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Hoolio's Inn - Filmforen.de - Seite 2

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Hoolio's Inn


69 Antworten in diesem Thema

#31 hoolio21

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Geschrieben 06. Oktober 2008, 00:28

Am Mittwochabend, als ich gerade Bremens gefälligem Mailandkick vor dem TV beiwohnte, überkam mich aus heiterem Himmel ganz unwiderstehlicher Appetit auf ein Softeis (schwul geworden, wie gesagt). Und zwar nicht auf so ein billiges geschmackloses wie von McDreck, sondern ein richtig fettes, perverses mit Schokoladenüberzug (Eismohr!), wie man es nur aus den rosigen Händen rotwangiger, vierschrötiger Cafehausblondinen auf dem Rummel erhält. Also um halb Elf noch kurz schnell rübergesaust zur Theresienwiese gegen den dunklen Strom aus den sich leerenden Bierzelten. Und dann stehst du plötzlich mitten in einem Zauberland. Einem wogenden Ozean aus strahlenden Lichtern, Ornamenten aus Glühbirnen in allen Regenbogenfarben, Gondeln mit kreischenden Menschen wirbeln an juwelenbesetzten Tentakeln und Hebeln hoch durch den Nachthimmel, Klangkaskaden mit höchstem Nostalgiefaktor wechseln einander ab, Schlager aus den 70ern an Depeche Mode an Blasmusik, das funkelnde Jugendstilkettenkarussel wie ein pink-goldener Riesenpilz vor der gleißend illuminierten Achterbahn, über die wie goldene Raupen die Züge gleiten. Kein Regentropfen trübt eine Szene wie aus einem orientalischen Drogentraum, nur der milde Herbststurm bläst durch die Canyons und lupft neckisch den Backfischen die Röcke (geheilt!).

Nachher beim Hinausgehen einem vielleicht zwanzigjährigen Burschen hinterher, den es sicherheitshalber im Auge zu behalten galt, weil er im Zustand vollständiger Unzurechnungsfähigkeit immer noch gehen, Dreck lallen und mit seinem aus dem Festzelt entführten Maßkrug, den er wie einen unartigen Säugling in der Luft schwang, einen Schädel hätte spalten können. Lieber, ehrlich gesagt, folge ich einem Zombie als solchen Figuren, und ich bin nicht schreckhaft. Mein Instinkt aber sagte mir, es diesmal trotzdem zu tun. Tatsächlich trug der Jüngling den Krug vorbei nicht nur an der auf solche Diebstähle geeichte Türstehertruppe im Zelt, sondern auch an den Mehlmützen am Ausgang, sonst nur selten darum verlegen, verzweifelten italienischen Familienvätern und empörten holländischen Antifaschisten die Dinger auf offener Szene wieder zu entwinden (ich soll nicht immer Bulle schreiben, sagt der Engel auf meiner rechten Schulter). Der junge Herr jedoch, kaum draußen angekommen, wirft das mittlerweile zur Last gewordene Souvenir ins nächste Gebüsch quasi vor meine Füße. Ich aber konnte keinen Makel daran entdecken und ging so nicht nur mit einem rauschhaften visuellen Erlebnis, sondern als Antialkoholiker auch mit einem teuren Andenken aus dem Pschorr-Zelt (Originalgravur: Himmel der Bayern) nach Hause. Gesamtkosten des reichen Vergnügens: 2 Euro für ein Softeis. Mache ich seit dem jeden Abend. Braucht einer Krüge? Werde es vermissen.

Im übrigen bin ich der Meinung, daß der Taucher gefeuert werden sollte.


Natürlich die Autofahrer
(D 59)

Anläßlich deutscher Filme aus den 50er und frühen 60er Jahren werden bei mir Kindheitserinnerungen wach. Zwar lag meine Kindheit dann doch eher in den 70ern, aber ich wohnte in einem Haus aus den Fünfzigern, ging in eine Schule aus den frühen 60ern, las Kinderbücher aus den 60ern, die ich in einer Bibliothek aus den 50ern auslieh, und auf dem Plattenteller meiner Eltern drehten sich Freddy Quinn und Helmut Zacharias. Gelacht wurde zum Beispiel über Heinz Erhardt und Edith Hancke, und den Samstag Abend jenseits der Sportschau moderierte nicht selten Peter Frankenfeld. Ein modernes und cooles Auto war noch immer ein VW-Cabriolet, genau wie Heinz Erhardt nicht ganz zufällig bei der Tombola eines gewinnt in diesem schwarzweißen Schwank mit satirischen Ansätzen aus der sogenannten Wirtschaftswunderära. Als der shell shocked deutsche Michel für ein Weilchen die Knarre in den Schrank stellte, Durchhalte- und Siegeswillen in die Arbeits- und Fußballwelt transportierte, um die Hüften ein bißchen runder und allgemein ein wenig gemütlicher wurde. Die Anschaffung eines PKW erwägte. Und Häusle baute, die heute immer noch das Land überwuchern.

So wie Polizeihauptwachtmeister Eberhard Dobermann. Der ist im Gegensatz zu seinem Namen eigentlich auch ein Gemütlicher. Allein, wenn es um neumodische Autolümmels und ihre Greuel wider die Bürgerruhe geht, kann der gutmütige Elefant schon mal ausgesprochen pampig und nachtragend werden. Besonders einer hat es ihm angetan, so ein Rennfahrer mit Geld, viel Freizeit, offener Angeberkarre und ständig anderen Weibern neben sich. Auch der Playboy war damals ein Modell, das in Mode kam. Selbst fährt der Ordnungshüter, der den Verkehrssündern bildreiche Lektionen erteilt, kein Auto, ja, nennt nicht einmal einen Führerschein sein eigen. Das missfällt mit der Zeit auch den beiden Rangen des alleinerziehenden Vaters, die nichts gegen Ausflüge und erleichterte Einkäufe hätten, und sie überlegen, wie sie dem Alten ein solches endlich unterjubeln. Der Freund der älteren Tochter hat dafür schon eine gute Idee, und die sollte tunlichst funktionieren, weil der rennfahrende Playboy sonst bestimmt nicht in diesem Leben des Dobermanns Schwiegersohn wird.

Erhardt fühlt sich sichtlich zu Hause in der Quadratur seiner Rollenklischees. Als Witwer mit Kinderschar ist er in den 50ern schon ein Dauerbrenner gewesen, und auch den kleinen Beamten kauft man der dicken, bebrillten Halbglatze ohne Weiteres ab. Man sieht diesen Mann gerne in der Rolle eines Spießers, den man in anderer Besetzung unerträglich fände, nicht nur das hat er mit Louis De Funes gemeinsam. Aufgeregt jagt er hier Verkehrssünder und läßt sich auch von Kugelhagel nicht irritieren, bleibt aber braver Befehlsempfänger, als die Stadt neben seinem frischbezogenen Eigenheim den Erdboden auf Jahre hinaus für den Bau einer Schnellstraße umpflügt. Natürlich wegen den Autofahrer. So einem hilft man am besten mit einem Auto, und wie Erhardt schließlich das Fahren lernt bei der Kölner Kabarettistin Trude Herr, zählt zu den komischeren Momenten des braven Zwirns. Bis dahin aber ist es zunächst ein weiter Weg, der gesäumt ist von amourösen Mißverständnissen, jugendlichen Rock’n’Roll-Rebellen („Und jetzt einen Charlston“), Edith Hancke als Verkehrsrowdy und einem erstaunlich unsympathisch auftretenden Peter Frankenfeld als reichem Nachbarn und romantischem Rivalen.

Denn natürlich interessiert sich auch eine Frau für den eiförmigen Uniformträger, die allzu früh verstorbene Ruth Stephan wickelt den Klops mit Bowle um den Wurstfinger und bleibt ihm treu bis zu den Willy-Winzig-Filmen und beider ziemlich zeitnahem Ableben im wirklichen. Die Stephan-Figur bringt auch noch eine Teenagertochter mit in den Film, die sich ganz ungeniert an Dobermanns vielleicht zwölfjährigen Junior ranschmeißt. Das heißeste Bruder-und-Schwester-Team seit Romeo und Julia bahnt sich an, und wie Stephan und Erhardt es begünstigen, grenzt an die damals strafbare Kuppelei. Das Liebespaar wird gespielt von dem blaß bleibenden Erik Schumann und Maria Perschy. Die Perschy stammt aus Eisenstadt im Burgenland (gibt es klangvollere deutsche Märchennamen?) und ist eine perfekte Schauspielerin, um beim Kevin-Bacon-Spiel den deutschen Trivialfilm der 50er mit dem spanischen Horror der 70er zu verzahnen. Freunde vom Fach kennen sie vom "Geisterschiff der schwimmenden Leichen", aus "Die Stunde der grausamen Leichen" ("El Jorobado de la morgue") oder aus Carlos Aured großartigem "House of Psychotic Women" ("Ojos azules de la muneca rota"). Hier füllt sie appetitlich den neckischen Schlafanzug und ist ansonsten hauptsächlich schön.

Die konsensfähige Moral von der Geschicht: Geht einander nicht ohne Not auf den Zeiger. Kaum der beste Erhardt, aber unterhaltsam und aufschlußreich genug, um einen an der Zeit und ihren Hintergründen interessierten Freund leichter Komödienmuse auf ökonomischen 80 Minuten Lauflänge nie zu langweilen.

Bearbeitet von hoolio21, 06. Oktober 2008, 01:11.

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#32 hoolio21

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Geschrieben 07. Oktober 2008, 23:41

Fällt die Filmadaption einer Literaturvorlage von Jules Verne auf eine 50er- oder 60er-Jahreszahl, klebe ich davor, egal was sonstwo läuft. Action und Abenteuer, trockenen Humor und extravagante Farbenpracht sowie ein gut gelauntes Ensemble bekannter Namen erwartend und oft genug auch erhaltend.


Fünf Wochen im Ballon
(US 62 "Five Weeks in a Balloon")

Afrika gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Dunkel lockende Welt. Die Briten haben den Sklavenhandel dran gegeben, und deshalb dürfen die anderen jetzt auch nicht mehr. Falls menschenverachtende Araber in Westafrika ihr Fähnlein vor den Roastbeefs hissen, kann niemand mehr einen weiteren Sklavenhandelsstützpunkt verhindern. Also gilt es für den distinguierten Militärattache ihrer Majestät, der bereits unterwegs befindlichen Karawane zuvor zu kommen. Und das geht am besten mit dem hochmodernen Fesselballon des schrägen Starwissenschaftlers. Verstärkt um einen vor allem an Vergnügungen interessierten amerikanischen Journalisten und einen jungen kanadischen Maschinisten brechen die vormaligen Widersacher auf zur Rekordfahrt über weiße Landkartenregionen, um gefährliche Abenteuer mit „Wilden“, wilden Tieren und der Tücke des Objekts zu bestehen. Schnell wächst die Reisegruppe um die eine oder andere Zufallsbekanntschaft, und sogar ein ständig zu Streichen aufgelegter, lustiger Schimpanse läßt es sich nicht nehmen, die weißen Brote auf ihrem von abendlichen Champagner-Picknicks gesäumten Weg durch die Grüne Hölle zu begleiten.

Wenn mich irgendein natürliches Geräusch so richtig auf die Palme bringt und automatisch nach der imaginären doppelläufigen Schrotflinte greifen lässt, dann ist es das Gekreisch von Schimpansen. Was für ein enervierender Lärm. Bumm. Fresse. Bumm. "Fünf Wochen im Ballon" besitzt schon deshalb nicht die Spur der Atmosphäre, des Stils und der Patina von, sagen wir, "In 80 Tagen um die Welt", weil seine Außenaufnahmen komplett vor kalifornischer Kulturlandschaft inszeniert wurden und in den eigentlich erfreulich häufigen Tageslichtszenen nicht eine Minute je nach etwas anderem als langweiliger Gegenwart aussehen. Da sehnt man sich nach Studio- oder Nachtaufnahmen, in denen das Budget wiederum zu erkennen ist, und sogar ein gemalter Hintergrund wäre mir lieber als diese lieblos-sterilen Orangenhaine und Farmweiden. Manchmal werden Dokumentaraufnahmen aus Afrika in den Vorder- oder Hintergrund projiziert, was am schlimmsten aussieht. Helge Schneider wäre stolz. Action- und Kampfszenen gibt es dafür reichlich, schließlich hat man sonst wenig zu bieten. Doch auch hier will sich der richtige Schwung nicht einstellen. Die Stunts wirken plump, und wenn die Feinde schon lange vor einer Berührung durch den Helden mit theatralischem Gehabe darnieder purzeln, rettet auch das beherzte Eingreifen eines Affen in einer Rüstung nicht mehr die Szene.

Gibt’s wenigstens eine spannende Besetzung? Der mitunter laut auftrumpfende, in bester Bob-Hope-Tradition stets von einer gesunden Portion Feigheit beseelte Journalist wird von Red Buttons gespielt, einem Komiker und Songwriter direkt aus dem Burlesque Circuit, der zuvor also in den Amüsierschuppen der 40er/50er Jahre im Wechsel mit exotischen Tanzdarbietungen von Leuten wie Bettie Page oder Tempest Storm Kalauer, Chansons und gespielte Witze zur Aufführung brachte. Um diesen Ritter von der etwas traurigen Gestalt im albernen Tropenhelmfummel temperamentvoll auszugleichen, muß Schlagerschwengel Fabian als handfester Heizer im Heldenmodus ran. Klar, daß da auch mal ein Liedchen angestimmt wird.

Barbara Eden gibt sich alle Mühe, den peinsamen Primaten in punkto Gekreisch zu überbieten, und ist überhaupt als ständig hilflose bedrohte Klugscheißerin eine rechte Schande für die Gattung Frau. Besonders im unvermeidlichen Direktvergleich mit der langmähnigen Haremssklavin (Broadwaystar Barbara Luna), die in diesem immerhin an ein breites amerikanisches Familienpublikum adressierenden Film schon 1962 die ganze Zeit in einem ultraknappen Minirockfetzen herum rennt und auf der Flucht vor ihren Häschern aus dem Lauf auf Pferde springt oder Eunuchen in die nutzlosen Eier tritt. Sie zählt ebenso zu den Stärken des Films wie der eigentlich in jeder Rolle sehenswerte Peter Lorre, der natürlich wieder einen Bösewicht mimt und als Sklavenhändler vom Dienst die ohrenbetäubende Jeannie mal lieber öfter hätte auspeitschen sollen. Insgesamt ein eher durchwachsenes Vergnügen, auf das sich nur Leute einlassen sollten, die auch in einer weniger perfekten Inszenierungen noch die Geschichte sehen. Oder sich für die Anspielungen auf zeitgenössische Befindlichkeiten, kulturelle Strömungen oder ethnische Stereotypen interessieren. Gelangweilt habe ich mich jedenfalls nicht.

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#33 hoolio21

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Geschrieben 09. Oktober 2008, 23:55

Hatte es mir nach "Cocaine Cowboys" und "Reno 911: Miami" fest vorgenommen, den mal wieder zu gucken. Alsdann, ein Kultfilm.


Scarface
(US 83)

Mal sehen, ob dieser noch so gut funktioniert wie bei den drei oder vier Sichtungen zuvor. Eine bemerkenswerte davon 1988 im Kreise von freundlichen Jungärzten, Krankenpflegern und -schwestern der Unfallkinik Murnau, wo ich mich als Hilfspfleger in der Querschnittstation versuchen durfte. Dachte, es wäre eine gute Idee, diesen Film für einen feierabendlichen Videoabend auszuwählen. Doch nach geschätzten 45 Minuten war definitiv Feierabend mit dem Film. Nicht die von bundesdeutschen Rezensenten gewohnheitsmäßig bemängelte brutale Gewaltdarstellung und auch nicht die Inszenierung De Palmas hatte die Geduld führender Stationsschwestern überstrapaziert (Blut und Scheiße können die sehen wie wir Bier), sondern allein der wüste Gossenjargon ließ die Damen mal ums mal auffahren („Kopf innen Arsch und so.“). Ach, könnte ich euch doch das schönste und von ihr selbst ins Internet gestellte Farbportrait meiner damaligen Freundin und Kollegin Susanne zeigen. Jener Heiligen, die mich zum besseren Menschen exorzierte (sagt jemandem der Namio Harukawa was?). Aber dafür käme ich in diesem Scheißland wahrscheinlich ins Gefängnis. Krankenschwestern. Ich könnte stundenlang davon schwärmen.

Tony Montana kommt gerade aus dem Gefängnis frei. Besser gesagt, aus dem Arbeitslager Fidel Castros, welcher Anfang der 80er eine gute Gelegenheit nutzt, sich im Zuge einer halbgenehmigten Bootsfluchtwelle einer größeren Anzahl lästiger Krimineller und Geisteskranker zu entledigen. Ein geschätztes Fünftel der sechsstelligen frischgebackenen amerikanischen Neubürgerschar soll zu dieser Gruppe gehören, und nicht immer erkennt man sie auf Anhieb so gut wie jene Jungs, die vom Bananenboot taumelten und die erstbeste Sommerfrischlerin vergewaltigten, die ihnen begegnete (die überaus empfehlenswerte Dokumentation "Cocaine Cowboys" erzählt auch diese Schote). Ein gewisser Oliver Stone, damals unbedeutender Schöpfer zweitrangiger Trashfilme, doch als Drehbuchautor von "Midnight Express" immerhin einer mit einem Oscar, hat davon sicher auch gelesen. Davon, und von den Ballereien auf offener Straße, die dem von Actionfilmen vermittelten Bild zum trotz im übrigen Amerika eher selten vorkamen. So setzte er sich hin, verwandelte einen klassischen Unterweltzaren namens Scarface, den einst James Cagney verkörpert hatte und der bekanntlich Al Capone war, vom italienischstämmigen Alkoholbaron zum lateinamerikanischen Koksdealer und übertrug die Aufstiegsgeschichte vom Chicago der Prohibitionsära ins Miami der Discoära. Die dazugehörige Musike lieferte Münchens Giorgio Moroder, und die dazugehörigen Bilder ein gewisser Brian De Palma.

Der Brian De Palma, der mal nach dem Oscar schielt, und mal den Quatsch mit Soße angießt. Normalerweise habe ich einen Heidenrespekt vor Leuten, die von sich behaupten können, über fünf Jahrzehnte Filme von Relevanz gekurbelt zu haben. Okay, an den 60ern hat De Palma nur gerochen. Doch bereits die Siebziger gehörten ihm, und in den 80ern hat er weit talentiertere und zeitweise wesentlich erfolgreichere Weggefährten wie Coppola, Cimino oder Milius hinter sich gelassen. Und wenn alles glatt geht, werden wir auch in den 2010er Jahren wieder De-Palma-Filme gucken. Was sonst. Trotz Trash-Einlagen und unter dem schallenden Gelächter führender Kritiker. Tatsächlich ist er immer noch dick im Geschäft, dreht Festivalbeiträge, Blockbuster, Vollflops und B-Movies in unregelmäßigem Rhythmus, nie weiß man vorher, ob’s was wird, doch immer weiß man: Es ist von dem Typ, der "Scarface" gemacht hat. Den wichtigsten Hollywood-Gangsterfilm der 80er Jahre, vielleicht der kulturhistorisch bedeutendste der Moderne. Ohne das hier kein "Miami Vice", nicht das New Hongkong Cinema und nicht der moderne Actionfilm, wie wir sie kennen. Und kein Grand Theft Auto. Dazu klassische Amerikana, der Aufstieg vom Tellerwäscher zum Millionär. De Palma unterstreicht es noch einmal für die Doofen, in dem er Tony tatsächlich Teller waschen läßt.

Al Pacino, kampferprobt als introvertierter Michael Corleone, ist jetzt der eher extrovertierte Tony Montana. Ein Typ, mit dem man keinen Streit bekommen möchte. Heißblütig, brutal, zielstrebig, jähzornig, paranoid, im Zwischenmenschlichen rührend naiv. Ein guter Unternehmer, aber ein beschissener Psychologe. Wie so viele Chefs. Daß er der Chef wird, ist schon in der Pommesbude klar. Seine Kumpel nehmen wie selbstverständlich Adjutantenposten ein und opfern selbstlos ihr Leben, wenn der fluchende Wüterich die Unterweltkarriereleiter im Sauseschritt hinauf eilt. Bei kleinen Handlangerdiensten für den Hecht im Karpfenteich beweist man Eigeninitiative, Mut und Ehrlichkeit. Unterweltzar Lopez (Robert Loggia, der Mr. Eddy aus "Lost Highway") mag inzwischen zu Bequemlichkeit und Saturiertheit neigen, doch solche Eigenschaften erkennt er auch nach mehreren Martinis und weiß sie zu würdigen. Tony und seine Entourage steigen auf in der Hierarchie und bilden, Anfang vom Ende des Lopez, eine Fraktion in der Gang. Doch nicht offene Meinungsverschiedenheiten um einen Deal mit dem kolumbianischen Kartell bringen das Faß zum Überlaufen, sondern Elvira Hancock (Michelle Pfeiffer), schöne Frau vom dicken Lopez und Objekt der Begierde des hungrigen Emporkömmlings. Die Welt ist dein, spricht der Kapitalismus. Greifen sie zu.

Ein Film, zwei Halbzeiten. Für manche baut der Film in der zweiten ab. Vielleicht, weil Stone mal wieder wenig mit Frauen anzufangen weiß. Vielleicht auch, weil Halbzeit 2 ein wenig zu zäh Richtung vorhersehbares Finish eiert. Die erste eindeutig befriedigend für die zahlreichen Gangstersympathisanten im Publikum, die zweite die pädagogisch wertvolle Moral von der Geschicht. Aufstieg und Fall. Mehr Parallelen zum (formal völlig verschiedenen) "Uhrwerk Orange"? Bitte: Eine Gangsterbande baut reuelos scheiße, spricht ein Art eigene Sprache (fuck you, you fucking fuck), trägt coole Klamotten, nimmt hippe Drogen und verkehrt in trendigen Locations. Ihr Obermotz hat sich eine Weltanschauung zurecht gelegt und verkörpert mit sarkastischer Wonne und stilvoller Haltung den Gesellschaftsschreck („Platz für den Bösewicht!“). Noch Jahrzehnte später veranlasst der Film Gangster und Möchtegerns in aller Welt, sich nach seinem Muster zu gebärden und seinen Stil als Vorbildhaft zu begreifen. Von den zahllosen Popkulturzitaten, die beide wie scheppernde Dosen an Bändern hinter sich herzieht, ganz zu schweigen. "Uhrwerk Orange" traf bei der weißen Randalejugend einen Nerv, "Scarface" erreichte die aufstrebenden Drogengangs der 80er und 90er. Beim Fußballrowdy hängt die Silhouette der Droogs als Poster über dem Sofa. Beim Dealer die Dollarnote mit Tony Montana darauf und dem Wahlspruch „The World Is Yours“. Und beide fanden auch unter Intellektuellen zahlreiche Verehrer. Drogenhandel ist freier Markt in Reinkultur, meine Damen und Herren. Entweder wir sind lieb, oder wir machen Geld. Das Streben nach Macht und Reichtum ist natürlich, es zu unterdrücken hieße Kommunismus. Individuelle Gewalt ist ein Ausdruck individueller Freiheit. Sie auszuschalten hieße Gleichschaltung.

Irgend jemand unterdrückt De Palma in seinen üblichen Manierismen. Keine Karussellfahrten, keine Split Screen, kein Voyeurskitsch. Überhaupt wenig Sex, obwohl es genug Gelegenheit dazu gäbe. Mit Sex aber hatte Drehbuchautor Olivier noch nie viel am Hut. So viele vergebene Elfmeter in so wenigen Filmen. Eher schon mit Koks und Gewalt. "Scarface" ist für Kokser, was "Cheech & Chong" für Kiffer ist. Alle bekannten Klischees und schönsten Extreme werden bemüht. Auf jeden Fall darf man vom Drehbuch auf Erfahrung schließen, und der koksende Kriegsfilmregisseur in "True Romance" soll ja wohl auch Oliver Stone sein (schönen Gruß vom Q-Man, dem damals Stones Umgang mit seinem "Natural Born Killers"-Script wenig gefiel). Auch in punkto Gewalt setzt "Scarface" Maßstäbe ganz wie’s Uhrwerk. Zwar hatte es schon zuvor intensive Schießereien und makabre Tänzchen im Kugelhagel gegeben, doch was Stone/De Palma zum Finale aus dem Hut zaubern, hält auch ein Vierteljahrhundert nach seiner Entstehung jeden Gemetzel-Vergleich. Überhaupt sieht "Scarface" frisch aus. Strahlende, unaufgeregt elegante Farbphotografie, universelle Geschichte, modisch näher an heute als etwa an den frühen 70ern, stilistisch ansprechend. Dazu Schauspieler und Handwerker, die immer noch unterwegs sind und sich gar nicht so sehr verändert haben. Zeitloses Kunstgewerbe, konserviert im selbstgeschaffenen moralischen Universum. Ich persönlich ziehe "Carrie" vor, doch "Scarface" ist (und bleibt) De Palmas wichtigstes, vielleicht einzig wirklich bedeutendes Werk.

Bearbeitet von hoolio21, 10. Oktober 2008, 00:10.

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#34 hoolio21

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Geschrieben 14. Oktober 2008, 00:40

Ein letzter milder Tag auf dem Alten Südfriedhof und gute Stimmung an der Börse. Die Arbeit (junge Berge) des Wochenendes ist vollbracht, der Alte vom Berge ging nach Walhalla, und euer ergebener Chronist ist ein Bastard.


Waffelbruch 008
(kommende DVD-Neuerscheinungen)

Regisseur Alan Rudolph ("The Moderns", "Trouble in Mind") hat so seine Meriten, weshalb es etwas verwundert, daß es immerhin acht Jahre dauerte, bis die obendrein ziemlich hochkarätig besetzte und von Robert Altman produzierte Kriminalkomödie Trixie (US 00) in Deutschland heraus kommt. Politesse Trixie Zurbo (Emily Watson) wird gern unterschätzt, weil sie unsicher im Zwischenmenschlichen und nicht die Wortgewandteste ist. Als sie mit ihrem Lover, dem charmanten Gangsterhandlanger (Dermot Mulroney), zum Wochenendausflug auf der Yacht von dessen Boss weilt, glaubt sie, den ebenfalls unter den Gästen befindlichen Senator Drummond Avery (Nick Nolte) bei einer unkoscheren Handlung (Mord?) ertappt zu haben. Leider sind ihre von geringer Unterstützung begleiteten, diesbezüglichen Nachforschungen mit hohen Risiken verbunden. Kein spektakulärer Lachschlager oder sonderlich origineller Krimi, aber kauzige, gut ausgearbeitete Typen, leiser Humor und feine Darsteller allerorten. Köstlich die verbale Konfrontation zwischen der White-Trash-Pflanze und dem WASP-Strippenzieher in einem Nobelrestaurant, wo beide in zwei völlig fremden Sprachen miteinander kommunizieren und minutenlang eigentlich nur Missverständnisse produzieren.

Wir schreiben das Jahr 2004, und George Dabbeljuh hat gerade mal wieder eine Wahl gewonnen. John Logue (Breckin Meyer aus "Garfield" und "Road Trip") schämt sich seines Landes, mag nicht länger Amerikaner sein und erwägt, nach Kanada auszuwandern. Dort hat sich eine Organisation darauf spezialisiert, Dissidenten wie ihn über lokale Ehepartner einzubürgern. Für die mehrere Tage dauernde Fahrt hätte John gerne einen Mitfahrer, der ihn auch mal am Steuer ablöst. Und weil ihm die heiße Chloe (Anna Paquin) auf Anhieb gar so gut gefällt, fragt er sie dummerweise nicht mal, ob sie überhaupt einen Führerschein hat. Es kommt, wie es kommen muß, in halbernst gemeinten Studenten-Roadmovies wie diesem. Man lernt sich kennen, zankt, erlebt gemeinsame Abenteuer, erfährt die Geheimnisse des anderen, verliebt sich. In Blue State (US 07) kommt so ziemlich jedes Problem mit Ausnahme der Finanzkrise zur Sprache, das Amerika gerade so im Innern bewegt. Ist man noch Patriot, wenn man gegen den Krieg ist? Darf man die Regierung im Krieg angreifen? Darf man vor dem Krieg abhauen? Können Rechte und Liberale überhaupt noch miteinander kommunizieren? Das alles wirkt konstruiert, aufgesetzt, in erkennbarer Absicht angerichtet. Manipulativer, politisch korrekt gesonnener, gut gemeinter Dramendung mit genau denselben Klischees, die die anderen auch haben. Bush ist doof, Krieg ist schlimm, aber manchmal unvermeidlich, und Kanadier sind schräge Arschlöcher.

Wesentlich besser gefiel mir da The Onion Movie (US 08), der auf gut deutsch "News Movie" heißen wird und das "Kentucky Fried Movie"-Prinzip melkt. Erwartete zunächst so etwas wie diesen Steve-O-Dreck unlängst ("National Lampoon’s TV the Movie"), mußte aber nach dem dritten Lacher in der ersten Viertelstunde erkennen, daß ich mich auf angenehme Weise getäuscht hatte. Seit ein junges dynamisches Duo das Zepter in der Chefetage schwingt, geht’s rund bei Amerikas populärstem Nachrichtensender. Wichtiger als die neuste Nachricht vom Krisenherd ist jetzt geschicktes Product Placement. Mitten in der Ansprache an die Nation von einem trompetenden Pinguin unterbrochen zu werden, gefällt dem alten Anchorman-Schlachtross gar nicht. Erst recht nicht, wenn es sich bei dem beworbenen Produkt um die neue Actionschote von Steven Seagal handelt ("Schwaaanzboxer"). Ein "Network"-artiger Konflikt bahnt sich an im gediegenen Ambiente einer gehoben ausgestatteten Hollywoodproduktion, während rundherum in flottem Rhythmus sensationelle Nachrichtenberichte aus dem In- und Ausland einlaufen. Auf vier laue Gags kommt ein zündender, aber das ist bekanntlich gar keine so schlechte Quote, wenn die Gagdichte hoch ist wie hier. Auch die satirischen Anspielungen und kalkulierten Geschmacklosigkeiten zum Teil angenehm dreist. Spoof-Godfather David Zucker, Co-Autor des "Kentucky Fried Movie", produzierte.


Die Hintern hoch, die Reihen fest geschlossen

Paris marschiert. Warum, weiß keiner. Nur die Cybernerds auf der imdb freuen sich. Jetzt können sie wieder Einser ziehen, ohne nachzudenken. So einer hübschen, reichen, erfolgreichen Frau darf man es ruhig geben. Die Schlampe, die muß ja blöd sein. Solche Scheißfilme wie Bottoms Up (US 06) zu machen. Die kann ja gar nichts, hat nie was geleistet, und ist trotzdem reich und andauernd in der Zeitung. Nun, mir würden da noch ein paar andere einfallen, auf die das auch zutrifft. Lady Di etwa. Pamela Anderson, oder Verona Feldbusch. Alle Kings, Queens und Prinzessinnen dieser Welt. Alle Wertpapiertändler, Broker, Spekulanten. Alle Controller. Alle, die sich in industriefinanzierten Lifestyle-Medien über die dicken Ärsche, Vokuhilas, Dialekte oder unvorteilhaften Klamotten der produktiven Klasse mokieren und den Leuten einreden, ohne gewisse Markenartikel oder mit äußerlichen Defiziten minderwertig zu sein. Und alle, die sich an den Leistungen anderer goldene Nasen verdienen, selbst aber noch nie einen Wert geschaffen haben. Wobei Paris Hilton im Vergleich zu diesen Pennern und Parasiten niemandem schadet. Außer vielleicht meinen gerade etwas strapazierten Nerven. Oder dem vielzitierten guten Geschmack. Deshalb hinkt er. Der Vergleich. Weil wir aber alle von Picasso wissen, daß der Chief Enemy der Kunst Guter Geschmack heißt, ist Paris am Ende vielleicht doch ...

Wenn man aber die Leute fragt, welche Person des öffentlichen Lebens jenseits von Hitler, Bin Laden, Bush sie am liebsten verachten, erhält man Antworten wie Uschi Glas, Lothar Matthäus oder Dieter Bohlen. Oder Paris Hilton. Was die romantische Komödie "Bottom’s Up" noch zu bieten hat außer der hier zur Abwechslung brünetten Bohnenstange? Zum Beispiel Jay aus "Jay & Silent Bob". Jason Mewes, wieder ganz im Kifferslackermodus, kommt nach L.A., um Geld für einen guten Zweck zu machen. Es gelingt ihm, sich an eine Hollywoodschauspielerin heran zu wanzen, in niedrigster Absicht infiltriert er ihren Mikrokosmos und verliebt sich doch. Hilton erzählt aus dem Tussennähkästchen (wenn ich aus dem Raum bin, lachen sie über mich). Mewes kifft, poliert ein paar Fressen, holt seinen Scheck ab und schleckt die Tussi amtlich ab. Und dann ist da noch David Keith als Gay Uncle Earl. Der einzige, der hier wirklich aufdreht und abgeht. Der David Keith, der mit Richard Gere zur Air Force ging in "Ein Offzier und ein Gentleman", den Vater spielte von Drew Barrymore in "Firestarter", und furios versagte als schmuddeliger "Indiana Jones"-Verschnitt "Tennessee Buck". Dieser Darsteller harter, oft auch ein wenig psychotischer Typen hat offensichtlich sein Leben lang darauf gewartet, Hollywoods schlimmste Tuntenkarikatur der letzten zehn Jahre an den Tag zu legen (ja, ich kenne den Blasetrainer aus "Old School"). Hart an der Grenze zum Hate Crime, würde ich sagen. Aber sehenswert. Das zumindest. Und wie immer weit entfernt vom schlechtesten Film aller Zeiten. Für dessen engere Auswahl ich einen ernsthafteren Vorschlag hätte.

Kennt einer die neuen Filme von Ulli Lommel? Oder bin ich mal wieder der einzige, der sich so etwas zumuten muß. Bestimmt bin ich der einzige, der sie beinahe alle sieht / gesehen hat. Das schafft nicht mal Lommel selbst. Ich versuch’s mal zu beschreiben. Ein True Crime Movie in der Regel. Immer No Budget, stets experimentell. Der Zodiac Killer, der Green River Killer, der Mord an der Schwarzen Dahlie, der Son of Sam waren unter anderem schon Themen. Da flimmern dann zusammenhanglose Bilder zu Geräuschen. Schwarzweißfilme obskurer Herkunft, Verfremdungseffekte, Photos, Kaleidoskope, im Wechsel mit Videokamerabilder aus einer teutonisch wirkenden, schlicht eingerichteten Zweizimmerwohnung. Aha, der Schauplatz der Handlung. Manchmal drei, allenfalls vier, meist aber nur ein oder zwei Schauspieler bestreiten dort fast das gesamte Geschehen. Allerdings interagieren sie nicht, sprechen nicht miteinander, sondern bewegen sich nur, werfen Schlagschatten, ohne allerdings wirkliche Verrichtungen auszuführen. Dazu raunzt eine Stimme aus dem Off dummes Zeug ohne Anfang und Ende. Dazu keine Action, keine Effekte, nicht der leiseste Versuch, komisch zu sein. Und trotz erkennbar erotischer Absicht null Sex. Nur endloses, monotones Erzählergelaber aus irgendwelchen Quatschperspektiven zu den langweiligsten Bildern, die Wahnsinn so ersinnen kann. Ein schriller, verzweifelter Schrei nach Entmündigung. Vielleicht ergibt es ja einen Sinn, wenn man es rückwärts abspult, aber das kann mein Player noch nicht. Lionsgate hat’s trotzdem im Paket gekauft und flutet jetzt die ganze Welt damit, versucht es wenigstens. Why. Nun also Dungeon Girl (US 08). Lümmel geht Kampusch, ohne allerdings die Eier im Sack zu haben und direkt auf den Fall Bezug zu nehmen. Nun wird das Mädel (sehr hübsche Darstellerin, übrigens) eben am 15. März 1998 statt am 2. März 1998 entführt (!). Der Film selbst dann die übliche üble Zumutung. Off-Stimme: Das Mädchen. Einzige Message, die durchschimmert: Natascha fand’s eigentlich ganz geil. Geschmackvoll und cool, Alter.

Experimentell wollen gerade viele sein. Small Town Folk (GB 07) ist ein britischer Redneck-Horrorschocker nach gängiger Formel (Auto, Ausflügler, falsche Abzweigung, Sonderlinge, Rape&Revenge-Mutanten). Diesmal aber passiert (fast) alles vor einer sogenannten Green Screen. Also haben die viktorianisch wirkenden Figuren so eine Art Aura, und hinter ihnen erhebt sich vielleicht ein Modellbauhaus. Die Killaktionen inszeniert Debütant Stanley-Ward dafür so drastisch und realistisch, wie man es im Genre gewohnt ist, was dem im ganzen ziemlich schlichten Stück einen zuweilen recht surrealen (Alb-)Traumanstrich verleiht. Noch schräger: Die One-Man-Bastelanimationen von Multifunktionstalent Frank Sudol, dessen Scherenschnittzombiefilm "City of Rott" schon 2007 keiner sah. In Dead Fury (US 08) knöpft er sich "Tanz der Teufel" sowie jüngere Redneckmutantenfilme vor und verarbeitet statische 2-D-Figuren zu vielen kleinen lebenden Teilchen oder dekorativen Innereienhaufen. Manko (für Leute, denen sowas reicht): Weil bewegte Animation arbeitsintensiv und Reden billig ist, quatscht die Handvoll Figuren quasi ununterbrochen und dazumeist im Stehen.

Wieder einmal führt ein Wahnsinniger das Regiment im Irrenhaus, wenn im schlicht ersonnenen, doch zuweilen glänzend gespielten Insanitarium (US 08) von "Midnight Meat Train"-Drehbuchautor Jeff Bühler ein impulsiver junger Mann (Jesse Metcalf aus "Desperate Housewives") wie weiland Jack Nicholson den Wirrkopf spielt, um seine suizidale Schwester zu befreien, die spurlos hinter Anstaltsmauern verschwand. "Fargo"-Unhold Peter Stormare paßt der Mad-Scientist-Anzug wie angegossen, und die Droge, die er seinen Schutzbefohlenen verabreicht, verursacht im Nebenberuf leider ein bißchen Kannibalismus. Womit wir schon fast wieder beim Zombiefilm wären. Doch der setzt ausnahmsweise mal eine Runde aus. Statt dessen gibt’s noch ein perfides Spielchen auf Leben und Tod, veranstaltet von Ananas persönlich im sechsten Untergeschoß eines stinknormalen nordamerikanischen Parkhauses. Dort, in unmittelbarer Nähe von The Entrance (US 06), werden vier üble Sündenbuben mit ihren schlimmsten Vergehen auf Super-8 konfrontiert und, falls sie bei der Reise nach Jerusalem oder Fang den Hut verlieren, wahlweise von einem unsichtbaren wilden Watz oder einem reißzahnbewehrten Springteufelmädchen totgekuschelt. Oder so. Politesse Dingsbums (Sarah-Jane Redmond) kann das alles gar nicht glauben und sieht mal selbst nach dem rechten. Gut gespielt, optisch reizvoll, moderat spannend, erfrischend unblutig. Und auch von Lionsgate. Bedrückend blutig, doch nicht heute: Das notorische "Last House on the Left"-Remake Chaos (US 05), eigentlich als Abschluß dieses Textes vorgesehen, wird einer nochmaligen Betrachtung unterzogen. Nach der für den deutschen Markt vorgeschlagenen 71-Minuten-Fassung hat mich doch noch die infame Uncut-Fassung erreicht. Mehr davon in bälde in einer längeren Betrachtung.

Bearbeitet von hoolio21, 14. Oktober 2008, 01:22.

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#35 hoolio21

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Geschrieben 17. Oktober 2008, 00:43

Bevor ich mich (vielleicht) mehr oder minder ausführlich "Chaos" widme, aus gegebenem Anlaß dieses schöne Beispiele für früher pfui, heute hui. Als Jugendlicher ließ mich


Last House on the Left
(US 72)

arschkalt. Kann mich sogar erinnern, daß sich meine jugendliche Horrorvideoclique 1982 offensiv davon befleckt fühlte. Als in Fulcis "Woodoo" eine nackte, schreiende Frau mit dem Auge voraus auf einen fetten Holzspan gezogen oder in "Muttertag" Vergewaltigung als spaßiges Spiel präsentiert wurde, haben wir uns köstlich darüber amüsiert. Dies aber hatte eine andere Qualität. Handkamera, Beklemmung, Demütigung, Nähe. Statt theatralischem Gehabe so etwas wie O-Ton. Aaangst. Sadismus ohne Bremse. Just like being there. Wir kannten das. Jeder von uns war als Kind schon mal Opfer von üblen Asos geworden (manche in der eigenen Familie). Da wollten wir nicht sein. Also raus mit dem Ding. Spätestens, wenn sich die Torte in die Hose pisst (iiih).

Fünf Jahre später vielleicht nach dieser Ludovico-Therapie beim Blättern in irgendwas Amerikanischem, Balun oder McCarthy wohl, die Silhouette wiedererkannt. Diese drei vornüber gebeugten Typen aus der Opferperspektive. Ach guck mal, der Dreck von damals, hieß der nicht "Mondo Brutale" oder so. Und irgendwie schienen die Amis was daran zu finden. Von Einmaligkeit war die Rede, und Unübertroffenheit. Wäre vielleicht eine Second Opinion geboten? Plötzlich erst mal festgestellt, wie schwer dieser Film zu bekommen war. Irgendwann um 1990 rum das Ding dann endlich niedergetrackt und noch mal eingelegt. Und, oh meine Brüder: Zu Orchesterfanfaren bildete sich ein Lichtkranz um mein Haupt.

Zwei weibliche Teenager (Lucy Grantham, Sandra Cassel) bezahlen den Versuch, im Vorfeld eines Rockkonzertes Drogen zu erstehen, mit dem Leben. Das Mörderquartett, das die Mädchen vor ihrem Tod erst ausgiebig quält, sucht ohne es zu ahnen Asyl im Elternhaus ihres Opfers. Als die Mutter im Gepäck der Gäste das blutverschmierte Geschmeide der längst vermißten Tochter entdeckt, nimmt heiß gestrickte Selbstjustiz ihren Lauf.

Menschenraub, Vergewaltigung, Mord, Gegenmord. Und das nicht irgendwie, sondern so en detail und realitätsnah, wie es noch nie zuvor zu sehen ward. Das an sich wäre schon bemerkenswert, doch noch erstaunlicher sind Intensität und inszenatorische Finesse des Gezeigten. Und der Umstand, daß es fast nichts gekostet hat. Geschaffen von den vormaligen Pornofilmern bzw. späteren Horrorserienbegründern Wes Craven ("Nightmare on Elm Street") und Sean Cunningham ("Freitag der 13.") gar nicht mal so frei nach Ingmar Bergmans "Jungfrauenquelle" auf dem Höhepunkt einer heftigen amerikanischen Werte- und Identitätskrise (Stichworte: Kennedy/King-Attentate, Watergate, Vietnam, Rassenunruhen, Kent University, Altamont, Manson). Zwischen "Night of the Living Dead", "Uhrwerk Orange", "Pink Flamingos", "Deliverance", "Dirty Harry", "The Wild Bunch" gewiß zur rechten Zeit am rechten Platz.


Mord - The Movie

Zu entdecken ist kein erhebender, befreiender oder auch nur spannender Film. Manchmal, wie z.B. in einigen Szenen mit den Eltern des Mädchens oder sämtlichen mit den beiden Cops (darunter der spätere C-Action-Spezi Martin Kove), ist es nicht einmal ein guter. Wenn es aber um sein ureigenes Anliegen, die anrührende Darstellung von Töten und Sterben, geht, ist dies das Musterexemplar jener raren Kategorie von Horrorfilmen, die keinen abstrakten Fantasy-Popanz malen, sondern nachvollziehbaren Schrecken schöpfen aus universellen, in jedem wohnenden Ängsten vor Tod, Mord, Mißbrauch und Verstümmelung im wirklichen Leben. Die, wenn sie ihre Sache richtig machen, dem Betrachter das feile Privileg bieten, einen GAU der menschlichen Existenz gleichsam erleben zu dürfen, ohne dafür die Sicherheit des heimischen Pantoffelkinos aufgeben und in der feuchtkalten Einsamkeit einer Industriebrache schreiend verbluten zu müssen. Oder lassen wir es doch meinen Meister sagen:

"Wes Craven's direction never lets us out from under almost unbearable dramatic tension. The acting is unmannered and natural, I guess. There's no posturing. There's a good ear for dialogue and nuance. And there is evil in this movie. Not bloody escapism, or a thrill a minute, but a fully developed sense of the vicious natures of the killers." (Roger Ebert)

Wer nun aber der Ansicht ist, daß Filme und deren Zuschauer nicht in Abgründe blicken dürfen sollen, der muß eben (Denk-)Verbote fordern. In Deutschland, wo man das Drehen von Genrefilmen drangegeben hat, klappt wenigstens das prima. Alle anderen lernen Englisch und stehen auf für den Champion. "Last House House on the Left" blieb im Budget knapp unter 100.000 Dollar, inkl. Post-Produktion. Gutes muß nicht teuer sein (fünf Teuro ins Phrasenschwein, raschel). David Hess, der den Oberbösewicht spielt, als habe er in seinem Leben nichts anderes getan als Backfische zu filettieren, steuert auch das Gros der Musik bei und singt sie selbst. Später ging er nach Europa, recycelte seinen hiesigen Charakterpart in Titeln wie "Der Schlitzer" oder "Wenn Du krepierst, lebe ich" und fand als Musikproduzent im Raum München eine neue Heimat. Jeramie Rain, hier eindrucksvolle Darstellerin einer beunruhigenden Gangsterbraut und in dieser Funktion eine Art Punk-Pionette, heiratete den bekannten Hollywoodstar Richard Dreyfuss und zeugte mit diesem drei Kinder. Nähere Information zu einem besonderen Film sowie interessante Einblicke in die Low-Budget-Filmerei einer nicht nur kreativ spannenden Epoche vermittelt das Buch "Wes Craven's Last House on the Left" von David A. Szulkin (Fab Press).

Bearbeitet von hoolio21, 17. Oktober 2008, 03:14.

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#36 hoolio21

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Geschrieben 22. Oktober 2008, 00:55

In my dreams I’m dying all the time.


Eines Tages, wenn ich durch die Stadt vom Einkauf nach Hause spaziere und das goldene Herbstlaub unter meinen Füßen raschelt, wird neben mir abrupt ein Auto zum Stehen kommen. Ein Typ mit einem zur Grimasse verkniffenen Gesicht wird heraus und auf mich zu stürzen schneller als ich arme Doofbirne denken kann und mich einfach abstechen, in sein Auto zurück steigen und verschwinden. Oder aber ich werde beim Angeln in der Finis Terra von einer fetten Welle vom Felsen gewischt und befinde mich von einer Sekunde auf die andere 200 Meter weit draußen zwischen klatschenden Wellengebirgen im 7 Grad kalten schwarzen Atlantik und sage „Yeehaw“. Das sind meine beiden Kinotodesarten.

Hier mal eine unromantische Wahrheit über modernes Rittertum. Als Hooligan oder Gangster oder Droog oder wie immer man das nennen will mußt du in der Lage sein, Schwächere zu tyrannisieren und zu verprügeln. Sonst bist du nicht hart genug und die anderen können sich nicht auf dich verlassen und du wirst sogar zu einem Risiko für sie. Einen bedenkentragenden Fairplay-Softie kann eine Gang so wenig gebrauchen wie einen, der erst den Lauten macht und beim geringsten Anzeichen von Hektik davon läuft. Auch mußt du schließlich erst einmal erkennen, ob du es überhaupt fertig bringst, einen Menschen zu schlagen. Und ausprobieren, was dabei besser oder schlechter ankommt. Und das testet man am besten nicht mit einem betrunkenen britischen Stiernacken, weil es sonst der letzte Test deines Lebens ist, sondern mit einem armen Wurm, der zur falschen Zeit am falschen Platz ist, ohne es zu ahnen das falsche Wort spricht, die Insignien der fremden Subkultur trägt, oder einfach nur sowieso der Sandsack ist, auf dem alle herumtrampeln. Oder, um es ins schiefe Bild zu setzen: Du brauchst ein Antilopenkalb, mit dem du üben kannst, bevor du dich an die Büffel wagst.

