Die Farben der Nacht
#1
Geschrieben 15. August 2007, 22:03
Als Namensgeber für mein Filmtagebuch muss ganz einfach der letzte Film dienen, den ich gesehen habe. Sergio Martinos DER KILLER VON WIEN war nach einer längeren und ziemlich schleppenden Anlaufphase der erste Giallo, der mich so richtig begeistern konnte. Zwar ist das alles immer noch nicht wirklich meine Lieblingsspielwiese, trotzdem genieße ich die immer mal wieder eingestreuten Ausflüge ins italienische Genrekino mittlerweile von Mal zu Mal mehr. Vor allem dann, wenn der Film von Sergio Martino stammt. Sein MORTE SOSPETTA DI UNA MINORENE fand ich vor kurzem trotz oder gerade wegen seiner wilden Genremischung aus Polizeifilm, Giallo und Komödieneinlagen sehr reizvoll. Noch besser hat mir jetzt TUTTI I COLORI DEL BUIO gefallen, obwohl der eine durchaus zwiespältige Angelegenheit darstellt. Auf der einen Seite bedient er sich eben doch sehr deutlich bei ROSEMARIES BABY, vor allem bei den letzten beiden Dritteln von Polanskis Films wenn Wirklichkeit, Traum und Wahn der jungen Mutter immer mehr verschmelzen. Wobei man die deutlichen Anleihen ja auch einfach als Huldigung an die Größe von Polanskis Meisterwerk sehen kann. Auf der anderen Seite ist gerade das Verschwimmen der Realitätsebenen bei Martino noch viel konsequenter umgesetzt, denn obwohl TUTTI I COLORI DEL BUIO gleich mit einer eindrucksvollen und surrealen, aber eben auch deutlich erkennbaren Traumsequenz, voll mit riesigen Uhren, entstellten Gesichtern und einer toten schwangeren Frau beginnt, vermischen sich die Träume Janes und die Wirklichkeit von Anfang an auch für den Zuschauer, so dass eine faszinierende somnambule Atmosphäre entsteht. Als Beispiel sei die dejavu-artige Szene am Aufzug genannt, in der sich zunächst völlig unvermittelt Einstellung für Einstellung wiederholt, so dass man sich kurz verunsichert fragt, ob man gerade einem echten Déjà-Vu aufsitzt oder ob das filmimmanent ist. Ivan Rassimov, mit den vielleicht furchterregensten blauen Augen der Filmgeschichte, schafft den Übergang aus Janes Traumwelt jedenfalls mühelos und jagt sie fortan durch ein düsteres London, in dem die Swinging Sixties einem okkulten Wahn Platz gemacht haben. Gerade das vielseitige Spiel mit Licht und Dunkelheit (in der Szene in der U-Bahn beispielsweise) und natürlich vor allem mit Farben macht dem vor allem im italienischen Original sehr poetischen Filmtitel alle Ehre. Man sagt David Lynch ja gerne nach, er mache Filme, die wie Träume aufgebaut sind, Sergio Martino hat das schon in den Siebzigern gemacht. Und dann ist da natürlich noch Edwige Fenech, die in ihrer Zartheit und ihrer geheimnisvollen Aura immer ein wenig an ein scheues Reh erinnert, wie gemacht für genau diese Art von Filmen. Nicht nur in dieser Hinsicht ein wunderschönes Filmerlebnis.
#2
Geschrieben 23. August 2007, 23:33
Tony Scott zählt nicht unbedingt zu meinen Lieblingsregisseuren und auch hier ging mir sein persönlicher Stil etwas auf die Nerven, obwohl dieser moderne Vampirfilm über weite Strecken ästhetisch durchaus ansprechend gestaltet war. Aber dieses Zer- und Gegenschneiden zweier Szenen (inklusive des Tons), wodurch immer wieder einen Bruch im Film bewirkt wird, die ständigen Fahrten, bzw. Zooms auf die Gesichter der Figuren - das passt zwar gut zur Rastlosigkeit und Unruhe der mit ihrer Unsterblichkeit verfluchten Catherine Deneuve, wirkte auf mich aber eher frustrierend. Zumal sich an solche Szenen dann wieder sehr elegische, ruhige Momente anschließen, ein Übergang der in etwa so holpert wie der von Bauhaus zu Schubert (obwohl beide natürlich sehr gut in einen "modernen Vampirfilm" passen). Mit seinen unzähligen wehenden Seidenlaken letztlich ja auch nichts anders als ein langer 80-er-Musikclip und die Kombination New Wave und Vampirmythos hat durchaus ihren Reiz. Dementsprechend gibt es hier auch kein Knoblauch, keine Kruzifixe und keine spitzen Eckzähne aus der Mottenkiste, sondern ein Ankh-Anhänger, mit dem cool die Hauptschlagader durchtrennt werden kann. Scott hat einige eindrucksvolle Bilder zu Sterben, Tod, Vergänglichkeit (der Liebe) und Einsamkeit gefunden, Bowie und Deneuve sind ein interessantes Paar, aber mehr als die ästhetisch viel versprechende Visitenkarte eines Debütanten habe ich nicht entdecken können.
Immerhin wieder mal einen filmhistorischen Moment eingesammelt, einen der ersten Leinwandauftritte von Willem Dafoe. War der eigentliche Grund, warum ich mir den Film angesehen habe, hätte ich mir im Nachhinein aber doch anders vorgestellt...
Bearbeitet von LibertyValance, 23. August 2007, 23:34.
#3
Geschrieben 25. August 2007, 21:21
Bruno Ganz spielt Faber, einen zurückgezogenen Computerexperten, der auf einem Empfang Melo (Hanns Zischler) kennenlernt, einen zwielichtigen, aber adretten Dealer, der ihn versucht zu überreden seine Fähigkeiten dazu einzusetzen, die Banken, deren Computer Faber repariert, um ihr Geld zu bringen. Dabei hilft im Julien (Dominique Laffin), eine französische Schauspielerin in die Faber sich verliebt, wobei nie ganz klar ist auf welcher Seite sie eigentlich steht. Der Plan verläuft alles andere als reibungslos, zwei echte Gangster kommen ins Spiel, die ihren Anteil wollen, ein Wachmann wird erschossen und als schließlich alles funktioniert muss sich das Trio erstmal in die Schweiz absetzen.
