Deutschland 2008

Es geht ein Gespenst um in Filmdeutschland. Eines, das sich gut und gerne einmal im Jahr blicken lässt, seine PR-Maschine anschmeißt und für kurze Zeit "Buhu" und "Huiuiui" ruft. Das Gespenst weiß wie man die Knöpfe drückt, um den deutschen Nerv zu treffen. Um die Qualität seines ausgespienen Produkts muss es sich dabei keine Gedanken machen - Wer mit Hitler winkt, hat auch die abgerissenen Einlasskarten auf seinem Konto.

Der deutsche Film hat seit jeher seine Problemchen die aufreibende Zeit der 70er angemessen narrativieren zu können. DER BAADER MEINHOF KOMPLEX bringt dieses Problem nun vielleicht exakt auf den Punkt. 150 Minuten lang werden 10 Jahre Zeitgeschichte zusammengerafft ohne in irgend einer Weise an das Filmische zu denken. Man hüpft von Ort zu Ereignis, staffiert seine Figuren mit Banalitäten aus und hinterlässt ein belärmtes Schlachtfeld ohne irgendeinen Zugewinn an Austausch, Erkenntnissen oder Ästhetik zu summieren. Statt dessen: Moritz Bleibtreu als Dorfanarcho, halbstarker Pre-Pop-Punk, cholerisches Allerlei. Sprich: Er selbst in seiner Rolle. Bleibtreu konnte noch nie etwas großartig Anderes spielen als den postpubertären Spinner, den manche sympathisch volksnah, andere aufgeblasen dümmlich nennen. Nach Til Schweiger Deutschlands schönstes Exportprodukt. An den Nazi-Spass DER UNTERGANG kommt die RAF-Aufarbeitung freilich nicht heran. Trotz eines Bruno Ganz als weise, analytische Kompetenzbombe Horst Herold, bei dessen Darstellung selbstredend immer ein wenig der Führer durchschimmert, obwohl Herold hier ja praktisch die einzig positiv besetzte Figur des ganzen Stückes ist.

Ich würde jetzt auch noch gerne über Martina Gedeck und ihre furchteinflößend schlechte Darstellung der Meinhof schreiben oder das Verschleudern Nadja Uhls als Mohnhaupt, aber wir wollen den Film ja nun nicht als lebendige Madame Tussaud Ausstellung der linken Popkultur verkommen lassen. Ein bisschen mehr (weniger) hat er ja doch zu bieten. Z.B. die herrliche ikonografisierte Darstellung des Holger Meins im Knast (auch hier die gefühlten 5 Minuten die jeder Figur zugestanden werden - für Jesus reicht's aber noch). Moment. Das ist ja schon wieder Rekurrieren auf die Schauspieler. Aber was bleibt einem auch Anderes, wenn die Inszenierung sich an der Abarbeitung von historischen Plot Points aufhält, ohne überhaupt eine Dramaturgie zu entwickeln an der man sich orientieren könnte. 150 Minuten ohne roten Faden (kicher) muss man erstmal im Kopf zusammensetzen.
Muss man aber auch nicht. DER BAADER MEINHOF KOMPLEX ist nutzloses, vor allem auch seelenloses Collagenkino mit behauptetem Pep (daher schon auch Pop). Da gab es zwar schon Schlimmeres, mit Blick auf die Kommerzialisierungsstrategien ist diese Pseudo-Aufarbeitung aber doch schon ein gehöriges Ärgernis.

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Geschrieben 27. November 2008, 21:20

The Dark Knight
Christopher Nolan 2008

Über welchen Film gilt es diesen Sommer/nun schon Herbst z-u-m-i-n-d-e-s-t zu schreiben? Derjenige über den der junge Mann zur jungen Frau - gerade aus der PV für ihren Baader Meinhof Komplex kommend - sagte: "Das ist ja der beste Film aller Zeiten. Ich fand den nicht so gut." Das kluge Bürschchen aber landete mit dem Spruch bei der Dame nicht, so wie es aussah. Die zuckte nur mit den Schultern. Naja, was soll man aber auch anderes machen, wenn man gerade Moritz Bleibtreu beim 150 minütigen "Scheiß Fotzen!" Geschreie zuhören musste?! (siehe Vorpost)

Es handelt sich selbstverständlich um den "am Startwochenende hatte ich ne 9,8 auf der imdb, ätschbätsch" Blockbuster-Meteoriten-Einschlag THE DARK KNIGHT, Christopher Nolans zweiter Batman Streich. Der Joker - wer den verkörpert braucht nicht erwähnt zu werden - ist diesmal wieder an der Reihe und möchte Unruhe stiften. Spannend ist es über die Struktur des Films zu reden und was Ledger damit anstellt. Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern, wann ich es das letzte Mal erlebt habe, dass ein Schauspieler einen ganzen Film umkrempelt.

Fangen wir erstmal beim Material an, dass es umzubiegen gilt: THE DARK KNIGHT ist offenkundig ein zusammengeklaubtes, überquillendes Filmmonster, für das anscheinend schon einiges an Rohmaterial zur Verfügung stand, welches es herunterzucutten galt. Die allumfassende Story erlaubt es sich gar gegen Ende eine komplett neu kreierte Situation voller neuer Charakter zu etablieren (Die Schiffs-Bomben-Sequenz) oder wechselt nach dem Ausscheiden des einen Antagonisten einfach nochmal zum "Wurmfortsatz" der Geschichte und zeigt einen zweiten Endkampf auf dem Radar. Gut, im Gegensatz zum Baader Meinhof Debakel wissen die hiesigen Amis ihre 150 Minuten immerhin sinnvoller zu nutzen. Trotzdem reicht das nicht um ihre Geschichte auszuerzählen. Geschweige denn ein vernünftiges Filmkonstrukt auf die Beine zu stellen. Denn so funktioniert das einfach nicht. Die Figuren bleiben mit einer seltsamen Leere versehen, Ereignisse werden wie überstürzt unter abgehakt verbucht.

Was macht Ledger nun? Er spielt. Spielt einen abgefuckten, psychotischen, gerissenen Clown. Einen mit dem Leben abgeschlossen habenden, feisten, rache- oder doch nur spielsüchtigen Zyniker. Eine kaputte Seele, an deren Stelle nun eine verschmierte Maske folgt. Die Figur bietet sich an, um abzugehen. Ledger tut das und verleiht dem Stück eine unerwartete Frivolität, Leichtigkeit und Fiebrigkeit. Ledger allein tut das, und wenn man sich nun fragt, wieviel Anteil daran nun seine eigene Geschichte spielt - die sich hier als Metatext beispiellos einschreibt - kann man die Frage erstmal nur unbeantwortet lassen. Und muss doch auf die erschreckende Sequenz verweisen, als der Joker den Tod (in Form von Batman und seinem Batmobil) herausfordert und den schwarzen Ritter selbstmörderisch auf sich Zurasen lässt. Der Atem stockt. Der Film bewegt sich, ein fast totes Konstrukt beginnt zu leben.

#759 moodswing

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Geschrieben 01. Dezember 2008, 17:55

Jerichow
Christian Petzold, Deutschland 2008

Die herbst-winterliche Stimmung, die verträumten Landschaften eines leeren Ostdeutschlands, der theatralische Minimalismus, das Noir-hafte Ambiente, Geld und Materialismus als begierliche Faktoren und Katalysatoren der Erzählung, kaputte Seelen, verletzte Beziehungsgefüge, eine Frau und zwei Männer, das leise Rauschen in den Baumwipfeln, die pasteurisierte Tragik.
Nein, ich spreche nicht von YELLA, wenngleich die Begriffssammlung hier ebenso gut passen würde. Die Rede ist von Christian Petzold neuem Film JERICHOW.

Im Niemandsland (und doch geografisch genau gefasst) wird die Geschichte des blanken jungen Thomas (Benno Fürmann) erzählt, dessen Mutter gestorben ist und er nun ihr Haus im besagten Ort bewohnt. Schulden hat er, Arbeit braucht er. Dank der Hilfe und tatkräftigem Einsatz bei Nachbar Ali (Hilmi Sözer) bekommt er einen Job als Fahrer für dessen Gastro-Logistik-Ich AG. Der depressive und alkoholkranke Ali hat auch eine hübsche Frau (Nina Hoss) und so nimmt die Geschichte den tragischen Lauf, der sich ach so hunderfach im Kino bereits abspielte.

Petzold bleibt sich in vielen Aspekten gerade im direkten Abgleich zum Vorgänger treu. Er konstruiert in einem streng-formalen Manierismus eine Geschichte, die so abstrus erscheint, dass die Humanista tatsächlich abstrahiert werden müssen. Funktionieren tut dies wie schon bei YELLA erstaunlich gut. Die hypnotisierende Sog-Wirkung in Petzolds Filmen speist sich aus diesen so unterschiedlichen Fronten. Hier lässt sich ein künstlerisches Konzept erkennen, welches auf Intuition setzt und sich fallen lässt ins Abenteuer Film.

Petzolds Kopfgeburten besitzen seit jeher die Nebenwirkung einer sich Bahn brechenden intellektuellen Gespreiztheit, die nur allzu gern einen Schwermut transportiert, der in seiner Vorrangigkeit einen moderigen, unangenehmen, typisch deutschen Geruch verbreitet. Das ist natürlich nur eine Beobachtung nebenher, schwieriger wiegt in diesem Fall vielleicht die bereits angedeutete, zu leicht zu ziehende Linie zum Vorgänger. Damit ist zwar klar: Der Film wird was. Aber auch: Weiterentwicklung findet sich hier nicht.

Irgendwo aber auch schnurzpiepegal. Petzold legt natürlich trotz der peniblen Mokierungen den mit Abstand besten Film des Jahres aus Deutschland vor. Sein parabelhafter Stil passt nach wie vor zur Bestandsaufnahme der Befindlichkeiten. Geld, Gier und Gewissen sind alte Motiv-Tugenden des Films und wirken in dem elegischen Stil Petzolds zeitlos. Zudem gelingt es dem Film trotz der Gestelztheiten stets überzeugende, tragische Figuren abzubilden, sei es in der geschlagenen, wortkargen, verlorenen Männlichkeit Fürmanns, der geheimnisvoll verlorenen Schönheit Hoss oder der polternden, alternden Verlorenheit Sözers. Petzolds Filme sind letztendlich immer ein eigenes Universum der ausstaffierten Miseren, der kühlen Desaster, des bezaubernden Zerfalls.

