"All is full of Love..."
#181
Geschrieben 15. Juli 2007, 00:30
David Yates, GB/USA 2007
Kino, Synchro
Gespalten. Ist schon recht eindruckvolles Unterhaltungs- und ebenfalls Ensemblekino mit interessanter Optik (trotz Synchro, auch wenn sie dieses Mal gar nicht so schlecht ist wie die des vierten Teils). Die emotionalen Beziehungen und seine Charaktere hat der Film auch sehr gut im Griff, was ja auch den Kern der Geschichte und des Kampfes ausmacht. Allem voran die Tragik der Figur Harry Potters wird in diesem Beitrag zur Reihe das erste Mal richtig ernst genommen und schmerzhaft spürbar - auch dank dem neuen Komponisten Nicholas Hooper, der sich an einem frischen und gefühlvollen Score probiert, nicht ganz so spröde wie Patrick Doyles Musik im Vorgänger wirkt. Nur beim Unterrichtsalltag wird, wie so oft davor, schlicht versagt bzw. wird dieser vollkommen wegrationalisiert. Hier könnten 5 bis 10 Minuten mehr Spielzeit schon Wunder vollbringen, derer sich aber scheinbar aus Konventionsgründen massiv verweigert wird. Die faschistische Fuchtel, unter die Hogwarts unter Umbridge gerät, ist dank einer erstklassigen Imelda Staunton schön auf die Leinwand gebracht. Auch wenn hier und da etwas zu viel gealbert wird. Dafür ist das Finale in vielerlei Hinsicht mindblowing und ein wirkliches Erlebnis, welches mich in den Kinosessel drücken konnte (bedauerlicherweise wird der "Sache" mit Sirius Black ein klein wenig die Aufmerksamkeit geraubt). Im Originalton wird der Film wohl einiges gewinnen, weil schon immer - das gilt mittlerweile auch für die Jungdarsteller - veritable und markante Schauspielgesichter das Filmuniversum Harry Potters bewohnen, die allesamt der wundervollen britischen Sprache frönen. Soll die nächste Sichtung ruhig kommen - ich werde ihn schon gerne mögen können.
Doch überhaupt. Seit dem letzten Teil wäre eine Spielzeit von drei Stunden nötig gewesen, um die Bücher wirklich in gute Filme umwandeln zu können, die richtige Erzählstrategien aufbauen. Statt der unglaublich unregelmäßigen Handlungssprünge des vorigen Teils, wird nun wenigstens auf einem gleichmäßigen, netten Niveau gehetzt, mit kleinen Verschnaufpausen hier und da. Trotzdem: Das Drehbuch kann nur damit beschäftigt sein, soviele Informationen wie möglich - unter massiven Kürzungen und Pressungen - in die Abfolge zu bringen, damit Rowlings umfangreiche Buch-Diegese nicht wie ein Kartenhaus zusammenbricht. Darunter leidet die inhaltiche Schwere jeder einzelnen Szene, denn sie sind alle wichtig. Eigentlich kann man die Filme eher als Supplement für die Bücherleser ansehen. Eine Art Visualisierungsangebot verschiedener Regisseure, die der Reihe alle ihren eigenen Stil aufdrücken. Das mag dann zwar ein fantasievolles und (abgesehen von den ersten beiden Rohrkrepierer) auch ein schönes, verschiedenartig glänzendes Projekt sein, aber mieses Erzählflickwerk. Damit meine ich nicht, dass Nur-Filmgucker am Ende nicht alles "Verstehen" könnten. Die Geschichte wird für sie am Ende auch, wie man so schön sagt, aufgehen. Bloß fehlen ihnen die wichtigsten Elemente des Phänomens Harry Potter: eine üppige und müßige Erzählwelt und die so typische Internats- und Schulatmosphäre, eben nicht nur schweißtreibendes Entlanghangeln am vielfach verknoteten Seil mit klammen Fingern...
Kommentar-Thread
#182
Geschrieben 02. Oktober 2007, 01:30
Tony Scott, USA 2006
DVD, Synchro
Ja, es ist ein Film von Tony Scott, der mich aus der Schreib-Lethargie wach küsst. Wie das zu bewerten ist, stellt sich wohl aus zwei Lagern dar. Die einen, die Scott für 'ne typische Mainstream-Nutte halten, finden das kaum spaßig. Es gibt aber auch ein Lager, dass in Scotts aufregendem optischem Stil eine gewisse Einmaligkeit sieht, die sich gar nicht mehr von seiner Art, zu erzählen, trennen lässt. Ich würde mich eher an zweiter Stelle ansiedeln, auch wenn ich von seinen Neueren nur Man on Fire und eben Deja-Vu gesehen habe. Letztere jedenfalls hat es m.E. in sich, auch wenn sich Scott mit seinen wilden Bild-Interpolationen weitestgehend zurückhält. Die Ästhetik ist konziser geworden. Trotztdem weiß sie ihren Gegenstand sehr frisch zu repräsentieren: die Zeitreise.
ATF-Agent Doug Carlin (Denzel Washington) ermittelt in einem katastrophalen Fall: Eine Fährexplosion in New Orleans kostete über 500 Menschen das Leben. Die Spuren sprechen für einen terroristischen Akt. Eine vor dem Unglück ans Ufer gespülte weibliche Leiche, die allerdings wie ein Opfer der Explosion präperiert wurde, könnte zum Attentäter führen. Carlin wird aufgrund seines Spürsinns von FBI-Agent Paul Pryzwarra (Val Kilmer) zur Mitarbeit in ein Spezialteam eingeladen, welches sich einer vollkommen neuen Ermittlungsmethode bedient: dem Blick in die Vergangenheit. Durch die Krümmung der Raumzeit (also der Einheit von dreidimensionalen Raum und voranschreitender Zeit) ist es möglich, die Lichtstrahlen der Vergangenheit als Stream zu empfangen. Dies lediglich braucht so viel Energie, dass man jeweils nur genau das empfangen kann, welches vor 4 Tagen und 6 Stunden geschehen ist - ohne Möglichkeit des "Spulens". So wird also das Leben der Claire Kuchever (Paula Patton), gegenwärtig schon besagte Leiche, nach Spuren des Täters durchsucht. Das Team wird fündig und der überzeugte Patriot mit christlichen Erlösungsfanatismen (Jim Caviezel), der die Fähre hat in die Luft gehen lassen, wird dingfest gemacht. Carlin aber will mehr: Das Wurmloch nicht nur zur Übetragung von Lichstrahlen nutzen, sondern sich selbst durch diese Verbindung mit der Vergangenheit jagen, um Claire, für die er mittlerweile Gefühle entwickelt hat, zu retten und das Fährunglück aufzuhalten...
Ersteinmal ist feszustellen, dass dieser Film kein typischer Zeitreisefilm ist, sondern eine Reflexion über Zeitreisefilme. Deswegen darf Scott auch gleich zu Anfang an den Zeitreglern drehen, um die Logos der Produktionsfirmen vor- und zurücklaufen zu lassen. Ja, Scott spielt mit uns, besonders aber mit den Logik-Geilen, die Fiktion der Physik unterordnen. Doch so geht das nicht: Deja-Vu macht deutlich, dass Zeitreise (im Film) kein physikalisches Phänomen ist - die Physik ist dabei höchstens Mittel zum Zweck, um eine Art Semi-Wahrscheinlichkeit herzustellen - nein, sie ist ein narratives Phänomen, eine Erzählstrategie. Somit werden wir im Verlauf des Films also eigentlich nicht mit zwei physikalischen Konzepten, sondern mit zwei Erzählformen vertraut gemacht: dem einen Zeitstrahl und dem Multiversum. Als Carlin und das Spezialteam Claire beobachten, wird noch von der strengen Einheitlichkeit der Zeit ausgegangen und der Nichtveränderlichkeit der Ereigniskette, ergo der Erzählkette. Es kommt hier zu einer Spiegelung von Film im Film, den im Grunde genommen wird hier eine Kinosituation simuliert: Leute gucken sich eine klassisch voranschreitende Geschichte an. Eine furiose Dynamisierung erhält das Konzept mit einer überragenden Verfolgungsjagd, in der Carlin die Vergangenheit "verfolgt" - durch einen mobile Zeitsehvorrichtung kann er die besagten "4 Tage und 6 Stunden zuvor" direkt vor sich sehen, während er in der Gegenwart die Straßen entlangbrettert. Scotts Stil schafft es hier wirklich vollkommen neue Spannungspotentiale freizulegen, indem er halsbrecherisch die Bewegungen verdoppelt - Vergangenheit und Gegenwart im gleichen Bild vereint (Deleuze des neuen Jahrtausends?).
Die Idee des Multiversums wird später aufgegriffen und beinhaltet selbstverständlich das Vorgehen, die Vergangenheit zu ändern, um eine Gegenwart ungeschehen zu machen - es wird eine Art neuer Zeitstrahl erschaffen, der parallel zum alten, unerwünschten läuft. Selbstverständlich ist auch das nicht physikalisch zu verstehen, sondern als eine narrative Strategie, die es erlaubt, Erzählungen zu brechen, ihre Chronologie aufzuheben und sie dadurch zu dynamisieren, ihnen neue Aspekte abzuringen. Daraus ziehen ja die Zurück in die Zukunft Filme oder Zeitreise-Folgen Star Treks ihre typische Faszination - und gleichzeitg auch immer die Gefahr, unübersichtlich zu werden (DC Comics gibt ein beredtes Beispiel eines solchen Falles). Deja Vu läuft nicht diese Gefahr, denn er lässt im Finale die beiden eben schon vorgestellten und von den Wissenschaftlern des Teams (die folgerichtig als Autoren zu betrachten sind, die sich über das Erzählen streiten) diskutierten Konzepte in Konflikt geraten. Während Carlin die Vergangenheit zu ändern sucht, wird es immer deutlicher, dass alles, was er tut, unweigerlich auf die Zukunft zusteuert, die er verhindern will. Das heißt, die Ereignisse um das Fährunglück scheinen so erst möglich geworden zu sein, weil Carlins (unliebsame) Zukunft schon von seinem zeitreisenden Ich bestimmt wurde (was er natürlich in der Zukunft noch nicht wusste, weil er da noch nicht die Reise in die Vergangenheit angetreten hat). Die Zeitschleifenstrategie (und somit die andere uns bekannte Form von Zeitreisenfilmen) will der chronologischen und einheitlichen Erzählung zu ihrem Recht verhelfen. Scott schöpft Erregung, in dem er mit uns bekannten Mustern spielt. Und er bleibt seinem Stil vollends treu: das Multiversum siegt!
Kommentar-Thread
#183
Geschrieben 04. Oktober 2007, 12:30
Peter Schamoni, Deutschland/DDR 1986
DVD, O-Ton
Der Film eröffnet mit - wie sollte es anders sein - einem Bild von Caspar David Friedrich: Ein Hügel verdeckt den Blick auf die Stadt, nur noch die Kirchspitzen sind zu sehen. Vier Stimmen aus dem Off:
"Soll das etwa Dresden sein?"
"Nicht viel davon zu sehen."
"Aber was für ein Himmel!"
"Der Tag, an dem er Luft malt, da darf man nicht mit ihm reden..."
Was für ein Beginn, dem ein Vorspann folgt, der mit Aufnahmen von Friedrichs Himmeln (oder eben der besagten "Luft") unterlegt ist! Später erfahren wir dann, wer die vier Sätze geäußert hat, wenn die Szene noch einmal wiederholt wird - dann aber "außerhalb" des Bildes. Es war der Kronprinz von Preußen Friedrich Wilhelm IV. (Christian Schmidt), ein Romantiker, und zwei Vertraute, die sich im Arbeitzimmer von Friedrich die Gemälde von seiner Frau Caroline (Sabine Sinjen) haben zeigen lassen. Wann das passiert, verheimlicht uns der Film. Die Unnachgiebigkeit, mit der wirkliche Fakten - wie harte Jahreszahlen - zurückgehalten werden, macht klar, dass Schamonis Film kaum als Doku, ja vielleicht nicht einmal als Mischform dieser zu bezeichnen ist. Er ist eine philosophische Reflexion über den Maler und seine Zeit. Eine begrenzte Zeit, wie der Titel andeutet. Eine Zeit, die ihn nicht versteht und seine Kunst als minderwertig betrachtet. Solcherlei Grenzen setzt Schamoni sich selbst nicht. Er wechselt, poetisch verdichtet, zwischen Spielfilmszenen, echten Landschaftsaufnahmen, den Bildern Friedrichs und einem Off-Kommentar, in dem der Maler selbst zu Wort kommt. Sonst ist er weitestgehend abwesend in dieser asoziativen Montage, die sich von der Zeit nicht begrenzen lässt - vielleicht sehen wir mal seine Füße oder seinen geschrumpften Körper vor der wilden und übergroßen Natur der sächsischen Schweiz.