Wichtigste Regel für Männer, die keine Opfer werden wollen: Komm nicht wie eines rüber. Essentiell wichtig und wirksamer als Waffen (vergiß es), Kampfsport (kicher) oder Wegrennen ist in jedem Falle selbstbewußtes, entspanntes Auftreten. Natürlich hast du Angst, aber spiel Schau. Acte um dein Leben. Bluffe. Dem Schläger signalisierst du damit, daß du einer sein könntest, der sich wehrt oder eine Anzeige erstattet. Ausdruck: Been there, done that. Botschaft an Gewalttäter: Eine Attacke auf mich bedeutet unnötigen Stress, Abschiebung, mögliches Wehweh, Tod. Aber aufgepasst: Herablassung oder Arroganz können genauso zum Angriff führen wie Angst. Gib dem Übeltäter das Gefühl, das du ihn als gefährlich einschätzt (Respekt auf kanakisch), doch nicht fürchtest. Du bist ein Elefant oder Stachelschwein, keine Antilope. Glotz ihnen auf keinen Fall ewig in die Augen, schlage aber auch keine Bögen um sie. Sei höflich, doch nicht unterwürfig, tritt einfach nur gemessen ein, zwei Schritte zur Seite, und zeige keinerlei Fluchtreflexe. Passe nicht ins Beuteschema. Kitzle sie nicht ohne Not in ihrer Ehre („Hier ist Rauchen verboten“). Wenn sie dich dann trotzdem attackieren, hätten sie es auf jeden Fall auch so getan. Dann kannst du immer noch zeigen, was du in Seagal-Filmen gelernt hast. Oder du tust einfach folgendes:

An dieser Stelle habe ich dann meinen mit Liebe gedrechselten Text selbst zensiert und um drei lehrreiche Abschnitte gekürzt, damit dieses wundervolle Forum kluger und feiner Menschen nicht verboten wird. Denn nur gedacht sind die Gedanken frei.


Waffelbruch 009
(kommende DVD-Neuerscheinungen)

England, oh, England. Heimat des organisierten Rowdytums. Hier, wo triste Plattenbauten sinnlos wuchern und jugendliche Messerhelden ihre Erkennungszeichen in die Gesichter der Feinde schnitzen, ist es ganz besonders scheiße, ein Antilopenkalb zu sein. Was also machen, wenn einem das Stachelschwein nicht abgekauft wurde von der allgegenwärtigen Gewaltkrake auf den unverdrossen videoüberwachten Wegen. Wenn niemand dir hilft, wenn du zu Klump geschlagen wirst, und die Justiz dir nachher noch eine lange Nase dreht. Und am nächsten Tag deine Peiniger schon wieder auf der Matte stehen, um sich zu rächen, weil du sie angezeigt hast.

Danny Bryant (Sean Bean) kommt zurück aus dem Irak oder Afghanistan oder irgend so einer Gegend, wo Vater Staat seine besten Männer für Geld töten lässt, in welchem Doppelsinne man das auch immer interpretieren mag. Bryant ist richtig gut in Töten und staunt nicht schlecht, als ihm die Kifferclique im heimischen Stadtpark trotzdem anzüglich nachpfeift wie irgend so einer Schulhofmatratze. Aber nicht mit Bryant. Und dann ist da dieser seltsame Typ, der mal Cop war und heute den Blockwart gibt in Bryants extrakühlem Mietsilo. Den ganzen Tag sitzt er vor seinen Monitoren, auf denen er nicht nur die Flure und die Eingänge, sondern längst auch die Privatsphären überwacht und aufzeichnet. In Bryant mit seinem Koffer voller Knarren wittert er instinktsicher den richtigen Mann für einen interessanten Versuch.

Seit William Lustigs Selbstjustiz-Klassiker "Vigilante" ist nicht mehr so unverhohlen das Hohelied des das Recht in die eigene Hand nehmenden Kleinbürgers gesungen worden wie in Outlaw (GB 08), der neuen kalkulierten Kontroverse von "Football Factory"-Regisseur Nick Love. Ja, schreit es da, der Staat hat versagt. Kann oder will seine Bürger nicht schützen, weil es ihm scheiße noch mal egal ist. Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott. Suche Gleichgesinnte. Trainier deinen Körper und lern Kämpfen vom Fachmann. Schnapp dir einen Axtstiel und versohl dem Dealer den Arsch. Besorg dir eine Knarre und verhilf der Gerechtigkeit, nicht dem Gesetz, zum Sieg. Du wirst sehen, es gibt Leute, die warten nur darauf, das es endlich los geht. Polizisten, die dir Namen liefern und dich laufen lassen. Zeitungen, die auf einen Robin Hood gewartet haben. Ein ganzes Land stöhnt unter den Knute des Verbrechens und dürstet nach einem Erlöser. Heil. Heil dir im Loserkranz.

Bin ich hier, um das zu werten? Um zu richten über Love, der mir vorkommt wie ein Kommerzhansel, der das richtige Pferd reitet? Sein Film ist frech, aber halbherzig. Natürlich kommt es nicht so derb, wie der Zuschauer (ich) zu Anfang hofft. Der Naziwichtel darf nicht triumphieren, zumindest nicht total, und auch nicht seine Kumpel, die es besser meinen. Wo kämen wir da hin. Aber es ist keine Erkenntnis, die das bewerkstelligt, sondern der Feind, der stärker ist. Schreit das nicht nach einer neuen, noch brutaleren Initiative.

Von England nach Frankreich und zurück in den II. Weltkrieg. An der Küste der Normandie latscht ein britischer Spion auf eine Mine, und die SS möchte gerne von den Resten wissen, wie sich das mit der bevorstehenden Invasion verhält. Bevor aber Obersturmbannführer Moritz Bleibtreu den lausigen Latexeffekt so richtig in die Mangel nehmen kann, schlägt Partisanenamazone Sophie Marceau mit ihren Female Agents (F 08 O-Titel: "Les Femmes de l’ombre") zu und entführt den wichtigen Zeitzeugen auf Nimmerwiedersehen aus dem Spital. Dafür nun hat sie allerdings Bleibtreu und seine Rasselbande an der nicht mehr ganz so sexy dicken, immer aber noch sehr attraktiven Backe.

Ja. Woll. Frau Marceau liegt auf dem Dach, den Scharfschützenkarabiner im Anschlag, und lüftet Papis Wehrmachthelm mit lautem Zäng. Der komplett wie kein SS-Mann wirkende Bleibtreu muß darob die Stirn immer ärger runzeln und nimmt den Kampf mit der heißen Tante höchstpersönlich. Wir machen Bekanntschaft mit einem Soldatenliebchen, betrachten Nachwuchspartisetten beim Striptease, lernen, das nicht jeder Kartoffel zu jeder Stunde ein menschenverachtender Folterknecht war, und erleben die anrührende Wandlung einer eiskalten Kommunistin zur bewegten Kirchgängerin. Patriotische Fanfaren und nackte Sentimentalitäten säumen ein um originales Zeitkolorit bemühtes, reich ausgestattetes Kostümdrama mit vergleichsweise statischen Actionszenen und unmodern heller, überschaubarer Inszenierung. Soll auf Tatsachen basieren, kommt dem ahnungslosen Chronisten aber eher weit hergeholt für.

Noch weiter in der Vergangenheit, im Wien der Jahrhundertwende, steigt Edward Norton als The Illusionist (US 06) der schönen "Texas Chainsaw Massacre"-Quieke Jessica Biehl nach und riskiert dabei einigen Ärger mit dem übellaunigen Kronprinzen Leopold (Rufus Sewell), der seinerseits ebenfalls Besitzansprüche auf den steilen Zahn anmeldet und den Vorteil hat, dem beliebten Schausteller nach Belieben die Bullen auf den Hals hetzen zu können. Polizeichef Paul Giamatti greift in der Freizeit selbst gern mal in die Zaubertruhe, sympathisiert offensichtlich mit dem Verdächtigen und dient als griechischer Chor, um dem Zuschauer die etwas zähe und arg konstruierte Story näher zu bringen. Schale Liebesgeschichte trifft etwas bessere Detektivgeschichte vor schwer gebeugter historischer Kulisse. Miese Zaubertricks, die ohne CGI garantiert keiner so hin friemelt (also ein echter Zauberer), aber Gott, hat die Frau einen geilen Arsch.

Zurück in den 60ern und in London. Pop und Protest liegen nicht mehr fern, doch noch hat es eine Frau schwer, in von Männern beherrschten Hochlohngruppen Karriere zu machen. Mancher glaubt ja, der Durchbruch der Frau in der Arbeitswelt begänne erst mit den 68ern, doch tatsächlich gab es schon in den 50ern Damen, die sich nicht mehr von den Posten verdrängen lassen wollte, die man ihnen während des Krieges mangels Männern so bereitwillig reingedrückt hatte. Auch Laura Quinn ist aufgestiegen bei Londons größtem Diamantendealer, doch nicht so schnell wie ihre männlichen Kollegen und nicht so hoch, wie sie es verdient hätte. Jetzt erlauscht sie, daß sie obendrein gefeuert werden soll, als Sündenbock beim Deal mit dem Apartheidstaat. Und die beherrschte, vierzigjährige Dame, die auf Liebe verzichtete und Familie zugunsten dieses verschobenen Rattenrennens, wird langsam sauer.

Auch dem alten Hausmeister in Quinns Firma wurde von der Geschäftsführung übel mitgespielt. Im Gegensatz zu Quinn hatte er zwar eine große Liebe, doch die mußte sterben, weil es keine Krankenversicherung für sie gab. Quinn hat trotzdem weitergearbeitet bei der Firma, die seine Frau sterben ließ, und gut zugehört, was die Herren Vorständler sich so erzählen, wenn außer ihnen bloß der alte, blöde Putzlumpen im Raum ist. Jetzt schließt er sich mit Quinn kurz, in der er zielgenau eine Gleichgesinnte wittert, und beide hecken den dreistesten Tresorraub seit "Rififi" aus. Den man gerade erst im Kino sah. Die Hauptrollen in Flawless (US 07) spielen Demi Moore und Michael Caine. Demi Moore. Die Ex vom Bruce Willis, einst bestbezahlte Schauspielerin Hollywoods, jetzt die Frau vom Motherfucker mit dem Babydocht. Stammt aus einem Trailer zu Roswell und wurde wahrscheinlich des öfteren rektal examiniert, bevor sie davon lief, um die schwarze Märchenkönigin in der Glitzerhölle zu werden. Hat man sich an diese Konstellation erst mal gewöhnt, macht es richtig Spaß, dem ungleichen Paar aus kühler Geschäftsfrau und verschmitztem Meister Eder beim Abzocken der Scheißkrawatten zuzusehen. Natürlich läuft nicht alles wie geplant, doch macht auch die sonderbarste Wendung am Ende noch einen hübschen Sinn in diesem garantiert nicht an die Popcorn-Crowd adressierten, ausgesprochen elegant inszenierten Schmuckstück.

Erstaunlich ähnlich in Stil und entspannter Haltung: Sparrow (HK 08 "Man jeuk") von Johnny To. Ein Quartett von Taschendieben macht beinahe spielerisch lässig die City unsicher und hängt nach vollbrachtem Werk im Straßencafe ab. Einer von ihnen (Simon Yam) schießt gerne Photos und entdeckt eine schöne Frau, die sich weder leicht bestehlen noch romantisch um den Finger wickeln läßt. Warum. Nun, die Dame hütet ein dunkles Geheimnis. Wie das so ist mit fatalen Femmes . Aber das spornt unsere vier Freunde und besonders Simon nur noch mehr an. Eine Geschichte, die nirgendwo hin will, ein Großstadtmoloch, der zuweilen rüberkommt wie das Paris der Amelie, und eine Bande von Träumern zu viert auf dem Fahrrad. Eine stilvolle Fingerübung irgendwo zwischen federleichter Gaunerkomödie und einer traurigen kleinen Liebesgeschichte, voll von sehenswerten Bildern, greifbaren Stimmungen und kauzigen Tagedieben auf der Suche nach Glück. Kann man mal gucken, so zwischen zwei Folterpornos.

Seit ich Hrithik Roshan in dem sensationell bescheuerten "E.T. "-meets-"Forrest Gump"-Sf-Romkomschmonz "Koi Mil Gaya" sah, kann ich ihn schwerlich noch als etwas anders wahrnehmen als eine augenrollende, hampelnde Nerd-Karikatur, die mit Kindern und einem Sitzsack vor Schweizer Heuhaufen alberne Schuhplattler aufführt. Keine guten Vorraussetzungen, um Roshan als indischen Nationalhelden, Völkerbundgründer, wichtigste historische Mittelalterfigur und mithin Kaiser Jalaluddin Mohammed Akbar zu bewundern, aber bitte. Geboten in Jodhaa Akbar (Indien 08) ist nichts weniger als das indische Budget- und Ausstattungsmonster der Saison, eine Biografie des milden Herrschers und Religionenversöhners mit Formationstanzeinlagen, unfaßbar reich ausgestatten höfischen Zeremonien und breiten Schlachtengemälden, in denen Regisseur Ashutosh Gowariker ("Lagaan") Zehntausendschaften von Statisten samt hunderter Kriegselefanten aufmarschieren läßt und auch schon mal ein Kopf im Close-Up plattgetreten wird. Dazu natürlich eine Love Story mit Hindernissen, denn es gilt nichts geringeres als vier Stunden zu füllen.

Im Schnelldurchlauf: Hinter dem wenig gutes verheißenden Dutzendtitel Alien Agent (US 07) versteckt sich ein ganz flotter Sf-Actionkracher mit viel Feuerzauber, einer netten Buddy-Geschichte und den richtigen Klauvorlagen. Und Mark Dacascos. In Slip (US 06) manipuliert ein frisch gewaltsam verstorbener Ghettojüngling eine heiße weiße und zufällig medial begabte junge Dame, um die Ermordung seines geschätzten Oheims zu verhindern. Letzterer staunt nicht schlecht, als er aus heiterem Himmel von einem weißen Chick mit Schrote aus der Bredouille gepaukt wird, und irgendwann auf einer langen Odyssee durch South Central L.A. wird aus den beiden sogar ein romantisches Paar. Es gibt noch andere Geister, die von der Dame Gebrauch machen wie von einem Hammer oder einem Telefon in dieser wirklich sehr netten und kurzweiligen Low-Budget-Melange aus "Medium", einem Gangthriller und einem Damen-Psychodrama. Auch sehenswert: Joy Ride 2: Dead Ahead (US 08). Der Nachfolger von jenem Roadmovie-Horror, in dem Steve Zahn mit einem Trucker und CB-Funker namens Rusty Nail anbandelt. Vier Kids finden die Farm vom Nagel und borgen sich seinen Schlitten. Das kann natürlich nicht gut gehen. Charakterzeichnung mit dem feinen Pinsel, hoher Einfallsreichtum und ein erstaunliches Maß an Spannung für eine derart vorhersehbare Sache.

Peinlich und aufgesetzt pöbelt Jimmy and Judy (US 06) mit dem unsäglichen Edward Furlong daher. Das "T2"-Scream-Kid betätigt sich als Rebell ohne Grund in dieser trostlosen "Blair Witch"-Variante des bewährten Motivs vom Killerpärchen auf der Flucht. Ein unangepaßter Knabe aus besserem Hause filmt ständig alles mit der Digicam. Zum Beispiel die Spießereltern beim S/M-Sex. Davon hätte ich gern mehr gesehen. Der Rebell mit der Wampe aber findet’s voll pfui und eklig, macht den Erzeugern eine peinliche Szene und braust davon mit seiner langweiligen Schnalle, die aus irgend einem unklaren Grund von allen gemobbt wird. Soviel Unverständnis der Umwelt erfordert natürlich ein paar wilde Reaktionen, doch Fans von "Natural Born Killers"-Szenarien sollten sich nicht zuviel davon versprechen. Laienhaft, lachhaft, anmaßend. Wenn schon Amateurfilm, dann lieber so eine selbstironische Liebeserklärung an den Genrefilm wie City Kill (D 08). Markus Hagen und Hendrik Thiele, die Bremer Kunstfreunde, die uns "Deadly Nam" brachten, knöpfen sich in einer No-Budget-Persiflage die Actionfilme der 80er vor und lassen keine Gelegenheit für einen markigen Klischeespruch ungenutzt verstreichen. Wirklich keine. Klassischer Stoner-Humor, den angemessen zu würdigen man nicht nötigerweise stoned sein muß.

Bearbeitet von hoolio21, 22. Oktober 2008, 02:44.

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#37 hoolio21

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Geschrieben 27. Oktober 2008, 02:43

Nebenbei frisch gesichtet :


Redacted
(US 08)

Wie im Vietnamkrieg, so ist auch im Irak das Leben für die GIs in erster Linie langweilig. Man sitzt im Zelt mit den anderen schwitzenden Bauernbuben, poliert seine Knarre, und schlägt die Zeit mit irgendwelchem dummen Zeug tot. Der eine träumt von der Dame daheim, der andere verfällt dem Spielteufel, und wieder andere rennen den ganzen Tag mit der Digicam herum, filmen jedes Detail und gehen allen auf den Wecker. Die Bedürfnisse des kahlköpfigen Stiernacken sind leicht definiert: Was, um ihn reinzustecken. Wie gut, daß man öfter mal den Windelbirnen in ihren kleinen Häuschen die Tür eintritt. Mancher von denen hat nämlich ganz knuffige Töchter.

Regisseur Brian De Palma hat schon einmal so etwas getan, damals, Ende der 80er, in "Die Verdammten des Krieges". Wo Michael J. Fox als milchbärtigster Soldatendarsteller der Filmgeschichte (bis zu diesem Starship Trooper) ob einem Gang-Rape flennt, zagt und Sean Penn den Klappspaten ins Antlitz kloppt (auch nicht besser als vorher). Soldaten dürfen nicht einfach Frauen vergewaltigen, hieß damals die Message. Zumindest nicht, so lange ihnen die quengelige Petze vom Dienst dabei zuguckt. In "Redacted" läßt sich Terror, der dicke Skin aus "The Wanderers", beim Schubkarrefahren mit einer allenfalls 40 kg leichten arabischen Schulmaid digital ablichten. Es dokumentiert ihn ja bloß der Kamerad mit den Gewissensbissen. Aber so oder ähnlich könnte es gewesen sein. Schließlich muß man sich schon extraordinär blöd anstellen, um wegen eines Kriegsverbrechens im Irak belangt zu werden.

Mit "Redacted" hat es De Palma mal wieder auf die Festivals geschafft. Amerikanische Selbstgeißelung im Kino, das gefällt den Kulturfritzen der alten Welt. Doch wie so oft bei De Palma steht nicht die Geschichte im Mittelpunkt (oder gar Geschichte), sondern die Form. Bei "Casualties of War" lautete das Motto: Im Krieg stirbt zuerst die Unschuld. Im Krieg stirbt zuerst die Wahrheit, heißt es in "Redacted". De Palma zeigt uns das, in dem er verschiedene Wahrheiten nebeneinander stellt. Denn "Redacted" ist kein konventioneller Film, sondern eine experimentelle Montage. Nicht so holterdipolter, flashy und ungehemmt wie in "Natural Born Killers", aber ein ähnliches Prinzip. Die Story entfaltet sich in den selbstgefilmten Aufnahmen der Soldaten, in den Reportagen eingebetteter Reporter, und in der Berichterstattung auf amerikanischen, europäischen, arabischen Sendern. In unzensierten YouTube-Clips, in Interviews mit den Beteiligten, und in Videos, die offenbar vom Feind gedreht wurden, und in denen man die GIs unter Koransprüchen in Dreckfontänen explodieren sieht oder mal ein ganzer Kopf rasiert wird. Alles inszeniert von De Palma, und das meiste durchaus hier und da wie das Real Thing wirkend. Ich denke, die meisten Leser dieser Seiten haben dank Uncle Sam und dem Internet inzwischen genug echte Enthauptungen gesehen, um das vergleichen zu können.

Am Schluß wirft er uns dann noch ein paar authentische Atrocities an den Kopf, zerschossene Kinderköpfe, Körperteile, Matsch, der früher mal Mensch war, und solche Sachen. Um uns wachzurütteln. Uns die Wahrheit ins Gesicht zu schreien. Schrei! Uns verfetteten Wohlstandsärschen, die wir natürlich schuld sind an solchen Greueln. Okay, De Palma meint die USA. Aber es findet sich sicher ein Betroffenheitsfetischist oder Moslembruder, der uns diesen Schuh auch noch irgendwie mit anzieht. Einer mehr oder weniger macht bei Deutschen ohnehin nichts mehr. Wo hier aus der Sicht von Der Palme die Wahrheit starb, habe ich leider nicht mitbekommen. Vielleicht war ich da gerade auf der Toilette. In seiner Geschichte jedenfalls kommt die Wahrheit heraus, und irgend etwas Neues berichtet er nicht. Vielleicht meint er ja die berühmten Lügen, mit denen Bush sein Land in den Irakkrieg trieb. Als ob irgend ein Alphabet je darauf reingefallen wäre. Oder die Rentenlüge. Oder die Wahrheit über Wurst.


Nothing to Lose
(NL 08 "TBS")

Der riesenhafte, schlecht rasierte Kahlkopf soll seinen Vater und seine Schwester umgebracht haben. Jetzt staunt er Bauklötze, als er deswegen verurteilt wird. Schließlich hatte er fest damit gerechnet, daß seine Mutter auftauchen und dem Gericht klar machen würde, wie es wirklich war. Daß nicht er seine Schwester getötet hat, und daß der Vater ein gemeiner Kindertollschocker war. Also muß der Kahlkopf ausbrechen, um das mal eben klar zu stellen. Und damit ihn die Polizei auf dem Weg zur Mutter auf dem belgischen Campingplatz nicht unnötig aufhält, schnappt er sich unterwegs ein dreizehnjähriges Mädchen als Geisel.

Ah, Rotkäppchen. Universellstes aller Kinomärchen. Und wieder mal als ein Road Movie. Anders als bei "Freeway", wo Rotkäppchen Karate konnte, wirkt das Mädchen diesmal hilflos und seinem Entführer ausgeliefert. Trotzdem erhält sie ihre Chancen, denn es entwickelt sich eine sonderbare Stockholm-Syndrom-Situation, eine Art Vertrauens-, Freundschaft-, ja, vielleicht sogar Liebesverhältnis zwischen der blonden, hübschen Schülerin und dem Mann, der, wer weiß, durchaus auch ein übler Lustmörder sein könnte (es gibt so eingestreute Hinweise, aber genaues weiß man nicht). Sie jedenfalls freut sich, daß sie mal ungehemmt Junk Food in sich hinein stopfen kann, und er, daß die Sondereinheit die Autobahn freigibt. Es gibt sogar eine Szene, in der sensationsgeile Journaleska den Wagen berammelt wie seinerzeit bei Rösner/Degowski.

Habe diesen niederländischen Film nicht auf dem FFF gesehen, wo er Teil des diesjährigen Programms war, sondern aus Anlaß der bevorstehenden DVD-Veröffentlichung. Weiß also nicht, wie so die Publikumsresonanz ausfiel auf diese Geschichte, die mancher für gewagt halten wird. Doch ist es in Wahrheit weder neu noch ungewöhnlich, wenn sich Teeniemädchen in richtige Männer verlieben, und der psychologische Effekt, im Gegensatz zum Umfeld, das einen als Kind betrachtet, von diesem (als Frau) ernst genommen zu werden, nicht zu unterschätzen. Fand die Geschichte glaubwürdig, stimmungsvoll und gut dargestellt, habe streckenweise Sympathie für den Teufel empfunden und eine der spannendsten und konsequentesten schwarzen Romanzen der letzten Jahre entdeckt. Nicht übermäßig brutal, dafür kontrovers für zwei.


1968 Tunnel Rats
(US 08)

Zu den am erbittertsten umkämpften Gebieten im Vietnamkrieg gehörte die Grenzregion zwischen dem kommunistischen Norden und demokratischen (ja ja, ich weiß) Süden bzw. das Grenzland zu Laos. Dort gruben Vietcong und nordvietnamesische Armee über die Jahre unermüdlich ein über viele hundert Kilometer reichendes, teilweise mehrstöckiges unterirdisches Stollensystem, um der bleihaltigen amerikanischen Lufthoheit zum Trotz die südvietnamesischen Partisanen mit Waffen, Munition und jeder Art von Versorgungsartikeln zu beliefern. Dieses bombenfeste, stockfinstere und klaustrophobisch enge Tunnelsystem voller Drähte, Fallen und Minen mit wenig mehr als einer Taschenlampe und einer Pistole zu erkunden und gegebenenfalls Sabotageaktivitäten zu entwickeln ist die höchst gefährliche Aufgabe der Helden im neuen Film von Uwe Boll.

Gegen den, so hat es auch Variety schon ermittelt, es angesichts seiner neueren Filme schwerer geworden ist, Munition zu finden. Euer ergebener Chronist jedenfalls hing von Minute 1 an am Haken, wenn der Hubschrauber voller Frischlinge in gleißender Sonne zu Zager Evans "In the Year 2525" über den lehmigen Urwaldstrom gleitet wie auf Schienen und eine Assoziation weckt, die weniger mit "Apolcalypse Now" als mit "Jäger der Apocalypse" zu tun hat. Was angenehmerweise auch so weitergeht im Dschungelcamp, wo Walter-Hill-Veteran Michael Pare zur moralischen Erbauung der ihm Anvertrauten wie weiland Opas Wehrmacht (Papas, in meinem Fall) Partisanen aufknüpft. Nach einer Overtüre in der Etappe, in der uns Boll die zentralen Figuren ironischerweise bei Hütchenspiel und Boxkampf näher bringt, geht es ohne Umschweife an die Arbeit, es wartet ein Labyrinth zum Erkunden, ein Feind, der justament 1968 zur berühmten Tet-Offensive anhebt, und ein Nonstop-Gewitter voll fieser Killaktionen, grimmiger Einzelschicksale und fulminanter Shoot-Outs. Motto: Kriech is schlimm, kann aber verdammt unterhaltsam aussehen.

Auf angenehm bescheidene Weise versucht Boll, kritisch zu sein, doch in erster Linie ist "Tunnel Rats" aufrichtiges, kerniges Action- und Männerkino. Ein B Movie mit Production Values, das weiß, wo es lang geht. Keine Game-Adaption, diesmal, auch wenn es einem in den beklemmenden unterirdischen Verfolgungsjagden zuweilen so vorkommen mag. Dort unten sieht man auch Charlie wuseln. Wie, so wissen der Uwe und wir, der Ami seinen Feind genannt hat. Auch wenn Charlie öfter mal ’ne Charlotte war, um dieses peinliche Wortspiel auch mal gebraucht zu haben. Die Scharfschützin aus dem schlechteren Teil von "Full Metal Jacket" schimmert etwas aufdringlich durch in dieser dramaturgisch wichtigen Damengestalt. Ansonsten aber bleibt Uwe bei seinen Leisten, erhebt keinen Anspruch, den er nicht einlösen kann, und langweilt auf kompakten 90 Minuten nicht deren eine. In guter Genretradition fehlt von bekannteren Namen mal abgesehen von Paré jede Spur, das (rätselhafterweise wie immer vorhandene) Geld steckt in der Ausstattung, und das sieht man.

Bearbeitet von hoolio21, 27. Oktober 2008, 02:59.

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Geschrieben 29. Oktober 2008, 01:30

Willkommen zum kleinen Halloween-Spezial. Hinweis an meine des Lesens mächtigen Kumpel: Sollte ich jemals auf einem mexikanischen Hochplateau oder irgendwo in der waldigen Ebene Amazoniens von einer Viper gebissen werden oder etwaiger Wundstarrkrampf die Amputation einer oder mehrerer meiner Gliedmaßen notwendig erscheinen lassen, dann verzichtet bitte darauf, mir anschließend DIE WUNDE AUSZUBRENNEN. Auch wenn sie das in "Cannibal Holocaust" so machen, und jetzt auch schon wieder im quasi nebenan stattfindenden


Ruinen
(US 08)

Denn das ist eine arge Unsitte, schafft nur Verdruss und hat schon im Dreißigjährigen Krieg mehr Todesopfer gefordert als alle Geschlechtskrankheiten zusammen. Aber es macht sich so schön in Filmen. Sehr sinnvoll dagegen zur Desinfektion: Whiskey oder Branntwein, innen wie außen wie bei John Wayne. Aber den haben sie hier vergessen, als sie da oben sitzen auf der Spitze der hundert Meter hohen Azteken-Pyramide irgendwo in Mexiko. Vier Amerikaner und zwei Krautisten (münchner!), belagert von einer Horde auffallend unspanisch daherquatschender Locals, welche jeden, der sich weiter als einen Meter von dem Steinhaufen entfernen will, wütend anschreien, mit allerlei Waffen bedrohen und, wenn er nicht postwendend umkehrt, mitleidlos töten. Nur oben auf der Terrasse wird man nicht behelligt. Leider gibt es dort kein Trinkwasser und außer in leuchtender Pracht rubinrot blühendem, überall wie wild wuchernden, unter Umständen eher mal giftigem Efeu auch nicht wirklich etwas zu essen.

Mal abgesehen davon, daß "The Ruins" ein guter Horrorfilm ist, der den Geist des italienischen Kannibalenfilms atmet und blutiger ist als jeder davon, ohne Tiertötungen zu bemühen oder in der Zeichnung indianischer Unholde allzu aufdringlich rassistisch zu wirken, mal abgesehen also davon ist dies eines der rauschhafteren visuellen Erlebnisse, die ich seit "Ghost in the Shell II" genießen durfte. Endlich, endlich mal wieder ein Horrorfilm, der am Tag stattfindet und ein Resultat heraus holt aus einer berückend schönen Freiluftkulisse. Auch erstrahlt der Film in den herrlichsten Technicolorfarben und bietet damit sympathisch frech der Tendenz die Stirn, trotz Innovation des Farbfilms über die monochrome Hintertür flächendeckend den Dreck-Metallicfilm einzuführen. Und Farbe, oh meine Brüder, ist auch ernsthaft geboten, wenn sie sich gegenseitig nach allen Regeln der Schlachterkunst auseinander nehmen in diesem originellen, zuweilen schmerzhaft krassen Urwaldabenteuer, dessen zentrale Wendung ich euch keineswegs verraten möchte, und auf den ich deshalb auch nicht weiter eingehe als bis genau hier.


Prom Night
(US 08)

Der alte "Prom Night" ging in Teutonien unter, dieweil er in Amerika zur mittelgroßen Nummer geriet. Vielleicht lag das daran, daß es hierzulande nur eine vergleichsweise unterentwickelte Tradition des Schulabschlußballs gibt. Oder daran, daß die mit Leslie Nielsen und der damals unvermeidlichen Jamie Lee Curtis besetzte Halloween-Kielwasserproduktion in Amerika auch als Kommentar zur Disco-Ära betrachtet wurde, komplett mit heißen Tanzszenen für die einen und populistischem Kill-Disco-Subtext für die anderen. Bei uns dagegen standen dank der Italofilme brutale Sachen hoch im Kurs, und davon hatte "Prom Night" wenig zu bieten. Heute gibt es keine Italofilme mehr, aber immer noch "Prom Night". Das ist gewissermaßen traurig, doch nicht zu ändern. Eher dreht Hollywood Remakes von italienischen Horrorhits als ein Italiener. Wenigstens bleiben uns noch Pizza und die Mafia. * schnüff *

Egal. Im neuen "Prom Night" hat sich schon mal dahingehend wenig geändert, als daß der Film von einer Abschlußparty handelt und die Attacken des Michael-Myers-Vertreters noch unblutiger ausfallen als im originalen "Halloween". Leider sind sie nur nicht annähernd so souverän inszeniert. Doch bevor der Horrorfreak an den Tatort gelassen wird, muß er sich erst durch den Reisrand hindurch quälen. Und das bedeutet, sich auf ein Date mit glatten Upper-Class-Kataloggesichtern einzulassen, Bekanntschaft zu knüpfen mit alerten Gelbirnen und ihren in Ballkleider gezwängten, komplett austauschbaren Silikonschnallen. Seelen- und charakterloses Stechwerk allein für den Schlitzer, denen wir dennoch zusehen müssen, wie sie ihre albernen Streiche spielen, langweilige Dialoge führen oder mit ihren Müttern Klamotten auswählen. Und weil man dafür allenfalls mit ein paar hübschen Kamerafahrten und keineswegs mit Titten, Terror oder anderweitigem zynischen Klamauk belohnt wird, rät der Chronist dringend ab.


Chaos
(US 05)

Eingelegt und gedacht: Junge, das hat wirklich einen glossy Look. Für so ein Kackspackendrama. Dann erste Überraschung: Jene beunruhigenden Mittdreißiger, die der Hippiedame in Szene 1 auf den Pelz rücken und original so aussehen wie jene gemeingefährlichen Gewalttäterkretins, die zuweilen noch im Fanumfeld sogenannter Traditionsvereine zu beobachten sind (IQ geschätze 70, Vokuhila, Fassfigur, winzige, böse Schweinsaugen in alkoholgeröteten Gesichtern, Empathie: Zero), sind noch gar nicht die Bösewichte. Von denen werden sie bloß niedergemacht. Drei kriminelle Kerle und eine ordinäre Braut mit komischer Sturmfrisur, unter den Herrschaften ein Vater-Sohn-Team, sind unsere Helden. Mann, woran erinnert mich das bloß.

Als nächstes: Fick und Fotzi verlassen das Haus zu einer Raver-Party unter freiem Canyon-Himmel. Fotzi muß um Elf wieder daheim sein, aber Fick meint, sie sollten sich ruhig Zeit lassen und vielleicht noch irgendwo Drogen kaufen. Am besten bei dem nächsten vertrauenswürdelosen Unhold, der sich an sie heran wanzt. Oder, noch besser, gleich in dessen Grotte. Fotzis Eltern schwant bald Übles, als es Elf wird und immer später. Ob Rotkäppchen einen bösen Wolf traf? Der nutzlose Redneck-Sheriff glaubt Nö Nö und reißt zur allseitigen Erheiterung ein paar rassistische Witzchen, denn Fotzis Mutter ist eine Afroamerikanerin. Ob alles so kommt, wie Fotzis Mutter befürchtet? Und ob die Täter wohl anschließend noch bei Fotzis Eltern einkehren?

Weia. Nach zehn Minuten hat es auch Don Doofi hier geschnallt. Sie machen "Last House on the Left". Wie dreist! Aber Dreistigkeit an sich ist ja im Film noch kein Straftatbestand, eher im Gegenteil. Also mal sehen, wie sie es machen. Die Inszenierung ist glatt, Budget steckt hier, auch und vor allem unter Einberechnung der Geldentwertung, jede Menge drin. Die Schauspieler hängen sich rein, die Mädels simulieren vergleichsweise überzeugend authentisches Sterben, und letzteres ist, worauf den Machern es ankommt. So gesehen haben sie das alte Ding wohl begriffen und in der richtigen Weise adaptiert. Drastischer ist in amerikanischen Horrorfilmen lange nicht mehr gestorben worden. Und das will angesichts einer auf Hochtouren rollenden Folterhorrorwelle was heißen. Zuschauer der deutschen Fassung werden gar nicht verstehen, warum ich hier jetzt so einen Wind mache, deshalb verrat ich einfach mal, das hier Nippel weggesäbelt und dem Besitzer oral verabreicht oder Vaginen mit dem armlangen Messer penetriert werden. Hoffe, ich habe jetzt keinem die Spannung verdorben.

Solche Aktionen werden mit drastischem Realismus präsentiert, doch das subtile Being-there-Gefühl vom letzten Haus stellt sich nicht ein. Vielleicht, weil die Inszenierung Mängel hat. Wahrscheinlich, weil zu viele Konstruktionsfehler die ohnehin schwer glaubwürdige Story torpedieren (eine Dame flüchtet den halben Tag vor ihren Verfolgern, die derweil ihre Freundin töten, - und sie erwischen sie trotzdem). Und bestimmt auch, weil ich befangen bin. Weil es eine offensichtliche, plumpe Nachstellung eines von mir geschätzten Klassikers by the numbers und zuweilen Einstellung für Einstellung ist. Vielleicht wäre man ja beeindruckter, wenn man "Last House on the Left" noch nicht kennen würde. Wollte es meiner jungen Mitbewohnerin trotzdem nicht zumuten, der uncut-Fassung beizuwohnen. "Chaos" heißt Chaos, weil sein Held Chaos heißt. Und nicht etwa, um Verwirrung zu stiften, weil ein anderer US-Film von 2005 auch "Chaos" heißt (mit Jason Statham und Wesley Snipes). "Last House on the Left" war auch mal als Titel im Gespräch. Sage Moonblood Stallone, Sohn von Sly und Darsteller des Junkie-Sohnes in "Chaos", hatte angeblich schon früh keinen Bock mehr und konnte nur mit Androhung von Vertragsklage am Set gehalten werden. Roger Ebert lieferte sich ein öffentliches Streitgespräch mit Regisseur David DeFalco, das man in Teilen auf Wikipedia nachlesen kann. Wundert mich, daß er DeFalco für satisfaktionsreif hält. Das Ding mit der Musik löst man klug, in dem man sie einfach weglässt. Der einzige Punkt, in dem man sonst signifikant von Wes Cravens Original abweicht, ist das Ende. Seht selbst.

Fühlte mich nach "Chaos" ein wenig besudelt. Aber das ging mir bei der ersten "Last House on the Left"-Sichtung ähnlich. Kaum ein Halloween-Horror im eigentlichen Sinne. Ich empfehle "Ruins". Der ist kurz, schön, spaßig und schmerzhaft, und man hat hinterher noch Zeit, auf die Straße zu gehen und den Kindern die Süßigkeiten wegzunehmen.

Bearbeitet von hoolio21, 29. Oktober 2008, 03:55.

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#39 hoolio21

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Geschrieben 06. November 2008, 00:27

Meine hübsche dreiundzwanzigjährige Mitbewohnerin ging in Seattle zur Schule, arbeitete in ein Jahr Peking (Mami!), spricht französisch, englisch, chinesisch und berlinerisch. Sie kommt aus der Mark Brandenburg, schleppt säckeweise Äpfel vom Hof ihrer Eltern herbei (hmmm), hält mich für einen halbkriminellen Nazirockerhooligan (aber einen netten), und glaubt nicht an den lieben Gott. Intern heißt sie deshalb das Heidenschnucki. Von Fußball oder Filmen hat sie keine Ahnung. Noch nicht. Denn im Gegensatz zu anderen Damen, die sich bei Sachen, mit denen sie nicht soviel anzufangen wissen, die Ohren zuhalten und laut singend aus dem Zimmer stürmen, zeigt sie neugieriges Interesse an beidem, ohne das man sie extra anbinden oder bedrohen müßte.

Fantastische 100-Mio.-Produktionen mit wuchernden CGI-Effekten oder Ultrabrutales sind nicht so ihr Ding, doch für ein Drama aus dem Leben, eine Milieustudie, eine Liebesgeschichte oder eine Fußnote der Geschichte, egal von woher, mit wem oder auf welchem Budgetlevel, ist sie jederzeit zu haben. Und für einen gepflegten Spaß natürlich auch. Am liebsten romantische Komödien. Habe ich also jetzt mein eigenes, besonders unbefangenes Testpublikum für. Und wenn in Zukunft von 1 bis 10 auf dem Mädelmeter die Rede ist, wißt ihr, wie’s gemeint ist. Besonders spannend wird es im Advent, wenn wir uns dem Kanon widmen. "His Girl Friday", "Easy Rider", "Breakfast Club" und so.


Waffelbruch 010
(kommende DVD-Neuerscheinungen)

Das Frohe Fest steht vor der Tür, und der Weihnachtsfilm der Woche heißt dementsprechend Schon wieder Weihnachten (US 07 "A Christmas too many"). Mickey Rooney himself spielt den Patriarchen einer schrägen Sippe und ist in dieser Funktion ein alternder (hihi) Hollywoodstar, der, warum auch immer, von den Tarantinos und Finchers keine Jobs mehr kriegt. Jetzt sitzt er daheim auf dem Kanapee und beschimpft den lieben langen Tag in erlesener Boshaftigkeit Gäste und Verwandtschaft, unter der sich neben vielen anderen ein hirnloser Muskelprotz, Clint Howard als schwuler Kosmetiker und ein Gangster mit Gangsterproblemen tummeln. Gott, ist der Rooney klein. Man wird als Neunzigjähriger ja auch nicht größer. Irgendwann aber klingelt es an der Tür, und noch ein krasserer Zwerg steht davor: It’s Gary Coleman als Pizza Guy (die bestellen Pizza zu Weihnachten!), heftig pigmentierter Kinderstar der 70er und 80er mit wachstumshemmendem Nierenleiden, diversen schlagzeilenträchtigen privaten Krisen in den 90ern und einem riesenhaften roten Spaßcowboyhut auf dem immer noch schockierend kindlichen Kopf. In einer Szene, die geradeheraus dem "Partyschreck" nachempfunden sein könnte und, by the way, die einzig lustige des ganzen Filmes ist, nimmt er neben dem Muskelprotz Platz, empfängt von diesem die inhumanste wüste Schmähtirade diesseits der Tätowiersalonszene in "Tromeo und Julia" ("Etwas Erbsen, Oprah?"), und es endet abrupt damit, daß eine schöne blonde Frau Colemans Kopf mit Schmackes in die Tischplatte schmettert, als dieser einen Happen von ihrem Teller zu stibitzen versucht. "At least you have your looks." Sonst nicht viel geboten, wie gesagt.

Gerade mal so auf eine schlappe 3,5 auf dem Mädelmeter brachte es die peinvolle Posse My Mom’s New Boyfriend (US 08). Der Sohn von Tom Hanks spielt einen FBI-Agenten, der seine eigene Mami nicht wiedererkennt. Gestern noch ein kugelrunder Plumpsack mit den Manieren einer Sau und einem krassen Botox-Kaspergrinsen, heute Meg Ryan mit krassem Botox-Kaspergrinsen. Scheiße, die Weiber sehen aus wie Lon Chaney in "Das Phantom der Oper" mit diesem Zeug im Gesicht. Habe Bilder von Courteney Cox gesehen, die sind zum weinen. So will ich Stars einfach nicht altern sehen. Auch bei Sally von "Harry und Sally" ist das frische Mädchenlachen einer verzerrten Joker-Maske gewichen, und wie der verhärmte, magersüchtige Leib darunter aussieht, will ich gar nicht wissen. Dafür gibt es schließlich CGI, wenn es an die vor allem verbal breit ausgewalzten Fickszenen geht in dieser bescheuerten Karikatur eine Hollywood-Familienkomödienkriminalromanze. Mit Starbesetzung, Klamauk und überdrehten Actionszenen. Und Selma Blair. Meg Ryans Beschäler ist kein geringerer als Antonio Banderas, und der muß natürlich von Beruf sympathischer Gauner sein, damit der Kreis sich schließt und Sohnemann sein Mütterchen beim Poppen observieren darf. Denn darum geht es hier. Hoho(ho).

Auf der "American Beauty"-Schiene fährt Midlife-Crisis-Komödie Meet Bill (US 07) daher, um vielen zu gefallen, wenige zu veräppeln und niemanden zu beleidigen. Nun, niemanden außer vielleicht "Deadwood"-Sheriff Timothy Olyphant als gegeltem Fernsehfatzke vom Lokal-TV, dem in dieser milden Gesellschaftssatire um die Selbstfindung eines durchschnittlichen Mitvierzigers mit Bierbäuchlein und einem unbefriedigenden Bürojob (Aaron Eckhart) die wenig dankbare Rolle des Sandsacks zufällt. Bzw. des Liebhabers von Eckharts Frau. Der Biedermann beantwortet die Frustoffensive, in dem er mit Hochschülern kiffen geht, einen Donut-Shop aufmacht und die Angetraute mit Jessica Alba eifersüchtig macht. Wie in "American Beauty" gefiel mir die Darstellung der Teenager besser als die der vergleichsweise grob charakterisierten Erwachsenen. Doch bei allen Vergleichen natürlich nicht halb so tief und elegant wie jener oder das Kino des Wes Anderson, an dem man sich ebenfalls slightly orientiert. Sondern nur ein flockiges kleines Späßchen mit einer berechenbaren Gute-Laune-Geschichte und den richtigen Vorbildern.

Gewonnen hat die hausinterne Wochenendausscheidung der amerikanischen Beziehungskomödien dann aber völlig unerwartet ein Außenseiter. Und zwar sowohl bei meiner Mitbewohnerin wie bei mir mit Vorsprung. In Frühstück mit Scot (Can 07) kommt ein schwules Mittelklassepärchen über Nacht und quasi wie die Jungfrau zum Kind. Und zwar zu einem rothaarigen, vielleicht zwölfjährigen Knaben, der sich nichts schöneres vorstellen kann als im Tütü herum zu laufen, Schlager zu schmettern und sich das Gesicht zu bemalen wie eine babylonische Tempelhure. Kurz, ein Knabe, der schwuler ist als beide Herren zusammen. Während der eine, vom Knaben der Onkel und von Beruf Rechtsanwalt, die Situation zu goutieren scheint, gerät der andere in ernsthafte Bredouille, bewegt er sich doch als Sportreporter und Ex-Eishockeyprofi der Toronto Maple Leafs in einem Umfeld, das sexuelle Desorientierung ungern verzeiht. Da kann es ganz schön schaden, ein Kind dabei zu haben, das jedem Fremden als erstes erklärt, der Kerl da an seiner Hand sei sein schwules Vorbild. "Frühstück mit Scot" versucht nicht angestrengt komisch zu sein, sondern seine Situation ist es einfach. Sehr sympathisches, lebensnahes Zeug mit überzeugenden Darstellern und null pädagogischem Anspruch oder Gay Cinema Touch.

Neffe des Gayfather

Ich weiß nicht, ob ich es schon mal erwähnt habe, aber eines der zentralen Handicaps von Gay Cinema in Deutschland sind die Untertitel. Eine Synchronisation scheint sich nicht zu lohnen, in den meisten Fällen jedenfalls, und so landen selbst gute und absolut Mainstream-taugliche Titel wie "Frühstück mit Scot" nur äußerst selten in ihrer Cinematheque oder den Regalen der Elektrogroßmärkte. So wird auch Friends and Family (US 01) so leise verschwinden, wie er gekommen ist, obwohl es sich doch hierbei immerhin um die schwule Antwort auf "Der Pate" und die "Goodfellas" handeln soll. Tölt jedenfalls das Propagandamaterial. In Wahrheit sind es aber dann doch nur zwei als richtige Mafiakiller bei weitem zu auffällige, superadrett gewandete Dressmen wie frisch aus der Duftwasserwerbung, die nicht einmal jemanden umlegen, sondern nur ihren Golden Retriever (oh plz) kraulen und Mutti eine Charade vorspielen. Damit die provinziellen Erzeuger beim New-York-Besuch nicht am Ende noch mitbekommen, daß ihr wohlerzogener schwuler Sohn im kriminellen Gewerbe wirkt. Auf dem Höhepunkt des dürftigen Klamauks sieht man den "Frasier"-Kollegen Edward Hibbert prototypischen Soprano-Dickschränken tuntiges Gehabe beibringen, etc.. Sauberes, harmloses Hochglanz-Schwankwerk wie aus Hollywood, woher es ja auch kommt.

Ab nach Asien. Meine Mitbewohnerin mag nicht nur Filme, obwohl sie keine kennt, sondern versteht auch Chinesisch und besucht sogar abends Kurse, um ihre Künste zu verfeinern. Gerade bewirbt sie sich für einen Posten bei der chinesischen Regierung (ich bin unwürdig ...). Deshalb sitzt sie auch besonders gern dabei, wenn es Neuheiten aus dem Reich der Mitte zu bestaunen gibt. Denn da kann man eine Menge für die Umgangssprache lernen. Außer bei Sachen wie An Empress and the Warrior (HK 08), im Original "Kwong saan mei yan" und auf deutsch "Das Königreich der Yan". Dort, so das kluge Mädchen, lerne man ja nur dieses konstruierte Hof-Chinesisch. Eure Majestät müssen mir glauben, und so. Aber vielleicht ist das für einen Job bei der Regierung ja gar nicht so verkehrt. Egal. Auf jeden Fall sagt es viel über den Film. Angestaubter Kitsch ohne nennenswerten Bezug zu einer wie auch immer gearteten historischen oder menschlichen Realität. Eine an eine Militärparade erinnernde, allem Schmalz der aufgesetzten Love Story zum trotz völlig emotionslose Aneinanderreihung höfischer und soldatischer Rituale, liebevoll rekonstruierter Rüstungen und nachgestellter Völkerschlachten. Ein Film von Ching Siu-tung, dem wir immerhinque die "Chinese Ghost Story" verdanken.

So sicher wie das neue Schwertkampfepos aus China ist das neue Klopperdrama aus Thailand. In Muay Thai Chaiya (Thai 07) betreiben zwei Freunde mal wieder als letzte und einzige das garantiert beste historische Thaiboxen und gehen, weil mit unterschiedlichem Temperament den Versuchungen Bangkoks begegnend, bald auf getrennten Pfaden in die unvermeidliche finale Konfrontation. So vorhersehbar wie unterhaltsam und handwerklich absolut tadellos, dabei tiefer schürfend als "Ong-bak" und Co., mit dreidimensionalen Charakteren und allen Scheinwerfern auf den schonungslos bebilderten Schattenseiten des Faustkampf-Business. Für Fans vom Fach gewiß ein Gewinn.

An der Grenze von Süd- nach Nordkorea herrscht der institutionalisierte Ausnahmezustand. Um so aufgeregter sind alle, als in einem Wachgebäude unmittelbar am Niemandsland neunzehn dekorativ ermordete Soldaten aufgefunden werden. Der einzige Überlebende des Wachbatallions will nichts sagen und ist der Sohn vom Brigadegeneral. Ein in jeder Hinsicht besonderer Fall, und dem ermittelnden Major Noh bleiben nur wenige Stunden, um ihn aufzuklären. Bald nämlich wird die schützende Hand des Vaters den Verdächtigen abschirmen, und irgendeine Vertuschung wird den Verantwortlichen schon einfallen. Also tritt Noh ein bißchen aufs Tempo, läßt Fünfe gerade sein und kommt einer unglaublichen Geschichte auf die Spur. The Guard Post (Kor 08 "G.P. 506") heißt das gute Stück, und ich habe mich schon schlimmer gelangweilt als bei dieser atmosphärisch dichten Mischung von Militär-internem Ermittlungsthriller und schleichendem Horror.