#760 moodswing

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Geschrieben 06. Dezember 2008, 18:04

The Fall
Tarsem Singh, Indien/Großbritannien/USA 2006

In all der Simplizität der Erzählung, in all dem sehr einfachen und offenen Umgang mit dem Rezipienten bleibt es mir doch fast unergründlich - wie schafft Tarsem diese Bilderproduktion? Manch einer will Film ja gerne auf die Bilderwelten reduzieren. Den Moment des a priori. Auch gerne ein Blick durch Kinderaugen. Aber waren es früher die Bilder, die uns vornehmlich bewegten, oder sind sie es nur, die "im Kopf hängen blieben"? Waren es nicht vielmehr Stereotype, Konturen, Erzählstränge u.Ä. die maßgeblichen Einfluss hatten? Die Frage mag vielleicht jeder auch für sich anders beantworten. Tarsem Singh nun kann man eine Bilderproduktion rein für das kindliche Auge vorwerfen oder nicht. Ankommen tut sie jedenfalls auch beim Erwachsenen. Er schoss die surrealsten Bilder an den abgelegensten, unrealsten Orten in 18 verschiedenen Ländern und befindet sich ohne auch nur einmal künstlich oder unbelebt zu werden ad hoc in den Sphären eines Märchens. Und dessen Struktur ist bei weitem nicht so simpel wie sie von den Kritikern geredet wurde.

Ein osteuropäisches Mädchen lauscht gespannt den Worten eines verunglückten Stuntmans in einem Hospital im Los Angeles der 20er Jahre. Er erzählt ihr eine Geschichte von 5 Männern verschiedenster Herkunft und Coleur, die sich aus unterschiedlichsten Gründen an einem Gouverneur rächen wollen. Als das Mädchen selbst Einfluss auf die Erzählung nimmt, vermischen sich ihre Eindrücke aus dem täglichen Leben im Hospital und der Fiktion der Geschichte zusehends...

Was ist nun THE FALL außer einer Bilderexplosion noch? Ein Film über die Frage nach Autor und Rezipient. Ein sehr simples, emotionales Werk über die Opposition von Lebensoptimismus (Mädchen) und -pessimismus (Mann). Ein sehr einfaches Märchen, narrativ gar nicht so minder komplex zusammenerzählt. Zuweilen auch elegisches Kino der Flächen, Weiten und Farben.

Interessant und fast ein wenig unverständlich bleibt in diesem Zusammenhang die Auswertung des Films. THE FALL lief nicht etwa im großen Stil auf Festivals oder bekam einen mustergültig beworbenen Kinostart. Sein größter Erfolg blieb gerade einmal der Gewinn des kristallinen Bären der Kindersektion in Berlin sowie den Hauptpreis beim Nischenfestival des fantastischen Films in Sitges. Nun, 2 Jahre nach Fertigstellung der Produktion drängt er vollkommen verspätet auch in die deutschen Kinos und scheint an einem DVD-only Release nur knapp vorbei geschrammt zu sein.

Erstaunlich, dass die Erwachsenen mit diesem offensichtlich als Kinder- oder Genrefilm abgestempelten Werk nicht unzugehen wissen. Dabei ist die Bilderkonzentration des Filmes dieses mysteriösen Inders, der vorher vor allem Werbefilmer war, in Zeiten der Vollemotionalisierung in allen erdenklichen Sparten der audiovisuellen Verköstigung eine willkommene ehrliche Abwechslung. In einer Art surrealen Naivität kann man sich hier in eine Welt fallen lassen, die tatsächlich das Momentum des Eskapismus, einer wahrhaftigen Welt, die Singh mit seiner Kamera gefunden hat, auslebt. Wenn Kino vor allem auch Bilderproduktion, -verarbeitung und -genuss ist, dann wäre THE FALL das Meisterwerk. Und auch ohne solcherlei Bohei ist er immer noch eine verdammt beeindruckende Gestalt.

#761 moodswing

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Geschrieben 16. Dezember 2008, 21:14

Waltz with Bashir
Ari Folman, Israel/Deutschland/Frankreich/USA 2008

Was ist Vorgabe, was ist Hineininterpretation? Was ist Rekonstruktion, was ist filmische Konstruiertheit? Bei keinem Film war das dieses Jahr so schwer auseinander zu halten wie bei WALTZ WITH BASHIR. Die Prämisse ist simpel: Ein israelischer Regisseur macht sich auf die Suche nach seiner Erinnerung an die Teilnahme im Libanon-Krieg 82. Er befragt Freunde, rekonstruiert ihre Geschichten per Animation, einerseits um Distanz für die Protagonisten, andererseits auch für die Zuschauer zu schaffen. Alles wird wiedergegeben. Auch Träume oder von Psychologen erzählte Verhaltensmuster und Geschichten.

Das Paradoxon am Film ist nun, inwiefern diese "Tatsachenberichte", diese subjektiven Dokumentationen echter Personen sich abgrenzen lassen zum Gestus und Habitus des Films. Denn WALTZ WITH BASHIR ist geschickt berechnet. Er zieht uns schon frühzeitig hinein in einen depressiven Sog, lässt uns Angstzustände und alptraumhafte Kurzepisoden durchleben. Viel Musik (v.a. von Max Richter) dient der Erhöhung der düsteren Anspannung. Schnell wird klar, dass WALTZ keinerlei wertfreie Dokumentation über die "Wiedererlangung einer Erinnerung" ist, sondern eine trüb-subjektive Färbung als Grundelement in seiner Zusammensetzung enthält. Noch genauer genommen: WALTZ spielt sehr bewusst mit seiner nach dem Muster der An- und Entspannung gesetzten Taktung von nüchternen Erzählungen und Stimmungsbildern.

Diese für den Film nur allzu effektive Strukturierung wird dann problematisch, wenn man Ari Folmans Erzählung für bare Münze nimmt. Nach den Strukturen des Films "entdeckt" Folman seine Erinnerung nach und nach. Nur so entsteht eine Dramaturgie, die den Zuschauer zum Mitentdecker macht, nur so ist eine emotionale Zuspitzung möglich, die am Ende - logischerweise - zu den "echten" Nachrichtenbildern führen muss, und damit den Endpunkt der Erinnerungswiederfindung, sowie den Endpunkt der tragischen Erzählung finden kann. Es sind die gleichen Nachrichtenbilder, die objektiv längst vorgelegen haben, lange vor der Planung des Films.

Als Platzhalter für die Entdeckung, die Folman nicht von alleine machen konnte, hält übrigens ein israelischer Reporter her, der tatsächlich als ein den Kugelhagel tapfer durchwandernder Heroe eingeführt wird. Eine der vielen pathetischen Szenen, die manchem zynisch aufgestoßen sind. Diverse Kriegsfolklore (saubererweise immer mit negativem Einschlag) werden angestimmt, es wird Waltzer auf dem Parkett des Todes getanzt.

Aber all das macht Folmans Film eigentlich auch nur so gut. Er ist waghalsig, kritisch, lässt nichts aus zugunsten einer einwandfreien Darstellung. WALTZ WITH BASHIR schafft es sich einer politischen Tragödie riesigen Ausmaßes mit der einzig adäquaten Methode zu nähern - mit dem subjektiven Blick. Der Film steckt voller Nostalgie, voller Zeitkolorit, er erschafft empathische Bilder, die trotz ihres überschwänglichen Pathos äußerst ehrlich wirken. Überhaupt ist diese grobkantige Animation schon deshalb ein voller Zugewinn weil sie Bilder erschafft, die hängen bleiben, und davon nicht wenige. Keine Szene ist hier zuviel, jede Emotionssteuerung funktioniert. WALTZ ist ein Film, der einen hineinzieht und am Ende zielgerichtet erschüttert. Mag sich der Eine oder Andere vorgeführt vorkommen wegen falscher Prämissen oder erzwungener Strukturen - WALTZ ist ein Antikriegsfilm der neuen Wege, oder - um am Ende nochmal platt zu werden - die Fortführung des in den letzten Jahren fast eingeschlafenen Antikriegsfilms mit anderen Mitteln.

#762 moodswing

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Geschrieben 20. Dezember 2008, 01:10

Wolfsburg
Christian Petzold, Deutschland 2003

Bevor ein Regisseur die ruhmreichen Hallen des Wettbewerbs eines Arthouse-Festivals betreten darf, muss er sich seine Sporen verdienen. Mitunter auch gerne mal mit großen Filmen in Nebensektionen, einfach weil der "Name noch nicht groß genug ist". Christian Petzold - inzwischen mit YELLA bei der Berlinale und JERICHOW in Venedig reüssiert - hatte 2003 das Pech mit seinem überragenden WOLFSBURG ausgerechnet im seit Jahren darbenden Berlin in die Panorama-Sektion verschoben zu werden. Bevor also Petzold in den Folgejahren in den mystisch-matten Osten weiterwandert verwandelt er die Autostadt in einen verklärten Ort. Viele Grundmotive sind schon hier - ein Autounfall als Katalysator der Geschichte, vorbelastete Beziehungen oder die Ruhe im Sturm, die Petzolds Filme seit jeher auszeichnen. Und doch das wichtigste Motiv der Folgefilme fehlt noch: Das Geld.

In WOLFSBURG fährt Yuppie Philipp das Kind von Arbeiterin Laura tot (Benno Fürmann und Nina Hoss - beide sehen wir auch in JERICHOW gemeinsam Seite an Seite). Philipp kommt mit seinem schlechten Gewissen nur mäßig zurecht und nähert sich Laura behutsam an, rettet sie gar vorm Selbstmord und verschafft ihr am Ende die nötige Karthasis.

Neben dem letzten Moment, dem die tiefe Tragik eines Shakespearschen Dramas innewohnt, der wie nach einer durchgemachten Nacht als Film nebenher läuft, der sich zuspitzte und nun implodiert - neben diesem brutalen Moment der Erkenntnis, der Rache und des Sühne, macht Petzold in seinem Film vor allem Eines: Er stellt vollkommen nüchtern und präzise zentrale Lebenseinbrüche - der Tod, der Verlust, die Trauer, die Schuld - alltäglichen Banalitäten gegenüber. Der Film überbetont die unterkühlte Beziehung zwischen Philipp und seiner Frau, es gibt Streitereien, einmal gar versteht sie sein Geständnis der Tat vollkommen falsch und denkt, er habe sie schlichtweg betrogen. Die Kommunikation ist am Ende, die Gefühle ausgestorben. Und dort drüben, am anderen Tischende sitzt jemand, der gerade alles verloren hat, der alle bösartigen Gefühlszustände durchleben muss, und mit dem Gedanken spielt, sich das Leben zu nehmen.

Wenn jedoch kein Geldmangel, -gier oder -not thematisiert wird, dann aber doch die Arbeitswelt. Die macht Laura in Form ihres eifersüchtigen Arschlochs von Chef nämlich auch zu schaffen, während Philipp Autos verkauft und sich von seinem Schwager täglich anhören muss, dass er doch bitte nicht die Schwester verletzen möge, sonst setzt's was. "Eine Kleinfamilie braucht Sicherheit im Wagen, also erzähl denen nicht was von Pferdestärken!" Sicherheit und Halt hat hier keiner mehr, das Unumkehrbare ist geschehen und nun labt sich der Film am Kloß der ihm im Hals steckt. In die pure Depression getrieben, fühlt man sich wie übernächtigt und kann den karthatischen Moment nicht einmal mehr genießen. Das Motiv heißt hier Zerstörung. Ein wesentlicher Bestandteil menschlichen Lebens.