Ich habe im Netz mit großem Interesse die alte Kritik von Carsten Witte gelesen, die damit beginnt, dass er kein Fan von Thomes Filmen, aber von seinen Filmkritiken sei. Ich würde unglaublich gerne mal etwas von Thome lesen, denn man merkt seinen Filmen sofort an wie sehr er Kino liebt. Er hat wohl beim Rossellini-Buch aus dem Hanser-Verlag mitgeschrieben, nach dem ich ab sofort mal verstärkt Ausschau halten werde, aber zu seinen Filmkritiken habe ich nichts gefunden. Was ich nach SYSTEM OHNE SCHATTEN jedenfalls endgültig feststellen kann: Ich bin ein Fan von Thomes Filmen. Sie sprechen eine Sprache, die ich sofort verstehe. Das fängt schon einmal damit an, dass Kino hier nicht als überwältigende Illusionsmaschine verstanden wird, bei der der Film in sich weitgehend logisch und nach außen hin abgegrenzt ist, sondern es im Film selbst immer wieder Hinweise für den Zuschauer gibt, dass das hier Kino ist, dass mit filmischen Regeln gebrochen oder gespielt wird, dass es ein filmisches Bezugssystem gibt auf das immer wieder zurückgegriffen wird.
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Ein Beispiel: Vier Jahre vor SYSTEM OHNE SCHATTEN spielte die viel zu früh verstorbene Dominique Laffin in einem Film von Jacques Doillon mit: LA FEMME QUI PLEURE. Bei Thome spielt sie nun eine französische Schauspielerin und als sie mit Faber in Zürich sind, um die dortigen Sicherheitsvorkehrungen der Bank zu überprüfen, blättert sie im Hotelzimmer in einer Zeitschrift und macht ihn auf einen Film aufmerksam, der in Zürich im Kino laufe und in dem sie mitspiele: LA FEMME QUI PLEURE. Er ist begeistert, obwohl sie ihn darauf hinweist, dass sie in dem Film doch weine und sie schauen ihn sich an. Wir sehen die beiden im Kino sitzen, der Film läuft verschwommen im Hintergrund, Bruno Ganz der fasziniert seine Freundin auf der Leinwand beobachtet und Laffin, die etwas verschämt lacht, weil sie sich selbst zusieht. Schauspielerin und Rolle sind nicht mehr auseinander zuhalten und wenn Julien danach erzählt, dass sie nach Berlin gekommen sei, weil man es ihr als einen schweren und geheimnisvollen Ort beschrieben hat und dass sie in Paris bei der Beerdigung ihrer Mutter lachen musste ohne zu wissen warum, ist nicht mehr klar, wer da eigentlich spricht, Dominique Laffin oder Julien, ihre Figur. Eine eigenartige, aber wunderschöne Idee. An manchen Stellen löst sich die Filmmusik dann von der Handlung, wird nicht nur hör-, sondern auch sichtbar, etwa wenn Thome minutenlang einen Cellospieler beobachtet.
Noch mehr solcher Dinge zu beschreiben macht keinen Sinn, weil man dann den ganzen Film vorwegnehmen würde. Im Grunde der ideale Film um mit einem Gleichgesinnten stundenlang seine Lieblingsmomente zu diskutieren, nur um dann am Ende festzustellen, dass es keine Szene, keine kleine Geste, keinen Blick gibt, die man nicht aufgezählt hat.
Aber natürlich besteht der Film mehr als bloß aus Spielerei mit Filmregeln und schönen Gesten: Ein Computerthriller, auf der einen Seite, kühl, subtil, manchmal fast schon minimalistisch. Anfang der 80er war bereits klar wie stark die Computerisierung die Welt verändern würde, aber noch nicht auf welche Weise. Dadurch erhält SYSTEM OHNE SCHATTEN stellenweise beinahe den Anklang eines Science-Fiction-Films. Dem Systems der Computer gegenübergestellt wird das System der menschlichen Beziehungen. Faber, am Anfang der zurückgezogene Tüftler, der in seiner Freizeit überlegt wie man den Schachcomputer dazu bringen kann, eine Figur zu opfern. verliert sich in einer komplizierten Außenwelt die deutlich schwerer zu durchschauen ist und in der er selbst in Gefahr gerät am Ende die Figur zu sein die geopfert wird. Die Spannung entsteht auch kaum aus Suspense, sondern eher aus den Figuren und ihrem Verhältnis zueinander, das häufig im Vagen und schwer einschätzbar bleibt und vom Zuschauer mit eigener Phantasie ausgefüllt werden müssen. Obwohl Thome den Figuren viel Raum eingesteht und Ganz, Zischler und Laffin ganz grandios spielen.
Das Großartige daran ist, dass das alles zu keinem Zeitpunkt aufgesetzt wirkt, im Gegenteil hat der Film eigentliche eine unglaubliche Leichtigkeit und fließt förmlich dahin. Ein Nouvelle Vague-Computerthriller aus den 80ern, eine ziemlich geniale Kombination und in jedem Moment genauso spannend wie das eben klingt.
Bearbeitet von LibertyValance, 25. August 2007, 21:24.