In dieser Woche wollen alle dem Klischee entsprechen. Die Chinesen mit ihrer Schwertkampfprinzessin, die Thai mit Boxern, die Koreaner mit gestreßten Grenzsoldaten, und die Japaner, nun, mit Machine Girl (Jap 08). Eine hübsche junge Dame in Schulmädchenuniform und einem Gatlin Gun statt eines Arms. Den haben ihr böse Gangster abgesäbelt und vorher noch frittiert, weil sie es wagte, den durch Schulganghand herbei geführten Tod ihres kleinen Bruders kritisch zu beanstanden. Zum Glück wirkt ihre neue beste Freundin beruflich als Experimentalmechanikerin. Das "Machine Girl" hat genug Munition im Arsch, um minutenlang nonstop zu ballern. Bei Feinden hinterlässt das großflächige Verwüstungen, Leiber werden von der Kanonade glatt in Hälften, Scheiben und Würfel gefräst, das Blut spritzt in wilden Geysiren, und die Fetzen fliegen, daß es eine Freude ist. Manga in Echtbild, ein neuer Superheld ist in der Stadt.

Zum Abschluß noch zweimal weites Weltenall, zweimal Low Budget, und zweimal Anleihen bei "2001": In Battlespace (Aus 06), einem australischen Film, der in tschechischen Trickfilmstudios entstand, treffen veraltete Computereffekte auf eine verquaste Geschichte um eine Mutter und eine Tochter in der fernen Horrorzukunft. Zielloses Gerenne in der Kiesgrube, dazwischen Weltallschlachten im "Space Invaders"-Look und –Sound. Computerspielnostalgiker wissen, was ich meine. Erzählerstimme aus dem Off und fast keine Dialoge. Doof, aber trippy. Deutlich stringenter und bis zum Rand voll Blut: Dead Space (US 08), ein traditioneller Animationsfilm, der aus Amerika stammt, aber wie ein japanischer Zeichentrickfilm aussieht und auch die dortige Themenpalette variiert. Nach Aufnahme eines artifiziell anmutenden Monolithen in den Weiten des All verwandeln sich Crew und Gäste des Weltallkreuzers Ishimura nacheinander wahlweise in zerfetzte Kadaver oder feindlich gesonnene Tentakelungeheuer. Halbierungen und Achtelungen in fliegendem Wechsel mit gewaltsamen Penetrationen und platzenden Köpfen. Angeblich das Prequel eines Computerspiels, aber genaueres weiß ich nicht.

Die neuen Horrorstücke frühstücken wir beim nächsten mal mit durch, dann u.a. in Gesellschaft von Mandy Lane, 'nem animierten Resi und Ulli Lümmels Blick auf den Kannibalen von Rothenburg. Fiore, Fiore, fafanculo.

Bearbeitet von hoolio21, 06. November 2008, 02:24.

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#40 hoolio21

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Geschrieben 11. November 2008, 01:52

Möchte gern mehr für hier schreiben, habe aber zur Zeit viel um die Ohren. Zum Glück viel Arbeit, doch hin und wieder ruft auch der Pokertisch. Der Mensch muß spielen, sonst verkümmert er seelisch. Und, um der Wahrheit die Ehre zu geben: Als Experte in sogenanntem Multitasking spiele ich fast immer ein unwichtiges kleines Turnierchen oder Tischlein im Hintergrund, während ich am PC sitze und meine Texte schwurbel. Ich passe eben viel, da kann man locker nebenher dichten und denken. Nur so jede vierte bis siebte Hand wird gespielt, je nach Stand der Dinge, und danach bin ich schnell wieder im Text. Ich mache noch ganz andere Sachen, während ich schreibe, die ich hier gar nicht näher erläutern möchte, und im Hintergrund läuft dann meistens noch ein Film oder ein Fussballspiel oder eine TV-Dokumentation, dem oder der ich mich immer mal wieder zuwende, wenn es sich interessant anhört. Lohnendste Anschaffung der letzten Zeit in dieser Hinsicht (um noch einmal zu sehen, was gerade im TV war): Ein Festplattenrecorder. Und nur dafür.

Ich sitze also nachts am Online-Pokertisch und kreuze die Klinge mit Typen aus San Diego, Bogota, Minneapolis, Quebec, Hebron und einem Nest namens Dortmund. Mir gegenüber sitzen John Candy, Homer Simpson, ein Hells Angel (Rad mit Flügel) und, ja, Funxton, auch ein Wiley E. Coyote. Das nenne ich Völkerverständigung und einen Fortschritt der Menschheitsgeschichte, da konntest du früher nicht einmal von träumen. Ich habe mich schon mit Cracknegern aus der Bronx, Cat Ladies vom Lake Tahoe und einem leibhaftigen Air Force Colonel aus den Südstaaten unterhalten, man kommt ja manchmal ins Gespräch auf dem dazugehörigen Chat mit diesen oder anderen Leuten, zu denen man sonst niemals Kontakt bekäme (jedenfalls nicht freiwillig). Vor allem, wenn man ein Naturbusenwunder als Avatar hat oder die Leute merken, das man aus München kommt. Dazu fällt vielen Amis was ein. Oktoberfest, Beer, Army, und so. Und dann quatscht man eben. Oder beleidigt einander kunstvoll („Go suck Hitlers cock!“). Habe es sogar mal erlebt, daß einer aus Kalifornien von einem Erdbeben berichtete, welches gerade seine Bleibe schüttelte. Ich schaltete um auf CNN und in der Tat, er hatte nicht geschwindelt. Fünf Minuten ungefähr hat’s gedauert vom ersten Rumms bis zur News auf dem Schirm. Verdammt schnell geworden, dieses Fernsehen.


Glück im Spiel
(US 07 "Lucky You")

Wenn in Filmen gepokert wird, folgen 90 Prozent der Filmemacher lieber den Regeln der Dramaturgie als denen des Spiels. Es zählt der Knalleffekt, die dramatische Zuspitzung, und mindestens vier Könige oder ein Full House muß das Blatt schon sein, mit dem im Finale das Schicksal sich wendet. Kann man gut verstehen, hat aber mit der Realität wenig zu tun. Wirkliches Poker ist Warten auf Gelegenheit. Ein endlos anmutendes Geduldspiel, Analyse des Gegners und Abschätzen von Situationen, in dem für neutrale bis desinteressierte Betrachter praktisch überhaupt nichts passiert. Im Finale hat dann einer der Kombattanten fast alle und der andere kaum noch Chips (oder Geldbündel), und das letzte Spiel wird wenig glamourös durch ein Paar Sechser oder die höchste Karte entschieden. Bei Raab oder auf Eurosport sieht’s nur deshalb nach Action aus, weil man neunzig bis neunundneunzig Prozent der realen Spielzeit rauskürzt. Trotzdem gäbe auch das wirkliche Pokerleben durchaus Stoff für spannende Filme her. Man müßte sie nur zu erzählen wissen.

Das ist dann ein wenig wie mit dem Fußball. Der ist für Nichtinteressierte auch so spannend wie das Trocknen von Farbe, da kann der richtige Fan daneben noch so sehr auf den Bildschirm einschreien. Und für Filme eignet er sich überhaupt nicht. Erstens, weil die Nichtinteressierten gar nicht erst hinsehen, zweitens, weil das Spiel an sich auf der Leinwand selbst für Fans uninteressant ist. Es sei denn, der Film erzählt eine Geschichte, die über das Fußballspiel hinaus geht. Von dramatischen Kulturkonflikten, großen Gefühlen, oder komischen Niederlagen. Von Davids, die über Goliaths triumphieren, von Unterdrückten, die zurück schlagen, von Träumen, die wahr werden. Dann kann es auch mit Fußball an der Kasse klappen. "Glück im Spiel" gleicht dem Fußballfilm, der dir statt dessen ein spannendes Spiel nacherzählt. Wie damals der Rainer Bonhof den Freistoß oben ins Eck. Mit kurzen Stollen, trotz Regen. Uiii, sagen zwei Leute. Gähn, sagt der Rest. Curtis Hanson, Regisseur des immerhin sehr ordentlichen "L.A. Confidential", tut aber noch weit mehr als das. Er erklärt auch noch, warum der Ball im Bogen ins Eck fliegt. Besser gesagt, läßt den Rainer das tun.

„Wenn du jetzt erhöhst, bist du auf einen Straight Draw aus. Vielleicht sogar auf einen Flush Draw.“ „Du willst doch nicht etwa die Blinds klauen?“ „Ich schätze, du hast ein mittleres Paar. Wenn du vorsichtig bist, callst du nur.“ Solche Sätze sagen gestandene Pokerspieler zu einander an einem Tisch, an dem angeblich nur Haie und keine Frischlinge sitzen. Das tut den Materiekennern unter den Zuschauern genauso weh wie den Laien. Für die einen banales Zeug, weil’s ja ohnehin jeder sieht, für die anderen angeberhaftes Jägerlatein, nerviges Fachleute-Kauderwelsch. Dabei versucht "Glück im Spiel" doch, alles richtig zu machen. Will uns wirklich zeigen, was es bedeutet, im richtigen Moment die Zwei zu spielen. Hat namhafte Stars, ein dickes Budget, und sogar ein bißchen Liebe und Dramatik abseits des Tisches. Und David setzt gleich im ersten Spiel gegen Goliath den Ehering seiner Mutter.

Das Drama ist so formelhaft wie trivial. Der Spieler im Zentrum der Geschichte, mit tadellosem Pokerface an der Grenze zu Trance geschlafwandelt von Eric Bana, ist ein scheinbar gewissenloser, impulsiver Windhund, der „nicht vorsichtig spielen kann“, trotzdem irgendwie ein von anderen Profis respektierter Profi wurde, und seine letzte Habe und eine Frau, die ihn aufrichtig liebt, versetzt für ein Ticket zur World Series, jenem legendären Superturnier in Las Vegas, wo sie die Preisgeldmillionen publikumsreif bündelweise neben dem Finaltisch stapeln. Als sein härtester Gegner tritt sein biologischer Erzeuger und jener Mann in Erscheinung, der ihn schon als Kind mit Texas Hold’Em anfixte und ihn dann mit der armen Mutter sitzen ließ (kein schwerer Auftrag für Robert Duvall). Die Frau aus der äußerst hölzern erzählten Liebesgeschichte ist eine arglose, duldsame, komplett naive jüngere Schwester einer Pokerprofikonkurrentin, die noch nie von Pokerregeln gehört hat und von einer Karriere als Sängerin träumt (Drew Barrymore als banales Beiwerk glatt verschenkt, fast schon unverzeihlich). Im Finale Grande spielt dann passend zu soviel Holzschnitt-Melodram das Königspaar auf der Hand gegen das Assepaar auf der Hand, wie es spektakulärer (und rührseliger) selbst das kleine Fritzchen nicht ersinnen könnte.

Echte Pokerprofis dürfen sich zu Recht dagegen verwahren, mit manischen Hasardeuren wie dem hiesigen Helden (oder seinem Vater) gleichgesetzt zu werden. Fast durchweg handelt es sich um kühle Rechner, die ihre Chancen stets genau einzuschätzen wissen und nie in Gefahr geraten, mal wirklich ein Hemd zu versetzen, sondern vielmehr ganz gut davon leben, schlechtere Spieler wie dich, mich oder den hiesigen Helden im Netz wie im Casino eiskalt auszunehmen. Du gewinnst nicht, weil du Glück hast, sondern wenn du so gut spielst, daß du im Durchschnitt mehr heraus bekommst als du rein steckst. So einfach ist das. Du spielst nicht das fette Riesenturnier, um mit Glück gegen die Haie Millionenberge abzuräumen (außer, du bist schon reich), sondern so viele winzige Turniere gegen schlechtere Spieler, wie es benötigt, daß du dir das Ticket für das große Turnier ohne Schwierigkeiten selbst leisten kannst. Oder eingeladen wirst. Dafür aber fehlt Bana und Hanson auf zwei Stunden Lauflänge entschieden die Zeit. Und anders macht es ja auch viel mehr Spaß.

Am Ende des Tages wird "Glück im Spiel" neben "Rounders“ oder Altmans "California Split" dastehen als einer jener Filme, die zumindest ernsthaft versuchten, sich dem Phänomen des professionellen Poker künstlerisch zu nähern. Im Gegensatz zu Sachen wie "Cincinnati Kid", wo sie auch mit Schachfiguren Tischtennis spielen könnten. Er ist bloß nicht so gut geraten wie die beiden anderen, es bleibt beim guten Versuch. Denn natürlich macht Hanson auch was richtig. Wer sich auf die naive Geschichte einlässt, wie die Künstler unter uns Filmguckern das ja sogar bei einem Godzilla oder Bodycount schaffen, der kann unter Umständen gefangen genommen werden von der schillernden Atmosphäre und der Story. Kleine Momente tiefer Wahrheit entdecken, wenn z.B. alle Finalisten froh zu ihren Familien oder der Entourage eilen, um geherzt zu werden, und der Loner einsam am Rande steht und den Kloß im Hals spürt. Und natürlich ist "Glück im Spiel" nicht nur ein Poker- oder Liebesfilm, sondern auch mal wieder ein zeitloses Las-Vegas-Zitat. Für Kenner der Materie gibt es bekannte Profigesichter an den Tischen zu entdecken und damit verbunden manch ironisches Zitat zu deuten. Will euch hier nicht mit Namen langweilen, aber es ist, als wenn beim Fußball-Spielfilm Rooney, Ronaldo und Birgit Prinz mittäten. Und dann das Endspiel durch ein Fallrückziehertor vom Mittelkreis entschieden würde.

Bearbeitet von hoolio21, 11. November 2008, 02:55.

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#41 hoolio21

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Geschrieben 04. Dezember 2008, 18:35

Es gibt mich noch, und ich werde hier auch weiter schreiben. Im Augenblick aber fehlt mir dazu ein wenig die Stimmung, und deshalb setze ich mal ein paar Wochen aus. Liegt nicht an euch oder den Filmen, sondern an den Dingen des Lebens.

Innerhalb der letzten 12 Monate sind meine Eltern gestorben. Erst, nach zwanzig Jahren Ringen mit dem Krebs, meine geliebte Mutter, dann, vor wenigen Wochen, im Alter von 88 Jahren mein Vater. Der Vater, der 1933 als Teenie ein Nazi wurde aus Überzeugung (hätte mir auch passieren können) und einer blieb, weil er lieber futuristische Fluggeräte für den Endsieg entwickelte bei Messerschmitt in München, statt zu kämpfen im Schützengraben an der Wolga. Der seine Kinder schlug, meinen unbotmäßigen Bruder ins Heim steckte, der die Zwangsarbeiter aus dem KZ als Gastarbeiter bezeichnete (in diesem Jahrtausend) und seine krebskranke Frau noch in ihrem letzten Lebensjahr verklagte. Und der mir in seinen letzten Wochen in aller geistigen Klarheit erklärte, ich sei nicht sein leiblicher Sohn, sondern das Produkt einer schändlichen Affäre meiner Hurenmutter mit irgendeinem Penner, dessen Namen ihm leider entfallen sei.

Soll ich jetzt darüber froh sein? Ich meine, Nazi-Gene habe ich auch so noch genug. Mein Opa mütterlicherseits ist der dritte von rechts, wenn sie in "Franz und Polina" das Dorf wegbrennen (mehr dazu, wenn ich den bespreche). Ihr könnt euch sicherlich denken, daß es bei so ausgefransten, verwüsteten Familien- und Rechtsverhältnissen nun einiges Aufzuräumen gibt. Zum Glück sind mein Bruder und ich dicke Kumpels (wahrscheinlich, weil wir zwanzig Jahre auseinander liegen und uns früher nur alle paar Jahre mal sahen).

Ich schätze, in ein paar Wochen bin ich hier wieder regelmäßig drin. Auch schaue ich zwischendurch nachts öfter mal rein, um zu lesen, was die anderen schreiben. Bin also immer bei euch und kann auch mit irgendwelchen Fragen/Forderungen behelligt werden (ftb-kommentarbuch). An meine Freunde: Werde mich bald weniger rar machen, von Beleidsbezeugungen kann abgesehen werden, es geht misch gut.

Im übrigen: Es wird hier bis auf weiteres keine Waffelbrüche mehr geben. Mag nicht mehr über arschgeile Filme reflektieren, die keiner kennt. Also warte ich ab jetzt bis zum Veröffentlichungstermin (oder bis kurz danach) und poste meine Reviews dann. Das heißt: Next Waffelbruch mutmaßlich Mitte bis Ende Januar. Mal sehen, ob ich das durchhalte (fifty fifty). Wer wissen möchte, was bis dahin Sehenswertes auf DVD debütiert, möge die Waffelbruch-Einträge von vor etwa anderthalb Monaten überfliegen.

Man liest sich

Bearbeitet von hoolio21, 04. Dezember 2008, 18:37.

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#42 hoolio21

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Geschrieben 23. Dezember 2008, 00:46

Hurra, Hurra, die Service Crew ist wieder da


Vor einigen Tagen saß ich beisammen mit so einem alerten 24jährigen Knaben, einem Wirtschaftsfachmann. Gast meiner Mitbewohnerin, vorübergehend auf meiner Couch geparkt, um unterhalten zu werden. Ein Actionfreak. Also "Starship Troopers" eingeworfen und die Beine hoch gelegt. Actionfans, die den noch nicht kennen, gibt’s erstaunlich häufig unter jüngeren Leuten, und selten verfehlt er seine Wirkung. Immer noch die besten Computereffekte, state of the fucking art, und das Ding ist von 97!

Also ein Wirtschaftsfachmann. Und der schlägt plötzlich die Hände über dem Kopf zusammen angesichts der Tagesthemen-Meldung, nach der die US-Notenbank die Kreditzinsen auf null Prozent senkt. Schlägt die Hände zusammen und stöhnt "O Gott, o Gott". Und das als atheistischer Ossi. Normalerweise beunruhigt es mich nicht, wenn Finanzfritzen aus dem Fenster springen. Das habt ihr verdient, ihr parasitären Spekulazen und geschickt getarnten Trickbetrüger, denke ich mir dann. Doch wenn so ein Nuklearexperte neben dir auf dem Sofa sitzt und immer wieder Scheiße, Scheiße sagt, während er auf das AKW in den Nachrichten blickt, kann einen das schon beunruhigen. Zumindest so einen Komplettlaien wie mich.

Ich also: "Watt is?" Er: "Inflation." Ich: "Du weißt, was 1928 los war?" Er: "Natürlich, hab ich studiert." Ich: "Und? Wird’s genauso?" Er (nassforsch): "Natürlich nicht. Geschichte wiederholt sich nie!" Gerne hätte ich ihm jetzt von der Wiederholung der Sache mit dem Alten vom Berge und den Assassinen erzählt. Wie sich junge Männer berauscht von Volksopium als Mörder anheuern lassen und lachend in den Tod gegen Christenschweine und Händlerkarawanen ziehen. Aber das ist mir leider erst am nächsten Tag eingefallen. Ich fragte: "Glaubst du, wir kriegen eine richtige Inflation. Keine, die es sowieso dauernd gibt, sondern so eine große mit allem drum und dran?" Der Jüngling antwortete: "Garantiert." Mit Betonung auf jeder Silbe. Danach sahen wir zu, wie die bunten Fetzen flogen. Und natürlich hat ihm der Film gut gefallen.


Lord knows I can’t change

Vor nicht allzu langer Zeit hatte ich eine junge Dame zu Besuch. Eine Diplompsychologin im Dienste der Wirtschaft! So ein dralles, kleines Geschäftsdamending im Kostüm mit herrlicher milchweißer Haut, pechschwarzen Haaren, Sanduhrfigur und dem wundervollsten kugelrunden Weiberarsch, der sich denken lässt. Unglaublich klug, mir in jeder akademischen Disziplin überlegen. Der Glückspilz, der sie geheiratet hat, ist zum Glück ein netter Kerl und hat sie verdient. Aber Gott, konnte die auch eine Bitch und Prinzessin auf der Erbse sein. Mitten im Gespräch aufstehen mit Blicken wie Dolchen und grußlos bis zum nächsten Tag den Raum verlassen? Kein Problem. Warum? Ach, nur so. Irgendeine Bemerkung in den falschen Hals bekommen, vielleicht auch einfach nur keinen Bock mehr gehabt. Allergisch gegen jeden Anflug von Ironie. Und bitte keine Albernheiten. Bis auf Arnie, der durfte alles. Ein Schwarzenegger-Fan! Und Actionfilmfan. Und Muskelmannfan. Lieblingsfilm: "Tango & Cash". Sich selbst für superpositiv haltend. In mir, dem jedermann liebenden sinnlos-Optimisten, einen zynischen Misantrophen wähnend. Weil ich Witze über Opfer von Fußball-Rowdies reiße, Vergewaltigungen in Filmen gelegentlich lustig oder sexy finde ("Wie kannst du nur!") und den Staat als natürlichen Gegner am Pokertisch des Lebens betrachte. Aber bitte.

Diese wunderschöne, kluge Dame, eine sich selbst vermutlich als agnostisch definierende Vertreterin der reinen wissenschaftlichen Lehre, fragt also, warum ich mich abgebe mit all dem düsteren, perversen und kontroversen Kram, von dem mein Kosmos in ihren Augen schier überquoll. Weil es mir die Sinne schärft und die Horizonte öffnet, sage ich. Weil mich Tabus neugierig machen, Denkverbote provozieren. Weil der Geschmack und die Ansichten der Masse nicht das Maß meiner Dinge sind. Weil ich den konstruierten Konsens nicht mag. Zumindest, so lange ich ihn nicht selber konstruieren darf.

Ich hätte ihr das am Beispiel der Weltverschwörung der Homosexuellen erklären können. Ihr wisst schon. Wie die Schwulen zusammen mit den Emanzen beschlossen haben, den Heterosexuellen für immer den Spaß am Sex zu verderben. Die Emanzen redeten uns ein, natürliches Geschlechterverhalten sei schlimmer Sexismus, und die Schwulen in Gestalt ihrer mächtigsten Agitatoren, der Modezaren und -päpste, erklärten die knabenhafte, verhungerte Frau zur Ikone und den Frauen im allgemeinen, daß sie deformiert seien, je mehr sie wie eine Frau aussahen. Aber ich wählte ein anderes Beispiel. Denn meine kritische Beobachterin hatte das Buch entdeckt, in dem ich gerade las. "Answer Me!" von Jim Goad.

Ein paar von euch dürften/sollten dieses Buch kennen, für die anderen hier ein paar kurze Anmerkungen dazu. "Answer Me!" ist nicht wirklich ein Buch, sondern drei in Buchform gebundene Underground-Essayhefte, vulgo: Fanzines. Hefte von schöpferischen Menschen, die das, was sie lesen wollten, am Kiosk nicht gefunden haben. "Answer Me!" allerdings ist weniger ein Fanzine als eine Hatezine, was unter anderem daran liegt, daß sein Autor, ein kalifornischer Surfpunk mit Knarre, Tolle und besten Beziehungen zu inhaftierten Serienkillern, so ziemlich der wütendste Hund der Welt ist. Also steckt sein Zine, daß in einem Land mit Meinungsfreiheit erscheint, von vorn bis hinten voll mit oft erstaunlich aufschlußreichen, gut informierten und eloquent formulierten Berichten über die vietnamesische Mafia, allzu kinderfreundliche Blockbusterregisseure, jüdische Neonazis, lateinamerikanischen Missgeburtenkult, etc. pp. Es gibt Satiren, Reportagen, Pamphlete, eine detaillierte Top 100 der Serienmörder, die hundert lustigsten Suizide der Geschichte, Interviews mit Typen wie Russ Meyer, Klanchef David Duke, dem wahren Punk El Duce oder Negeragitator Al Sharpton. Sowie, als Sahnehäubchen, Leserbriefe und Antworten darauf, in denen Goad die Schreiber nicht nur virtuos beschimpft, sondern auch mal direkt mit dem gewaltsamen Tod bedroht. Dafür mußte er dann ins Gefängnis, denn das war auch in Amerika nicht mehr von der Meinungsfreiheit gedeckt. Worüber er dann aber wieder schreiben konnte. Ein kluger Kopf, ein mitfühlender Mensch (deshalb die Wut), und eine reine Seele, die mir näher steht als jeder Labersack vom Sz-Feuilleton. Alles Muschen außer Schifferle.

Also. Die junge Dame greift zum Goad, beginnt darin zu blättern, legt es nicht mehr weg. Fängt an, gelegentlich etwas zu lesen. Verzieht hier den Erdbeermund zum spöttischen Grinsen, lupft dort die Augenbrauen, aber man sieht, wie es in ihr arbeitet, und wie sie, die Gebildete und Wissbegierige, begreift, was für ein Schätzchen sie da in Händen hält. "Wieso ist einer Satanist?" fragt die Ungläubige schließlich mit unsicherem Blick auf den intensiv zurück starrenden "Satanistenpapst" Anton Szandor LaVey. "Darum." sage ich, und verwiese auf die zehn Gebote der Satanisten drei Seiten weiter. Bzw., die neun satanischen Statements. Hat sicher jeder in der Schule gelernt, aber sicherheitshalber helfe ich dem Gedächtnis des geneigten Lesers noch mal schnell auf die Sprünge. Um das Manifest nicht zu verfälschen, möchte ich den Luther in der Tasche lassen und die Dinger in der satanistischen Amtssprache, dem Englischen, zitieren (ja, ich weiß, aber die Norweger singen auch englisch).

1. Satan represents indulgence instead of abstinence.
2. Satan represents vital existence instead of spiritual pipe dreams.
3. Satan represents undefiled wisdom instead of hypocritical self-deceit.
4. Satan represents kindness to those who deserve it instead of love wasted on ingrates.
5. Satan represents vengeance instead of turning the other cheek.
6. Satan represents responsibility to the responsible instead of concern for psychic vampires.
7. Satan represents man as just another animal – sometimes better, more often worse than those that walk on all-fours – who, because of his “divine spiritual and intellectual development” has become the most vicious animal of all.
8. Satan represents all of the so-called sins, as they lead to physical, mental or emotional gratification.
9. Satan has been the best friend the church has ever had, as he has kept it in business all these years.

Irritiert davon, daß es offenbar nicht um das Abschlachten von Babys oder Bechern von Jungfrauenblut geht, entfuhr der jungen Dame ein entwaffnend ehrliches "Aber das ist ja alles richtig." Und wieder ein Weltbild am wanken.


Don Camillo und Peppone
(F/I 52)

Ich selbst bin kein Satanist und dürfte in diesem Leben auch kaum mehr einer werden. Statt dessen bin ich ein protestantischer Christ, der den Geist für ein Geschenk Gottes, die Kirchen für überbewertet und die Evolutionstheorie, nun ja, für eine Theorie hält. Den Papst (nicht diesen persönlich, sondern irgend einen) würde ich gerne mal hängen sehen, nur so zur Abschreckung, doch als heimlicher Bewunderer jeder Form des organisierten Verbrechens bin ich natürlich irgendwie auch voller Respekt für die historische Leistung der Katholischen Kirche. Tausend Jahre Monopol auf Geschichtsschreibung, tausend Jahre nackte Bereicherung bei maximaler Beugung der eigenen Lehre, tausend Jahre Unterdrückung von Demokratie, Kultur und Wissenschaft sowie - last but not least - die Rettung ihrer aber auch wirklich durch gar keinen Fliegenschiss begründeten Autorität in die Gegenwart trotz Anhäufung eines Leichenberges höher als jener der Nazis zeugen zwar nicht von Respekt vor dem Heiligen Geist, macht ihnen aber so schnell auch keiner nach. Doch, wie man so schön sagt, nicht jeder war ein Verbrecher.

Es ist im heißen Frühsommer 1946, als der norditalienische Dorfgeistliche Don Camillo (Fernandel) missgelaunt Kenntnis nimmt vom überwältigenden Sieg der Kommunistischen Partei unter Führung seines alten Partisanenkameraden Giuseppe "Peppone" Bottazzi (Gino Cervi) bei den ersten demokratischen Kommunalwahlen nach dem Krieg. Aufgeregt und detailreich beschwert er sich darüber bei Jesus Christus, der in seiner Kirche über dem Altar am Kreuz hängt. Jesus meint, er solle sich mal nicht so anstellen, doch Camillo nimmt die Sache persönlich. Der ideologische Riss spaltet die Gemeinde. Auf der einen Seite Kommunisten und streikbereite Landarbeiter, auf der anderen Seite Landbesitzer und Kaufleute, das Establishment. Dazwischen der Don und die (bettelarme) Lehrerin Fräulein Christina mit ihren 80 Jahren, eigentlich zum Establishment neigend und doch mit der einen oder anderen Idee der Revolution sympathisierend, wie sie den heimlich brav gläubigen Roten die Kinder taufen, das Gemeindezentrum segnen und die Brandreden auf Rechtschreibefehler korrigieren. Sogar für Romeo und Julia auf dem Dorfe und den gejagten Fußball-Schiri findet sich eine Lösung ohne allzu viel Blutvergießen.

Es gibt Filme, die schaut man wieder und wieder gerne an. Weil sie mit persönlichen Erinnerungen verbunden sind, weil sie Knöpfe bei einem drücken, weil man sich irgendwie in sie hineinprojiziert, oder weil sie dich in eine bestimmte Stimmung versetzen. Für mich ist "Don Camillo und Peppone" solch ein Film. Ein Bauernbühnen-Landschwank aus den frühen 50ern, schwarzweiß, rauh, handwerklich geschliffen, doch ohne höheren künstlerischen Anspruch. Eine episodische Kleine-Leute-Komödie, basierend auf erfolgreichen Kurzgeschichten, die ihrerseits scheinbar auf guter Beobachtung basieren. Unterhaltsam und einfühlsam, durchtränkt von feiner Ironie, besonders im Kommentar des Erzählers und den Einschüben von Jesus. Dabei nicht weit entfernt vom zeitgenössischen Neorealismus. Bevölkert von authentischen Laiendarstellern wirkliches hartes Leben zeigend, und dieses nicht im mindesten beschönigend. Keine hohen Tannen und "Grün ist die Heide"-Schmalz, sondern Generalstreik, Klassenkampf und Flutkatastrophe. Das garstige Lied ohne Ende. Links gegen rechts, oben gegen unten, Ego gegen Ego. Auch und gerne mit rohem Streich, Eichenknüppel oder Maschinenpistole.

Ja, so könnte man vielleicht so etwas wie Faschismus bewältigen. Mit dieser Mischung aus Spaß und Ernst, Krawall und Gebet, wo in heiteren, jedermann verständlichen Gleichnissen Klartext gesprochen sowie Versöhnung und Verständnis befördert wird. Die der Katholische Kirche und Kommunistischen Partei menschliche Gesichter gibt. Hihi. Wahrscheinlich hat "Don Camillo" mehr gegen das Erschießen von Kommunisten auf offener Straße bewirkt als alle politischen Sonntagsreden zusammen. Und mehr für die Akzeptanz von Priestern bei Argento-Guckern und Joy-Division-Hörern. Regisseur Julien Duvivier, Jahrgang 1896, gehört zu den bedeutendsten französischen Regisseuren der alten Schule, arbeitete mit dem jungen Jean Gabin und drehte später auch ein paar Filme in Deutschland, darunter die "Marianne"-Filme mit Marianne Hold oder "Das kunstseidene Mädchen" mit Gert Fröbe und Gustav Knuth. Auch das Sequel "Don Camillos Rückkehr" geht auf seine Kappe. Danach baut die Serie kontinuierlich ab, ohne je ganz den Reiz zu verlieren. Ganz nebenbei, sozusagen aus dem Handgelenk, bereiteten die "Don Camillo"-Filme die Saat für den mediterranen Prügelklamauk. Wie sie sich hier auf die Glocke geben, der Priester und der Bürgermeister im persönlichen Handgemenge, gerne aber auch der Priester allein gegen eine Überzahl, sowie größere Menschengruppen untereinander in wahren Tumulten, das erinnert an das kleine gallische Dorf, aber auch schon schwer an spätere Abenteuer derer zu Hill und Spencer. Die dies hier sicher mit Genuss in ihrer Jugend konsumierten (oder zwischen zwei Schwimmwettkämpfen).

Was "Don Camillo" mir persönlich bringt? Keine Ahnung. Es stimmt mich irgendwie friedlich, weihnachtlich, versöhnlich. Ich möchte danach mit dem Taliban und der Trittleiter knuddeln, und wünschte, alle könnten so etwas Kluges, Besinnliches, ja, Erbauendes sehen. So hin und wieder, zwischen zwei Baumsägenfilmen. Frohes Fest, euch allen.

Bearbeitet von hoolio21, 23. Dezember 2008, 04:49.

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#43 hoolio21

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Geschrieben 08. Januar 2009, 20:30

Pommerland ist abgebrannt.


Grün ist die Heide
(D 51)

Ich kann mir allenfalls ungefähr vorstellen, was es bedeutet, aus der Heimat vertrieben zu werden. Erstens bin ich höchstens mal aus einer Kneipe oder einem Block im Stadion vertrieben worden, zweitens habe ich eine Heimat in engerem Sinne nie gehabt. Geboren bin ich in Melsungen in Hessen, meine Kindheit und Jugend verbrachte ich in Ennepetal im Süden des schönen Kohlenpotts. Mit 18 zog ich an den Alpenrand, dort blieb ich zehn Jahre an verschiedenen Orten, bevor ich nach München zog, wo ich erst ganz im Norden, dann ganz im Osten, und nun mitten in der Mitte wohne. Bin ich deshalb jetzt ein Münchner? Für einen, der München seine Heimat nennt, wohl kaum. Und am wohlsten fühle ich mich am Meer. Doch selbst mich beschleicht ein melancholisches Gefühl, wenn ich daran denke, was für ein Märchenland und Kulturgut uns vor gar nicht allzu langer Zeit verloren ging.

Grün ist die Heide, die Heide ist grün. Aber rot sind die Rosen, wenn sie erblühn. Grün ist vor allem erst einmal der Farbstich der Heimatkanal-Kopie. Aber drauf geschissen, ich will den Film einfach nur endlich sehen. Schließlich ist "Grün ist die Heide" angeblich der nach Besuchern erfolgreichste deutsche Film aller Zeiten. Weit vor "Der Schulmädchen-Report" oder "Der ewige Jude", die ja immerhin im Ausland liefen, und wenn man Blickpunkt: Film glauben darf (darf man) wohl auch als "Der Schuh des Manitu". Der nicht im Ausland lief. "Grün ist die Heide" lief da sicher auch nicht, und außerhalb deutscher Grenzen hätte den auch kaum einer verstanden. Es sei denn vielleicht in Polen.

Heute muß der eine die Heimat verlassen, weil es anderswo die Jobs gibt, und der andere, weil ihn die Steuer jagt. 1945 und in den Folgejahren müssen eine Menge Leute von Ostpreußen, Schlesien oder aus dem Sudetenland eilig wegziehen in irgend ein weiter westlich gelegenes deutsches Bundesland. Der Marshall mit dem Plan und Väterchen Stalin wollen das so, und gegen die haben wir momentan kein Veto. Im Westen hält sich die Begeisterung über die neuen Mitbürger in Grenzen, man ist selber arm und schläft zu zwölft in der letzten nicht ausgebombten Wohnung. Ein bißchen besser sieht es auf dem Land aus, weshalb man die Vertriebenen bevorzugt auf eilig errichtete Barackensiedlungen in die Kleinstädte verteilt. Kein gutes Klima herrscht da in den ersten Jahren nach dem Krieg.

Auch der Baron (Otto Gebühr) mußte weichen, kommt aber wenigstens standesgemäß auf einem Hof in der Lüneburger Heide unter. Vorgestern noch, in Fritzens Sandbüchse, nannte der Junker Wälder und Auen sein Eigen, in denen er nach Herzenslust herum jagte und das Wild daher schoß, grad wie es ihm gefiel. Damit ist nun Feierabend, in der Heide herrscht bundesdeutsches Jagdrecht, da kann er vielleicht einmal im Jahr als Gast den amtlichen Förster begleiten und ein Reh schießen. Zu wenig für einen wie ihn. Unglaublich, aber war: Dieser Heimatvertriebene empfindet es als größte Schmach, nicht mehr Tiere am Meter abballern zu dürfen. Okay, ich geh auch gerne Angeln, aber irgendwie wäre mir ein Dach über dem Kopf oder eine warme Mahlzeit am Tag dann doch wichtiger. Der Baron beschließt, zu wildern. Sehr zum Verdruß seiner schönen Tochter (Sonja Ziemann), die gerade ein Techtelmechtel mit dem Förster (Rudolf Prack) anzettelt.

Alle Nahrungsgruppen des Heimatfilmes sind vertreten. Prachtvolle Bilder einer Heimat, ein edler Förster, ein tragischer Wilderer, gleich zwei heftige Liebschaften, um die es mal mehr, mal weniger gut steht. Culture Clash zwischen gestern und heute, der natürlich im Sinne der Tradition entschieden wird. Fahrendes Volk besorgt die nötige Portionen Klamauk, Sensation und Verruchtheit. Eine abenteuerlustige, rothaarige Schönheit, die früher mal in dem Dorf wohnte, befindet sich unter den Zirkusleuten und löst wild wallende Gefühle bei alten Schulkameraden aus. Die Spannung wächst, als eines Tages die Leiche eines Jägersmannes auf der Flur liegt. Niedergestreckt vom Wilderer, wie alle sofort vermuten. Doch das kann die Tochter vom Baron gar nicht glauben. Und schließlich gibt es auch genug andere Verdächtige. Dazwischen immer wieder: Lieder. Auf einem großen Volksfest in der Heide, das wie ein echtes aussieht und als Höhepunkt inszeniert wird, stimmen sie verstärkt die der verlorenen Heimat an.

"Grün ist die Heide" ist gepflegtes Gefühlskino und hält den, der sich darauf einzulassen bereit ist, bis zum Schluß mit interessanten Wendungen und Einblicken ins zeitgenössische Gemüt bei Laune. Warum der Film so ein Hit war? Vielleicht, weil die Leute im Kino offen die Leinwand angeheult haben. Und zwar nicht, weil ihnen solch ein Rührstück geboten worden wäre. Der Film ist eigentlich eher ein Krimi. Sondern weil relativ ungeniert und effektiv ans Heimweh der Vertriebenen appelliert wird. Und andererseits tröstend der Arm um sie gelegt wird. Die Adressaten dürften die Kinos gestürmt haben wie weiland die Mädels "Titanic".


Stone
(Aus 74)

Wenn kein Weibsvolk anwesend ist, dem das auf den Wecker geht (ein Grund, warum ich getrennte Schlafzimmer auch in funktionierenden Beziehungen schätze), dann sehe ich jede Nacht zum Einschlafen einen Film. Einen, bei dem ich irgendwann sanft wegpenne, ohne daß er dafür etwa langweilig sein müßte, und den ich dann in der darauf folgenden Nacht möglichst von der Stelle weitergucke, an die ich mich als letztes erinnere. Dieser tägliche Nachtfilm darf auf keinen Fall einer sein, den ich für die Arbeit gucken muß, sondern dient allein dem Vergnügen und der Entspannung. Gern darf es was Älteres sein, und gern auch etwas, das man schon irgendwann, nun aber bereits länger nicht mehr gesehen hat. Nur dafür halte ich mir noch immer eine Wand aus rund 3000 VHS-Tapes.

Letztens davor gestanden, und zum australischen Bikerfilm "Stone" gegriffen. Long time no see. Eine Originalcassette vom berühmten Anbieter Comet Video aus Erkelenz. So alt, daß noch nicht mal ein FSK-Siegel draufpappt, ja, nicht einmal eine Altersempfehlung. Wahrscheinlich schon dahingeschmolzen oder höchstens noch schwarzweiß wie durch Kopierschutz, denke ich mir. Prophezeite man der VHS doch einst eine Lebenserwartung von geschätzten zehn Jahren. Aber nix da. Tiptop-Farben, absolut tolerable Auflösung, auf Premiere sieht man zuweilen schlechtere TV-Kopien ("Grün ist die Heide"!). Und das bei einer gebrauchten Videothekencassette, die zu ihren Heydays wahrscheinlich genudelt wurde. Mach das erst mal nach, DVD. Tonqualität auch gut, was wichtig. Denn "Stone" hat eine interessante Klangspur.

Die Rockerbande Grave Diggers (nicht zu verwechseln mit der der Rockband Grave Digger) hat Sorgen. Irgend jemand knallt aus dem Hinterhalt ihre Mitglieder ab, einen nach dem anderen. Der jugendliche Detective Stone, unangepaßter Fachmann der Polizei für spezielle Fälle wie diesen, nimmt Kontakt zu den Outlaw-Bikern auf und möchte undercover mitfahren. Lange Haare hat er schon, und Motorradfahren kann er spitzenmäßig. Die Bande bleibt mißtrauisch, doch der oder die Mörder schlagen wieder zu, und so beißen sie in den sauren Apfel und nehmen den Bullen auf. Der muß im Gegenzug versprechen, vorübergehend nichts gegen Drogen und Schlägereien zu haben, sowie, wichtigster Punkt von allen, nichts mit den Bräuten der Rocker anzufangen. Doch wie das so ist mit den verbotenen Früchtchen.

"Stone" ist in mancherlei Hinsicht anders als die meisten amerikanischen Rockerfilme, und wo er von der Formel abweicht, tut er das zumeist zum Wohle des Films. Im Australien der frühen 70er würde nur ein Freak eine Harley fahren, die Biker stehen auf blitzschnelle Rennmaschinen japanischer Herkunft. Deshalb gibt es auch, abgesehen von einer Begräbnisfahrt, an der vierhundert echte australische Biker teilnehmen, kein endloses Formationsgetucker, sondern höchstens mal ein paar flotte Rennen durch die Innenstadt. Eher ein Actionthriller als ein Subkulturportrait, gibt sich der Film trotzdem erkennbar alle Mühe, der Szene, vor deren Kulisse er spielt, gerecht zu werden. Regisseur und Hauptdarsteller Sandy Harbutt (Rockerboß Undertaker, deutsch: „Leiche“), trotz des Namens keine Dame, sondern ein vormaliger Werbefilmer und gelegentlicher TV-Nebendarsteller ("Skippy"!), arbeitete vier Jahre an diesem seinem Herzensprojekt, brachte seine heiße Model-Braut mit (Rebecca Gilling) und zeigt offene Sympathie für das Dasein der Gesetzlosen. Dessen Reizen sich auch der eigentliche Held nicht lang entziehen kann (eher blaß als Cop: real-life-Ex-Cop Ken Shorter).

Die Show aber stiehlt der mit furchteinflößender Physis gesegnete Hugh Keays-Byrne. Harbutt und sein Kumpel/Co-Autor Michael Robinson (Biker Pinball) engagierten den in Kashmir geborenen Briten aus einer reisenden Shakespeare-Theatergruppe heraus, und nun taumelt er wie ein bedröhnter, zu Streichen aufgelegter Grizzly durch den Film, hier einen Schädel brechend, dort einen schockgefrorenen Yuppie zum Zungenkuss nötigend, stets aber komplexe Unzurechnungsfähigkeit mit augenzwinkerndem Lausbubencharme verbindend. Ein Auftritt, der den Film schon allein lohnt. Fünf Jahre später, bei "Mad Max", recycelten Keays-Byrne und die "Stone"-Fans hinter der Kamera diese Figur in Gestalt des denkwürdigen Gangleaders Toecutter.

"Stone" hat alles, was ein gradliniger Genrefilm braucht. Engagierte Leute hinter der Kamera, und schillernde davor. Beeindruckende Kulissen (der Gang-Bunker!) und überhaupt eine bemerkenswerte technische wie sonstige Ausstattung für solch ein B-Movie. Dazu eine spannende Geschichte mit Konflikten und Charakteren, die eine glaubwürdige und interessante Entwicklung vollziehen. Und stimmungsvolle, kaum allzu spekulative Szenen aus dem Outlaw-Leben, die den Wunsch nach Eskapismus bedienen. Ein paar von den politischen Verschwörungstheorien hätte man sich sparen können, die Attentatsstory ist weit hergeholt, sorgt aber zumindest für reichlich Action sowie einen gegen Ende auch recht stattlichen Bodycount. Überhaupt ist "Stone" eine ziemlich harte, ruppige Angelegenheit. Blut fließt reichlich, und das nicht nur am krönenden, absolut niederschmetternden Ende. Kurz gesagt: Der richtige Griff. Und die Bestätigung einer Vermutung: Für mich das beste Biker Movie aus der Kategorie B. Und in Kategorie A gibt’s eigentlich nur einen.


Die Magier
(GB 07 "Magicians")

Ich muß gestehen, daß ich kein besonderer Fan von Bühnenzauberern bin. Noch als Kind je war. Denn in den 70ern konnte es einem noch passieren, daß man in so einer als Samstagabendshow verkleideten Burleske eingebettet zwischen halbnackt-Tänzerinnen vom sogenannten Fernsehballett und dem gespielten Witz plötzlich einen Frackträger dabei erblickte, wie er unter dem prasselnden Beifall geistig-moralischer Kaffeefahrer Kaninchen oder Tauben aus dem Zylinder zog. Eine eher abschreckende Angelegenheit. Die Titelhelden in "Die Magier" sind in etwa aus dem selben Holz geschnitzt. Gescheiterte Existenzen, ölige Schausteller, bunt gewandete Marktschreier, bessere Hütchenspieler. Auf knarzenden Provinzbühnen umrahmt von roten Samtvorhängen dematerialisieren sie den Blumenstrauß, raten die Karte und lassen die Dame schweben, als hätte es nie eine Evolution ihres Handwerkes mit Mentalisten, Mind Freaks und Tigerdompteuren gegeben. Erstaunlich, wie sympathisch sie mir trotzdem alle auf Anhieb waren.

Das Magierduo bestehend aus der kleine Dicke und der große Dünne war früher mal eine große Nummer. Innerhalb seines Gewerbes bloß, aber immerhin. Bis eines Tages der große Dünne mit jener Assistentin schlief, die zufällig auch die Frau vom kleinen Dicken war, und der kleine Dicke der Assistentin bei der nächsten Guillotinennummer ebenfalls rein zufällig unfallhaft den Kopf vom Rumpf separierte. Es folgten Jahre der Funkstille, bis beide angesichts entwürdigender MacJobs und einem bevorstehenden, höchst prestigeträchtigen Magierwettbewerb notgedrungen wieder zueinander finden. Der kleine Dicke hat inzwischen sogar eine neue Assistentin. Die dann auch gleich mal komplett die Show stiehlt. Und zwar keineswegs nur, weil sie sehenswert selbstbewußt ein von mir geschätztes, im modernen Unterhaltungskino jedoch eher seltener vertretenes Schönheitsideal repräsentiert (Milf mit Kurven). Sondern weil Nebenfiguren wie sie oder der taktlose, ständig alles und jeden vor den Kopf stoßende Magierkonkurrent, der homosexuelle Manager des großen Dünnen, der nach Anerkennung lechzende Sohn vom taktlosen Magierkonkurrenten, den Film von den biederbraven Hauptdarstellern kapern und jene kleinen feinen Momente besorgen, die dieses von herzloseren Beispielen der Gattung Verliererkomödie unterscheidet. "Die Magier" stand als vierter größerer Zaubererfilm der jüngeren Zeit ein wenig im Schatten von "The Prestige", "The Illusionist" und "Death Defying Acts", hat mir rückwirkend betrachtet von diesen mit Abstand aber am besten gefallen.

Bearbeitet von hoolio21, 09. Januar 2009, 01:01.

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Geschrieben 15. Januar 2009, 20:32

If freedom is outlawed, only outlaws will have freedom


Easy Rider
(US 69)

ist einer jener Filme, die ich meiner Mitbewohnerin, der neugierigen non-Cineastin, einfach zeigen mußte. Und zwar aus drei Gründen: Erstens, weil hier das moderne Hollywood das klassische ablöst. Zweitens, um eine Basis zu schaffen für weitere New American Cinema Klassiker. Und drittens, um dem U23-Girlie aus dem Osten, das, by the way, weltläufiger ist, als ich es je sein werde, zu demonstrieren, wo die Typen herkommen, die so viele Regeln für ihre Gesellschaft gemacht haben. Diese 68er.

Eine Kluft geht durch das Amerika der späten 60er, und irgendwie neigen wir heute dazu, zu glauben, sie sei zwischen Alt und Jung verlaufen. Studenten und linke Intellektuelle bilden eine lautstarke Antikriegsbewegung, rebellische Schwarze, Schwule und Weiber ohne BH fordern gleiche Rechte, und das Establishment bzw. konservative Kräfte empfinden jede einzelne dieser Bestrebungen als fundamentale Bedrohung der gesellschaftlichen Ordnung. Vor wenig bis gar nichts aber steht das sogenannte reaktionäre Bürgertum ähnlich kopfschüttelnd fassungslos wie vor dem Phänomen der Hippies und Gammler. Für die im übrigen auch kein amtierender linker Staatschef etwas übrig hat.

