10 prägende Kinoerlebnisse, parte due
6.
Two Thousand Maniacs
ca. 1987 / Werkstattkino München
In den trostlosen späten 80er Jahren dreht keiner mehr Horrorfilme (außer Clive Barker und Jörg Buttgereit). In den Videotheken stehen selbst Filme wie "Beverly Hills Cop" gekürzt herum, und von der Horrorwelle, die noch vor einem halben Jahrzehnt durchs Land schwappte, sind nur mehr mystisch verklärte Erinnerungen geblieben. Es gibt noch kaum Magazine oder Bücher, die einem brauchbare Hintergrundinformationen liefern, und erst wenige Videotheken kommen auf die Idee, ihr Repertoire durch fremdsprachige Originalfassungen zu bereichern. Fachgeschäfte wie das Videodrome oder das Hard To Get sind noch nicht geboren, Filmbörsen weitgehend unbekannt. Eine der wenigen Möglichkeiten, Filme jenseits der Norm oder von den schwarzen Listen zu sehen, ist das Münchner Werkstattkino in der Fraunhoferstraße. Die Fraunhoferstraße im alternativen Gärtnerplatzviertel wird so etwas wie unser Wallfahrtsort. Im Wienerwald, dem späteren Isargrill, treffen sich die Bayernhools, im Baadercafe in der angrenzenden Baaderstraße Punker und Drogenpoeten, im Optimal in der zulaufenden Jahn-Straße wartet eine gewaltige Auswahl von Underground-Platten, T-Shirts, subversiven Bücher und Fanzines auf den solventen Käufer, und im Werkstattkino guckt man sich abends gerne noch einen Film an. Das Werkstattkino ist kein Kino wie jedes andere, sondern, zumindest auf den ersten Blick, ein Loch im Boden eines dunklen Hinterhofes eines Wirtshauses (Der Fraunhofer). Wer sich hinunter wagt, stößt auf einen freundlichen Skinhead, der einem ein paar Märker abknöpft, und dann darfst du in einem kahlen, kleinen Kellerraum mit allenfalls fünfzig Sitzen Platz nehmen und auf eine Leinwand kaum größer als fünf nebeneinander hängende Filmplakate blicken. Es ist intim, die Filme sind grundsätzlich sehenswert, es gibt nie Werbung, meistens coole Kurzfilme zuvor, und manchmal, besonders im Sommer, kommt einmalige Stimmung auf.
Wenn wir vom Tegernsee mit der halben Bande anrücken, füllen wir zwei bis drei Reihen, und es ist ganz schön was los im Zimmerchen unter der Erde. Man trinkt Augustiner aus der Bottle von der Wirtschaft nebenan, in alter Tradition zu junge Mädels quieken ausgelassen in Erwartung einer künstlerischen Offenbarung (oder eines Phallus im Anus auf der romantischen Toilette mit "Street Trash"-Flair). Die biertrinkende Bomberjacke fraternisiert mit dem Straight-Edge-Punk (Ecki!) und der Cineasten-Hornbrille (Jörch!), und der pulsierende Treffpunkt gebiert Subkultur-Boheme im Aufbruch. Arm wie Kirchenmaus und null Einfluß, aber viel Wut und große Ziele. Hier treffe ich zum ersten mal Leute wie Howl-Gründer Thomas Gaschler, den Maskenbildner und Regisseur Sammy Balkas, die Friscopunk-Szenequeen Arabella Akossy, die die Dickies und Henry Rollins kennt, Thomasso Schultze, den damaligen Nonoyesno-Schreihals und späteren Blickpunkt:Film-Chefredakteur, die im China der Kulturrevolution geborene, spätere Prinz-Chefredakteurin Cloat Gerold, oder die Gebrüder Norbert und Andreas Schiegl, hochgeschätzte Musikredakteure heute alle beide. Auf der Leinwand sehen wir zum Beispiel "The Texas Chainsaw Massacre" und "The Texas Chainsaw Massacre 2", "Die Frau mit der 45er Magnum", "I Spit on Your Grave", "Wir kommen und werden euch fressen", eine denkwürdige Fulci-Retro mit "Syndikat des Grauens" (!) und so schräge Sachen wie diesen abgefahrenen englischen Zombie-Biker-Film aus den 60er Jahren, dessen Titel ich leider vergessen habe ("Psychomania"; thanx, pasheko). Bei "Maniac" kommt der Staatsanwalt persönlich mit den Bullen vorbei und nimmt gleich die Filmrolle mit, kriegt aber irgend etwas Entbehrliches und auf keinen Fall "Maniac" in die Hand gedrückt. Und bei den Filmen von Richard Kern demonstrieren aufgeputschte Frauenrechtlerinnen medienwirksam ihr gestörtes Verhältnis zur Kunstfreiheit.
