The retina of the mind's eye
#331
Geschrieben 08. Oktober 2008, 18:09
#332
Geschrieben 08. Oktober 2008, 19:23
#333
Geschrieben 08. Oktober 2008, 19:23
Vor kurzem erschien Kusturicas neuer Film bei Kinowelt auf DVD und abermals ist es ein Werk von bezaubernder Schönheit, unvergleichlichem Humor und gleichermaßen sarkastischer wie liebevoller Kritik an Land und Landsleuten geworden. “Versprich es mir!” ist eine synästhetische Meisterleistung. Die Musik, die Farben, die Kameraperspektiven und nicht zuletzt die Ungezwungenheit der Darsteller und ihrer Figuren stapeln die Lebensfreude meterhoch. Alle paar Jahre braucht es solch einen Film - und dafür gibt es Emir Kusturica.
#334
Geschrieben 08. Oktober 2008, 19:24
In “Das letzte Loch” hatte Achternbusch ja bereits gezeigt, dass Politik in seinen Filmen kein bloß lokales und historisch begrenztes Phänomen ist. “Hades” nun stellt die Frage nach der Kontinuität des Faschismus in der westdeutschen, vor allem der bayrischen Gesellschaft.
Hades, gespielt von Herbert Achternbusch, ist Sargverkäufer, der sich auf Sondermodelle mit Rundherumservice (etwa Suppengerichten) spezialisiert hat. Er ist Überlebender des Warschauer Ghettos, sein Vater ist im Krieg gefallen, seine Schwester und seine Mutter beim Holocaust ermordet worden. Doch Hades ist als Jude auch heute nicht sicher: Sein Sarglager wird bei einem antisemitistisch motivierten Anschlag gesprengt, durch München marschieren Banden von Neo-Nazis und diejenigen Einwohner, die nicht sichtbar “Farbe bekennen”, machen dennoch mit den Neo-Nazis gemeinsame Sache. Ja, selbst die Trachtenvereine haben wieder den Stechschritt in ihr Marsch-Repertoir aufgenommen. Als Hades meint, eine seiner Sekretärinnen gesehen zu haben und ihr nachläuft, stößt er auf eine Gruppe Neo-Nazis, sticht sie nieder, wird dann aber von einem Passanten, der mit den Schlägern gemeinsame Sache macht, “gesteinigt” und stirbt. Im Epilog sehen wir Hades auf einer Klippe bei dem Versuch in einen Sarg zu springen. Er verfehlt sein Ziel und bleibt am/im Leben.
Die Analyse, wenn man sie denn so nennen will, ist natürlich in ihrer Radikalität übertrieben. Aber die Wahrnehmung, die dahinter steht, muss man Achternbusch schon glauben. Gerade zur Entstehungszeit des Films war das Thema Fremdenfeindlichkeit und Asylrecht wieder in aller Munde und letzeres erfuhr vor allem durch bayrische Initiativen Verschärfungen. Achternbusch belässt es freilich nicht beim Analogisieren von Neo-Nazis und Trachtenträgern, sondern wirft einen Blick zurück:
Die fiktive Biografie seines Hades koppelt er an das Schicksal der Juden im Warschauer Ghetto und zeigt erschütterndes Archiv-Material, das seinerzeit von der SS aufgenommen wurde: Der Abtransport und das Verscharren von verhungerten Menschen in all der Nüchternheit, mit der dem Tod damals begegnet wurde. Kaum ein passant interessiert sich dafür, wenn leblose, teilweise nackte Menschenkörper auf den Straßen herumliegen. Achternbusch erzählt die Kindheitsgeschichte seines Protagonisten in dieses Setting hinein, basiert darauf dessen Interesse, Bestattungsunternehmer zu werden und unterlegt den beinahe 20-minütigen Film im Film mit fröhlicher Zither-Musik, während er immer wieder die Leiche eines Verhungerten auf einer Blechrutsche ins Massengrab schlittern lässt.
Doch Hades ist selbst nicht totzukriegen. Wie das Schlechte Gewissen der Gesellschaft, verfehlt er seinen eigenen Sarg und feiert wiederauferstehung. Sein Geist lässt sich nicht in einer leeren Zigarrenschachtel einschließen und entflieht. Achternbusch arbeitet hier seine Erfahrungen mit dem Buddhismus und Hinduismus ein, unterlegt Sequenzen mit Sitar-Musik, nutzt Leitmotive (wie etwa das der Zigarette und des Rauchens), Farben (besonders Blau wird ihm zur Farbe des Todes) und die Wiederholung von Sequenzen und Handlungen dazu, die Wiederkehr zu konstatieren. Hier eine Kultur der Vergänglichkeit und des Todes dort eine der Wiederholung und des zum ewigen Leben Verdammtseins (Hades ist ja letztlich nichts anderes als der ewige Jude Ahasver).
Schön war, dass Irm Herrmann einen Gastauftritt hatte und die morbide Ausstattung des Hades-Todescenters (oder “Tötungsinstituts”, wie eine Mitarbeiterin sagt). Achternbusch selbst mit einer wilden Zopffrisur und einem witzigen Totenschädel-Hemd, ständig mit einem Sarg-Modell spielend, in dem ein kleines Gerippe immer wieder (!) auftaucht und verschwindet.
#335
Geschrieben 08. Oktober 2008, 19:25
#336
Geschrieben 08. Oktober 2008, 19:25
#337
Geschrieben 08. Oktober 2008, 19:26
Mix Wix ist Besitzer des gleichnamigen Kaufhauses in der Münchner Innenstadt. Er hat sich auf Socken und Badehosen spezialisiert, um den internationalen Bedarf an diesen Textilien zu decken. Nun will er eine Etage aufstocken und benötigt dazu die Zustimmung der Münchner Stadtverwaltung. Um seinem Anliegen Nachdruck zu verleihen, begibt sich Mix Wix auf das Dach seines Kaufhauses, hört auf zu sprechen und wartet dort auf die Entscheidung, während seine Mitarbeiter den Laden am Laufen halten. Nach und nach besuchen ihn dort seine verschmähte Ehefrau, seine Geschäftsführer “Geschäftschen” und “Das Geschäft”, der Leiter der Mode-Abteilung, sein Bodyguard und seine “Rechte Hand” (Alfred Edel!) Unterbrochen wird Die Erzählung auf dem Dach durch Erinnerungsfragmente, die das Leben Mix Wix’ bis zu seinem Aufstieg aufs Dach zeigen. Zuletzt wird Achternbusch der Anbau verwährt und er entscheidet sich nach einem sozialistischen Plädoyer seiner Lieblingsmitarbeiterin, das Kaufhaus seinen Angestellten zu überschreiben. Die inszenieren in der Schlussszene eine kleine Choreografie für ihn auf dem Kaufhausdach.