#4
Geschrieben 27. August 2007, 00:59
Habe mich vor kurzem sehr intensiv mit dem Genre des Heimatfilms auseinandergesetzt und war daher äußerst gespannt auf die neue Pflaum-Schröder-Doku, die arte im Rahmen seiner zwei Heimatfilm-Themenabende sendete. Was gleich zu Beginn positiv ins Auge stach: Mit Sonja Ziemann und dem gerade verstorbenen Franz Antel hat man es geschafft zwei direkt Beteiligte vor die Kamera zu holen (die Ziemann war zusammen mit ihrem Partner Rudolf Prack - gemeinsam auch "Zieprack" genannt - das Gesicht des 50-er Heimatfilms schlechthin). Leider durften die beiden nur zu Beginn etwas sagen, danach würde nur noch über sie geredet, was umso ärgerlicher ist als dass die letzten Zeitzeugen so langsam aber sicher wegsterben und so eine Gelegenheit so schnell nicht mehr kommen dürfte. Immerhin waren auch die restlichen Gesprächspartner klug ausgewählt: Prinzler, von Moltke und Seidl haben einige gute und interessante Sachen über das Genre geschrieben (Gerhard Bliersbach hätte von psychologischer Seite aus vielleicht noch einige Aspekte beisteuern können), Reitz, Geißendörfer und Baier vertreten die nächsten Generationen, die das Genre neu definierten und Christian Wolff und Regina Ziegler stehen für die TV-Produktionen, in denen der Heimatfilm heute weiterlebt. Auf Christine Neubauer hätte ich dagegen gut verzichten können, dagegen wäre es interessanter gewesen mal einen Hans Steinbichler zu befragen, wie er denn zum Genre steht.
Ingesamt hat mir die Doku aber gut gefallen: Ohne den Zeigefinger zu schwingen wurde der Heimatfilm kritisch beleuchtet und auf so ziemlich alle wichtigen Aspekte eingegangen, von der Vertriebenenfrage bis zu den ersten, hauchzarten Vorzeichen der 68er. Die Filmausschnitte waren treffend gewählt und was mir, der sich die meisten Filme auf uralten VHS-Bändern aus den Achtzigern ansehen musste, hier sofort auffiel war die exzellente Bildqualität. Eine schön restaurierte Filmkopie dürfte den ein oder anderen Film, den ich schon als uninteressant abgehakt hatte, mit Sicherheit nochmal aufwerten. Schön, dass man Hans König, einer der wenigen Heimatfilmregisseure der Fünfziger, dessen Filme sich nicht nur aus filmhistorischen Gründen sehr lohnen, herausgestellt hat. Und sehr spannend war der Teil über die sozialistischen Heimatfilme in der DDR.
Was mir noch gefehlt hat: Die Rolle des Heimatfilms in der NS-Zeit und vor allem seine ideologietragende Funktion kamen etwas zu kurz, genauso wie man auf Kontinuitäten und Brüche nach dem Krieg hätte stärker eingehen können (wäre schon mit zwei, drei aussagekräftigen Filmbeispielen gegangen). Und nach VON SEX BIS SIMMEL vom gleichen Regisseursduo über das deutsche Kino der Siebziger wäre es doch naheliegend gewesen auf die Verbindung von Heimatfilm und Sexfilm einzugehen.
Gerade zum Einstieg in ein filmhistorisch sehr reizvolles Genre ist die Doku trotz kleiner Mängel auf jeden Fall äußerst sehenswert.
#5
Geschrieben 26. Oktober 2007, 12:19
Hätte nicht gedacht, dass ich so schnell einen würdigen Nachfolger zu einem meiner Lieblingsfilme der 2000er, Martin Scorseses Meisterwerk aus Schmutz und Blut GANGS OF NEW YORK finden würde und dass das noch dazu eine Fernsehserie sein würde, wobei das schon wieder so zeittypisch ist, dass ich es mir auch schon vorher hätte denken können. Da in DEADWOOD eine Epsiode zeitlich direkt an die nächste anschließt kann man die Serie aber auch locker als einen überlangen Spielfilm bezeichnen, erzählerisch, schauspielerisch, aber durchaus auch filmisch kann momentan sowieso kein Kinofilm gegen das bestehen, was David Milch und HBO hier abgeliefert haben. Angesichts einer Studiopolitik, die sich darauf beschränkt hat Endlosschleifen zu fahren, scheint es fast so als hätte sich das gesamte kreative filmische Potenzial in den USA in die Fernsehbranche verlagert und so ist man wohl selbst schuld, wenn man sich im Kino lieber den neuesten Clooney/Pitt/Fantasy-Langweiler anschaut anstatt ein Jahrhundertereignis wie Michael Hogan als Colonel Saul Tigh in der dritten Staffel von BATTLESTAR GALACTICA zu verfolgen. Von ähnlichem Niveau sind auch die Figuren in DEADWOOD, die nach einem holprigen Einstieg der Hauptgrund sind, warum die Serie so fesselnd geraten ist, die rohe Faszinationskraft eines Bill the Butchers aus GANGS trifft hier gleich auf mindestens fünf Figuren zu. Doch auch das filmische Potential der Serie ist nicht zu unterschätzen, als Beispiel sei - neben der von Mr. Walter Hill persönlich dirigierten Eröffnungsfolge - die vierte Episode genannt, in der eine sehr charismatische Hauptfigur einen ziemlich abrupten Tod stirbt und das so beiläufig, aber gleichzeitig doch so erschütternd inszeniert wird, das einem nur der Mund offen stehen bleibt. Der historische Hintergrund von DEADWOOD vor den Indianerkriegen und dem Goldrausch bietet ein Westernambiente, die Serie hat jedoch mit klassischen Western kaum etwas zu tun, stattdessen schildert sie, genau wie eben auch Scorseses GANGS OF NEW YORK (der zeitlich knapp 15 Jahre früher spielt), die Entstehung der modernen USA aus sex, dirt & crime in sehr anschaulicher und wenig beschönigender Weise. Die allseits hochgelobte deutsche Synchro hat mir nicht so gut gefallen, es geht nichts darüber Al Swearengen im Original fluchen zu hören, zumal es erstaunlich ist wieviele cocksuckers und cunts in der deutschen Version verschluckt werden. Dass ich bei Fernsehserien immer etwas später dran bin (DEADWOOD ist von 2004) hat den Vorteil nicht lange auf die nächste Staffel warten zu müssen und wenn ich mit der dritten Staffel dann irgendwann durch bin, hat sich vielleicht sogar etwas in Richtung der beiden Filme getan, die die Serie ursprünglich abschließen sollten, obwohl es da im Moment wohl nicht so rosig aussieht.
Bearbeitet von LibertyValance, 26. Oktober 2007, 12:22.