Caspar David Friedrich - Grenzen der Zeit bleibt trotz dieser Technik der Zusammenführung verschiedenster Bilder, Teilchen, Gedanken und Vorgänge klar und konzentriert. Denn es ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Film über Friedrich. Der Film ist bemüht intensive Zeitatmosphären (und eben nicht Fakten) zu schaffen. Sein Werk wird in gewisse Kontexte und Diskurse gestellt - wie die Napoleon-Zeit und die nicht erfüllten Erwartungen der patriotischen Bewegung während der restaurativen Zeit nach der Befreiung von der französischen Herrschaft. Friedrichs Bilder waren durch die Darstellung der Figuren, die die Landschaften betrachten, in der altdeutscher Tracht ein Politikum. Und während das preußische Königshaus in vielerlei Hinsicht ein Interesse an Friedrichs Bildern hat, kämpft sein Freund Carl Gustav Carus (Helmut Griem) vergebens für die Berufung des Malers an die Kunstakademie Dresden als Professor für Landschaftmalerei. In einem großartig ausgearbeiteten Dialog spielen begnadete Schauspieler aus Ost- wie Westdeutschland die Dresdner Honoratioren, die sich dünkelhaft und vollkommen ohne Verständnis das Maul über die Gemälde Friedrichs zerreißen - über ihre Kälte, Einsamkeit, das angebliche Tote in ihnen. Neben dieser öffentlichen Dimension zeigt Schamoni uns auch die private, die plötzlich eine ganz andere Sichtweise eröffnet: Ein Schätzer des Auktionshauses, der nach dem Tode Friedrichs den Hausrat im Beisein von Frau Caroline und den Kindern bewertet, macht deutlich, wie wenig die Malereien einbringen würden und behandelt heute anerkannte Kunstwerke, die in Museen hängen, wie den letzten Dreck. Die Witwe muss einsehen, dass sie wohl nicht einmal die Beerdigung aus den Verkäufen bezahlen werden kann. Zwei seiner berühmtesten Gemälde aber ("Kreidefelsen auf Rügen" und "Die Lebensstufen") will sie behalten, da auf ihnen sowohl sie als auch ihrer Kinder zu sehen sind. Diese Szene, in der ein rein persönlicher Wert diese Kunstwerke vor Schlimmeren bewahrt, ist so voll feiner Ironie und Vieldeutigkeit...
In diese Zeitfragmente, die uns die Person Friedrich aus verschiedenen Perpektiven von außen beleuchten, werden Landschaftsaufnahmen eingewebt, in denen Regisseur Schamoni und sein Kamermann Gérard Vandenberg versuchen, dem Rästelhaften und Faszinierenden in den Gemälden des Malers in der Natur selbst auf die Spur zu kommen. Ihr Blick schafft es ganz erstklassig, der einsamen Schönheit oder eben schönen Einsamkeit Ausdruck zu verleihen. Friedrich darf aus dem Off philosophieren:
"Der Maler soll nicht malen, was er vor sich sieht,
sondern was er in sich sieht.
Sieht er aber nichts in sich,
so unterlasse er lieber zu malen."
Man könnte meinen, Schamoni geht ganz ähnlich vor, jedenfalls was die Wirkung auf mich betrifft. In mir war nach dem Abspann ebenfalls viel mehr als jenes, was ich vor mir gesehen habe. Dieser Film ist strukturiert wie das Motiv, mit dem er begonnen hat: er verstellt den Blick auf den Maler und kommt seinem innersten Wesen dabei doch so unfassbar nahe...
Kommentar-Thread
#184
Geschrieben 06. Oktober 2007, 23:30
Louis King, USA 1938
DVD, Oton
Ich habe mir gerade Bulldog Drummond in Africa zu Gemüte geführt, ein Teil aus einer "Detektiv"-Reihe (besser eigentlich: Abenteuer-Action-Comedy-Flick-Reihe), für die sich die B-Unit von Paramount verantwortlich zeichnete. Auch in den 30ern Jahren gab es Exploitation-Kino pur! Da ist einmal die klare Handlungformel, die besagt, dass Capt. 'Bulldog' Drummond (John Howard) und seine Verlobte Phyllis Clavering (Heather Angel) heiraten wollen, aber in jeden Film durch archetypische kriminelle Energie davon abgehalten werden. Dann sind da bewährte Figurenschapplonen: der britisch-schnoddrige und schneidige Drummond, der seinen Junggesellen-Status stets verlängern darf (insofern ist die Verzögerung der Hochzeit nicht nur amüsantes narratives Muster, sondern ständige Bestätigung seines Macho-Charakters); die Verlobte, deren Emanzipation darin besteht, ihrem Mann in jede Gefahr zu folgen, obwohl der es ihr verbietet - das endet in ihrer Rettung, Ohnmacht etc.; der Freund und Sidekick 'Algy' Longworth (Reginald Denny), der für Begriffsstutzigkeit und verdutzte Gesichter verantwortlich ist; der Butler Tenny (E.E. Clive) mit seinem unendlich trockenen Humor und steten Bereitschaft, alle Hilfsmittel dabei zu haben; der ernste und von Drummonds Leichtfertigkeit gestresste Colonel J.A. Nielsen (H.B. Warner). Das Zusammenspiel wird keinesfalls von einem Charakter getragen, da ja eben niemand einen originären Charakter besitzt. Die Chemie entsteht zwischen den Klischees und in den Momenten des Zusammenspiels, die teils das Absurde und Kindlich-Verspielte suchen. Die Dynamiken, auch gerade zwischen Mann und Frau, sind mithin bei weitem nicht so einfach, wie mein Abriss gerade sie hat wirken lassen. Der Film hat beispielsweise eine skurrile Ausgangssituation, in der sich Drummond mit Tenny im Anwesen "eingesperrt" sieht - ihrer Hosen und des Geldes beraubt und mit Anrufverbot konfrontiert. All das wurde von Phyllis eingefädelt, die die bevorstehende Heirat unter allen Umständen absichern will. Das ist natürlich (1) exemplarisches Exploitation-Vorgehen, bei dem das bekannte Handlungsprinzip geradezu ausgebeutet wird, in dem es eine solche Überzeichnung und Pointierung erhält. (2) Phyllis hat die Fäden in der Hand. Natürlich kann sie nicht verhindern, dass ihr Verlobter und der Butler sich Decken als Schottenröcke umbinden und betrunken zum Dudelsack tanzen (und ihr zügig einmal mehr die Fäden entgleiten, wenn - wie es der Zufall will - wieder ein Bösewicht in der Nähe auftaucht).
Der Teil legt im Vergleich zu seinen Vorgängern noch einen drauf mit: Zähne fletschende Löwen in Afrika, die am Ende den Bösewicht fressen, äußerst rasante Schießereien und handfeste Prügeleien. Interessanterweise darf der Colonel, der in diesem Film von abtrünnigen Spionen entführt wird, diesmal aus den festen Rollenkonstellationen ausbrechen - der brilliante H.B. Warner spielt geradezu toternst eine kalte Höflichkeit vor, hinter der sich nur Abscheu für die Landesverräter verbirgt. Gerade in Hinsicht auf den Zweiten Weltkrieg, der kurz vor der Tür steht, ist diese Agenda interessant, mit der hier abtrünnige Agenten und Doppelspione ohne lachendes Auge abgeurteilt und abserviert werden, die (das sei hier noch angebracht) Geheimnisse für den Kriegsfall, genauer der Signalcodierung aus ihm erpressen wollen. Selbstverständlich schweigt er - selbst wenn Raubtierpranken seinem Gesicht ziemlich nahe kommen - und wird am Ende von Drummond & seiner "Crew" gerettet. Doch, da war etwas, was den ganzen Unerst plötzlich durchbrach und klar Stellung bezog - die unverhältnismäßige Grausamkeit, mit der der Verräter zum Schluß durch seinen eigenen Haustier-Löwen angeknabbert wird, sollte beredtes Beispiel dafür sein...
Kommentar-Thread
#185
Geschrieben 11. Oktober 2007, 13:35
Darren Aronofsky, USA 2006
DVD, Synchro
Als ich gestern noch einmal The Fountain geschaut und über den ganzen Esoterik-Aspekt (sprich die Yoga-Einlagen, an denen sich so mancher vernichtender Schiedsspruch aufgeilte) nachgedacht habe, ist mir aufgefallen, dass es durchaus möglich ist, dem Film eine kritische Haltung gegenüber diesem zuzusprechen. Wenn man ihn in seinem größeren Kontext und seiner Grundidee versteht - dass man den Tod bedinungslos akzeptieren und vom Leben loslassen können muss, gar dass der Tod ein Schöpfungsakt ist - dann ist dieses konzentrierte Yoga-Gehampel ein krankhaftes Kaprizieren auf das ewige Leben (und entspricht am nächsten unserem aktuellen Gesundheitswahn samt Traum von ewiger Jugend). Dieses krankhafte Element, das sich nur einem Ziel verschreibt, gibt es in allen drei Erzählebenen. Auch der Großinquisitor ist ein solches pathologisches Moment - für den, ganz dem Credo seiner Kirche folgend, ist sein Fleisch und Körper nur zum überwinden & auspeitschen da. Nur Izzy macht es richtig vor: wenn man lebt, dann sollte man leben (und sich nicht irgendeinem abstrakten, idealistischen oder zukünftigen Konzept verschreiben), und wenn man stirbt, dann sterben. Das alles ist eigentlich unglaublich nietzscheanisch.
Der Film ist ja auch ein ungemein körperlicher. Der Kamerablick ist gewaltig an einer Inszenierung der unmittelbaren Körperlichkeit interessiert, seinen extremen Nahaufnahmen, die den Film prägen, entgeht kein Härchen. Umso interessanter und bedenkenswerter, dass Jackmans Yoga-Tanz bloß als ein sich bewegender, schwarzer Ausschnitt aus dem Sternenmeer zu erkennen ist - diese Flächigkeit ist nun eine pure Anti-These zur übergreifenden visuellen Vorgehensweise des Films (eine mögliche Schlußfolgerung habe ich oben ja schon formuliert). Schon allein deshalb sollte man mit einer endgültigen Festlegung, um was es sich bei den drei Ebenen handelt, die The Fountain strukturieren, sehr vorsichtig sein. Der Trailer zum Film hat faszinierenderweise damit geworben, dass es sich um eine (einheitliche) Geschichte handelt, die auf drei Zeitebenen verteilt ist - 1500, 2000, 2500. Diese Jahreszahlen bleiben im Film völlig ungenannt und lassen sich höchstens erahnen. Schnell stellt sich heraus, dass die Vergangenheitsebene nicht Teil (und auch nicht Teil der Verhangenheit) der eigentlichen Diegese ist, sondern die Erzählung eines Buches. Und auch das angebliche Jahr "2500", in dem sich Jackman in einer interstellaren Seifenblase voranbewegt, scheint schnell als Allegorie enttarnt - seine eigene begrenzte Sichtweise auf den Tod macht ihn zu einem Gefangenen des Lebens. Ich muss ganz ehrlich sagen: Bei der ersten Sichtung des Films ist mir diese Deutung nicht im Geringsten in den Sinn gekommen. Die gerade eben nicht pittoreske, sondern bis zum Zerbersten mit Dimensionalität und Leiblichkeit gefüllte Zukunftsvision ließ es mich in keinster Weise als Sinnbild erkennen - ich war der festen Überzeugung, der unsterblich gewordenen Figur des Tommy in seinem Wahn, den Tod zu überwinden, zuzusehen. Was würde besser dazupassen, als wenn er die diegetische Zeit wirklich überlebt hätte und sich nun im Jahr 2500 befände? Mittlerweile sehe ich dies etwas differenzierter. Ich will keinesfalls endgültig etwas feststellen, sondern nur sagen: Aronofsky sieht die "1500" & "2500" Ebene keinesfalls als dienende Pfeiler, die eben bloß aus einer eigentlichen Geschichte (die der krebskranken Izzy und ihres Mannes, der verzweifelt nach einen Gegenmittel sucht) erwachsen. Dafür sind sie zu intensiv gezeichnet und eröffnen ja gerade den Film. Sie sind somit dem Haupterzählstrang, aus dem sie ja scheinbar entspringen (wenn man sie nur als Binnenerzählung des Buches und Seifenblasensymbol konstruierte), vorangestellt. Ihnen wird aber in der Auftaktfunktion eine vollkommene Eigenständigkeit verliehen. Lange Rede, kurzer Sinn: The Fountain ist dicht, assoziativ, vielschichtig und hat eine äußerst offene Form, die sich mal so und mal so verknüpfen lässt.