Die achronologische Erzählweise schafft beinahe so etwas wie Plastizität in den Figuren, über die man immer mehr erfährt. Natürlich ist es Achternbusch auch hier keinen Deut um das Erzählen eines Plots gelegen. “Mix Wix” ist genauso brüchstückhaft, wie die übrigen Filme. Vielmehr nutzt Achternbusch die Gelegenheit von Setting und Figuren, um den Kulturbetrieb der Stadt München und des Landes Bayern zu kritisieren: “Wie kann man nur so von der eigenen Dummheit beseelt sein wie das bayrische Volk?”. Zudem sind in “Mix Wix” auch Auseinandersetzungen mit der Umweltverschmutzung zu finden. Highlights des Films ist das Ballspiel zwischen Alfred Edel, dem Schwarzen (in der Montur des späteren Hick) und der Gespielin Mix Wix’ sowie die skurrile Sex-Szene zwischen Achternbusch und Annamirl Bierbichler, die man zu hören, nicht aber zu sehen bekommt und die auf den Schornsteinen eines Hausdaches endet. Und natürlich jene Traumsequenz, in der Alois Hitzenbichler mit nichts anderem als einer Vogelfeder zwischen den Arschbacken bekleidet ist.
#338
Geschrieben 08. Oktober 2008, 19:26
Der Film beginnt, wie “Mix Wix” endet: Hick sitzt auf dem Dach eines Hauses in der Münchner Innenstadt. Unten wird gerade eine Stadtführung für Tibetaner veranstaltet, in der die Stadtführerin München als Ort den Kulturraubes darstellt. Hick ist von Beruf Schornsteinfeger. Seine Familie will nichts von ihm wissen. Seine Frau, die Professorin und Nonne in einer katholischen Mädchenschule ist (im Klassenzimmer steht ein gekreuzigter Asylbewerber, “damit er nicht abgeschoben wird”) und seine Tochter Su, die Schriftsteller-Ambitionen hat, leben zusammen mit einem Untermieter. Dieser hat es auf Su abgesehen, sie entschließt sich jedoch, als die Kirchensteuer abgeschafft und die Mutter von Arbeitslosigkeit bedroht wird, mit ihrem Vater nach Tibet zu gehen. In einer langen Sequenz im einer Schankwirtschaft (Achternbusch überschreibt deswegen “Ab nach Tibet” mit “Ein Wirtschaftsfilm von Herbert Achternbusch”) bekennt sich Su zu ihrem Vater - mehr noch: gibt zu, ihn zu lieben und ihm überall hin als sein Schatten zu folgen. In einer langen Traum- oder Erinnerungssequenz wird beschrieben, wie Hick die Kleidung seiner Frau und Su den lästigen Untermieter loswerden. Es gibt eine Schießerein im Englischen Garten (die wiedereinmal zu keinem Ergebnis, vor allem keinem Toten führt) und Hick und Su sind frei.
Dann folgt ein zweiter, etwa dreiviertelstündiger Teil, der mit “Die letzte Illusion” betitelt ist und den Untertitel “Ein Autorenfilm von Herbert Achternbusch” trägt. Hick und Su (als sein Schatten) sind in Tibet angekommen. Sie assimilieren sich dort unter den Gläubigen, doch Hick wird für seine Su immer unnahbarer. Schließlich droht sie, die mittlerweile als chinesische Schattenspenderin hinter ihm herläuft, ihn zu verlassen. Sie erzählt die Geschichte von Hick, der den Namen “lachender Fluss” trägt und immer schon in Tibet ist.
Es ist vor allem die Auseinandersetzung mit dem Buddhismus, die “Ab nach Tibet!” bestimmt. In kaum einem anderen Achternbusch-Film findet sich eine derartig intensive ästhetische Annäherung an diesen Glauben oder das, was der Regisseur daraus in sein Weltbild importiert hat. Ein intensives Spiel mit Farben, mit Musikstilen und endlosen Sequenzen und Plansequenzen voller Monologe bestimmt den Charakter von “Ab nach Tibet!” Dabei ist der Film keineswegs theistisch: “Wer an Gott glaubt, den wird der Teufel holen”, spottet Hick und allein der gekreuzigte und mit den BHs der Schülerinnen behängte Schwarze im Klosterschulen-Klassenzimmer und der Striptease Annamirl Bierbichlers, die nach “Das Gespenst” wieder eine Nonne spielt, zeigen abermals, wie Achternbusch zum Katholizismus steht.
#339
Geschrieben 08. Oktober 2008, 19:26
Der vorerst letzte Film in meiner kleinen Retrospektive zur Recherche eines Geburtstagsartikels für “epd Film”. “Ich bin da, ich bin da”, war der allererste Achternbusch-Film, den ich eimal gesehen habe. Das muss etwa 1993 gewesen sein, anlässlich einer kleine Retrospektive im ARD-Fernsehen. Und vielleicht bin ich nur seinetwegen überhaupt weiterhin interessiert an Achternbusch gewesen, denn dieser Film nähert sich erstmals an so etwas wie einen “Plot” an. Erzählt wird die Geschichte Professor Hicks und seines Assistenten Chester. Letzterer will seine Mutter, die Gräfin Donna Konquistadora besuchen, denn es jährt sich der Tag, an dem der Geist ihres verstorbenen Ahnen aus seinem Bild springt und sich erkundigt, ob noch Indios leben. Die Gräfin, schon leicht alternd und aus Steuergründen gelegentlich ihren eigenen Tod inszenierend, wartet auch dieses Jahr nicht vergeblich auf das Auftauchen des Indianer-Hassers. Nur ist sie nun nicht allein, sondern Hick, Chester und eine Gruppe Studentinnen, die sich im Auto versteckt hatten, sind mit dabei - ebenso wie eine Katholische Priesterin (gespielt natürlich von Annamirl Bierbichler). Zusammen will man dem Gemetzel des Konquistador ein für alle Mal Einhalt gebieten.