Keine Werkstattkinoaufführung aber übertrifft in meinen Augen die von "2.000 Maniacs". Seit Jahren wollen wir diesen „zweitersten“ und mutmaßlich besten aller frühen Splatter Movies unbedingt sehen, McCarty und Incredibly Strange Films haben dafür gesorgt. Doch der ist ebenso wie alle anderen Herschell Gordon Lewis-Filme scheinbar nie je irgendwo in Europa erschienen. Jetzt aber soll es so weit sein, und wir sind mit einer wahren Horde angerückt, den Event zu begehen. Südstaatler, die lachend Nordstaatler killen. Genau mein Ding. Aber auch der Film ist nicht allein gekommen. Zum ersten mal erlebe ich im Werkstattkino eine Präsentation. Joe "The Professor" Coleman, Urgestein des New York Underground, ist persönlich auf Europatournee gegangen mit "2.000 Maniacs". Coleman ist bekannt dafür, schon lange vor Erfindung des Suicide Bombings mit Dynamitstangen behangen auf öffentlichen Veranstaltungen aufzukreuzen. Heute aber begnügt er sich mit einem bayrischen Bier in der Hand und erzählt in sichtlich aufgeräumter Stimmung Anekdoten, historische Zusammenhänge und Wissenswertes über die Attraction, which we are about to see. Wir lauschen gerührt und andächtig diesem echten, lebenden Beatnik mit Bärtchen und Barett. Was der wohl von uns denkt. Es gibt Trailer, den Vorfilm "Lupo the Butcher", und schon geht’s los. Those magic moments. "2.000 Maniacs" ist fix resümiert. Pünktlich zum hundertsten Jahrestag ihrer Einäscherung durch Shermans Nordstaaten-Anakonda (Amerikas erster Vernichtungskrieg = gegen sich selbst) ersteht eine Südstaatengemeinde von den Toten und kümmert sich um alle an diesem Tag zufällig vorbei kommenden Nordstaatler. Ich bin wie hypnotisiert: Menschen, die aussehen wie die Typen in "Flipper" (auch Florida, selbe Zeit), hacken kurvenreiche Playboy-Bunnies to bloody pieces. Offensichtliche Schaufensterpuppengliedmaßen und Laiendarsteller trüben nicht im geringsten die farbenprächtige Wucht des Dargestellten, und der wilde Bluegrass-Sound der Pleasant Valley Boys fügt sich wie angegossen an die unerhörten Bilder. Eine neue Tür tut sich auf, mit einem Land dahinter, weiter und größer als unser von den populären Genres und Kinohits der jüngeren Vergangenheit begrenzter Filmhorizont. Wir haben es eben betreten.
7.
Wild at Heart
1990 / Kino an der Weissach, Rottach-Egern
Christian hat es noch vor mir geschafft. Hat den Film zu seinem Beruf gemacht. Zwar nicht in jener Form, wie es mir vorschwebt (Berufswunsch nach Tierforscher und Revolutionär seit ca. 1978 : „Filmjournalist“), aber kaum minder romantisch und perfekt. Der begabte Maler, entspannte Ruhepol unserer Truppe und größte Clint-Eastwood-Fan, den ich nach mir kenne, ist der hauptamtliche Filmvorführer im Kino an der Weissach. Ein hübscher großer Saal mit Sesseln und Beinfreiheit, vom erfolgreichen Dorfvideothekar Rottach-Egerns zwecks sinnvoller Geschäftserweiterung im Untergeschoß eines Supermarktes im Landhausstil geschmackvoll eingerichtet und ziemlich erfolgreich. Die reichen Witwen belieben ins Kino zu gehen, und weil das Publikum im Tegernseer Tal anspruchsvoller und weltläufiger ist als anderswo am Land, kann man hier ganz gut Oscar-Filme, Arthouse und Feuilleton-Streitfälle gucken. So zwischen Bond, Batman und Bruce Willis. Wir haben einen weiteren Vorteil. Wir können es ohne Werbung sehen.