Kommentar-Thread
#186
Geschrieben 27. November 2007, 03:40
Mervyn LeRoy, USA 1931
DVD (dt. WB), OmU
Ein (solch mitreißendes) Epos in 75 Minuten zu erzählen, das schafft wohl nur das klassische Studiosystem: Der Aufstieg des Kleinganoven Enrico Bandello - genannt "Little Caesar" (Edward G. Robinson) - zu einem Gangsterboss und sein Fall. Zur Zeit der Prohibition und der Großen Depression nach dem verhängnisvollen "Schwarzen Donnerstag" im Jahre 1929 war Warner Bros. als einziger Major bereit, die verheerenden Zustände im Kino zu reflektieren. Der klassische Gangsterfilm wurde mit dem stilprägenden Little Caesar endgültig aus der Taufe gehoben und war während der 30er voll und ganz das Spezialgebiet des Studios. Jack Warner und der noch junge Produzent Darryl F. Zanuck hatten nicht nur ein Gespür für das Interesse ihrer Zuschauer sondern auch noch den Mut, sich dem brisanten Thema zu widmen. (Und jetzt weg vom Schulwissen.) Das merkt man dem Film auch jede Sekunde an. Edward G. Robinson erinnert nicht nur optisch an Al Capone, er spielt den Gangster bravourös und facettenreich. Dies ist insofern interessant, weil so eine Figur gezeichnet wird, die Identifikationspotential hat: Enrico Bandello ist mit seinem Kleinganovendasein unzufrieden, nicht etwa aus finanziellen Nöten, sondern weil es ihm nach Ruhm dürstet. In einigen markanten Point-of-View-Einstellungen dürfen wir an seinem gierigen Blick nach dem Schmuck anderer Gangsterbosse teilhaben. Schmuck als Statussymbol, welches seiner aufgeblasenen und selbstbewussten Art Ausdruck verleiht. Andere symbolische Handlungen prägen den Stereotyp Gangster weiter aus: Das Kauen auf der Zigarre im Mundwinkel, das Kämmen der schmierigen Haare.
All das verrät nun auch, dass der soziale Kontext der Zeit keinesfalls direkt thematisiert wird. Inwiefern die Verbrecher Teil der schwierigen gesellschaftlichen Vorgänge waren - als Nutznießer und/oder Opfer der Missstände - wird nur vermittelt dargestellt. Z.B. durch eine grundsätzlich affirmative Porträtierung der Unterwelt, auf die nun eben der Fokus in diesem Film liegt. Oder der angedeuteten Herkunft Bandello aus einfachen Verhältnissen: Seine Grobheit, seine ruppige Sprechweise und seine Unbeholfenheit, sagen wir, wenn es um Smokings geht, sind bezeichnend. Dann scheint er wie ein viel zu kleiner Mann, der seinen neuen Pflichten kaum gewachsen ist. Insofern ist der ganze Film von andeutungsvollen Schnittstellen zu realen Diskursen geprägt, die er in sein Genregerüst einbaut und es auf diese Weise erfrischt. Selbst sein emotionaler Höhepunkt - der kaltblütige Little Caesar kann seinen alten Freund Joe Massara (Douglas Fairbanks Jr.) nicht töten, was ihm zum Verhängnis wird - ist ganz und gar rührend (und auch wiederum durch zwei eindrucksvolle POV-Shots realisiert, die die endgültige Trennung der Freundschaft ins Bild setzt). Worum es mir geht, ist: Der Film meint es ernsthaft. Selbstredend ist er mitunter ausbeuterisch am Bösen interessiert - auch wenn die Polizei (in Form des köstlich trocken spielenden Thomas E. Jackson) siegt, die letzte, breitspurige Zeile hat der sterbende Little Caesar. Trotzdem - der Film vermittelt den Eindruck, dass etwas nicht stimmt. Dieser Eindruck manifestiert sich sogleich in der Bildebene, in der einige äußerst augenfällige Flächenkonstruktionen geradezu - ja - aus dem Rahmen fallen. Die schiefen, expressionistisch anmutenden Linien geben den Räumen eine ungeheure Dynamik. Womit wir auch wieder am Anfang des Textes und dem Schwung des Studios und seiner Produzenten angekommen sind...
(Was an dem Film auch interessant ist, ist sein gelegentlicher Rückgriff auf erzählende Texteinblendungen - obwohl die Anordnung einer raffenden Montage mit Überblendungen hier schon angewandt wird, um einen Raubüberfall der Bande bildlich zu summieren. [Christian Metz würde das lineares, narratives, diskontinuierliches Syntagma, genauer noch: gewöhnliche Sequenz, nennen.] Doch scheinbar verlässt man sich nicht vollkommen auf diese Technik. Ist ein Text eleganter? Oder dieser ein Relikt aus der Stummfilmzeit?)
Kommentar-Thread
#187
Geschrieben 20. Januar 2008, 14:07
Jeff Davis/Edward Allen Bernero/Gigi Coello-Bannon, USA/Kanada 2005-?
DVD & TV
Criminal Minds ist eine der interessantesten und faszinierendsten Serien, die ich bisher gesehen habe. Von der deutschen Presse wohl vollkommen ignoriert, zerrt sie Folge für Folge Themen ans Licht, die sonst in Unterhaltungsformaten nicht einmal annähernd verhandelt werden: Paraphilien (von Pädo bis Nekro), die Gefahr einer weiteren "Satanic Panic" (es stellt sich in dieser Folge jedoch heraus, dass die Jugendlichen einer orthodox-christlichen Gemeinde so unterdrückt & kontrolliert werden, dass sie ihren einzigen Freiraum darin finden, Monate der Verwesung eines verunglückten Wanderers im Wald zuzuschauen) oder auch Guantanamo Bay. Bei letzterem schafft Criminal Minds mal eben das, wozu 24 immer eine ganze Staffel braucht. In der 10. Folge der zweiten Staffel, Lessons Learned, muss die Gefahr eines Milzbrand-Anschlages abgewendet werden. Die Informationen zum Anschlag hat ein Insasse, der in Guantanamo Bay sitzt (die Figuren merken geradezu brutal offen an: "paktisch existiert er nicht" / "für immer"). Agent Gideon, Profiler der BAU (Behavioral Analysis Unit) des FBI, muss dem Islamisten innerhalb von zwei Tagen das entlocken, was die CIA - auch das wird offen behandelt - mit ihren Gewaltmethoden zwei Jahre lang nicht geschafft hat. Natürlich gelingt das: Gideon, Humanist pur und destillierter Philanthrop, verfehlt mit seinem dialogischen Ansatz selten das Ziel. Dabei fällt einmal wieder soviel an "Links" und Informationshappen ab, von denen könnte man sich noch Tage ernähren. Wer weiß schon, dass die Landebahn von Guantanamo Bay auf der Grenze zum kubanischen Luftraum liegt - der "Guantanamo Bay Twist" ist die abrupte 90°-Kurve, die das Flugzeug absolvieren muss, um zu landen und nicht den kubanischen Luftraum zu verletzen. Solche Snippets werden auch gerne zu wirklichen Serienkillern gebracht, die kurz vorgestellt werden - unter Einblendung von Originalaufnahmen oder Fotos. Nicht zuletzt hier zeigt sich, dass die Autoren immer ein Stück weiter recheriert haben und nicht nur Thriller-Schemata abspulen.
Wer jetzt meint, in einer Folgen einen Terrorakt vereiteln, das sei unrealistisch & unglaubwürdig, dem will ich nicht widersprechen. Die starke Komprimierung der Plots auf Folgenlänge hat sicher grobe Vereinfachungen zur Folge. Gleichzeitig erhält Criminal Minds dadurch eine Atemlosigkeit sondersgleichen. Aber es sind noch andere Dinge, die sie auszeichnen: Einmal der zwar ganz einfache, aber geradezu wichtige Fakt, der die Serie durchweg grundiert, dass Profiling zuvorderst Psychologie ist Statisitk ist angewandte Wissenschaft ist. Konnte man sich diese Tätigkeit in TV-Fiktionen bisher nur als übersinnliche Fähigkeit erklären, wird man hier von einer Vielzahl von Prozenten, Klassifizierungen und eben den Snippets geradezu erschlagen. Dass ist aber eben nicht so trocken, wie sich das zuerst anhört. Nein, jede Folge eröffnet das weite Feld der Anthropologie und der Kultur. Keine Folge, aus der man nicht klüger zurückkehrt. Keine, die nicht mit einem gescheiten Zitat beginnt und endet. Keine, die nicht ein Netz spannt, an dessen ausgefransten offenen Enden ein Buch, eine Person, eine Website, ein Film - eben ein Drang zum Mehr-Wissen-Wollen über den Menschen wartet. Das haben wir besonders der Figur des Dr. Spencer Reid zu verdanken, ein 20.000 Wörter pro Minute lesendes Genie, den man irgendwo zwischen originellem Gelehrtem und ungeschicktem Sonderling lieben lernt. Die Figuren sind sowieso ein großer Pluspunkt der Serie. Zwar nicht alle liebenswert, sind sie alle scharf und exakt gezeichnet und entwickeln ein lebendiges individuelles Wesen. Doch über allem schwebt immer: die große Menschlichkeit. Gerade in den Criminal Minds muss sie gesucht werden - dort, wo wir sie am wenigsten erwarten. Gideon: "Well, the only truly effective weapon we have is our ability to do the one thing they can't. Empathize. They dehumanize their victims. We humanize the killers."
Offenheit ist demnach alles, was die Serie ist. Ob nun bei der Selektion der Themen, ihrer Behandlung (überfüllt und verkürzt eine Einladung zum Weiterforschen) oder ihrer kritischen Reflexion. (Selbstverständlich sollten nur diejenigen Zugang zu einer Sexualstraftäter-Datenbank haben, die von der Psychologie dieser Menschen etwas verstehen - dies ist eben nicht die amerikanische Bevölkerung.) Anstatt ihr Heil in übergreifenden Handlungszusammenhängen und romanhaften Erzählungen zu suchen, peppelt Criminal Minds das Villain-of-the-Week-Konzept auf und verleiht ihm Frischblut...
"Who is your worst enemy, Agent Gideon?"
"It's not a who, it's a what. Ignorance."