Achternbusch gibt in “Ich bin da, ich bin da” seinen ganz eigenen “Glückwunsch” zur 500-Jahrfeier der Entdeckung Amerikas und verbindet dies noch mit einer recht amüsanten Kritik an der akademischen Philosophie. Während Chester als Assistent Professor Hicks (der sich selbst als Zukunftologe ausgibt) noch bemüht ist, Lehre zu veranstalten, stellt sich Hick einfach auf den Kopf. Die Affen-Theorien seines Assistenten sidn bei ihm bereits in die Praxis umgesetzt und vielleicht ist das auch der Grund, warum der Konquistador ihm zum Schluss nichts anhaben kann. Er schlägt ihm mit dem Schwert den Kopf ab, der vom Hausmädchen kurzerhand wieder aufgesetzt wird. Überhaupt ist die Physiologie Hicks etwas Besonderes: In einem Café (ich vermute, es ist das Café, dass am Münchner Filmmuseum angeschlossen ist) geht ihm, als die Belegschaft ein Frontlied singt (das muss man sich vorstellen: Ein Mädchenchor schmettert: “Ich hab den Kopf in Stalingrad verloren …”), die Luft aus dem Kopf auf und der Assistent muss eine Pumpe herbeiholen, um seinen Professor wieder aufzufüllen.
Bemerkenswert ist die ausgefeilte, hasserfüllte Rede des zurückgekehrten Konquistador, dessen einzige Sorge während des Genozids an den Indios, der Rost seiner Rüstung, verursacht durch das spritzende Blut ist. Achternbusch reiht die Konquista in eine Chronologie der Verbrechen des Christentums (die er den Butler der Gräfin im Hintergrund aufsagen lässt) und lässt seine Priesterin die hingemetzelten Familienmitglieder segnen und Goldbarren, die diese bei sich führen, stehlen. Die Piranhas im Amazonas, an die man die Indios verfüttert hat, als “heilige Theologen” zu bezeichnen, ist dagegen schon beinahe euphemistisch. Ach ja, das dürfte auch der einzige Achternbusch-Film sein, der sich neben der - zugegeben wie immer berauschenden - Flöten-, Digeridoo- und Sitar-Musik auch der zeitgenössischen Pop-Musik hingibt. Thematisch passend hören wir, als Hicks Auto von innen zu brennen beginnt, Bob Segers “Fire inside” und zum Abschied, als Hick, die Gräfin und die Chormädchen den Pickup besteigen, Clouseaus “Close Encounters”.
#340
Geschrieben 08. Oktober 2008, 19:27
Serienmord als soziale Konstruktion - einmal wörtlich genommen: In der Nähe eines Internats wird die Leiche einer Schülerin tot aufgefunden. Ein paar gelangweilte Mitschüler entwerfen darauf hin eine Geschichte, nach der ein Serienmörder den Ort heimsucht. Sie beschreiben ihn, seine vergangenen und künftigen Opfer. Und dann passiert es: Das zuvor Beschriebene wird Realität. “Cry_Wolf” hätte ein sehr interessanter Serienmörderfilm sein können, wenn er diese Idee ausgebaut hätte, denn letztlich ist der Serienmord, “den wir kennen” ein mediales Konstrukt aus archetypischen Details. Aus diesen Details besteht auch der Täter und seine Tatgeschichte. Blöderweise gibt es noch eine zweite Ebene der Konstruktion, und zwar die des Plots. Was dies angeht, ist “Cry-Wolf” ein Ärgernis sondergleichen, denn weder die Figuren noch die Erzählung sind besonders plausibel. Es wird überreagiert, konstruiert und letztlich ein Plotgerüst entwickelt, das zwangsläufig einbrechen muss im finalen Plottwist. So viel Wohlwollen, das Schlechte als das dissimulierte Gute wahrzunehmen (wenn alles ein Fake ist, ist Konstruiertheit ein Indiz) zu sehen, konnte ich leider nicht aufbringen.
Die Blu-ray von e-m-s ist ein Trauerspiel. Keine Extras, kein Start-Menü. Das Bild - vor allem in den dunklen Szenen - körnig. Wenn das der Grund für den Preis von unter 20 Euro ist, hätte ich doch lieber wieder 30-Euro-Blu-rays!
Mehr bei F.LM.
#341
Geschrieben 08. Oktober 2008, 19:28
»Der ist ja größer als ich!«
#342
Geschrieben 12. Oktober 2008, 11:28
“Wie auf Beißenstein das Ketchup auf die Hot Dogs kommt”
#343
Geschrieben 14. Oktober 2008, 17:12
#344
Geschrieben 17. Oktober 2008, 15:52
Dass es Shyamalan hier so perfekt gelingt, den Bruch als plausibel darzustellen und nicht bloß als erzählerischen Trick, liegt an der Homologie von Film-Erzählung an sich und dem Plot von “The Sixth Sense”. Schaut man sich einen Film aus der Frühzeit des Kinos an, dann sieht man höchstwahrscheinlich ausschließlich mittlerweile tote Menschen. Dieses an sich unheimliche, auf den zweiten Blick jedoch tröstliche Phänomen hat Roland Barthes anhand einer Fotografie seiner verstorbenen Mutter in “Die helle Kammer” beschrieben. Speichermedien sind immer schon dazu verdammt, Geister zu beherbergen. Sie werden dadurch zu “Medien” in der zweiten, quasi okkultistischen Bedeutung. Sie versorgen uns mit einem (Über)Sinn, der uns die (wortwörtliche) Vergangenheit nicht bloß erinnernd vor dem geistigen Auge rekapitulieren lässt, sondern sie vor die physischen Sinne zitiert. Von dieser Eigenschaft erzählt “The Sixth Sense” nicht bloß, er führt sie uns am eigenen Leibe vor. Die Unheimlichkeit der Selbsterkenntnis Malcolm Crowes ist genau jener Zustand, den Barthes beschreibt, wenn er das Foto seiner verstorbenen Mutter anblickt. Die plötzliche, neue Selbstgewissheit ist die eines sich als zeitliches Wesen verstehenden Menschen, der das Leben nicht mehr aus der augenscheinlich unendlichen Binnen-, sondern endlichen Außenperspektive wahrnimmt.
Mehr: F.LM
#345
Geschrieben 23. Oktober 2008, 09:07
Der Auftakt zum 3. PornFilmFestival war schon gleich H/hardcore: Eine ambitionierte Produktion aus dem Hause Vivid, die die Geschichte einer Frauen-Gang in den 1960er Jahre erzählt. Die vier Damen, alles ehemalige Models, die vom "System Hollywood" fallen gelassen wurden, haben es sich zum Ziel gesetzt, den Drogenhandel unter ihre Kontrolle zu bringen und gleichzeitig die Korruption eines fiesen Politikers aufzudecken. Dazu sind ihnen alle Mittel recht, vor allem Sex. Der Film verbindet fünf Hardcore-Sequenzen, die die Rächerinnen beim Erreichen ihres Ziels zeigt, sowie eine zunächst von ihnen abgelehnte Adeptin, die ihnen Zugang zum Politiker und seiner "Casting Couch" eröffnet.