#763 moodswing

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Geschrieben 24. Dezember 2008, 16:18

The Warriors
Walter Hill, USA 1979

New York ist ein Dschungel. Kein Großstadtdschungel im klassischen Sinne, sondern eine Wildnis in einem grimmig-düsteres Alptraummärchen. Die U-Bahn-Schächte und Stahlkonstruktionen ersetzen die Pflanzen, das Graffiti der Straße nimmt sich der urbanen Transportmittel an, die abgefuckten Toiletten dienen als Handlungsorte. Es wird physisch, denn nur mit seinem Körpereinsatz kann man hier überleben.

In Walter Hills 79er Street Clash Reißer THE WARRIORS muss sich eine zu einer Gang zusammen getane, recht wenig homogene Horde Jugendlicher (schwarz, weiß und latino - entscheidend ist nur die Herkunft, nicht die Hautfarbe) einem Spießrutenlauf durch die Stadt New York unterziehen. Alle Gangs sollten geeinigt werden unter einem Führer, so der Ursprungsplan, doch schon in der Ermordung dieses Leaders verbreitet der Film seine Prämisse: Life's a struggle until ya die und jeder muss seinen eigenen Kampf austragen. Die Warriors sollen es gewesen sein, verbreiten tun das klassische Antagonisten, eine Horde homosexuell konnotierter YMCA-Hedonisten, die ihren Gewaltakt mit reinem Spaßgewinn rechtfertigen. Bevor sich unsere kühnen Recken jedoch diese Würstchen vornehmen können müssen sie der Reinfolge nach an Skins, Muttersöhnchen, Clockwork Orange Baseball Monstern, Kampflesben, Stadthillbillys und immer wieder an zuschlagenden Cops vorbei, die eine Art weitere Gang bilden. Jede Gang hat ein Territorium, alles abgeschnittene autarke Bereiche, Coney Island ist der Zielpunkt der Warriors, die Cops - so könnte man sagen - versuchen sich ganz New York unter den Nagel zu reißen.

Hill inszeniert seinen Kurzweiler ultraschnell, schön dreckig und on Point. Der treibende Score von Barry de Vorzon - und nicht nur der - erinnert eklatant an John Carpenters 3 Jahre zuvor erschienenes Straßenkampf-Meisterwerk Assault on Precinct 13, nur das diesmal die Guten eine Jugendgang ist, und die Cops nur eine weitere gesichtslose Masse an böswilligen Stolpersteinen darstellen. Wie die Frauen in dem Werk einzuordnen sind, wäre eine andere spannende Frage. Der Anführer der Warriors "händelt" eine auf dem Weg eingesammelte Latina - weist sie ab, kommt ihr näher. Eigentlich ist sie eine Schlampe, aber eine toughe. Das Gesellschaftmodell der heiligen Familie passt ihr nicht und sie nimmt sich was sie will. Der Mini-Antagonist in den eigenen Reihen wiederum wird beim Versuch der Vergewaltigung festgenommen - sein Opfer war ein weiblicher Zivilbulle. Die Lesbinnen, denen drei der Crew in die Fänge gehen, werden allerdings dann doch als bissige Kampfbitches eingeführt und schüren die Kastrationsangst. Überhaupt bleiben Frauen hier zumeist aushandelbares Objekt. Zwischen Mysogenie und starkem Frauenbild liegen manchmal nur Minuten.

THE WARRIORS scheint wie ein Jump'n'Run Spiel auszusehen, ist in seiner Konzentration auf Bewegung, Musik und Körper geradezu stilbildend und simpel zugleich. Wie ein bloßes Abfertigen von Plot Points sieht der Film zu keiner Zeit aus. Jede Konstruktion beinhaltet einen wichtigen weiteren Schritt, einen weiteren Initiationsritus - ob es die einfach zu besiegenden und leicht zu manipulierenden Muttersöhnchen der Orphans, dann die unmenschlich-monströs anmutenden Baseball Furys oder das unheimliche und sirenenhafte andere Geschlecht, die Lizzies (set an e for an i) sind - all die Wegpfeiler im Leben eines Jungen müssen genommen werden um am Ende bei Sonnenaufgang am Strand von Coney Island stehen und endlich frei atmen zu können. Heimaterde.

#764 moodswing

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Geschrieben 28. Dezember 2008, 16:01

Vicky Cristina Barcelona vs Revolutionary Road
Woody Allen, Spanien/USA 2008 - Sam Mendes, USA 2008

2 Filme verhandeln dieser Tage geschlechterhafte Beziehungsgeflechte auf ihre Art und Weise. In den Einen strömen sie derzeit alle, vor allem das Studentenvolk, so auch ich mit zwei bezaubernden Damen, ganz im Sinne Woody Allens, dem Neurotiker mit der neu entdeckten Leidenschaft für junge Musen, die vielleicht der wesentliche Ausschlag sind, warum Woody im hohen Alter endlich mal durchdachtere Konzepte vorlegt ohne stets Ich-bezogen durch seine eigenen urbanen Neurotismen zu marschieren. Der Andere wird ab Januar vermutlich eher betagtere Menschen ins Kino ziehen und als nicht ganz so hip gehypt werden. Beide verhandeln aber praktisch die gleiche Frage.

In VICKY CRISTINA BARCELONA, den manche interessanterweise als "luftige Sommerkomödie" wahrnehmen, widmet sich Allen dem Partnerschaftschaos einer Generation, die eine Vielfalt an Beziehungskonstellationen zur Verfügung hat. Es treffen die unterschiedlichsten Philosophien und Konzepte von Liebe aufeinander. Das Paar an Gegensätzen heißt Rebecca Hall und Scarlett Johansson. Sicherheit, Treue und Planbarkeit treffen auf Freiheit, Unentschiedenheit und Ausprobieren. Genauer genommen ist der Beziehungszirkus aber vor allem eines: Ein Film über den Einbruch der Leidenschaft in die Realität.

Die beiden Damen treffen auf Lebensgenießer und Chauvi-Charmeur Javier Bardem, dessen Liebeskonzept dem der Johansson natürlich näher steht. In der Dynamik der Liebe gefangen kommt es jedoch selbstverständlich auch zur Eruption der Emotionen zwischen der sonst stets kalkulierenden Hall und dem zwischen sensibler Lethargie und relaxtem Feuer changierenden Bardem. Und als man denkt man kenne nun die Geschichte taucht auch noch Penelope Cruz auf und bringt das Klischeebild des sich bis aufs Blut hassliebenden Künstlerpärchens auf.

Auch wenn Cruz allerorts als herausstechend über den Klee gelobt wird, ist gerade diese Episode vielleicht etwas zu viel des Guten. Die Beziehungsgeflechte sind zwar für die kaspernde Apparatur ganz nett, die grundlegende leichte Tragik der ewigen zwischenmenschlichen Probleme wird dadurch jedoch etwas desavouiert. Allens Barcelona-Trip ist trotz des lockeren Mundwerks nämlich durchaus nicht so angenehm, wie es die Temperaturen vermuten lassen könnten. Die ewigen Konflikte um die Vergänglichkeit der Liebe, um Unvereinbarkeiten, um den Dualismus Rationalität und emotionales Ausbrechen sind hier weitaus weniger banal abgearbeitet als es in gewöhnlichen Romantic Comedies der Fall ist. Und das liegt nicht an Allens Intellektualisieren des Ganzen. Es ist grundlegender, Allen lässt seine Figuren einfach machen, denken und erleben, so dass man ihnen sehr nah kommt.

Trotzdem stößt der Allen typische leichte Zynismus seltsam auf. Allen legt einen nüchternen Erzähler als Verbindungsstrick über seine Narrationsknäuel. Der schafft eine in diesem Fall unnötige Distanz, auf das wir ja merken, dass wir in einem Allen Film stecken. So ganz traut sich der Mann anscheinend immer noch nicht dem Gezeigten einfach den Platz einzuräumen, der ihm zusteht. Im Falle dieses ansonsten zwischen Verspieltheit und bitterem Ernst feinsinnig wechselnden Luststücks allerdings passt der übergezogene "tone" trotzdem hinein. Der Natürlichkeit der Erzählung sei Dank.

Über Zynismus und der Haltung eines Films gegenüber seinem Sujet musste man sich anno 1999 bei Sam Mendes suburbanen Zersetzungsdrama AMERICAN BEAUTY noch viele Gedanken machen. Knapp 10 Jahre später nahm sich der Engländer der Kritik scheinbar an und schlägt mit REVOLUTIONARY ROAD einen weitaus ernsteren Ton an. Die Verfilmung von Richard Yates Novelle nimmt sich mehr oder minder dem gleichen Thema wie Allens angeblicher Sommerluftikuss an: Der Gegenüberstellung eines sicheren, aber starren gegen ein ausbrechendes, aber risikoreichen Beziehungskonzeptes. Hier nun schmeißt uns der Film direkt in eine Ehe - die vorausgegangenen Bilder sind austauschbar. Auf Party kennen gelernt, etwas Smalltalk, humorige Wellenlängen, gemeinsame Träume, irgendwo dazwischen so eine vermutete Seelenverwandtschaft. Nach 5 Minuten sind wir aber bereits im neuen Eigenheim, 2 Kinder gibt es auch schon, wie der Film erst spät in einer denkwürdigen Szene offenbart (Die Kinder warten mit Mutti auf Papi mit der Geburtstagstorte - Papi kommt gerade heim vom beliebigen Fremdgehen mit einem Naivchen).

Kate Winslet ist die Mutter und Hausfrau und möchte ausbrechen. Allerdings: Mit ihrem Mann, mit dem es zwar zu krachen vermag, aber den sie dennoch immer noch liebt, vor allem mit dem Gedanken an die gemeinsamen Träume (Paris). Leonardo DiCaprio ist Bürotrottel und kommt auch sonst nicht sehr gut weg (Affäre, Schlappschwanz, Choleriker). Die Besetzung ist natürlich der ultimative Wink schlechthin. Nunmehr 11 Jahre nach der romantischen Fast-Vereinigung auf der TITANIC offenbart sich hier ein Morast an menschlichen Bündeleien, an ehelichen Automatismen, an Träumen die längst geplatzt sind. DiCaprio - so sehr ich ihn in den letzten Jahren als Schauspieler zu schätzen gelernt habe - passt vorne und hinten nicht. Die Winslet da schon weitaus mehr.

Mendes geht es wie schon in AMERICAN BEAUTY aber auch dezidiert um die Offenlegung eines puritanisch-spießigen Vorortamerikas, um tratschende Nachbarn und verdrängte Ängste einer hysterischen, auf Sicherheit getrimmten Generation (55 spielt der Film, also auch weitaus später als die Zuckerwatten-Romantik der TITANIC). Alle Figuren sehen stets bleich aus, den Frohsinn in die Welt tragend, während es drinnen düster ausschaut. Mendes lässt, anders als im Oscarabräumer 99, alles ungebrochen auf den Zuschauer los. Der Gestus eines Theaterstücks ist stets spürbar, die Schauspieler bestimmen das Tempo, ironische Anfälle finden sich nicht.