#6
Geschrieben 05. November 2007, 13:03
Ein Mythos geistert durchs Internet, der Mythos vom ultimativen Bösen, das hinter der Maske von Michael Myers lauern würde, ein Mythos den Rob Zombie mit seiner Neuverfilmung von John Carpenters klassischem Stoff jetzt zerstört habe, indem er scheinbar einfache Erklärungen für die Myersche Mordwut gegeben habe. Doch halt: Wer ist eigentlich verantwortlich dafür, dass Myers als Verkörperung des Bösen schlechthin gesehen wird? Es war Dr. Loomis, der in Carpenters Original sagte: "I realized what was living behind this boy's eyes was purely and simply evil" und so diesen Mythos festigte, weil kaum jemand auf die Idee kam seine Worte zu hinterfragen. Zombie ist da weniger leichtgläubig und schickt den vom großen Donald Pleasence verkörperten netten Opa in Rente, der sehr passend besetzte Malcom McDowell ist bei ihm ein eitler Wichtigtuer, der aus seinen Überdramatisierungen und Mystifizierungen Profit geschlagen hat, aber vollkommen unfähig ist Zugang zu Myers zu finden, geschweige denn die Welt vor ihm zu beschützen. Es wird leicht übersehen, dass - im Gegensatz zur stumpfen Seelenlosigkeit eines Jason Vorhees oder dem hämischen Sadismus eines Freddy Krügers - hinter der weißen Maske in den Augen Michael Myers nicht nur das Böse, sondern immer auch ein leichter Hoffnungsschimmer zu sehen war (Erinnert sich noch jemand an das Bild, in dem Myers mit einer Blume in der Hand fast schon schüchtern wirkend vor Laurie Strodes Haus steht?). Dies wahrzunehmen hätte bedeutet das Morden beenden zu können, insgesamt acht Fortsetzugen (Zombies Film eingerechnet) zeigen, dass die Umwelt nie aufmerksam genug war, sondern Michael lieber als Projektionsfläche für eigene Phantasien vom Antichrist persönlich benutzte.
Zombies vorheriger Film THE DEVIL'S REJECTS war ein Film mit dem viele Leute Probleme hatten, weil er seine Sympathien zu deutlich auf die Seite der Familie Firefly legte und den Opfern wenig Aufmerksamkeit schenkte, umso überraschender ist der manchmal fast schon zärtliche Blick, den Zombie in HALLOWEEN auf seine Figuren hat: Wenn die Kamera fürsorglich mehrmals zur blutenden Danielle Harris zurückkehrt (es ehrt Zombie und spricht für sein großes filmisches Gespür, dass er die kleine Jamie aus HALLOWEEN 4 und 5 nicht sterben lässt), wenn er Kristina Klebe, die gerade noch die Slasher-typische Cheerleaderschlampe gab, mit einem einzigen Satz kurz vor ihrem Tod zum Mensch werden lässt, den man nicht sterben sehen möchte, und natürlich wenn Mike Myers in einem hilflosen Schrei nach Liebe vor Laurie Strode auf die Knie geht. Bei all dem sollte aber nicht vergessen werden, dass HALLOWEEN auch als Terrorfilm bestens funktioniert. Die in der ersten Hälfte aufgebaute white-trash-Welt dient dabei nicht als Erklärungsmuster für Myers Taten, sondern ist einfach die Antithese zur überzeichneten, heilen Vorstadtwelt des zweiten Teils, in die Myers eindringt und die er mit einer unglaublich rohen Brutalität komplett zerstört. Wie Laurie Strodes blutverschmiertes, verstörtes Gesicht am Ende zeigt auch über seinen Tod hinaus.
Bearbeitet von LibertyValance, 05. November 2007, 13:10.
#7
Geschrieben 16. November 2007, 23:29
Das deutsche Label Diggler Records, dass sich schon um die Veröffentlichung des VAMPYROS LESBOS-Soundtracks und etlicher Peter Thomas- und St. Pauli-Stücke verdient gemacht hat, hat sich mit der schönen Zusammenstellung Melodies in Love - The erotic world of Gerhard Heinz eines Komponisten angenommen, der immer ein bißchen im Schatten der ganz Großen wie etwa Thomas oder Böttcher steht.
Dabei liest sich die Filmographie von Gerhard Heinz wie das Lexikon des deutschen Exploitation- und Trashfilms. Angefangen hat seine Karriere mit der Vertonung der beiden Austroploitation-Kracher GEISSEL DES FLEISCHES und SCHAMLOS (aus letzterem befindet sich das Titelthema All you ever need is beat auf der Compilation), es folgten Filme von Antel, Götz/Rothemund, Gottlieb, Franco oder Olsen. Die Zusammenstellung von Diggler Records konzentriert sich allerdings auf die erotischen Momente im Schaffen von Gerhard Heinz, so dass einige bekanntere Filme wie DIE SUPERNASEN, RUDI BENIMM DICH, EIN KAKTUS IST KEIN LUTSCHBONBON oder auch DIE SÄGE DES TODES außen vor bleiben. Das macht aber überhaupt nichts, denn auch so ist Melodies in Love - The erotic world of Gerhard Heinz eine ziemlich geniale Mischung aus Easy Listening-, Beat- und Bossa Nova-Musik. Sehr locker, oft mit extremer Ohrwurmqualität und natürlich unglaublich schmierig.
Meine momentane Lieblingsstücke sind die flotte, dreisprachige Tempowechselnummer Love, L'Amour, Amore aus GEHEIMTECHNIKEN DER SEXUALITÄT, der fröhlich gepfiffene Gutelaunemacher Liebesspiele aus LIEBESSPIELE JUNGER MÄDCHEN, die von Marianne Mendt mit kraftvoller, rauchiger Stimme besungenen Sieben Sünden aus DIE NACKTE GRÄFIN und das Titelthema zu MELODY IN LOVE. Unfassbarer Höhepunkt der Zusammenstellung ist die Vertonung des bayerischen Volksliedes (?) Dampfnudeln für den Film GEH, ZIEH DEIN DIRNDL AUS, bei dem Anika Benkö lasziv ins Mikrofon hauchen darf: "Dampfnuuudeln hammer heute ghabt, Daammpfnuudeln". Gerhard Heinz hat im Booklet zu jedem Lied einen kurzen Kommentar geschrieben, die zum Teil, genau wie auch die Musikstücke selbst, große Lust auf die jeweiligen Filme machen. Unbedingt empfehlenswert, auf Vinyl gibt es sogar noch zwei Bonusstücke dazu.