"The Bad Luch Betties" variiert zum Einen geschickt zeitgenössische politische und (sexual-)kulturelle Themen und verpackt dies zum Anderen in recht witzige und zu Beginn noch originell inszenierte Hardcore-Sequenzen. Leider geht dem Film nach der ersten Hälfte spürbar die Puste aus: die ansonsten variationsreich gefilmten und montierten (nicht nur Hardcore-)Sequenzen verkommen zur bloßen Nummernrevue mit teilweise ermüdender Länge. Auch der Soundtrack, der zu Beginn noch Rock- und Pornomusik-Kolorite miteinander verquickt, wird zunehmend unironischer und zur Muzak-Soundkulisse des Treibens.
Viel interessanter als der Film wurde das Ambiente: Es war mein erster Kino-Pornofilm (obwohl nur eine DVD gescreent wurde). Zunächst war der Saal vollbesetzt mit etwa gleichanteilig Männern und Frauen. Während der zweiten Hardcore-Sequenz verschwanden immer mehr Leute und am Ende waren vielleicht noch ein Drittel der ursprünglichen Besucher im Saal. Die hatten es jedoch in sich. Direkt hinter mir saß eine sehr extravertierte Dame mit zwei männlichen Freunden, der ich den kommenden Absatz widmen möchte:
Sie musste ihre Coolness derart unter Beweis stellen, dass sie den ganzen Film mit ihren beiden Begleitern konversiert hat. Dabei ging es zum einen darum, wie eklig sie diese und jene Szene und Einstellung fand ("Toll, jetzt rubbelt er da mit seinem schwieligen Daumen dran. Davon träumt jede Frau!"), wie sehr sie sich doch schon auf eine bestimmte Sequenz freue ("In dem Film soll ein Mann vergewaltigt werden!"), worin ihr Verständnis von Feminismus besteht (nach einer Sandwich-Sequenz erschießt die Protagonistin ihre beiden Beischläfer, jedoch offscreen: "Das soll feministisch sein?", der merklich enttäuschte Kommentar der Frau hinter mir) und nicht zuletzt vor allem darin, ihr eigenes Sexualleben mit dem auf der Leinwand zu vergleichen. Dieser Vergleich kulminierte in der überlaut vorgenommenen Feststellung: "Also mein Freund fickt zum Glück besser."
"Zum Glück" für wen? Für Sie, für die Umsitzenden, die sich das mit anhören durften? Zum Glück für ihren Freund, der es also mit (je)dem Pornodarsteller aufnehmen kann? Das kann man sich als Zuhörer selbst aussuchen. Interessant für mich war, wie deutlich ihre Kommentare doch mehr und mehr als "pfeifen im finsteren Wald" zu erkennen waren. Wie anders sollte man das laute Reden, das vor allem in den Hardcore-Sequenzen deutlich Zunahme, noch interpretieren - gerade, wenn sie sich klar sein musste, dass ihre intimen Bekenntnisse nicht nur von den neben ihr sitzenden gehört werden können?
Es ist eben auch für die abgebrühten Besucher eines Pornofilm-Kinos immer noch ein Skadalon, die Intimität eines filmerotischen Momentes mit Dritten zu teilen. Zu glauben, das Überspielen der eigenen Emotionen durch Coolness und/oder Lachen sei ein Privileg der Pubertierenden, ist angesichts von Sexualität grundfalsch. Ich will mich von dieser Erkenntnis auch gar nicht ausnehmen: Miriam und ich saßen ja direkt vor der Privatleben-Exhibitionistin und haben geschwiegen. Wir haben den Film nur an wenigen stellen im Flüsterton zueinander kommentiert und ihn - aus kühler filmwissenschaftlicher Distanz? - selbst in den Hardcore-Sequenzen "ernsthaft rezipiert". Diese Abgeklärtheit ist die andere Seite der Medaille.
#346
Geschrieben 24. Oktober 2008, 09:37
1. Vortrag über Privacy and Porn
2. Screening und Diskussion zu "Happy Video Privat" in Anwesenheit des Regisseurs Harry S. Morgan
#347
Geschrieben 27. Oktober 2008, 18:30
Ein weiterer Beitrag in der Vivid.alt-Reihe mit künstlerisch ambitionierter Pornografie. "The Doll Underground" sah dabei auch gar nicht schlecht aus: Der Film arbeitet mit Kollagen, Verfremdungen, Found Footage und mehrfachen Bild-Überlagerungen und entwirft so ein Bild von Los Angeles, das ein wenig an die Berlin-Bilder aus Walter Ruttmanns "Symphonie einer Großstadt" erinnert. Was passiert? Zwei Mädels vom Lande wollen nach Los Angeles, wahrscheinlich um dort eine Filmkarriere zu beginnen. Sie geraten jedoch in einen obskuren Club, wo sie auf eine dritte junge Frau treffen, die Mitglied im "Doll Underground" ist. Dabei handelt es sich um eine terroristische Aktion, die aus irgendwelchen Gründen Sprengstoffanschläge plant. Die drei Damen verlustieren sich abwechselnd miteinander, allein oder mit Männern, die entweder auch zum Underground gehören oder zum Feind, der auf diese Weise um Informationen gebracht werden soll.
Auch hier vergisst der Film nach etwa einem Drittel sein ästhetisches Projekt weitestgehend und reiht endlose Hardcore-Szenen aneinander. Die sind zwar nicht so grob wie in "Bad Luck Betties", aber finden zeitweilig kaum ein Ende. Markant waren die Sex-Geräusche, die die Darstellerin Dixi Pearl von sich gab: Anstelle des üblichen "Ah!", "Oh!", "Yeah!" oder "Fuck me!" kam ihr in Momenten besonderer Ekstase eine unaufhörliche Reihung "Shit!" über die Lippen. Man hatte als Kinozuschauer also wieder ausreichend Zeit und Gelegenheit sich im Saal umzuschauen. Das hat sie abermals gelohnt, denn der Regisseur und eben jene "Shit!"-Hauptdarstellerin Pixi Pearl waren anwesend. Zunächst saßen beide am Rand und es war ein sehr markantes Vergnügen, die Darstellerin dabei zu beobachten, wie sie sich selbst auf der Leinwand beobachtet. Spannend wurde es dann, als sie bemerkte, dass sie von etlichen Zuschauern beim Beobachten beobachtet wurde. Da fand ein regelrechter Abgleich zwischen dem Vorbild und dem medialen Abbild statt, der an Intensität zunahm, wenn Pixi Pearl in Hardcore-Szenen zu sehen war.