Nachts, wenn die Main Street von Rottach dem Dachs gehört, rollt das Kulturkommando Süd zum Spezialeinsatz. Durchs dunkle Treppenhaus geht’s leise hinab, die Tür hinter uns fällt zu, das Licht geht an, und das ganze schöne große Kino gehört uns allein. Erst einmal in Ruhe einen Kaffee aufgesetzt, den wird es brauchen, und mit dem Bier, das man sich mitbrachte, wird nicht herum gespritzt. Schließlich sind wir nicht zum Randalieren, Klauen oder Scheiße bauen gekommen, sondern zur Fortbildung und Bewußtseinserweiterung. Der Typ, dem das Kino gehört, hat unseren Respekt, ich kenne ihn seit sieben Jahren, bin einer seiner besten Kunden. Er ist nicht der Zuhälter, von dem ich bei „Alucarda“ sprach, sondern ein fleißiger, freundlicher Unternehmer, der mit was Gutem reich geworden ist. Möge er hundert Jahre alt werden. Heute auf dem Programm: Das Liebesdrama "Wild at Heart". Gewinner der Goldenen Palme zu Cannes, Skandalnudel der Saison, weithin im Vorfeld verrufene Sex- und Gewaltorgie. Den
mußten wir sehen.
Von Teilen meines Freundes- und Bekanntenkreises werde ich gewissermaßen als Ketzer betrachtet, weil ich kein uneingeschränkter Freund des andernorts glühend bewunderten Filmemachers David Lynch bin. Ich halte Lynch für einen begabten Stilisten und Strategen, der es versteht, profane Unterhaltungsware vermengt mit klafterweise eigenen Obsessionen experimentell als hehre Kunst zu verkleiden und für Tiefgang zu verkaufen. Mit "Blue Velvet" als perfekter Wiederaufführung von "Des Kaisers neue Kleider". Ich meine, Hopper herumhampeln und Fuck sagen lassen. Hat einer "Das Messer am Ufer" gesehen? DAS kann man von Hopper kriegen. Das ganze Theater kommt doch nur daher, weil die Amerikaner David Lynch so kinky finden. Spricht mich das als Europäer etwa an? Keine Frage, "Eraserhead", "Der Elefantenmensch" und die frühe "Twin Peaks"-Serie haben ihre Meriten, auf ihre Weise. Aber das war, bevor Lynch der Darling der Kultursnobs und zum selbstverliebten Trash-Zirkusdirektor wurde. So, da habt ihr’s. Und warum finde ich dann "Wild at Heart" so geil? Hänge im Sitz mit leuchtenden Augen und Ständer, verschlinge jedes optische und akustische Detail dieser phänomenalen bunten Wundertüte aus Mord, Moral, und Analverkehr. Weil ich die Zielgruppe bin! Weil Lynch seinen Trash exakt für mich anrichtet. Weil ich durchschaue, was er tut, und ihm trotzdem zum Opfer falle, da es mir so gut gefällt. Weil ich gelebt habe, um zu sehen, wie Nicholas Cage eine Frau von hinten im Schritt anhebt, mit dem Gehirn seines Gegners auf Marmor malt, Willem Dafoe sich onscreen die Birne wegbläst (an die Zimmerdecke!), und die FSK eine 16 dafür auspacken muß, weil das ja Kunst ist. „Ha, ha.“ (Nelson) Sailor nimmt ein wenig zu wenig Drogen, um Lula glaubwürdig zu ertragen, aber es ist okay, es ist Lynchs Phantasie. Danke fürs blenden, du Blender.
8.
