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114 Antworten in diesem Thema

#61 Kingsley Zissou

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Geschrieben 22. März 2009, 21:26

KILL SWITCH (USA/Kanada 2008, Jeff F. King)

Die 00er Jahre sind wohl letzten Endes auch als eine Dekade der alternden B-Movie-Recken zu betrachten. An der Spitze dieser um die Jahrtausendwende wohl kaum zu erwartenden Renaissance stehen sicherlich die bislang vier Regiearbeiten von Dolph Lundgren, der sich von Film zu Film stetig steigerte und sich spätestens mit MISSIONARY MAN als bedeutender Filmemacher des Gegenwarts-(DTV-)Kinos etablierte. Auch Jean-Claude van Damme reflektiert sich seit einigen Jahren zunehmend selbst als alternden Actionhelden, mit dem vorläufigen Höhepunkt der wunderschönen Meta-Tragikomödie JCVD. Nur Steven Seagal schien bis vor kurzem aus der schier endlosen Talsohle nicht herauszufinden, in die er spätestens nach dem spektakulären, aber würdelosen Comebackversuch mit dem Bruckheimer-Vehikel EXIT WOUNDS geriet. Bis vor kurzem, denn dann kam URBAN JUSTICE und plötzlich schien doch wieder: alles neu. Oder besser: alles alt, denn hier knüpfte Seagal endlich wieder an die Schnörkellosigkeit und Geradlinigkeit früher Gesellenstücke wie OUT FOR JUSTICE an. Tatsächlich war URBAN JUSTICE im Grunde makellos und hat seinen Platz in jeder Rangliste der, sagen wir: fünf besten Filme des Aikido-Meisters zu finden. Und, vielleicht noch wichtiger: tatsächlich bedeutete URBAN JUSTICE nicht nur einen singulären Höhepunkt seines jüngsten Schaffens, sondern leitete einen kleinen, aber konstanten Aufschwung ein. Denn wo nicht wenige der Projekte, die Seagal in den Jahren zuvor mit seinem (gelegentlichen) Mitwirken beehrte, sich in lachhaft kompliziert erzählten, dabei vollkommen belanglosen Verschwörungsplots verhedderten, legten Seagals jüngste Werke PISTOL WHIPPED und, nun, KILL SWITCH eher äußerst schlichte, aber eben unprätentiöse Genreerzählungen vor. Die meisten Seagal-Streifen der Jahre 2002 und 2007 konnten im Grunde in ihrer umfassenden Gescheitertheit schon als Beiträge zum Projekt einer Dekonstruktion des Actionkinos gelesen werden - KILL SWITCH ist dagegen einfach ein simpel gestrickter Polizeifilm. Auf die Jagd nach einem gar fiesen Serienkiller macht sich Seagal hier, und in dieser Plotentscheidung liegt vielleicht auch der Grund, warum KILL SWITCH etwas schlechter ist als PISTOL WHIPPED, der wiederum etwas schlechter war als URBAN JUSTICE. Denn mit all dem kriminologischen Aufwand lädt sich KILL SWITCH dann doch wieder unnötigen Ballast auf, der zwischen Seagal und uns - den Zuschauern - stehenbleibt. Im Grunde ist dies hier schlicht Genrekino, wenn auch deutlich unterdurchschnittliches. Aber im Falle von Mr. Seagal muss man wohl konstatieren: immerhin, es ist wieder Genrekino.
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#62 Kingsley Zissou

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Geschrieben 23. März 2009, 17:00

FRASIER. Season 4, Ep. 1: THE TWO MRS CRANES (USA 1996, David Lee)