Sie entzog sich dem dann immer häufiger, indem sie den Saal für Minuten verließ und schließlich die einzige Möglichkeit, den Film zu sehen ohne selbst gesehen zu werden (und das wiederum sehen zu müssen) fand: Sie setzte sich mit dem Regisseur in die erste Reihe. Gern wäre ich geblieben, um sie zu fragen, was ihr denn so durch den Kopf gegangen ist in dieser Situation des doppelten Angeblicktwerdens. Ich fürchte aber, viel wäre da nicht gekommen - mir wurde berichtet, dass sie sich zum ersten Mal außerhalb der USA befand und ohnehin schon voller Ängste und Unsicherheit war.
#348
Geschrieben 07. November 2008, 14:47
Der Auftakt-Film zum neuen Examenskolloquium war diese kleine Seltenheit, die vor kurzem in Japan wieder auf DVD veröffentlicht wurde. Flugs mit englischen Untertiteln versehen war der Film dann auch für Nicht-Japaner goutierbar. Die Untertitel seien allerdings schlecht und sinnentstellend gewesen, teilte uns eine anwensende Japanerin mit. Das nicht genug, hat sich wohl auch nur den wenigsten der Anwesenden der Anspielungsreichtum von "Lebe wohl, Arche" erschlossen. Der Film basiert zwar lose auf García-Marquez' Roman "Hundert Jahre Einsamkeit", verwebt aber dennoch zahlreiche Zitate und Formenspiele der japanischen Kultur, vor allem des Theaters in seine Erzählung.
Das "Theatreske" war dann auch gleich der Punkt, den ich auszusetzen hatte. Mir kam Terayamas Film vor wie die zwei Stunden lange Auswalzung einer leider etwas trivialen Idee (die sich zumeist um das Thema personales vs. historisches Zeitempfinden drehte). Als Kunstfilm hat er sich bewusst inkohäsiv gegeben, vertraute jedoch nicht der Formensprache des Films, sondern montierte das Gezeigte in einer schon fast erschütternden Banalität. Terayama ist ein Mann des Theaters gewesen und "Lebe woh, Arche" sein letztes Werk - er soll dem Sterben bereits nahe gewesen sein, als er den Film drehte. Die Sporen, die er sich für die japanische Theaterkultur verdient hat, mögen gülden sein, der Filmkunst hat er allerdings kaum etwas hinzuzufügen mit "Lebe wohl, Arche". Sein Film ist weitgehend unfilmisch, ist, was Mike Figgis auf dem Münchner Filmfest 2006 so poinitert "art fart" genannt hat: intellektuell überladener Inhalt, der nicht die richtige Form findet.
#349
Geschrieben 07. November 2008, 14:48
Norris in knallengen Jeans mit Uzi-Maschinenpistolen in der Rechten und der Linken. Ein Vollbart, der sagt: “Wenn du hier noch einmal reinkommst, verpasse ich dir so viele rechte Haken, dass du um einen linken bettelst.” Hanebüchne Synchronisation, die aus kommunistischen Invasoren motivlose Terroristen macht (heute viel gruseliger als damals) … das alles hat mich nicht davon abgehalten, das eine oder andere Mal wegzunicken. Norris verzeiht’s und lächelt (hier in Richtung Gürteltier):
#350
Geschrieben 07. November 2008, 14:49
Ein Film, der einfach nicht langweilig wird. Jetzt, wo ich meinen Beobachtungsfehler der Erstsichtung revidieren konnte, wirkt er sogar noch stimmiger (und weniger reaktionär). Auch die Blu-ray-Disc ist tadellos geworden, enthält massig Zusatzmaterial und die Schwarz-Weiß-Fassung des Films (Darabong wollte ihn zuerst ausschließlich ohne Farbe drehen, hatte wohl aber vergessen, dass er es mit Hollywood zu tun hat). Was nun noch fehlt, wäre eine detaillierte Gegenüberstellung mit Steward Gordons “From Beyond”, die zeigen würde, dass Kings Ideenreservoir nicht bloß von Carpenter, sondern auch von Lovecraft stammt. Aber das ist ja ohnehin überoffensichtlich.
#351
Geschrieben 07. November 2008, 14:49
Es war das Cover (siehe rechts) und die Tatsache, dass ich “Telefonieren im Film” in diesem Semester in meiner Übung verhandele, die mich dazu bewogen haben, mir den Film auf Blu-ray auszuleihen. Besonders originell ist er leider nicht: Mystriöse Anrufe von kurz zuvor verstorbenen Studenten informieren deren Freunde über ihr eigenes Ableben. Markant: Die Anrufe kommen aus der nahen Zukunft (2 Tage später) und hinterlassen eine Sprachnachricht auf der Voicebox, die vom Angerufenen selbst stammt. Das ist ungewöhnlich, aber nicht ungewöhnlich genug. Das Remake eines japanischen Geisterfilms kombiniert hier Motive aus “The Ring” und “Final Destination”, jedoch ohne Gewinn. Schön war einzig jene Sequenz, in der eine über ihr baldiges Ableben informierte Studentin ihren Freunden anbietet, sich aus dem Nummern-Verzeichnis ihres Handys löschen zu lassen (denn darüber verbreitet sich die Todesbotschaft) und alle es nach leichtem Zögern auch tun. So funktioniert soziales Networking in Zeiten der Handy-Telefonie: Wenn du nicht mehr im Telefonverzeichnis deiner Freunde stehst, bist du für sie gestorben (oder umgekehrt).
Die Blu-ray ist übrigens kümmerlich (gar nicht) ausgestattet!
#352
Geschrieben 10. November 2008, 19:07
Was für ein peinlicher Film! Craven hatte offenbar ein paar Notizzettel, auf denen Ideen standen, die alle Produzenten abgelehnt hatten und zusätzlich noch ein paar Seiten von "A Nightmare on Elm Street" in der Tasche - woraus er dann diesen inkonsequenten und lächerlichen Horrorfilm gebastelt hat. So sehr er vielleicht auf versucht mit Augenzwinkern als Komödie daherzukommen: Es gelingt ihm nicht. Mit Craven ist es letztlich dasselbe wie mit Argento: Die paar Glücksgriffe, die ihm gelungen sind, lassen kaum eine Aussage über sein Gesamtwerk oder gar sein Wirken als auteur zu, sondern sich höchstwahrscheinlich anderen an der Produktion beteiligten zuzuschreiben.