Kommentar-Thread
#188
Geschrieben 29. Februar 2008, 13:53
Sylvester Stallone, USA/Deutschland 2008
Kino, Synchro
Zuerst: Wirklich sehr beeindruckend. Dann einmal: Das waren die wohl schnellsten/längsten 90 Minuten meines Lebens, kurzweilig und doch quälend lang. Ein ander Mal: Der Film funktioniert sowohl als Teil der Reihe, die er erstklassig und sehr geschickt weiterführt und schlussendlich beendet, als auch als ein Action-Film-Novum. Mich irritiert besonders, dass Menschen ganz ernsthaft behaupten, sich von diesem Film "unterhalten zu fühlen". Gegen dieses Gemetzel wirkt Rambo III wir ironisches Kasperletheater (vom aktuellen, ständig augenzwinkernden Action-Genre 'mal ganz abgesehen). Es ist derart abstoßend - und dabei so undoppelbödig und ernsthaft - dass man einfach einen Riesenkloß im Hals kriegt. Selbstverständlich ist jede Action auch Affirmation an atemberaubendes und faszinierendes Bewegungskino (und hier besonders), aber Stallone leistet, dass dem Zuschauer dabei dann doch unheimlich unwohl wird. Jedenfalls ging es mir so. Und mich befremdet sehr, dass einige sogar meinen, dieses ultraharte und dabei absolut ironiefreie Massaker als reine Unterhaltung und Entertainment abbuchen zu können. Das Problem liegt dann wohl nicht im Film als viel eher im Zuschauer. Und dass Stallone schlecht inszeniert, wäre mir auch eine verfälschende Bewertung, die einiges Erwähneswertes des Films niederwalzt - die einmalige Verfolgungssequenz im Dschungel beschwört eine ganz neue Körperlichkeit herauf, die ich so noch nicht kannte. Das nie enden wollende Cross-Cutting zwischen Gehetzten und Hetzern wurde wirklich schon fast bis zur Unerträglichkeit in die Länge gezogen - dies funktioniert nicht bloß als dramaturgischer Kniff, sondern ebenfalls als Spürbarmachen eines körperlichen Zustandes. Körperkino. (Und von der Art her ein vollkommen anderes als es die derzeitgen Horror-Reihen á la Saw auf die Leinwand klatschen!)
Natürlich darf man schmunzeln, wenn die Missionare Bibelstunden geben (aber dann wieder auch: warum eigentlich - den Karen bleibt am Ende nur der Glauben, im Materiellen finden sie kein Heil, nur Leid und Destruktion) - nur ist es ein Schmunzeln, dass der Film doch absolut bewusst miteinrechnet, wenn er danach urplötzlich den Angriff des Burma-Militär starten lässt. Und dabei propagiert John Rambo niemals Krieg, sondern markiert stets die Aporie von Krieg und Gewalt. Alle Wege führen hinein und keiner hinaus.
Dass der Film reflektierter mit seiner Brachialität umgeht, als man meint, zeigt doch schon ein Satz wie "Live for nothing... Or die for something!" - das ist doch die völlige Entkopplung des Prinzips Gewalt(entstehung) von einer Idee und damit einer Ideologie. Das ist doch kein platter Ausspruch, sondern eine scheinbar stampfende Kampfansage, die jedoch trotzdem alles im Unklaren lässt. Hier wird ein formelles Prinzip ausgesprochen, in dem jeder das "something" entsprechend seiner Situation ausfüllen muss. Und allemal bemerkenswert ist, dass jedenfalls die Figur Rambo in allen vier Teilen der Reihe dieses niemals mit "Amerika" oder einer politischen Ideologie gleichsetzte. Was auch immer an Ideologie in der Reihe stecken mag - in der Titelfigur zeigt sie sich nicht. Welche Ziele Rambo auch verfolgt, sie fußen stets in einem urpersönlichen Impuls und nicht einem von oben herab indoktrinierten Ideengebäude. Dass Rambo-Filme dabei trotzdem politische Feindbilder hyperböse inszeniert (Teil II: Vietnam und Sowjetunion, Teil III: Sowjetunion, Teil IV: Burma), macht ja gerade die interessante Ambivalenz aus, weil sich die Titelfigur ihnen niemals im politischen Auftag und als ideologischer Antagonist entgegenstellt; und so entscheidet auch John Rambo nicht, ob Gewalt eine (auch politische) Lösung ist oder nicht - dass sie ist, dies ist die Endpointe, die einen auch gerade beim friedlichen Schlußpanorama des Films hilflos schlucken lässt...
Kommentar-Thread
#189
Geschrieben 27. April 2008, 02:15
Danny Boyle, Großbritannien/USA 2007
DVD (O-Ton mit engl. UT)
Danny Boyle lässt nichts anbrennen. Schon mit 28 Days Later hat er gezeigt, was für einen konzeptionell dichten Film man machen kann, ohne auf Unterhaltungswerte zu verzichten. Ich habe sogar einige Gedanken zum Film entwickelt, die ich allerdings für mich behalten habe. Hier scheinen sie nun angebracht, da Boyle mit Sunshine "theoretisch" so nahtlos an seine Zombiereflexion anknüpft. 28 Days Later würde ich als Film der Opazität beschrieben wissen wollen. Das Motiv der dreckigen Sichtfläche, von verschmutzten Fenstern und Spiegeln zieht sich durch die Bilder. Es geht weiter mit Milchglasflächen und dem Fotografieren des Regens als deutlich sichtbare Mikropartikel, die sich zwischen den Zuschauer und das Bildmotiv schieben. Und neben dieser formalästhetischen Ausführung des "Nicht-Klar-Sehens" gibt es dann ja auch die explizit ausgeführte: der Affe, der sich mediale Gewalt anschaut - dabei deutet der Film ja nicht nur symbolisch, sondern äußerst direkt an, dass die Krankheit virulent gewordene Übertragung von Gewalt durch Medien ist (der Wissenschaftler zu Anfang meint ja: "In order to cure, we have to infect them!"). Die Ursache des Zombieseins wird verschränkt mit der Opazität von Medien. Eine Medienkritik der Undeutlichkeit wird angedeutet.
Auch in Sunshine geht es um das Sehen. Der Film schwenkt allerdings von der Thematik der verschleiernden Medialität weg zur inneren Wahrnehmung des Menschen. Einmal natürlich schon allein über die Grundhandlung: Ein Team von Wissenschaftlern versucht die sterbende Sonne neu zu entzünden - und dem Menschen somit überhaupt das Sehen zu ermöglichen, denn ohne Licht kein Gesichtssinn. Auch formalästhetisch wird wieder ein markantes Motiv eingeführt: teilweise werden wir in Detailaufnahme bis an die Iris herangeführt, Augen schauen durch enge Sichtschlitze von Raumanzügen. Dass unsere Augen nicht nur rein physikalische Empfänger des Lichts sind, sondern der Zugang in unsere Seele, genau hier setzt der Film an. Bei unserem Sinn für Schönheit. Sunshine ist ein wunderschöner Film - und ein Film über Schönheit. Die Eigenschaft des Schönen ist ja nicht etwa in der Natur vorrätig, sondern sie wird von uns in die Natur projeziert. Und die Grenzwertigkeit dieses Vorganges wird durch die Grundprämisse des Films geradezu radikalisiert: Die Crew des Raumschiffes Icarus II (man bedenke die mythologische Anspielung) ist durch einen massiven Schutzschild vor den noch immer starken Strahlungen der Sonne geschützt: Tödliche, völlig gleichgültige Natur des Weltalls. In diesen Schutzschild ist ein Raum mit einer semipermeablen Sichtfläche - einer Leinwand - eingelassen. Hier kann man die für die Augen nicht zuträgliche Strahlung so filtern, dass man die Sonne betrachten kann: Der Mensch als homo visualis sieht im leeren Raum, in dem sich aus Teilchen Materie bildet, Schönheit. Zusammen schaut man sich Merkur, den sonnen-nächsten Planeten, auf seiner Umlaufbahn an. Das ist wie Kino - man macht sich also einen Reim auf die Bilder. Aber jeglicher Reim auf das "Da Draußen" kann nicht darüber hinwegtäuschen: Die Icarus II navigiert durch eine absolut lebensfeindliche Umgebung, durch rohe Natur. Die Feindlichkeit dieses Raums wird durch die optische Finesse der Spezialeffekte und hochspannende Szenarien stets betont. Dabei arbeitet Sunshine wirklich sehr markant die Grenze heraus, die unserem steten Sinnmachen und Sinnhineinlegen gesetzt ist.
Und eines wird klar: diese Grenze können wir nicht einhalten. Gerade der Psychologe der Besatzung entwickelt eine Obsession für den glänzenden Stern, den man nicht direkt und unvermittelt betrachten kann, ohne dabei zu sterben. Auch die Crew der Icarus I - die verschollene erste Mission, um die Sonne wiederzubeleben - war des Sinns nicht überdrüssig. Der überlebende Captain erblickte gar Gott in den Weiten des Kosmos und war kaum gewillt, sich seiner Ordnung durch das Wiederentzünden der Sonne zu widersetzen. Nun versucht er die Icarus II ebenfalls zu sabotieren. Wenn er im folgenden ins Film-Bild tritt, verzerrt Boyle dieses mit radikaler Unschärfe und überblendeten Doppelbildern. Diesmal ist es nicht die Opazität der Medien, sondern diejenige des religiösen Fanatismus. Und jener steht dem rationalen Wissenschaftsauftrag im Weg. Ein andere Grenze erfährt hiermit ihre Kontur - die zwischen Glauben und Wissen. Und auch die Grenze der Moral wird der Film streifen und diese auch recht unkonventionell und überraschend durchschreiten. Boyle scheint am Ende der objektiven Naturerkenntnis das Wort zu reden. Selbst wenn das Grundhandlungsgerüst absurd erscheinen mag, die Visualisierung der Technik, die den Film vorrangig strukturiert, ist auf Authentizitätseffekte hin angelegt.* Ferner denke man an die Verzerrung und mithin Kritik des religiösen Blicks. Jedoch kann selbst Wissenschaftler Capa (hier neben dem erstklassigen Cast gesondert zu nennen: der überaus tolle Cillian Murphy) im Angesicht seines bevorstehenden Todes und des neu angefachten Fusionsfeuers nicht anders als pure und bannende Anmut in der alles verschlingenden Naturgewalt zu erkennen. Und dergestalt fragt man sich: Vielleicht gibt es doch Schönheit außerhalb der Menschen ...?
* Obwohl wirkliche Durchführbarkeit und wissenschaftlicht Möglichkeit natürlich in keinster Weise ein Bewertungskriterium für erzählerische Arbeit darstellt und als ein allzu leichtes Argument gegen jeden Film hervorgebracht werden kann.
Kommentar-Thread
#190
Geschrieben 27. Mai 2008, 01:53
Andy Byatt/Alastair Fothergill, Großbritannien/Deutschland 2003
DVD, Synchro
Dokumentarfilm: "Filmform, die ausdrücklich auf der Nichtfiktionalität des Vorfilmischen besteht."* In diesem Sinne ist Deep Blue keine Doku, besteht der Film doch ausdrücklich auf die Ästhetisierung der aufgenommenen Bilder der Unterwasserwelt. Das Vorfilmische wird künsterlisch hier so weit verarbeitet, dass das Nichtfiktionale zerstört wird. Auch im Sinne einer Tierdoku, die uns über spezifische Eigenschaften jedweder Couleur die Tiere betreffend informiert, ist dieser Film kein Dokumentarfilm: Der Kommentar behält es sich vor, kursorisch und mythisch in die abgebildeten Situationen einzuführen. Atmosphäre ist sein Hauptzweck. Dass dieser Zusammenschnitt der Serie Unser blauer Planet (die meiner Erinnerung nach mit deutlich mehr Informationen aufwartet) trotzdem eine Doku ist, das will ich doch meinen. Bloß was wird denn in dem knapp eineinhalbstündigen Film dokumentiert? Tiere sind ja schon ausgeschieden. Nur weil etwas gezeigt wird, wird es ja noch lange nicht dokumentiert. Nein, der Mensch ist es, der hier genauer untersucht wird - genauer: seine populären Kunst- & Darstellungsformen. So dachte ich schon weit am Anfang, dass ich eigentlich Star Wars schaue. Bei der Jagd auf einem Fischschwarm deutet der satte Raumklang ein fremdartiges tiefes Geräusch von hinten an - ich dachte, gleich fliegt ein Kampfkreuzer ins Bild und durch den schwerelosen Wasserraum. Es war dann doch nur ein Wal, jedoch im Endeffekt - egal. (Vielleicht muss man auf Grundlange dessen Star Wars: Episode I neu bewerten, in der George Lucas nur folgerichtig handelte, als er seine Figuren hat abtauchen lassen und somit ganz richtig den latenten Link zwischen Sci-Fi-Weltall-Szenario und Meerestiefe freigelegt hat... )
Jedenfalls könnte man dem Film problemlos zum Vorwurf machen, dass er gar nicht an seinen Tieren und ihren Wesen interessiert sei, ist es doch ständig der Mensch und sein mediales Bild, welches in den Tieren wiederauftaucht. Die armen Robben, die vom gewaltätigen Orca gerissen werden, die Quallen, die sich als Künstler entpuppen und sich zu Formen surrealisitscher und abstrakter Malerei aneinanderreihen, die traurige Walmutti, das putzige und tapsige Eisbärkindchen, die Krebse, die zu Karibikrhythmen tanzen, die Haie, die in der Tiefe der Nacht und im Mondschein Schatten auf die Gesichter ihrer Mordopfer werfen usf. Überall Topoi, bekannte Formwendungen verschiedener Genres und Gattungen. Das ganze wird vom spärlichen Kommentar und der Musik George Fentons, die jegliche fiktionale Situation mit passenden und altbekannten Motiven orchestral einkleidet (das jedoch wirklich vorbildlich und nicht so abgeschmackt), natürlich nur angefeuert. Und wenn es in die tiefsten Tiefen geht, kann man in den leuchtenden und bunt flimmernden Meerestieren eigentlich nur noch UFOs und Raumschiffe erkennen.