Bearbeitet von LibertyValance, 16. November 2007, 23:57.
#8
Geschrieben 18. November 2007, 14:37
So kreativ und überbordend an phantastischen Einfällen, wie ein Film eben sein kann wenn der Mann, der Yoda erschuf Regie führt und das "Re-Animator"-Duo Yuzna und Gordon die Story dazu liefert.
In Tradition des Abenteuerkinos der 50er und 60er nutzt der Film die viel zu selten angewandte Möglichkeit des Kinos, die Welt aus vollkommen ungewohnter Perspektive zu betrachten perfekt aus und nimmt die veränderten Grössenverhältnisse als Anlass zu einer Reihe gelungener Späße, wie etwa den Pollen, die zu groß für die Nase der Schrumpfmenschen sind oder den gigantischen Keks, der unerschöpflichen Nahrungsvorrat bietet.
1989 steckte CGI noch in den Kinderschuhen und so wurden die Tricks, darunter eine gezähmte Ameise, ein Flug auf einer Biene und ein Kampf Ameise vs. Skorpion, weitgehend in guter alter Stop-Motion-Technik realisiert, was dem Film zusätzlich noch eine nostalgische Note gibt (zumal auch der ein oder andere Harryhausen-Schüler an der Entstehung beteilgt war). Rick Moranis hat sich heute weitestgehend aus dem Filmgeschäft zurückgezogen und so ist fast vergessen, dass er in den Achtzigern und Anfang der Neunziger einer der größten Kinderfilmstars war - LITTLE GIANTS, THE FLINTSTONES, GHOSTBUSTERS, SPACEBALLS, eine wirklich eindrucksvolle Filmographie. Als schusseliges, verrücktes Genie Wayne Szalinski ist er die Idealbesetzung, weil man ihn aufgrund seiner totalen Harmlosigkeit sofort ins Herz schließt. Nicht einmal die typischen Konventionen eines Disney-Realfilms können das Vergnügen wirklich trüben. Das Ende, bei dem die All-American-Nachbarn Versöhnung mit den durchgeknallten Szalinskis feiern, ist zwar etwas dick aufgetragen, hat dafür aber eine ziemlich gelungen Schlusspointe, während der Rest des Films sowieso Unterhaltung pur ist. Der zweite Teil LIEBLING, JETZT HABEN WIR EIN RIESENBABY ist nicht mehr so kreativ, macht aber trotzdem noch Laune.
Bearbeitet von LibertyValance, 18. November 2007, 14:39.
#9
Geschrieben 01. Januar 2008, 16:19
BAD REPUTATION von Jim Hemphill
BUG von William Friedkin
HALLOWEEN von Rob Zombie
IKLIMER von Nuri Bilge Ceylan
IMPORT/EXPORT von Ulrich Seidl
SAKEBI von Kiyoshi Kurosawa
STILL LIFE von Jia Zhang Ke
TAKVA von Özer Kiziltan
VALERIE von Birgit Möller
YELLA von Christian Petzold
#10
Geschrieben 11. Januar 2009, 02:48
Seit ich seinen LE PROFESSIONEL gesehen habe, möchte ich eigentlich alles von Georges Lautner sehen, dennoch fiel mir gerade beim Überfliegen seiner Filmographie auf, dass GALIA tatsächlich erst der zweite Film von ihm ist, den ich kenne. Und die 15 Jahre die zwischen den beiden Filmen liegen sind wirklich Welten: GALIA, in Schwarz-Weiß gedreht, ist Zeitgenosse der Endphase der Nouvelle Vague, doch während die Geschichte einer "Liebe zu dritt" (so der deutsche Titel) klassischer Vague-Stoff ist, blieb Lautner formal von dieser nur wenig beeinflusst. Sein Film ist ein handwerklich solider, aber eben doch sehr konventionell gedrehter Film Noir, mit der reizvollen Besonderheit, dass die Femme Fatale hier die Hauptfigur ist, auf die sich der Film fast ausschließlich konzentriert. Die Vorlage zum Drehbuch, das Lautner selbst mitverfasste, stammt von Vahé Katcha (der ebenfalls am Drehbuch beteiligt war), der in den späten Sechzigern und frühen Siebzigern eine ganze Reihe von Szenarios für französische Genrefilme schrieb, am Bekanntesten dürfte DER COUP (LE CASSE) von Henri Verneuil sein. GALIA (gespielt von B-Genrefilmstar Mireille Darc, später von Godard in seinem destruktiven WEEK-END vermutlich nicht ohne Hintergedanken besetzt) ist eine verspielte, abenteuerlustige, selbstbestimmte junge Frau, in sexueller wie in jeder anderen Hinsicht. Eines Abends rettet sie Nicole (Francoise Prévost) nach einem Selbstmordversuch aus der Seine und lässt diese bei sich wohnen. Da Nicole sich aus Verzweiflung über die Untreue ihres Ehemannes Greg (Venantino Venantini als italienischer Macho) umbringen wollte, beschließen die beiden Nicole als tot erscheinen zu lassen, um die Reaktion ihres Mannes beobachten zu können. Doch Galia verliebt sich schließlich in Greg und so beginnt eine brisante Dreiecksbeziehung. Wenn man mal vom übermäßigen und teilweise unangebrachten Einsatz des Voice-Off-Kommentars absieht, ist der Film über weite Strecken recht aufregend geraten. Vor allem deshalb, weil er die Anziehung zwischen Galia und Greg - er als klassische Machofigur des Genrefilm der Zeit, sie in ihrer Ablehnung jedes männlichen Schutzes und ihrer sexuellen Selbstbestimmung ihrer Zeit weit voraus (im Grunde aber nur das weibliche Pendant zu ihm, in ihrer Behandlung des anderen Geschlechts als Sex- und Spielobjekte gleichen sich die beiden) - ganz gut herausarbeitet. Spannend auch wie er das feministische Bündnis der beiden Frauen gegen Greg beschreibt, das durch Galias Liebe in die Brüche zu gehen und sie gar zum Schwestermord zu verführen droht. Gegen Ende wird der Film dann allerdings etwas zerfahrener und nicht jede Enthüllung, die er zu bieten hat macht wirklich Sinn. Formal für seinen explosiven Stoff zu bieder geraten, in seiner Figurenzeichnung der Zeit allerdings voraus, spielt GALIA bei weitem nicht in der Liga eines LE PROFESSIONEL, als Vertreter eines französischen Genrekinos der 60er jenseits der Nouvelle Vague ist er trotzdem äußerst interessant.