Terminator 2
1991 / Filmtheater im Lamm, Garmisch
Ich habe mal, ganz am Anfang des Tagebuchs, geschrieben, ich sei ein Film- und nicht ein Kinofan. Das stimmt auch. Und genauso, wie ich hier die zehn prägenden Kinoerlebnisse auftische, werde ich irgendwann, wenn ich mal Lust dazu habe, zehn bemerkenswerte Video-Sessions oder zehn spektakuläre Fernsehereignisse rekapitulieren. Da passieren dann auf jeden Fall krassere Sachen als im Kino. Doch für einen guten Kinofilm fahre ich zur Not immer noch meilenweit. Damals wie heute. Und das sogar ganz ohne Auto (isch ’abe keinen Führerschein). In den späten 80ern und frühen 90ern heißt das Ziel nicht nur immer wieder Werkstattkino München, sondern immer öfter: Filmtheater Garmisch.
Don’t call it Garmisch-Partenkirchen. Das mögen sie gar nicht. Denn das sind zwei verschiedene Orte, die sich hassen, und irgendwann mal zusammengefasst wurden in einer unpopulären, innerlich nie ganz vollzogenen Gemeindereform. Das besondere an Garmisch: Es ist eine US-Army-Stadt. Und das besondere am Kino im Garmischer Gasthaus Zum Lamm: Es ist ein amerikanisches Kino. Ein amerikanisches Premierenkino gar. Wo die Filme nicht nur im englischen Original, sondern auch zu ihren US-Kinostarts anlaufen. Alter Schwede! Bei jedem größeren Ding, das in Deutschland gekürzt werden könnte, oder das man lieber heute als morgen sehen möchte, sind wird dabei. Von "Rambo III" über "Silence of the Lambs" (Thomasso getroffen, sogar die Münchner fahren nach Garmisch!) bis zu "Jurassic Park". Es ist immer ein Erlebnis. Vor allem, weil sie schon 1990 einen Mörder-THX-Sound haben. Aber auch das Publikum ist eine Show für sich. Die Kinder, die die GIs egal bei was für harten Schoten mitbringen, als wäre es das normalste von der Welt. Und bei "Harlem Nights" kommen wir uns original vor wie die Typen in "Road Trip", wenn sie sich in das fremde Verbindungshaus hinein tricksen und erst im Speisesaal merken, daß sie die einzigen Weißen unter zweihundert Schwarzen sind.
Bei "Rambo" denkst du, die Hubschrauber fliegen von hinten über dich drüber, und bei "Terminator 2" bebt, wenn Arnold seine Harley anwirft, einfach nur die verfickte Erde. Alte Freunde aus dem Ruhrgebiet sind gerade zu Besuch und können es nicht fassen, den Film so früh und in so guter Qualität zu sehen. Sensationelle Stunts und unbedingter Stilwille trösten uns blitzschnell darüber hinweg, daß Arnold nicht tötet und ein quäkendes Kind der Held ist. Und eine neue Spezialeffekttechnik zieht die Aufmerksamkeit auf sich. What the fuck ist denn das? Der Begriff Morph sagt uns nichts. "The Abyss", wo die Technik vom Stapel lief, haben wir geschwänzt. Ein Computertrick, ohne Zweifel. Und es sieht verdammt gut aus, was dieser James Cameron damit macht. Der T 1000 stiehlt die Show. Und der Chronist beginnt zu ahnen, daß das Kino, wie wir es kannten, mal wieder ein anderes zu werden im Begriffe ist. Der Actionfilm, der das alte Actionkino tötet. Right here, right now. Später haben sie das Filmtheater im Lamm dann geschliffen und gleichgeschaltet, vermutlich auf Drängen der lokalen Konkurrenz. Schon in den späten 90ern kamen kaum mehr Originalversionen, und heute laufen dort Filme wie anderswo.
9.