Wir lernen also: Das Tier als eigenständiges Ding gibt es eigentlich gar nicht, sondern nur Erfahrungs- und Fantasiewelten des menschlichen Bewusstseins. Das ist ja die Kern- und Wesensfrage einer jeden Tierdoku, die sich an Deep Blue wegen seiner hyper-gefälligen Gestalt eben radikal entfalten kann: Wie soll man einem bewussten Wesen ein Wesen ohne (oder: mit ganz anderem) Bewusstsein näher bringen. Die Antwort dieses Film: Braucht man gar nicht. Man personifiziert einfach alles, was vor die Linse kommt (durch Musik, Montage, auffällige Perspektiven) und lässt die Tierchen ständig in menschlichen Affekten schwimmen. Eine mögliche Antwort, die die Tierdoku zur Menschendoku macht. Deep Blue lässt uns also erleben, wie der Mensch alles nach seiner Pfeife tanzen lassen kann - und zwar über das eingeübte Repertoire medialer Darstellungsformen. Will man, mal abseits vom Informationsaspekt, neben dieser (nicht ablegbaren, weil zutiefst menschlichen) Perspektive trotzdem wenigstens das Gefühl für eine jedwede Tierwelt anklingen lassen, würde mir das Konzept der Entfremdung und eben nicht jenes der Ästhetisierung (welches Zugänglichmachen bedeutet) einfallen. Der Film Mikrokosmos - Das Volk der Gräser geht da wesentlich konsequenter heran, indem er die Ästhetisierungen sehr viel experimenteller gestaltet. Ein bisschen künstlerischen Nonkonformismus hätte man sich auch von Deep Blue ab und zu gewünscht. Doch bleibt er ein schöner Spiegel...
Kommentar-Thread
#191
Geschrieben 07. August 2008, 17:45
Jared Hess, USA 2004
DVD, OmU
Eine Wahrnehmung von Alltag kann es nur geben, wenn es auch Nicht-Alltag gibt. Dass man also im Alltag gefangen ist, dass weiß man nur, wenn man auch ab und an von ihm befreit ist. Napoleon Dynamite (Jon Heder) ist, entgegen der Namensassoziationen, nicht von ihm befreit. Er lebt mit seinem Bruder bei seiner Großmutter, irgendwo in der Einöde Idahos. Er fährt noch mit dem Bus zur Schule, umgeben von Knirpsen. Er zeichnet Bilder seiner abgehobenen Fantasie-Welten. Er ist sich nicht zu schade, sich vor seiner Klasse mit verhaltenem gestischem Ausdruckstanz lächerlich zu machen. Nun könnte man meinen, dass sei ja alles unglaublich skurril und absonderlich. Aber Napoleon steht zu seiner eigenen Andersartigkeit vollkommen indifferent, als ob er sie nicht wahrnehmen würde. Genausowenig, wie er seine Außenseiterposition wahrnimmt. Womit dann die Frage gestellt werden muss: Ist er eigentlich ein Außenseiter? Es ist jedenfalls von geradezu erdrückender Alltäglichkeit, wie er in seinem Trott gefangen ist - der zwar kurios ist, aber eben nicht bewusst kurios. Der erste Streich gegen das Genre der Schulklamotte ist getan. Naploeon will, entgegen seiner Genre-Pendants, gar nichts vom (Schul-)Leben. Nicht aufsteigen, nicht beliebt werden, nicht auffallen (selbst wenn er es tut) usf.
Wer werden im Film Zeuge davon, wie Napoleon Freunde findet - Pedro (Efren Ramirez), ein neuer Schüler einer mexikanischen Einwandererfamilie, und Deb (Tina Majorino), eine Mitschülerin, die mit geschmacklosen Accessories und quitschbunten Leinwänden ein kleines Fotostudio betreibt. Was die Darsteller Heder, Ramirez und Majorino an unbeteiligten Gesichtsausdrücken und vollkommen entfremdeten Verhaltensweisen untereinander hier bringen, das ist schon fast verbrecherisch unkonformistisch. Sie dekonstruieren jegliche Vorstellung von Freundschaft, in dem sich die drei zueinander eigentlich vollkommen formell, rein oberflächlich, gnadenlos desinteressiert und auffallend unemotional verhalten. Passend zu dem famosen Spiel werden Schuss-Gegenschuss-Montagen merklich gedrosselt - sie könnten ja Dynamik vortäuschen! Ersetzt werden sie durch frontale, meist halbtotale oder halbnahe Two shots, die die Figuren - ähnlich ihrer eigenen Befangenheit - geradewegs im Bildrahmen fesseln und jeglichen Schwung schon im Ansatz lähmen. Dadurch ist ein geradezu einmaliger filmischer Beitrag zur Thematisierung jugendlicher Unsicherheit entstanden. Und mithin ist auch der zweite Streich gegen Genrestrukturen vollführt.
Der dritte Streich folgt stehenden Fußes. Napoleon Dynamite baut auch die stets typisierte Gegnerschaft zwischen Protagonisten und Antagonisten aus. Pedro wird von Napoelon zur Teilnahme an der Schülersprecher-Wahl überredet und von ihm dabei "natürlich" unterstützt. Gegner sind Chearleaderin Summer und ihr sportlicher Freund. Wie es sich für Antogonisten nicht gehört, sind die Zwei weder sonderlich giftig, hintertrieben, fies, eitel usw. Auch sie werden mit einer Aura der Alltäglichkeit umgeben, die jeglichen Antagonismus in Luft auflöst. Mit ihm verschwindet eigentlich auch eine klare Handlungsstruktur. Der Film zerfällt in loose gebundene Episoden, ganz wie der Alltag. Nur zum Schluß, da darf dann etwas passieren. Nun darf es zum Höhepunkt kommen, der nicht etwa mit dem Sieg über die Antagonisten in eins fällt, sondern mit dem Sieg über den Alltag. Der Schluß des Wahlkampfes wird von den Reden und Live Auftritten der Anwärter beschlossen. Summer tanzt mit ihren Cheerleadern recht unbeholfen zu den Backstreet Boys. Napoleon und Pedro hingegen wussten von dem Prozedere nichts und haben demzufolge keinen Auftritt vorbereitet. Doch nun darf titelgebender Jugendlicher seinem Namen gerecht werden und einen unglaublichen, einen spielerischen, einen erquicklichen Tanz zu Jamiroquais Song "Canned Heat" präsentieren - eine sagenhafte (auch ganz wortwörtlich zu nehmen) Einlage, in der Heder seiner Figur zwar die Absurdität lässt, aber die Tanzbewegungen gleichzeitig mit einer Intentionalität und Bewusstheit ausstattet, die die bisherige Dimension des Charakters sprengen. Trotz der eingeschnittenen Gegeneinstellungen des perplexen Publikums, ist das Ende vom Lied ein Sturm der Begeisterung unter den Schülern. Der Bann ist gebrochen. Pedro wird Schülersprecher und seine Reaktion ist ein Lächeln, Deb und Napoleon bändeln an. Gerade dieses Ende macht im Lichte des bisher Ges(ch)ehenen den Film zu einer noch besseren Kontrafraktur der Schulkomödie.
Kommentar-Thread
#192
Geschrieben 13. August 2008, 01:06
Neil Marshall, UK 2005
DVD, OmU
Sehr spannend, sehr bedrohlich, sehr nervenaufreibend. Und dahingehend erst einmal alles, was man sich von einem Horrorfilm wünschen kann. Ansonsten habe ich beim Überfliegen anderer Kritiken eigentlich all das entdeckt, was The Descent beschreiben und was man davon halten kann. Gefehlt hat mir dabei nur irgendwie die "Phänomenologie" der Crawler. Sie stammen ja vom Urmenschen ab, wie die Höhlenzeichnung andeutet, und haben ihre Höhle gleich zum ständigen Heim gemacht, während sie sich evolutionär an die immer währende Dunkelheit anpassten. Sie überholen wohl somit den Affen als unsere nächsten Verwandten - was ihnen, neben der im Film zur Schau gestellten Grausigkeit, natürlich den Hominiden-Bonus verleiht, der anderen "Monster"-Filmen abgehen mag. Diese Abstammung - Descent - schreit ja geradezu nach diskursiver Betrachtung: Da haben wir also noch die alte Gesellschaftsform. Mutter sitzt mit Kind in der Wohnhöhle, neben dem kuscheligen Knochenbeet gibt's auch ein Blut"bad". Annehmlichkeiten zwar, aber das Außerhalb des Heims gibt es für diese Frauen nicht. Vater jagt draußen und bringt lecker Essen nach Hause. (Manche meinen, so sollte das ja heute noch immer sein.) Da kommen nun 6 andere Hominidinnen und dringen in das Heim ein - etwas, was sie nur machen können, wenn sie sich von ihrem eigenen Herd gelöst haben und das Draußen eigenständig durchforsten. Und wahrlich, sie sind die neuen Jäger - sie jagen nach Abenteuern und Adrenalinschüben. Während Kind und Vater (man beachte den Beginn!) - von diesem "Außen" des Abenteuers ausgeschlossen - am Rand stehen und nur zugucken. Marshall lässt also diametral entgegengesetzte Gesellschaftskonzepte aufeinander prallen. Die Cave-Climberinnen stören nicht nur die Ruhe der Urmenschen, sie stellen einen Gegensatz und somit eine Bedrohung der grundlegenden Lebensweise dieser Wesen dar. Und diese neuen Jägerinnen hauen den alten Jägern zwischenzeitlich ja auch mächtig zwischen die Urbeine - sie sind stark. Eine metzelt gleich eine komplette Urfamilie nieder, also Mutter, Vater und Kind - die Keimzelle menschlicher Gemeinschaft. Da wird auch klar: am Ende können die Modernen nicht gewinnen, haben sie doch untereinander kein richtiges Konzept von Sozialität und Zusammenleben - der Mensch der Neuzeit ist ein sozialer Krüppel (finde es wunderbar, dies an Frauen exemplifiziert zu bekommen), da hilft auch die schönste Emanzipation nichts. Ihm ist scheinbar auch das Zuhause, also ein Inneres, abhanden gekommen, in das er sich zurückziehen kann, das ihm bekannt ist... (Und hier ließe sich die Interpretation an die psychologische Komponente von The Descent anschließen.)
Kommentar-Thread
#193
Geschrieben 02. Oktober 2008, 00:11
Makoto Shinkai, Japan 2007
DVD, OmU
Shinkai einundeinhalb Stunden über Herzschmerz erzählen zu lassen, wie bei seinem vorletzten Film The Place Promised in Our Early Days, war keine allzu gute Idee. Da kann dann sein Animationsstil - und insonders die faszinierende (da authentifizierende, dabei trotzdem expressive) Darstellung und Kolorierung von Licht - noch so distinkt sein, irgendwann ist die Luft raus. Deswegen habe ich mich auf diesen Sechzigminüter schon ein klein wenig gefreut. Als Episoden-Film beworben, ist er eigentlich keiner - damit ist er natürlich ganz auf der Höhe der Zeit, weil: Welcher Episoden-Film verknüpft seine Geschichten heute schon nicht mehr netzartig, lässt die Plots nicht irgendwo miteinander in Verbindung treten? Den Zusammenhang der Episoden bildet hier der Protagonist Takaki, den man jeweils für ca. 20 Minuten in seiner späten Kindheit, seiner Jugendzeit und im jungen Erwachsenenalter kennenlernt. Der erste Teil erzählt von seiner ersten (und wie sich herausstellen wird: einzigen) Liebe zur Mitschülerin Akira und ihrem letzen Zusammenkommen, bevor die Beiden wegen einem Umzug voneinander getrennt werden. Die zweite Episode dreht sich um ein Mädchen, welches sich in den jugendlichen Takaki verliebt. Der hingegen merkt davon weder was, noch wäre er wohl in der Lage, diese Gefühle zu erwidern. Und im letzten Drittel wird uns - nun sehr fragmentarisch montiert - der erwachsene Takaki gezeigt, wie er ein geisterhaftes und unerfülltes Dasein fristet.