Das ist zwar ziemliches Oscar-Theater, aber doch recht gutes. Zu beanstanden gibt es nicht allzu viel, meines Erachtens empfand ich es lediglich als seltsam, wie hier die bereits vorhandenen Kinder praktisch durchgängig ausgespart werden. Ganz so als ob sie auf die Ehe, Familiengestaltung, und -atmosphäre rein gar keinen Einfluss hätten. Sollte das bewusst angelegt worden sein, verstehe ich es nicht. Ich vermute aber eher, das hier einige Szenen der Schere zum Opfer fielen und darunter vor allem die Ausgestaltung der Eltern-Kinder-Szenerie zu leiden hatte.

Kleine inhaltliche Patzer also, ansonsten aber lässt sich REVOLUTIONARY ROAD als Gegenstück bzw viel eher ungleicher Bruder von VICKY CRISTINA BARCELONA sehen. Einer, bei denen die Gedanken nicht ganz so wirbelig sprießen und schießen wie im Allen. Einer der die ganze Chose um Liebe, Leben, Leiden etwas tragischer nimmt. Einer, der dadurch vielleicht auch noch ein wenig mehr mitnimmt. Eigentlich tat dies aber das Sommerlustspiel trotz seiner humorigen Ansprüche ähnlich brachial. Das ist durchaus eine ziemliche Leistung.

#765 moodswing

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Geschrieben 02. Januar 2009, 21:38

Gumminippel

Der Jörg Haider ist, Entschuldigung, war ein Illusionist, der eine ganze Region Österreichs mit seiner übermenschlichen Aura verzaubert hat. Sogar die Jungs. Edward Norton spielt nun in The Illusionist einen durchaus sensibler konnotierten Magier, der mit seinen Zaubershows niemanden etwas Böses will. Und doch strebt er nach und nach und insgeheim den Machtsturz des Despoten Österreichs an (Hoppala, nu schlägts aber Haider!). Der hat die ihm vom Schicksal zugestandene Frau (die alte himmlische 7th Heaven Hupfdule Jessica Biel) geklaut und ermordet sie dann auch noch im eifersüchtigen Wahn. Jetzt wird The Illusionist sogar mal spannend. Leider nur für einen kurzen Augenblick. Denn Magier Norton erweckt seine Liebste auf der Bühne als zarten Windhauch kurzzeitig zum Leben. Die Abhandlung über Tod, Trauer und Zwischenwelten bleibt aber dann doch aus, und der Mystery-Krimi zieht seine gewohnten Kreise. Noch zu erwähnen: Paul Giamatti als einzige halbwegs mehrdimensionale Figur, der die altbekannte Wandlung vom untergebenen Dienstleistungsausführer des Kronprinzen und Hobbymagier zum Gerechtigkeit waltenden Organ durchmacht.

Noch ein Stückchen behäbiger und gemächlicher geht es in Paul Schraders Eierschaukler The Walker zu. Woody Harrelson spielt einen Mann, der ältere Frauen der High Society begleitet. Warum er das kann? Weil er ein richtig schön schwuler Schwuler ist. Irgendwann nutzen ihn die Damen in einem recht unspektakulären Krimiplot dann aber doch aus, und Schrader - das wird schnell klar - geht's hier um den tiefen Fall einer Person, die zuvor aufrechter im Leben stand, als Dolly Busters Nippel in den 90ern.

Oi! Oi Oi! Tim Roth zieht eine beängstigende Fresse wie ein wildgewordener Köter in Alan Clarkes 82er Made in Britain, in welchem diverse Sozialpädagogen 70 Minuten lang versuchen dem notorisch zerstörungswütigen Roth die Flausen auszutreiben. Höhepunkt bildet ein 10 minütiger Monolog eines der es doch nur gut meinenden Beamten, der dem teuflisch dreingrinsenden Roth in lakonischer Manier vor Augen führt, wie sein weiteres Leben verlaufen wird, wenn er seine hakenkreuztätowierte Glatze nicht klar bekommt. Der 16-Jährige macht weiter und landet in den letzten 3 Minuten des Films tatsächlich im Knast. Ein kurzer Schlag mit dem Gummiknüppel verdeutlicht dem angry young man die Situation - zwischen kindlicher Angst und tobendem Hass erstarrt Roths Gesicht in der letzten Einstellung.

#766 moodswing

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Geschrieben 04. Januar 2009, 19:49

Ein bisschen Jazz gefällig?

In Lakeview Terrace lässt Kontroverso Neil LaBute Samuel L. Jackson den big black cop spielen, was an sich schon einmal eine feine Sache ist. Jackson erinnert hier und da an Denzel Washingtons Rollen des patriarchialen Grenzgängers, zwischen moralischem Wertesystem und abgedrehten Übermachtsfantasien. Jacksons Figur terrorisiert das Nachbarschaftspärchen, das ihm als junges, sozial aufgestrebtes schwarz-weißes Duett (Der Mann natürlich der Weiße) ein Dorn im Auge ist. Der desillusionierte (Frau tot, Job verloren) Jackson spielt seine Intrige durch und der Film gereift zum konstruierten Thriller. Zuvor interessieren vor allem die durchgefächerten Diskurse um Rasse, Klasse usw. Die sozialen Spannungen, die durch ein herandrohendes Dürrefeuer nochmals für alle Dummies symbolisiert werden, tragen gemeinsam mit Samuel L. Jackson den Thriller, der auch schlicht und einfach nur als Geschichte eines Psychopathen gelesen werden kann.

LaButes Karrierestartpunkt markierte 1997 das als zynisches Komödchen verkaufte In the Company of Men. 2 Businesskasper (u.a. Aaron Eckhart) verabreden sich zur Frauenverarsche und suchen sich eine taub-stumme Burokraft, um sie doppelt zu verführen und gleich wieder fallen zu lassen. Fraglich ist, wem solch ein Film "gefallen" sollte. LaButes Erstling ist viel mehr eine Versuchsanordnung als ein irgendwie unterhaltsamer Spaß. Die Kamera wirkt stets wie aus der Wachposition schielend, in den zahlreichen Dialogen im Büroalltag geht es um "den jungen Schleimer, der mich aus dem Job verdrängen will" oder exakt austarierte Planungen des Wochenendes. Wie in den Alltagsprozess eingeordnet wirken da die Bezirzungsversuche, die Liebesgspräche, die Rendezvous. Man nimmt den Figuren zu keiner Zeit ihr Spiel ab und misstraut dem Konstrukt ebenfalls permanent. Und doch ist es fast beeindruckend, wie unangenehm der Film zu Werke geht und seine gespielte Satire letztendlich zur pessimistischer Zeitkritik überformuliert. Alles spielt verrückt in dem Stück, ob nun der den Score darstellende Free Jazz oder die mit Emotionen wie mit Werbeverträgen umgehenden Protagonisten.

Die Coen-Brüder haben die nächsten Jahre wieder etwas leichteres Spiel ihre Filme unter die Masse zu bringen, nachdem sie mit ihrer überragenden McCarthy Verfilmung so abgesahnt haben. Burn After Reading heißt die Kür und lässt die Gebrüder wieder etwas heiterer an. Es geht um George Clooney und Brad Pitt und wild schnoddrigen Schabernack. Im Grunde genommen geht es in dem Film lediglich um die Tatsache, dass hier die komplette Welt aus Hampelmännern besteht. Egal ob die im Fitnessstudio oder bei der CIA arbeiten. Alles Dumpfbacken allererster Güte, auf das man sich ordentlich fremdschämen darf. Die Coens inszenieren dies als lässiges Puzzlespiel, mit Screwball Appetit und im legeren Gewand. Für einen Film, der eigentlich nur ein wenig herumblödeln will ziemlich gut.

#767 moodswing

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Geschrieben 06. Januar 2009, 15:25

"As far as I remember I always wanted to go to Cannes."

Gangsterfilme sind meine Sache nicht, irgendwann stupst mich dann mal ein Kollege hinein ins Geschehen und schon sitzt man mitten in Goodfellas. Scorsese und Ballhaus "zaubern" mit allen ihnen erdenklichen Mitteln umher - rauschafte Plansequenzen, Vertigoschuss (Enge!) im Cafe, pfiffige Szenenmontage galore, vergilbte Fotoshots - ja, da ist was drin für den gemeinen Filmjünger. Allein, was macht der Film eigentlich? Glorifizieren des Mafiagewerbes könne man ihm ja nicht unterstellen, sieht er sich doch am Ende in einem unaufhaltsamen Fall der von uns begleiteten Bande (paratextuelle Rangfolge: De Niro, Pesci, Liotta - eigentlich aber: umgekehrt), inklusive Drogenparanoia und Gewaltspirale. Und wenn Liotta gleich am Anfang sein berüchtigtes "As far back as I can remember I always wanted to be a gangster." posaunt, denkt man sich doch: Kenn ich, Popzitat. Hip Hop und so. 3 Jahrzehnte Musik verbrät Scorsese und lässt seinen Film aussehen wie eine nostalgische Kindheitserinnerung mit plötzlichem Einbruch des Bösen. Gesamt betrachtet bleibt nur zu konstatieren: Scorsese ist da ein abgeklärt-standhafter und mustergültiger Hollywoodblockbuster gelungen.

Die Zeiten, in denen ich mit jugendlicher Schnoddrigkeit Godard irgendwie böse war für sein maniriertes Kunstkino sollten vorüber sein. Mögen tue ich sein Zeug aber nach wie vor nicht. Sein Klassiker Le Mépris musste aber doch nochmal sein. Die einfache Metapher des Kunst vs Kommerz Konfliktes, der sich auf ganzer Linie verschrieben wird, lässt das Werk im Zusammenspiel mit Godards eigenwilligem Kino der Brechungen zum abstrahierten Dauerklimax gedeihen. So fernab von Konventionen, wie das Kino hier ist, so fernab ist es auch vom leichtfertigen Spiel mit sich selbst. Das mag alles sehr reflektiert und voller Liebe zum Film sein, aber anfühlen tut es sich anders, sperriger, verdrahteter, intellektuell kleinkarierter, obsessiv eingeschappter. Le Mépris - ein Konstrukt, eine Chimäre.

Der Cannes-Gewinner diesen Jahres Entre les murs zeichnet ein realistisches Milieubild des sozialen Mikrokosmos eines Pariser Vorortgymnasiums. Es herrscht eine belebte Ausschnitthaftigkeit vor, eine Vielzahl an Figuren, deren Position in der Erzählung sich teilweise erst ab der Hälfte des Films erschließen. Die Darsteller sind Laien und tatsächlich von ein und der selben Schule "weggecastet" worden. Das interessante Konzept funktioniert als authentischer Einblick zwar überraschend gut, der sanfte Umgang mit den Figuren aber lässt vieles im Seichten versiegen. Richtiges Konfliktpotenzial deckt der Film nicht auf und so ist die Tour durchs Milieu ein abgeschwächter, fast etwas schön geredeter Blick auf ein beliebt diskutiertes Problemfeld. Ein Film, dessen Thematik anscheinend maßgeblich den Ausschlag für den Hauptpreis in Cannes gab.