Mich hat immer wieder erstaunt, wie verhasst Hippies auch heute noch allerorten sind. Hippie ist ein Schimpfwort. Keiner will je einer sein, jeder lacht über sie, und keineswegs nur für Nazis, Spießer oder geborene Militärstiefel, sondern auch für Rocker, Hoolen, Punks, Tanzbodengänger, viele Intellektuelle und natürlich alle Leute, die sich über Marken oder Statussymbole definieren, sind sie ein offenes Feindbild. Dabei haben Hippies kaum je einem etwas getan, im Grunde nur gute Sachen im Sinn, und außer schlechter Kunst nie ernsthaften Anlass zur Verfolgung gegeben. Woher der Hass kommt? Dennis Hopper hat eine Antwort parat in "Easy Rider". Es ist die Freiheit, die sie repräsentieren. Die dem anderen so schmerzhaft das eigene Laufrad ins Bewußtsein ruft.

„Uiuiuiuiui.“ (Samson)

Heutzutage distanzieren sich alle von der Hippiefreiheit. Sogar Ex-Hippies. Zuviel Freiheit sei das gewesen, damals. Experimente mit Drogen, freier Liebe und alternativen Gesellschaftsformen und so. Zu was hat’s geführt? Zu massenhaftem Drogentod, Pornografie, verzogenen Kindern und zerstörten familiären Strukturen. Zwanzig Jahren Helmut Kohl. Haben Hippies nicht sogar Liebe mit Kindern propagiert? Doch, auch das haben manche. Doch sie haben es bestimmt nicht so gemeint wie der Schnauzbart in Pataya. Und das mit der freien Liebe war ein schon damals verbreitetes Mißverständnis. Wenn die Baustellenplautze eine Abfuhr beim Blumenkind-Minirock kassierte. Aber ihr habt doch. Nö, hatten sie nicht. Das hat wahrscheinlich für ebenso viel Hass gesorgt wie der Asta krause Pamphlete. Die Hippies denken auch noch, sie wären was Besseres.

1968 ist die Zeit, zu experimentieren. Wyatt (Peter Fonda) und Billy (Dennis Hopper) haben in Mexiko Drogen gegen Geld getauscht und verstecken jetzt den Zaster in Schläuchen im Tank ihrer heißen Maschinen. Was reichlich umständlich ist und, wie ich schon bei meiner ersten Sichtung des Filmes im Kino gegen Ende der 70er kritisch befand, in jeder Hinsicht eigentlich hätte anders herum laufen müssen. Aber ejal. Die fabelhaften Freak Brothers werden schon wissen, was sie tun. Sie haben das Drehbuch schließlich geschrieben. Und es geht ja auch nicht um einen schlüssigen Kriminalfilm, sondern um höhere Ziele wie Motorradfahren, ein Zeitgefühl und Musik. (Geistig einzuspielen: "Born to be Wild" von Steppenwolf)

Mythos Chopper. Heute fährt keiner mehr solche wie hier. Vernünftigerweise. Das Biker-Gefährt der Gegenwart (und schon damals die Choice vom Angel) ist die klassische Harley Davidson, schwarz glänzend wie Öl, dick, schwer, niedrig, knatternd. Im heiligen Original mit Satteln statt Bank und sehr laut knatternd. Leider auch etwas pannenanfällig. Eben was für Bastler. Ein Freund von mir ist mal mit so einer beim Howl Weekend of Fear vorm Rio am Rosenheimer Platz vorgefahren. Das war eine Attraktion, wie wenn der Argento persönlich ausgestiegen wäre. Aber nichts gegen die Chopper der frühen 70er, wie sie damals deutsche Rocker fuhren. Letztere hatten "Easy Rider" gesehen und wollten eine Karre wie Peter Fondas Stars&Stripes-Chopper. Ein Motorrad wie ein elegantes Rieseninsekt. Eine verchromte Gottesanbeterin, mit Airbrush verziertem Tank, und endlos langer Lenkgabel, zu der man hoch greifen und zwischen deren Stangen man hindurchsehen mußte. Ein Jugendstil-Bike, wenn man so will. Ein klassischer unnützer 70er-Jahre-Artefakt wie die Lavalampe, der Glasfaserleuchtpuschel oder der schockfarbene Plastikkugelsessel. Wahnsinnig unpraktisch, kaum zu lenken im Stadtverkehr, der TÜV hatte was zu lachen. Aber um bequemen Nutzen ging’s auch nicht. Sondern um eine Einstellung. Ich habe so etwas als Schüler fahren sehen und gezeichnet, wenn ich mich mal wieder im Unterricht langweilte. Ein Film, der so etwas schafft, darf sich zu recht Kultfilm nennen. "Easy Rider" gelingt dergleichen im Viertelstundentakt.

Wyatt und Billy fahren einmal quer durchs Land von Los Angeles nach New Orleans und treffen verschiedene Leute. Manchmal staunen sie über die Leute, die sie so treffen, noch öfter aber staunen die Leute über Wyatt, Billy und ihre Bikes. Langhaarige waren 1968 in Wahrheit so selten wie im heute ein Typ in Frack und Zylinder. Es gab Plätze (Height Ashbury, Woodstock, Englischer Garten), da konntest du manchmal viele auf einem Haufen sehen, aber draußen auf dem Dorf kannten sie höchstens die Fernsehbilder von Height Ashbury oder dem Englischen Garten. Wenn dann mal so ein richtiger Gammler vorbei kam, bildete sich schnell eine Traube, und hin und wieder bestand die Traube auch aus Polizisten.

Die meisten Leute, die Wyatt und Billy treffen, sind überraschenderweise ganz in Ordnung. Dafür, daß die beiden, wie die Sage um den Film weiß, den amerikanischen Traum suchten und den amerikanischen Alptraum fanden. Am Motel schlägt man ihnen die Tür vor der Nase zu, doch schon auf dem nächsten Bauernhof lässt man sie in der Scheune pennen, die Karre reparieren und bittet sie zum reich gedeckten Familientisch, wo zur Überraschung des besonders Langhaarigen erst gebetet, dann gespachtelt und scheinbar echt viel gevögelt wird. Auch die auf Jahrzehnte hinaus vorbildliche Hippielandkommune einen Bundesstaat weiter (Erfolgsmodell auch für Jim Jones) teilt das letzte Gerstenkorn und die ungezwungenen Mädels mit den Reisenden. Und betet natürlich.

Spoiletten

Mentalitäten wie „Am Morgen ein Joint, und der Tag ist den Freund“ haben hier ihre kulturhistorische Homebase. Wyatt und Bill kiffen ständig. Zum Aufstehen, nach dem Abendessen, beim Fahren. "Easy Rider" hat sicher mehr für die Cannabis-Wirtschaft getan als "Cheech & Chong", Robert Mitchum und der "Breakfast Club" zusammen. Und damit wahrscheinlich für die Volksgesundheit. Denn wenn mehr Kaputtniks von meinem Schlage geraucht statt gesoffen hätten, wären der Menschheit viel Blut, Scherben und Tränen erspart geblieben. Andererseits hätte den beiden Friedenspfeifen hier ein bißchen mehr Angel-Mentalität gut getan, vielleicht wären sie dann auf der anderen Seite lebend aus dem Film heraus gefahren. Denn mit den Rednecks und Killercops, die man so trifft, ist nicht zu spaßen.

In einer kleinen Stadt im Süden werden die Gammler wegen Erregung öffentlichen Auflaufes verhaftet und entkommen einer Totalrasur mit Gartengeräten nur, indem man die Zelle zufällig mit dem trinkfreudigen Sohn reicher Leute teilt, von Beruf günstigerweise Anwalt. Der wird von Jack Nicholson gespielt und stiehlt den beiden B-Schauspielern in den Hauptrollen von der ersten Sekunde, in der es ihn gibt, die Show. Auch er hat schon vom Mardi Gras gehört und außerdem die Adresse vom besten Bordell in New Orleans in der Tasche. Ob man ihn nicht mitnehmen könne. Einen ordentlich frisierten Anwalt dabei zu haben, erscheint den beiden Zotteln nicht direkt wie eine gute Idee, doch die Puffadresse, eine Flasche Schnaps und ein goldener Football-Helm geben den Ausschlag. Pech, daß es Nicholson dann trotzdem als einziger nicht zu den Huren schafft.

New Orleans, Louisianna. Französisch durch und durch. Besseres Essen und liberaleres Klima als überall sonst in den USA. Einzige Großstadt neben Las Vegas, in der Prostitution erlaubt ist. Pretty Baby. Geburtsort des Jazz. The Big Easy, immer schon. Und der Mardi Gras natürlich, Amerikas Antwort auf den Fasching. Walhalla der Party Animals. Das yahoot ihr besser mal selbst, Bilder sagen hier mehr als alle Worte. Aber bitte vorher den Jugendschutz-Filter ausschalten. Hier fällt mal wieder so richtig auf, was für einem historischen Guerilla-Dreh wir beiwohnen. Kaum etwas ist inszeniert, fast alles wird - eight miles high - improvisiert, man dreht mitten auf der Straße mit echten Leuten und bekommt zuweilen auch echte Reaktionen. Sogar die Horror-Rednecks aus dem Speiselokal, in dem man nichts zu Essen bekommt und dummerweise den Dorfmädels schöne Augen macht, sind echt. Haben zuvor beim Dreh am Straßenrand gestanden und Sprüche geklopft. Guck mal, das Mädchen da. Komm, wir stecken sie in einen Käfig und nehmen Geld dafür. Wo ist denn bei dem hinten und vorne. Böse, kantige Bauernschädel mit ausrasiertem Nacken (your classic Redneck). Besser Zeit, zu gehen. Die haben sie engagiert!

Katharsis. Kater. Schlechte Trips. Schlechter Sex. Tod. Vietnam-Allegorie. Die ganze letzte Viertelstunde lang. Ein echter Anticlimax, der aber sein muß, weil sonst die Message nicht ankommt. Welche Message? Am Morgen ein... Nein, nur Spaß. Statt dessen lauter Klassiker: Leben und leben lassen. Tu dein Ding. Denken, bevor man ins Laufrad steigt. Gegebenenfalls wieder raus steigen. Verstehen versuchen statt Angst haben und beißen. Zehn Jahre später, 1979, als wir aus dem dunklen Kino hinaus in die Sonne traten, waren wir alle drei tief betroffen. Man hatte auf uns geschossen. Soviel hatten wir verstanden. Darauf erst mal ein Dosenbier. Und stoppt Strauß, whatsoever.

Rausgehen. Nach dem Arschtritt "Easy Rider" mußte das amerikanische Kino einfach ein anderes werden. Der Studioglanz alter Tage lag darnieder (aus anderen Gründen), das offizielle Hollywood hatte den Kontakt zur Jugend verloren. Eine neue Generation von (langhaarigen) Regisseuren drängte ermutigt durch den Erfolg dieses Low-Budget-Superhits an den Start, und das alte, verwirrte Hollywood ließ sie einfach mal machen. Laß uns rausgehen und Filme über den Alltag machen, mit wahren Menschen und ihren wirklichen Problemen. Kritische Filme, die sich mit dem Leben beschäftigen und mit dem Establishment anlegen, eine Haltung haben. Eine Zeitlang mußte man wahrhaftig fürchten, daß es so weit hätte kommen können. Zum Glück für die Banker und Anwälte, die Yuppies und Mafiosi aber waren die Helden des New American Cinema selbst alte Unterhaltungskinogänger (im Gegensatz zu den europäischen Avantgardisten). Und so geschah es, daß dieselben jungen Helden der Revolution nach einer Phase analytischer, politischer, kluger und integrer Filme, wie es sie nie wieder geben sollte, zurück kehrten in den Schoß der Studios (nun quasi AGs statt Imperien), um einen glatten, massen- und kindgerechten, vollkommen unpolitischen und -kritischen Blockbuster-Kinofrankenstein zu schaffen, gegen dessen Anblick uns das Hollywood-Kino der 50er Jahre heute wie eine Epoche der erwachsenen Ernsthaftigkeit vorkommen. Die Jungs, die bei Funxton im Logo sitzen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Sag ihnen, daß ich den gut fand, ruft meine Mitbewohnerin, die mitbekommen hat, daß ich hier über "Easy Rider" schreibe und sie erwähne. Was ich hiermit tue. Ewiger Dank an Roger Corman und Samuel Arkoff, die nichts mit Hippies und 68ern am Hut hatten, ohne die es aber nicht nur dies, sondern wahrscheinlich auch das New Hollywood nicht gegeben hätte. Times are changing. Hier.

Bearbeitet von hoolio21, 16. Januar 2009, 00:51.

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Geschrieben 16. Januar 2009, 20:42

Bei einer unlängst an anderer Stelle im Forum (emmes guestbook) erfolgten, recht unvollständigen Aufzählung von bemerkenswerten Bond-Klonen habe ich jemand Wichtigen vergessen.


Modesty Blaise
(GB 66)

Szene 1, innen. Ein hohes weites weißes Penthouse in runder Form mit komplett verglaster Fassade und umlaufendem Balkon, von dem aus man die ganze Stadt überblickt. Summend öffnen sich die Vorhänge, und auf einem riesigen Himmelbett in der Mitte des Raumes erwacht eine schöne blonde Frau in güldenem Nachtgewand vom Weckruf eines offenbar artifiziell intelligenten, stets zu Scherzen aufgelegten Computers (groß wie ein Kleinwagen), dieweil ein dienstfertiger junger asiatischer Butler in ebenfalls schneeweißem Anzug Orangen und Kaffee kredenzt. Der Computer meldet Arbeit für die Dame, dieweil soeben in hellstem Tageslicht und Szene 2 der bisher vom Staatschef favorisierte, weil Hosen tragende und überhaupt ganz überragende Agent 000 gemeinsam mit einem kompletten Amsterdamer Innenstadthaus von einem gemeinen versteckten Sprengkörper zerlegt und geradewegs in die Gracht geblasen wurde. Zu ziemlich groovigem Sixties-Sound übrigens, mit einer messerscharfen Beat-Gitarre.

So geht das los hier. Und was so los geht, hat mich am Wickel, selbst wenn der Einsatz von Clowns und Pantomimen droht (normalerweise ein Grund, den Fernseher einzutreten). "Modesty Blaise" ist so Sixties wie Chin Chin Chinzano, Astrud Gilberto oder ein brennender Mönch mit seinen in gleißenden Farben förmlich explodierenden Popart-Kulissen und zärtlich streichelnden Kamerafahrten über architektonische Extravaganzen. Nicht viele kriegen das so gut hin wie in seinen besten Momenten Jesus Franco, und dies hier könnte wenn schon nicht für das Budget seines Lebens von ihm inszeniert, dann doch wenigstens optisch gestaltet worden sein. Janine Reynaud könnte ich mir in der Hauptrolle ebenfalls gut vorstellen. Ich hoffe, ihr nehmt das als Empfehlung. Habe die Bilder angeschmachtet.

Die doofe Story ist schnell resümiert, könnte auch von Franco stammen, und das ist in diesem Zusammenhang kein Lob (wenngleich nicht weiter schlimm). Strolche wollen Diamanten im Wert von 50 Millionen britischen Pfund stibitzen (viel Knete für 1966). Modesty Blaise (Monica Vitti), eigentlich schon im luxuriösen Vorruhestand befindliche Spezialagentin mit besten Beziehungen zu Unterwelt und erstaunlicherweise auch arabischen Potentaten, soll das verhindern. Gemeinsam mit ihrem Assistenten, dem irre lachenden Messerwerfer und Playboy (Terence Stamp), begegnet sie trickreich der Bedrohung durch einen auf einer südlichen Insel residierenden und von Artisten assistierten Superbösedieb (Dirk Bogarde). Letzterer färbt seine Haare weiß, schlürft blaue Drinks, in denen Goldfische schwimmen, lässt Untergebene dekorativ ermorden und unterhält eine interessante platonische (?) Sadomasobeziehung zu seiner bevorzugten Vollstreckerin (Frau Farbissina).

Wer bereit ist für eine Portion zünftigen Schwachsinn in spektakulärer Verpackung, sollte sich angesprochen fühlen. Auch war die von Peter O’Donnel ersonnene Agentinnenfigur in den swingenden Sechzigern schrecklich populär, sowohl in Büchern als auch in Form von Zeitungs-Comics (für den Evening Standard). Sogar im Schrank des Typen, bei dem ich als Kind gewohnt habe, stand ein MB-Roman ("Die Lady bittet ins Jenseits"). Ein guter Film aber ist "Modesty" nicht. Regisseur Joseph Losey ("The Go-Between") vermag keine Balance herzustellen zwischen Parodie und Thriller, als Komödie ist "Modesty" nicht komisch genug und als Agentenabenteuer nicht wirklich aufregend. Dürftige Running Gags (Amsterdam, Rotterdam, scheißegal) werden breitgetreten, der schlimmste davon, ohne jede Erklärung serviert, raubte mir sogar vorübergehend den Glauben an meine Zurechnungsfähigkeit. Denn Modesty kann sich in Lichtgeschwindigkeit umziehen und die Haarfarbe variieren! Die (andernorts nicht schlechten) Darsteller überagieren hemmungslos, doch das paßt zum absurden Script, und so fühlt man sich in besseren Momenten an den ähnlich überdrehten und schönen "Casino Royale" erinnert. Den von 1967. Es macht Spaß, dem dummen Getümmel zuzusehen, wenn man (wie ich) davorsteht wie ein Kind vor einer Lichtorgel.

Zu Aggro-Berlin-Beats wütend zu schreien:

Wer trägt die grellsten Säcke im Kampf gegen Verbrechen
pennt auf einem drehenden Bett ohne sich zu erbrechen.
Das ist Jane Bond, die hier die Vitti heißt, und Kerle wie der Krieg verschleißt.

Quentin Tarantino erwarb die Rechte an "Modesty Blaise", was Sinn macht, und hat, wohl nur um diese nicht verfallen zu lassen, 2004 ein recht liebloses Trash-Teil namens "My Name Is Modesty" (Regie: Scott Spiegel) produziert (in Rumänien, mit lauter Nu Image-Pansen). Vernachlässigenswert, das.

Bearbeitet von hoolio21, 17. Januar 2009, 01:38.

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Geschrieben 25. Januar 2009, 02:09

...

"Einen schönen Samstag Nachmittag, meine sehr verehrten Damen und Herren, wünscht Ihnen Waldi Wampe aus London. Ich begrüße sie herzlich von der Anlage des ehrwürdigen All England Tennis Club in Wimbledon, wo heute die Vorrunde des diesjährigen Damen-Einzelturniers beginnt ... Es ist dies ein schwarzer Tag für den Tennissport, ja, für die Menschheit im allgemeinen, gedrückt erleben wir die endgültige Grablegung eines großen, traditionsreichen Sports. Ich weiß nicht, ob und wie viele Fans des traditionellen Damentennis uns jetzt überhaupt noch zuschauen, aber die Einschaltquoten in den letzten Tagen waren nach den verheerenden Durststrecken der vergangenen Jahre ja bekanntlich überwältigend hoch. Wie nie zuvor, obwohl noch gar nicht gespielt wurde ... Doch nur so war das Damentennis wohl noch zu retten. Deshalb ... wer immer uns jetzt hier zusieht ... es sei ihm mitgeteilt, daß hier früher einmal die sportliche Leistung zählte, und nicht dieses würdelose, brutale Spektakel, das wir jetzt erleben werden (* schluck *) ... Darüber scheint hier und heute allerdings niemand traurig zu sein. Es liegt eine ausgelassene Heiterkeit in der Luft, Volksfestatmosphäre fast, und die Zuschauer, darunter überraschend viele Frauen, verbreiten Stimmung wie in einer Fußballarena ..."

Werbebreak

"Aaah, eisgekühlte Pepsi Cola Fettfrei Ultra, das tut gut. ... Und da betreten bereits die Spielerinnen den Centre Court. Hier sehen wir Venus Williams, die trotz aller Vorkommnisse in den vergangenen zwei Wochen beschlossen hat, hier in der neuen Kleiderordnung anzutreten ... und nun als Schwarze die historische Geburtsstätte des Weißen Sports gegen eine noch feindlichere Übernahme verteidigt. Die Athletin muß nach dem neuen Reglement allein in diesem lächerlich winzigen, schneeweißen Tangahöschen antreten, das ja wirklich überhaupt nichts verbirgt. ... Doch erhält sie auch zehn Millionen britische Pfund in Rüstungskonzern-Aktien und ein raketenbetriebenes Porsche-Sportcoupé als Kompensation allein für ihre Teilnahme am Vorrundenauftakt. ... Was den Ärger darüber dämpfen sollte, das Spiel zusätzlich mit Taucherflossen an den Füßen und einem Integralhelm auf dem Kopf bestreiten zu müssen. Natürlich nur, damit ihre heutige Gegnerin wenigstens den Hauch einer Chance hat."

Werbebreak

"Und hier sehen wir die Herausforderin: Nadine Jansen aus Leipzig, eine Frau, die nach eigenem Bekunden in ihrem Leben noch nie ein Sportgerät angefasst hat. Dafür aber gerne Ferrero Rocher nascht, wie sie mir vor dem Match verraten hat. Worin ihre Qualifikation für das Turnier bestand, können sie jetzt, da sie diese elegante Trainingsjacke von Nike auszieht, selbst antizipieren ... Ein Aufschrei geht durch die Massen. Ja, das ist nicht von schlechten Eltern. Aber wir sollten nicht vergessen und kritisch monieren, das diese Dame hier und heute einzig deshalb um die Krone im Tennissport kämpft, weil sie zufällig eine von zirka zwei Dutzend Konkubinen des amtierenden totaleuropäischen Kultusministers Hoolio Beethoven ist. Der Wahlkanare und Ehrenvorsitzende der mächtigen, nationen- wie parteienübergreifenden Dyonisos-Fraktion, dem manche hinter vorgehaltener Hand Verbindungen zum organisierten Verbrechen nachsagen, gilt als Strippenzieher bei der Reform des Turniers, ihm soll auch der publikumswirksame Einfall zu verdanken sein, den Profi-Damen im Doppel die Füße zusammen zu binden."

Werbebreak

"Es ist allein einer Konzession an die frühe Ausstrahlung zu verdanken, daß beide Damen hier und heute wenigstens noch Anstandstangas tragen. Die europäische Regierung soll ursprünglich erst bereit gewesen sein, das bankrotte England mit Milliardenbeträgen zu unterstützen, wenn garantiert wäre, daß alle Spielerinnen von der Vorrunde bis zum Finale nackt antreten. Dafür immerhin darf jetzt die Gewinnerin die Verliererin übers Knie legen. Garantiert nur ein Spot, dann sind wir pünktlich zum ersten Aufschlag wieder da."

"Man mag über den Sitten- und Werteverfall streiten, doch schon das erste Spiel im ersten Satz macht deutlich, daß auch das "Neue Tennis" seine Reize birgt. Vielleicht sehen wir jetzt keine brillanten Netzgefechte und Rekordgeschwindigkeitsasse mehr, doch das konnten die Männer, hehe, wenn wir ehrlich sind, ohnehin immer schon besser. Und bei denen läuft das Tennis zum Glück noch nach alten Regeln. Dafür sehen wir nun ... hahaha ... hoho (* pfeif *) ... Bilder wie diese: Nadine Jansen ist hingefallen und hat sich im Netz verfangen, obwohl sie nicht einmal Taucherflossen trägt und blind ist, wie Venus Williams, ... die sich jetzt erst einmal hinsetzt, ... sogleich aber vom Schiedsrichter ermahnt wird, stattdessen lieber vor einer der achtundzwanzig Innenraumkameras ihre Beine mit Original Tiroler Nußöl von Pöltzl einzucremen."

"Unterdessen bricht schräg unter uns eine Schlägerei unter den Balljungen aus, wer Nadine Jansen aus dem Netz helfen darf. ... Holla! ... Jetzt greifen Bobbies ein, ist wohl auch besser so. Schließlich wollen wir ja keinen Boxkampf sehen, sondern nackte Weiber, äh, Tennisdamen, hahaha. Ganz nach dem Motto unseres Hauses: Mit dem Zweiten sieht man besser. Eduscho. Nesquick. ... So, jetzt kann es, glaube ich, weitergehen. ... Nadine Jansen darf den Ball auch übers Netz werfen, weil sie sonst gar keine Chance hat ...."


„Do you like movies about gladiators?“
(Airplane)


Gladiator
(US 00)

Späte Antike. Wir kommen gerade recht, um mitzuerleben, wie Rom mal wieder den Germanen in den Allerwertesten tritt. Den Pfeifen. Hocken auf Bäumen im Dunkeln (während Rom die Lampe ist), kleiden sich in unverarbeitete Tierhäute und haben der überlegenen römischen Strategie allenfalls unartikulierte Laute entgegen zu setzen. General Maximus Decimus Meridias, unterwegs im Namen des die Angelegenheit aus sicherer Entfernung persönlich observierenden Kaisers Marc Aurel und dargestellt vom australischen Ex-Skinhead Russel Crowe, lässt extra Katapulte in den Wald tragen, um sie von ihren Bäumen zu schießen, zollt aber immerhin dem freien Willen der Halbaffen Respekt, lieber blutig unterzugehen als klein beizugeben.

Nach der Schlacht würde Maximus gern einfach nach Hause gehen und Schafe jäten, aber der Chef hat sich in den Kopf gesetzt, ihn zu seinem Nachfolger zu deklarieren. Und zwar, um die Demokratie wieder einzuführen und die Macht dem Senat zurück zu geben. Und um zu verhindern, daß der schon jetzt vor Komplexen und krankhaftem Ehrgeiz halb verrückte Sohnemann namens Commodus (Joaquin Phoenix) dem Begriff Cäsarenwahn neuen Hochglanz verleiht. Es kommt, wie es kommen muß: Commodus greift dem einst selbst nicht zimperlichen Greis mit Mord zuvor und lässt den General der Demokraten unauffällig verschwinden. In den Hades, wie er glaubt, in Wahrheit bloß in die Sklaverei. Aus der sich im Alten Rom schon mancher, der mit dem Schwert umzugehen wußte, entsprechend schnell wieder erhoben hat.

Gladiator kommt von Gladius, dem kurzen Stoßschwert, und umreißt jene Berufsgruppe von starken Männern in knappem Zwirn, die sich gegenseitig in den kleinen und großen Arenen der nicht minder wie wir sportverrückten Römer coram publicum mit richtigen Waffen richtig umbringen mußten. Anfangs allein hohen Feiertagen und männlichen Zuschauern vorbehalten, geriet der Gladiatorenkampf in Zeiten sogenannter Dekadenz zum Allerweltsspektakel bzw. beliebten Mittel der Wählerbestechung oder Pöbelzerstreuung. Erfolgreiche Gladiatoren hatten Fans wie Popstars und konnten nicht selten ihre Freiheit wieder erlangen. Laut Geschichtsbuch gab es sogar einen Kaiser, der davon träumte, ein berühmter Gladiator zu sein, und in dieser Funktion zum Beispiel wilde Tiere in ihren Käfigen mit Lanzen abstach. Sein Name war Commodus.

Womit wir schon mal wissen, daß der Plan von Marc Aurels bösem Sohnemann zur vollsten Zufriedenheit aufgegangen ist. Commodus ist jetzt Kaiser, die heiße Schlampenschwester Lucilla (Connie Nielsen) seine First Lady, und das Regieren eine einzige Kette von Belustigungen, Bereicherungen und Zirkusspielen, in der man hin und wieder dem Senator das Gladius an den Hals halten muß, damit der klugscheißende Pfeffersack weiß, wo sein Hundeplatz ist. Das Leben könnte so schön sein. Wenn da nicht diese eine dumme Sache wäre. Maximus ist wieder da. Und er ist stinksauer.

Schließlich hat man nicht nur ihn vom General zum Sklaven degradiert und um den Thron geprellt, sondern auch, was Maximus sehr viel schlimmer findet, seine Frau und seinen Sohn lahmgerammelt, gekreuzigt und lebendig eingeweckt. Jetzt will er Rache am Kaiser, und der kann ihm nicht entkommen, ist ihm quasi ausgeliefert, weil er in seiner Loge immer dabei sein muß, wenn Maximus absticht, umholzt, in der Taille halbiert, was auch immer sich im blutgetränkten Sand der Arena unter den hysterischen Begeisterungsschreien es Publikums in seine Richtung bewegt. Von Kampf zu Kampf wächst sein Ruhm. Schon kennt jeder römische Schulbub seinen Namen. Commodus eigene Schwester (und künftige Ehefrau) würde die Beine breit machen für den verbissenen Hauklotz, heißt es. Wenn der dafür noch ein Jota Sinn hätte.

Russel Crowe als Maximus vermittelt glaubwürdig Wut und Verbissenheit. Natürlich macht es ihm ein bißchen Spaß, wenn die Masse ihn anfeuert und alles Leben aus dem Gegner fährt, gelernt ist gelernt, und er ist auch nur ein Mensch. Abends trinkt er mit den anderen Überlebenden des Tages ein Hörnchen, schließt Freundschaft sogar mit einem Germanen, der sprechen kann (Ralph Möller). In Wahrheit aber ist er ein lebender Toter, todgeweiht in jeder Hinsicht, der schon lange vor seinem letzten Kampf allen Willen zum Leben am Tag nach der Rache verloren hat. Thron, Demokratie, Liebe interessieren ihn nicht, er wartet nur auf jenen Moment, in dem er im Jenseits Frau und Kind wieder trifft. Was ihm auf dem Weg dahin in die Quere kommt, fällt in Stücke. Ich fand die Figur sehr anrührend und zerdrückte am Schluß gar das dramaturgisch beabsichtigte Tränchen. Nicht beim Schlußplädoyer, wohlgemerkt, das ist so überflüssig wie Adolfs Eier. Aber davor, wenn Maximus dem Kaiser gibt, was des Kaisers ist, und zur Frau geht. Und alles um ihn herum verstummt und verschwindet. Da wäre man besser mal rausgegangen in die Endcredits, anstatt noch dieses absolut unrömische Love-&-Peace-Geschwätz zu diesem unsäglichen, Enya-mäßigen Hans-Zimmer-Schwulst draufzuklatschen wie eine Kelle Zucker.

Aber egal. Der Film ist trotz Tendenz zu Über-Überlänge und Schwadronieren relativ kurzweilig, liefert computermodulierte Prachtpanoramen, die Leni Riefenstahl vor Neid erblassen ließen (komplett in ihrem Stil mit Anflug durch die Wolken auf die Metropole der Bewegung), und fährt so etwa im Halbstundenrythmus ein zünftiges Gemetzel zum Nervenkitzel des Zuschauers auf. Denn schließlich sind wir ja nicht gekommen, um etwas über ewige Liebe oder die Vorzüge der parlamentarischen Demokratie zu erfahren. Die Show stiehlt, wie leicht oder schwer das in diesem Fall gewesen sein mag (und wie fast in jedem besseren Actionfilm), der Bösewicht. Joaquin Phoenix ist ein sagenhafter Irrer, mal kränklich wie der bleiche Tod die bedrohlich flüsternde Viper gebend, mal ausrastend wie ein Kind oder trunkener Fußballfan angesichts der spektakulär angerichteten Massaker unten in der Arena. Nicht wirklich ein Unhold, kein eiskalter Völkermörder wie Cäsar oder entfesselter Sadist wie Caligula, eher ein schwer neurotischer Spinner und Möchtegernheld, der sich den falschen Typ zum Feind gemacht hat. Und richtig Schiss kriegt, auf einmal. Tolle Leistung, und wunderbar anzuschauen in seinen blauen, grünen, weißen Paradeuniformen. Selbst Peter Ustinov in "Quo Vadis" verblasst dagegen.

Hut ab vor einem Regisseur, der vierzig Jahre nach fundamental bedeutenden Frühwerken wie "Alien" oder "Blade Runner" immer noch Qualität auf solchem Niveau zu leisten imstande ist. Nur Spielberg und Eastwood fallen mir unter den Lebenden ein, die im Unterhaltungskino über einen solchen Zeitraum ein ähnliches Niveau haben halten können. Und eben Ridley Scott. Vielleicht ist Werbung doch keine so schlechte Schule. Jedenfalls ist das optische Design noch immer die große Stärke von Scott. Und triumphiert auch wieder mal über den Inhalt. Mich stört das (hier) nicht.

Coupeee.

Bearbeitet von hoolio21, 25. Januar 2009, 02:41.

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Geschrieben 29. Januar 2009, 03:05

Ich lebe alleine in einer 3-Zimmer-Wohnung, bin aber selten allein. Heute Nachmittag um vier kam der Alin auf ein August vorbei. Mein vierundzwanzigjähriger, deutsch-persischer Kumpel, der jahrelang in der Wohnung gegenüber wohnte, und nun mit seiner älteren Freundin (Trend der Saison!) und einem Freund in einer WG im Westend wohnt. Der schon mit 14 Jahren Animé bei mir auslieh und die nächsten Tage einen neuen Computer (state of the art) bei mir Technikvolldepp installieren wird. Heute aber unterhielten wir uns über das Bayernspiel vom gestrigen Abend, die Wertlosigkeit des bayrischen Abiturs und den Einfluss der Israel-Lobby auf die deutsche Politik.

Kaum ist der Alin verschwunden und der Autor will sich wieder dem Text zuwenden, da klingelt es erneut, und meine über alles geliebte Ex steht vor der Tür. Hat’s ja nicht weit, so von Wohnung zu Wohnung im selben Mietshaus. Mangelhafte Genußmittelversorgung treibt sie herüber, sowie der Drang, mir von der Diva-Gala des Vorabends im Bayrischen Hof zu berichten. Wo sie über den Teppich Rouge schweben durfte, in eleganter Robe mit Banane im Haar. Die Diva-Gala liegt zwischen den Golden Globes und den Oscars (zeitlich) und wurde von dem Münchner Filmfachmagazinverleger und hoolio-Ex-Chef Ulrich Scheele (Videowoche, Blickpunkt: Film, Kino.de) ins Leben gerufen, um herausragende Leistungen im Bereich Video/DVD zu würdigen und ein wenig Glamour in eine kleinkarierte Branche zu tragen. Gestern gab’s scheinbar nach einer Laudatio von Franco Nero („Ich scheiß dich zu mit meinem Geld“) einen Preis für Mario Adorf („Sag ihm, das "Milano Kaliber 9" geil war!“), eine Auszeichnung fürs noch Am Leben Sein für Jacqueline Bisset, sowie den Preis für den dicksten Reibach für Til Schweiger, den akut Bettlägrigen. Dafür war Sido da, und die Wepper-Brothers. Ein Prinz von den Prinzen hielt die Laudatio auf AC/DC (warum nicht), die Ochsenknecht-Knaben wurden als Hoffnung für die Zukunft ausgezeichnet, und Chris De Burgh stimmte dazu manch vertrautes Liedchen an. Na so was. Im Hintergrund schießt derweil Hugo Almeida Werder Bremen in die nächste Pokalrunde. Vorgestern hatte ich noch auf ein Viertelfinale mit Doofmund gegen Schalke und Bayern gegen 60 gehofft, aber so kann’s gehen.

Die Ex ist noch nicht wieder draußen, da kehrt meine heiße Mitbewohnerin von den Plagen des Tages zurück und möchte nur noch die langen Beine hochlegen, Weinchen schlürfen (Führerwein!) und mit flimmernden Attraktionen verwöhnt werden. Also "Rom" (I/V) eingelegt und mitgeguckt. Wie Titus Pullo den jungen Octavius im Schwertkampf unterrichtet und der pleite gegangene Lucius Vorenus rechtzeitig zum Ägyptenfeldzug zurück zu Caesars Standarte eilt. Danach nun eile auch ich endlich an den Bildschirm, um mit den Fingerfarben des reinen Narren Folgendes in den ewigen Fels des Worldwide Web zu malen.


Neu auf DVD (hoffentlich)


Adam Sandlers’s Love Boat (Komödie US 89)
Mit dem festen Vorsatz, ein schlagfertiger Bühnenwitzbold wie seine fossilen Vorbilder Milton Berle oder Henny Youngman zu werden, heuert Schecky Moskowitz zunächst einmal als Kellner auf dem Traumschiff an und häuft dort mit absurden Tölpeleien ein Unheil auf das andere. Als aber gemeine Terroristen im Auftrag von General Noriega einer mitreisenden Riege von Missen an die Wäsche gehen, wächst der Dödel vom Dienst über sich hinaus. Adam Sandler erprobt seine Leinwandtauglichkeit als Jerry-Lewis-Ersatz in einem bonbonfarbenen, einfältigen Stolperklamauk und wird noch etwas brauchen, bis er von dieser evolutionären Zwischenstufe zum Rüpel der Herzen späterer Tage erwachsen ist. Kleine Entdeckung für Comedy-Archäologen, abgestumpfte 80s-Nostalgiker und Bikini-Sexisten.

Bone Sickness (Horror US 04)
Alex leidet an einer seltsamen Immunschwäche, gegen die seine in der Pathologie tätigen Freunde die Verfütterung menschlichen Knochenmarks zum alternativen Einsatz bringen. Die Therapie schlägt besser an, als letztlich allen recht ist. Modrige Faulkörper, wie mancher sie vielleicht von Bianchis "Rückkehr der Zombies" in blasser Erinnerungen hat, zerfleddern menschliche Leiber im Schummerlicht und bürgen für eines der bedrückenderen Low-Budget-Zombiefilmerlebnisse der jüngeren Vergangenheit (das ist als Lob gemeint).

Der bunte Schleier (Drama US 06)
Im frühen 19. Jahrhundert freit die rebellische englische Bürgertochter Kitty (Naomi Watts) hauptsächlich deshalb den etwas steifen britischen Arzt und Chinareisenden Walter Fane (Edward Norton), um den ständigen Nörgeleien ihrer Mutter zu entgehen. Als die sexuell vernachlässigte Kitty in China eine Affäre mit einem Diplomaten (Liev Schreiber) hat, stellt Walter sie vor eine auf den ersten Blick mörderische Entscheidung. Ein Film wie geschaffen für meine Mitbewohnerin: Eine dramatische Liebschaft vor historischen Kulissen, ein Stück Weltliteratur (W. Somerset Maugham) als gehobenes Hollywood-Ausstattungskino, vorgetragen von Darstellern der ersten Garnitur in liebevoll nachempfunden Salonkulissen und vor postkartengerechter südchinesischer Berglandschaft. Etwas bieder und ereignisarm, deshalb wohl auch hierzulande nicht im Kino.

Carver (Horror US 08)
Ein dicker Landwirt in Latzhose und Schweißerbrille amputiert gemächlich Testikele mit der Rohrzange in schillernden Close-Ups, doch glaube ich ehrlich gesagt nicht, daß sie solchen Krempel unkütt an der Juristenkommission vorbei mogeln, sonst kann jene ihre Pforten aus Sicht mancher Staatsanwälte sicher bald schließen. Genug der Empfehlung, Blutfetischisten? Ach ja, ansonsten geht es um - ihr werdet es kaum raten - ein Fähnlein großstädtischer Party People auf dem Ausflug in die Provinz, wie sie die falsche Zweigung nehmen.

A Crime (Thriller US/F 06)
Jemand hat Vincents Frau ermordet, und der kann sich darüber auch Jahre später nicht beruhigen. Eine junge Frau, die gerne mit dem Gestörten ein Verhältnis begänne, möchte ihm irgend jemand als Täter präsentieren, damit er sich endlich abreagieren kann. Emmanuelle Beart ist die Femme fatale, Harvey Keitel (als Taxi Driver!) das vermeintliche Bauernopfer und "Boondock Saint" Norman Reedus der vollendete Stoffel in diesem ambitionierten, doch etwas weit hergeholten Neo-Film-Noir der guten Absichten und limitierten Fertigkeiten.

Far North (Drama GB/F 07)
In den weißen Weiten der Tundra jagt die vom Stamm verstoßene Schamanin und Fallenstellerin mit ihrer Tochter Robben, als man eines Tages auf einen verwundeten Herren trifft. Dessen Betreuung bringt den kleinen Damenkosmos gründlich durcheinander. Einsamkeit und Eros im Eismeer, eine Love Story der besonderen Art mit Elementen von Horror- und Kriegsfilm. Sean Bean ist Soldat bei irgendeiner Armee, die Massaker an Eskimos verübt, doch kaum näher definiert wird. Irgendwie trübt das den mystischen Gesamtcharakter, schafft aber wenigstens Raum für ein paar eindrucksvolle Kampfszenen. Und für die war Michelle Yeoh ja auch einmal berühmt. Schöne Bilder an einfacher, kraftvoller Story. Empfehlung.

Franz und Polina (Drama Rus 06)
Intensivste erste halbe Stunde seit langem. Ein Film wie ein böser, funkelnder Traum. Mein Großvater mütterlicherseits wirkte für die SS im Osten (als Offizier und gelernter Polizist). Habe es noch nie so glaubwürdig, authentisch anrührend und gleichzeitig zauberwaldgespenstisch wie hier gesehen, was er da tat. Wie der Walkürenritt aus "Apocalypse Now" in der dub-version. Erstickt. Die ganze erste Halbzeit der ersten halben Stunde so etwas wie das Hobbit-Dorf aus "Herr der Ringe", mit SS-Männern, die mit russischen Kindern spielen und russischen Maiden Äpfel pflücken. Aber die alten Frauen (von Männern fehlt jede Spur) hören schon den Wagner-Sound aus den Hubschrauberboxen. Versteht mich noch einer? Erste halbe Stunde! Danach, nun ja, wird es normales dramatisches Abenteuer mit Love Story, das in seinen Wiederholungen auch zu lang gerät. Romeo und Julia 1943 in der Ukraine, wie sie mal vor seinen und mal vor ihren Leuten flüchten, mit wechselnden Fronten, von einer Grütze in die nächste.

Henry Poole – Vom Glück verfolgt (Tragikomödie US 08)
Ein junger, gutaussehender Sauertopf (Luke Wilson) glaubt, in Bälde sterben zu müssen, und reagiert darauf nicht, in dem er etwa ein ordentliches Fass aufmachen würde, sondern zieht sich zurück in ein hässliches kleines Vororthäuschen in L.A., um dort die Wand anzustarren, bis der Exitus naht. An der Außenwand wächst derweil ein Schimmelfleck, und als die hysterische mexikanische Nachbarin darin das Antlitz Jesu zu erkennen glaubt, ist es mit der Vortotenruhe vorbei. Seltsamer Film. Dachte zuerst, es sei so eine dieser evangelikalen US-Produktionen, wie sie sich zuletzt immer häufiger unters Angebot mischen, doch dann entpuppte es sich doch bloß als ein unglaubwürdig konstruiertes, nett gemeintes und unspektakulär umgesetztes sogenanntes Feelgood Movie um die Resozialisierung eines Miesepeters mittels liebem Gott, süßem Kind und heißer Nachbarin.

Jagdfieber 2 (Komödie US 08)
Der doofe Hirsch will gerade die sexy Hirschkuh freien, als der frisch zu den Wildtieren übergelaufene „Dachshund“ Mr. Weenie von seiner Besitzerin retour gekidnappt wird. Also sausen alle Tiere des Waldes hinterher, um ihren Kumpel aus einem zwischenzeitlich erreichten Vergnügungspark freizupauken. Dieses direct-to-DVD-Sequel eines Zeichentrickkinofilms aus Hollywood ("Open Season") hat mich in Maßen amüsiert, obwohl einem vom ständigen Gekreisch der Synchronextremisten irgendwann ganz schön die Ohren klingeln. Nett der im Original deutsch radebrechende Dackel, das Hasenballspiel und der ganze zentrale Kulturkonflikt.

Kill Buljo (Kriminalkomödie Nor 07)
Ein schnauzbärtiger Lappe (kein Lappen, sondern ein Mensch vom Stamm der Lappländer) tötet seine ehemaligen Kollegen von der läppischen Mafia, nachdem diese seine Hochzeit in Blut ertränkten und ihn für tot zurück ließen. Besonders der vorherige Unterricht bei einem Kampfsportmeister bürgt für Lacher beim einfach gestrickten Zeitgenossen. Tarantino kann sich seine Fans nicht aussuchen (genauso wenig wie Tarantinos Idole ihn), und so haben wir hier die by the numbers durchexerzierte, von keinerlei Produktionsmittelüberfluß getrübte und leider auch nur selten freiwillig komische Nordkap-Antwort auf "Kill Bill".

The Lawless (Thriller US 07)
Genau vierundzwanzig Stunden bleiben den beiden aufgeflogenen Undercover-Cops in Mexico City, vier Menschen hinzurichten im Auftrage des Drogenkartells, andernfalls sie ihre jungen Familien nicht lebend wiedersehen. Atemlose, um moderate Originalität und dichte Milieuzeichnung bemühte Verfulgungshetzjagd mit einigen wachen Momenten in den Dreckfarben der Saison.

Miss Pettigrews großer Tag (Drama GB 08)
Eine vielseitig begehrte, mondäne Nachtclub-Sängerin (Amy Adams) führt ein zufallsbekanntes Unterschicht-Mauerblümchen in die High Society im London der 30er Jahre ein und stiftet dabei allerhand Verwicklungen. Frances McDormand, Ehefrau von Joel Coen und Heldin vieler seiner Filme, geht quasi fremd als schüchterne, arbeitslose Hausangestellte in dieser Verfilmung eines seinerzeit gewissermaßen als skandalös und nestbeschmutzend empfundenen Gesellschaftsroman von Winifred Watson.

Nine Lives (Drama US 05)
Momente, die das Leben verändern, aus dem großen ganzen gerissen, episodisch verschachtelt und zuweilen lose miteinander verknüpft. Rodrigo Garcia, Sohn des kolumbianischen Nobelpreisträgers Gabriel Garcia Marquez und hauptverantwortlicher Autor/Produzent der Psychoanalyse-TV-Show "In Treatment", versammelt illustres Damen-Personal (Glenn Close, Holly Hunter, Sissy Spacek, Robin Wright Penn, Dakota Fanning, um nur die bekanntesten zu nennen) und weckt Erwartungen, die selbst er nicht erfüllen kann. Guter Versuch, whatsoever.

Pistoleros (Kriminalkomödie DK 07)
Die Beute eines Überfalls auf einen Geldtransport ist der McGuffin in dieser rechtschaffen hektisch in preisgünstige Kopenhagener Kulissen gesetzten Gangsterepisodengroteske typisch des Skandinavochilenen und Robert-Rodriguez-Bewunderers Shaky Gonzales. Dänische Homeboys, Jugo-Mafia, vierschrötige Biker-Visagen, pakistanische Narco-Guerilla, Italowestern-inspirierte Outlaws und tatsächlich auch Enthüllungsjournalisten bombardieren sich mit Blei und blöden Sprüchen. Nicht ganz so amateurhaft wie "Kill Buljo", aber man müht sich.

Skin (Drama NL 08)
Teenager Frankie Epstein sucht nach Orientierung im Holland der späten 70er und findet sie nicht bei seinem Vater, dem weinerlichen Holocaust-Überlebenden. Als seine Mutter tödlich erkrankt, wendet sich der Knabe von der bisherigen Peer Group, den Saufpunks, ab und den (praktischerweise auch saufenden) Nazi-Skins zu. Eher ein spezifisch jüdischer Vater-Sohn-Konflikt und nostalgisch angehauchtes Statement zur gestörten Kommunikation zwischen den Generationen als ein Jugendbanden- oder Skinheaddrama. Nur selten gelingt dem ambitionierten, doch flach konstruierten Film, Anteilnahme für seine autistischen Hauptfiguren zu wecken.

Taxi 4 (Komödie F 07)
Ein Art Hannibal Lecter plant den Überdiebstahl in Monaco, was nicht passiert wäre, wenn ihn die unterbelichteten Kifferflics aus Marseille nicht eigens dafür hätten laufen lassen. Aber man hat ja ohnehin gerade andere Sorgen, gilt es doch, den von Liverpool entworbenen Fußballstar Cissee würdig in der Stadt zu begrüßen. Und wie ginge das besser als mit einer brechreizenden Fahrt in Samy Naceris Raketentaxi. Alles beim Alten jenseits des Limes, und wir, die wir überhaupt kein diskutables Unterhaltungskino zuwege kriegen, sollten uns hüten, diesen bunten Strauß von Possen ächtlich zu verlachen.

The TV Set (Komödie US 06)
Wie das so aussieht und laufen kann, wenn eine Fernsehserie den steinigen Weg von der fixen Idee eines Autoren zum Prunkstück der Prime Time Schedule durchläuft, beschreibt anschaulich, witzig und getragen von besseren Charakterdarstellern (David Duchovny, Sigourney Weaver) diese satirisch angehauchte Komödie aus der Welt des Unterhaltungsfernsehens. Regisseur und Autor Jake Kasdan, Sohn von Lawrence Kasdan und Co-Schöpfer der von Kritikern hochgelobten, doch von den Massen verschmähten TV-Show "Freaks and Geeks", plaudert quasi aus dem Nähkästchen und liefert all jenen aufschlußreiche Zerstreuung, die gerne hinter die Kulissen unseres geliebten Mediums blicken.

Bearbeitet von hoolio21, 29. Januar 2009, 04:08.