Bearbeitet von LibertyValance, 11. Januar 2009, 03:03.
#11
Geschrieben 19. Januar 2009, 00:31
Visiting Hours (Das Horror-Hospital, Kanada 1982, Regie: Jean-Claude Lord)
Jean-Claude Lord ist Québecois und war einer der ersten Regisseure in Québec, der sich dem Genrefilm widmete. In den Siebzigern, als viele Regisseure in ihren Spielfilmen einerseits auf den dokumentarischen Wurzeln des Kinos in Québec aufbauten, sich andererseits noch an der Nouvelle Vague und ihren Ausläufern aus Frankreich orientierten, drehte er Filme wie BINGO oder PANIQUE in denen sich Politik (wie z.B. die Oktoberkrise 1970) exploitationhaft mit Motiven aus dem Thriller, aus Mafia- und Gangsterfilmen vermischte. Ein Film wie PARLEZ-NOUS D'AMOUR lässt sich hingegen eher vor dem Hintergrund der Sexfilmwelle in Québec einordnen, die von keinem Geringeren als Denis Héroux Ende der Sechziger losgetreten worden war.
VISITING HOURS war die erste anglophone Produktion Lords und ist einer von vielen sehenswerten bis ausgezeichneten Slasherfilmen, die Anfang der Achtziger in Kanada mit finanzieller Unterstützung der kanadischen Regierung gedreht wurden. Das heißt, im Grunde genommen könnte man darüber streiten, ob sich der Film überhaupt dem Slasherfilm zuordnen lässt. Denn eigentlich ähnelt VISITING HOURS eher einem Thrillern wie SOMEONE'S WATCHING ME (John Carpenter, 1978) mit dem er sich auch die Thematik einer emanzipierten Frau (in beiden Filmen sind sie TV-Journalistinnen) teilt, die von einem unbekannten Stalker in ihrem Selbstverständnis verunsichert und bedroht wird. Man muss nicht besonders tief schürfen um festzustellen, dass beide Filme mit Befürchtungen spielen, der Feminismus könnte Ende der Siebziger einen Gegenschlag erleiden, nicht zuletzt dann im Zuge der ab 1981 amtierenden Reagan-Administration (die sich schon Jahre vorher abzeichnete).
Lee Grant spielt also die TV-Journalistin Deborah, die sich gegen häusliche Gewalt engagiert und so in das Visier eines sadistischen Killers (Michael Ironside) gerät, der durch einen blutig ausgegangenen Streit seiner Eltern ein schweres Kindheitstrauma erlitten hat und sich nun scheinbar auf einem Rachefeldzug gegen alles Weibliche befindet. Bei einer Attacke verletzt er Deborah schwer, so dass sie ins Krankenhaus eingeliefert wird, wo nun allerdings nicht nur sie, sondern auch andere Patienten und das Pflegepersonal von ihm terrorisiert werden. Vor allem auf Sheila, eine junge Krankenschwester und deren Tochter hat er es schließlich abgesehen und verfolgt sie bis nach zu Hause.
Es ist interessant, wie der Film zwischen zwei Hauptkampfplätzen des Feminismus, den heimischen vier Wänden und dem Arbeitsplatz hin- und herspringt und es ist interessant, wie er beide als vollkommen weiblich dominiert zeigt. Deborah ist alleinstehend und Sheila eine alleinerziehende Mutter, Männer kommen in ihrem Privatleben scheinbar nicht vor und die Klinik ist ein Ort, der völlig in der Hand der Krankenschwestern zu sein scheint, für männliche Pfleger oder Ärzte zeigt der Film keinerlei Interesse. Die wenigen männlichen Charaktere sind alle tragische Figuren, sei es Sheilas Boss (William Shattner, die tragische Männlichkeit in Person!) der kein Verständnis für ihre Ängste zeigt und als Schutz- und Vertrauensperson völlig versagt oder der Killer und sein Vater, der nach jenem blutigen Streit mit der Mutter offenbar schwerbehindert ist (sie selbst wurde offenbar von ihm getötet?) und isoliert in einem dunkeln Zimmer in einem Heim lebt. In Bezug auf den Feminismus ist VISITING HOURS also merkwürdig mehrdeutig, einerseits lässt er am Ende Deborah sich der Bedrohung stellen und über sie triumphieren, andererseits ist es ein Triumph mit einem faden Beigeschmack, weil der Film den Killer nicht einfach als frauenhassendes Ekel denunzieren will, sondern versucht ihm eine tragische Ambivalenz zu geben (ob ihm das gelingt ist eine andere Frage). Es wäre nun auch etwas seltsam Feminismus so zu deuten, dass Männer an den Rand und in die Isolation gedrängt werden, andererseits sind die Männer im Film vielleicht gar nicht wirklich an den Rand gedrängt, sondern lassen sie die Frauen nur einfach alleine, so dass diesen gar nichts anderes übrig bleibt, als für sich selbst zu kämpfen.
Festzuhalten wäre noch, dass VISITING HOURS jenseits dieser Thematik als Thriller ganz gut funktioniert, weil er die verwirrende, unübersichtliche, uneinladende Welt eines Krankenhauses mit seinen unendlichen Gängen ganz gut ausnutzt, aber doch auch einige sehr augenscheinliche Logiklöcher enthält und - natürlich - bisweilen sehr vorhersehbar ist.