#768 moodswing

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Geschrieben 09. Januar 2009, 14:39

3 Pfade des Genrekino

Stuart Gordon habe ich seit seinem Meisterstück Stuck aus dem Vorjahr fest im Planer. Durchaus gespannt war ich daher auch auf King of the Ants, seinem 2003er Flick um einen jungen Egalo, der für fiese Machenschaften von üblen Burschen eingespannt wird und einen Mord begeht. Der Naivling wird daraufhin vom mafiösen Pack gejagt und verliebt sich in die Witwe des von ihm Getöteten. Gordons Thriller ist sehr dreckig und böse geraten, unglückliche Umstände und pure Dummheit geben sich die Klinke in die Hand. Auffällig ist, dass sich Gordon auch hier eine sozial schwache Figur sucht, um sie gar noch ein paar Leiternsprossen abwärts rasseln zu lassen. Wieder finden wir uns im Milieu der Obdachlosen wieder. Scheint ein gern gesehenes, und durchaus nicht alltägliches Motiv zu sein. Ebenfalls bitterböse bleibt Gordon in der blutigen Brutalität, die er abbildet. Beinahe exploitativ foltert es sich durch die zweite Hälfte des Streifens. Die vagen Charakterzeichnungen sind da vielleicht nicht das Hilfreichste, um dem Film das fiese Antlitz aus der Visage zu putzen. Nichtsdestotrotz wieder ein kleiner, gemeiner Gartenzwerg, wenngleich auch lange nicht so stark wie der wesentlich pointiertere Stuck.

In Awake gibt es mitgezählter Weise gleich 3 Plot Twists. Für Freunde des Konstruktionismus ein Fest, für Feinde von Storylöchern ein Graus. Insgesamt doch sehr naiv geht der Film in sein Thrillerschema, das immer mehr Krimi als Horror ist (die wache Narkose ist eher ein Aufhänger, als tatsächlich wichtig für die Story). Wer da wie und warum was tut ist die Frage, die drei Mal durcheinander gewirbelt wird. Spannend bleibt die Konstruktion des Films, die einstmal kaltherzig gezeichnete Mutter zum letzten verlässlichen Element für den hilflosen Protagonisten zu machen. Jegliche äußeren Einflüsse sind bösartig, nur auf seine Mutter kann sich ein Sohnemann heute noch verlassen. Ödipus lässt grüßen.

Der viel gescholtene Timber Falls beginnt zunächst weitaus angenehmer als erwartet. Verhältnismäßig klischeearm bewegt sich der Backwood-Slasher in den Wald, dort angekommen wird es allerdings schnell ungemütlich. Schnell deutet sich das altbekannte Konstrukt der "bösen Bauerngemeinde" an, und es wird noch schlimmer. Christliche Fundamentalisten terrorisieren unser Pärchen und der Horrorplot macht Platz für eine hässliche Farce, die sich reaktionär bieder am Feind abarbeitet. Ab hier bitte die Fast Forward Taste betätigen.

#769 moodswing

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Geschrieben 11. Januar 2009, 20:00

"Halt mir den Christus vom Leib!"

James Bond - "Reborn in Schweiß, Blut und Muskelfleisch." titelte einst die Spektralanalyse nach der Sichtung des umgekrempelten Chauvi-Charmeurs in Casino Royale. Der transformierte Held verlängert seinen stählernen Anti-Glamour in Quantum of Solace und scheint in dem auf Augenhöhe angesiedelten Spektakel nun wirklich bei Jason Bourne angekommen zu sein. Die merkliche Distanzierung von all seinen Figuren verschafft dem Film eine gewisse Ungebundenheit, die vielen Zuschauern anscheinend übel aufstieß. Mir nicht, denn immerhin konnte das Quäntchen Trost damit zumindest nicht in so viele fragwürdige Fettnäpfchen wie noch der Vorgänger treten. Es mag der kühlen Ausdruckslosigkeit der Handschrift Marc Forsters verschuldet sein, aber James Bond ist distanziert immerhin genießbar und in gewisser Weise ein angenehmes Konzentrat.

So ein bisschen Walt Disney schadet nichts. Oder vielleicht doch? M. Night Shyamalans vorgeblicher Alien-Film Signs behauptet da wohl Anderes. Nachdem der Film geruhsame 100 Minuten voller Halb-Skurrilitäten, belanglosen Familiengeflechten, der obligatorischen "Verlust"-Nummer und angedeuteten Mysterien bestritten hat, kommt er dann zum vermeintlichen Highlight: Einer verqueren Vermischung von Schicksalsgläubigkeit, Gottesprüfung und Wiedererstarkung des Glaubens beim nunmehr geläuterten Dorfpfarrer Mel Gibson. Die Invasion der Außerirdischen als Vorwand für so einen Mumpitz, und dann wird doch noch auf die letzten Meter einer einge-CGIt. Prost Mahlzeit im Christenuniversum. Grässlich.

Bei seinem neusten Streich ist sich die Kritik nicht so ganz im Klaren darüber, ob The Happening nun ein Meisterwerk oder eine Zumutung sein soll. Das Kinopublikum lag folgerichtig in der Mitte und so floppte der Film zwar nicht, machte aber auch keine Purzelbäume. Ich schließe mich an und meine, dass Shyamalan da schon einiges Ärgeres verbrochen hat (siehe oben), aber auch schon mal besser war. Wieder einmal pendelt der Film zwischen Ideenreichtum und plattem Messagekino, besitzt Bilder voller Stärke, thematisiert recht eindeutig seinen Endfremdungsgedanken und liegt am Ende doch unspektakulär darnieder. Er captured den Gedanken einer in der Luft liegenden Angst und nicht fassbaren Gefahr, am Ende stirbt jeder Mensch für sich allein ohne Umreißen zu können, warum denn nun eigentlich. Diese monotone Dauerspannung, über die The Happening damit verfügt, ist sein Plus und vielleicht auch ein wenig Minus. Denn das Unerklärliche und fast statisch Apathische, das seine Figuren umfasst, wirkt auf die meisten Zuschauer wohl reichlich befremdlich. Lange wird Shyamalan diesen Schuh nicht mehr durchdrücken können, vermute ich, wenngleich der Abgleich mit dem Konventionskino bei ihm im letzten Moment ja doch immer noch geschieht. Ob das für die kommenden Projekte reicht, bezweifle ich allerdings.

#770 moodswing

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Geschrieben 13. Januar 2009, 13:51

Moodswings in Sundance

Das Motiv, auf welches man jegliche Filme der Drama-Competition beim Sundance-Wettbewerb herunterbrechen kann, ist jenes der dysfunktionalen Familie. Gerne auch anhand kaputter Einzelfiguren. In SherryBaby verfolgen wir Maggie Gyllenhaal als white trash girl direkt aus dem Knast ins neue Leben. Mich wundert es ja manchmal doch, wie sehr die Amis auf Schauspieler und ihre Darstellung von kaputten Figuren fokussiert sind. Das kann hier und da mal äußerst interessant sein (bei The Wrestler etwa), manchmal aber auch reichlich schleppend. SherryBaby ist solch ein new american drama und schmeckt recht fade, denn was er zeigt ist nur eine Welt, in der jeder seine Beschränktheiten erkennen muss, alles seine Ursachen hat und am Ende bei passender Einsicht doch alles irgendwie gut wird.

3 mögliche Lesarten rattern mir bei der Sichtung von Lucky McKees May durch den Kopf. Und zwei davon gefallen mir ganz und gar nicht. May wirkte auf mich durchweg wie ein durchgestylter Kandidat aus der Gothic-Chic Fraktion. Das Bemitleiden einer "weirden" Makaberista, das ausgestellte Außenseitertum, die Codierungen und Symboliken, die Trauer welche zurück bleibt - alles Anzeichen für die Idee dahinter. Zum Zweiten erinnert alles in May an Sundance und den hippen Indy-Film. Die breitgefahrenen Alternativ-Rock-Nummern und auch das Ambiente passen bestens in das mit jedem von dort in die Welt hinausgeschickten Film unsympathischer werdende Indy-Mekka. Die dritte, unbelastetste und vielleicht auch naivste Lesart spricht lediglich vom Erkenntnisgewinn eines genauen Hinschauens auf Liebesgefüge. Die Vereinnahmung des Partners, das selbst geschaffene Idealbild, die narzisstische Kränkung, die nach außen getragenen seelischen Verletzungen in roher Gewalt - das alles findet eine inhaltliche Metapher in McKees kleinem Trauerspiel mit fröhlichem Pfeifen...

In Storytelling hat Todd Solondz erstmals so richtig Lust auf fieses Getue. Keine Figur in seiner überzeichneten Groteske kommt ungeschoren davon. An thematischen Heikelkeiten (Rassismus, Behinderung, Ausbeutung, Homosexualität etc.) entlang hangelnd verheizt Solondz bitterböse sein komplettes Arsenal, vom gutbürgerlichen Familienvater (John Goodman) über den perversen Literaturprof, bis zum Vollzeit-Loser, der auf dem Rücken seiner Figuren einen halbseidenen Pseudo-Dokumentarfilm dreht (Paul Giamatti). In jener Figur spiegelt sich dann auch zweierlei: Zum Einen die Abrechnung mit dem von Solondz verhassten American Beauty, auf den er bewusst anspielt (und der ihm ganz offensichtlich geheuchelt und verlogen vorkommt). Zum Anderen reflektiert er seine eigene Rolle als Arschloch, das hier seine Figuren bloßstellt. Er spielt ganz bewusst mit den Kategorien "Fiktion" und "Non-Fiktion" und lässt die Grenzen im Film verschwimmen, während sein Werk als Ganzes nur zu offensichtlich eine boshaft-hämische Konstruktion ist. Ob die Thematisierung dieser Tatsache von ihm selbst den ganzen Film aber automatisch "entschuldigt" vermag ich nicht zu sagen. Ein Narzisst, der sagt, dass er einer ist, wird ja auch nicht automatisch zum Sympathen.

#771 moodswing

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Geschrieben 17. Januar 2009, 18:36

In einem Fahrstuhl nach Paris

Bei meinen letzten Filmklassikersichtungen lange nicht mehr so eine herbe Enttäuschung wie The Maltese Falcon gesehen. Einer der Ur-Noirs, der zunächst gewohnt anfängt und nach einer Weile ausufert zu einem vollkommen inkohärenten Figurenbrei ohne Atmosphäre. Ich fing an mit meinem Kumpanen konsequent Fragen zu stellen über Noir, über Filmhistorie und die Einordnung eines allgemeinen Filmkanon. Über Schauspieltechniken, Schauspieler (Bogart wirkt hier so furchtbar gelangweilt und gesichtslos) und Inszenierungsstrategien. Die Filmsichtung war ein voller Erfolg, der Film aber machte mich letztendlich fast wütend.