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#48 hoolio21

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Geschrieben 04. Februar 2009, 23:26

In den heißen Tagen des späten Sommers 1981 stand eurem ergebenen Chronisten, männlich, 17, Schulversager, der Sinn nach spontanem Tapetenwechsel. Er packte seine sieben Sachen, die aus einer zweidrittelvollen Flasche braunem Aldi-Rum bestanden, sagte seinen armen Eltern ein paar liebe Worte an den Kopf und torkelte mit geschätzten 2,1 Promille hinaus in den linden Abend, um per Autostopp aus der mit bemerkenswerter Asi-Dichte gesegneten Kleinstadt am Südrand des Ruhrgebiets hinauf zu seinem großen Bruder nach Neumünster zu eilen. Ins gelobte Land, wo Bier, Burger und Videos für Erwachsene flossen. Konnte ja nicht so schwer sein, da hin zu trampen, im 20 km entfernten Wuppertal begann schließlich irgend eine Autobahn (Hauptsache Richtung Norden).

Ich kann mich nicht erinnern, wie ich nach Wuppertal gelangte. Noch, wie genau ich von dort mit einem freundlichen Fernfahrer, dem weder meine krasse Fahne noch mein jugendliches Alter etwas auszumachen schienen, durch die Nacht bis fast nach Hamburg fuhr. So erwachte ich im Morgengrauen ohne Stichwunden oder äußere Anzeichen einer Sodomisierung unweit einer Autobahnraststätte im Straßengraben liegend von einem Maulwurf, der mir vor der Nase herum krabbelte. Nie zuvor so einen gesehen. Dann nahm ich ein paar Züge aus der Buddel gegen die aufkommende Nüchternheit, bevor ich fast fünfzehn Kilometer neben der Autobahnfahrspur herlief auf der Suche nach einer Abzweigung Richtung Neumünster / Flensburg. Schon Mittags befand ich mich im Herzen Schleswig Holsteins. Gott war wieder einmal mit den Dummen und Betrunkenen gewesen.

Ich wünschte, ich hätte einen kleinen Bruder, dem ich ein wenig von dem zurück geben könnte, was mein Bruder mir damals gegeben hat. Ich blieb volle zwei Wochen, aß jeden Tag bei McDreck (juhu), trank Hektoliterweise gutes Bier (Flens mit Bügel), verplemperte Unsummen an Space-Invaders-Automaten, Billardtischen und in den Kinos ("Der Söldner"!), denn mein gut verdienender Bruder wußte natürlich, daß mein Vater mir daheim nichts gab und gönnte, und stattete mich großzügig mit Taschengeld aus. Obendrein gab’s Ausflüge mit der Kawasaki 1100 und den Lonesome Eagles nach Lübeck, Timmendorf und Kiel (mein Bruder war ne Biker), Pornophotos von seinen tausendundeinen Weibern sowie komplette Jahrgänge amerikanischer Hustlermagazine (man fasste es nicht).

Das beste aber, oh meine Freunde, war die Videothek um die Ecke. Zwei Straßen weiter, in einem hübschen, gepflegten Einfamilienhaus hortete eine bürgerliche Gestalt mit grauem Haarkranz in der von Autos befreiten Garage tausende von Videocassetten (frag mich nicht nach dem System, aber ich glaube, es waren welche, die man umdreht), bespielt mit Raubkopien mehr oder weniger aktueller Unterhaltungsfilme. Immer zwei auf einem Tape, alles sorgsam nummeriert und handbeschriftet. Wer keine Ahnung hatte, was sich hinter der Masse von Titeln verbarg (wie ich), hatte keine andere Möglichkeit, als auf gut Glück dem Klang des Titels zu folgen. Dafür konnte ich mir holen, wann und was immer ich wollte. Und für mich gab es eigentlich nur zwei Kriterien. Italowestern oder Horrorfilme. Wenn möglich: Zombiefilme.

In meiner Jugend und vielleicht in meinem ganzen Leben fühlte ich mich selten unbeschwerter und glücklicher als damals, hingelümmelt auf einer eleganten Ledercouch, im Halbdunkel eines weitläufigen Wohnzimmers, mit Kippe auf dem Zahn und Holsten-Dose in der Hand Film auf Film auf Film entdeckend. Einer davon versprach besonders gut zu werden, quasi zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Er hieß


Zombies unter Kannibalen
(I 80 "Zombi Holocaust")

Molotto ist schuld. Daran, daß ich nach langer Zeit diesen Film wieder mal sah. Daß ich mich an das da oben erinnerte. Und an einem krassen Ohrwurm, den ich seit Tagen nicht mehr aus dem Kopf bekomme. Frei nach "Rosetta" von George Fame und Alan Price. Just don’t ask.

Was für ein Name. Molotto. Wie das Wispern des Windes in den Weiden, der perlende Klang von Harfen, das Zwitschern eines Vogels im morgendlichen Park. Wer so heißt, kann eigentlich nur noch Reiseführer auf einer Kannibaleninsel werden. Aber wer weiß, vielleicht bilde ich mir das in meiner westlichen Arroganz auch nur ein. Wie, wenn es ein deutscher Vorname wäre, vorangestellt einem Müller, Merkel oder Meisenkaiser. Vielleicht aber sind die Telefonbücher in Dakar, Mogadischu oder Transkastanien voll von Molottos. Weil es auf äthiopisch „Der den Fladen wendet“ heißt, oder so. Was weiß denn ich.

Das erste, was einem nach dem spartanisch-effektiven Vorspann mit Herzschlagrythmus-Synthesizergewaber (kommt hier der VPS-Vorspann her, oder von "Woodoo"?) auffällt, ist die überdrehte Tonspur. Knarzende Krankenhausglastüren, jeder Schritt auf Resopal wie ein Schlag, und bisher hat’s ja wohl auch nicht so geknirscht oder gequietscht, wenn wir jemandem mit einem Messer (einem Kriiiiis!) die Hand abgetrennt oder den Torso geöffnet haben. Offenbar versucht uns also jemand mit dem Holzhammer zu gruseln. Na dann sitzen wir ja richtig.

In New York (wo sonst) treibt ein rätselhafter Kult sein Unwesen. Seine Jünger dringen in Hospitäler ein und stehlen Körperteile aus der Pathologie, wer etwas darüber verraten könnte, endet selbst als Leiche. Dr. Chandler und die schöne Anthropologin Lori Ridgeway entdecken Verbindungen in die Südsee und beschließen, der Sache im Rahmen einer Expedition auf den Grund zu gehen. Begleitet von einem Journalistenpärchen geht es ab auf die Molukken.

Auf den Molukken, die bekanntlich aus vielen kleinen Inselchen bestehen, wohnt ein Urwalddoktor. So einer ist in Filmen immer entweder verrückt oder Albert Schweitzer. In diesem Falle ist er beides. Dr. Obrero (oder Dr. Butcher, wie er zum besseren Verständnis seiner Tätigkeit in Amerika heißt), widmet seine ganze Existenz den armen Eingeborenen der Insel. Von denen manche gar noch Menschenfresser seyen und zum Kannibalengott Kito beten.

Kein Grund zur Beunruhigung

ist die lapidare Antwort von Dr. Obrero, als Dr. Ridgeway gleich am ersten Abend nackend die Bettdecke in ihrer Kemenate zurück schlägt und etwas darunter findet, das wie ein vergammelter Kohl aussieht, von der Wissenschaftlerin aber sogleich als menschliches Haupt identifiziert wird. Doch: „Wenn man es wirklich auf sie abgesehen hätte, ständen denen ganz andere Mittel zu Verfügung.“ Wirklich sehr beruhigend, Herr Doktor.

Und da betritt er auch schon die Szene, der Reiseführer, der die Gäste am nächsten Tag zur Nachbarinsel Kito begleiten soll (... ja aber der Kopf). Groß, dunkelhäutig, massig, licht die Platte, finster der Bart, hört er auf den schönen Namen Molotto, guckt so verschlagen wie der Filius von Meister Lei Tung und fährt gleich ganz woanders hin. Aber ach, ein Motorschaden sorgt dafür, daß trotzdem alle auf Kito landen. Dem Eiland der Kannibalen, wo Dr. Obrero seine verstörenden, von keinerlei Ethikkommission gegängelten Experimente betreibt. Experimente mit lebenden Toten, bzw. Lebenden, die dieser Hecht der Wissenschaften in wandelnde Tote verwandelt, und dessen sinnfrei grunzenden Geschöpfe sogar die Kannibalen beim Essen in panische Flucht schlagen.

Abenteuer unter tropischer Sonne, Mad Scientists beim Vivisektieren, Meuchelmord, Kannibalismus, Zombies, nackte Versklavung, und natürlich junge, blonde Damen, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit alle Kleider fahren lassen - Regisseur Marino Girolami alias Frank Martin, Papa von Enzo G. Castellari, Schöpfer von über 70 italienischen Unterhaltungsfilmen und bei Dreh ein Herr von 66 Jahren, präsentiert sich auf der Höhe der Zeit und des ausgebeuteten Trendes, lässt auf 75 knappen Filmminuten wenig aus, was krakeelende Halbwüchsige damals in den Kinos (oder auf Videoraubkopien) sehen wollten. "Woodoo - Die Schreckensinsel der Zombies" und "Cannibal Holocaust" liefern die Steilvorlagen, und Girolami nutzt nicht nur deren Motive und zentrale Story-Elemente, sondern praktischerweise auch gleich dieselbe Kulisse, die Lucio Fulci bei "Woodoo" verwandte. Plus zwei der "Woodoo"-Darsteller in Gestalt von Hauptdarsteller Ian McCulloch und, of course, Molotto. Erstaunlich, daß der so eloquente Sachen hier schreibt, mit solchen Wüstlingspranken.

Das lässt Vergleiche zu, und man muß feststellen, daß Fulci einfach viel mehr heraus holt aus den Sets. Wo F. gespenstische Panoramen liefert (die Main Street im Staubsturm!), sieht es bei Girolami aus wie in einem gepflegten süditalienischen Stadtpark. Seine Kannibalen sind keine schlecht gelaunten, authentisch wirkenden Eingeborne, sondern hemmungslos den Wilden markierende Statisten diffuser Herkunft, die bei ihren von unaufhörlichem Geschnatter begleitenden, piranhahaften Fressüberfällen auf irgendwelche Heinzelmännchen („habe viel Angst, wolle nach Hause“) die Opfer quasi geschreddert zurück lassen („Beerdige deine Leute, Molotto“). Irgendwann bemächtigen sie sich dann der Anthropologin und deklarieren sie zur Göttin, weil sie so prima in die Schablone passt (doofe Blondine, die vom New York Ripper zerschnippelt wird). Was auch den italienischen Alternativtitel erklärt ("La Regina die Cannibale").

Girolami ist kein Stümper und keineswegs langweilig, aber er exekutiert seine bunte Palette greller Greueltaten so formelhaft, lieblos und by the numbers, wie es unter diesen Umständen geht. Die Special Effects haben sich einigermaßen gewaschen, entbehren nicht der schwarzen Situationskomik (Außenborder) und werden in einem Tempo serviert, als gäb’s kein morgen. Zombies degradiert der Film zu willenlosen Vollstreckern Obreros, was dem ursprünglichen Voodoo-Gedanken nahe kommt, vielleicht aber auch nur der Einfachheit geschuldet ist (die zwei Fliegen). Für Tigerhaie und meditative Stilleben fehlt Girolami die Geduld, auch ist die Chose ziemlich abrupt zu Ende, als noch keineswegs der letzte weiche Keks gebissen ist. Keine guter Film, gewiß, doch sicher immer noch ein Fest für den gehobenen schlechten Geschmack. Beim zweiten Angucken, irgendwann Ende der 80er mit Howls Ecki und anderen, kam man überein, nichts vergleichbar dümmlich-rassistisches zu kennen, fühlte sich aber erneut glänzend unterhalten von diesem Batzen Klischees, der dir da wie eine Torte ins Gesicht geschleudert wird. Und es geht ja auch schnell vorbei. Den besten Moment verdankt der Film bekanntermaßen der deutschen Synchronisation. Wenn zu jener Szene, in der Dr. Frankenstein mal wieder eine rasierte Dame zur Ader lässt, auf der Tonspur ein monotoner Sprechgesang das ewige Mantra der deutschen Antizensurliga intoniert. Als hätten böse Menschen Lieder.

Bearbeitet von hoolio21, 05. Februar 2009, 00:43.

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#49 hoolio21

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Geschrieben 10. Februar 2009, 23:12

Das erste vernünftige Sachbuch über Horrorfilme, daß mir nach moralinsaurem Quatsch von Hahn/Jansen oder dem berüchtigen Große-Preis-Experten Rolf Giesen in die Hände fiel, hieß (glaube ich) Splatter Movies von John McCarty. Es widmete sich vorrangig solchen Horrorfilmen, in denen viel Blut floß, und der Term Splatter Movie, den McCarty frei erfunden hatte, wurde nahtlos von uns (und dem Rest der Welt) übernommen und für wissenschaftlich befunden. Ich benutze ihn immer noch, weil die Leute dann wenigstens wissen, was gemeint ist. Sogar in einem Interview mit einem BR-Intendanten habe ich McCartys Kreatur schon gefunden (sinngemäß „Wir zeigen keine Splatter Movies, und deshalb kürzen wir auch keine Filme.“, hoho). Ist doch was, wenn man als Kritiker so etwas erreicht hat. Sogar Roger Ebert ist neidisch.

Am Ende des Buches hing eine lange Liste von so called Splatter Movies, die um die tausend amerikanische Filmtitel mit Angabe des jeweiligen Regisseurs aus dem Zeitraum zwischen 1960 bis 83 umfaßte. Ähnlich wie später die Beschlagnahmeliste aus dem BPS-Report wurde auch McCartys Aufzählung von uns postwendend als verpflichtende Besorgungsliste interpretiert. Manche Filme kannte man schon, von vielen hatte man wenigstens mal gehört oder gelesen, und bei einigen wunderte man sich, was sie dort überhaupt zu suchen hatten ("Indiana Jones", "Blade Runner" und anderes BR-Futter, statt etwa "Django", wo wenigstens Ohren abgeschnitten und Frauen ausgepeitscht wurden). Ungefähr ein Drittel der Liste aber war uns vollkommen unbekannt. Rätselhaftes Neuland, schwarze Flecken mit wohlklingenden Namen, die es auszuleuchten galt. Noch zu entdeckende Schätze, erlesene Scheußlichkeiten und krasse Schocker, womöglich. Manchen der Filme aus dieser Liste laufe ich heute noch hinterher, wie mit einer Tätowiernadel haben sich ihre Titel in mein Gedächtnis eingebrannt. Letzte Woche habe ich wieder einen gefunden.


Alucarda
(Mex 78)

Meinen ersten Film von Juan-Lopez Moctezuma entdeckte ich Ende der 80er Jahre in so einer typischen, winzigen Kleinstadt-Videothek, wie sie sich damals ein Lude als seriöse Geldanlage einzurichten und mit einem verdienten, inzwischen im Vorruhestand befindlichen Pferdchen hinter der Theke zu bestücken pflegte. Aus drei Gründen kann ich mich so gut an diesen einen Laden erinnern: Erstens hatten die Torte und ihr Macker von einer Beschlagnahmeliste oder Bundesprüfstelle noch nie etwas gehört, und ich fand auf Anhieb "Halloween 2" sowie die lange gesuchte "Forke des Todes" (oh. my. god.). Zweitens handelte es sich bei der gut zwanzig Jahre älteren Dame um einen voluminösen rothaarigen Feger, so daß ich um einen etwa dreiwöchigen Flirt nicht umhin kam. Und drittens stand "Mary, Mary, Bloody Mary" dort im Regal. Auch dies ein Film von McCartys Liste, von dem ich annahm, er sei nie bei uns erschienen. Da war er, deutsche Fassung, feine Bildqualität, superschräger Stoff.

Schon klar. Der Begriff Surrealismus ist überstrapaziert. Alles ist surreal, sogar für die banalsten Dinge wie eine Samstagabend-Show sieht man ihn Kritiker verwenden. Aber Juan Lopez Moctezuma arbeitete immerhin mal lange mit Mexikos modernem Aushänge-Kinobürgerschreck Alejandro Jodorowsky zusammen, gilt als dessen Kumpel, produzierte gar sein Meisterwerk "El Topo", bevor er sich eingängigeren Genreformeln zuwandte und in den 70ern ein paar bemerkenswerte Horrorfilme schuf. Ihm gewisse surreale Tendenzen zu unterstellen, scheint nicht allzu weit hergeholt, und wie sollte man es auch sonst nennen, wenn eine Klosterschule statt in einem Kloster in einem fensterlosen Höhlengewölbe liegt und die Nonnen mit Tonerde gefärbte, mumienhafte Lumpenbandagen und Kopfwickel tragen (statt dem was Nonnen sonst so tragen, wie nennt man das, Poncho? Sack? Zelt?).

Kein Wunder, das es die junge, frisch zur Frau gereifte Justine dort nicht lange aushält und lieber mit ihrer Zimmernachbarin, der forsch fordernden und ungezähmt wilden Alucarda, ein ums andere mal unangemeldete Ausflüge in die Umgebung unternimmt. Und was für eine Märchenlandschaft das ist. Nebelschwaden umspielen ein bizarres, taufeuchtes Hochheidemoor, in dem nur einzelne Sträucher, die so auf keinen Fall in Schottland oder dem Riesengebirge blühen, den Zuschauer daran erinnern, daß er sich im Lande von Robert Rodriguez, Acapulco und organisierten Mädchenjagden und nicht etwa bei Hammers Horror oder in Carlos Aureds Galizien befindet. Natürlich hat diese Landschaft auch entsprechende Bewohner, wie den Ziegenbock-artigen Zigeunerbaron (Claudio Brook aus Del Toros "Cronos", ein eigenartig aussehender Schauspieler in einer eigenartigen Doppelrolle als Satan und Van Helsing) oder die Bava-Vampirhexe, die im Steinsarg eines absoluten Dornröschenschlosses ruht und nur darauf wartet, in den willigen Leib jener zuchtlosen Bettelstudentin zu fahren, die als erstes den Deckel vom Topf hebt, um ein Verbrechen gegen die Schöpfung nach dem nächsten zu verüben. Oder besser gleich in zwei neugierige Katzen, nachdem die Gelegenheit so günstig ist. Satanische Sexorgien im Mädchenpensionat sind die Folge, nicht ganz so drastisch ausgemalt wie bei Franco, aber doch splitternackt mit Blut, Bohei und allem Pipapopo. Natürlich ist die Aufregung im Kloster groß, und weil man wahrscheinlich erst unlängst im Dorfkino diesen Film gesehen hat, empfiehlt der Oberpfaffe einen Exorzismus.

Also Vampire: Haken. Hexen: Haken. Unheimliche Wahrsagerin: Haken. Nonnensex: Haken. Satansmesse: Haken. Exorzismus: Haken. Hektoliterweise Blut: zwei Haken. Dies alles geschieht, paradiert, fließt in seltsam enthobenen Kulissen, nichts wirkt wie aus der richtigen Welt, alles könnte auch ein erdenschwerer Alb sein, mit seinen seltsamen Handelnden und ihren selten von herkömmlichen Motiven gesteuerten Taten. Es gibt interessante Parallelen zwischen "Alucarda" und "Bloody Mary", was man als Hinweis auf Obsessionen deuten könnte. Daß beide Filme von lesbischen Vampiren handeln, geschenkt und wahrscheinlich dem Zeitgeschmack geschuldet. Doch daß auch beide Frauen von ihrem Vater gejagt und – Achtung: Spoilerei - schließlich gewaltsam zur Strecke gebracht werden, lässt tiefer blicken. "Alucarda" war der erste Film, den Mondo Macabro in Amerika und England veröffentlichte. Demnächst kommt er in Deutschland heraus, und Leute, die an Franco und Rollin Freude haben, sollten sich angesprochen fühlen.

Bearbeitet von hoolio21, 11. Februar 2009, 01:47.

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Geschrieben 15. Februar 2009, 00:33

Neu auf DVD


Amok (Thriller / Drama US 07) "He Was a Quiet Man"
Bob ist ein schwitzender, gemobbter Bürosklave von wenig eindrucksvollem Äußeren (originelle Variante mal für Frauentyp Christian Slater). Er kommuniziert mit seinem Goldfisch, liebt die unerreichbare Traumfrau Vanessa (Elisha Cuthbert) und träumt vom Amoklauf am Arbeitsplatz. Als er seinen Traum wahr machen will, kommt ihm unerwartet ein noch schlimmerer Loser zuvor, und Bob, der eigentlich nur Vanessa vor weiteren Treffern ins Rückenmark bewahren will, avanciert über Nacht zum Helden des Tages, Medienstar und Liebling der Chefs. Nur Vanessa sitzt jetzt leider im Rollstuhl und zickt. Aber Bob wird sich schon um sie kümmern wie einst Forrest Gump um seinen Sergeant. Erinnerungen des weiteren an Amelie vom Montmartre ebenso wie an Mr. D-Fens werden wach bei dieser bonbonbunten, extraschrägen Gesellschaftssatire über einen Wurm, der zurück schlägt, und seine daraus wundersam resultierenden Abenteuer in der wunderbaren Welt der intriganten Pfeffersäcke. Mal schrill wie die Halluzinationen des Helden, mal dichtes Charakterdrama, mal gut beobachtete Arbeitsweltsatire. Tip in jedem Fall.

Apocalypse Code (Action Rus 07) "Kod apokalipsisa"
Was ich von dem neuen russischen Actionkino halten soll, weiß ich noch nicht so richtig. Fest steht bloß, daß es mit Macht kommt. Im Augenblick sehe ich etwa zwei entsprechende Filme pro Monat, gefühlte drei, im Vorjahr waren es insgesamt höchstens fünf oder sechs. Und ich meine Actionfilme, keinen Fantasyquark a la „Wächter der Nacht“ oder Horrortrash wie den von Iskanov. Die meisten russischen Actionfilme sind glühend patriotisch, das betrifft keineswegs nur die zahlreichen Kriegsfilme darunter. In Afghanistan wurden Helden von der Regierung verraten, und in Tschetschenien kämpfen blonde russische Humanisten gegen eine Internationale der Meuchelmörder unter dem Banner des Propheten. Klingt alles verdächtig nach den Klischees, die uns auch das amerikanische B-Actionkino seit Jahr und Tag mit ähnlich stolz geschwellter patriotischer Brust um die Ohren haut, und sei deshalb locker verziehen. Was es in meinen Augen trotzdem manchmal so schwer goutierbar macht, ist diese anstrengende, ironiefreie Linientreue der Protagonisten, die in Amerika, wo Actionhelden selbst im Regierungsdienst oft Outlaws sind, zum Glück fast fehlt. Auch die penetrante, rege, dick ausgeschilderte Teilnahme regulärer Streitkräfte an stinknormalen Stunts und Kampfszenen stimmt nachdenklich. Das kann natürlich verdammt eindrucksvoll aussehen, wenn plötzlich mit echten Raketen, Granaten und MGs herum geheizt wird (wie vor 1984 in Hongkong ...). Aber ein Geschmäckle bleibt. "Apocalypse Code" zählt unter den ideologisch stark gefärbten Actionfilmen (Moslemunholde, Ami-Nichtsnutze) zu den erträglicheren und präsentiert in der Heldenrolle eine zwar rettungslos linientreue, doch ansonsten keineswegs zugeknöpfte Geheimagentin mit Model-Maßen. Russischen Model-Maßen, wohlgemerkt (mit was zum anfassen). Die jagt dann Gast-Wessi Vincent Perez a.k.a. Le Metzger einmal quer durch die illustren ausländischen Drehorte, wobei zu keiner Zeit mit Ausstattung, Kulissen, Garderobe oder Feuerwerk gegeizt wird. Wer einfach nur handwerklich ansprechendes Hochglanz-Actionkino sehen will, greift zu.

Bloody Birthday (Horror Arg 07) "36 Pasos"
In einer unauffälligen Vorstadtvilla bereitet eine Gruppe junger Frauen ein Festchen vor. Sie backen Kuchen, plauschen, planschen im Pool und treiben scheinbar bestens gelaunt allerhand Schabernack. Wenn sich eine der Damen aber mal nicht so wohl fühlt und zum Beispiel spontan in einen Schreikrampf verfällt, erscheint wie aus dem Nichts ein rabiater Unhold und streckt sie mitten im Kreise ihrer Freundinnen mit einem Vorschlaghammer nieder wie ein Rind in einem Schlachthaus, nur um sie anschließend auf Nimmerwiedersehen verschwinden zu lassen. Schließlich soll nichts die heitere Stimmung trüben bei diesem Geburtstagsfest der besonderen Art. Schräges Low-Budget-Stück mit Werbeclip-Ästhetik und doppeltem Boden, das wie ein Langnese-Spot anfängt und zu so einer Art "Battle Royale" wird (für Ärmchen).

Cocaine Cowboys 2 (Dokumentation US 08)
Für die atemberaubende Filmdokumentation "Cocaine Cowboys", die sich dem Siegeszug des Kokain im Florida der 70er und frühen 80er widmete, habe ich nun wirklich hinreichend und allerorten die (unbezahlte) Werbetrommel gerührt. Um so gespannter war ich auf den Nachfolger, der sich mit der Innovation des Billigkokain Crack und den unmittelbaren Folgen davon beschäftigt. Nun ist das Ding da und steht dem Vorgänger auf den ersten Blick in wenig nach. Wieder staunt der Chronist Bauklötze, wie bereitwillig echte Akteure der damaligen kriminellen Szene offen in die Kamera aus dem Nähkästchen plaudern (kein Wunder, manche sitzen für mehrere hundert Jahre), sowie, welch profane Soap-Opera-Dramen sich tagtäglich hinter den Kulissen des organisierten Verbrechens abspielen. Im Zentrum der Beobachtungen steht der schier unglaubliche Werdegang der Griselda Blanco (geschätzter dreistelliger Bodycount - pack ein, Jason!), die Ende der 70er von einem bemerkenswert schmutzigen Bürgerkrieg umfassend gestählt und mit dem Segen des aufstrebenden Medellin-Paten Pablo Escobar von Kolumbien nach San Francisco zog, um Koka in Scheiße und somit in Berge von Gold zu verwandeln. Hochinteressante Angelegenheit, wenngleich kaum so glamourös bebildert und flashy gewirkt wie der auch als Montage kunstvolle Vorgänger.

The Gene Generation (Science fiction US 07)
In der Zukunft teilt man die Menschheit in Leute mit guten und schlechten Genen. Wer schlechte hat, lässt es sich zuweilen etwas kosten, gesunde DNA * auf dem Schwarzmarkt zu erstehen. Kopfjägerin Michelle (Bai Ling) kümmert sich um die dazugehörigen kriminellen Elemente und ist wenig erfreut, den kleinen Bruder in deren Reihen zu entdecken. Low-Budget-"Blade Runnerchen" im vom Fünften Element definierten Science-fiction-Heizungskeller. Bai Ling lässt die Hüften kreisen, und wer nicht zuviel erwartet, wird moderat unterhalten.

* mein verficktes Rechtschreibprogramm verwandelt ständig unaufgefordert DNA in DANN. Aber mal einen richtigen Fehler zu korrigieren, kriegt es in hundert Jahren nicht hin (*wüt*)

Hongkong Dangerous (Thriller HK 08) Ching toi
Ein korrupter Cop fällt seinen eigenen Umtrieben zum Opfer, als mal so richtig schief geht, was schief gehen kann. "The Moss" heißt anderswo programmatisch dieser erfolgreich um gedrückte Atmosphäre bemühte Chinesenkrimi mit ziemlich vielen (zu vielen) ziemlich konventionellen Bausteinen und gelacktem Look.

How to Sell a Tit Wonder (Dokumentation D 07)
Das sogenannte Busenwunder Lolo Ferrari ist bereits ein vor Gleichgewichtsproblemen im Gehen umkippender, halbsynthetischer Drogenzombie, als der vor nassforscher Überheblichkeit im Dunkeln flimmernde, deutsche Möchtegernmanager Martin Baldauf ihre Geschicke für den Bruchteil einer Warhol-Viertelstunde an sich reißt und sozusagen ihr Sterben begleitet. Danach wendet sich der in einem fort Unsinn stammelnde Jüngling seiner nächsten Lebensaufgabe zu: Der öffentlichen Bekanntmachung der britischen Page-3-Plastiktüten Ashley Bond. Die wird ihrer Freude kaum Herr, als sie im Lande der bellenden Oberlippenbärte von der Rollbahn steigt und auf den vollendeten Amateur trifft. Keine Spielhandlung, sondern nackte, brutale Realität im Fokus eines sich in der eigenen Skrupellosigkeit begeistert suhlenden Filmemachers, wie er einem vor unseren Augen Ertrinkenden noch ein paar Steine an den Kopf wirft. Lustig, aufschlußreich, mitunter abstoßend.

100 Feet (Horror US 08)
Marnie (Famke Jansen) hat ihren Prügelgatten (Michael Pare) in Notwehr getötet, doch der Richter brummt ihr trotzdem ein paar Jahre Gefängnis auf mit anschließender Sicherheitsverwahrung im Hausarrest. Doppeltes Pech für Marnie, daß im gemeinsamen Heim jetzt der Ehemann als Poltergeist pöbelt. Old fashioned Spukhorror mit Fußfessel und gedämpftem Effektzauber in einer atmosphärisch erwartungsgemäß dichten, räumlich mal recht reduzierten Inszenierung von Roadmovie-Horrorspezialist Eric Red, dem Autor von "Hitcher" und "Near Dark".

Killing Zelda Sparks (Kriminalkomödie US/Can 07)
Eine heimtückische Schlampe mit magnetischer Anziehungskraft auf alle Männer (wieso auch immer, der Film erklärt es nicht) kehrt zehn Jahre, nachdem sie eine beste Männerfreundschaft auf eine ganz erhebliche Belastungsprobe stellte, zurück ins Kaff ihrer Kindheit und zettelt prompt eine Wiederholung der damaligen Aktion an. Diesmal aber wollen es ihr die Jungs heimzahlen und hecken einen makabren Streich aus. Maximale Verwirrung des Zuschauers ist inzwischen offenbar oberste Kunstgewerblerpflicht, weshalb man gleich einer Flipperkugel hin und her fliegt zwischen den Zeitebenen und immer neuen Looks der Hauptdarsteller. Immerhin macht die Sache Sinn, wenn man sich fest drauf konzentriert und nicht etwa nach der dritten Wurmloch-Ellypse gelangweilt nach der Fernsehzeitung schielt. Will cool sein, klappt aber selten.

Midnight Movie (Horror US 08)
In einem abgetakelten Vorstadtkino läuft der selten gezeigte 70s-Horrorfilm "The Dark Beneath" in der Mitternachtsmatinee. Ein kleines, aber erlesenes Publikum findet aus den unterschiedlichsten Gründen in die Vorführung, ohne freilich zu ahnen, daß der Genuß des Filmes starke Nebenwirkungen auf Leib und Leben hat. "Demoni" und "The Purple Rose of Cairo" grüßen irgendwie um die Ecke, wenn ein Schlitzer von der Leinwand steigt und die scharf geschliffene Metallspirale in die Annalen des Slasher-Movie-Wesens subkutan einführt. Eindrucksvolles Gemetzel in vertrautem Rahmen mit überraschend feiner Charakterzeichnung (bes. für hiesige Schubladenverhältnisse). Kurzweiliges B-Movie.

Personal Effects (Drama Can 08)
In der Therapiestunde für Angehörige von Gewaltopfern lernen der junge Andrew (Ashton Kutcher) und die einige Jahre ältere Hausfrau Linda (Michelle Pfeiffer) einander kennen und mögen. Lindas Ehemann wurde von einem Freund erschossen, Andrews Schwester von einem Fremden vergewaltigt und getötet. Andrew kann es nicht fassen, daß der Täter jetzt vielleicht für unzurechnungsfähig befunden wird, und sinnt auf Selbstjustiz. In Zeiten der grassierenden Kino-Selbstjustizrechtfertigungen (auch dies womöglich eine Folge des 11. September, nach dem Motto: wenn die Regierung das darf) kann es nicht schaden, wenn sich auch ein leises Stimmchen der Vernunft zu Worte meldet und heraus kehrt, daß es eben nicht das richtige Ding ist, zur Knarre zu greifen und die Sau wegzupusten. Verständlich schon, aber eben nicht richtig. Glänzend gespielt, differenziert, unspekulativ, um realistische Plebejer-Milieuzeichnung bemüht. Keine Ahnung, wie es dieser scheinbar fürs kanadische Fernsehen gefertigten Produktion gelang, Schauspieler derartigen Kalibers zu gewinnen. Nur mit Geld ja wohl kaum. Vielleicht ist das ja so ein karitatives Ding bei denen, daß man ab und zu mal einen Film von pädagogischem Wert tut.

Stuck (US 06)
Krankenschwester Brandi (Mena Suvari) haut so schnell kein Fäkaltrauma aus den weißen Socken, doch einen Penner, der sich auf der Heimfahrt von der Disco wie eine Harpune durch die Windschutzscheibe in die Beifahrerseite bohrt, muß auch sie erst mal verkraften. Vielleicht weiß ja der zugedröhnte Lover daheim auf der Couch Rat. Brandi wird ihn mal fragen, und den Penner derweil lassen, wo er ist. Denn der ist ja ohnehin tot. Oder etwa nicht? Offenbar tatsächlich mal auf einer wahren Begebenheit beruht ausgerechnet diese nachtschwarze und hübsch drastisch zugespitzte Situationsgroteske, mit der sich kein geringerer als Ex-Hoffnungsträger Stuart Gordon ("Re-Animator") nach Jahren der Flaute eindrucksvoll zurück meldet. Film wie wenige andere.

Swing Vote (Komödie US 08)
Bud ist ein biertrinkender, verantwortungsloser Faulpelz wie aus dem Bilderbuch und die größte Enttäuschung für sein Töchterlein. Als auf einmal (don’t ask) das Schicksal der Nation allein an seiner Wählerstimme hängt, möchte er nur dieses eine mal nicht versagen. Kevin Costner und Filmentdeckung Madeline Carrol sind Homer und Lisa Simpson, doch viel weniger lustig, in dieser Familienkomödie mit Herz und froher Botschaft (Vote!). Gegen soviel vorhersehbaren und simplifizierten Möchtegern-Capraismus helfen auch keine Gastauftritt von Dennis Hopper und Kelsey "Frasier" Grammer als um den Blödmann buhlende Präsidentenkandidaten. Oder Cameos von Larry King, Bill Maher, James "The Ragin’ Cajun" Carville, "Entertainment Tonight"-Host Anne Hart, etc. pp.

Tödliche Anziehung (Drama Aus/GB 07) "Death Defying Acts"
Im frühen 20. Jahrhundert kommt der berühmte Varietekünstler Houdini (Guy Pearce) auch mal nach Glasgow, wo ihn die schöne Trickbetrügerin und Solomutter Mary (Catherine Zeta-Jones) bereits mit Spannung erwartet. Mary gedenkt den mit allen Wassern Gewaschenen um eine fünfstellige Pfundsumme zu prellen, ausgelobt von jenem für jeden, der ihn in medialen Kontakt zu seiner unlängst verstorbenen Mutter bringt. Dabei kommen sich die beinahe ebenbürtigen Blender auch auf privater Ebene näher. Mehr eine fantastische Beziehungskiste als ein ernsthafter Versuch, sich der historischen Houdini-Figur zu nähern, ist dieses gut gespielte und ebenso ausgestattete Kostümdrama von Regisseurin Gillian Armstrong ("Die Liebe der Charlotte Gray").

While She Was Out (Thriller US 08)
Upper-Class Hausfrau Della (Kim Basinger) fing sich gerade erst ein paar Schellen vom besser verdienenden Gatten, als sie am frühen Weihnachtsabend noch mal schnell hinaus zum Shopping Center vor der Stadt eilt, um ein paar letzte Geschenke für die Rangen zu erstehen. Als sie mit etwas Verspätung im Dunkeln heraus kommt, warten da schon vier bedröhnte Schwengel, um der hilflosen und mit Tüten bepackten Frau eine Mörderszene zu machen wegen einer zuvor von ihr eher unbewußt verübten Ehrverletzung. Als die Asozialen im Verlauf der eskalierenden Situation einen Wachmann töten, muß folgerichtig auch die einzige Zeugin dran glauben. Doch die lernt gerade, sich zu wehren. Na, das ist doch mal eine Überraschung. "Eden Lake" ohne Umwege mit Kim Basinger und ohne Ehemann. Bzw. mit eigener Show für den Ehemann (später, von der Frau). Und "Die Fremde in dir" natürlich, in der Aldi-Variante. Trash as trash can, möchte man meinen, und so kommt es auch. Überraschungsfreier Notwehramoklauf mit allem, was dazu gehört. Gibt Schlimmeres.

Bearbeitet von hoolio21, 15. Februar 2009, 00:52.

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#51 hoolio21

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Geschrieben 20. Februar 2009, 02:37

Tatsache war, daß wir Bayernfans aus dem Ruhrgebiet von den Bayernfans aus Süddeutschland nicht mit dem Arsch angeguckt wurden. Für die waren wir bloß die doofen Kinder aus dem Pott, Lärmvieh für die Auswärtskurven und Abtauchmasse nach operativen Eingriffen, die aus irgendwelchen schrägen Gründen zu ihnen und nicht zu Wattenscheid 09 oder Rot-Weiß Lüdenscheid hielten, und die man jetzt halt vorläufig an der Backe hatte. Uns störte das keineswegs. Mit dem größten Selbstverständnis präsentierten wir uns auch wochentags als Bayernfans in der Öffentlichkeit, tauchten unverdrossen in Köln, Leverkusen, Dortmund und Schalke auf, und ließen uns von den dortigen Asos im Dienste des Kaisers die Fressen polieren. Manchmal polierten wir zurück, doch das bekam von den Münchnern keiner mit. Weil die andere Wege gingen als wir, andere Züge nahmen, nur geringes Interesse an uns zeigten. Als ein Häuptling von uns mal erfolgreich mit einer Tante von den Red Angels anbandelte, die damals so etwas ähnliches wie die letzten Kuttenhools und immens gefürchtet waren, änderte sich das vorübergehend, wenn auch nicht unbedingt zu unserem Vorteil.

Im Frühjahr 1983 zog ich schließlich im Alter von 19 Jahren aus der westfälischen Öl- und Eisenindustriestadt Ennepetal an den idyllischen Tegernsee. Nach einigen Wochen, die ich in Rottach-Egern bei einem Kumpel aus meiner Heimatstadt zubrachte, fand ich ein bezahlbares, geräumiges Zimmer in genau jener malerischen Jugendstilvilla, die man heute noch linkerhand am Ende der scharfen Kurve sieht, wenn man von Gmund kommend durch den Ort Tegernsee am herzoglichen Schloß vorüber fährt. In dem heute übrigens das Tegernseer Gymnasium liegt, und in dessen über tausend Jahre altem Klosterkellergewölbe, dem berühmten Bräustüberl, eines der besten Biere der Welt gebraut und ausgeschenkt wird, und zwar für die damals in meinen Augen sehr einladende Summe von 2,20 DM pro halben Liter (1,80 das 0,3-Pils in EN). Um hinein zu gelangen, mußte ich nur über die Straße wechseln.

Warum aber geht einer aus dem schönen Nordrhein-Westfalen nach Bayern, werdet ihr euch fragen. Und warum zieht er seinem lieblosen Alten hinterher, der sich den Tegernsee als Rentenruhesitz erkor, obwohl er mit diesem im Streit liegt und es ablehnt, für umsonst in dessen Wohnung zu hausen. Ich werde es euch verraten: Weil ich geradezu kindisch vernarrt bin in Bayern, das Bayerntum hemmungslos idealisiere. Weil ich die Trachten mochte, den Dialekt, die Blasmusik, die Berge, die Täler, die Seen, München, Münchner Bier, Weißwurst, Brezn, den Viktualienmarkt, die Madln mit den dicken Wadln, die Nähe zu Österreich (dem Urlaubsland meiner Kindheit), Wachtmeister Dimpflmoser, das Königlich Bayrische Amtsgericht, Ludwig-Thoma-Filme, Konstantin Wecker und Helmut-Dietl-Serien. Und weil ich den FC Bayern München liebe. Nur darauf gewartet hatte, ihn öfter zu sehen. So einfach ist das.

Eine nach Abzug der Steuern mit 1200 Deutschmark meiner damaligen Ansicht nach wohldotierte Anstellung als Tellerwäscher fand ich im Luxushotel Bachmayr am See in Rottach-Egern, einer noch heute, damals aber besonders beliebten Kulisse für öffentlich-rechtlichen Vorabendschmus der Peter Weck/Uschi Glas-Klasse. Und weil die kürzeste Verbindung zwischen meiner edlen Hütte und deren in der örtlichen Verkehrsschifffahrtslinie bestand (ah, ist das abartig; aber Darwin, mein Rechtschreibprogramm, liebt es), fuhr ich, der Knabe aus dem Kohlenpott, fortan jeden Tag per Kahn durch eine Kitschpostkarte zur Arbeit. Und weil man in der Gastronomie reichlich gefüttert wird (erstklassiges Frühstück, Mittag-, Abendessen umsonst) und meine Bude nur 200 Moppen kostete, blieb genug Geld übrig für Biere im Bräu, gelegentliche Venom- oder Meteors-Alben und das Ausführen jener drallen Zimmermaiden, die man so in der Arbeit traf. Für mich ein Superleben, ohne Frage.

Free at last

Das Haus, in dem ich mich eingemietet hatte, war ein sogenanntes Schülerheim der Gemeinde Tegernsee. Jungs aus anderen Gegenden Bayerns wohnten dort unter der Woche, während sie das Tegernseer Gymnasium besuchten, und fuhren über die Wochenenden heim zur Familie. Mehr oder weniger locker beaufsichtigt wurde die wackelige Chose von einem Sozialkundelehrer der FOS in Bad Tölz, der seinen Job entweder nicht so eng sah oder ihm nicht gewachsen war und sich spätestens am späten Nachmittag des einen Tages bis zum frühen Nachmittag des nächsten nach Tölz verpisste. In der übrigen Zeit gehörte der Laden den Schülern. Und wenig später mir. Als ich einige Wochen später nach einer kleinen Kette von Vandalismus, Ruhestörungen, Polizeieinsätzen und gewaltsamen Übergriffen auf die Nachbarn schon wieder fristlos ausziehen durfte (wir hatten mit einem in den Fensterrahmen gespannten Gummiband Äpfel und Bierflaschen auf Nachbarhäuser und das gegenüberliegende Schloß geschossen), gab es auch das Schülerheim nicht mehr lange. Ich glaube sogar, ich war der letzte Nagel in seinem Sarg.

Immerhin hatte die Zeit gereicht, einen Teil meiner später besten Freunde kennen zu lernen, denn meine Bude war ein Treffpunkt der Dorfgang geworden. Ich war vielleicht nicht der Stärkste oder Härteste in diesem Kreis, aber ich besaß diplomatisches Geschick, Humor und Menschenkenntnis. Die mit Potential unter den Jüngeren entwand ich im Nu dem Einfluß ihrer bisherigen Role Models (dumpfe Gauner und Drogisten auf geradem Wege in den Knast, allesamt) und traf auch deshalb auf uneingeschränkte Zuneigung, weil in den Augen dieser Kids, die man angesichts der Lebensumstände in so einem Bonzenbiotop selbst kaum als klassische Landjugend einstufen konnte, der Ruhrpott so etwas ähnliches war wie die Bronx und damit das Gelobte Land. Wer sich da zurecht fand, wie mein Kumpel und ich, der mußte ohne Zweifel über Führungsqualitäten verfügen. Mein Kumpel und ich sahen das im übrigen in aller Bescheidenheit ganz genau so.

An einem warmen, späten Frühsommerabend des Jahres 1984 steht euer ergebener Chronist also in der Mitte der Hauptstraße von Bad Wiessee ganz in der Nähe des lokalen Tanzpalastes namens VIP. Schmetterlinge im Bauch, das Nackenhaar steil aufgerichtet, in jeder Hand ein Stuhlbein haltend. Neben bzw. knapp hinter ihm befinden sich seine Freunde Wolfi und Bomber, zwei zähe Burschen, ebenfalls bewaffnet mit allem, was der Gaststubenvorgarten hergab. Wir lachen und scherzen. Vor uns auf der Straße, keine sieben Meter entfernt, eine schwarze Wand von vor Wut mit den Zähnen knirschenden Landwirten. Sicher ein Dutzend Leute, die meisten Erwachsene und wesentlich älter als wir. Tanzgäste, deren Weiber wir angeblich angemacht hätten, oder so etwas. Ihre aufgebrezelten Tussies kreischen und hetzen, die Typen brüllen Beleidigungen. Wir lachen ihnen ins Gesicht, spucken sie an. Keiner wagt es, sich aus der Masse zu lösen und der erste zu sein. Weil der erste, der kommt, ins Krankenhaus geht, und der zweite und der dritte wahrscheinlich auch, kommt gar keiner. Gegen alle auf einmal hätten wir keine Chance. Aber niemand will der erste sein.

Auf dem Parkplatz vor der Disco parkt ein Audi, und auf der Kühlerhaube sitzen zwei massige, große Kerle, das Weißbierglas in der Pranke, und gucken sich die Show in Seelenruhe an. Beide sind etwas älter als wir und tragen Bomberjacken mit Stickern auf der Schulter. Als wir schließlich ins VIP zurück gehen (die Bauern sind zerstreut und demoralisiert), kommen wir an den beiden vorbei, und ich sehe, daß es sich um Fußballsticker handelt. Wir kommen ins Gespräch. Es handelt sich um Red Tigers, einer stammt aus Bad Wiessee, der andere aus Taufkirchen. Bayern-Hools der ersten Reihe. Bloß, daß damals kein Mensch das Wort Hooligans benutzt. Wir trinken ein paar Bier, sie sind ausnehmend freundlich und sehr daran interessiert, daß wir mal bei ihrem Treffpunkt im Wienerwald in der Fraunhoferstraße vorbei schauen. Ich erzähle ihnen von meinen zahlreichen Abenteuern mit Schalker Freunden, meine Bayernaktivitäten im Pott erwähne ich zunächst mit kaum einem Wort, was sollten sie daran auch Aufregendes finden. Lieber Stories von Gelsenszene und Red Army zum besten geben, da können sie etwas mit anfangen. Sie halten mich prompt für einen zugezogenen Schalker und wollen nun erst recht, daß ich mit ihnen zum Spiel gehe. Ich kann mein Glück kaum fassen an diesem Tag, der auf der Notaufnahme hätte enden können und mich ans Ziel aller Träume führt. I’m finally made.


"Hang 'Em!" (Alan Ford)

Eden Lake
(GB 08)

Die ganzen 80er Jahre hindurch vom Juni bis weit in den goldenen September lagerte unsere Clique / Gang / Bande, wann immer es die Witterungsbedingungen und Freizeitverhältnisse zuließen, an den Gestaden des sogenannten Ringsee. Der Ringsee ist die südlichste Bucht am Tegernsee und der Weissach-Mündung vorgelagert, umrahmt auf der Süd- und Westseite von hinter einer Schnellstraße steil aufragenden Berghängen und im Nordosten von dichtem Buschwald. Nicht ganz einfach zu finden, idyllisch gelegen mit breiten, sonnigen Kiesterrassen, ideal zum Baden und Schwarzangeln, vor allem ungestört. Manchmal waren wir zu viert oder fünft, oft mehr als ein Dutzend, und manchmal belagerten wir die Bucht in Schulklassenstärke. Besonders, wenn uns Freunde aus München besuchten. Stets dabei war ein Ghettoblaster, aus dem mit voller Kraft Metallica oder die Toten Hosen plärrten, und wenn ein Fremdling zu lange auf die dicken Titten unserer gerne oben ohne badenden Mädels glotzte, konnte es scheppern. Wir dagegen fanden nichts dabei, nacktbadende Schönheiten (fast) aller Altersklassen schamlos anzubaggern, und gar manche reife Dame aus besserem Hause kam wohl auch deshalb gerne mal vorbei, weil es eine gute Gelegenheit war, reuelosen Sex mit einem lendenstarken jugendlichen Taugenichts zu haben. Uns wegen der lauten Musik oder unseres Verhaltens zu schulmeistern, wäre keine so gute Idee gewesen. Erst recht nicht für irgend einen hergelaufenen Spießerarsch, der „im Tal“ nur zu Gast war.

Wie ihr seht, bin ich befangen, wenn es um die Bewertung eines britischen Horrorthrillers geht, der von der Belästigung einer jugendlichen ländlichen Vandalenclique durch ein erholungssuchendes Städterpärchen berichtet. Und von mir verlangt, darob Sympathie für die Städter zu entwickeln. Aber die Jugendlichen hier sind auch ein besonders böses Häuflein. Doch der Reihe nach.

Steve und Jenny sind ein junges und vor allem frisches Pärchen. Gefühle und Pläne fliegen noch hoch, vielleicht wird er um ihre Hand anhalten beim Campingkurzurlaub am Wochenende. Ziel des Ausfluges mit dem properen Neuwagen ist ein idyllisch gelegener, wilder See im Wald. Denn was wäre schon romantisch an einem bewachten, womöglich beleuchteten Campingplatz. Steve und Jenny finden einen hübschen kleinen Strand und machen es sich gerade so richtig bequem, als aus dem nahe gelegenen Dorf lärmend, lachend und respektlos die dazugehörige moderne Jugend samt unerzogenem Rottweiler auftaucht, den Spliff kreisen lässt und den Regler am batteriebetriebenen CD-Player so richtig up to Eleven dreht. Auf die freundliche Bitte der indignierten Städter, die coole Hiphop-Mucke doch ihnen zuliebe etwas leiser zu drehen, folgen verständnislose Blicke und abfällige Reden, doch keineswegs die erwünschte Lärmreduktion.