In einer äußerst schlüssigen Kurzrezension von 2005 hat Bert Rebhandl überzeugend dargelegt, dass die US-Sitcom FRASIER im Grunde in der Tradition des großen Hollywood-Melodrams zu verorten ist. Als "Exzess des Realitätsprinzips" funktioniere die Serie in ihrem Beharren auf der Ent-Täuschung, dem Offenlegen von Eitelkeiten und Selbsttäuschungen. Eine These, die sich aufs Schönste anhand der Eröffnungsepisode der vierten Staffel nachvollziehen lässt. Diese nämlich beschreibt in der ganz eigenen Steigerungslogik dieser famosen Sitcom zunächst den allmählichen Aufbau eines Lügengebäudes aus einer kleinen persönlichen Zwickmühle hinaus: Daphne bekommt nach 5 Jahren Trennungszeit Besuch von ihrem Ex-Lover Clive, den sie einstmals mit einem unernsten Vertrösten auf einen späteren Neuanfang verließ. Da sie nun - zu Recht - fürchtet, Clive wolle sie zurückgewinnen, gibt sie den ewig unerwidert und fetischistisch in sie verliebten Niles als ihren Ehemann aus. Eine im Grunde simple Notlüge, die auch schnell zum gewünschten Erfolg führt - oder besser: führen würde, wenn denn nicht der von den falschen Zärtlichkeiten betörte Niles eine Fortsetzung der merkwürdigen Situation provozieren würde, indem er Clive zum Abendessen einlädt. Nach und nach platzt das gesamte Dauerpersonal der Serie hinein, und jeder schreibt die Lügengeschichte, die dem verblüfften Clive aufgetischt wird, auf seine Weise fort, bis sich erste Zwistigkeiten zwischen den verschiedenen, jeweils in ihren eigenen Neurosen befangenen Erzählern einschleichen. Das so aufgebaute, zum Schluss hin immer abenteuerlichere Kartenhaus bricht schließlich auf absehbare Weise in sich zusammen - und die einzige Lüge, die am Ende noch Bestand hat, ist ausgerechnet die absurdeste von allen...
In diesem Sinne, zur Würdigung der großen Schmerzensmänner Frasier und Niles Crane, ein Toast. "Auf unerfüllbare Ansprüche." :cheers:
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#63 Kingsley Zissou

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Geschrieben 27. März 2009, 00:42

IN 3 TAGEN BIST DU TOT (Österreich 2006, Andreas Prochaska)

Über das Sequel sind ja derzeit Wunderdinge zu vernehmen, folglich habe ich mir nun den Vorgänger einmal zu Gemüte geführt. Dieser blockbustete vor drei Jahren in Österreich ganz gewaltig, und erweiterte den bundesdeutschen Fokus auf das ja ohnehin seit Jahren zu den interessantesten europäischen Nationalkinematographien zählende Landeskino noch einmal in Richtung Genremanufaktur. Interessant ist es vielleicht vor allem, IN 3 TAGEN BIST DU TOT als Experiment zu betrachten - ein 08/15-Slasherdrehbuch, verfilmt von einem Nicht-Horrorregisseur. Andreas Prochaska ist ganz offensichtlich kein Fanboy, und seine Regie ist ebenso offensichtlich keine rein genreorientierte. Stattdessen setzt er auf gediegenes Erzählhandwerk und auch mal Zwischentöne, worin zwar Stärken und Schwächen des Films ihren Ursprung nehmen - doch überwiegen wohl leicht die aus dieser Regieentscheidung resultierenden positiven Aspekte von IN 3 TAGEN BIST DU TOT. Der nämlich interessiert sich doch merklich stärker als die meisten seiner Genregenossen für Schmerz - eher seelischen denn körperlichen, obgleich immerhin eine Tötungssequenz stilistisch intensiv und recht graphisch ausgefallen ist -, und da er auch seine Protagonisten nicht nur als blöd-bloßes Killer-Kanonenfutter behandelt, geht seine Intensität immer wieder über die durchschnittlicher Slasher hinaus. Sein Skript liegt hingegen leider keinen Deut über dem mediokren Niveau von Vorläufern wie I KNOW WHAT YOU DID LAST SUMMER, und die lähmende Konventionalität von alldem, was da so passiert, hebelt dann leider doch viele der positiven Tendenzen in Prochaskas Film wieder aus. Man könnte noch anmerken, dass Sabrina Reiter als final girl eine Entdeckung ist, von der man unbedingt mehr sehen möchte, und dass IN 3 TAGEN BIST DU TOT als (fast) einheimische Genreproduktion natürlich einen gewaltigen Sympathiebonus verdient. Dieser resultiert dann auch darin, dass ich mich sehr bemühen werde, eher die gar nicht unbeträchtlichen positiven Aspekte dieses leider etwas unterambitionierten Streifens im Gedächtnis zu behalten.
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#64 Kingsley Zissou