Braindead
1992 / Atrium Nürnberg
Wenn ich überlege, welche Festival-Aufführung mich am meisten beeindruckt hat oder mir aus anderen Gründen unvergeßlich bleibt, wandert manch scharfes Bild durch meine substanzgetränkte alte Birne. "Chinese Ghost Story", "Reservoir Dogs", "Scream", "Fudoh", "Prinzessin Mononoke" oder "Irreversible" auf dem Fantasy Filmfest zum Beispiel, die alle hier stehen könnten, weil eigentlich schon während der Vorführung und spätestens nachher draußen auf der Straße jedem klar war, daß gerade etwas Neues, Großes, Unerhörtes geschehen war. Die überwältigende, zu Tränen rührende schlichte Eleganz und atemberaubende Schönheit von "Sonatine". "The Punisher" mit Dolph Lundgren, der uns platt fuhr, als wir einen beschissenen "He-Man 2" erwarteten. Oder "A Better Tomorrow" 1990 in München, als Veranstalter Thomas Gaschler kreideweiß aus der mittenmang laufenden Vorstellung gelaufen kam (wir standen draußen und rauchten, denn es wurde ja grad nicht geschossen), Tränen in den Augen, und stöhnte: „Die machen sie nach!“ Das auf Horror und Splatter Movies geeichte, dem Action- und Kriminalfilm ohnehin kritisch gegenüber stehende Weekend of Fear-Publikum hatte damit begonnen, die Laute der chinesischen Originalsprachfassung nachzuahmen. Damals stand’s auf Messers Schneide, ob Desaster oder Triumph mit dem New Hongkong Cinema. Die Schießerei im Restaurant, Chow Yun-fats Pokerface und das Streichholz zwischen den Zähnen gaben den Ausschlag, am Ende folgte offene Ehrerbietung.
Nichts von dem aber kommt dem Adrenalinrausch nahe, den ich und Hunderte anderer erleben, als 1992 der neuseeländische Staatszirkus in der sonnendurchfluteten Stadt der Reichsparteitage gastiert. Obwohl noch niemand außer ein paar Business People in Cannes "Braindead" bisher gesehen hat, ist allen klar, daß es denkwürdig werden wird. Schließlich handelt es sich um das neue Splatter Movie von jenem Typ, der uns "Bad Taste" brachte. Jackson und sein Hauptdarsteller sind höchstpersönlich von der blauen Küste herbei geeilt, zottelig, unrasiert, barfuß im T-Shirt quasi, die Filmrollen unter den Arm geklemmt. Wir freuen uns darauf, leibhaftige Filmemacher zu treffen, die trotzdem irgendwie sind wie wir, und stoßen mit ihnen und den freundlichen Autonomen im angrenzenden Wirthaus mit Weißbier an, ohne im geringsten zu ahnen, was für ein Hollywood-Mogul der kleine Blutfreak da drüben einmal werden sollte („Ey, Jacke, schieb mal ne Milliarde rüber ...“).
Nie zuvor und nie danach habe ich ein Kino gesehen, in dem so gegen elementarste Sicherheitsvorkehrungen verstoßen wurde, wie das Atrium an jenem Tag. Jeder Sitzplatz im Saal ist belegt, Freundinnen sitzen bei ihren Kerlen auf dem Schoß, in den Gängen, direkt vor der Leinwand und den ganzen Rand entlang liegen, sitzen und stehen weitere Leute, obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits klar ist, daß der Film wegen der unglaublichen Nachfrage direkt danach noch einmal gezeigt wird. Man raucht, irgendwo wird gekifft, Bierflaschen rollen zwischen den Schuhen der Leute von oben nach unten, ab und zu zerspringt eine davon mit sanftem Klirren. Peter Jackson selbst hat leider keinen Sitzplatz mehr ergattert und steht seitlich in einem Türrahmen, von wo aus er immerhin die Publikumsreaktionen gut beobachten kann. Ich schätze, er dürfte zufrieden sein, denn es geht ab wie in einer Fußballfankurve nach dem Siegtor. Zweimal hintereinander übrigens, und die Hälfte der Leute, die "Braindead" gesehen hat, bleibt für die zweite Vorstellung gleich sitzen. Es herrscht das totale Chaos, aber die Besitzer des Kinos sprechen Veranstaltern und Publikum am Ende trotzdem ein dickes Lob aus. Wahrscheinlich, weil es ihnen genauso gut gefallen hat wie uns. "A Better Tommorrow 2", "Bullet in the Head", "Tiger on the Beat", "Tokugawa", "Eaten Alive", "Combat Shock", "Tetsuo", "Nekromantik 2", "Walking Tall" und viele mehr laufen da noch, jedes mal schneidet es einem quer durchs Herz, den einen zu sehen und den anderen zu verpassen. Das beste Festival, auf dem ich je war.
10.