Ein weitaus schönerer Noir ist allerdings Louis Malles Fahrstuhl zum Schafott. Großartig die Fließbewegungen des Films, die Stimmungsmache im besten Sinne. Die Verlorenheit in der Nacht eines dunklen Paris, durch das Jeanne Moreau verzweifelt, traurig, entseelt zieht, durch diese Nacht mit Miles Davis, der dem Moment die verlorene Schönheit gibt, das gibt dem Film soviel mehr Power als es ein vergleichsweise träg-fader Malteser Falke zu keinem Zeitpunkt zu schaffen vermag auszudrücken. Die Zerheckselung des Narrativen muss man in diesem Atmosphärenstück erstmal verdauen - die Nouvelle Vague blinzelt eben steht's ins Gesicht - aber die Konsequenz mit der alle Figuren in den gesellschaftlichen Suizid dank ihres geißelnden Egoismus getrieben werden ist beeindruckend. Das Niveau der Moreau-Szene beispielswiese hält das Werk zwar nicht durch, nichtsdestotrotz aber ist Ascenseur pour l'échafaud eine kleine Perle des Noir.

Arthur Penns Leinwand-Erstling The Left Handed Gun ist auch zugleich seine kleine Erzählung über Billy The Kid. Paul Newman braucht dafür nicht viel mehr als einmal durch seine schon im frühen Alter verkniffenen Augen zu blinzeln und drin ist man im Mythos. Man merkt dem jungen Penn noch eine leichte Unbeholfenheit an, vor allem was Figurenausgestaltung angeht, setzt der Film doch eine ganze Horde an Cowboys ins Bild ohne an ihnen so wirklich Konturen zeichnen zu können. Glücklicherweise fokussiert sich Einer muss dran glauben schlussendlich wieder vollends auf seinen Protagonisten und zeichnet Newmans Kid zwischen jugendlichem Übermut, Star-Narzissmus und der Einsicht, sich in eine ausweglose Tragik verrannt zu haben. In wunderbar theatralischer Gestik opfert sich der verlorene Held zugunsten eines anarchischen Rufes und des vogelfreien, kurzen aber wilden Lebens.

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Geschrieben 19. Januar 2009, 20:18

Der Opa und seine Enkel

Arthouseopa Wim Wenders lässt in Palermo Shooting doch tatsächlich Softrockergöre Campino durch kühlblaue Bilder marschieren. Ausgebrannt und vor dem Tod flüchtend geht's dem Artisten seelisch schlecht und wir müssen uns nun von ihm zwei Stunden lang existenzialistisches Gebrabbel vorheulen lassen. Der Mann steckt in der mid-life-crisis und das muss man dem Film lassen, in seiner bedeutungsschweren Leere findet er da irgendwie die richtigen, gedämpften Bilder. Aber dennoch, eine wahre Tortur, vor allem auch, weil diese küntlerische Selbstsuche vor italienischer Kulisse zum elitären Schmalz verkommt. Am Ende trifft Schmalspur-Schauspieler Campino den Tod (Dennis Hopper) und Wenders macht, was jeder anspruchsvolle Regisseur gerne mal inszenieren würde: Eine Konversation seines Künstlers mit dem Ewigen. Bringt in dieser stummen Welt aber nicht mehr viel, die Schwerenot hat bereits alles erdrückt.

Echt deutsches Befindlichkeitskino, bitterkalt, scheußlich bedrückend und schwermütig wie ein NS-Melodram ist Martin Gypkens Nichts als Gespenster. In diversen Kurzgeschichten prätendiert diese ihre Lockerheit und Filigranität nur behauptende Jugend-Mär einen wortkargen Symbolismus, als ob jede Sommerbrise schon ein Kunstwerk wäre. Den blauen Frabfilter gleich mitgedacht. Sowas wird heutzutage gern gesehen und ist wahrscheinlich tatsächlich so etwas wie "junges deutsches Kino" der nächsten Generation. Die vollkommene Leere im getrübten Bild lässt sich anscheinend besser aushalten als dem modernen europäischen Treiben gar nichts entgegenzusetzen zu haben. Und so werden die Prototypen der 30+ Generation in labile Geschichtchen verpflanzt, auf das die Bedeutungsschwere nur so zu sprießen vermag. Gestenkino, Blicke und ein Seufzen. Aber wo ist das Herz?

Oskar Roehler ist bekannt für sein exorbitantes Schwelgen im Emotionalen, auf das dieses schon in schlingensiefsche Verrücktheit transzendiert. Lulu und Jimi ist sein neues Werk - diesmal dezidiert auf positiven Gefühlen gegründet - und zeigt den Ausbruch eines schwarz-weißen Pärchens aus dem engen Deutschland der 60er Jahre im Aufblühen des Rock'n'Roll. Immerhin entgeht er hier der verlogenen Dramaumgestaltung seiner vorausgegangenen Filme zum gradwandernden Mumpitz zwischen Zynismus und deutschen Komödientum. Stattdessen wirkt sein Halb-Musical fast entfesselt freigeistig, wenngleich wie im Zwischenreich einer Daily Soap und eines stilistisch angedeuteten Gesellschaftsausbruchs versumpfend.

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Geschrieben 22. Januar 2009, 21:04

Jesus, Egos, Ufos

Auch wenn Keanu Reeves mal wieder als Jesusfigur inszeniert wird (hat er in Hollywood etwa mehr Macht als man das so im Allgemeinen schätzen würde?), das hier alles reichlich alttestamentarisch verhanebücht wird, und auch wenn die Öko-Message ziemlich platt daherkommt, fand ich The Day the Earth Stood Still nun doch nicht so furchtbar, wie es viele Kritiker in die Welt hinaus posaunten. Unnötig genug ist er freilich, auch nur sehr bedingt spannend, hat immerhin ein paar Schauwerte zu bieten. Dass in der Endabrechnung dann ausgerechnet auf dem Militärfriedhof klar wird, dass die Menschen ja vielleicht doch rettenswert sind (und ein Einsehen haben werden. Ein Simpsonsches HAHA bitte) kommt recht lächerlich rüber. Aber was soll's. Als Popcornkino taugt der Film.

Ebenfalls eindeutig zu viel Tamtam wurde und wird mal wieder dieser Tage um Tom Cruise Egotrip Valkyrie gemacht. Das einstmals so gehypte Duo Bryan Singer und Christopher McQuarrie inszenieren diesen Historienschmonzes von ruhiger Hand, lassen die Plot Points gekonnt kegeln und haben uns auch ansonsten nicht viel zu sagen. Cruise gefällt sich in der Rolle mit dem einen Gesichtsausdruck sicherlich selbst am Besten, (Achtung: Kalauer) liefert aber keine Bombenshow ab. Die Belanglosigkeit dieses Machwerks mag lediglich der Fakt untergraben, dass die Darstellung in gröbsten Teilen zum Heroenportrait gereift, und viel zu viel Wissen um die historischen Fakten unbenannt lässt, um den filmischen Seelenfrieden nicht zu stören. Wäre ja auch zu blöd einräumen zu müssen, dass der olle Stauffi auch nicht so ganz dem Typus weltrettender Sozialpädagoge mit Herz entsprach. Immerhin dräschen die Tatsachen doch letztlich so vehemnt auf den Film ein, dass seine Dramaturgie am Ende den Geist aufgeben muss. Die stilisierte Rettungsaktion findet ein jähes Ende und den Spannungsarchitekten Singer und McQuarrie bleiben nur die banalen Zahlen- und Textspielchen, die so einen Historienschinken ja immer beenden müssen.

Juhu, wo wir gerade bei Jesusfiguren im Kino und schon langsam bizarr werdenden Egoparaden sind: Der passende Film zum Karneval ist Seven Pounds! Will Smith ist sowieso mein Lieblingsjesus, und auch in diesem hochtrabenden und tiefschnäufenden Superdrama kommt alles so, wie es diese Grundprämisse bereits vermuten lässt. Smith hat Schuld auf sich geladen (yes, you can) und arbeitet diese narrativ geschickt verwoben ab. Der Märtyrertod steht ins Haus. Leben ist Leiden kommt zwar jetzt nicht direkt aus dem christlichen Duktus, aber Smiths in Stirnfalten gelegtes Gesicht sagt da vielleicht mehr als tausend Worte. Sieben Leben hält sich so lange bedeckt wie es geht und protzt dann hervor mit einem gewaltigen Kitschurknall, der tatsächlich die Behauptung forciert, man könne alles "Entseelte", Körperliche, Fleischliche, eins zu eins ersetzen, damit dann die Seele frei wird. Selten eine klarere Darstellung der christlichen Ideen von Beichte, Sünde, Hölle und Leiden im Leben gesehen. Wow. Respekt für soviel Scheiße.

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Geschrieben 28. Januar 2009, 08:08

Die Heimat vor Augen

Gänzlich unperfektionistisch kommt ein Film wie Heimatkunde daher. Martin Sonneborn - seines Zeichens Ex-Titanic-Chefredakteur streunert einmal rund um Berlin herum an der ehemaligen Grenze entlang und trifft eine Menge Ossis. Entgegen aller Warnungen ("Ossi-Hetze") erreicht der Film nicht einmal ansatzweise die Schärfe und Gnadenlosigkeit des Satire-Magazins, das er 5 Jahre lang betreute. Und das ist auch besser so, denn auf der abstrakten Ebene eines Magazins, dass kommentiert, aber nicht konfrontiert ist solch eine Taktik funktionstüchtig. In einer Filmform, in der die es konkreter wird muss ein zynischer Humanist, der Sonneborn ist, natürlich zurückschrauben. Ein Verrat an den, und ein bloßes Vorführen der Figuren wäre auch zu simpel und ungerechtfertigt. Und so macht Sonneborn aus der mit einfacher Digicam über der Schulter gefilmten Tour das beste, was er aus dem Situativen machen kann - einen nostalgischen Backpacker-Blick mit viel Melancholie. Sonneborn trifft auf einen einsamen Gärtner, der die Schnauze von den Menschen voll hat und nur noch zwischen seinen Pflanzen lebt - zusammen mit seinem Weggefährten, einem Dobermann ("Der ist nicht gefährlich. Ist ja kein Kampfhund oder so."). In einem verlassenen Waldstück trifft er auf einen auf Knien betenden Mann, der "dem Ungläubigen" zunächst wortkarg den Namen seines Gottes verweigert. Nach Anbetung ebenjenes rückt er dann doch damit raus. Sonneborn blickt auf alte Stasi-Urlaubs- und Erholungszentren und Hellersdorfer Plattenbausiedlungen und es kommt so etwas wie Mitleid auf. Nicht für "Ossis" an sich, sondern für ein Deutschland, das angesichts der Ruinen und der kaputten Menschen in ihnen durchaus ein Trauma zu durchleiden hatte. Sonneborns Doku zeigt die Narben, bleibt aber zwischen mildem Sarkasmus und melancholischem Lächeln zurückhaltend und pietätsvoll. Ganz wie bei einem tragischen Schicksal üblich.