Das Pärchen aber will nicht nachgeben (doch nicht gegenüber solchen Kindern) und schlägt sogar sein Zelt in unmittelbarer Wassernähe am Strand auf, nur um erst recht an genau diesem Platz den besten Sex seines Lebens zu haben. Es kommt wie es kommen muß. Die gegenseitigen Antipathien schaukeln sich in den folgenden 24 Stunden dramatisch hoch, der Austausch von Unfreundlichkeiten eskaliert durch den berühmten unglücklichen Zufall, und die von den Filmemachern beabsichtigte und vom Zuschauer längst erwartete Hetzjagd auf Leben und Tod kann endlich ihren zwar weitgehend vorhersehbaren, doch wenigstens übermäßig brutalen Lauf nehmen. In der Dunkelheit natürlich, denn warum sollten wir allzu viel erkennen von der Mühe der Spezialeffektebastler oder den Details der Grobheiten. Dann gibt’s am Ende bloß ein Videoverbot in Deutschland.

Spoileralarm. "Eden Lake" gehört zu jener Sorte Bedrohungsthriller, die schamlos um Sympathie für die angeblich gerechte Seite heischt (haben vor, zu heiraten!) und die andere in Bausch und Bogen zum teuflischen Terrorpopanz überzeichnet, auf daß die Guten die Bösen endlich gerecht töten dürfen. Damit er trotzdem nicht wie der miese Spießepeter da steht, der er ist, würgt er dann dem aufgeputschten Zuschauer noch den totalen Triumph des Bösen rein und sagt, sieh da, so ist es, und ich bin nur der Überbringer der schlechten Botschaft. Aber der Überbringer der schlechten Botschaft bin ich: Bei mir hat das nämlich alles nicht funktioniert. Die Bösen sind überzeichnete Karikaturen, und die Guten nicht wirklich gut, sondern von sehr ähnlichen Ehrpusseleien und Rachegefühlen getriebene Pedanten mit Hang zu ultra-dusseligen Fehlentscheidungen (ohne die der Film nach einer Dreiviertelstunde und ohne einen Toten aus wäre).

Und noch etwas. Zu den wenigen festen Regeln des Rüpelwesens gehört folgende: Es sind immer die Jüngeren, die über die Stränge schlagen. Und die Älteren, die sie zügeln. Filmemacher und Drehbuchautoren vergessen das ständig, auch "Eden Lake" singt wieder das Lied des gepeinigten Kindes, das ja so gerne weglaufen würde, doch schließlich dem brutalen Druck des Anführers gehorchend zu blutigen Tat schreitet. Ja, wozu ist es denn überhaupt da?! Ich kenne das ganz anders. Kiddies, welche die größten Sauereien anstellen in der festen Überzeugung, daß die Älteren sie schon raushauen. Die kein Halten kennen, wenn es darum geht, den Liegenden zu treten, bis ein Älterer sie wegzieht. Endlich mal selbst Angst verbreiten, sich spektakulär beweisen wollen, und keine Vorstellung von den Folgen haben. Die Kleinen sind die schlimmsten. Den einzigen Toten am Ringsee gab es 1989. So ein Kindskopf, ein 16- oder 17jähriger kleiner Pisser, gerät besoffen oder auf Droge mit einem älteren aus der Bande in Streit, wird abgekanzelt, haut ab, kommt mit einem Rambomesser wieder (so einem mit Sägeblatt) und rammt es dem anderen in den Torso. Und lässt sich widerstandslos festnehmen. Heute isser Türsteher in einer bekannten Münchner Subkultur-Location und der nette Kerl, der er immer war. Das ist das wahre Leben.

"Eden Lake" ist die Unnorm. Ein netter Versuch, das Konzept des amerikanischen Redneckhorrors auf mitteleuropäische Verhältnisse zu übertragen, mit richtigen Menschen, Jugendlichen, Kindern gar, statt Adley, Ike und Leatherface. Gruseliger Effekttand, aber als Kommentar zur Society so wenig geeignet wie "Freitag der 13.". Eher verwandt mit Sachen wie "Quién puede matar a un niño" als mit "Uhrwerk Orange" oder "Saat der Gewalt". Mit dem Unterschied, daß du in England im Gegensatz zu einer menschenleeren Insel oder den Blauen Bergen von Kentucky nicht stundenlang fliehen kannst, ohne einen Bobby, eine befahrene Straße oder wenigstens eine rote Telefonzelle zu finden. Genauso wenig wie am Tegernsee (jede Verfolgungsjagd wäre nach zehn Minuten zu Ende gewesen). Außer, du willst dich lächerlich machen. Oder gefangen werden. Und dann wird’s pathologisch.

Bearbeitet von hoolio21, 20. Februar 2009, 03:29.

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Geschrieben 25. Februar 2009, 01:04

Zehn prägende Kinoerlebnisse in chronologischer Reihenfolge


1. Zwei Companeros
1975 / Gemeindezentrum Gerlos

Junge und Mädchen gehen ins Kino. Junge ist elf, Mädchen zehn. Und ein Kino ist es auch nicht, sondern ein Saal im Rathaus einer 300-Seelen-Gemeinde in den Zillertaler Hochalpen, in dem jemand einen Projektor aufgestellt hat. Ein paar mal im Sommer gastiert nämlich der reisende Filmfritz, um den sonst mit modernen Unterhaltungsvergnügungen wenig verwöhnten Heidis und Geißenpetern die weite Welt nahe zu bringen. Touristenkiddies wie ich und die dralle Hamburger Deern an meiner Seite dürfen natürlich auch kommen, wenn wir wollen. Wir sind die einzigen Deutschen unter lauter tirolerisch lautmalender Landjugend, später wird noch Iris Berben hinzu stoßen, aber davon ahnen wir ja nichts. Der älteste im Raum ist allenfalls 14, und der Film ab 18. Aber das wissen weder wir noch unsere Eltern, denn die rechnen wie wir angesichts des Titels und keinerlei Altersbeschränkung fest mit einem Bud-Spencer-Prügelklamauk. Vielleicht hätten wir die Wahrheit geahnt, wenn wir den Alternativtitel gekannt hätten ("Lasst uns töten, Companeros"), doch für solche Art der Aufklärung ist der reisende Filmvorführer nicht zuständig. Nach ein paar fiesen Foltereien, nackten Brüsten (Berben!) und den ersten Massakern sind die Fronten geklärt, und die Kinder stehen kreischend auf den Stühlen, wenn zum smashy Damenjubelchor des Ennio Morricone der herrlich zerlumpte Tomas Millian (Baske!) mit der Machete dirigiert und der besser gekleidete Franco Nero (Pinguin!) die maschinelle Bleiharfe streicht. Drei wichtige Dinge werden an diesem Tage erledigt. Ich habe ein frühes Date, ich verfolge ein neues Berufsziel (Revolutionär statt Tierforscher), und ich werde klassisch in die Spur gesetzt. Titten, Massaker und Ennio-Morricone-Musik fehlen mir fortan im Kinderprogramm. Ich werde sie suchen und finden müssen, denn irgendwo da draußen gibt es noch viel mehr davon.

2. Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug
1980 / Lüdenscheid

Junge und Mädchen gehen ins Kino. Mädchen (14) ist schwer verliebt, Junge (16) will einfach nur Mopsen befingern. Doch es kommt anders. Denn der Film, der sich auf der Leinwand entfaltet, ist besser als Möpse. Wer hätte das gedacht. So sehe ich nicht nur zu, sondern lache die Leinwand lauthals an. Was ist das? Und was wal denn das? Selten so ein Tempo erlebt, ständig passieren mehrere Dinge gleichzeitig, und etwas davon ist immer lustig. Absurder Humor wird nicht von schrillen Clowns mit Augenrollen und albernen Geräuschen, sondern von seriös wirkenden, gut gekleideten Amtspersonen mit heiligem Ernst vorgetragen. Das ist ja so viel lustiger! Ich kann es gar nicht fassen. Schwarzer Humor, rassistischer Humor, Witze über kranke Kinder, Behinderte und Minderheiten, Disco-Ärsche werden verarscht. Es gibt bayrisch parlierende Neger, Hausfrauen, die wie in der Fernsehwerbung mit ihrem Gewissen reden, singende Nonnen, schwule, pädophile und aufblasbare Piloten, hüpfende Herzen. Ich bepisse mich ganz offiziell. Dabei kann ich mit der Hälfte der Witze gar nichts anfangen (wer zum Teufel ist Kareem Abdul Jabbar?). Als der Film aus ist und es hell wird im Kino, merke ich, daß da noch diese Tante sitzt. Blond, hübsch, blauäugig. Stinksauer. Fassungslos. Unberührt. Grenzenlos beleidigt, weil ich sie null beachtet habe. Den Film fand sie wohl nicht so lustig. Ein Problem, daß ich in Zukunft noch öfter mit den Frauen haben werden. Aber Muschis kommen und gehen, die Filmkunst bleibt bestehen. Ich jedenfalls beginne zu ahnen, über welche Art von Komödien ich die nächsten zehn Jahre lachen werde.

3. Die Rückkehr der Zombies
ca. 1981 / Capitol Ennepetal

Junge und Mädchen gehen ins Kino. Mädchen (14) hat noch nie einen richtigen Horrorfilm gesehen und ist viel zu zart für das, was sie erwartet. Junge (17) fehlt der zuständige Sinn, das zu erkennen, will Blut, Töten, Zombie. Auftritt verantwortungsvolle Mutter. Schließlich muß Gisela irgendwie mit rein. Also wird die vierzehnjährige Hochschülerin, die sich für Politik, Tee und Liedermacher interessiert und die Figur einer erwachsenen, heißen Frau hat, von meiner Erzeugerin kurzerhand mit allem, was der Schminkkoffer hergibt, zu einer perfekten Hure aufgebrezelt. Und sieht gar nicht mehr wie 14 aus. Wir treffen uns am Kino mit den anderen (kaum einer ist über 17), und alle kommen rein. Bei "Zombie" ein Jahr zuvor war es noch schwierig gewesen, und auch heuer sind die Behörden sensibilisiert, seit im 30 km entfernten Lüdenscheid öffentlichkeitswirksam eine Razzia bei "Woodoo" stattgefunden und die Hälfte des Publikums im prall gefüllten Saal sich als minderjährig entpuppt hatte. Aber man muß es wenigstens versucht haben, und diesmal gibt es keine Probleme.

Zombiefilm ist gesellschaftliche Verpflichtung und Mutprobe der Stunde. Doch nicht jeder entpuppt sich als Treffer. "Zombie" alias "Dawn of the Dead" hatte den Maßstab gesetzt, den fand vom Erwachsenen bis zum Kindskopf jeder genuin schaurig, der hatte gesessen. "Woodoo" von lucio Fulci folgte auf dem Fuß, war an der Kasse mindestens genauso erfolgreich, und galt erstaunlicherweise als noch brutaler. Vielleicht lag’s am hypnotischen Sadismus, aber allein der Holzspan im Auge kam uns krasser vor als alle Kopfschüsse aus "Zombie" zusammen. Zum vollkommenen Hype bedurfte es beider zusammen. Jetzt konnte kommen, was wollte, Hauptsache, es das Z-Wort stand drauf. Doch keiner, der da kam, übertraf etwas von dem, was man bisher gesehen hatte. Alles Abklatsche, wüster Trash, Mogelpackungen, eigentlich gar keine Zombiefilme, sondern nur welche, die so hießen, und langweilige, harmlose Graupen. Bis auf einen.

"Die Rückkehr der Zombies" alias "Le Notti del terrore" von Andrea Bianchi ist eine Art Hybrid aus Reitende Leichen-Horror und Romero-Zombie. Er handelt von einer Gruppe Städter auf dem Wochenendausflug, wie sie von einem auferstehenden, sehenswert abgetakelten Etruskerfriedhof angefallen, belagert und lebendig aufgefressen werden. Jeder einzelne von den hier auftretenden, wurmzerfressenen Moderzombies hätte alleine ausgereicht, meiner schreiend ihr Antlitz in meine Jeansjacke grabenden Freundin für den Rest ihrer Jugend und vermutlich weit darüber hinaus Albträume zu bescheren. Aber "Rückkehr" begnügt sich nicht damit. In "Woodoo" gab es genau eine Szene, in der Tote (tot aussehende) Menschen fraßen. "Glockenseil", "Geisterstadt", "Großangriff" tragen meines Wissens nach dem Horror des lebendig Gefressenwerdens in keiner Weise Rechnung. Auch den damals immens populären "Man Eater" sieht man nie wirklich jemanden essen. In "Rückkehr" dagegen wird gebissen, lebendig angefressen und ausgeweidet, bis selbst denen vom Zusehen schlecht wird, die allein deswegen gekommen sind. Auf dem späten Höhepunkt einer schier endlosen Kette von in Zeitlupe zerberstenden Köpfen, Verstümmelungen und nie gesehenen Körperverwüstungen beißt schließlich ein verstörend aussehender, ein Schulkind simulierender Zwerg seiner ihn zu stillen beliebenden Filmmutter in Großaufnahme die Brust ab. Voila: Your Sahnehäubchen. Dafür also waren die 68er gestorben. Dr. Sensibel jedenfalls ist am nächsten Tag gleich noch mal reingegangen, um zu sehen, ob er richtig gesehen hatte. Diesmal ohne Freundin. Und ja, hatte er.

4. Exzesse im Blutrausch
1982 / Autokino Wuppertal

Wir schreiben die Zeit, in der die Titel sich in Drastik überbieten. Als Filmtitel Satzlänge haben, und die Sätze "Stoß das Tor zur Hölle auf" und "Ein Zombie hing am Glockenseil" lauten. Wo "Trauben des Todes" zu "Foltermühle der Gefangenen Frauen" zu "Zombies - Geschändete Frauen" wird. "Exzesse im Blutrausch" weckt hier noch unsere Aufmerksamkeit. Fällt auf. Klingt so, als würde es nicht um den Mist gehen, den wir in der Schule lernen. Also auf nach Wuppertal Asozial im Karren von Cabbie. Dieser mitleiderregende Nerd trägt seinen Namen nach Ernest Borgnine in "Die Klapperschlange" und hat sich den Zugang zu unserer coolen Saufclique mit einem Kraftfahrzeug erkauft, in dem wir uns jetzt ungeniert herum chauffieren lassen. Zu einem Exzess im Blutrausch aber muß auch Cabbie nicht lang überredet werden.

Dann passiert etwas, was damals dauernd passierte. Der Titel lügt. "Exzesse im Blutrausch" heißt im Original "Forced Entry" und ist in dieser Funktion leider nicht der fabelhafte Vergewaltigungsporno mit Harry Reems aus dem Jahr 1973 (den wir aber auch weder erwartet noch zu würdigen gewußt hätten), sondern ein billiger, schlampiger und leider bleiern langweiliger, zäher und unterbelichteter Psychothriller aus dem Jahr 1975, der witzigerweise wie sein Namensvetter ebenfalls von einem Serienvergewaltiger handelt. Carl heißt hier der Psychopath, der mit quengeligem Tonfall Besitz ergreift von Haus, Leib und Leben einer hübschen und nur zunächst eingeschüchterten jungen Frau (Tanya Roberts). Wir haben nicht die Geduld, abzuwarten, ob Tanya dem Widerporst irgendwann den Garaus macht oder beide verliebt in den Sonnenuntergang reiten. Lieber äffen wir lauthals Caaarls Quengeln nach und verleihen unserem Missfallen über so eine schlappe "Derrick"-Folge mit Hupen und obszönen Gesten Ausdruck. Anderen Leuten geht es ähnlich, viele beschweren sich lautstark. Sachen fliegen. Offenbar hat keiner mehr Bock, von Mogelpackungen dieser Art gefoppt zu werden. Exzess, sonst Streß! Ein etwas übereifriger Angestellter (?) geht zu Boden. Ein Kopfstoß? Keiner hat’s gesehen. Dennoch wird später der ganz sicher an allem unschuldige Fahrer ausgerechnet unseres Wagens, wahrscheinlich bloß weil betrunken, festgenommen, sein Auto sichergestellt. Und wir brauchen in einer regnerischen Nacht mit Umweg über Hagen und Gevelsberg fast vier Stunden, bis wir erschöpft und doch irgendwie glücklich daheim ins laaangsam sich drehende Bettchen fallen.

5. Footloose
1984 / Stachus Kinocenter München

Ab Anfang Januar 1984 leiste ich, um die Zeit bis zum Beginn einer Schreinerlehre sinnfrei totzuschlagen, meinen Wehrdienst bei den Gebirgsjägern in Mittenwald. In Januar, Februar, März Grundausbildung bei den Gebirgsjägern, da könnt ihr euch ja mal einen Reim drauf machen. Mit lauter Allgäuern und fränkischen Rednecks, deren Sprache ich nicht verstehe. Ist schließlich nicht gerade das Abiturquartal. Doch was mich nicht tötet, macht mich nur hart, und kaum sieben Monate späterer ist euer ergebener Chronist ein besserer Trinker und fieserer Schläger als je zuvor. Mit dem Unterschied, daß er jetzt auch noch unregelmäßig LSD konsumiert und einen Irokesen a la "Taxi Driver" trägt, für den er im Stadion von den eigenen Leuten angepöbelt wird (Südkurve 73, ich vergesse nie). Alles nur, damit er nicht zum Gefreiten befördert wird. Was mir der Bund aber wirklich bringt (und was ihr, die ihr nicht dabei wart, euch nicht kaufen könnt), ist ein Einblick in unsere Gesellschaft, den du nie kriegst, wenn du unter deinesgleichen bleibst. Allein dafür ewigen Dank. Und fürs Schießen und Töten lernen, natürlich. Mein bewußtseinserweiternder Soul Mate, der mir die Augen vielleicht noch mehr öffnete als ich sie ihm, ist der Anton aus Garmisch.

Besser gesagt, einem Dorf bei Garmisch, dessen Namen ich nicht nennen will, weil ich annehmen muß, daß nicht alle Leute in Tonis Familie und Bekanntenkreis so offen und humorvoll sind wie er. Toni ist der Sohn eines Großbauern. Der älteste Sohn, der den Hof, das liebe Vieh und das dazugehörige, einen ganzen Berg umspannende Land einmal erben und bestellen wird. Toni trägt Lederhosen, verehrt FJS und den Papst, jodelt zur Zither, geht Sonntags in die Kirche, und hat eine Schwester, die zur Nonne wurde. Er hat noch nie eine Pizza gegessen oder ein Kino von innen gesehen. Ja, auch ich hatte bis hierher nicht gedacht, daß so etwas Amish-mäßiges in Deutschland existiert. Und daß ich mich damit anfreunden könnte, schon gar nicht. Bis ich den Toni traf.

Dafür, daß mich der Toni mit dem konservativen Bayerntum versöhnt und mir einige unglaublich intensive, wie aus einer anderen Zeit und einer anderen Welt stammende Eindrücke beschert, lade ich ihn zu Pizza Margherita, einer Wundertüte in der Mittagspause und in den Sex Shop ein. Spiele ihm Metallica vor und nehme ihn mit ins Kino, wo zunächst, wenn ich mich recht erinnere, "Freitag der 13. pt 4" auf dem Programm steht. Toni genießt alles in vollen Zügen. Findet es einfach großartig, wie wahnsinnig schnell diese Burschen Gitarre spielen, wie diese Italiener kochen, und wie extragroße Möpse ohne Dirndl aussehen. Ich habe noch nie einen so freundlichen, offenen, an allem und jedem positiv interessierten Menschen kennen gelernt. Sogar mit Jason kommt er klar, was ich ihm hoch anrechne. Ich dagegen ärgere mich, daß man ja wohl vom vielgepriesenen 3D-Effekt nicht viel gesehen hat und das Ende wie gekürzt aussieht. Egal. Wir werden wieder ins Kino gehen. Der nächste Film heißt "Footloose" und ist eine Komödie.

Für Toni, der gerade den Rock’n Roll entdeckt und die Entwicklung, die ich in zehn Jahren machte, in einem Monat absolviert, genau das Richtige. Nun sitzen wir davor, und ich kann nicht fassen, wie sehr die Geschichte da auf der Leinwand der von Toni und mir ähnelt. Life imitates art und umgekehrt. Als wenn wir es bestellt hätten. Städter trifft Landei, beide können sich zunächst nicht leiden, freunden sich dann aber trotz aller Gegensätze dicke an und bereichern sich gegenseitig in kultureller Weise. Ein Wiedererkennungsmoment nach dem, sogar die Religion erhebt ihr Haupt in Gestalt des strengen John Lithgow, doch Kevin Bacon macht ihm klar, daß Mucke und Tanzen ein absolutes Ding der Bibel sind. Genau wie Zechen, Töten und das alte Reinrausspiel. Toni vom Montana kann gar nicht fassen, daß diese Filmfritzen überhaupt über so etwas wie Gott nachdenken, und das noch in so ansprechender, einleuchtender und offenbar gut gemeinter Weise. Wieder ist ein Mensch für die Leinwand gewonnen, immer wieder wird er Filme gucken und die Welt kennen und trotzdem ein Superbauer sein draußen im Oberland. Komm mir keiner mit Vorurteilen gegen die Hardcore-Seppels. Und schade, daß es für "Kingpin" noch ein paar Monate zu früh war, denn der hätte natürlich auch gut gepasst.


ff

Bearbeitet von hoolio21, 25. Februar 2009, 05:30.

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#53 hoolio21

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Geschrieben 27. Februar 2009, 01:25

10 prägende Kinoerlebnisse, parte due


6. Two Thousand Maniacs
ca. 1987 / Werkstattkino München

In den trostlosen späten 80er Jahren dreht keiner mehr Horrorfilme (außer Clive Barker und Jörg Buttgereit). In den Videotheken stehen selbst Filme wie "Beverly Hills Cop" gekürzt herum, und von der Horrorwelle, die noch vor einem halben Jahrzehnt durchs Land schwappte, sind nur mehr mystisch verklärte Erinnerungen geblieben. Es gibt noch kaum Magazine oder Bücher, die einem brauchbare Hintergrundinformationen liefern, und erst wenige Videotheken kommen auf die Idee, ihr Repertoire durch fremdsprachige Originalfassungen zu bereichern. Fachgeschäfte wie das Videodrome oder das Hard To Get sind noch nicht geboren, Filmbörsen weitgehend unbekannt. Eine der wenigen Möglichkeiten, Filme jenseits der Norm oder von den schwarzen Listen zu sehen, ist das Münchner Werkstattkino in der Fraunhoferstraße. Die Fraunhoferstraße im alternativen Gärtnerplatzviertel wird so etwas wie unser Wallfahrtsort. Im Wienerwald, dem späteren Isargrill, treffen sich die Bayernhools, im Baadercafe in der angrenzenden Baaderstraße Punker und Drogenpoeten, im Optimal in der zulaufenden Jahn-Straße wartet eine gewaltige Auswahl von Underground-Platten, T-Shirts, subversiven Bücher und Fanzines auf den solventen Käufer, und im Werkstattkino guckt man sich abends gerne noch einen Film an. Das Werkstattkino ist kein Kino wie jedes andere, sondern, zumindest auf den ersten Blick, ein Loch im Boden eines dunklen Hinterhofes eines Wirtshauses (Der Fraunhofer). Wer sich hinunter wagt, stößt auf einen freundlichen Skinhead, der einem ein paar Märker abknöpft, und dann darfst du in einem kahlen, kleinen Kellerraum mit allenfalls fünfzig Sitzen Platz nehmen und auf eine Leinwand kaum größer als fünf nebeneinander hängende Filmplakate blicken. Es ist intim, die Filme sind grundsätzlich sehenswert, es gibt nie Werbung, meistens coole Kurzfilme zuvor, und manchmal, besonders im Sommer, kommt einmalige Stimmung auf.

Wenn wir vom Tegernsee mit der halben Bande anrücken, füllen wir zwei bis drei Reihen, und es ist ganz schön was los im Zimmerchen unter der Erde. Man trinkt Augustiner aus der Bottle von der Wirtschaft nebenan, in alter Tradition zu junge Mädels quieken ausgelassen in Erwartung einer künstlerischen Offenbarung (oder eines Phallus im Anus auf der romantischen Toilette mit "Street Trash"-Flair). Die biertrinkende Bomberjacke fraternisiert mit dem Straight-Edge-Punk (Ecki!) und der Cineasten-Hornbrille (Jörch!), und der pulsierende Treffpunkt gebiert Subkultur-Boheme im Aufbruch. Arm wie Kirchenmaus und null Einfluß, aber viel Wut und große Ziele. Hier treffe ich zum ersten mal Leute wie Howl-Gründer Thomas Gaschler, den Maskenbildner und Regisseur Sammy Balkas, die Friscopunk-Szenequeen Arabella Akossy, die die Dickies und Henry Rollins kennt, Thomasso Schultze, den damaligen Nonoyesno-Schreihals und späteren Blickpunkt:Film-Chefredakteur, die im China der Kulturrevolution geborene, spätere Prinz-Chefredakteurin Cloat Gerold, oder die Gebrüder Norbert und Andreas Schiegl, hochgeschätzte Musikredakteure heute alle beide. Auf der Leinwand sehen wir zum Beispiel "The Texas Chainsaw Massacre" und "The Texas Chainsaw Massacre 2", "Die Frau mit der 45er Magnum", "I Spit on Your Grave", "Wir kommen und werden euch fressen", eine denkwürdige Fulci-Retro mit "Syndikat des Grauens" (!) und so schräge Sachen wie diesen abgefahrenen englischen Zombie-Biker-Film aus den 60er Jahren, dessen Titel ich leider vergessen habe ("Psychomania"; thanx, pasheko). Bei "Maniac" kommt der Staatsanwalt persönlich mit den Bullen vorbei und nimmt gleich die Filmrolle mit, kriegt aber irgend etwas Entbehrliches und auf keinen Fall "Maniac" in die Hand gedrückt. Und bei den Filmen von Richard Kern demonstrieren aufgeputschte Frauenrechtlerinnen medienwirksam ihr gestörtes Verhältnis zur Kunstfreiheit.

Keine Werkstattkinoaufführung aber übertrifft in meinen Augen die von "2.000 Maniacs". Seit Jahren wollen wir diesen „zweitersten“ und mutmaßlich besten aller frühen Splatter Movies unbedingt sehen, McCarty und Incredibly Strange Films haben dafür gesorgt. Doch der ist ebenso wie alle anderen Herschell Gordon Lewis-Filme scheinbar nie je irgendwo in Europa erschienen. Jetzt aber soll es so weit sein, und wir sind mit einer wahren Horde angerückt, den Event zu begehen. Südstaatler, die lachend Nordstaatler killen. Genau mein Ding. Aber auch der Film ist nicht allein gekommen. Zum ersten mal erlebe ich im Werkstattkino eine Präsentation. Joe "The Professor" Coleman, Urgestein des New York Underground, ist persönlich auf Europatournee gegangen mit "2.000 Maniacs". Coleman ist bekannt dafür, schon lange vor Erfindung des Suicide Bombings mit Dynamitstangen behangen auf öffentlichen Veranstaltungen aufzukreuzen. Heute aber begnügt er sich mit einem bayrischen Bier in der Hand und erzählt in sichtlich aufgeräumter Stimmung Anekdoten, historische Zusammenhänge und Wissenswertes über die Attraction, which we are about to see. Wir lauschen gerührt und andächtig diesem echten, lebenden Beatnik mit Bärtchen und Barett. Was der wohl von uns denkt. Es gibt Trailer, den Vorfilm "Lupo the Butcher", und schon geht’s los. Those magic moments. "2.000 Maniacs" ist fix resümiert. Pünktlich zum hundertsten Jahrestag ihrer Einäscherung durch Shermans Nordstaaten-Anakonda (Amerikas erster Vernichtungskrieg = gegen sich selbst) ersteht eine Südstaatengemeinde von den Toten und kümmert sich um alle an diesem Tag zufällig vorbei kommenden Nordstaatler. Ich bin wie hypnotisiert: Menschen, die aussehen wie die Typen in "Flipper" (auch Florida, selbe Zeit), hacken kurvenreiche Playboy-Bunnies to bloody pieces. Offensichtliche Schaufensterpuppengliedmaßen und Laiendarsteller trüben nicht im geringsten die farbenprächtige Wucht des Dargestellten, und der wilde Bluegrass-Sound der Pleasant Valley Boys fügt sich wie angegossen an die unerhörten Bilder. Eine neue Tür tut sich auf, mit einem Land dahinter, weiter und größer als unser von den populären Genres und Kinohits der jüngeren Vergangenheit begrenzter Filmhorizont. Wir haben es eben betreten.


7. Wild at Heart
1990 / Kino an der Weissach, Rottach-Egern

Christian hat es noch vor mir geschafft. Hat den Film zu seinem Beruf gemacht. Zwar nicht in jener Form, wie es mir vorschwebt (Berufswunsch nach Tierforscher und Revolutionär seit ca. 1978 : „Filmjournalist“), aber kaum minder romantisch und perfekt. Der begabte Maler, entspannte Ruhepol unserer Truppe und größte Clint-Eastwood-Fan, den ich nach mir kenne, ist der hauptamtliche Filmvorführer im Kino an der Weissach. Ein hübscher großer Saal mit Sesseln und Beinfreiheit, vom erfolgreichen Dorfvideothekar Rottach-Egerns zwecks sinnvoller Geschäftserweiterung im Untergeschoß eines Supermarktes im Landhausstil geschmackvoll eingerichtet und ziemlich erfolgreich. Die reichen Witwen belieben ins Kino zu gehen, und weil das Publikum im Tegernseer Tal anspruchsvoller und weltläufiger ist als anderswo am Land, kann man hier ganz gut Oscar-Filme, Arthouse und Feuilleton-Streitfälle gucken. So zwischen Bond, Batman und Bruce Willis. Wir haben einen weiteren Vorteil. Wir können es ohne Werbung sehen.

Nachts, wenn die Main Street von Rottach dem Dachs gehört, rollt das Kulturkommando Süd zum Spezialeinsatz. Durchs dunkle Treppenhaus geht’s leise hinab, die Tür hinter uns fällt zu, das Licht geht an, und das ganze schöne große Kino gehört uns allein. Erst einmal in Ruhe einen Kaffee aufgesetzt, den wird es brauchen, und mit dem Bier, das man sich mitbrachte, wird nicht herum gespritzt. Schließlich sind wir nicht zum Randalieren, Klauen oder Scheiße bauen gekommen, sondern zur Fortbildung und Bewußtseinserweiterung. Der Typ, dem das Kino gehört, hat unseren Respekt, ich kenne ihn seit sieben Jahren, bin einer seiner besten Kunden. Er ist nicht der Zuhälter, von dem ich bei „Alucarda“ sprach, sondern ein fleißiger, freundlicher Unternehmer, der mit was Gutem reich geworden ist. Möge er hundert Jahre alt werden. Heute auf dem Programm: Das Liebesdrama "Wild at Heart". Gewinner der Goldenen Palme zu Cannes, Skandalnudel der Saison, weithin im Vorfeld verrufene Sex- und Gewaltorgie. Den mußten wir sehen.

Von Teilen meines Freundes- und Bekanntenkreises werde ich gewissermaßen als Ketzer betrachtet, weil ich kein uneingeschränkter Freund des andernorts glühend bewunderten Filmemachers David Lynch bin. Ich halte Lynch für einen begabten Stilisten und Strategen, der es versteht, profane Unterhaltungsware vermengt mit klafterweise eigenen Obsessionen experimentell als hehre Kunst zu verkleiden und für Tiefgang zu verkaufen. Mit "Blue Velvet" als perfekter Wiederaufführung von "Des Kaisers neue Kleider". Ich meine, Hopper herumhampeln und Fuck sagen lassen. Hat einer "Das Messer am Ufer" gesehen? DAS kann man von Hopper kriegen. Das ganze Theater kommt doch nur daher, weil die Amerikaner David Lynch so kinky finden. Spricht mich das als Europäer etwa an? Keine Frage, "Eraserhead", "Der Elefantenmensch" und die frühe "Twin Peaks"-Serie haben ihre Meriten, auf ihre Weise. Aber das war, bevor Lynch der Darling der Kultursnobs und zum selbstverliebten Trash-Zirkusdirektor wurde. So, da habt ihr’s. Und warum finde ich dann "Wild at Heart" so geil? Hänge im Sitz mit leuchtenden Augen und Ständer, verschlinge jedes optische und akustische Detail dieser phänomenalen bunten Wundertüte aus Mord, Moral, und Analverkehr. Weil ich die Zielgruppe bin! Weil Lynch seinen Trash exakt für mich anrichtet. Weil ich durchschaue, was er tut, und ihm trotzdem zum Opfer falle, da es mir so gut gefällt. Weil ich gelebt habe, um zu sehen, wie Nicholas Cage eine Frau von hinten im Schritt anhebt, mit dem Gehirn seines Gegners auf Marmor malt, Willem Dafoe sich onscreen die Birne wegbläst (an die Zimmerdecke!), und die FSK eine 16 dafür auspacken muß, weil das ja Kunst ist. „Ha, ha.“ (Nelson) Sailor nimmt ein wenig zu wenig Drogen, um Lula glaubwürdig zu ertragen, aber es ist okay, es ist Lynchs Phantasie. Danke fürs blenden, du Blender.


8. Terminator 2
1991 / Filmtheater im Lamm, Garmisch

Ich habe mal, ganz am Anfang des Tagebuchs, geschrieben, ich sei ein Film- und nicht ein Kinofan. Das stimmt auch. Und genauso, wie ich hier die zehn prägenden Kinoerlebnisse auftische, werde ich irgendwann, wenn ich mal Lust dazu habe, zehn bemerkenswerte Video-Sessions oder zehn spektakuläre Fernsehereignisse rekapitulieren. Da passieren dann auf jeden Fall krassere Sachen als im Kino. Doch für einen guten Kinofilm fahre ich zur Not immer noch meilenweit. Damals wie heute. Und das sogar ganz ohne Auto (isch ’abe keinen Führerschein). In den späten 80ern und frühen 90ern heißt das Ziel nicht nur immer wieder Werkstattkino München, sondern immer öfter: Filmtheater Garmisch.

Don’t call it Garmisch-Partenkirchen. Das mögen sie gar nicht. Denn das sind zwei verschiedene Orte, die sich hassen, und irgendwann mal zusammengefasst wurden in einer unpopulären, innerlich nie ganz vollzogenen Gemeindereform. Das besondere an Garmisch: Es ist eine US-Army-Stadt. Und das besondere am Kino im Garmischer Gasthaus Zum Lamm: Es ist ein amerikanisches Kino. Ein amerikanisches Premierenkino gar. Wo die Filme nicht nur im englischen Original, sondern auch zu ihren US-Kinostarts anlaufen. Alter Schwede! Bei jedem größeren Ding, das in Deutschland gekürzt werden könnte, oder das man lieber heute als morgen sehen möchte, sind wird dabei. Von "Rambo III" über "Silence of the Lambs" (Thomasso getroffen, sogar die Münchner fahren nach Garmisch!) bis zu "Jurassic Park". Es ist immer ein Erlebnis. Vor allem, weil sie schon 1990 einen Mörder-THX-Sound haben. Aber auch das Publikum ist eine Show für sich. Die Kinder, die die GIs egal bei was für harten Schoten mitbringen, als wäre es das normalste von der Welt. Und bei "Harlem Nights" kommen wir uns original vor wie die Typen in "Road Trip", wenn sie sich in das fremde Verbindungshaus hinein tricksen und erst im Speisesaal merken, daß sie die einzigen Weißen unter zweihundert Schwarzen sind.

Bei "Rambo" denkst du, die Hubschrauber fliegen von hinten über dich drüber, und bei "Terminator 2" bebt, wenn Arnold seine Harley anwirft, einfach nur die verfickte Erde. Alte Freunde aus dem Ruhrgebiet sind gerade zu Besuch und können es nicht fassen, den Film so früh und in so guter Qualität zu sehen. Sensationelle Stunts und unbedingter Stilwille trösten uns blitzschnell darüber hinweg, daß Arnold nicht tötet und ein quäkendes Kind der Held ist. Und eine neue Spezialeffekttechnik zieht die Aufmerksamkeit auf sich. What the fuck ist denn das? Der Begriff Morph sagt uns nichts. "The Abyss", wo die Technik vom Stapel lief, haben wir geschwänzt. Ein Computertrick, ohne Zweifel. Und es sieht verdammt gut aus, was dieser James Cameron damit macht. Der T 1000 stiehlt die Show. Und der Chronist beginnt zu ahnen, daß das Kino, wie wir es kannten, mal wieder ein anderes zu werden im Begriffe ist. Der Actionfilm, der das alte Actionkino tötet. Right here, right now. Später haben sie das Filmtheater im Lamm dann geschliffen und gleichgeschaltet, vermutlich auf Drängen der lokalen Konkurrenz. Schon in den späten 90ern kamen kaum mehr Originalversionen, und heute laufen dort Filme wie anderswo.


9. Braindead
1992 / Atrium Nürnberg

Wenn ich überlege, welche Festival-Aufführung mich am meisten beeindruckt hat oder mir aus anderen Gründen unvergeßlich bleibt, wandert manch scharfes Bild durch meine substanzgetränkte alte Birne. "Chinese Ghost Story", "Reservoir Dogs", "Scream", "Fudoh", "Prinzessin Mononoke" oder "Irreversible" auf dem Fantasy Filmfest zum Beispiel, die alle hier stehen könnten, weil eigentlich schon während der Vorführung und spätestens nachher draußen auf der Straße jedem klar war, daß gerade etwas Neues, Großes, Unerhörtes geschehen war. Die überwältigende, zu Tränen rührende schlichte Eleganz und atemberaubende Schönheit von "Sonatine". "The Punisher" mit Dolph Lundgren, der uns platt fuhr, als wir einen beschissenen "He-Man 2" erwarteten. Oder "A Better Tomorrow" 1990 in München, als Veranstalter Thomas Gaschler kreideweiß aus der mittenmang laufenden Vorstellung gelaufen kam (wir standen draußen und rauchten, denn es wurde ja grad nicht geschossen), Tränen in den Augen, und stöhnte: „Die machen sie nach!“ Das auf Horror und Splatter Movies geeichte, dem Action- und Kriminalfilm ohnehin kritisch gegenüber stehende Weekend of Fear-Publikum hatte damit begonnen, die Laute der chinesischen Originalsprachfassung nachzuahmen. Damals stand’s auf Messers Schneide, ob Desaster oder Triumph mit dem New Hongkong Cinema. Die Schießerei im Restaurant, Chow Yun-fats Pokerface und das Streichholz zwischen den Zähnen gaben den Ausschlag, am Ende folgte offene Ehrerbietung.

Nichts von dem aber kommt dem Adrenalinrausch nahe, den ich und Hunderte anderer erleben, als 1992 der neuseeländische Staatszirkus in der sonnendurchfluteten Stadt der Reichsparteitage gastiert. Obwohl noch niemand außer ein paar Business People in Cannes "Braindead" bisher gesehen hat, ist allen klar, daß es denkwürdig werden wird. Schließlich handelt es sich um das neue Splatter Movie von jenem Typ, der uns "Bad Taste" brachte. Jackson und sein Hauptdarsteller sind höchstpersönlich von der blauen Küste herbei geeilt, zottelig, unrasiert, barfuß im T-Shirt quasi, die Filmrollen unter den Arm geklemmt. Wir freuen uns darauf, leibhaftige Filmemacher zu treffen, die trotzdem irgendwie sind wie wir, und stoßen mit ihnen und den freundlichen Autonomen im angrenzenden Wirthaus mit Weißbier an, ohne im geringsten zu ahnen, was für ein Hollywood-Mogul der kleine Blutfreak da drüben einmal werden sollte („Ey, Jacke, schieb mal ne Milliarde rüber ...“).

Nie zuvor und nie danach habe ich ein Kino gesehen, in dem so gegen elementarste Sicherheitsvorkehrungen verstoßen wurde, wie das Atrium an jenem Tag. Jeder Sitzplatz im Saal ist belegt, Freundinnen sitzen bei ihren Kerlen auf dem Schoß, in den Gängen, direkt vor der Leinwand und den ganzen Rand entlang liegen, sitzen und stehen weitere Leute, obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits klar ist, daß der Film wegen der unglaublichen Nachfrage direkt danach noch einmal gezeigt wird. Man raucht, irgendwo wird gekifft, Bierflaschen rollen zwischen den Schuhen der Leute von oben nach unten, ab und zu zerspringt eine davon mit sanftem Klirren. Peter Jackson selbst hat leider keinen Sitzplatz mehr ergattert und steht seitlich in einem Türrahmen, von wo aus er immerhin die Publikumsreaktionen gut beobachten kann. Ich schätze, er dürfte zufrieden sein, denn es geht ab wie in einer Fußballfankurve nach dem Siegtor. Zweimal hintereinander übrigens, und die Hälfte der Leute, die "Braindead" gesehen hat, bleibt für die zweite Vorstellung gleich sitzen. Es herrscht das totale Chaos, aber die Besitzer des Kinos sprechen Veranstaltern und Publikum am Ende trotzdem ein dickes Lob aus. Wahrscheinlich, weil es ihnen genauso gut gefallen hat wie uns. "A Better Tommorrow 2", "Bullet in the Head", "Tiger on the Beat", "Tokugawa", "Eaten Alive", "Combat Shock", "Tetsuo", "Nekromantik 2", "Walking Tall" und viele mehr laufen da noch, jedes mal schneidet es einem quer durchs Herz, den einen zu sehen und den anderen zu verpassen. Das beste Festival, auf dem ich je war.


10. Jack the Ripper
2001 / Filmmuseum München

„Schon der Soundtrack, der dem Unternehmen den letzten avantgardistischen Schliff geben soll, ist zum Kotzen.“
(Dr. Rolf Giesen zu "Vampyros Lesbos")

Roland und ich sitzen im voll besetzten Kinosaal des ehrwürdigen Münchner Filmmuseums anläßlich einer Klaus-Kinski-Retrospektive, und ich habe mir gerade zum zirka vierten mal im Leben und zum zweiten mal auf einer großen Leinwand den wirklich wunderschönen "Jack the Ripper" angesehen. Vor uns auf einer Bühne sitzen jetzt zur Seite des mir unbekannten Veranstalters der österreichische Schauspieler und MP Herbert Fux, der spanische Regisseur Jesus Franco, und dessen unverdrossene Muse und Ehefrau, die mittlerweile graumelierte Lina Romay. Mit ihren kurzen Haaren und der Brille ganz der Typ strenge Klavierlehrerin. In Lina Romay war ich als Kind mal verliebt, dem Kinoaushangkasten-Artwork zu "Frauengefängnis" sei Dank. Und wenn ich die Aufgabe hätte, mal eine voyeuristisch in jeder Hinsicht anspruchsvolle und hundertprozentig meinen Geschmack treffende Frauenknastszene zu nennen, würde mir ganz bestimmt ihr Catfight mit Tanya Busselier (auch nicht ohne) in der Damendusche von "Greta - Haus ohne Männer" als erstes einfallen. Kugelrunder Prachtpopo, perfekt geformte, große Möpse, schwarzer Pagenkopf an schneeweißer Haut, riesige dunkle Augen wie eine Manga-Phantasie, drall, griffig, stets unbekleidet (hat sie einer in Kleidern in Erinnerung?), zum Manne aufblickend, der klassische Schmollmund in devoter Erwartung stets ein wenig geöffnet. Kann schon verstehen, daß der Typ mit den 200 Filmen keine andere wollte. Und vielleicht bin ich immer noch verliebt. Semper fidelis, wie wir Kryptofaschisten (und die Torcida Verde) sagen.

Da sitzt sie also, die kleine alte Dame, und gleich werde ich zu ihr hingehen, ein wenig mit ihr flirten und mir mal das "Greta"-Cover signieren lassen. Von ihr natürlich, nicht von Clifford Brown (unverkäuflich!). Zuvor aber muß ich mir bescheuerte Fragen aus dem Publikum anhören, die natürlich alle nur mit Klaus Kinski zu tun haben dürfen. Wenn einer, wie der verständige junge Typ da vor mir, mal etwas anderes fragt, was vielleicht nur mit Franco oder seinen Filmen zu tun hat (Wo ist Eric Falk heute? Jesus tut, als wüßte er nicht, von wem die Rede ist), greift Heinzelmann, der Barbar, ein und verlangt, daß wir uns hier und heute doch bitte allein über Kinski unterhalten. Das muß man sich einmal vorstellen! Kinski liegt tot in der Kiste, Jesus Franco sitzt lebend vor uns. Und sowohl Fux als auch Franco haben, wenn wir ehrlich sind, nicht eben die wichtigsten Filme mit KK gemacht. Hätten aber beide wahrscheinlich gute Geschichten für zehne auf Lager. Doch nur über Kinski, please. Ich weiß schon, warum ich um solche Veranstaltungen in Deutschland normalerweise weite Bögen schlage. Aber ich bin ja auch nicht wegen Dr. Seltsam da. Sondern zweitens wegen Lina und drittens wegen dem netten Film. Und erstens, weil ich den Triumph auskosten will. Diesen erhebenden Moment der Kulturgeschichte. Franco im Filmmuseum! Da lässt sich einer, der drei Jahrzehnte lang nur peinliche Schmähungen seitens des deutschen Feuilletons und der etablierten Kritik gegenüber diesem verdienstvollen Schöngeist vernahm, jede Silbe von auf der Zunge zergehen : Jesus Franco im Münchner Filmmuseum. Ich spuck auf dein Grab, Doc Giesen.


nachtrag :

Eine Pressevorführung schaffte es nicht in meine Aufzählung. Es gab einige ganz nette, besonders, wenn die richtigen Leute beisammen waren, und Filme kann man dort wahrscheinlich besser studieren als im gewöhnlichen Kino. Aber sie sind wohl nicht so prädestiniert, bleibende Erinnerungen zu schaffen.

Bearbeitet von hoolio21, 27. Februar 2009, 04:20.

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Geschrieben 05. März 2009, 04:55

Neu auf DVD (erstveröffentlichungen)


The Air I Breathe (Thriller/Fantasy US 07)
Ein duckmäuserischer Angestellter (Forest Whitaker) wittert die Chance seines Lebens, als er zufällig von einer scheinbar todsicheren Pferdewette erfährt. Ein Gangsterboss (Andy Garcia) übernimmt zu deren gedämpfter Freude das Management einer aufstrebenden Sängerin (Sarah Michelle Gellar) und hat Sorgen mit einem ehrgeizigen Neffen (Emile Hirsch). Der nachdenkliche Killer (Brendan Fraser) soll den Neffen zügeln und verliebt sich in die Sängerin. Julie Delpy, Kelly Hu und Kevin Bacon spielen auch noch mit in diesem konfektionierten Episodenfilm, der seinen dramatischen Anspruch mit effekthascherischer Inszenierung und fantastischem Firlefanz (Fraser kann hellsehen) untergräbt, nach Abschalten der hohen Erwartungen und des Geistes als purer Genrefilm aber redlich unterhält.

Astropia (Komödie Island 07)
Hildur ist eine Blondine wie aus der Zynikerfibel. Unbeholfen, unselbständig, ungebildet, dafür stets spaßorientiert und rundum verwöhnt mit eitlem Tand vom halbseidenen Gebrauchtwagenhändlerfreund. Doch der wandert jetzt in Gefängnis und Hildur muß, um nicht zu verhungern, arbeiten gehen. Warum also nicht auf das Stellenangebot vom Comicshop reagieren. Verkaufen kann ja nicht so schwer sein. Nerd-Komödien sind so etwas wie ein Trend der Stunde und nicht unbedingt auf Hollywood (oder überhaupt einen bekannten Winkel der Welt) angewiesen, wie dieses ganz einfach nur reizende Beispiel von einem bettelarmen Schotterhaufen im Nordatlantik unterstreicht. Auch dort gibt es Fans, Freaks, Geeks und Rollenspieler, und die staunen nicht schlecht, als ihnen die nach landläufigem Maßstab außerordentlich attraktive Schnepfe gleichsam vom Himmel in die Auslagen plumpst und sich märchenhafterweise auch noch für ihr Metier zu interessieren beginnt. Produziert auf dem Budget- und Darsteller-Niveau einer durchschnittlichen deutschen Beziehungskomödie, doch wesentlich lustiger, den Nerd und die Blondine nicht denunzierend (den Gebrauchtwagentandler dagegen sehr wohl), und in der zweiten Halbzeit zusehends actionlastig, wenn die Geländespiele der Fantasyfreaks so inszeniert werden, als befände man sich in ihrem Traum (und das Weinfaß mit Brille zehn Orks hintereinender versohlt). Tip des Hauses.