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Geschrieben 30. März 2009, 23:46

¿QUIÉN PUEDE MATAR A UN NIÑO? (Spanien 1976, Narciso Ibáñez Serrador)

Die Fronten werden im Grunde bereits im Prolog abgesteckt: Mittels dokumentarischer Aufnahmen und Statistiken sucht Regisseur Serrador dort zu belegen, dass in jedem Krieg und in jeder humanitären Katastrophe die Kinder stets die ersten - und wehrlosesten - Opfer sind. Sieben Minuten lang führt er hier größtenteils schwer erträgliche Bilder vor Augen, und schafft damit einen unverzichtbaren Kontext für den folgenden Film. Unverzichtbar, und doch für ein deutsch(sprachig)es Publikum hier erstmals wirklich sichtbar: wurde doch dieser Prolog in der einstigen deutschen Fassung des Filmes unter dem unbegreiflichen Titel TÖDLICHE BEFEHLE AUS DEM ALL komplett gekappt. Was blieb, das versuchte man als ein Science-Fiction-nahes Böse-Kinder-Horrorfilmchen an den Mann oder den Knaben zu bringen. Wohl vergeblich, was ich als Nicht-Zeitzeuge mutmaßen muss. Ein Scheitern wäre in dieser Hinsicht jedoch gleich auf mehrfache Weise nachvollziehbar; ist doch ¿QUIÉN PUEDE MATAR A UN NIÑO? im Grunde nicht einmal unbedingt ein Horrorfilm. Sicher, seine Prämisse - ein Dorf voller dämonischer, erwachsenenkillender Kinder und ein Paar auf der Flucht - weist zurück auf unstrittige Klassiker wie Wolf Rillas VILLAGE OF THE DAMNED und voraus auf die corny Stephen-King-Adaption(en) CHILDREN OF THE CORN. Doch Serradors Film gibt sich über weite Strecken derart sperrig, dass er im Kontext des genreaffizierten Kunstfilms passender verortet scheint als im Genre selbst. Das schreibt sich zunächst in die äußerst bedächtige Erzählweise ein, die sich der Schockdramaturgie des Horrorkinos weitgehend verweigert - es bestätigt sich in den allgegenwärtigen politischen sowie auch filmhistorischen Kontexten, die Serrador ganz offen heranzieht - und es formuliert sich schlussendlich aus im avantgardistischen (und höchst eindrucksvollen) Sounddesign. Das Spiel mit den Identifikationsangeboten, das zuerst die Motive des mörderischen Aufstandes verdeutlicht und dann mit dem (scheinbar) unschuldigen Paar auf der Flucht vor und schließlich im Kampf gegen die Kinder bangen lässt, macht ¿QUIÉN PUEDE MATAR A UN NIÑO? vor allem zu einem Film der Trauer - jener Trauer, die auf diese Weise nur das Splatterkino empfinden kann. Mit geborgten Worten: Er "weint um jeden Blutstropfen ein Meer von Blut". - Die Vorbehalte, die man gegen ¿QUIÉN PUEDE MATAR A UN NIÑO? haben könnte - Ist ein Film automatisch besser, wenn er seine Subtexte an die Oberfläche des Geschehens zerrt und sie somit offenlegt? - treten nahezu vollständig zurück vor dem Respekt, den eine solch konsequente Durchsetzung einer filmischen und gesellschaftlichen Vision (denn ¿QUIÉN PUEDE MATAR A UN NIÑO? ist natürlich im Grunde vor allem ein Film über den gewaltsamen Widerstand als solchen) unbedingt gebietet.
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#65 Kingsley Zissou

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Geschrieben 01. April 2009, 12:14

DIE REISE INS GLÜCK (Deutschland 2004, Wenzel Storch)

Dr. Snuggles und Mr. Hyde...
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#66 Kingsley Zissou

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Geschrieben 01. April 2009, 23:48