Jack the Ripper
2001 / Filmmuseum München
„Schon der Soundtrack, der dem Unternehmen den letzten avantgardistischen Schliff geben soll, ist zum Kotzen.“
(Dr. Rolf Giesen zu "Vampyros Lesbos")
Roland und ich sitzen im voll besetzten Kinosaal des ehrwürdigen Münchner Filmmuseums anläßlich einer Klaus-Kinski-Retrospektive, und ich habe mir gerade zum zirka vierten mal im Leben und zum zweiten mal auf einer großen Leinwand den wirklich wunderschönen "Jack the Ripper" angesehen. Vor uns auf einer Bühne sitzen jetzt zur Seite des mir unbekannten Veranstalters der österreichische Schauspieler und MP Herbert Fux, der spanische Regisseur Jesus Franco, und dessen unverdrossene Muse und Ehefrau, die mittlerweile graumelierte Lina Romay. Mit ihren kurzen Haaren und der Brille ganz der Typ strenge Klavierlehrerin. In Lina Romay war ich als Kind mal verliebt, dem Kinoaushangkasten-Artwork zu "Frauengefängnis" sei Dank. Und wenn ich die Aufgabe hätte, mal eine voyeuristisch in jeder Hinsicht anspruchsvolle und hundertprozentig meinen Geschmack treffende Frauenknastszene zu nennen, würde mir ganz bestimmt ihr Catfight mit Tanya Busselier (auch nicht ohne) in der Damendusche von "Greta - Haus ohne Männer" als erstes einfallen. Kugelrunder Prachtpopo, perfekt geformte, große Möpse, schwarzer Pagenkopf an schneeweißer Haut, riesige dunkle Augen wie eine Manga-Phantasie, drall, griffig, stets unbekleidet (hat sie einer in Kleidern in Erinnerung?), zum Manne aufblickend, der klassische Schmollmund in devoter Erwartung stets ein wenig geöffnet. Kann schon verstehen, daß der Typ mit den 200 Filmen keine andere wollte. Und vielleicht bin ich immer noch verliebt. Semper fidelis, wie wir Kryptofaschisten (und die Torcida Verde) sagen.
Da sitzt sie also, die kleine alte Dame, und gleich werde ich zu ihr hingehen, ein wenig mit ihr flirten und mir mal das "Greta"-Cover signieren lassen. Von ihr natürlich, nicht von Clifford Brown (unverkäuflich!). Zuvor aber muß ich mir bescheuerte Fragen aus dem Publikum anhören, die natürlich alle nur mit Klaus Kinski zu tun haben dürfen. Wenn einer, wie der verständige junge Typ da vor mir, mal etwas anderes fragt, was vielleicht nur mit Franco oder seinen Filmen zu tun hat (Wo ist Eric Falk heute? Jesus tut, als wüßte er nicht, von wem die Rede ist), greift Heinzelmann, der Barbar, ein und verlangt, daß wir uns hier und heute doch bitte allein über Kinski unterhalten. Das muß man sich einmal vorstellen! Kinski liegt tot in der Kiste, Jesus Franco sitzt lebend vor uns. Und sowohl Fux als auch Franco haben, wenn wir ehrlich sind, nicht eben die wichtigsten Filme mit KK gemacht. Hätten aber beide wahrscheinlich gute Geschichten für zehne auf Lager. Doch nur über Kinski, please. Ich weiß schon, warum ich um solche Veranstaltungen in Deutschland normalerweise weite Bögen schlage. Aber ich bin ja auch nicht wegen Dr. Seltsam da. Sondern zweitens wegen Lina und drittens wegen dem netten Film. Und erstens, weil ich den Triumph auskosten will. Diesen erhebenden Moment der Kulturgeschichte. Franco im Filmmuseum! Da lässt sich einer, der drei Jahrzehnte lang nur peinliche Schmähungen seitens des deutschen Feuilletons und der etablierten Kritik gegenüber diesem verdienstvollen Schöngeist vernahm, jede Silbe von auf der Zunge zergehen : Jesus Franco im Münchner Filmmuseum. Ich spuck auf dein Grab, Doc Giesen.
nachtrag :
Eine Pressevorführung schaffte es nicht in meine Aufzählung. Es gab einige ganz nette, besonders, wenn die richtigen Leute beisammen waren, und Filme kann man dort wahrscheinlich besser studieren als im gewöhnlichen Kino. Aber sie sind wohl nicht so prädestiniert, bleibende Erinnerungen zu schaffen.
Bearbeitet von hoolio21, 27. Februar 2009, 04:20.