#353
Geschrieben 13. November 2008, 12:06
Eine Geschichte der Dualitäten: Gut gegen Böse, Positiv gegen Negativ, Gleichstrom (Blitz) gegen Wechselstrom (Hochspannungsmast): Der auf das Auffinden von verloren gegangenen Reptilien spezialisierte Privatdetektiv "Dragon Eye Morrison" wird unversehens vom selbsternannten Superhelden "Thunderbold Buddha" attackiert. Hatte sich letzterer zuvor vor allem auf die Elektrokution von Drogendealern konzentriert, so reizt ihn am eigentlich unschuldigen Morrison der Energieabgleich: Seine 20 Millionen Volt, die er als Kind in Form eines Blitzschlags erhalten hat, gegen die 80.000 Volt Morrisons, die dieser sich als Knabe beim Erklimmen eines Hochspannungsmastes eingefangen hat. Hier treten also menschliche Batterien und Kondensatoren gegeneinander an, um einen Kapazitätsvergleich durchzuführen.
Ishiis Film dekliniert Elektrizität in all ihren Indizes aus: Es sind ja nur Indexe, durch die uns derartige Ströme erfahrbar werden: Kabel, Schalter, Hebel, Stecker, Stromzähler, Knistern auf der Tonebene, Blitze, Funken - bis hin zur endgültigen Ästhetisierung im Spiel der "elektrischen Gitarre". Der Film zeigt sie alle und manifestiert seine Erzählung in ost-westlicher Drachen-Mythologie. Dass der Strom-Unfall bei Morrison nämlich vor allem das limbische System angeregt hat, erklärt nicht nur seine Affinzität zu Reptilien, sondern auch seine speziellen Wutausbrüche, die ihn den kapazitätsstärkeren Buddha schließlich besiegen lassen.
Ein Film in kaltem Schwarzweiß voller Licht, Nässe und brachialem Industrial-Sound.
#354
Geschrieben 13. November 2008, 12:08
Das Motiv der Elektrizität in “Frankenstein” ist absolut vordergründig. Elektrischer Strom ist der Motor des gesamten Plots, könnte man sagen. In diesem Motiv bündeln sich aber auch etliche Diskurse, die “Frankenstein” impliziert: ein technologischer, ein medizinischer, ein ethischer, ein ästhetischer - sie alle kristallieren an den Flammenbögen im Labor von Victor aus. Gunnar Schmidt hat diese Diskurse so konzise wie kein zweiter in einem Text zusammengefasst:
Zitat
Quelle: Gunnar Schmidt: Anamorphotische Körper. Medizinische Bilder vom Menschen im 19. Jahrhundert, Köln u.a.: Böhlau 2001, S. 147.
#355
Geschrieben 14. November 2008, 12:28
Hick sagte am 10.11.2008, 19:07:
Was für ein peinlicher Film! Craven hatte offenbar ein paar Notizzettel, auf denen Ideen standen, die alle Produzenten abgelehnt hatten und zusätzlich noch ein paar Seiten von "A Nightmare on Elm Street" in der Tasche - woraus er dann diesen inkonsequenten und lächerlichen Horrorfilm gebastelt hat. So sehr er vielleicht auf versucht mit Augenzwinkern als Komödie daherzukommen: Es gelingt ihm nicht. Mit Craven ist es letztlich dasselbe wie mit Argento: Die paar Glücksgriffe, die ihm gelungen sind, lassen kaum eine Aussage über sein Gesamtwerk oder gar sein Wirken als auteur zu, sondern sich höchstwahrscheinlich anderen an der Produktion beteiligten zuzuschreiben.
Meinen eher in den Bereich der Filmkritik gehörenden Aussagen möchte ich noch ein paar Worte von der Warte der Medientheorie hinzufügen. “Shocker” bedient als Horrorfilm natürlich vor allem Ängste - hier Ängste vor der Unheimlichkeit des Unsichtbaren. Dieses Unsichtbare findet seinen "Gegenstand" einerseits im elektrischen Strom, andererseits in den elektrischen Medien (hier vor allem: dem Fernsehen). "Shocker" ist vollgestellt mit TV-Monitoren und der letzte Zufluchtsort des Killers ist dann auch der “Äther”. Das reaktionäre Element des Horrorfilms (der häufig auf die Unheimlichkeit des Neuen insistiert und daraus seinen Horror generiert) ist hier also vor allem in der schon 200 Jahre alten Unheimlichkeit vor der Unsichtbarkeit des elektrischen Stroms zu suchen.
Die Physik um 1800 war sehr damit beschäftigt, die Elektrizität ihrer Unsichtbarkeit zu entreißen ist dabei jedoch lediglich auf “Symptome des Elektrischen” gestoßen. Im Film sind diese Symptome in zwei Klassen eingeteilt: 1. direkt mit dem physikalischen Phänomen der Elektrizität verbundene Indexe: Kabel, Schalter, Funken, Knistern, Flammenbögen, … 2. In indirekte, eher mit der Wirkung von Elektrizität verbundene Indexe: Diese reichen von der Induzierung elektrischer Schläge durch Bberührung eines elektrifizierten Gegenstandes (Körper, Kabel, …) bis hin zur Manifestation des Unsichtbaren im Gespenst - eine Tendenz, die ebenfalls im 19. Jahrhundert ihren Ursprung hat, die Wolfgang Hagen bereits ausführt:
Zitat
Ab 1890 wird eine wissenschaftliche Bewegung in England stark, die die Hertzschen Wellen zur Hoffnungsträgerin der “ESP” erklärte, der Extra-Sensoric-Perception. Unter Mitwirkung bedeutender Physiker wie Crookes und Lodge, erforscht die “Society For Psychical Research” in allem Ernst wissenschaftlicher Methodik “Gedankenübertragung” und tischeversetzenden Gedankenmedien.