LIKE THE RELENTLESS FURY OF THE POUNDING WAVES (Thailand 1996, Apichatpong Weerasethakul)
MYSTERIOUS OBJECT AT NOON (Thailand 2000, Apichatpong Weerasethakul)

Der frühe Kurzfilm und der erste Langfilm des "thailändischen Superstars" (so formulierte ein Kollege) lassen sich hervorragend zusammendenken: Beide kombinieren experimentell-dokumentarische, extrem grobkörnige Schwarzweißaufnahmen mit Voice-overs und Zwischentiteln, die auf Erzählweisen und Plotlinien thailändischer Radio- oder TV-Soaps zurückgreifen. LIKE THE RELENTLESS FURY OF THE POUNDING WAVES tut dies noch etwas offensichtlicher enigmatisch: Wie zufällige Filmschnipsel treffen hier mit dem darübergelegten Plot mal zusammen, laufen dann wieder auseinander, spiegeln sich, kontrastieren sich - nicht nur Ebene und Metaebene, sondern multiple Ebenen übereinander geschichtet, im stetigen Spiel miteinander, nie zusammenkommend. - Etwas klarer MYSTERIOUS OBJECT AT NOON: Ein Dokumentarfilm, zuerst. Eine Frau erzählt davon, wie sie als als kleines Mädchen vom Vater an einen Onkel verkauft wurde. Für den Gegenwert eines Bustickets, weil dem Vater nur der Klebreis seines Heimatdorfs schmeckte. Dann eine Schnittstelle: Sie könne erzählen, was immer sie wolle, so der Regisseur im Off: Realität oder Fiktion. So kommt die Geschichte des verkrüppelten Jungen, seiner Lehrerin und des mysteriösen Jungen, der Tiger erschlägt und vielleicht ein Alien ist, in die Welt. Mit dieser Geschichte reiste Weerasethakul durch das Land, um sie von unterschiedlichsten Menschen weitererzählen (und teilweise performen) zu lassen: meist als Soap Opera, hin und wieder auch als Musical, schlussendlich explodierend in einer Art Science-Fiction-Märchen. Ultimativ abgeschlossen, und doch über den Abspann hinaus weiter, immer weiter erzählt. - - - Ein Schlüssel zu Weerasethakuls Werk besteht vielleicht in der Erkenntnis, dass es sich hier grundsätzlich um ein Erzählen nach der Wahrheit handelt. Während das Hollywoodkino sich in politisch aufgeladenen Zeiten wie mutmaßlich den unseren daran abarbeitet, mittels des Rückgriffs auf Wirkliches ein klein wenig Wahrheit zu erhaschen - vergeblich, freilich - dringt Weerasethakuls Kino, das seiner Zeit vielleicht so weit voraus ist, dass es mit der Gegenwart kaum noch vermittelbar scheint, so tief ins Herz der Wirklichkeit ein, dass es jenseits jedes überhaupt denkbaren Konzeptes von Wahrheit sich ereignet. Wovon Weerasethakul da spricht: ich habe keinen Schimmer. Ich weiß nur, dass es verdammt faszinierend ist, und dass immer wieder die durchaus beunruhigende Ahnung aufblitzt, er spräche von uns und unserer Zeit.
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#67 Kingsley Zissou

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Geschrieben 04. April 2009, 14:39

MONSTERS VS ALIENS 3D (USA 2009, Rob Letterman / Conrad Vernon)