Da könnte man nun meinen, 5 Centimeters per Second erzählt von einem emotional und sozial Geschädigten, einem, der die Kindheit nicht ruhen lassen kann und sich an einem Traum festklammert - in Ansätzen ist dies auch der Fall, leider nicht im Kern. Shinkais Animations- und Montagestil wird dem Ansatz sogar gerecht: Seine verkitschten Bilder - besonders das leuchtende schimmernde Farbdesign - verfolgen eine Strategie der Verklärung und Nostalgie. Und nichts ist verklärter als die irrationale Sehnsucht nach Kindertagen, an denen noch alles besser war. Die Montage verfolgt das Konzept der Momentaufnahmen, der Cutaways und der Durchbrechung der Erzählung durch tote Zeit (Schnitte auf dramaturgisch Unwichtiges, Evozierung von Alltäglichkeit) - ja eine im populären Anime stets und ständig angewandte Erzähltechnik, die für mich persönlich auch einer der Gründe für die große Anziehungskraft des japanischen Zeichentrick ist. Auch dieses Alltägliche, dieses Abschweifende, das Abwartende kann sich gut mit dem unerfüllten Sehnsüchtigen verquicken. Hauptproblem, und so kommen wir zum Kern, ist eben das ständig süßliche, Tiefsinn vortäuschende und gewungene Gequatsche. Die mentale Stimme aus dem Off - auch das nicht selten im Anime - redet und redet, gehaltlos, zu viel. Das ins Ansätzen Interessante wird tot-, klein-, weggeredet und so ins allzu Schwülstige umgekehrt. Und dann wird der letzte Akt mit einer überladenen Montage aus Impressionen aus Takakis (kurzzeitig auch Akiras) Erwachsenenleben beschlossen, unterlegt von einem recht gefälligen und mir persönlich zu seichten Song ("One more time, one more chance" von Masayoshi Yamazaki). Das wirkt ebenfalls kontraproduktiv, weil Takakis Melancholie und emotionale Unfähigkeit, die man sich bis dahin wiklich nur sehr gequält aus den Bilder und Wörtern zusammenklauben musste, nun völlig flöten geht. Traurig, wie wenig sich hier auf die Bilder verlassen wird...
Kommentar-Thread
#194
Geschrieben 03. Oktober 2008, 01:04
Ethan & Joel Coen, USA/UK/Frankreich 2008
Kino, Synchro
Ein gewohnter Coen - subtil, schwarz, scheinbar nebensächlich und eben dialektisch. Die Brüder verschleppen gerade im ersten Filmdrittel die Handlung auf einem fast langweilenden Niveau, um sie dann eben in schier unglaubliche Verstrickungen schlittern und aus heiterem Himmel Gewaltspitzen hageln zu lassen. Diese können durch die sorgsame Vorbereitung - das Schaffen von Verzögerung und Verlangsamung - dann nur noch spottend und ironisch wirken. Die Genresatire als Kunst... hier vielleicht doch etwas zu fad. Aber ich bin mir unsicher. Die Unsicherheit wackelt aber, wenn ich nur an David Rasche denke, der hier als Metakommentator das Geschehen des Films aus der Perspektive der arglosen CIA so trocken und beiläufig zu erklären versucht (es gelingt nicht), dass es einem die Tränen in die Augen drückt. Der Staat ist vollkommen ratlos gegenüber der "Verschwörung der Idiotie" seiner Bürger, die tödliche Knospen aus Selbstsucht treibt. Die Darstellung der Dynamik der Paranoia wird aufs Äußerste zugespitzt. Sie entwickelt sich vollkommen unabhängig von einem übergeordneten System, da rein im zwischenmenschlichen Miteinander - Brisanz jedenfalls ist den Coens nicht abzusprechen in diesem Film...
#195
Geschrieben 01. November 2008, 00:31
Star Wars - The Clone Wars - In seiner widersprüchlichen Visualität zwischen Pappmasché und furiosen Kampfszenairen, zwischen Fläche und atmosphärischen Beleuchtungsbildern ein äußerst faszinierender Beitrag zur Star Wars Franchise neben Tartakovskys Clone Wars Zeichentickserie. Entweder ist das ein endgültiger Abgesang auf die Reihe und ihre treffendste Zusammenfassung. Ich bin mir noch nicht sicher...
Kommentar-Thread
#196
Geschrieben 03. November 2008, 12:40
Rob Minkoff, USA/China 2008
DVD, OmU
In der ersten Hälfte (vielleicht sogar nur im ersten Drittel) fühlte ich mich recht wohl und dachte, dass man hier doch alles zu sehen bekommt, was man sich von einem Zusammentreffen zwischen Jet Li und Jackie Chan (im Vorspann sind beide Namen durch das gemeinsames J verkettet - schöner Einfall) auszurechnen hat: erstklassige Kampfchoreographien. Und so ist dann auch neben dem allgemein filmischen Zusammentreffen das erste handlungsinterne Zusammentreffen der von den beiden verkörperten Rollen ein furios inszenierter und zeitlich äußerst ausgekosteter Kampf. Da schien man sich der kleinen Sensation des Aufeinanderprallens dieser beiden Flagg-Martial-Artisten der Hongkong-Filmindustrie bewusst zu sein - leider mit etwas ermüdendem Effekt. Dieses Spiel mit dem Mythos wird sogar weitergetrieben: Beide spielen jeweils eine Doppelrolle. Aber als ob man uns sagen wollte, die Zwei sind viel zu einmalig für eine Doppelrolle, stellt sich die Doppelrolle gegen Ende des Films jeweils als eigentlich eine Rolle, als eine Figur heraus. Damit vergeht aber auch schon das Interessante.
Der Fokus der Geschichte auf die von Jungschauspieler Michael Angarano dargestellte jugendliche Figur, die an der bösen Bande scheitert, ausgebildet wird und dann an der bösen Band ein Exempel seiner gelernten Kampfkünste statuiert, ist etwas zu [19]eighties - Karate Kid mit einer großen Portion chinesischer Esoterik. Dabei fängt ja alles so gut an: Jason - also Michael Angarano - wird uns als Wuxia-Film-Fan vorgestellt, der tolle Vorspann wird gar eingeleitet durch ein Hineinfahren der Kamera in die in seinem Zimmer platzierten Poster, um darauf die Mitwirkenden in einer bunten und dynamisierten Welt von Hongkong-Filmplakaten vorzustellen. Darauffolgend sieht man Jason in einem kleinen Geschäft in (irgendeinem) Chinatown, in dem er sich enthusiatisch mit dem alten Ladenbesizer (schlecht maskierter Jackie Chan) über Bootlegs von Hongkong-Filmen, frühe Shaw Brothers, Bruce Lee und The Bride with the white Hair unterhält. Der Epochenwandel, der hier reflektiert wird, ist natürlich erwähnenswert: Die Karate-Schule der 1980er ist durch eine mediale Schule des neuen Jahrtausends ausgetauscht worden. DVD und Globalisierung lassen uns die asiatische Kultur direkt nach Haus' mitnehmen. Aber Jason bricht aus diesen interessanten Ansätzen auch schnell wieder aus: Er entdeckt einen Kampfstab (über den er natürlich gleich alles weiß) und wird von dessen Kräften in ein altes und magisches China "teleportiert", in dem er nun einer - Wer hätt's gedacht? - Prophezeiung nach den Stab seinem rechtmäßigen Besitzer bringen soll. Jener ist der vom ausnehmend bösartigen Herrscher des Landes, dem Jade Warlord, versteinerte Monkey King (Jet Li). Hier beginnt nun der Ausbildungsteil der Geschichte, in der Jason von zwei Kampfmeistern (gespielt nämlich von Jackie Chan und Jet Li - siehe Doppelrollen oben) in den Kampfkünsten trainiert wird. Ab hier zerfasert der Film auch recht zügig - Angarano bemüht sich ordentlich, kann natürlich der Sache nach kampfchoreographisch den beiden Attraktionen des Films nicht das Wasser reichen. Überall wird bildlich und wörtlich Hongkong-Kino zitiert, wild, aber ohne entsprechende Ordnung. Der Plot verfällt schnell dem Standard.
Man spürt ebenfalls, dass es sich hier um eine Hollywood-Produktion mit vielen Mitwirkenden aus Hongkong handelt. Grundsätzlich herrschen Dissonanzen und Spannungen. Schon allein die Karate-Kid-hafte Klammer um den mythologischen Mittelteil des Plots wirkt befremdend. Die Ausbildungsgeschichte ist recht blutleer und wird nicht vom Racheprinzip angefeuert (eine zu reine Formel), die Kämpfe sogleich sind teilweise jedoch saftig und beinhalten explizit dargestelltes Gegnersterben (hatte ich so nicht erwartet). Die Inszenierung des Emotionalen schreit nach Hollywood und zur gleichen Zeit darf man kalauerhaften Geschmacklosigkeiten beiwohnen, wie beispielsweise Jet Lis Urinieren in Jackie Chans Gesicht. Obwohl hier die Frage im Raum steht, ob dabei außerfilmischer Status illustiert werden soll - zwar wird die symbolische Aussage später im Film handlungsintern vollkommen sinnvoll aufgelöst, doch ein Film ist eben immer mehr als seine Handlung. Dafür ist Chans Englisch recht angenehm, Li meistert die Sprache nur schwerlich. Ein wenig mehr Konsistenz hätte ich mir gewünscht, dann wiederum war von dem Projekt in jener spezifischen Ausrichtung vielleicht kaum mehr zu erwarten. Enttäuscht hat mich der Film trotzdem mit zunehmender Laufzeit.
Kommentar-Thread
#197
Geschrieben 10. November 2008, 00:39
Gil Bettman, USA 1986
DVD, Synchro
"Ich nehme an, du hast keine Gefangenen gemacht, mit denen man--"
"Das waren Junkies, die sich den Kopf zugeballert haben! In dieser Situation schien das nicht angebracht."
"Okay, ich verstehe."
(später im Film)
"Es ist nicht ihre Schuld: Sie sind Opfer gesellschaftlichen Verfalls."
["Erwähne nicht das Wort 'Opfer' - das macht sie an!"
"Ehrlich? Die sind ja ganz schön fertig..."]
Ein absurd-faszinierender Einblick in offen praktizierte Menschenverachtungsstrategien der 1980er. Wir dürfen Nasenmann John Stamos bei der Transformation vom High School Schüler (der so ungewöhnlich unmännliche Sportarten wie Trampolin-Springen betreibt) in eine knatternde Bumsmaschine und einen mit allen männlichen Wassern gewaschenen Agenten begleiten. Für welche Organisation genau er nun tätig wird, erfahren wir nicht. Sie scheint sich jedenfalls den Kampf gegen alles A-Normale, A-Soziale und A-Heterosexuelle verschrieben zu haben. Gene Simmons gibt uns den Bösewicht, einen Hermaphroditen mit langer Zunge, der uns eindeutig zu erkennen gibt, dass er diese wohl gerne überall hineinschieben würde. Kein Zweifel besteht darin, dass die Welt hier zu Anfang des Films aus den Fugen geraten ist: Lance Stargroves (Stamos) Vater Drew (George Lazenby) wird von Velvet von Ragner (Simmons) umgebracht. Letzterer will die Trinkwasserversorgung mit Atommüll anreichern. Das Ergebnis wäre nicht der Tod, sondern eine Verseuchung, eine Deformation des Normalen. Interessant, dass radioaktiver Müll hier mit den ausgeschlossenen Elementen der Gesellschaft, dem sexuell Ambivalenten und dem sozial Unangepassten, parallelisiert wird (- eine ganze neue Art von Umweltbotschaft). Lance hockt noch in der High School mit seinem Zimmergefährten, einem Tüftler und Computer-"Nerd" asiatischer Abstammung (Peter Kwong). Und die mehr-als-Arbeitspartnerin (Vanity) von Agenten-Papi sieht sich den kriminellen Elementen allein gegenüber und muss ihre männliche und harte Seite herzeigen. Fassen wir zusammen: Hermaphrodit bedroht Stadt, Mann schläft mit anderem Mann in einem Zimmer, Frau beweist Stärke. Hier stimmt was nicht - aber ganz gewaltig! Stamos hat eineinhalb Stunden Zeit, alle Unklarheiten zu beseitigen - mit Schusswaffengewalt, die in dem Film sehr selbstverständlich auf alles sich Bewegende gerichtet wird, mit ein bisschen Pyrotechnik und nicht zuletzt ein paar kleinen, aber feinen Akrobatikeinlagen. Das Liebenswürdige an dem Film ist, dass er seine Menschenverachtung und sein Sexualkonzept so offen und auch in jeglichen Dialogen vor sich herträgt. Ein echter Teufelstritt, bei dem es viel zu lachen gibt!