Chechnia Warrior (Drama Rus 07) "Medvezh’ja ohota"
Oh, diese Moslems. Tun sich sogar mit Berufsverbrechern, litauischen Nazischarfschützinnen und negroiden Allesmördern zusammen, nur um im friedliebenden Sowjetland Zivilisten zu quälen, Krankenhäuser auszubomben und das Blut russischer Kindersoldaten zu trinken. Denen schlottern in Gefangenschaft der bärtigen Tiere zu recht die Knie, rollen dicke Tränen über die roten Backen. Nach der Mami jammern sie, wollen nicht enthauptet werden für die Internetwerbekampagne für die grüne Flagge der Sympathie. Aber nix da, es muß gestorben werden, grunzt der Mudschaheddin und trennt dem zappelnden Blondschopf gaaanz langsam die Rübe vom Hals mit dem extra kerbigen Schächtmesser. Zum Glück gibt es aber noch kernige russische Helden, die lieber sterben als klein beizugeben oder sich kaufen zu lassen, und gemeinsam erobert man Stück für Stück die schöne tschetschenische Bäderstadt Grosny vom Feind zurück, nicht vergessend, Auge um Auge und Fingernagel um Fingernagel zu vergelten. Spätestens, als er den blonden litauischen Ilsas minutenlang beim Krepieren zusah, dampfend in der Eisekälte aus der vom Scharfschützen mit Bedacht penetrierten Vagina, da ging’s dem Chronisten wie seinerzeit dem braven Alex in der Ludovico-Therapie. Übelkeit quoll ihm scheinbar geradewegs aus der Seele, doch durfte er die Augen nicht verschließen, gebot es doch die Pflicht als Filmredakteur, den Menschen zu berichten. Liege im Krieg der Kulturen im vordersten Schützengraben, habe keine Probleme damit, wenn Gotteskrieger wie Arschpfeifen portraitiert werden, und würde nie eine wie auch immer geartetete Zensur befürworten. Das hier aber ist weinerliche, pathetische Greuelpropaganda im anstößigen Bereich, ausgeschüttet wie ein Kübel Unrat von Goliath über David. Und das solltet ihr zumindest wissen.

Hooligans 2 – Stand Your Ground (Action US 09) "Green Street Hooligans 2: Stand Your Ground"
Reicht es nicht, daß die ruhmreichen Hools von West Ham United von dieser deutschen Tante Frodo reingedrückt bekamen? Jetzt werden sie auch noch mitsamt ihrer Feinde von Chelsea und Millwall in einen amerikanischen Knast verlegt und als Pussybartträger verunglimpft. Unglaublich, aber wahr: Ein Fußballspiel der Insassen ersetzt das Vollkontakt-Kumite in diesem stinknormalen C-Klasse-Gefängnisschmonz, der aus irgendwelchen Gründen das Recht hat, den Titel eines Kinofilms zu mißbrauchen. Lachhafte Mogelpackung der Woche. Amis kapieren gar nichts vom Titelphänomen, protzen aber hemmungslos mit ihrer Ignoranz. Doch auch als ganz normaler Actionquark ein langweiliger, zäher, unspektakulärer Blödsinn.

My Name Is Bruce (Horror / Komödie US 07)
Der Schauspieler Bruce Campbell wird von einem jugendlichen Fan entführt in dem Glauben, er könne diesem bei einem übernatürlichen Problem helfen. Was zunächst wie ein Fall von üblem Realitätsverlust anmutet, entpuppt sich als ernste Angelegenheit, denn am Ziel der Reise erwartet Campbell tatsächlich ein gefährlicher Dämon. Wie erwartet ohne weiterreichende Selbstironie oder originelle Note gibt der Star von "Tanz der Teufel" Einblick in einen von Alkoholexzessen, inkompetenten Mitarbeitern und entwürdigenden Dreharbeiten zu peinlichen B-Filmen gesäumten Wohnwagen-Alltag. Zum Glück passiert noch ein richtiges Abenteuer, wo er zeigen kann, welch dufter Typ trotzdem in ihm steckt. Ich weiß nicht, was mich mehr abstieß, das unterkonventionelle Drehbuch dieser unkomischen Trashgurke, oder Campbells herablassender Blick auf alles und jeden. Wer einen aufschlußreichen Blick hinter Showbusiness-Kulissen erwartet, wird von dieser realitätsfremden Klischeeparade genauso enttäuscht wie jeder, der Intimitäten oder einen zweiten "JCVD" erwartet.

Scarce (Horror Can 08)
Alsdann, der sogenannte Folterporno der Woche. Sofern man den Tschetschenenkrieger nicht dazu rechnet. Drei Boarder mit großstädtischem Hintergrund kommen zurück aus den Bergen und durchqueren gerade Pennsylvanien auf dem Weg nach Osten, als sie in ein Unwetter geraten nicht unähnlich jenem, das in den letzten drei Wochen den Hof meines in den Voralpen lebenden Freundes unter drei Meter hohem Schnee begrub. Hilfe naht in Form lokaler Fallensteller, die auf eine Überraschung, was zu naschen und was zum spielen gerade gewartet haben. Häuten, amputieren, das Mark aus den Wirbeln des lebenden Objektes (sic) speisen. Im Augenblick ist der Staatsanwalt wieder echt scharf auf so etwas. Aber kein qualitativer Vergleich zu "Storm Warning", sondern bloß ein billiges B-Movie mit fiesen Einfällen und Computerschneesturm (i’d say so).

Sebastiane (Drama GB 76)
Gespickt wie ein Käseigel mit römischen Pfeilen auch Atheisten in bester Erinnerung ist Sebastian, jener christliche Märtyrer aus der selten um einen krassen Splatter Act verlegenen katholischen Folklore, welcher als erster Gewissensfreiheitskämpfer quasi den Wehrdienst verweigerte. Weder sein Vorgesetzter noch sein Kaiser möchten ihn dafür gleich erschießen, doch Sebastians Widerstand geht weiter, als alle erwarten. Schöne junge Männer ölen sich unter der gleißenden Sonne des südlichen Stiefels die wohlgerundeten Bizepse, peitschen sich nackend aus und schieben einander Oliven zwischen die schmachtenden Lippen in dieser eigenwilligen Interpretation einer antiken Legende durch Arthouse-Filmer, Warhol-Jünger und Homoerotiker Derek Jarman. Stimmungsvoll, philosophisch, schwul. Verrät mehr Gespür für die Dinge der Antike als jeder Hollywoodfilm über die gleiche Ära. Hat, obgleich eindeutig beeinflußt von Pasolinis "Medea" und Fellinis "Satyricon", einen Look wie wenig anderes. Und die ganz und gar nicht effekthascherische Hinrichtungsszene finde ich persönlich brutaler als alles, was mir "Gladiator" in gefühlten drei Stunden anmutet.

War, Inc. (Satire US 07)
In einem fiktiven arabischen Land führt ein fiktiver amerikanischer Großkonzern einen schmutzigen Krieg und hat nicht das geringste Interesse, sich von vorwitzigen einheimischen Ministern das Geschäft verderben zu lassen. Lösen zur allseitigen Zufriedenheit soll das Problem der amerikanische Auftragskiller Hauser (John Cusack). Der Killer hat den Spaß an seiner Arbeit verloren in dieser sich rabenschwarz und ätzend kritisch wähnenden amerikanischen Gesellschaftssatire, und diese Unlust überträgt sich irgendwie auf den Betrachter. Was "War, Inc." schon mal deutlich unterscheidet von "Grosse Point Blank", einem anderen Film, in dem John Cusack einen Auftragskiller in der Kreativkrise spielt, und der auch in weiterer Hinsicht von "War Inc." reflektiert zu werden scheint. Nicht nur, weil Dan Aykroyd mitspielt. Hillary Duff ("Lizzie McGuire") überrascht mit überzeugender Tragik, wo im Sinne der Komödie mehr ihr typisches Klischee gefragt wäre, Marisa Tomei bleibt blaß wie das Drehbuch, und Ben Kingsley gibt wieder einmal unsehenswert sein Bestes beim Bösewichtkurzauftritt als Michael Madsen der B-Klasse.

Wristcutters: A Love Story (Fantasy/Komödie US 06)
Zia (Patric Fugit, der Held aus "Almost Famous") schlitzt sich die Pulsadern auf, weil er es nicht ertragen kann, daß Desiree mit ihm Schluß machte. Er landet in einem etwas heruntergekommenen Jenseits, das verdächtig wie das amerikanische Hinterland aussieht und offenbar Suizidalen wie ihm vorbehalten ist. Dann müßte ja auch Desiree in der Nähe sein. Denn die, so erfährt Zia nun, brachte sich kurz nach ihm selber um. Gemeinsam mit dem Rockmusikant Eugene macht er sich auf die Suche. Heiter-hintergründiges Roadmovie der fantastischen Art, ohne übertriebenes Blutvergießen oder sonderliche Hektik in mitunter sperrige Szene gesetzt und an den gehobenen Indie-Geschmack appellierend.

Bearbeitet von hoolio21, 05. März 2009, 05:10.

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Geschrieben 12. März 2009, 23:44

Zum Bekanntenkreis eures ergebenen Autoren zählt, ob ihr es glaubt oder nicht, auch ein Ballettänzer. Ein männlicher Ballettänzer, sage ich immer dazu, und ich glaube, das wäre in seinem Sinne. Wenn man mit Superhorsti (Name von der Redaktion geändert) redet, glaubt man, man sei in einen 70er-Jahre-Actionfilm gefallen. Keine Viertelstunde, in der Horsti nicht unter Verwendung bildreicher Kraftausdrücke darauf hinweist, wie viele Weiber er dauernd abschleppt. Was er so beim Saufen verträgt. Wie spät und wild es gestern wieder geworden ist. Das 'ne unrasierte Muschi ja wohl ein Skandal sei. Horsti trägt natürlich eine Bomberjacke. Und das, obwohl er bereits Muskeln hat. Horsti hat viele schöne Muskeln. Schließlich ist Horsti eine Ballettratte. Und nicht schwul. Bitte, ja? Aufschreiben, ganz dick. Horsti nicht schwul. Obwohl im Ballett.

Letztens waren Florian und ich im Gärtnerplatztheater, um den Horsti anzusehen. Dritter von links bei der "Westside Story". Wußtet ihr, daß die da Stühle haben? Holzstühle ohne Polsterlehnen. Ich als Kinogänger dachte, ich guck nicht richtig. Darauf soll ich gefühlte sechs Stunden sitzen? Habt ihr sie noch alle!? Mein Kumpel, der Akademiker und Philosoph, tut so, als würde ihn mehr die Art der Inszenierung stören. So etwas Altmodisches, ts, ts, ts. Original wie das alte Musical. Könnte man nicht ein paar Börsianer in Frauenkleidern einflechten, die sich symbolisch schreiend in Blutlachen suhlen. In Wahrheit glaube ich, daß ihn genau wie mich mehr die Stühle stören. In der ersten Pause sind wir gegangen. Ob Horsti gemerkt hat, daß plötzlich da unten zwei Plätze frei waren. Horsti, an dir lag es nicht! Hast gut gesungen und gesprungen. Aber wir sind halt so verfickt homophob. Und wie ihr alle da oben auf einem lauten Haufen standet, haben wir es mit der Angst bekommen. Sorry.


Chuck und Larry
(US 07 "I Now Pronounce You Chuck and Larry")

Was für Will Smith gut war, wird mir nicht schaden, sagt sich Adam Sandler und holt sich den beliebten dicken Mann aus "King of Queens" an Bord. Komm, wir spielen Heten, die schwul tun. Das wird die politisch Korrekten ärgern, die Homosexuellen interessieren, und die Bierdosenfraktion amüsieren. Kurzum, ein Hit. Die Sache ist nämlich so: Der fette Feuerwehrmann ist ein trauender Witwer mit kleinen Kindern und stellt fest, daß er keine Rente bekommt, wenn er nicht sozusagen blitzartig wieder heiratet. Dazu aber fühlt er sich weder gelaunt noch imstande. Kennt niemand, mit dem es das bringen könnte. Außer vielleicht seinen besten Kumpel, den schlanken Feuerwehrmann mit den tausend Weibern. Dem hat er unlängst erst das Leben gerettet, der wäre ihm einen Gefallen schuldig. Und die Kinder stehen auch auf den guten Onkel. Na komm, man kann sich doch wieder scheiden lassen.

Problem: New York geht gegen Trickbetrüger vor, die so tun als wären sie schwul, um geldwerte Vorteile daraus zu ziehen. Da scheint es viele von zu geben, denn es gibt sogar eine eigene Behörde dafür. Und einen steinharten Dirty Harry, in Gestalt von Sandler-Regular Steve Buscemi, der solche falschen Fuffziger jagt. Wenn er einen erwischt, geht es auf geradem Weg in die Männerpension. Drei Jahre Minimum. Diesen großen Schwulmacher würden sich die heterosexuellen Feuerwehrmänner gerne ersparen, und so glauben sie jederzeit tatkräftig beweisen zu müssen, wie totally gay sie sind. Was folgerichtig zu der einen oder anderen Krise bzw. netten Pointe führt. In der Arbeit, wo man bislang nicht sehr stolz auf Schwuletten war, und in der eigenen Wahrnehmung, wenn z.B. der Superrammler auf die Superhäsin trifft und gezwungenermaßen den femininen besten Sorgenkumpel geben muß, weil die Alte ja praktisch sein Bewährungshelfer ist. Am Ende ist natürlich für alle inkl. des typischen Sandlerfilm-Guckers eine schöne Lehre fürs Leben drin. Pupe = Mensch fast wie du und ich. Und manchmal gar der Kampfneger von nebenan.

Adam Sandler spielt so eine Art omnipotente Variante des Charlie-Sheen-Charakters aus "Two and a Half Men" und führt sich die ganze Zeit auf wie mein Ballettänzerfreund. Nicht im Film also, da singt und springt er brav. Aber als Schauspieler, als Mensch, der dich zwischen den Zeilen ernsthaft anguckt und sagt: „Hey Wichser, ich spiel hier nur einen, der einen Schwulen spielt. Pass bloß auf.“ Damit es auch ja jeder kapiert, hat er am Anfang des Filmes ein Dutzend williger Gespielinnen, für jeden Fetisch eine, sozusagen. Und am Ende des Filmes hat er ein Dutzend und eine mehr. Denn natürlich kann er Jessica Biel nicht anbrennen lassen. Wie könnte eine Hete. Und er ist eine Hete. Verdammt, ist Sandler eine Hete.

Doug Heffernan ist weniger verkrampft. Schmerzfrei quasi, seit der Serie. Spielt auch den Verklemmten, weiß aber, was er tut. Sandler ist die Wutmaschine, Kevin James der Krapfen. Deckel und Dose. Schwanz und Arsch. Jessica Biel is all great tits and asses, und dafür sei den Filmemachern ein besonderes Lob ausgesprochen. Dieses rotblonde Weib zu casten, und nicht so einen anämischen Haufen Knochen von der Sonnenbank, verdient hervorgehoben zu werden. Gerade in solch einem Zusammenhang. Und wie selbstbewußt sie ihren großen Hintern formschön in die Linse reckt. Schließlich gilt, einen Schwulen zu heilen. Mit sich überschlagender Stimme: Ihr Heten dieser Welt, starrt auf diese Frau. Und jetzt alle gemeinsam, erst leise, und dann immer lauter: Ausziehen. Ausziehen. Ausziehen. Ausziehen! AUSZIEHEN! AUSZIEHEN!


Gnaw
(GB 08)

Täusche ich mich, oder ist das Horrorkino von heute einfach wesentlich brutaler als das der späten 70er und frühen 80er.

Ich meine, hier mal ein Beispiel. Junge und Mädchen auf der Wiese. Ein Sexspiel. Mädchen trägt Augenbinde. Junge holt was vom Auto, wovon Mädchen nichts mitbekommt. Von hinten nähert sich Aldi-Leatherface und beginnt wortlos, ihr die Kleider auszuziehen. Sie trägt ja eine Augenbinde, denkt, das ist ihr Freund, spielt aufreizend mit, und lässt sich kichernd vom theoretisch nach fünf Jahren Gammelfleisch miefenden zwei-Meter-Landwirt auf Armen wegtragen. In einer Scheune setzt der Bauer sie dann auf einen Schemel und rammt ihr aus heiterem Himmel, onscreen und quasi zur Begrüßung knirschend eine Mistgabel bis zum Arschgeweih durch die Bauchdecke. Ächz, ächz, ächz, sagt darauf das Girlie. Der Bauer aber zieht die Mistgabel mit einem kräftigen Ruck wieder heraus (keuch) und nimmt ihr nun die Augenbinde ab. Überraschung, ist ja gar nicht ihr Freund.

Der Freund geht derweil draußen durchs feuchte Kraut den Klamotten seiner Tante hinterher, denkt, das wäre ein neckisches Spielchen ihrerseits. Ich komme, Schatz. Die Spur führt in eine verlassene Industriebrache und in einen Schuppen. Dort sitzt die Freundin und bestaunt die Riesenlöcher in ihrem Bauch, aus denen dick das Blut pulst. Der Kerl macht auf dem Absatz kehrt und rennt schreiend davon. Nur um am Waldrand in ein gewaltiges Fangeisen zu treten. Kracks. Ganzes Schienbein durch. Kerl steht da und schreit und schreit und steht. Da naht auch schon der Übelmann und sticht ihm die Mistgabel von hinten durch den Leib, daß die Spitzen vorn zehn Zentimeter rausschlagen. Opfer hält sich daran fest, zuckt katatonisch und spuckt sprudelnd dickes schwarzes Blut. Das alles im übrigen todernst und tiptop gespielt. Ohne typologische Überzeichnungen ist jeder jederzeit bemüht, so glaubwürdig wie möglich zu leiden.

Schnitt auf Schuppen. Das nackte Mädchen liegt in einer Eisenwanne und lebt noch, obwohl die Löcher in seinem Leib gar nicht gut aussehen. Ist schon müde, möchte eigentlich nur noch sterben. Doch das schlimmste steht ihr noch bevor. Der Landwirt kehrt von der Jagd auf den Freund zurück, bindet sich die Gummischürze um und greift nach der Kettensäge. Schnucki, Schnucki, watt kommst du auch hier längs. Knatter. Ihr solltet hören, wie sie hier schreien. Nicht gerade der Film, bei dem sich angenehm nebenbei pokern lässt. Aber bitte. Nachher dreht der Fleischer noch alle durch den Wolf. Oben tätowierter Gliedmaß rein, unten schlammiges Hackfleisch raus. Wie's halt so ausseht, wenn Fleischwolffleisch noch blutet. Im Close-Up. Die ahnungslose Freunde helfen dann, das Abendessen aus ihren Kumpels zuzubereiten.

Und jetzt,

zum Vergleich, der alte "Freitag der 13.". Da kriegt eine Ausflüglerin eine Axt in den Kopf, das dauert (nach fünfminütiger Spannungsaufbau- overtüre) mit anschließender Großaufnahme vom ausholen bis zum wegblenden vielleicht drei Sekunden. Und Kevin Bacon wird beim Kiffen durch die Kehle harpuniert, nochmal fünf Sekunden, in einem zugegebenermaßen unerreichten Effekt (Savini-Artwork). Das wär’s dann mit den Gewalthöhepunkten im Mittelteil (korrigiert mich). Im alten "Texas Chainsaw Massacre" siehst du gar nichts, da ist alles Imagination. Kein Eindringen einer Säge, kein Zerkleinern einer Leiche, kein Fleischerhaken im Rücken. Nicht richtig, jedenfalls.

In "Gnaw" dagegen ist der geschilderte Exzess nur einer neben zirka einem halben Dutzend. Und "Gnaw" ist jetzt nichts besonderes, nicht mal Fantasy-Filmfest-worthy, sonder nur ein stinknormaler britischer Low-Budget-Landhaus-Slasher der (Video-)Woche mit der üblichen jungen Clique, die zusammen wegfährt und bei Kannibalens landet. Was in der imdb im übrigen, aus welchen Gründen auch immer, unter Comedy / Horror (in dieser Reihenfolge) fungiert. Absolut your average Durchschnittsschrott. Aber scheiße, sind die Dinger brutal, heutzutage. Nicht, daß ich das bemängeln würde. Gott bewahre. So ist das einfach nur, im Moment. Die Saat der Blutpunkte und Härtegrade in den Genrefilm-Ratschlägern, wenn man so will. Der Backlash der Zensur. Aber vielleicht kommt das ja auch von der Ghetto-Popkultur. Daß keiner mehr der Bessere oder Klügere oder Elegantere oder Originellere, sondern jeder nur noch der Härteste, eiskalt Brutalste sein will. Egal, was für Sauereien das erfordert. Der Zweck heiligt die Mittel, scheiß auf den Kodex. Soziologisch nicht uninteressant, whatsoever. Auf abstrakterer Ebene zwar nur ein lascher Sausewind gegen fünf Minuten "Addio Onkel Tom", aber in der Haut von Elke Monssen-Engberding möchte ich momentan nicht stecken.

Bearbeitet von hoolio21, 13. März 2009, 04:14.

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#56 hoolio21

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Geschrieben 18. März 2009, 00:25

Filmverrückt war ich, seit ich denken kann. Also schon deutlich vor meiner Einschulung. Vielleicht war es die Tunte in mir, die raus wollte, vielleicht auch schon der früh voll entwickelte Sexmaniac, doch pappte ich bereits im Vorschulalter säuberlich aus der Hör Zu heraus getrennte Szenenphotos von "Cleopatra" und diversen Hollywood-Musicals an die Innenwand meines aufklappbaren Holzkinderbettes. Die sah ich dann an, bevor ich einschlief. Vielleicht war es der Glittertand, der mich beeindruckte, vielleicht auch das schwarze Pony der ägyptischen Queen. Ein gerader Weg von Mirelle Matthieu über Lina Romay in Gretl bis zu Bettie Fucking Page. Doc Freud, du strudelfressende Quatschbacke, übernehmen sie. (Ja, Tony Soprano glaubt vielleicht an dich, aber ich nicht)

Ich weiß nicht, ob es Quentin Tarantino ähnlich ging, doch ich könnte es mir vorstellen. Der ist ziemlich genau so alt wie ich, ebenfalls ein Autodidakt und kommt aus einer langweiligen Kleinstadt in der Provinz. Irgendwie steht er wie verrückt auf Filme, und zwar auf so ziemlich jede denkbare Art davon. Besonders aber auf jene Filme und Genre, die in den Kinos liefen und Videotheken lagen, als er ein leicht beeinflussbarer Teenager war. Ich dürfte es etwas leichter bei den Mädchen gehabt haben, wenn ich mir den so angucke, aber aus irgend einem Grund haben wir trotzdem beide die Weiber in ihrer Gesamtheit lieben gelernt. Also nicht alle auf einem Haufen, nicht mehr als zehn jedenfalls. Aber jede einzelne auf ihre Weise. Und besonders lieben gelernt haben wir ihre drallen Schenkel und Ärsche. Warum? Frag doch Doktor Schnitzelhitler. Und so war es. Und so ist es. Und so wird es immer sein.

Tarantino und ich könnten also zusammen zum Bowling gehen. Tarantino aber ist irgendwann nach Hollywood gegangen, um Filme zu machen, wie er sie gerne sehen würde. Zur selben Zeit etwa, als ich begann, Sachen zu schreiben, die ich gern lesen wollte. Die Filme, die der Quentin dann gedreht hat, waren natürlich genau die, die auch ich gerne sah. Wie die Sonne ging "Reservoir Dogs" auf, damals 14/18, beim Fantasy Filmfest. Der Filmemacher meiner Generation war da. Einer, der dachte, fühlte, lachte wie ich. Soul Mate. Danke, Gott.

Seither hat mich der Quentin nicht ein einziges mal enttäuscht. Klar kann man an seinen Filmen das Haar in der Suppe suchen und finden. Ihnen dies oder jenes unterstellen. Aber dreimal nacheinander die Qualität von "Reservoir Dogs", "Pulp Fiction" und "Jackie Brown" zu liefern sowie die Popkultur seiner Zeit nicht nur zu beeinflussen, sondern zu prägen, macht Tarantino mindestens schon mal zum bedeutendsten Regisseur der 90er Jahre. Who else? Ob er künstlerisch aktuell noch Avantgarde ist? Wohl kaum. Aber Kubrick, Wilder oder Hitchcock haben ja auch nicht jede Saison die Bildsprache neu erfunden. Das macht man einmal oder zweimal im Leben, und dann geht man entspannt seinen Neigungen, Passionen und Berufungen nach. Weil man das jetzt darf, kann, und das Geld dafür hat. Da muß man nicht alle paar Jahre eine neue Revolution ausrufen. Das machen nur neurotische Modetölen und gewissenlose Krämerseelen, um den Dummen neue Kleider oder einen Trend zu verkaufen. Hauptsache also, Tarantino macht noch Filme, die einen nicht kalt lassen. Tut er das? Sehen wir doch mal nach.


Death Proof
(US 07)

Irgendwo in Texas gehen ein paar ungezwungene junge Schlampen einen heben. Der einen fällt schon von weitem so ein schwarzer Wagen auf, Typ Muscle Car der 70er, mit offenbar schallverstärktem Auspuff, lange zu hören, bevor man ihn sieht. Fährt der uns etwa nach? Egal. Wichtiger jetzt: Was zum Kiffen aufstellen. In der Kneipe bei Barkeeper Quentin fließen nicht nur Tequila und Jägermeister in rauhen Mengen, es wird auch der eine oder andere Klumpen Shit über den Tresen geschoben, während aus der Juke Box ein den meisten hier wohl unbekannter Tschelloveck namens Marc Bolan wimmert und die bedröhnten Hasen dazu träge die runden Hüften schwingen. In der Ecke sitzt ein älterer Typ, der irgendwie nicht und dann doch wieder hier hinein passt. Ein Relikt wie aus den 70ern per Zeittunnel in die Gegenwart gefallen, kantig, vernarbt, knurrig, mit einem Auge für die Mädchen und jener Haartracht, die der deutsche Vokuhila, der Angelsachse aber Mullet nennt. Insgesamt nicht unsympathisch, mit strahlend blauen Augen, charmantem Raubtierlächeln zum Raubtierklang der Karre, und, ganz wichtig bei Weibers, der nötigen Portion Humor. Am Ende bringt er genau die, die zuerst am meisten vor ihm Angst hatte, dazu, einen Lapdance für ihn aufs Parkett zu legen. Und dann bringt er alle um.

Einige Monate später taucht Mike, der Stuntman, in einem anderen Bundesstaat wieder auf. Und sitzt am Steuer eines neuen, pechschwarzen Mustang. Der alte hat Mikes letzen Stunt nicht überlebt. Oder war es Sex? Mike würde vielleicht beides sagen. Wieder hat er sich eine Gruppe junger Frauen ausgesucht, die er von weitem beobachtet. Doch diesmal hat er sich die Falschen ausgesucht.

Ein Film, zwei Hälften. Das verbindende Element: Kurt Russel als Hit and Run Driver. Und Filmzitate. Willkommen im fantastischen Universum des Quentin T., wo Frauen sich wie Männer aufführen (besser noch: wie Männer ohne Verpflichtungen), und wo es gleichzeitig die 70er und heute ist. Kommt halt nur drauf an, was man von heute zeigt. SMS nutzen jedenfalls alle wie verrückt, da ist der Film ganz modern. Aber das nutzt auch nichts, wenn dir mit 200 Sachen der Zug entgegen kommt und du von nichts ahnst. Tarantino nimmt sich Zeit, uns die Ladies vorzustellen. Hallo, das ist Dingsbums, die tut das, und da ist Bumsding, die lässt jenes. Ist schon okay, besonders für den Buttman hier im Chronistenstand. Und für den Film- und Musikzitaterater vom Dienst, natürlich, der hier und heute wieder einen Field Day hat. Da, die Treppe, "Last House on the Left". Da, der Song, "Das Geheimnis der Schwarzen Handschuhe". Und da, die urplötzlich abservierte, eben erst als solche eingeführte Hauptdarstellerin. "Panzerkreuzer Potemkin".

Fünfundvierzig Minuten Gequatsche bis zum ersten Toten. Mancher, der glaubte, er sei in einen Actionfilm gegangen, muß da schwer geschluckt haben. Aber wer sagt, daß du von Tarantino einen formelhaften Genrefilm bekommst. Auch wenn solche hier geschätzt, zitiert und gewürdigt werden. Noch aber hat der Q-Man einen höheren Anspruch. Gewiß, Tarantino ist nicht der große Innovator. Aber er ist ein großer Kenner und Sammler, und er weiß zu verquicken und kunstvoll zu verpacken. Der perfekte Regisseur für die DJ-Ära. Die richtige Mischung aus Hommage und eigenem Stil, aus Zitategewitter und Pop-Fetisch, aus gewolltem Bahnhofskino-Look und erlesener handwerklicher Finesse will schließlich auch erst mal gefunden werden. Ach, und ja: Wenn es denn kracht, dann kracht es richtig. Lange hat mich kein Gewaltausbruch mehr so aus der Hüfte erwischt wie dieser in der Mitte von "Death Proof". Ich würde sagen, seit "Irreversible" nicht. 45 Minuten Anlauf bringt auch eine Menge Schwung, wenn der Hieb so sitzt wie dieser. Erwartet habe ich ihn jedenfalls nicht. Und, Gott, ist die galoppierende Ente geil.

Die Kiddies aus meinem gegenwärtigen Orbit, meine U-24, wenn man so will, habe ich auf anderen Spielplätzen als dem Filmtum kennen und schätzen gelernt. Aber ein paar von denen sehen natürlich trotzdem gerne Filme. Ich würde sagen, je krimineller, desto lieber (hihi). Die halten, wenn ich das mal mit uns früher im gleichen Alter vergleichen darf, Tarantino für einen großen Meister. Für den Gegenwartsfilmemacher schlechthin. Und seine Filme für solche, die man mit den anderen gar nicht vergleichen kann. Nicht mal mit seinen Epigonen, wie Ritchie und Rodriguez. Das sind Jungs, die acht oder neun Jahre alt waren, als "Pulp Fiction" in Deutschland lief. Die sehen Tarantino heute so, wie wir 1984 einen Stanley Kubrick oder Martin Scorsese gesehen haben. Und sieben bzw. elf Jahre alt waren, als "Uhrwerk Orange" oder "Taxi Driver" heraus kamen bzw. die Diskussionen darüber liefen. Der Meister. Das amtierende Genie. Und daran hat sich erfreulicherweise durch "Death Proof" nicht das geringste geändert.

Was mir aber fast noch mehr behagt: "Death Proof" gefällt auch den Frauen. Denn das ist Tarantino sicher von allem das Wichtigste. Du willst doch beim Videoabend nicht den Saufkumpel, sondern die heiße Frau beeindrucken, in dem du ihr diesen geilen Actionfilm aus den 70er Jahren zeigst, in dem ja so viel mehr drin steckt als man auf den ersten Blick sieht. Also, ich wollte das immer. Mit neunzigprozentiger Wahrscheinlichkeit findet die Frau den Film natürlich scheiße, und tut im freundlichsten Fall so, als könne sie ihm etwas abgewinnen. Um dich nicht zu enttäuschen. Aus Tarantino-Filmen aber kommen viele Frauen heraus wie frisch gefickt. Strahlend, mit roten Bäckchen und leuchtenden Augen. Fühlen sich angerührt. Das war so bei "Pulp Fiction" wie bei keinem anderen Tötenboxenhartemännerfilm der letzten hundert Jahre, änderte sich bei "Jackie Brown" und "Kill Bill" nur unwesentlich und setzt sich mit "Death Proof" nun fort. Ihr wollt Proof? Noch mehr als die ganzen "Pulp Fiction"-Plakate in jedem Mädchenzimmer der späten 90er Jahre? How’s that: Meine wunderschöne, blonde Zahnärztin hat sich WEGEN "DEATH PROOF" EINEN FORD MUSTANG GEKAUFT.

Manche gebrauchen ja das Wort Fanboy. Ich mag das nicht. Es hat etwas massiv herablassendes, als spräche man von einem geistig Behinderten. Nennt man einen, der viele Bücher liest, einen Fanboy? Nennt man einen, der gern zum Angeln geht oder lieber am Auto rumfummelt als an der Alten, einen Fanboy? Warum also ziehen sich Filmfreunde freiwillig so einen ungesunden Schuh an, stets freilich mit laufender Rotznase auf den anderen Filmfreund deutend. Nenn mich einen Fanboy, und ich breche dir den Kopf. Ich wette, der Richter hätte Verständnis. Aber gut. Ein einziges mal, und dann nie wieder: Wie sieht das aus, wenn enttäuschte Fanboys einem Fanboy vorwerfen, ein Fanboy zu sein? Als wenn sie ihm die Weiber und die kreative Klasse und den Erfolg neideten. So sieht das aus.

Tarantino mache nur mehr das, was ihm und seiner Anhängerschar gefiele, flennt das normalerweise zurechnungsfähige OutNow und diagnostiziert stellvertretend für viele unangenehme Selbstverliebtheit. Ich aber frage: Für wen sollte er denn sonst Filme machen? Und werft ihr das einem Woody Allen oder Wong Kar-wai oder Ingmar Bergman auch vor? Tarantino macht immer noch Filme, die er selbst gerne im Kino sehen würde. Und er liebt es, den Helden seines Lieblingskinos Referenzen zu erweisen. Und diese im günstigen Fall erwidert zu bekommen. Und er mag Ärsche. Genau wie Fellini. Und wie ich. Mancher mag das spätpubertär finden, aber mit dem möchte ich nicht zum Angeln fahren (und der nicht mit mir). Ich nenne es: Integer bleiben. Verläßliche Größe sein. Größe.


* Zu "Inglorious Basterds" und den damit verbundenen Erwartungen sei abschließend mein guter Freund Roland zitiert (Gatte besagter Zahnärztin, jetzt stolzer Mustangpilot): „Ist doch schön, wenn einer zur Abwechslung mal ein gutes Remake aus einem schlechten Klassiker macht.

Bearbeitet von hoolio21, 18. März 2009, 03:26.

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#57 hoolio21

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Geschrieben 25. März 2009, 00:26

Zu den schönsten Stadionerinnerungen der jüngeren Vergangenheit gehört ein Moment aus den späten 90er Jahren. Lokalderby im Olympiastadion, Bayern mit Heimrecht gegen 1860. Ich sitze mit meiner damaligen Lebensgefährtin und heutigen besten Ex von allen im Block X (dem Block to be for the likes of us) auf halber Strecke zwischen Südkurve und Scampi-Loge. Über uns lacht die Sonne vom bayrisch blauen Himmelszelt, und bei komfortabler Führung geht von der Südkurve aus ein Gesang erst leise und dann immer lauter und schließlich zum Orkan anschwellend durchs weite Rund. Zur Melodie von „Lehmann, das war deine Schuld“ singen Fünfzigtausend inkl. eures ergebenen Autoren aus voller Kehle.

Hässler, deine Frau geht fremd.
Hässler, deine Frau geht fremd.
Hässler, deine Frau geht fremd.
Die HU - RE !

Dazu sollte man wissen, daß die Frau des verdienten deutschen Nationalspielers Thomas Hässler damals tatsächlich ein schlagzeilenträchtiges Verhältnis zu irgend einem fränkischen Erdmännchen unterhielt. Und ich glaube kaum, daß "Icke" das Spiel danach mehr Spaß gemacht hat als vorher.

In der Allianz Arena singen wir kaum mehr alle zusammen, höchstens noch das Bayern-Echo, und die Ultras heute haben andere Lieder. Die singen Schalalalaaa, zwei Stunden lang, scheißegal, wie es steht, oder was unten auf dem Spielfeld passiert, und schwenken ihre albernen Doppelhalter. Gott, wenn in den frühen 80ern einer gekommen wäre und hätte sich mit einem Megaphon vor uns aufgebaut und gesagt, „So, wenn ich es sage, dann singt ihr alle Schalalalaaa ...“. Teeren und federn wäre nur der Auftakt gewesen. Doch ausgerechnet diese dünkelhaften Gecken und politisch korrekten Milchbrötchen sind allein als Schafherde funktionsfähig. Zu Äußerungen einer Schafherde. Sitze Block 216 Platz 7, falls sich jemand beschweren will.

Letztens sitze ich mit meiner geschätzten Ex, ihrem neuen Lover (Gymnasiallehrer für Chemie und Bio) und meinem guten Freund und Kollegen, dem einstmaligen Howl- und heutigen Damenmagazin-Macher Ecki Vollmar, am Samstag Nachmittag auf der Couch, und gemeinsam betrachten wir das Auswärtsspiel des FC Bayern München gegen den Verein für Leibesübungen aus Bochum. Mit dabei direkt zwischen uns (und obwohl ein längerer Aufenthalt in meiner bescheidenen Hütte für Kinder ungefähr so geeignet ist wie die Teilnahme an einem Komasaufen in einer belgischen Zuhälterkneipe): Eckis fünfjährige, bezaubernde, für ihr Alter spektakulär intelligente Tochter.

Wir gucken also guten alten Fußball. Und bald fliegen auch schon die damit verbundenen, deutlichen Worte. Macht man eben so, wenn man mitfiebert. Ich finde, Kinder müssen da durch. Und müssen trotzdem nicht alles nachmachen dürfen. Quod licet Jovi. Man will sie ja auch irgendwann mit ins Stadion nehmen. Die Kleine zum Beispiel hatte ihr Debüt am Samstag gegen Karlsruhe. Also sollen sie sich ruhig daran gewöhnen. Und wenn irgendwann mal direkt vor dem mit seiner Bogenhausener Soccer Mom angereisten Vorschulschlachtenbummler ein vierzigjähriger, dicker Trunkenbold sich schwankend aus der Sitzschale empor schraubt und mit hervorquellender Halsschlagader dem homophilen Koproliten im Tor des Gegners das Zertrümmern der Schädeldecke in Aussicht stellt, dann ist das in meinen Augen eine sinnvolle Erziehungsmaßnahme. So ist das Leben, kleine Ratte. Und das ist kein Kinderspielplatz. Sondern ein Männerspielplatz (in Al Bundy’s voice).

Was aber, wenn ich meinem Freund oder Nachbarn oder Gegenspieler nun etwas mitteilen möchte, was die kleine Ratte, äh, das bezaubernde Kindlein auf keinen Fall hören soll. Wenn ich meinem Kumpel zum Beispiel erläutern möchte, wie selbst eine Frau einen hundertprozentigen Finishing Move im Kampf der Geschlechter setzen kann, ohne daß ich will, daß das kleine Mädchen diese Technik am Montagmorgen gegen den Silberrücken der Förmchenbande anwendet. Dann weiß, wie so oft, die wundervolle Welt der Filme Rat. Denn es gibt ja den „Gehörschutz“ aus "Old School" (nicht zu verwechseln mit „Gehörsturz“ oder „Görlitz“). Hat sich nach kurzem Üben schon voll gewährt. Erwachsener sagt „Gehörschütz“, und das kleine, frisch aus einem Astrid-Lindgren-Film gefallene Ding hält sich brav die Ohren zu. Und schon kann ich dem Ecki verraten, daß man dazu dem liegenden Partner mit gestreckten Beinen und Fersen voran von oben herab geradewegs in die Leibesmitte springt. Solche Informationen sind ja nichts für kleine Kinder. Da muß man schon etwas verantwortungsvoll mit umgehen.


Neu im DVD-Regal
(Erstausgaben)


L’Auberge Rouge (Komödie/Horror F 07)
Hoch oben am Alpenpass liegt ein Gasthaus und hat schon bessere Tage gesehen. Denn seit die Umgehungsstraße gebaut wurde, verirren sich nur noch selten Kutschen mit Reisenden herauf. Die Wirtsleute haben aus der Not eine Untugend gemacht und halten sich an den Habseligkeiten der wenigen Gäste schadlos, nachdem man diese gewaltsam aus dem Weg räumte, vulgo, an die Schweinchen verfütterte. Heute Nacht gibt’s seit längerem mal wieder ein richtiges Gedränge um die Tröge, und dabei kommt so manches anders als geplant. Zehn Jahre vor "Psycho" und zwanzig vor dem "Texas Chainsaw Massacre" öffnete in Frankreich die rote Herberge ihre Pforten, um arglose Gäste auf Nimmerwiedersehen zu verschlingen. Jetzt gibt’s ein Remake, welchem Puristen zu recht und wie immer den Verlust ursprünglicher Fein- und Schönheiten vorhalten. Wer den Klassiker hingegen nicht kennt, könnte eine Menge Spaß haben an dieser schwarzen Burleske und unter Umständen sogar Appetit bekommen, sich bei Gelegenheit das reizende Original mit Fernandel (Don Camillo) zu Gemüte zu führen.

Bachna Ae Haseeno (Komödie Indien 08)
Raj ist ein netter Kerl, doch nicht für Zuverlässigkeit berühmt. Immer mal wieder macht er einer Dame schöne Augen, verspricht ihr das Blaue vom Himmel und jodelt ihr noch einen, nur um sich bei der ersten Ablenkung oder Veränderung im Leben zu verabschieden, einer anderen zuzuwenden, und die dann genauso unglücklich zu machen. Bis er an eine gerät, in die er sich richtig verliebt. Und die den Spieß eiskalt umdreht. Über zwei Jahrzehnte und drei Beziehungskisten erstreckt sich die Handlung dieser indischen Hochglanzkomödie um die Resozialisierung eines Playboys durch die Macht der Liebe. Und nach längerer Zeit geht es dafür (der Rückblende wegen) auch mal wieder zu den Eidgenossen. Brauchbar, erste Bollywoodwahl. (oder müssen wir schon Mullywood sagen)

Beer for My Horses (Action /Komödie US 08)
In einer beschaulichen Landgemeinde des amerikanischen Mittelwestens haben Sheriff Racklin (Country-Barde Toby Keith) und seine rustikalen Deputies (u.a. Redneck-Comedian Rodney Carrington und der bogenschießende Hardrock-Gitarrengott Ted Nugent) wenig mehr zu tun, als von Zeit zu Zeit einen militanten Ehekrieg zu schlichten oder der Crystalmeth-Mafia ein Labor zu sprengen. Nun aber lockt die Festnahme eines mexikanischen Drogenbarons größeres Gangsterkaliber an. Recklin poliert ihnen die Fressen und bricht dann mit seinen Kumpels zum Gegenbesuch über den Rio Grande auf. Ungehemmt xenophobes und Good-Old-Boy-mäßiges Honky-Actionkrachfest, das ich genau deswegen mal uneingeschränkt empfehlen möchte. Wie bei Chuck Norris zu besten Zeiten.

Bikini Bloodbath (Horror/Komödie US06)
Ein Massenmörder im Gewand eines Küchenchefs lichtet die Reihen abschlußpartywilliger Hochschulabsolventen. Ein seltsamer Film. Selbstironie reicht nicht, Selbstverarschung trifft’s eher. Very low budget, doch professionell anmutend. Filmschule, in etwa. Bevölkert von seltsamen Vögeln, die sich ungebührlich betragen. Früher, in Köln, in den 70er Jahren, gab es eine Fußballgang namens Mörderclub. Die war so berüchtigt, daß gegen Ende der 70er der FC Köln an sich nur mehr der Mörderclub geheißen wurde. Das waren fette alte Männer, übles Spelunkenpack, schweinsäugige Berufsverbrecher, heruntergekommene Altrocker der Beat-Ära, schlecht tätowierte Bierfässer mit glasigen Blicken und lichtem Haarkranz, monströse Pykniker mit breiten Zahnlücken, die mindestens schon einmal im Knast gesessen haben mußten, um überhaupt Mitglied werden zu dürfen. Die Fans in den Kurven raunten einander zu, daß sogar nur derjenige Mitglied im Mörderclub werden durfte, der schon einmal jemanden getötet habe, doch das verweise ich mal ohne nähere Kenntnis der wahren Umstände ins Reich der urbanen Legende. Fiese Kölner Alt-Asos jedenfalls, die weder Gnade noch Hemmungen kannten und vor überhaupt nichts halt machten. Die Bullen traten die einfach nur vor sich her Richtung Stadion, das muß man sich heute mal vorstellen („da, tötet beim Fußball“). Kennt ihr Jürgen Zeltinger? So wie der Plaat, nur mit wesentlich höherer krimineller Energie. In Bikini Bloodbath bekommt man einen ganz entfernten Eindruck, was ich meine. Wartet einfach ab, bis das sogenannte High School Football Team seinen eigenen kleinen schwulen Ringelpiez veranstaltet. Seit dem Zombie an Bord der Segelyacht in "Woodoo" hat mich nichts mehr optisch so an den Mörderclub erinnert. Wenn das kein originelles Qualitätszeichen für einen amerikanischen Teen Slasher ist.

Crows Zero (Jap 07) "Kurozu zero"
Schüler gründen Gangsterbanden an Japans härtester Hochschule und empfehlen sich damit als Nachwuchs- oder Führungskräfte für die jeweiligen Familienbetriebe. Typischer Takashi-Miike-Kinohit. Hübsche Knaben geben sich computergame-mäßig auf die Glocke in der Adaption eines Bestseller-Comics, besondere sadistische Rohheiten bleiben diesmal die Ausnahme.

Fog ² - Revenge of the Executed (D 07)
Oliver Krekel, Mastermind hinter dem Astro-Label, fährt übers Wochenende ins dänische Seebad, gedenkt, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden, und inszeniert vor Dünen- und Ferienhauskulissen den spartanischst denkbaren Wehrmachtszombieaufstand der an billigen Wehrmachtszombieaufständen nicht eben armen D-Movie-Geschichte. Faktisch unbeleuchteter No-Budget-Mummenschnarch ohne Geschichte und Effekt. Im Grunde nur ein paar blasse Typen, die sich sechzig Minuten lang hölzern über etwas Uninteressantes unterhalten. Auf dem Running Commentary kommt Krekel wie ein netter Kerl rüber, aber was hilft das, wenn seine Filme so aussehen. Werde ich nie verstehen, daß Leute, die so viel gute Filme sahen, so niedrige Ansprüche an sich selbst haben. Amateurdreck. Die deutsche Krankheit. Alibifreie Scheiße.

Invasion - Angriff der Körperfresser (US 05) "Infection"
Bei Albert Pyun muß man sich mit Superlativen in acht nehmen, doch in der Videowoche habe ich einfach mal frech behauptet, daß der Regisseur von "Cyborg" und "Nemesis" garantiert noch nie einen so billigen und originellen Film wie diesen gedreht hat. Beide Behauptungen kann ich zwar nicht beweisen, aber ihr könnt sie auch nicht widerlegen angesichts dieses hundertprozentig einzigartigen und damit hinreichend als originell definierten Alien-Invasionsthriller, der im übrigen nicht mehr als hundert Dollar gekostet zu haben braucht. Weil er nämlich komplett aus der Perspektive einer einzigen Frontscheibenpolizeikamera gefilmt ist und ausschließlich einen nächtlichen Waldweg zeigt. Fünf oder sechs Leute laufen hier und da mal durch die Kegel der Autoscheinwerfer, der Rest ist lupenreines Hörspiel. Man könnte sogar von einer Mischung aus Licht- und Hörspiel sprechen. Wie man sie bisher nicht kannte. Pyun, du verrückter Fuck. Finde ich das jetzt gut, frech, dummdreist, oder beleidigend. Vielleicht von allem ein bißchen. Und das ist wahrhaftig ja soviel tausend mal mehr Positives, als ich bei allem Lügen je über diesen Kot vom Krekel sagen könnte. (der es bestimmt noch gemanaged hat, teurer zu sein als das hier)

My Sassy Girl (Komödie US 07)
Student Charlie will einfach nur keinen Ärger, doch das Schicksal meint es bös mit ihm und lenkt seine Liebe auf die nur äußerlich zauberhafte Jordan (Elisha Chuthbert, Kim Bauer aus "24"). Im Gegensatz zu, sagen wir mal, "Dharma und Greg", will dieser romantische Beziehungsklamauk der Marke unkonventionelle-Ausgeflippte-trifft-Yuppie-mit-Stock-im-Arsch für den Po nicht funktionieren. Was daran liegen könnte, daß dem Film in geschlagenen 90 Minuten kein triftiger Grund einfällt, warum irgend jemand diese asoziale, strohdoofe und unfassbar gefühlskalte Titelheldin mögen sollte. Was den männlichen Helden gleich co-diskreditiert (was will der überhaupt von ihr?). Basierend auf einer gleichnamigen koreanischen Liebeskomödie, die hoffentlich besser funktioniert.

Poultrygeist (US 06)
Fast-Food-Gigant American Chicken Bunker eröffnet seine neue Filliale geradewegs auf einem alten Indianerfriedhof und provoziert damit nicht nur massive Bürgerproteste, sondern auch eine handfeste Zombiekatastrophe. Mittendrin und zerrissen zwischen beruflicher Pflichterfüllung und Liebe zur properen Tierrechtlerin Wendy steckt der anämische Pommesbäcker und Supernerd Arbie. Wird ausgerechnet er sich zum Retter der Menschheit aufschwingen im unvermeidlichen jüngsten Fast Food Gericht. Natürlich wird er das, ist er doch das ultimative Alter Ego des anämischen Judennerd im Regiestuhl, dem Trashfilmpapst und Troma-Diktator Lloyd Kaufman. Immer schon zollte der Chronist jenen Filmemachern besonderen Respekt, die ihr kreatives Potential mit offen ausgelebten Sexfetischen und Perversionen verbanden. Titten-Meyer, Brass und Fellini, die Buttmen, Tarantino, der Fußfetischist, die Voyeure Hitchcock, Lynch und De Palma, der Spankograph Polanski. Nicht die schlechtesten, was? Kaufman, schätze ich, steht auf jene Form der Sexualität, wo sich die Leute gegenseitig in allem möglichen Schleim, Flüssigkeiten und Schmodder besudeln. Hier bedeutet das naturgemäß Blut und Eingeweide, aber eben auch Fäkalien und „natürliche“ Körperausscheidungen aller Art. Darin windet und wendet Kaufman jeden mindestens einmal, der sich in seine Produktion verirrt. Und genehmigt sich selbst einen fast lausbubenhaft charmanten, supersüß selbstironischen Gastauftritt als erwachsenes Alter Ego seines filmischen Teenager-Alter-Egos. Zu kompliziert? Nun, hier platzen Polizisten in Scheißefontänen, und daran ist wenig kompliziert. Und wieder spielt faszinierenderweise (wie damals in den deutschen Lederhosensex- und Hexenhorrorfilmen) die ganze lokale Community begeistert mit, Nachbarn vom Rentner bis zum Vorschulkind sind vertreten, ganz so, als wären nackte DD-Cups, Hühnerficker und Kastrationen auf offener Straße in Brooklyn das normalste von der Welt. Mach ruhig weiter so, alter Mann.