Bearbeitet von LibertyValance, 19. Januar 2009, 00:35.
#12
Geschrieben 26. Januar 2009, 06:43
Deathdream (aka Death of Night, USA/Kanada 1974, Regie: Bob Clark)
Natürlich erwartete ich mir viel von einem Film, den Bob Clark im selben Jahr gedreht hat wie seinen meisterlichen Überslasher BLACK CHRISTMAS. Aber dass er mich derart mitnehmen würde hätte ich ehrlich gesagt nicht erwartet. Absolut bestechend wie der Film anhand des jungen Soldaten Andy, der als Untoter aus dem Krieg zu seiner Familie zurückkehrt den Umgang der amerikanischen Gesellschaft mit traumatisierten Heimkehrern aus Vietnam analysiert: Die Unfähigkeit seiner Familie und Bekannten auch nur ansatzweise sein Erlebtes nachvollziehen zu können (und zu wollen) macht es Andy unmöglich wieder in die vertraute Umgebung zurückzufinden. Das Kriegserlebnis als Bruch mit den Daheimgebliebenen, der scheinbar nicht mehr zu heilen ist. Die falschen Rückschlüsse, die der Vater immer wieder zu seinem eigenen Einsatz in Korea zieht (im Sinne von "das haben wir doch damals auch ausgehalten") ohne den Bruch zwischen den Generationen zu bemerken. Die falsche Annahme es sei möglich den Krieg zu verdrängen („But Andy wouldn't kill anybody!“) und aus dem eigenen kleinen Vorstadtleben auszublenden, was den Rückimport der Gewalt umso mehr provoziert. Das Zombiemotiv funktioniert ausgezeichnet als Metapher für Andys Kriegstraumatisierung, die ihm jede Lebensfreude geraubt hat, und auch das Vampirmotiv passt ausgesprochen gut, verweist doch Andys Bedürfnis nach Blut, das er sich mit Spritzen einflößen muss, auf die Drogensucht vieler traumatisierter amerikanischer Soldaten. Wenn man neben diesem allen noch bedenkt wie radikal Clark den Zerfall von Andys Körper zeigt, die Verwüstung die der Krieg eben nicht nur seelisch, sondern auch physisch hinterlassen hat, kann man sich in etwa ausmalen, wie schockierend DEATHDREAM – ein Jahr vor Kriegsende entstanden! - auf die Zeitgenossen gewirkt haben muss. Und auch abgesehen von der Vietnam-Thematik funktioniert der Film ausgesprochen gut, als Horrorfilm und sogar als Ehe- und Familiendrama, ersteres liegt neben Clarks Gespür für den behutsamen Aufbau von Gruselszenen vor allem am gelungen minimalistischen Terrorspiel von Richard Backus, zweiteres nicht zuletzt an der genialen Castingidee Andys Eltern mit Lynn Carlin und John Marlin, dem alten, zerstrittenen Ehepaar aus John Cassavetes FACES zu besetzten.
Bearbeitet von LibertyValance, 26. Januar 2009, 06:45.
#13
Geschrieben 26. Januar 2009, 07:08
Schwer etwas über MAUVAIS SANG zu schreiben, weil es ein merkwürdig flirrender, schwer zu fassender Film ist. POLA X und LES AMANTS DU PONT-NEUF sind immer noch zwei meiner größten Bildungslücken der Neunziger (von Carax' anderen Filmen ganz zu schweigen), dementsprechend unvorbereitet traf mich der Vorgängerfilm. Wenn man die Inhaltsbeschreibungen zum Film liest erfährt man, dass es um die nahe Zukunft und ein Virus geht, dass Menschen befällt die Sex haben ohne zu lieben (Ende der 80er war wie wir wissen Aids noch ein großes Thema) und um eine Gruppe Diebe, die versucht das Serum für dieses Virus zu stehlen und zu verkaufen. Wenn man die Film dann sieht, merkt man schnell, dass es eigentlich überhaupt nicht um dieses Virus und die Zukunft geht, sondern dass das alles nur eine gute Entschuldigung ist, um einen Noir-Plot erster Güte aufzuziehen, bei dem eine finstere alte Amerikanerin im Hintergrund versucht die Fäden zu ziehen. Oder um Michel Picoli zwei Minuten lang zu David Bowies „Modern Love“ enthusiastisch sich erst im Laufen durch eine Straße selbst verprügeln und dann hüpfen, springen, tanzen und rennen zu lassen ehe die Szene abrupt wieder stoppt (hier zu sehen). Oder um Picoli und die noch junge Juliette Binoche losgelöst sich gegenseitig mit Rasierschaum einsprühen und um den Tisch jagen zu lassen. In einem Film, der seine Gangster- und Liebesmotive manchmal fast ikonenhaft in berauschenden Farben erstarren lässt, wirken solche Momente immer wie ein Einbruch plötzlicher Anarchie, Energie und Befreiung. Ein sehr sinnlicher, irgendwie sehr französischer Film mit vermutlich tausend Vorbildern und Referenzen, die man wohl erstmal abarbeiten muss, wenn man wirklich in sein eigenwilliges Universum eintauchen will. Ich bin nach diesem seltsamen, aber fesselnden Erlebnis auf jeden Fall bereit, am Besten demnächst gleich mit LES AMANTS DU PONT-NEUF.
Bearbeitet von LibertyValance, 26. Januar 2009, 07:35.
#14
Geschrieben 26. Januar 2009, 07:18
Singin' in the rain (USA 1952, Regie: Stanley Donen & Gene Kelly, 35mm)
Ich habe Kubrick verflucht, vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben, weil ich Alex und seine drei Droogs einfach nicht aus meinem Kopf bekommen konnte bei Gene Kellys berühmten Tanz im Regen – sogar der Rhythmus der Stiefeltritte in den Magen passt perfekt. Abgesehen davon war ich noch nie so froh eine DVD verschmäht zu haben, weil ich nicht glaube dass das an das Erlebnis ihn das erste Mal in 35mm (könnte sogar noch eine Erstaufführungskopie gewesen sein, angesichts des doch recht starken Rotstichs) sehen zu dürfen annähernd heranreichen könnte. Und was für ein Rausch an Farben, an Bewegungen, an Musik! Selbst mir als Tanzbanausen blieb öfter der Mund offen stehen, neben der Regenszene vor allem in einer der späteren Traumsequenzen (besser gesagt erträumter-Film-im-Film-Sequenz) und dem Tanz zwischen Kelly und der göttlichen Cyd Charisse, wenn das nicht Sex pur war, dann weiß ich auch nicht.