Kommentar-Thread
#198
Geschrieben 27. November 2008, 23:39
Chris Carter, USA/Kanada 2008
DVD, OmU
Die Mythologisierung der Serie selbst (in der es um Mythen geht) hat ja schon während ihrer Ausstrahlung begonnen und setzt sich fröhlich fort - eine Situation, auf die der Film freilich schwerlich antworten kann. Aber um es klar zu stellen, dem verklärenden Diskurs entgegenzutreten: Akte X war niemals unheimlich spannend, der pure Horror oder Terror, bis man nicht mehr kann. Und: Monster, Aliens und Verschwörungen waren keinesfalls die Hauptbelange. Der zweite Kinofilm bleibt dem Serien-Konzept, insonders dem "Monster"-of-the-Week-Gerüst, treu: mit optischer Finesse und Kraft wird klassisch fabuliert - und sich dabei selbstverständlich auch an den klassischen Horror-Stoffen bedient. Nie war das anders und das Ergebnis war immer angenehmes Gruselmaterial, eingebettet in eine soziale Grenzsituation (hier nun ist es priesterliche Pädophilie). Ich danke für diese Altbackenheit. Dass der Film im Inneren natürlich ein Scully-Film ist, ist eine äußerst interessante Wendung. Denn darauf baut die so schön unscheinbare und scheinbar nur nebensächliche Liebesgeschichte zwischen Mulder und ihr auf. Scully muss endlich zu ihren Glauben finden (ab der ersten Einstellung mit ihr wird das klar - das Kreuz im Hintergrund, der Kontext sofort etabliert), ansonsten wird sie niemals zu Mulder finden. Seinem Sarkasmus zum Trotz besitzt er einen unerschütterlichen Glauben (weswegen man ihn auch nicht das Internet benutzen sieht, ihm genügen die alten Medien) - dieser mag zwar nicht katholisch sein, aber dies wird eben einerlei: I want to believe. Scully schafft den Sprung in den Glauben ohne Zweifel mit dem Ergebnis, in dem katholischen Krankenhaus, in dem sie arbeit, wie eine "Spooky" Scully behandelt zu werden - beklotzt, betuschelt, vermieden. Im Kern erzählt der Film somit das letztendliche Zueinanderfinden der beiden Hauptprotagonisten - es ist also alles beim Alten, nur ist der Verlauf direkter und der Ausgang kompromissloser...
Ich könnte noch lange weiterreden über diesen kleinen, wunderschönen Film - z.B. über Chris Carters ständige Integration eines Parallel-Konzeptes, sowohl auf formalästhetischer als auch inhaltlicher Ebene. Eine Linie spiegelt sich in der anderen - "parallel" heißt verbunden und doch niemals zusammen. Besser kann man den modernen Mystery-Begriff nicht auf den Punkt bringen!
Kommentar-Thread
#199
Geschrieben 28. November 2008, 22:47
Ja, die Idee, die Zombie-Geschichte als Familiensaga (neu) zu erzählen, die mag recht nett sein, doch sie ebenfalls bleibt nur in Ansätzen stecken.
Fazit: Ernütchtert den Abspann geschaut.
Kommentar-Thread
#200
Geschrieben 05. Februar 2009, 01:39
#201
Geschrieben 25. Februar 2009, 14:02
Clint Eastwood, USA 2008
OmU
Was Eastwoods neuer Film vielleicht alles ist...
... ein Straczynski-Film.
Den neuen Eastwood würde ich eher als neuen Straczynski sehen, der sich für das Drehbuch verantwortlich zeichnet. Es gibt ausgesprochen auffällige Parallelen zu Straczynskis Opus magnum Babylon 5. Der Missbrauch rechtsstaatlicher Mittel zur Schaffung eines Unrechtsstaates, das geheime Wirken krimineller und vollkommen gesetzloser Energie aus dem Inneren des Staates, also jenes Gebilde, das diese Energie eigentlich eindämmen soll, und das Ausgeliefertsein des Bürgers gegenüber diesen Kräften - all diese Strukturen durchziehen auch jene Science-Fiction-Serie der 1990er. Und der gerechte Kampf gegen diese Strukturen. Dabei ist besonders der Mittelteil - die Einweisung in die und der Aufenthalt in der psychatrischen Anstalt - bezeichnend. Denn zwei Elemente interessieren den Drehbuch-Schreiber von Changeling wohl besonders: Einmal die Verschränkung von Unrecht mit bürokratischen Formalia; so als ob eine Bezeichnung für etwas unglaublich Grausames etwas rechtens machen würde, wie z.b. der im Film genannte "Code 12", unter dem der Polizei unliebsame Frauen einfach jeglicher Rechte beraubt und eingewiesen werden. Das Andere ist der Missbrauch psychologischen Wissens, um es nicht zur Heilung, sondern zum "Verrücktmachen" zu verwenden. Es gibt einen eindrucksvollen Dialog im Film, in dem ein Psychologe seine Macht und sein Wissen gekonnt einsetzt, um eine jegliche Aussage des Patienten ins Gegenteil zu verkehren und als Symptom einer psychischen Erkrankung zu werten. Straczynski ist ein subtiler Autor dieser menschlichen Interkationen und Wertsetzungen. Dieser Film ist ein Beweis dafür.
... ein Film, in dem Angeline Jolie große Augen macht und dabei ihre behandschuhte Hand vor ihren offenen Mund hält, um Entsetzen auszudrücken.
... ein Film über die Medienlandschaft der Zwanziger.
Radio, Telefon, Telegraph, Kino, Zeitung - Changeling integriert sie alle ins das lebendige Bild des L.A.s der Zwanziger. Und das nicht nur im Hintergrund, also als Setting, sondern meist als plottragende Elemente. Als Auslöser von Handlungen und Überbringer zentraler Informationen. Diese Bewusstheit der Allgegenwärtigkeit jener zeitgenössischen Medien wird nicht zuletzt in dem auf klassisch getrimmten Universal-Produktionslogo, den schwarz-weißen Totalen, die den Film beginnen und schließen, und dem prägnanten jazzigen Hauptthema des Scores widergespiegelt.
... ein Serienmörder-Film.
... ein elegant und melancholisch erzählter Film.
Seine klare Struktur - der langsam ansteigende Anfang, der dramaturgisch aufreibende Mittelteil, das leise ausklingende Ende - und seine Kontrolle über die Figuren, deren erzählerischen Funktion auch immer eine charakterliche Plastizität und Identifiktationspotential zur Seite gestellt wird, macht den Film so klassisch, dass er schon wieder modern ist.
... einfach ein toller Film.
#202
Geschrieben 02. März 2009, 02:22
George P. Cosmatos, USA 1986
DVD, OmU
Stallones atmosphärisches Italo-Nuscheln bringt uns am Anfang die Kriminalstatistik der USA näher. Die rein quantitativen Ausmaße hören sich nicht gerade schmeichelhaft an, ganz im Gegenteil: es steht echt nicht gut um dieses Land. Da muss doch mal jemand was machen, Mensch! Auf der Bildebene wird auch schon angedeutet, dass nun bloß noch rohe Waffengewalt weiterhilft. Die gibt uns Stallone hier, als City Cobra, Mitglied einer geheimen Polizei-Einsatzteams namens Zombie Squad, die an der Grenze der Legalität operiert - wenn es richtig harte kriminelle Nüße zu knacken gibt. Die interessante Prämisse - Innenansichten aus einer Truppe, die staatlich sanktioniert Richter und Henker vereint - wird natürlich ... nicht gerade genutzt, um über Plastik-Kugel-Weisheiten aus dem reaktionären Kaugummi-Automaten hinauszugehen. Um Stallones illustres und hier recht dumpfbackig ausgefallenes selbstjustizielles Treiben auch nur annähernd nicht der Lächerlichkeit preiszugeben, hat man sich einen kriminellen Antagonisten ganz speziellen Ausmaßes an Bord geholt: Ein sektenähnliches Syndikat, welches sich für eine Serienmordreihe ohne erkennbare Opfertypologie verantwortlich zeichnet und dessen soziale Motivation im Dunkel bleibt. Mit der anfänglichen Statistik haben die nicht einmal im entferntesten zu tun, sind sie eben einfach nur unheimlich böse, verrückt und sektenmäßig gleichgeschaltet - so jedenfalls deute ich die eingestreuten Szenen, in denen die Typen mit viel künstlichem Gegenlicht jeweils zwei Äxte gegeneinanderhauen, was dann so ein lustiges 80er-Jahre-"Kling" macht. Angeführt werden sie vom markanten Brian Thompson (Alien Bounty Hunter aus Akte X), der - psychopathologisch gesprochen - nicht mehr alle Murmeln im Sack hat und glaubt, eine New World Order zu schaffen, indem er seine Opfer aufschlitzt. (Aus Serienmörder-Perspektive ist er eigentlich 'ne ziemliche Pussy, braucht er doch stets und ständig Hilfe.)
Nun, ich meine das alles nicht böse, merkt man dem Film doch auch sein etwas spaßigeren Charakter an. Hier fotografiert David "Sledgehammer" Rasche Brigitte Nielson, wie sie sich zwischen Silberpapier-Robotern räkelt--- weiteres erübrigt sich darauf recht schnell. Eine recht wohlfeile Geschichte dient hier zur (un)gefährlichen Unterbringung einiger beeindruckender Action-Sequenzen. Das hier ist so eine Art 80er-Jahre-Austoben. Das Finale hat einen fast zwanzigminütigen Dauerbeschuss zu bieten und damit auch noch für heutige Verhältnisse beinahe Übersättigungscharakter. Viele Motorrad-Stunts und niedergeschossene Biker später, kommt es zur dramatischen Hatz in einer industriellen Gießerei. Der Topos vom Endkampf in einer Industrieanlage lag dem Action-Film ja schon immer am Herzen... Warum auch nicht? Schaut man sich die ersten beiden Terminator-Teile oder auch diesen Film an, wird man merken, wie wunderbar so ein industriellen Gelände für dynamische und spannungsreiche Prozesse geeignet ist, weil es zusätzliche Bewegungsvektoren ins Bild einführt. Ganz nebenbei hat dies ebenfalls einen ideologischen Charakter, zeigt es doch, wie die kalte Mechanik, die Industrialisierung obsiegt, der Fetisch um das Werkzeug dessen Benutzer in die Ecke drängt. Insofern wird man dem Action-Film wohl immer dekonstruktives Potential bescheinigen können, denn die Ideologie des Werkzeugfetisch kollidiert mit der des Benutzers, der sich z.B. auf die Seite der Gerechtigkeit stellt. (Oder auf die Seite des Anti-Maschinen-Fraktion, siehe Terminator - hier wird die Paradoxie dann auf die Spitze getrieben.)
In der Mitte des Films gibt es noch eine sehr schöne und erwähnenswerte Autoverfolgsungsjagd, die sich durch einen sehr elliptischen Schnittrhythmus auszeichnet. Das erinnerte mich an die recht aktuelle Diskussion um die Action-Sequenzen in The Dark Knight, denen oftmals vorgeworfen wird, sie seien "holprig" geschnitten. Ich mag das eher als einen gewissen Action-Formalismus begreifen, der sein Heil nicht im korrekten Anschlussschnitt sucht, sondern in der Kontinuität der Bewegung. Diese wird auch beibehalten, wenn es zu Raumsprüngen kommt und das Auto woanders ist als dort, wo wir es in der vorherigen Einstellung verlassen haben. Das Ergebnis ist, das lässt sich auch in Cobra sehen, recht atemlos.