Die Gestaltwerdung der Elektrizität - in “Shocker” ist das Horace Pinker. Als Böser Geist treibt er sein Unwesen in den Netzen der Elektrizität und des Fernsehens. Über Radio- bzw. TV-Wellen, so droht er, wird er überall hin gelangen. Nach Hagen ist die Hertz’sche Entdeckung der Radiowellen der Beginn des Massenmedienzeitalters, weil Massenmedien notwendigerweise elektrisch sein müssen, um wirklich überall hin zu gelangen. Von dieser Überlegung ist es dann nur noch einen Schrift weit entfernt zur Bedeutung Horace Pinkers als Bild-gewordene Warnung vor den Effekten der Massenmedien und seine Bekämpfung durch den Okkultismus (Kette mit Wunderanhänger, Geistererscheinung Alisons) eher konsequent als “bloß lächerlich”.
#356
Geschrieben 18. November 2008, 16:05
Es ist schon ein eigenartiger Fehler im Drehbuch, dass Ichobad Crane vor Gericht die unter Folter erzwungenen Geständnisse mit dem Verweis auf den Vernunftgebrauch des Menschen in der neuen Zeit anprangert und sagt: "The millennium is almost upon us. In a few months, we will be living in the nineteenth century. But our courts continue to rely on medieval devices of torture." Spielt der Film doch im Jahre 1799 und damit keineswegs am Rande eines neuen Millenniums. Die Verwirrung über die Zeitenwende ist gleichermaßen charmant wie nachvollziehbar, steht Burtons "Sleepy Hollow" doch selbst am Rand eines (wirklichen) neuen Millenniums (wenn man den Wechsel der Tausender-Einheit als Anzeichen dafür nimmt). Die Frage, was die Folgezeit wohl bringt, war jedenfalls 1799 wie auch 200 Jahre später akut und rückblickend muss man wohl sagen, dass der gewaltige Schritt, den die westliche Kultur im 19. Jahrhundert nach vorn gemacht hat, im 21. Jahrhundert in die genau entgegen gesetzte Richtung zurück gegangen wurde (nimmt man nur einmal durch Folter erzwungene Geständnisse in Gerichtsprozessen der westlichen Welt als Maßstab).
Die Blu-ray-Disk von Constantin ist in für den Verleih gewohnter, exzellenter Qualität. Besonders schön wirkt der Detailreichtum der bleichbadüberbrückten Bilder. So sehr nach Gothic Novel und 19. Jahrhundert hat wahrscheinlich nicht einmal die wirkliche Zeit damals gewirkt.
#357
Geschrieben 20. November 2008, 10:57
Es gibt ganz offensichtlich Erzählkonzepte und Motive, die so fest an bestimmte filmhistorische und geschichtliche "Epochen" gebunden sind, dass sie schon ein paar Jahre nach ihrem Erscheinen mehr über ihre Entstehungszeit mitteilen als dass sie noch als Unterhaltungsprodukte wahrgenommen werden. Der unironische Abenteuerfilm gehört auf jeden Fall dazu. Heute braucht es schon die postmodernistische Distanz eines "Pirates of the Caribbean" oder "National Treasure", um in dem Genre überhaupt noch etwas hinzuzufügen.
Dass ich mit dieser These vielleicht nicht so ganz falsch liege, lässt sich am zwar umfangreich produzierten aber letztlich in seiner Modernität und Ernsthaftigkeit vollständig absaufenden "Indiana Jones 4" ablesen. Schon der dritte Teil hatte vor allem mit dem historischen und damit kulturellen Abstand zu seinen beiden Vorgängern zu kämpfen. Der vierte Teil verliert diesen Kampf bereits bevor er überhaupt beginnt, denn das Helden-Konzept von "Indiana Jones" verträgt keine Ironie. Sowohl das Konzept als auch der Hauptdarsteller und vor allem das Regisseur-Produzenten-Gespann Spielberg/Lucas schaffen es also nicht, diesem 80er-Jahre-Alleswirdgut-Ungeheuer noch einmal Leben einzuhauchen. Anstelle dessen bemüht sich der Film, eine Nachfolgerfigur aufzubauen - als hätte es diesen Versuch nicht bereits (erfolglos) gegeben. Den viertel Teil der Saga habe ich mir nur widerwillig angesehen - auf den fünften werde ich wohl auf jeden Fall verzichten.
#358
Geschrieben 20. November 2008, 11:19
Ich taste mich langsam rückwärts durch die Filmografie Tony Scotts und bin erstaunt, wie konsequent sich sein Regie-Stil in seiner Entwicklung verfolgen lässt. Nach “Domino”, “Déjà vu” und “Man on Fire” habe ich mir nun “The Fan” angesehen. Vor allem der Schnittrhythmus in Verbindung mit den Einstellungsgrößen sorgt dafür, dass der Film einem von den ersten Bildern an unangenehm auf den Leib rückt. Die Aggression, die sich im Figurengeflecht ja eigentlich erst nach und nach entwickelt und erst nach der Hälfte des Films im Mord an Juan Primo ihren “Ausbruch” findet, offenbart sich filmisch bereits in der ersten Sekunde.
Dieses Gefühl der “unangenehmen Nähe”, das der Film ja letztlich auch zum Thema hat, wird noch potenziert durch das Spiel Robert de Niros. Welche Abgründe sich hinter der konsequenten Verfolgung einer “Idee” (hier des totalen, bedingungslosen Fantums) auftun, hat er ja bereits deutlich in Filmen wie “King of Comedy” und “Taxi Driver” vorgeführt. Es ist diese seltsame Mischung aus Verständnis für seine Situation und Angst vor seiner Fixiertheit, die alle drei de-Niro-Figuren auszeichnet. In Wesley Snipes findet er übrigens seinen gelungenen Gegenpart, denn Snipes spielt den opportunistischen Sport-Star mit dem Hang zum Aberglauben perfekt. Als er von seinem Fan in die Realität zurückgerissen wird, gelingen Snipes ein paar exzellente und authentisch wirkende Angstsituationen. Freilich trägt die Kamera auch hier wieder das meiste zum Gelingen des Affektübertrags bei: Die Close-up-Szenen im Showdown im strömenden Regen des Baseball-Stadions sind unglaublich intensiv fotografiert.
#359
Geschrieben 20. November 2008, 12:54
Hackers 2 (Takedown, USA 2000, Joe Chapelle) (DVD)
Für den nächsten “Computer im Film”-Artikel für telepolis, in welchem es dieses Mal um Menschen im Computer gehen wird, habe ich den Schluss des Beitrags mal an den Anfang der Recherchen gesetzt. Die beiden Hackers-Filme gehören zunächst einmal überhaupt nicht zusammen. Sie haben zwar dasselbe Thema und - darauf komme ich noch - eine erstaunlich ähnliche Geschichte, doch sind es zwei ganz unterschiedliche Produktionen, von denen sich die zweite weder explizit noch implizit als Nachfolger der ersten gibt.