Und mal ehrlich, welcher Cineast liebt nicht Filme über das Filmemachen. Was gibt es Großartigeres als im dunklen Kino zu sitzen und dann auch noch anderen dabei zu sehen zu dürfen wie sie die schönste Sache der Welt produzieren. Und sich angesichts der vielen Reminiszenzen an die Filmgeschichte, den Prozess der Filmproduktion, die kleinen Geschichten, die das Kino nebenbei so produziert, sehr klug und unglaublich verstanden zu fühlen. Wenn es dann noch um die spannendste Zeit in Hollywood geht, den Übergang vom Stumm- zum Tonfilm und der Film in wunderbarstem Technicolor gedreht ist, dann kommt das meiner Vorstellung vom Paradies schon verdächtig nahe. Allein für seine Streifzüge über die verschiedenen Stummfilmsets muss man den Film einfach in sein Cineastenherz schließen. Faszinierend wie der Film den Tanzfilm in die Tradition des Schauspielstils der Stummfilmzeit stellt, als man versuchte mit Bewegungen und Gesten das auszudrücken, was man mit Worten nicht konnte. Und was habe ich gelacht und was habe ich mich gefreut über Donald O'Connors getanzte Hommage an den Slapstickhumor, der in einer grotesken Mischung aus Anmache und Kampf zwischen ihm und einer kopflosen Dummypuppe endet.
Kein Wunder also, dass so viele Regisseure der Nouvelle Vague SINGIN IN THE RAIN so priesen, standen sie doch noch in der Tradition eines Bazin, der den Tonfilm noch gegen Stummfilmpuristen verteidigen musste, die das Kino als Kunst bedroht sahen. Wenn man den Film vor diesem Konflikt betrachtet, dann ist SINGIN IN THE RAIN tatsächlich eine einzige Feier der Möglichkeiten des Tonfilms - natürlich nicht ohne die Wurzeln im Stummfilm angemessen zu würdigen und zu erinnern, ja eben sogar die Kontinuität zu betonen. Das heißt, ein kleiner Wehrmutstropfen bleibt: Trotz aller Würdigung der tonlosen Kunst verfällt er bei seiner Zelebrierung des Fortschritts manchmal in einen zu bösartigen Ton. Ich meine natürlich die Art wie Jean Hagen als Stummfilmdiva mit schriller Stimme ins Lächerliche gezogen wurde, das hatte für mich wirklich etwas von Chauvinismus, von Nachtreten auf Leute, die sowieso schon als Verlierer in die Geschichte eingegangen waren - vor allem angesichts der Tatsache wie tragisch solche Schicksale in Wirklichkeit oft endeten (SUNSET BOULEVARD kam mir natürlich öfter in den Sinn).
Bearbeitet von LibertyValance, 26. Januar 2009, 07:58.
#15
Geschrieben 12. September 2009, 00:53
Allein der Titel gilt als Synonym für das Harmlose (und das Verharmlosende) des deutschen Kinos in den 50ern, aber Schleifs Film hat durchaus eine sleazige Note. Gleich zu Beginn filmt er seine Hauptdarstellerinnen Heidi Brühl und Angelika Meissner, zum Zeitpunkt der Dreharbeiten 14, bzw. 15 Jahre alt, beim Umziehen, unter der Dusche und dann in ultraknappen Höschen durch den Garten tobend. Von wegen prüde Fünfziger. Abgesehen davon eine bittersüße Geschichte über die erste Liebe, die ihre wahre Tragik erst entfaltet wenn man den zweiten Teil kennt. Die Schwestern Dick und Dalli leben mit Großmutter und großer Schwester (und Ponys) auf dem Immenhof als in den Ferien Cousin Ethelbert aus der Stadt zu Besuch kommt. Der im Heimatfilm altbekannte Stadt-Land-Konflikt also, aber im Gegensatz zu einigen konservativen bis reaktionärem Vetretern des Genres wird hier nicht die ländliche Idylle gegen den Großstadtmoloch ausgespielt, sondern beide ergänzen sich eigentlich ganz gut. Ethelbert bringt modernen Tanz und Leidenschaft fürs Kino ("Das gehört heute einfach zur Bildung des geistigen Mitteleuropäers") aufs Land, aber dort weiß das niemand recht zu würdigen und aufgrund seiner etwas affektierten Art kann ihn auch niemand wirklich leiden. Nur Dicki verliebt sich gleich in ihn und verteidigt ihn rührend gegen die Attacken der anderen, auch gegen die Häme ihrer eigenen Schwester. Natürlich muss auch Ethelbert etwas zurechtgebogen werden, aber am Ende dürfen beide dem Sonnenuntergang entgegensegeln. Doch Glück ist auch im Heimatfilm eine leicht zerbrechliche Sache, schon im zweiten Teil ist Schluß zwischen den beiden, nicht zuletzt dank der Intrigen von Dickis Schwester. Denn auch wenn das die Filme nie so direkt thematisieren: Ethelbert und Dicki sind Cousin und Cousine und eine Verwandtenheirat wollte man dem Publikum dann wohl doch nicht zumuten. So bekommt Dicki im Nachfolger Hochzeit auf dem Immenhof einen neuen Freund und von der einst so zarten Liebe zu Ethelbert bleibt nur platonische Freundschaft. Hinter seiner Eastmancolor-Oberfläche ist MÄDELS VOM IMMENHOF also doch viel eher eine melancholische Coming-of-age-Geschichte als harmloses Ferienkino.
Bearbeitet von LibertyValance, 12. September 2009, 01:00.
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