Ganz persönliches Erlebnis: Dieser Detective Monte kam mit von seiner Bildschirm-Präsenz so bekannt vor. Ja, den hatte ich doch schon irgendwo gesehen, spukte es in meinem Gehirn. In jeder Szene wurde dieses Gefühl stärker und das Nicht-Einordnen-Können hat sich nun schon als Kribbeln in meinem Bauch manifestiert. Zähneknirschend gab ich stets auf, obwohl es mir auf der Zunge lag. Der Abspann samt Schriftzug "Andrew Robinson" brachte mir meine späte Erlösung: Garak aus Star Trek: Deep Space Nine. Dufter Schauspieler, übrigens!
#203
Geschrieben 10. März 2009, 00:25
#204
Geschrieben 18. März 2009, 23:09
Ed Bianchi, USA 2003
DVD, OmU
Wie die Serie in die zweite Staffel eingestiegen ist, das lässt sich nur beschreiben, in einem Wort: meisterlich. Wie die Figuren- und Handlungsfäden der ersten Staffel wieder aufgenommen werden und gleichzeitig - ganz nebenbei und neben der schon etablierten afroamerikanischen Ghetto-Kultur - eine vollkommen neue Subkultur vorgestellt wird und zwar die der polnischen Emigranten und Dockarbeiter, das ist einfach nur pure Erzählkunst. Also dies ist das eine: das stete Auge der Serie für das Soziale, für das Elend, für den Alltag, für den Unterschied, für die Unterschicht, für die desolaten Strukturen, im sozialen und stadträumlichen. Und das andere, ganz Große: Der absolute Willen zur nicht-dramatischen Gestaltung - und das obwohl vor einem gerade das vielleicht größte Drama abläuft. Was mir erst Mitte der ersten Staffel auffiel, das ist die Verweigerung, abgesehen vom Titelvorspann und dem Abspann, extradiegetische Musik zu verwenden. Das muss man sich mal vorstellen: Außer Liedern, die ihre Quelle im Bild haben und zur erzählten Umgebung gehören, wird in dieser Serie keine Szene musikalisch untermalt. Ich kenne sogut wie keine Serie, die in der Hinsicht so radikal und kompromisslos wäre. Ganz im Gegenteil: Derzeit nicht eine Serie, die nicht mit Musik - vom orchestralen Score bis zum leicht alternativen Popsong - zugestopft ist. The Wire verschafft sich gerade wegen der Verweigerung solcher Techniken eine so selten gekannte Authentizität bei der Zeichnung ihrer Milieus und der Protagonisten in ihr. Und so endet zwar jede Folge eigentlich mit einem dicken Cliffhanger, aber der fühlt sich wegen der formalen Destilisierung gar nicht so an. In dieser Folge nun wird in einem Schiffscontainer ein Geheimraum mit illegalen Einwanderinnen entdeckt - alle tot, wahrscheinlich erstickt. Die Kamera schwenkt den Raum entlang, langsam schiebt sich jeweils eine neue kreideweiße Leiche ins Bild. Keine Musik, keine Cut-Ins, kein Gewackel, keine "Oh-schau-mal-wie-schrecklich-und-traurig"-Inszenierung. Dann kommt der Abspann. Dass man gerade voll eins in die Fresse bekommen hat, muss sich erst noch entfalten. Meisterlich.
#205
Geschrieben 23. März 2009, 01:01
Ach ja: es ist beängstigend, wie Danny Boyles Filme immer wieder um dieses eine Thema drehen.
#206
Geschrieben 19. April 2009, 09:31
#207
Geschrieben 22. April 2009, 17:59
Theo Angelopoulos, Frankreich/Griechenland 1991
TV-Aufnahme, Synchro
Unnötig zu sagen, dass dies der erste Film des Flagschiffs des griechischen, ja sogar europäischen Kunstkinos, Theo Angelopoulos, ist, den ich je gesehen habe. Unnötig zu sagen, dass sich der Film recht unnahbar gibt und dem hollywood-geschulten Gemüt etwas sperrig erscheint. Nötig zu sagen, dass man wohl bei aller Einladung zur Interpretation, die der Film permanent ist, vorsichtig zu Werke gehen sollte. Warum ich gerade bei diesem Film solch ein mir etwas fremdes Credo ausgebe, vermag ich nicht zu sagen. Jedenfalls hat er mich beeindruckt - obwohl ich während der Sichtung auch gehörig Distanz zu ihm aufgebaut habe. Vielleicht mag das mit seinem Thema zu tun haben, welches unzweifelhaft "die Grenze" ist. Protagonist ist ein Journalist aus Athen (Gregory Patrikareas), der nahe der Nordgrenze Griechenlands eine Reportage über ein keines Dorf dreht, welches sich zu einem Flüchtlingslager verwandelt hat. Hier warten die Grenzgänger nun auf ihr politisches Asyl, ihre Bürgerschaft, ihren griechischen Ausweis, um diesen ungewöhnlichem, trostlosen "Zwischenort" zu verlassen. Hier meint der Journalist einen griechischen Politiker (Marcello Mastroianni) wieder zu erkennen, der vor Jahren spurlos verschwand und wenig später für kurze Zeit wieder auftauchte, um darauf endgültig zu verschwinden. Der Journalist glaubt, ihn in einem albanischen Flüchtling entdeckt zu haben, in dessen Tochter er sich verliebt und wodurch er die Grenze seines journalistischen Berufs überschreitet.
Bevor man anfängt, von all den Grenzen zu reden, die der Film zieht und thematisiert, sollte man sich vielleicht zuerst den grundsätzlich paradoxen Charakter einer jeden Grenze vergegenwärtigen: Denn zum einen trennt sie Bereiche voneinander, zum anderen verbindet sie diese, ist sie doch die Naht zwischen jenen Bereichen. Das ist die Crux einer jeden Grenze - und gleich zu Anfang des Films wird dieser Gedanke an einer Ländergrenze expliziert. Hier zeigt der Kommandant der griechischen Grenzpatrouille dem Journalisten, was es heißen würde, den Fuß über diese weiße Markierung zu setzen, die die Brücke über dem Grenzfluss in zwei Abschnitte teilt: Nämlich Nichts und Alles. Nichts bedeutet sie, weil die Grenze als Naht zwischen zwei Bereichen mit einem kleinen Schritt übertreten ist, da gibt es keinen Widerstand. Alles bedeutet sie, weil die Ländergrenze soziale, kulturelle, gesellschaftliche und besonders rechtliche Räume voneinander trennt. Sich in einen anderen Rechts- und Verwaltungsraum zu begeben, heißt, für diesen Raum ein Fremdkörper, eine nicht zurechenbare Einheit zu sein: Nur weil man sich in diesem Rechtsraum befindet, heißt das ja noch lange nicht, dass man Teil davon ist - denn dieser ist ja über seinen territorialen Aspekt hinaus ein System von Verboten und Geboten, von handlungsstrukturierenden Gesetzen. Und das liegt im Herzen der Flüchtlingsproblematik: in einem Staat leben zu wollen, ohne dort Bürger zu sein, d.h. nicht mehr dort, aber auch nicht ganz hier zu sein. Das Dorf, in dem sich die Flüchtlinge also sammeln, das ist ein Ort des Daszwischens, bildlich ein Ort, der genau auf der Grenze liegt. Dieser ungewöhnliche Zustand wird im folgenden verflochten und parallelisiert mit zwei weiteren Motiven: Identität und Journalismus.
Kurz bevor der Politiker verschwand, soll er von verschiedenen Menschen an unterschiedlichen Orten, unterschiedliche Tätigkeiten und Berufe ausübend, gesehen worden sein. Während seiner kurzen Wiederkehr war er für seine Frau (Jeanne Moreau) wie ein fremder, ihr unbekannter Mensch. Anscheinend hat der Politiker seine innerste Grenze überschritten: seine Identität. Ich-Sein bedeutet, alles, was ich bin, von allem, was ich nicht bin, abzugrenzen. Dass der Journalist diesen Mann nun gerade in einem Flüchtlingslager wieder entdeckt zu haben glaubt, verknüpft diese Identitätsproblematik mit der Flüchtlingsproblematik: Flüchtling zu sein heißt, seine Identität aufzugeben, einen gefestigten und sicheren Ort zu verlieren, zuerst räumlich, dann charakterlich. Der Journalist meint, diesen geradezu fundamentalen Missstand einfach nur von außen dokumentieren zu können. Der Zuschauer wird während des Films einige Male zum Bebachter zweiter Ordnung: Er beobachtet die Beobachtung, schaut also auf einen Bildschirm, auf dem das "Schauen" der Journalisten (die Videoaufnahme) abgebildet ist. Diese Distanz-Schaffung zeigt, dass auch der Journalismus eine Grenze zieht: Die Beobachtung von Ereignissen, über die er berichtet, verbindet ihn zwar mit diesen, sein Nicht-Eingreifen, sein Status als neutraler Beobachter trennt ihn wiederum davon. (Ähnliches gilt für den Empfänger journalistischer Medieninhalte.) Der Film ist an einer Kritik dieses Medienmechanismus bzw. jeglicher Grenzziehungen interessiert.
All diese Themen werden formal in einer Reihe von Plansequenzen umgesetzt, die von komplexen Kranfahrten der Kamera bis zur einfachen frontalen "Theatereinstellung" reichen. Wenn man sich hier einmal nach der ASL (Average Shot Lenth, durchschnittliche Einstellungsdauer) der Filme Angelopoulos' umschaut, dann fällt auf, dass er mit durchschnittlich 100 Sekunden zu den Spitzenreitern der Regisseure mit den längsten Einstellungen gehört. Nun könnte man ja meinen, dass die damit sehr niedrige Schnittfrequenz dem Thema der Grenze entgegenläuft, ist doch der Schnitt eine formalästhetische Grenzziehung. Nun ist es aber so, dass fast jedes der farblosen, betrüblichen Bilder dieses Films Grenzen und Trennungen enthält - diese kommen durch Gegenstände, Landschaften, Kamerabewegungen, Figuren, ihre Blicke und räumliche Stellung zueinander zu Stande. Sehr auffällig ist z.B. die Liebesbeziehung zwischen dem Journalisten und der Tochter des Albaners/Politikers, die sich hauptsächlich durch eine Verfolgung auf Distanz und ein sich ständigen Anstarren, ja beinahe ein Belauern äußert. Eine zärtliche Liebesnacht[!] wird dadurch angedeutet, dass er rechts aus dem Bildkader verschwindet, sie links. Höhepunkt dieser formalen Ausarbeitungen zum Thema des Films ist gewiss eine Hochzeit, während der Braut und Bräutigam vom breiten Grenzfluss getrennt sind. Dabei verlässt die Kamera niemals die griechische Seite, der Bräutigam bleibt ein kleiner, entfernter Punkt am anderen Ufer, dessen ungewiss, ob er jemals seine Frau umarmen wird. Auf das ausgefeilte Sounddesign und den großartigen Score von Eleni Karaindrou vermag ich hier nicht mehr einzugehen.
Auf all die Fragen, die der Film als Gesellschaftskritik und Beschreibung der Conditio Humana aufwirft, vermag er keine Antwort zu geben - außer diese kleine poetische Sentenz: Manchmal muss man schweigen, um die Musik hinter dem Regen zu hören...
#208
Geschrieben 23. April 2009, 23:29
#209
Geschrieben 30. April 2009, 00:52
#210
Geschrieben 06. Mai 2009, 11:39
Ach ja: Die Figur Wolverine rettet den Film nicht. Jackman bleibt blass, sein Konflikt zwischen animalischer und moralischer Seite vollkommen angedichtes Luftschloss. Konnte er sich bei X-Men noch als Außenseiter im Außerseiter-Team absetzen, wird er hier automatisch in die Heldenrolle gedrängt und verliert dabei seinen asozialen Charme.
Besucher die dieses Thema lesen: 10
Mitglieder: 0, Gäste: 10, unsichtbare Mitglieder: 0