“Hackers” erzählt die Geschichte des jugendlichen Computerkriminellen Dade, der als Kind unter dem Nick “Zero Cool” wegen Einbruchs in fremde Netzwerke zu einem “Computerverbot bis zum 18. Geburtstag” verurteilt wird. Der Hauptplot setzt ein, als der Junge die Strafe “abgesessen” hat. Er ist immer noch Hacker, nun unter dem Pseudonym “Crash Override”, und zieht mit seiner ihn alleinerziehenden Mutter nach New York. Dort bekommt er Zugang zu einer Peergroup, die sich mit Computern beschäftigt und zu der auch die Hackerin “Acid Burn” (Angelina Jolie) gehört. Die Hackergruppe wird von einem Staatsanwalt verfolgt, der in der Computerjugend die Terroristen des 21. Jahrhunderts sieht. Als Dade in das Firmennetzwerk einer Ölförder-Gesellschaft einbricht und dort ein Verzeichnis mit Dateien aus dem Trash auf seine Festplatte kopiert, entdeckt er, dass sich darin ein Computervirus befindet, mit dem eine Sabotage mit verheerenden Konsequenzen durchgeführt werden soll. Der Sicherheitsbeauftragte der Firma, der Hacker “The Plague”, ist der Autor des Virus und wird damit zum mächtigen Feind der Gruppe. Überdies schaltet sich nun auch der Secret Service und das FBI in den Fall ein, weil es “The Plague” gelingt, die jugendlichen Hacker mit dem Sabotage-Virus in Verbindung zu bringen.
Das, was sich “Hackers” unter Hacking vorstellt, dürfte ziemlich konform mit den damaligen Vorstellungen der Öffentlichkeit über diese Verbrechensart sein: eine in sich abgeschlossene Community von Freaks, die keiner anderen Ethik als ihrer eigenen folgt, die im ständigen Wettkampf miteinander steht und jeden Computer und jedes Betriebssystem in- und auswendig kennt. Diese Annahme koreliert mit der Darstellung von Computern und Netzwerken. Ständig sehen wir leuchtende und blinkende Serverschränke, glühende Leiterbahnen und animierte Flüge durch irgendwelche Kabel und Computergehäuse. Der Tenor ist klar: Computer sind überall und immer präsent und wer sie beherrscht, herrscht über alle verfügbaren Informationen. Den jugendlichen Hackern ein sozialkompatibles Ethos zu unterstellen gelingt erst, als der kriminalistische Diskurs die rein virtuellen Sphären verlässt und sich dem Terrorismus in Form einer angedrohten Tanker-Havarie zuwendet. Es braucht also eine “Schnittstelle”, um aus dem Computer in die “Realität” auszubrechen.
“Trackdown” erzählt beinahe dieselbe Geschichte: Wieder geht es um einen Hacker, der - weil er es kann - in fremde Netzwerke eindringt und sich auf Kosten Dritter bereichert. Auch er entdeckt im gestohlenen Code einer Telefongesellschaft ein Programm, das gewaltige Schäden anrichten kann - ebenfalls vom dortigen Sicherheitsbeauftragten programmiert. Und wieder beginnt eine Jagd, bei der der Hacker von der Staatsmacht und von seinem Kontrahenten verfolgt wird.
Regisseur Joe Chapelle erspart seinen Zuschauern jedoch die Visualisierung der “virtuellen Verbrechen”. Fünf Jahre nach “Hackers” ist man eben bereits “im Bilde” darüber, wie das Internet funktioniert. Daher werden die technischen Details des Films (FTP-Server, Verschlüsselungssoftware, sendmail-Protokoll, …) auch gar nicht mehr erklärt, sondern wie selbstverständlich genutzt. Das “Eindringen” ins System ist nunmehr nur noch ein intellektuelles - bei “Hackers” hatte man als Zuschauer mehr als einmal den Eindruck, der Geist des Hackers wandere selbst durch die Netzwerke. Vielleicht ist diese Selbstverständlichkeit, mit der “Trackdown” das “Leben in der Computerwelt” inszeniert auch darauf zurückzuführen, dass wir eben wirklich “in” dieser Welt leben, dass unsere soziale Wirklichkeit bereits stark mit Metaphern der virtual reality angereichert ist …
#360
Geschrieben 28. November 2008, 09:01
Der Film der zweiten Examenskolloquium-Sitzung war dann schon amüsanter. Hitchcock versucht sich an einer “Verfilmung” von Psychoanalyse. Weil psychische Prozesse nun aber mal die Eigenschaft haben, unsichtbar zu sein und nur durch “Konversion” sichtbar zu werden, muss sich der Regisseur etwas ausdenken, an dem die Identitätsstörung seines Protagonisten sichtbar werden kann. Bei Hichtcock ist dieses “Etwas” natürlich kriminalistischer Natur: Hat der sich als Psychiater ausgebende Mann (Gregory Peck) einen Mord begangen und die Identität des Ermordeten angenommen? Das wird von (wie immer) zwei Seiten zu ermitteln versucht: Die Polizei und die Analytiker nehmen die Spurensuche auf. Im Zentrum - quasi dazwischen - steht die emanzipierte und extrem in den Patienten/potenziellen Mörder verliebte Psychoanalytikerin (Ingrid Bergman). Ihre Liebe macht sie blind für allzu schnelle Schlüsse. Sie flieht mit dem Mann zu ihrem Doktorvater, der ihn einer Kurzzeittherapie unterzieht und so die verdrängten Erinnerungen zurückholt.
Das ist natürlich alles Holterdipolter-Psychoanalyse, zeigt aber sehr schön, wie das Prinzip der Konversion filmisch ein-/umsetzbar ist. Dort, wo die realen Bilder nicht mehr reichen, in der Traumlandschaft, tauchen surreale Bilder auf, die dann schließlich auch den Schlüssel zur Wahrheit bergen. Entworfen hat diese Traumbilder Salvador Dalé, mit dem Freud ja bekanntlich nie etwas zu tun haben wollte. Auch deshalb wirkt “Spellbound” eher wie eine Travestie auf die Psychoanalyse, denn wie eine ernsthaften Auseinandersetzung. Und wenn man dann, in einer der Schlüsselszenen des Films, eine der schönsten Schauspielerinnen jener Zeit das (im Deutschen wie im Englischen gleichlautende) Wort “Leberwurst” sagen hört, dann ist man förmlich gezwungen, das alles nicht ganz ernst zu nehmen.
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