Zum Ehrentag des ollen Achternbusch gab es vor ein paar Wochen ein paar Spiränzchen von ihm im TV zu bestaunen. Bei ihm ist's wie beim "Neuen Deutschen Film" so generell - wenn sie die Klappe halten, ist's noch am Erträglichsten. In I know the way to the Hofbräuhaus spart man der Worte viel und das tut dem damit zum weitaus weniger hysterischen Stummfilm mutierten Werk sichtlich gut. Eine Mumie wandelt durch München und wer schon mal da war, weiß, dass dies ein ganz stimmiges Bild ergibt. Der Rest ist teils konzentrierte Bildkonstruktion und das ist der Worthülsen-Experimente der Umstürzler in jedem Falle vorzuziehen. Gegenbeispiel hier: Picasso in München. Meine Frage: Wo wäre denn da München? Warum seh ich's nicht?

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Geschrieben 30. Januar 2009, 18:30

Großstadtwüsten, Nachkriegswüsten, Asphaltwüsten

Zwischen einem neuen amerikanischen, wilden und jungen Independent-Kino und dem sexuellen Selbstfindungstrip eines Adoleszenten brachte Gus Van Sant in seinem Debutfilm Mala Noche (1985) eine Jarmusch-alike schwarz-weiße Grobpixelei auf die Leinwand. Sein zielloses Road-Movie treibt in seiner Nonchalance vor sich hin und besteht auf seine Atmosphäre, die den jugendlichen Zeitgeist ausatmen soll. Die Arithmetik des gesellschaftlichen Verlorenseins durch extravagant kontrastierte Bildwelten ist eine einfache Rechnung, und wurde bereits Jahre vorher, zugleich markanter von Jim Jarmusch inszeniert. Van Sant fügt dem nichts Neues hinzu, sondern bestätigt nur die Klischees eines sich nach dem Zusammenbrechen des New Hollywood neu findenden US-Underground-Kinos.

Luchino Viscontis Neorealismus-Klassiker Rocco e i suoi fratelli (1960) bietet eine beinahe 3-stündige Tour de Force durch ein Familienkaleidoskop. Der sich zunächst auf die alltäglichen Lebensbedingungen im Nachkriegs-Italien fokussierende Film fängt eine unbeschwerte Zeitreise in eine Welt voller familiärer Nächstenliebe und engem Zusammenrücken ein, ganz wie man es vom Meister der Epoche Vittorio De Sica gewöhnt ist. Bei Visconti sind die Kinder zwar alle schon etwas älter, trotzdem bieten sich schmucke Szenarien eines mit naivem Auge folgenden Realismus. Umso mehr schlägt die zweite Hälfte zu, in welcher eine große Tragödie shakespearschen Ausmaßes durchgespielt wird. Schuld und Sühne, Liebe und Hass, Vergebung und Erlösung, das epische Mammut Rocco und seine Brüder bringt alles zusammen und verschmelzt es im Familienkolloseum.

Steven Spielbergs Debutwerk Duel (1971) war ein eigentlich für das Fernsehen abgedrehter, im Nachhinein sogar noch um 15 Minuten aufgemotzter "Eventmovie", wie es das deutsche Privatfernsehen heute nennen würde. Dabei zeigt der Reißer bereits an, was Spielberg so drauf hat. In seinem Flucht-Spektakel, dass plotlinienmäßig mit einem "Truck jagt Mann" schon recht gut umrissen ist, bietet der noch frische Regisseur ein gradliniges Suspense-Szenario, das geradezu körperlich an den Rezipienten geht. Hervorstechend sind die Konnotationen des Duells: Es geht um männliche Potenz, um das "sich beweisen müssen", in diesem Fall in einer Straßenwüste, also praktisch nur vor sich selbst. Unser Protagonist scheint keine gut laufende Beziehung zu haben, soviel bekommen wir mit. Seine Männlichkeit stellt er in hektischer, auch innerlich gehetzter Manier selbst in Frage. Das Paranoiagefühl, ein intelligent bebildertes, dazu die Heimatlosigkeit des unzufriedenen Fahreres - Duell öffnet einige interessante Ebenen. Der David vs Goliath Hahnenkampf endet trotz vermeintlichem Happy End in einer melancholisch-traurigen Stimmung, unser Protagonist sitzt im Morgengrauen am Abhang.

#776 moodswing

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Geschrieben 02. Februar 2009, 10:38

Tapfere Männer, kecke Mädchen

David Mamet bemüht sich immer wieder um ziemlich eigenwillige Stoffe, so dass sich zumindest in Genre- oder Storyebenen kaum eine Handschrift erkennen lassen kann. Der Politthriller Spartan beispielsweise könnte auch von einer Hohlbratze gedreht worden sein, so denkt man streckenweise angesichts der beinahe lächerlichen Drehbuchkonstruktionen und Plotwendungen, die uns der Film verkaufen will. Und trotzdem entsteht ein Sog - zugegebenermaßen auch stark gefördert durch die grandiose Musik von Mark Isham. Diese existenzialistische Figurenferne, die uns das Werk aufträgt wird zum seltsamen Moment, der einen Film unerklärlich gut macht.

Ebenso ein in der Theorie dämlich konstruiertes Stück Film ist The Jacket von John Maybury. Allerdings ist diese sich für besonders klug haltende Mystery-Melange ein außerordentliches Ärgernis. Vollkommen over the top wichst sich der Film einen auf seine ach so schlaue Narrativik und übersieht neben seinen Figuren (unglaublich: Adrien Brody und Keira Knightley gaben sich her für den Humbug) auch die desolate Inszenierung. Handwerklich ein Desaster, und da es bei diesem Science-Fiction-Verschnitt nach dem scriptschen Plotchaos letzten Endes nur noch darauf ankommt, fällt The Jacket in allen Belangen komplett durch. Die hinten angeklebte Moral-von-der-Gschicht setzt dem Machwerk dann die Krone auf.

Normalerweise meide ich ja Teen-Komödien, den massiven Kassenerfolg Wild Child aus den USA hielt ich dieses Mal aber tapfer durch. Erstaunlich, was solch eine an die peer group gerichtete Pupertätsgranate so alles propagiert. Neben den auch in Alt-Herren-Filmen gerne gesehenen Themen wie Loyalität und Aufhebung des Klassendenkens (Denkfehler hier schon: Solches gibt es im Internat doch schon automatisch) reden wir hier von Emanzipation und Ablösung. Das dann aber nur, um am Ende in das Steinzeitdenken einer Cheerleader-Choreografie zurück zu fallen, um - tata - den Jungen des Vertrauens zu bekommen. Na, wenn das nicht mal fortschrittliches Denken ist!

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Geschrieben 05. Februar 2009, 17:50

Fantasy Film Fest 2008 # 1

Besser viel zu spät als nie. Eine kleine Nachbetrachtung des Fantasy Film Fests des letzten Jahres, denn 8 geschlagene Tage im Kino zu sitzen ohne daraus dann ein wenig Wortsalat zu basteln ist ja doch ein wenig unverschämt.

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Ein dezenter Hinweis genügt - mancherlei Filme sah ich bereits im Vorfeld - Shiver und Transsiberian auf der Berlinale, The Art of Negative Thinking gesondert, Waltz with Bashir nun bereits ein zweites Mal.
Zur Waltz Sichtung auf dem Filmfest aber noch soviel: Ich hatte das grandiose Unglück hinter mir zwei höchst uninteressierte, filmapathische und unsensible Zeitgenossen im Rücken zu haben. Wer den Film kennt weiß ja, das die Endsequenzen Magengrubenschaufeln der heftigen Art sind. Wer diesen Bildern nun zynischst manipulative Wirkung zuschreibt oder sie gar den kompletten Film verneinen sieht, der würde damit wohl kein Problem gehabt haben - die beiden Herren hinter mir tauschten sich jedenfalls eifrigst über ihre Abendgestaltung und Zeitpläne aus und, obwohl ich ein Verfechter eines gelassenen Umgangs miteinander im Kinosaal bin (Böse Blicke bringen mich meist zum Schmunzeln), war das doch zuviel des Schlechten. Blöd nur, dass einem ja gerade die Spucke, als selbstverständlich auch die Worte wegbleiben in solch einem Moment.

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Enttäuscht ist man in solchen Situationen vom Menschen an und für sich. Fragen drängen sich auf. Warum geht der Großteil des Volkes eigentlich ins Kino, wenn die Sensibilität für Kunst gleich null ist? Kino gilt heutzutage als Beschäftigungsangebot gleich neben ins Freibad gehen und Eis essen. Jeder tut's. Schön ist das, und doch befremdlich, weil so viele Laien hineinströmen in die Säle und irgendwie stets "einen anderen Film schieben" als derjenige, der dort gezeigt wird. Oder irgendwie nur verdutzt sind und mehr als den Inhalt und ein "irgendwie interessant" dazu nicht abgeben können. Zu Hause wartet ja auch wieder der Abwasch und der Film ist schneller vergessen als politische Missetaten von hochrangigen Amtsträgern.

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Aber glücklicherweise gibt's ja auch Ausnahmen. José aus Mexiko ist eigentlich Informatiker und gibt seine gesamte Freizeit und das gut verdiente Geld für Filme und Kino aus. Wir schauen gemeinsam The Midnight Meat Train. Ein Film, wie er auf dieses Festival gehört. In schicker Videoclipästhetik ("Jeder shot ein Foto!") und Game-Optik verfolgt Butcher Vinnie Jones unseren Protagonisten, der sich als Fotograf seinem Objekt der Begierde annähert, und diese Tatsache am Ende auch den Trieb zur dunklen Seite überstrapazieren lässt. World's gonna mad. Und dem Individuum kann's ob seiner aggressiven, zivilisatorisch verdeckten Aura nur recht sein. Zuvor erstrahlt der Butcher im hellen Licht der kleinen Kamera. Als Mittelpunkt gefällt er sich, obwohl das Spiel für beide Seiten doch so gefährlich ist. Voyeurismus gehört eben zum menschlichen Geschäft. Auf der Strecke bleibt da nur die Liebe zum holden Weibe, dass es hier ausnahmsweise einmal nicht schafft den Mann in die heilere, warme Welt zurückzuführen. Stattdessen wird sie anal penetriert und am Ende umgebracht. That's life.