Der Rebell des Königs (Drama Skan 06) "Snapphanar"
Als nach dem Dreißigjährigen Krieg die munter daran beteiligte schwedische Arme neue Betätigungsfelder a.k.a. Einkommensquellen sucht, wird man beim kleinen Nachbarn Dänemark fündig. Dänen, die sich gegen Besatzer und Quislinge auflehnen, nennt man Schnapphähne, Europas erste organisierte Guerilla. Mit Dänen, Schweden, Norwegern, Finnen und Litauern beteiligen sich gleich fünf skandinavische bzw. kriegsbeteiligte bzw. Ostsee-Filmnationen an dieser unterhaltsamen und um historische Detailgenauigkeit bemühten Verherrlichung einer nationalistischen Terroristenbande.

Red (US 08)
Eine marodierende Gruppe jugendliche Asozialer (in Amerika natürlich mit echter Knarre unterwegs) erschießt grundlos den Hund des alten Avery. Avery geht zum Sheriff, doch der vermag nur eine Ordnungswidrigkeit zu erkennen. Avery beschwert sich bei den Eltern der Sorgenknaben und bekommt Verständnisloses zu hören. Avery konfrontiert die Jugendlichen direkt und bekommt Beleidigungen zu hören. Avery geht zum Fernsehen, und jetzt brennt der Busch. Wie sich die Dinge zuspitzen, wenn so ein typischer Michael Kohlhaas unbeirrt den Pfad des Gerechten beschreitet, zeigt anschaulich und spannend dieses auf einer Geschichte des sogenannten Splatterpunkers Jack Ketchum basierende Kriminaldrama von und mit Charakterdarsteller Brian Cox ("L.I.E.").

Two Worlds – Zwischen den Welten (F 07) "Les deux mondes"
Benoit Poelvoorde, Darsteller des Berufsmörders aus "Mann beißt Hund", fällt durch das heimische Sofa in eine phantastisch anmutende Bronzezeit und versucht sich als (Frauen-)Held im Freiheitskampf eines unterdrückten Volkes. Aufwendig ausgestattetes Culture-Clash-Fantasiespäßchen der schlichteren Sorte, in dem die vom Beziehungskrieg geprägten Gegenwartsszenen besser funktionieren als die actiongeladenen Ausflüge in die Frühzeit. Kein weiter Wurf, aber - ceterum censeo - die Franzosen versuchen es wenigstens.

Zimmer 401 (Thriller F 07) "La disparue de Deauville"
Der abgehalfterte Kommissar Renard (Christopher Lambert) genießt sowieso schon das Misstrauen beinahe der gesamten Abteilung, als der Veteran auch noch behauptet, eine seit dreißig Jahren tot Revuekünstlerin zu daten. Vor den Kulissen der französischen Kanalküstenstadt Le Havre entspinnt sich ein verzwickter Film-Noir-Reigen. Lambert fand ich lange nicht mehr so überzeugend wie hier, und Sophie Marceau ist als Femme fatale und Regisseurin auch nicht fehlbesetzt.

Bearbeitet von hoolio21, 25. März 2009, 02:56.

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#58 hoolio21

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Geschrieben 16. April 2009, 00:41

Ein ausgekochtes Schlitzohr
(US 77 "Smokey and the Bandit")

Autoraserverherrlichungen wie "Smokey and the Bandit" oder "Auf dem Highway ist die Hölle los" sind nicht weniger elementare Bestandteile meiner Filmjugend und Persönlichkeitsbildung als Zombiefilme oder Italowestern. Und hätten wahrscheinlich mehr Leute umgebracht als alle populären Heroin-, Selbstmord- oder Landminenglorifikationen zusammen. Wenn es letztere gäbe. Aber hochglänzende Breitwandwerbung für hirnloses Rasen ohne Gurt und Bremse, die gab es. Und für Alkohol natürlich, denn der war mal weder eine Droge noch gefährlich. Sondern männlich. Männlich wie Burt Reynolds.

Zwei Redneck-Millionäre dürstet nach texanischem Bier. Weil es schnell gehen muß und die Einfuhr des Stoffes nach Mississippi verboten ist, engagiert man den Helldriver für alle Fälle. Schwarzbrenner Bandit (Burt Reynolds), erprobt im Gefecht mit heimischer Bullerei, soll den Trank in Rekordzeit herbei schaffen und hat auch schon eine knorke Strategie parat. Während nämlich Kumpel Cledus mit dem Beertruck gen Heimat donnert, wird der Bandit in seinem auffälligen Pontiac Trans-Am drum herum kurven, alle Aufmerksamkeit der Highway Patrol auf sich lenken und die Männer des Gesetztes in verlustreiche Verfolgungsjagden verwickeln. Wie, um sich zusätzlichen Anreiz zu schaffen, lädt er sich in Texas noch ein heißes Fräulein zu (Sally Field). Die ist gerade einem grenzwertig geistesschwachen Bräutigam vor dem Altar davon gelaufen, was weiter kein Problem wäre, wenn jener nicht der Sohn des kompromißlosen Texas-Sheriffs Buford T. Justice wäre. Für diesen Bluthund der alten Westernschule ist es fortan eine Ehrensache, dem frivolen Banditen nicht mehr von der Spur zu weichen.

Burt Reynolds soll einmal gesagt haben, der einzige gute Film, den er je gedreht hätte, sei "Deliverance" gewesen. Was bedeutet, daß er den cineastischen Wert von Sachen wie "Smokey and the Bandit" realistisch einzuschätzen wußte. Davon aber sollte niemand schließen, dass "Smokey and the Bandit" nun etwa, um es filmwissenschaftlich zu formulieren, Scheiße wäre. Im Gegenteil. Gemessen an seinem Anspruch verrichtet der Film seine Arbeit ausgesprochen solide. Reifen quietschen, Motoren jaulen, Blech kracht mit Schmackes auf Blech und anderswo hin, es gibt was zu lachen und auf die Glocke. Die Stunts sind first rate, und weil es technisch um wenig anderes geht, wird der Bock zum Gärtner bzw. der Stunt Crack (führend damals in seinem Metier: Hal Needham) zum Regisseur gemacht.

Burt Reynolds, populärster US-Star der 70er höchstwahrscheinlich, spielt einen charmanten Kriminellen, dessen Verbrechen hauptsächlich darin bestehen, anmaßende Autoritäten lächerlich zu machen. Begleitet wird er vom unvermeidlichen komischen Sidekick, der bei Schlägereien und Flirts grundsätzlich den kürzeren zieht, mit Bauernschläue aber trotzdem zum Ziel kommt und seinen eigenen komischen Mini-Sidekick hält in Form eines Basset (das ist eine wie der bayrische Biergartendackel akut vom Aussterben bedrohte, damalige Modehunderasse, die cool aussieht an orangem Plastikkugelsessel). Als Gegner steht den Helden ein gewisser Jackie Gleason gegenüber, respektierter Comedy- und Sangesstar, der eine populäre TV-Show in den 60ern hatte und hier das beliebte (Horror-)Kinoklischee vom vierschrötigen Sheriff des Südens so nachdrücklich verkörpert wie kaum ein zweiter seit Rod Steiger in der Hitze der Nacht.

Sally Field, ausgerechnet, spielt so etwas wie die intellektuelle Großstadtpflanze und fragt den Bandido zum Beispiel, ob er gern Elton John hört (Gag!). Zum Ausgleich geizt sie nicht mit beträchtlichen Reizen und unterwirft sich schnell jenem Männchen, das sie zu nehmen weiß. Der Sohn vom Sheriff, ihr ursprünglicher Bräutigam, fällt nicht in diese Kategorie, in guter amerikanischer Tradition wird der Sohn des Bullen schlimmeren Schmähungen ausgesetzt als sein bemitleidenswerter Nachfahre Ralphie bei den Simpsons (der aber wenigstens von seinem Vater geliebt wird). Gleason hasst seinen Sohn innig, so einer kann nicht von ihm sein, wenn er heimkommt, wird er der Alten erst mal die Fresse polieren. Diesem Ensemble lässt der Regisseur alle Freiheiten, so daß man getrost davon ausgehen kann, daß Reynolds und Gleason ihre Szenen nach Gutdünken gestalten, eingeschränkt allenfalls vom Korsett der Physik. Und Spaß haben, der sich auf den Betrachter überträgt.

Viel saufen und schnell fahren, schnell fahren und viel saufen, lauten die immer gern von männlicher Seite vernommenen Botschaften der Chose. Anders als bei "Convoy" ein Jahr später fehlt eine kritische Haltung, und anders als in den "Gator"-Filmen, wo Reynolds auf einen wesentlich unangenehmeren Südstaatenbullen prallt (Ned Beatty, das Schweinchen Dick aus "Deliverance"), das ernsthafte kriminalistische Motiv. Aber wer braucht schon beides, wenn er eine Bier- und Crash-Party feiern will.


Der Dieb von Bagdad
(GB 40 "The Thief of Bagdad")

Über all den Ärger in den letzten paar Jahren mit Saddam, Selbstmordattentätern und zivilistenköpfenden Moslemmilizen hätte man beinahe vergessen, daß Bagdad früher einmal pink angestrichen war, in den Bergen lag, und von einem liebenswerten weißhaarigen Opi regiert wurde, der am liebsten den ganzen langen Tag mit herzigem Kinderspielzeug vertat. Ein Despot, wie ihn jeder mag, samt anmutiger Tochter, die auf jeden Fall der Verfasser mag (June Duprez, rothaarig mit Pausbäckchen wie Diana Rigg und bernsteinfarbenen Katzenaugen). Auch der böse Zauberer, der lieber Sultan wäre anstelle des Sultans (des Spielzeugnarren), verfällt dieser Traumgestalt mit Haut und Haaren. Conrad Veidt, Ufa-Exilant an der Themse ("Nazi Agent"), funkelt drei Jahre vor seinem Tod noch mal nach allen Regeln der Teufelskunst und tut, was ein Superbösewicht eben tun muß. Liebhaber aus dem Weg räumen, Vatern erst be- und dann erstechen, Willen der Tante brechen. Mehr scheint gar nicht nötig. Doch hat unser Wizard of Gore die Rechnung ohne den coolsten Knaben aus der Kolonie gemacht.

Denn wisse, oh Ungläubiger, "Der Dieb von Bagdad" ist der perfekte Film für kleine (und große) Jungs. Was die Erwachsenen in hundert Jahren nicht hinbekommen, dass gelingt dem Wunderknaben hier mit links. Während der Lover der Sultanstochter und eigentliche Held der Geschichte ständig nur zagend hinterher guckt, wie er seines Glückes beraubt, gequält und geprellt wird, und der Bösewicht mit der Geliebten am Horizont verschwindet, so gelingt dem 15jährigen Jungen, was immer er Tollkühnes ausheckt. Ob Ausbruch aus dem Kerker bei dräuender Körperstrafe im Morgengrauen (für Minderjährige: Abhacken sämtlicher Gliedmaßen), Diebstahl des Allessehenden Auges aus dem gut bewachten Himalayatempel, trickreiche Unterwerfung eines mordlustigen Dämonen oder die Rettung des Freundes in letzter Sekunde vom Schafott - alles kein Problem für das braungebrannte kleine Großmaul namens Abu. Dargestellt vom drahtigen fünfzehnjährigen indischen Kinderstar Sabu, Sohn eines Elefantenführers (mahut), der zwei Jahre zuvor die internationale Bühne betreten hatte passenderweise als Darsteller eines jungen Mahut in "Der Elefanten-Boy". Habe sowohl den als auch den "Dieb von Bagdad" schon als Kind in den Sonntagsmatineen im Kino gesehen. Keine Ahnung, in welcher Reihenfolge, aber das hat mich sicher mehr konditioniert als allen späteren Sommerblockbuster zusammen (die sich hier zumindest im Falle von "Indiana Jones" mit beiden Händen bedienten).

In seiner entfesselten Farbenpracht und abenteuerlichen Realitätsferne ist "Der Dieb von Bagdad" eine pure Eskapismusreaktion auf den "Blitz", die Bombenschläge der Deutschen und eine möglicherweise bevorstehende Invasion. England rückte zusammen am Kamin (an der Front stand man seit Dünkirchen nicht mehr), und wenn man sich ablenken wollte, dann sollte nichts Graues die Leinwand trüben. Wenn ich mal aus der Hüfte geschossen so eine Art persönliche Top 5 der prachtvollsten Leindwand-Farbbilderräusche aller Zeiten aufzählen müsste, dann teilten sich vermutlich Dario Argentos Art Deco- und Jugendstilkompositionen aus der mittleren 70er-Schaffensperiode den 5. Platz mit ihren eher gotisch angehauchten Mario-Bava-Vorbildern aus den Sechzigern. Auf Platz 4 läge der frühe Roman Polanski mit "Rosemary’s Baby", "Was?" und "Chinatown" knapp hinter den unfassbar strahlend ausgeleuchteten Doris Day/Rock Hudson-Komödien der späten 50er und frühen 60er. Alleine, auf Platz 2, und optisch zuweilen wie ein Hybrid aus Platz 5 und dem folgenden wirkend, die Kim Novak/Jimmy Stewart-Fantasykomödie "Meine Braut ist übersinnlich".

Nichts aber im Kinoreich kitzelte je umfassender den Sehsinn des Chronisten als die unfassbar aufwendigen englischen Technicolor-Melodramen der 40er von Emeric Pressburger und Michael Powell. Dem Michael Powell, der sich später vorübergehend aus der kulturellen Society katapultierte, als er die Schrecken der Moderne für den Zeitgeschmack etwas zu direkt vorweg nahm mit dem (natürlich farbenprächtigen) Schlitzerdrama "Peeping Tom". Genau der zeichnet auch für den "Dieb von Bagdad" verantwortlich. Ich würde gerne behaupten, moderne Filme reichten heran an irgend etwas vom Aufgezählten, aber außer dem einen oder anderen Ding von Takeshi Kitano scheint Farbe an gegenwärtige Filmemacher verschwendet. Macht ja nichts, haben dafür andere Qualitäten (Blut, Zoten, Schnittgewitter).

Bearbeitet von hoolio21, 16. April 2009, 03:43.

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#59 hoolio21

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Geschrieben 23. April 2009, 00:20

Habe nie einen Führerschein gemacht (oder sonst irgend einen Schein). Was wahrscheinlich auch gut so ist, da ich sonst kaum hier schreiben würde. War zwischen 1983 und 1990 kaum einen Tag nüchtern, und allein in dieser Zeit haben sich vier meiner Freunde aktiv oder passiv totgefahren, plus einem, der knapp gefehlt hat mit immerhin schon offenem Schädel. Daß ich nicht mit unter dem Haufen Toter liege, ist purer Zufall, Gelegenheiten hatte der Sensenmann genug. Allein Klaus Pschorr (* Name von der Redaktion geändert) hätte mich zwei- bis dreimal töten müssen. Dieser legendäre Titan des Straßenrowdytums und beleibte Meister der spektakulären Wahnsinnstat auf Rädern war Transporteur unserer bevorzugten Wahl, wenn wir uns vom Tegernsee ins Olympiastadion und retour bewegten. Klaus war Gründungsmitglied der Hooligan-Gang Red Tigers, Neffe eines Polizeiwachtmeisters und Pilot eines blitzschnellen Audi Dingsbums (fragt mich nicht nach Automarkendetails). Als fassdicker und nicht eben hübscher Kerl hatte er es schmerzhaft schwer bei den Frauen. Was er möglicherweise am Steuer kompensierte.

Für die Strecke von der Ortsmitte Bad Wiessee bis zum U-Bahnhof Giesing benötigen Normalsterbliche bei geringem Verkehrsaufkommen eine gute Stunde und Normalraser etwa 45 Minuten. 1985 legte sie der Klaus mit mir, dem Bomber und einem Skinhead aus München mal in gestoppten 31 Minuten zurück, inklusive Überholmanövern wie jenem am westlichen Seeufer, bei dem der Klaus drei vor ihm her kriechende Autos des entgegenkommenden starken Verkehrs wegen kurzerhand mit quietschenden Reifen rechts auf einer Parkbucht voll entsetzter Badegäste überholte. Bomber und ich saßen hinten, hatten zum Glück schon vormittags einen sitzen und deshalb jede Menge Spaß am Horrortrip. Der nüchterne Glatzkopf auf dem Beifahrersitz allerdings, ein Schrank von einem Eisenhans, stieg in Giesing aus und war weiß wie ein Laken. „Oh Mann,“ sagte er wieder und wieder. „Oh Mann.“. Und in der Luft lag der Geruch von verbranntem Gummi.

Zwischen 1984 und 1986 war ich vermutlich angstfrei. Ich hatte keine Furcht vor dem Tod. Bin damals zum Beispiel mit nem Kumpel aus dem Pott zu zweit von unten nach oben durch den Kölner Block im Olympiastadion marschiert, in der erklärten Absicht, da Stunk zu machen. Die ganze beschissene Red Army wimmelte um uns rum wie aufgeregte Ameisen, und wir sind trotzdem irgendwie heil rausgekommen. D.h., mein Freund hatte eine blutende Nase und ich ne gespaltene Oberlippe. Bei unserer Rückkehr in die Südkurve wurden wir gefeiert, und die Kölner versuchten in der zweiten Halbzeit vergeblich, uns zu stürmen (ging 4:2 für uns aus, das Spiel auf dem Platz, nachdem Köln schon 0:2 geführt hatte). Nachher gab’s noch ’ne geile Straßenschlacht mit mehreren hundert Beteiligten. Ist natürlich Quatsch, aber wie ich es mir einbilde, nur wegen uns. Furchtlos jenseits der Deppengrenze. Anders, glaube ich, wäre es auch gar nicht möglich gewesen, sich zu Klaus Pschorr ins Auto zu setzen. Einmal fuhren wir von einem Fußballspiel in München zurück mit elf Leuten im Audi 100. Wie so ein Rekordversuch bei Wetten daß. Klaus am Steuer, ich auf dem Beifahrersitz, ein Mädel auf meinem Schoß, und ein kleiner Typ zu meinen Füßen (im Fußraum!). Auf dem Rücksitz vier Leute sitzend und eine Dame quer liegend darüber. Zwei Typen im Kofferraum (hallo Chris, liest du mich?). Wie schnell kann man jetzt noch fahren. Mit Klaus am Steuer? Wildgänse rauschen durch die Nacht, mit 180 Sachen. Leider hörten wir dazu nicht Wagner, sondern vermutlich Black Flag, Wilfrieds Heidelbeern, oder The Virgin Prunes. Oder "Frankie Teardrop" von Suicide, was auch supi gepasst hätte.

Zwischen der Autobahnausfahrt Holzkirchen (München-Salzburg) und Gmund, der nördlichsten Stadt am Tegernsee, liegt Kreuzstraße. Ein sagenumwobener, blutgetränkter Ort, an dem die Landrennpiste von Bad Tölz nach Rosenheim die von München zum Tegernsee kreuzt. Könnte man easy entschärfen und entstauen, in dem man wie vernünftige Franzosen etwa einen Kreisverkehr daraus machte. Aber dann gäbe es ja keine Horrorcrashs mehr, wie in "Mad Max". Wenigstens stand 1985 schon eine Ampel da. Bloß scherte sich Klaus Pschorr um diese einen Dreck. Mit Vollgas flog er in der Nacht drauf zu und ungebremst bei Rot darüber, es kommt ja eh wahrscheinlich gerade keiner. Und wenn schon: No risk no fun. Mit elf Leuten im Auto!

Ihr findet, Typen wie der Klaus Pschorr seien das Letzte? Ich nannte und nenne ihn meinen Freund. Wird ja keiner gezwungen, sich zur Windhexe auf den Besen zu setzen. Aber auch sonst. Ein tolldreistes Arschloch, das der Gesellschaft den Finger entbietet. Ohne Feigheit und Skrupel, ohne Niedertracht und Dünkel. Seine Fahrkünste hat er überlebt, aber mit dem Heroin steht’s fürs erste nur auf unentschieden (die Krankheit der alten Hoolgarde). Man spuckt aus vor Leuten wie dem Klaus, doch im Kino liebt man solche Wahnsinnigen. Burt Reynolds in "Smokey and the Bandit", Sam-Peckinpah-Typen, die Biker in "Stone", Johnny Depp in "Fluch der Karibik". So ein Leben gibt’s aber nicht mit Vernunft, Verantwortung und Lebensversicherung (den drei großen F). So was gibt’s nur auf der falschen Spur.

Bahn frei für


Kesse Mary Irrer Larry
(US 74 "Dirty Mary Crazy Larry")

Gucke zur Zeit vergleichsweise häufig Autoraserfilme, und zwar zufällig und unabhängig von "Death Proof". Kommen einfach so herein geschneit. Wie "Dirty Mary Crazy Larry", den mir Frank Brauner als Präsent mitbrachte zum freitäglichen Kulturforum in meiner bescheidenen Hütte. Man dankt! Der Frank Brauner übrigens, der schon für Howl und Splatting Image schrieb und den Kanal Filmclassics auf Premiere betreut. Habe noch keinen größeren Experten und Spezialisten für Roughies, Sexfilme und Hardcore der 60er / 70er getroffen oder gelesen als den Frank. Den sollten die hier gastgebenden Veranstalter des Pornfilmfestes mal als Walrat Beirat erwägen, und der wäre auch ein großer Gewinn als Autor für dieses Forum. Aber Brauner ist ein spezieller Fall und schwer zu fassen. Habe ihm schon x mal gesagt, er soll sich das hier mal anschauen, aber es interessiert ihn nicht die Bohne (scheißt auf mein Tagebuch!). Vielleicht ändert sich das ja, wenn ich anfange, über ihn zu schreiben.

Der irre Larry hat das perfekte Verbrechen ersonnen, und die kesse Mary wanzt sich zum unpassendsten Zeitpunkt an ihn ran. Dann gehen beide, obwohl sie sich scheinbar nicht besonders gut leiden können, gemeinsam auf die Flucht vor der Polizei. Deren hartnäckigster Repräsentant die Sache höchstpersönlich nimmt (Vic Morrow im - schluck - Helikopter). Ein Film in Dritteln. Erstes Drittel tollkühner Raubzug. Eine überraschend durchdachte und spannende Angelegenheit mit einem uncreditierten Auftritt von Roddy McDowall. Den kennen manche als profilierten Kinderstar des britischen Kinos der 40er oder als Oktavian aus "Cleopatra", und gewiß alle hier als Pauker mit Pistole aus "Die Klasse von 1984" oder Peter Vincent, Vampirjäger, aus "Fright Night" (womit der Kreis zum Regisseur sich schließt). Zweites Drittel Flucht im blauen Auto. Drittes Drittel Flucht im gelben Auto.

Den Begriff kess kenne ich vom Kessen Vater. Harte Lesbe, weiß der Volksmund. Und Larry war für uns früher der Name eines typischen Vollidioten. So wie Detlef, Bobo oder Waldi. Kein besonders einladender Titel also, und der Hauptgrund vermutlich, warum ich "Kesse Mary, irrer Larry" nicht auf den zuständigen Videoabenden der Vergangenheit, sondern erst ziemlich spät und unlängst erstmals dank Frank sah. Der übrigens ein Problem mit Blondinen im allgemeinen hat. Ich dagegen habe nur ein Problem mit der Blondine in diesem Film, und die heißt Susan George. Alter Schwede, haben sie der vor Drehbeginn ein paar aufs Maul gehauen, oder sah die immer schon so derangiert aus? Fand sie in "Wer Gewalt sät" und "Mandingo" eigentlich ganz niedlich, aber hier beträgt sie sich wie eine Verrückte (von wegen irrer Larry …), hat die erotischen Reize einer Kurbelsirene mit einem Strohhut und sucht flehend nach Hilfe (auch mal im Objektiv), wenn sie wieder nicht weiß, welche Emotion sie gerade überagieren soll.

Peter Fonda ist da erwartungsgemäß keine rechte Unterstützung. Mal wie unbeteiligt ins Leere starrend, mal unmotiviert lachend wie ein Psychopath seine Texte hölzern rezitierend wirkt er wie ein rundum Bedröhnter. Die Karikatur jenes Drogenhippies, der er damals wohl war, nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Bikerfilm-Veteran Adam Roarke, der den Partner von Fonda spielt und mit den beiden Umnachteten im Fluchtwagen hockt, kennt die Symptome, ordnet sie richtig ein und macht das beste aus der Situation, in dem er sich zurück nimmt und seinen Part ansonsten ohne Fehl tut. Wissend, daß der Film trotzdem Kult werden könnte. Denn irgendwas muß er ja richtig machen, wenn Tarantino ihn so ausplündert.

Frankie, Frankie

Fahren! Frei fahren. Mit Vollgas schon die Strecke vom Wohnhaus bis zum nächsten Kaugummiautomaten absolvieren, draußen vor der Stadt aber fliegen wie der Pfeil. Sinnfrei immerrasen, weil der liebe Gott das Auto ja nur deswegen geschaffen hat. Komm nur, Bulle, wenn du Spaß verderben willst. Dann wirst du in den Straßengraben gerammt, oder in den Baum geschoben, auf jeden Fall aber der Lächerlichkeit preisgegeben. Die Straße jedoch gehört dem Rebellen Ohnegrund, wie er mit hundertfünfzig durch die geschlossene Schranke brettert, ohne nach links oder rechts zu gucken. Der irre Larry ist Klaus Pschorr. Der Klaus mit ner Frau und besseren Drogen. Der Sachen macht, die du gern sehen, aber nicht erleben willst. Der dem Tod ins Gesicht lacht.

Das Verdienst von Regisseur John Hough ist es, diese Szenen so zu gestalten, daß dem Zuschauer vom Zusehen schwindelig wird. Keine schlechte Leistung für einen Briten, der vom Hammer Horror kommt, auf dessen Konto der recht hübsche "Twins of Evil" geht, und der sonst nicht viel Nennenswertes in der Filmgeschichte hinterlassen hat. Ohne hektische Montage, ohne Effekthascherei auf der Tonspur und übertriebenes Stuntgewese ist jede Fahrt auf den Punkt choreografiert und in eine prachtvoll photografierte Landschaft gegossen. Egal, ob es nur über einen Hügel oder eine sich öffnende Hängebrücke, auf meilenweit schnurgerader Strecke durch die Prärie oder im zickzack durch klaustrophobisch anmutende Orangenhaine geht. Hätte den irren Larry gern im Kino gesehen, dort muß der Achterbahneffekt noch wesentlich dramatischer gewirkt haben. Die Schauspieler sind da nur ein Ornament am Rande und fallen gar nicht so negativ auf, wie sie angesichts ihrer Leistung müßten. Vielleicht holt die deutsche Synchronisation in diesem Falle ja auch noch was raus. Susan Sontag, äh, George, kann man (hier) nur verbessern. Und am Ende passiert, was in Autoraserfilmen leider viel zu selten passiert. Schaut’s euch nur mal an, damit es euch eine Leere ist.


Der total verrückte Mumienschreck
(GB 75 "Carry on Behind")

Wer immer das Gerücht aufbrachte, britischer Humor sei im Gegensatz beispielsweise zum deutschen oder französischen trocken, schwarz und hintergründig, verschließt bewußt die Augen und Ohren vor den "Carry on"-Filmen. Bei Monty Python saßen in England vielleicht ein paar Studenten, rebellische Kids und Drogenkonsumenten vor dem Fernseher. Vor der mehr als dreißigteiligen "Carry on"-Spielfilmreihe oder Benny Hill aber saß das ganze Volk, jahrzehntelang. Vermutlich gibt es auch noch viel schlimmere Klamaukexzesse im Königreich, die bloß nicht für den Export aufgetakelt warden. Aber die "Carry On"-Filme haben es bis zu uns geschafft. Als die Irrenfilme. Ähem, pardon, die "Ist ja irre"-Filme.

Aus der Grabbelkiste vom Müllermarkt im Tal blökt er mich an. “Nimm mich, irritierter Ästhet, der du hier nur so schnell wie möglich wieder raus willst.” Woher er wohl weiß, daß ich mich in Konsumpalästen unwohl fühle? “Nimm mich, Buttman, weil ich mit Elke Sommer bin, aus den frühen 70ern stamme und im Original Beachte den Arsch heiße! Das bedeutet bei diesen verklemmten britischen Klamaukpansen bestimmt Voyeurismus und Fetischsexanspielung bis zum Abwinken gepaart mit sogenannter Frauenfeindlichkeit und lustigem Chauvinismus auf niedrigster Schublade. Für nur vier Öre!” (5 Filme für zwanzig Euro!) Wer könnte da widerstehen. Also packe ich noch "Mr. Smith geht nach Washington", "Rosemary’s Baby", "Austin Powers" und "La Dolce Vita" mit drauf. Gut sortiert, diese Kisten.

Schlechte Nachricht zuerst: Elke spielt eine Russin. Muß schwer das R rollen und in Kolchosenjargon verkehren. Heißt Frau Vooshka, mit gefühlten drei u. Schade, hatte mich auf Nazigreuel gefreut. Immerhin spielt sie eine richtige Hauptrolle und schaut nicht nur auf ein Mooning vorbei. Die ganze Chose spielt auf einem Campingplatz, wo gleichzeitig irgendwelche britischen Bollos urlauben und ein verrückter Professor bei antiken Ausgrabungen (con Elke) auf - uiuiui - ein römisches Bordell stößt. "Carry on Camping" hatte es bereits 1969 geheißen, doch inzwischen darf man etwas mehr Haut zeigen, und so geht es gleich zurück auf den Zeltplatz, samt Striptease in der ersten Szene. Ein Striptease so lächerlich verfremdet und viktorianisch hochgeschlossen, daß er aus den englischen 50er Jahren zu stammen scheint. Was auch gut sein könnte, ist ja nur ein Film-im-Film-Einspiel.

Die gastgebenden "Carry on"-Vögel gefallen sich in den gängigen kleinbürgerlichen Andy-Capp-Klischees (dt. Willy Wacker). Urlaubende Ehepaare der Arbeiterklasse, die die nudelholzschwingende Schwiegermutter nicht abzuschütteln vermochten. Profilneurotische Campingkapos, trinkfreudige Oberlippenbärte und veranwortungslose Hundebesitzer. Schwerenöter in den besten Jahren, die es auf jüngere Helmfrisurträgerinnen abgesehen haben, welche einander des morgens vermutlich gegenseitig mit Zangen in die engsten Schlaghosen-Jeans aller Tage helfen. Und lieber mit den Bettelstudenten vom verrückt prüden Professor als mit den alten Zauseln um die Häuser ziehen. Na wartet, das gibt Rache. Missverständnisse in der Gemeinschaftsdusche, Übersetzungsfehler (Elke) oder Tücke des klebrigen Objekts befördern den einen oder anderen tiefen Einblick, und am Schluß hätte sicherlich so etwas wie eine Arschparade stattgefunden, wenn die Beteiligten nicht so prüde Tussen wären und dem Regisseur (haha) die Szene vermasseln. Weil alles aussieht wie im frühen Frühling oder späten Herbst gedreht, frieren sie vielleicht auch nur.

"Carry on Behind", der aus mir unerfindlichen Gründen in Deutschland "Der total verrückte Mumienschreck" heißt, ist ein schlampiger, schlecht gemachter Grimassenklamauk von lieblosem Äußeren und idiotischem Inneren. Selbst für einen "Carry on"-Film. Als Komödie nimmt es sich nichts mit Willy-Winzig- oder Lümmel-Schwänken, wenngleich ich letzteren höheres handwerkliches Niveau attestieren würde. Als Sexfilm funktioniert jeder deutsche Film aus derselben Zeit um Längen besser, selbst wenn es sich gar nicht um einen Sexfilm handelt. Elke trägt häufig einen spektakulären Wildleder-Fransenmini, zeigt endlos Bein und bückt sich zuweilen redlich, doch der Stoffel im Regiestuhl weiß weder Sinn zu stiften noch Gelegenheiten zu nutzen. Nicht ein freiwilliger Lacher gelingt ihm oder den Holzhackern auf der Leinwand. Hätte ich aber auch nicht erwartet. Ich hatte auf das gehofft, was mir die Verpackung im Müllermarkt zuflüsterte. Und davon war verdammt noch mal nicht eine Silbe gelogen. So gesehen guter Kauf. Vor allem für den Preis.

Bearbeitet von hoolio21, 23. April 2009, 03:11.

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#60 hoolio21

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Geschrieben 01. Mai 2009, 00:28

Ich schreibe zitternd im Zeitalter der Panik. Tschernobyl? Overkill! Gletscherschmelz? Klimakatastrophe! Platz 3? Trainerrauswurf! Fidibus? Fußballkrawall! Millenium? Computerchaos. Terroranschlag in New York? Krieg der Kulturen. Finanzmarktkrise? Ende des Kapitalismus. Mayakalender? Ende der Menschheit. Schweinegrippe? Schnelleres Ende der Menschheit. (Dabei wäre das ja wohl die erste sogenannte Pandemie, bei der die Zahl der Todesopfer von Tag zu Tag nach unten korrigiert wird.)

Wir sind die ältesten, reichsten, freiesten, schmerzfreiesten, glücklichsten, bedröhntesten, gebildetsten und gesündesten Menschen aller Zeiten. Und mal abgesehen von Teilen Schwarzafrikas gilt das für so ziemlich jedes Volk auf jedem Kontinent. Hundert bis hundertfünfzig mit dem Heiligen Geist ausgestatteten Generationen zuvor ging es schlechter. Jeder von denen hätte jederzeit mit jedem von uns getauscht, selbst ein dicker römischer Patrizier zu Zeiten von, sagen wir, Trajan. Und der konnte vergleichsweise nicht meckern. Ich gehöre erst zur dritten Generation, die das Licht, das warme Wasser und die Heizung anmacht. Zur zweiten, bei der die Narkose funktioniert, die Filme sieht, Fernsehen schaut, und in den Urlaub fährt. Die die Frauen mitreden lässt, Kinder kaum noch schlägt, und weitgehend frei entscheidet, was sie im Leben einmal machen will. Und zur ersten, die alle Filme, alle Musikstücke und alle Ärsche der Welt im TV, Supermarkt oder Worldwide Web auf dem Silbertablett erhält.

Unsere Vorfahren buckelten, schufteten und starben für Adelige, kannten Farben vom Kirchenfenster, aßen alle Tage Hirsebrei und hatten vom Meer vielleicht mal gehört. Luxus war ein Stuhl, ein passender Schuh, oder Salz. Wir essen beim Japaner, kleiden uns in die Mode aus Gallien, sehen die Filme der Amerikaner, rauchen das Kraut der Libanesen, baden im Meer der Inder und halten uns Adelige als gesellschaftliche Hofnarren. Unser Proletariat betäubt sich auf Plüschsofas vor Plasmafernsehern mit schottischem Whisky, türkischen Fleischbrötchen und tschechischen Designerdrogen. Und wenn Hartz IV gekürzt wird oder das Benzin mal wieder teurer wird oder Kurzarbeit bei Daimler droht, dann wird geheult über unsere unfähigen Politiker. Werden soziale Unruhen beschworen. Dann wollen wir Bankerköpfe rollen sehen.

Mein Großvater mütterlicherseits ist 1939 aus der Haustür gegangen und 1956 wieder herein gekommen. Das ist noch gar nicht so lange her. Stell dir das vor. Sie nehmen dir 17 Jahre deines Lebens, ohne dich zu fragen. Starke, wichtige, junge Jahre, in denen andere flirten, Kinder kriegen, tolle Sachen lernen, Geld verdienen, im Biergarten hocken. Erst dreht dich Adolf durch den Wolf, dann Stalin. Und dann schmeissen sie deine Reste zurück ins Leben, und du hast gefälligst zu funktionieren. Und zum Dank hast du nicht deine Pflicht getan, sondern bist (nach moderner Lesart) ein Verbrecher. Ich hab ihn nie jammern hören. Meinen Vater, den dicken Wirtschaftswunderkapitän, der die Front in der Wochenschau gesehen hat (vor einem Zarah-Leander-Schmandt), trotz drei Ehen noch dick Knete hatte, in einer Alpenpostkarte wohnte und bei klarem Verstand 88 Jahre alt wurde, dagegen schon. Und wie. Das war auch so ein richtiger Checker. Der wußte, was abgeht.


Halloween
(US 07)

Eine Zweitsichtung. Die aus unerheblichen Gründen bemerkenswerte Erstsichtung fand wenige Wochen vor der deutschen Kinopremiere im Münchner Maxx-Kinocenter statt, im Rahmen der intimsten Pressevorführung, die je zu besuchen ich das zweifelhafte Vergnügen hatte. Statt der üblichen eine Million Münchner Filmfritzen mit Lizenz zum Senfen verloren sich nur deren fünfe im Untergeschoss vor der hermetisch abgeriegelten Kinotür, jeder davon ward mit persönlicher Einladung zum Tatort gebeten. Mich hattte die Ehre getroffen, weil die Verleihfirma auf eine Review im Branchenblatt "Blickpunkt: Film" Wert legte, und ahnungslos hatte ich zwei Freunde hinzu gebeten. Meine Begleitung Nr. 1, der Cineast und Produktionsmanager Roland L., wurde glatt wieder weggeschickt. Begleitung Nr. 2, eine nicht der Filmszene verdächtige, befreundete Lehrerin, durfte als meine vorgebliche Lebensgefährtin ausnahmsweise mit hinein. Auf die Finte, mich als metrosexueller Polygamist auszugeben, kam ich leider erst, als es für Roland bereits zu spät war.

Nach etwa einer Viertelstunde, wenn zum ersten mal das originale "Halloween"-Musikthema erklingt und der kleine Michael Myers die Niederknüppelung seines Schulhofpeinigers in ernsthafte Erwägung zieht, riß ich im kleinen Kinosaal wortlos beide Arme hoch wie bei einem Treffer im Fußballstadion. Muß komisch ausgesehen haben für die deutlich in der Überzahl befindlichen Pressebetreuer, Verleihtanten und Flughafenschleusen-Wachwuffis hinter mir. Ich hatte zwar die guten Szenen noch gar nicht gesehen, wußte aber nun, daß ich auf dem Weg war. Robert Wolfgang Zombie würde mich nicht enttäuschen. Als ich das Kino anderthalb Stunden später verließ, war man interessiert an einer vorläufigen Einschätzung. “Schade,” sagte ich sinngemäß. “Schade, daß der Film seinen Helden schändlich verrät. Was für ein unbefriedigendes, unoriginelles Finale. Nach der besten ersten Halbzeit im Hollywoodhorrorkino des jungen Jahrtausends.”

Gehöre zu denen, die John Carpenters "Halloween" in jugendlichem Alter bei seiner Erstaufführung im Kino sahen. Angesichts des wenige Monate zuvor gelaufenen "Dawn of the Dead" fanden wir diesen Horrorfilm nicht besonders hart oder blutig. Da wir ihn in den folgenden Jahren aber immer mal wieder in Videosessions würdigen würden, spricht vieles dafür, daß wir ihn spannend, atmosphärisch dicht, vielleicht sogar schön (Musik!) und hinreichend wirkungsvoll fanden. Gewiß ist "Halloween" einer der Filme, die ich in meinem Leben am häufigsten gesehen habe, acht bis zehn mal, würde ich schon tippen, und auch nicht ausschließen, daß noch Sichtungen folgen. Man könnte also getrost von einer Art Lieblingsfilm sprechen (in weitestem Sinne, wenn es, sagen wir, hundert davon gäbe). Die Sequels haben mir nicht mehr gefallen (im bemerkenswerten Unterschied zu dem einen oder anderen "Freitag"), nicht mal der zweite Teil, von späteren Aufgüssen ganz zu schweigen. Am interessantesten fand ich noch diesen obskuren dritten Teil, "Season of the Witch", der überhaupt nichts mit Carpenters Originalidee zu tun hatte. Nun läuft Rob Zombies "Halloween" auf Premiere, ist erstaunlicherweise in erträglichem Maße gekürzt (nicht, daß es solch ein Maß gäbe), und es wird Zeit für eine zweite Meinung.


Mama, Papa, Zombie

Vorhang auf für die dysfunktionale White-Trash-Familie par excellence. Mama strippt, Papa säuft und prügelt (und ist gar nicht der richtige Papa), die ältere Schwester vögelt in der Gegend herum, die jüngste wird vernachlässigt, und der zehnjährige Sohn quält Nachbars Miezekatzen, wenn er nicht gerade selbst gequält wird von Nelson, Jimbo, Dad oder dem komplett verständnislosen Lehrer. So weit, so nachvollziehbar. Viele finden das klischeehaft, besonders im Rahmen eines Zombie-Films (einen Fulci-Zombiefilm schreibe ich ohne Bindestrich). Ich finde es okay. Irgendwo müssen Wut und Motivation ja herkommen. Wären euch Computerspiele oder Horrorfilme lieber? (die gucken hier die Guten)

Zombie verzichtet auf jeden übernatürlichen Lack. Der Michael im Original könnte so komplett motivationslos auch gut ein vom Teufel Besessener oder Dämon (oder Zombie) sein. Zombies Michael dagegen ist zunächst überhaupt nicht das ultimative Böse. Er ist ein lieber, hübscher Junge, den bloß mal jemand hätte drücken und verstehen müssen. Der unter Komplexen leidet, die ihm keiner nimmt, sondern jeder nur verstärkt. Der sich hinter Masken versteckt, nicht um zu töten, sondern um zu verschwinden. Der am liebsten gar nicht da wäre. Und der zuviel auf einmal für einen Tag einstecken muß (“dann macht es einfach schnapp!”). Wenn er dann irgendwann losmarschiert, los legt, dieser kleine Steppke im feuerroten Clownskostüm hinter der viel zu großen, bleifarbenen, bösen Maske, bebt die Erde bei jedem seiner Schritte. Die Kraft ist entfesselt. Zahltag. Halloween. Nacht der langen Messer.

Manche verübeln Zombie diesen Verzicht auf ein mystisches Element, aber das ist eben seine Interpretation der Geschichte. Einer Geschichte und einer Figur, die sich gefallen lassen muß und das Privileg genießt, in Amerika zu kulturellem Allgemeingut erhoben worden zu sein. Wie Graf Dracula, Al Capone, oder Batman. Amerikanische Gotik. Wo jetzt jedes Jahrzehnt aufs neue komische Leute kommen und ihre Vision davon erstellen. Weil sie irgendwann im Kino mal so beeindruckt waren. Rob Zombie ist aus denselben ehrenhaften Gründen Regisseur geworden wie Quentin Tarantino. Weil er ein durchgeknallter Film-, Subkultur- und B-Movie-Freak ist. Und Filme wie die seinen selbst sehen wollte. Sich aus seiner Position an "Halloween" zu vergreifen, ist ein Wagnis fast, als wenn Tarantino ein Remake von "Clockwork Orange" ankündigen würde. Und für solche Verhältnisse schlägt er sich wacker.

Michael Myers wandert in die Kriminalpsychiatrie, verdrängt das Mordgeschehen in eine interne Stahltruhe, und trifft auf Dr. Labersack (Malcolm McDowell, no pun intended). Der behauptet zwar, daß er Wissenschaftler wäre, redet aber ununterbrochen abstrakten Blödsinn über das “abgrundtiefe Böse” und schreibt auch noch ein fettes Buch darüber und seinen unmündigen Patienten (mit dessen unverfremdeten Bild auf dem Cover). Der aber versteckt sich angesichts solcher Zustände hinter Masken (selbstgemalt, hübsch gruselig), stellt mit der Zeit das Reden ein und kann sich nicht zuletzt deshalb keinen Anwalt nehmen. Zum Ausgleich wird er über zwei Meter groß und eine tierische Kante.

Es ist diese Entwicklung, die mich kurzzeitig zweifeln ließ. What the fuck. Wieso wird aus so einem Knaben so ein Goliath. Ist das ein Zufall? Dann hätte das unsagbare Böse aber Glück gehabt. Hätte ja auch 1.55m klein bleiben können, wie Lionel Messi, oder in der Gummizelle verfetten, mit viel Cheeseburger und null Bewegung. Stattdessen aber wird aus Michael ein gewaltiger Wrestling-Kleiderschrank, gegen den selbst Rob Zombies vereinigte Hardcore-Gangstervisagen allesamt wie lachhafte Gartenzwerge wirken (Sid Haig ist 1.93m groß, Ken Foree 1.96m!). Da kommt also plötzlich doch so ein mystisches Element herein. Warum dann aber das so auffallend um rationale Erklärungen bemühte Vorspiel? Und eine weitere Frage drängt sich auf: Wieso sollte einer noch Messer benutzen, wenn er Frauen wie Telefonbücher zerreissen kann.

Mit der Stahlkette beim Gefangenentransport verliert Michael nicht viel Zeit, mit manchem Wärter aber lässt er sich welche, bevor er pünktlich zu Halloween den schützenden Mauern der Klapse entspringt. Über mangelnde Brutalität in solchen Szenen kann sich niemand beschweren. Ob Michael aus der Klinik ausbüchst, einen Trucker auf dem Männerklo wrestelt, die eigene Familie oder Lauries soziales Umfeld auslöscht, immer sind die Killaktionen auf den Punkt choreografiert und von schmerzhafter Nachvollziehbarkeit. Nur selten benutzt er Messer, zumeist lässt er die Umwelt mit jenem zur Ader, was gerade greifbar ist. Keine hübschen Bilder sieht man da in ungekürzten Langversionen. Nicht zu sadistisch im Torture Porn Sinne, aber viel krasser als alles im vieles allenfalls andeutenden Carpenter-Original. Empfehlenswert in diesem Zusammenhang auch mal wieder die Lektüre der "Halloween"-Review in Hahn/Jansens kurzweiligem "Lexikon des Horror-Films". Lest, lacht, und stellt sie euch hiermit vor.

In dem Moment, in dem Michael zurück kehrt nach Haddonfield, um mit seiner kleinen Schwester Wiedervereinigung zu feiern, ungefähr eine gute Stunde nach Filmbeginn also, beginnt Zombie damit, Einstellungen eins zu eins aus dem alten "Halloween" zu kopieren. Laurie und ihre Freundinnen gehen die Straße entlang. Hinter ihnen weht der Wind durchs Herbstlaub. Laurie blickt aus dem Fenster des Klassenzimmers und entdeckt Michael. Erst steht er da unten neben dem Baum, dann wieder nicht. Michael heftet den Lover mit dem Tranchiermesser an die Wand. Tritt einen Schritt zurück. Betrachtet ihn. Legt den Kopf schräg. Michael begegnet der Freundin in Bettlaken und Brille. Und so weiter. Fast immer aus der gleichen oder einer sehr ähnlichen Perspektive wie im Original. Zombie sagt uns damit, daß er ein Remake dreht. Den originalen Carpenter-"Halloween" noch einmal. Und er sagt es uns nicht durch die Blume, er sagt es uns mit dem Holzhammer. Kreative Freiheit nimmt er sich, in dem er jenen Teil der Geschichte schafft, für den Carpenter weniger Interesse zeigte.

Es ist zwei Filme. Mal fahren wir auf der einen, mal auf der anderen Spur. Ein sehr eigenes Psychohorrorkammerspiel von Zombie. Ohne mystisches Element. Eine Carpenter-Hommage by the numbers von Zombie strikt nach Carpenter. Mit mystischem Element. Beides handwerklich tadellos und auf seine Weise seinen Zweck erfüllend, dem eigenen Anspruch mindestens genügend. Die formale Verbeugung ist wuchtiger gradliniger Horror, trägt der Unentrinnbarkeit der Originalfigur Rechnung und präsentiert einen intensiven, in seiner physischen Substanz selbst ohne übernatürliches Element unzerstörbar wirkenden Schwarzen Mann. Die Sachen aus Zombies kreativem Universum ähneln zuweilen manchem, was der Herr schon gemacht hat, aber das ist noch keine Schande. Da fühlen er und seine Leute sich offenbar zu Hause, das können sie. Nicht immer ist beides stimmig miteinander verbunden, zum Ende hin wurden manche meiner hohen (und vielleicht auch recht persönlichen) Erwartungen enttäuscht. Zuweilen aber und besonders in Halbzeit 1 funkelt der Film vor dunkler Kraft. Ein weiteres Beispiel für prachtvolle kreative Sumpfblüten im gegenwärtigen, ach so vorhersehbaren Hollywood. Obwohl es doch ein Remake ist. Und last, but not least: Dem Original zur Ehre gereichend. An sich, und im Detail.

Bearbeitet von hoolio21, 01. Mai 2009, 04:35.

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