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Ryûhei Kitamura inszeniert diese oldschoolig anmutenden Blutleckerei ziemlich postmodern, doch das trägt nur zur angenehmen Kurzweil bei. Der Film ist ein wirklich süßer Bastard und feinste Genrekost. Das konnte man von vielen anderen Slashern und Blutklauberern nicht sagen. Der amerikanische XII stellte sich beispielsweise als Rebell in Turnschuhen heraus. Billigste DV-Ästhetik und ein dramaturgisches Desaster auf dem Niveau einer Daily Soap. Auch der Minimal-Versuch Shuttle leidet an einer zerfahrenen Grundausstattung. Ein schmächtiger Busfahrer kidnapped 5 Jugendliche im Shuttlebus. Und die kommen da nicht frei? Das Ende und sein hübsches Anliegen retten den Film nicht mehr, machen ihn aber zur immerhin besseren DV-Kost. Und nochmal Australien: Dying Breed ist ein gradlinig haushaltender Backwood-Slasher. Immerhin keine "Ich zeig dir mal wie Low-Budget ich bin, Digger" Nummer. Dafür aber auch nicht wirklich inspirierend.

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Geschrieben 13. Februar 2009, 13:48

Fantasy Film Fest 2008 # 2

Wenn sich das Fantasy Film Fest noch immer als vornehmliches Genrefestival versteht, dann erwartet man allerdings auch den einen oder anderen wirklich anständigen Beitrag vor die Augen zu bekommen. So ganz Aussieben lässt sich bei 70 Filmen der Schrott ja nie, aber umso größer ist die Freude, wenn dann mal wieder eine kleine Perle reinster Genreliebe an Bord ist. In 100 Feet spielt Famke Janssen eine frisch frei gekommene Frau, die eine Weile im Knast saß, weil sie ihren brutalen Cop-Ex-Mann umbrachte. Der trachtet ihr im alten Ehe-aka-Spuk-Haus nach dem Leben und dumm nur dass sie die Auflage hat sich nicht weiter als 100 Fusslängen von eben diesem zu entfernen. Neben dieser Panic Room meets Geisterhaus-Geschichte ist 100 Feet auch ein großes Stück Geschichte über Trauma und Traumabewältigung. Die erste Einstellung gleitet alsdann von einem Riesenfriedhof zur New Yorker Skyline, selbstredend ohne die beiden Türme. Da heutzutage kaum mehr ein Film ohne eine starke Frauenfigur auskommt, sehen wir Milf Janssen kämpfen ("This is my house!"), sich ein Post-Noirsches Spielchen mit dem Ex-Partner ihres getöteten Ehemanns Bobby Cannavale liefern und als "next step in life" den Nachbarsjungen verführen. Dessen Todeskampf mit dem gehörnten Geist des Hauses gehört auch zum Eindrucksvollsten und Brutalsten, was ich dieses Jahr auf der Leinwand zu sehen bekam. Das feurige Ende von Eric Reds Grusel-Mix ist dann zwar etwas over the top, aber das stört nicht mehr nach 100 Minuten bester Unterhaltung.

+++

100 Feet sollte man sich beim diesjährigen Festival auch nicht vom Gelände wagen, denn was einen da hinter dem Kinopalast erwartete war der passende Grusel zum im Kino dargebotenen. Überall existieren ja die "urban legends" über die Wäldchen, in welchen Homosexuelle sich wortlos und zumeist unverabredet zum rein körperlichen Liebesakt treffen. Ich nun meinerseits gehe in den Pausen zwischen den Filmen gerne ein wenig frische Luft schnappen und da ist der Park hinterm Kino geradezu perfekt geeignet. So kam es dann auch, wie es kommen muss und ich konnte interessanten Schauspielen beiwohnen. Nicht falsch verstehen, man lasse jedem seine schmutzigen kleinen Geheimnisse. Nur, umso häufiger und umso länger man dort sitzt, desto größer die Wahrscheinlichkeit ungewollt bald selbst Teil der Vorgeplänkel zu werden. Raus in den Busch, rein in den Busch, wieder raus und nochmal gucken ob der junge Mann auf der Parkbank (moi) nicht doch mit in den Busch will. Höhepunkt war dann ein älterer Herr, der es schaffte innerhalb von 5 Minuten acht Mal an meiner Bank vorbei zu gehen mit klaffend großen, geifernd gaffenden Augen. Erst ein "Nee, danke" meinerseits konnte die Szene dann auflösen. [CDU-Modus on]Nicht mal im Park hat man mehr seine Ruhe vor diesen Gestalten[CDU-Modus off]

+++

Ein weiterer von mir mit freundlichem Lächeln bedachter Zeitgenosse war der Opener Eden Lake, der das Festival zugleich gebührend einläutete. Nachdem der Film von allen erdenklichen Seiten ja gebasht wurde, musste ich schon meine Stirn runzeln, die Verrisse allerorten konnte ich aber kaum nachvollziehen. James Watkins Backwood-Horror ist ein kleiner, äußerst pessimistischer Genrefreund, der das in England aktuelle Thema der Jugendgewalt thematisiert und gleichzeitig die Frage aufwirft, wer denn hier Angst hat vorm "white trash". Anstatt nun aber die bösen Kids gegen die guten Urbanistas abzugrenzen, greifen diese - ganz dem klassischen Revenge-Motiv - selbst zur Brutalität als Gegenmittel. Tier bleibt eben Tier und die zivilisatorischen Errungenschaften bleiben auf der Strecke. England bleibt sprichwörtlich im Reifen stecken und wird von überbordendender Gruppenaggression zunichte gemacht - das schwächste Glied in der Gruppe der Jungs wird von diesen mit Benzin übergossen und verbrennt. Unter dem tierischen Schild der Aggression strukturieren sich Hierarchien. Wie bei 100 Feet braucht es dann hier auch die starke Post-Feministin, die ihren im angriffslustigen Akt für das Desaster verantwortlichen Mann blutig verteidigt. Das Ende ist dann nochmal ein brachial-pessimistischer Draufhauer und lässt auch die 20 Liebeskitsch-Minuten aus dem Mittelteil vergessen, welche den Film kurzzeitig aus der Bahn geworfen haben.

+++

Und noch ein Genrefilm der stärkeren Sorte: The Strangers ist ein Terrorfilm par exellence. Pärchen wird im Haus von drei maskierten Unbekannten beobachtet und dann gemächlich nach und nach verängstigt. Feinstes Affektkino, in welchem nach sich Zeit nehmendem Spannungsaufbau der Hammer vollends zuschlägt. Bryan Bertinos Film lotet geschickt sein Raumgefüge (Haus, Vorhof, Wald) aus und spielt mit der nötigen Eleganz aus Zeigen und Nicht-Zeigen mit den Unsicherheiten seines Publikums. Affektkino, die Zweite - Hush - Ein ebenso gelungener Genrevertreter wie The Strangers mit den gleichen Schwächen, über die man hinwegblicken muss. Eine kleine - leicht Dueleske - Abhandlung über menschlichen Egoismus, die gegen Ende aber nicht vertieft wird. Den Erwartungen aber durchaus gerecht werdend.

#779 moodswing

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Geschrieben 18. Februar 2009, 19:04

Fantasy Film Fest 2008 # 3

Talking about Trash: Wenig Gutes gab es da zu berichten. Gefallen hat der überschwenglich-überbordende 36 Pasos aus Argentinien. Ein Low-Budget-Digital-Sonnengemüt, dass zwischen funktionsuntüchtigem Slasher, blendend gelaunter Daily Soap und Softsexsatire seinen ganz eigenen Weg geht. Nichts als ungewollter Trash war für meine Begriffe auch der zweite Opener des Festivals in meiner Stadt An Empress and the Warriors. Der Chinese ist ein hochkitschiger, pathetischer Low-Budget-Hochglanz, der die ewige Liebe, Heldenverehrung und Stolz herausstellt und dabei primitiv zwischen kinderfreundlichem Familienfilm, Bollywoodkitsch und Hollywoodpopanz tänzelt, dass es vor unfreiwilliger Komik nur so spritzt. Ein ganz unorigineller Versuch das zu toppen machte It's Alive, ein furchtbar biederer und lahmer Fötenhorror, der nach 70 Minuten Langeweile - wohl vor allem aus eigenem Unvermögen - erst entscheidet trashig zu werden. Na dann, Prost Mahlzeit. Einer, der es da schon ernster meint mit seinem Spassfaktor ist Dance of the Dead, Kinderquatsch mit Michael für die Nachtschiene, in Ironie getunktes Klischeetheater. In die gleiche Richtung streckt sich der Niveau-Bungee-Athlet The Rage. Und dann noch Grütze ohne Geschmack: Lady Blood, furchbarer mit Gore versetzter Krimi auf Tatort-Niveau. Kommt davon, wenn man einen Film einlädt, den das Festival selbst vorher nicht gesehen hat.

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Kommen wir zum gehobenen Trash. Jack Brooks: Monster Slayer. Durchaus mit anzusehen, wie die Monster im Schulflur zur Strecke gebracht werden. Hat immerhin keinen "Haha"-Anspruch, den er dann nicht einlösen kann, sondern will nicht mehr sein als nette Actionunterhaltung. My Name is Bruce - Naja, vielleicht noch so ein wenig rustikaler Charme, aber eigentlich leider nur ein laues Lüftchen. Der andere Selbstreferenzo, von dem das ganze Festival sprach und der dann final auch den Fresh Blood Award mit nahm: J.C.V.D. Jean-Claude van Damme im Dickicht seines eigenen Mythos. Präsentiert und einen nicht so ganz stimmigen Mix aus Gaunerkomödie und selbstreferentiellem Trockenhumor, wobei Zweiteres funktioniert und den Film goutierbar macht. Van Dammes improvisierter Monolog in der Mitte des Films kann in seiner offensichtlichen Ehrlichkeit als Aufrichtigkeit gesehen werden. Die Aufmerksamkeit haben sie sich verdient, unsere Muscles from Brussels.

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2 Filme außer Trashkonkurrenz: Dario Argentos Mother of Tears Meinte ich der Monster Slayer wäre der beste Trash des Festivals? Falsch, natürlich ist Argentos okkulter Kindergrusel noch amüsanter. Höhepunkt: Udo Kier als der Geistliche Johannes. Hab zugunsten einer etwas günstigeren Nahverkehrsanbindung dennoch auf die letzten 20 Minuten verzichtet. Sorry, Dario! bis dahin aber schon unvergleichlich. Dem obszönen Assi-Brett Mum & Dad hingegen fieberte ich wild entgegen und wurde enttäuscht. Leider zu uninspirierte Umsetzung eines Themas aus dem man mehr hätte machen müssen. Manchmal einfach nur auf billigen Effekt (=Ekel) setzend, versuchen die Macher sich an einer Satire - ein Vorhaben, welches nur streckenweise gelingt - und befördern damit auch die Distanz zwischen Figuren und Zuschauer. Am Ende bleibt nicht mehr als der Eindruck eines bizarren Low-Budget-Meuchlers im Stile eines Neighborhood Watch vom FFF 06.

#780 moodswing

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Geschrieben 24. Februar 2009, 14:58

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Zombie Holocaust - Zombies unter Kannibalen
Schöner Splatterreigen, voll mit schiefem Humor und blutigem Allerlei.





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