In diesen Film hat es mich vor allem aus einem Grund verschlagen: Neugier auf die derzeit durch alle Gazetten gezerrte neue 3D-Technologie. Und da auch der Trailer etwas liebevoller wirkte als all die Sprechende-Tiere-CGI-Animationsstreifen der letzten Jahre, habe ich mich dann auch hineingewagt. Das Wichtigste zuerst: Die 3D-Projektion funktioniert hervorragend, das visuelle Erlebnis war durchaus beeindruckend. Der Film freilich hat dies eher wenig ausgereizt, was aber auch ins Positive umkehrbar ist: So besteht dann hier nicht die Gefahr so ziemlich aller früheren 3D-Filme, die Dramaturgie einzig an dem Ziel, möglichst viele Gegenstände Richtung Kamera zu bewegen, auszurichten. Hin und wieder hätte es vielleicht durchaus ein wenig spektakulärer sein dürfen - schließlich ist das hier auch ein Actionfilm -, der Zwang jedoch, aufgrund der noch nicht annähernd flächendeckenden technischen Infrastruktur zur 3D-Projektion auch ein 2D-Publikum zu erreichen, führte wohl dazu, dass diese neue Gimmick ein wenig underplayed bleibt. Der Film selbst freilich kann dann auch noch ein paar Pluspunkte einholen, da er doch um einiges sympathischer geraten ist als all die ICE AGES oder MADAGASCARS, mit denen die Schafherden unter den Multiplexgängern jüngst abgezockt wurden. MONSTERS VS ALIENS folgt zwar der stereotypen US-Animationsfilmideologie um Akzeptanz, Toleranz gegenüber sich selbst und Andersartigen, reichert diese aber mit durchaus liebenswerten Zitaten, Hommagen und Figuren an, so dass am Ende ein akzeptabler Unterhaltungsfilm herauskommt. Wenn Pixar die Spitze des derzeitigen CGI-Animationskinos ausmachst, und MADAGASCAR den Bodensatz, dann wäre MONSTERS VS ALIENS wohl so in etwa in der Mitte zwischen diesen Extrempolen zu verorten, mit Tendenz nach oben. Und, achja, er ist halt in 3D.
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#68 Kingsley Zissou

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Geschrieben 05. April 2009, 12:40

HAUNTED HOUSES (Thailand 2001, Apichatpong Weerasethakul)

Wie in den früheren Arbeiten LIKE THE RELENTLESS FURY OF THE POUNDING WAVES und MYSTERIOUS OBJECT AT NOON greift Apichatpong Weerasethakul auch hier wieder auf den Fundus der thailändischen Soap Opera zurück, um dessen Motiven durch Rekontextualisierung neue Facetten abzuringen. Hier reiste der Regisseur durch die ländlichen Gebiete Thailands und ließ zwei Episoden einer populären Soap von den Dorfbewohnern in ihren ärmlichen häuslichen Settings nachspielen. Dabei wechseln die Darsteller alle paar Minuten, während die Erzählung konsequent die Vorlage verfolgt - eine scheinbare Stringenz also, die sich doch in stetigem Fluß befindet. Selbst der Übergang zwischen beiden Episoden, incl. Cliffhanger, wird markiert durch ein vom TV abgefilmtes (und absolut spektakulär großartiges) Karaoke-Musikvideo zu einem Thaischlager über einen grünen Pick-up... Die Strenge des Konzeptes macht die Betrachtung von HAUNTED HOUSES zu einer etwas anstrengenden, da recht langwierigen Angelegenheit - das Konzept dahinter hat man schließlich recht früh durchschaut. Aber vermutlich hätte ein derartiges Projekt auch nur in diesem Format, in dieser Konsequenz funktioniert. Und während sich die Szenerien der zugrundeliegenden Soap aus dem Milieu der Superreichen durch ihre bloße Übertragung in die ärmlich-alltägliche Welt der Dorfbewohner zu etwas Groteskem entwickeln, tut sich eine ganze Welt auf in der simplen Beobachtung der hier mehr oder minder engagiert agierenden, äußerst charaktervollen Laiendarsteller und ihrer sich in ihrem Spiel offenbarenden Träume und Sehnsüchte - die dann wieder auf die artifiziellen Welten der Soap zurück verweisen...
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#69 Kingsley Zissou

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Geschrieben 06. April 2009, 15:25

WALL-E (USA 2008, Andrew Stanton)

Wow, ich bin beeindruckt - WALL-E ist wirklich so gut, wie alle sagen, und definitiv der Höhepunkt des bisherigen Pixar-Schaffens. Schon deswegen, weil er sich am weitesten von den vorgegebenen Bahnen des Disney-affizierten Trickfilmkinos entfernt, was ja dem jüngsten Meisterstück RATATOUILLE bei allen gloriosen Qualitäten noch nicht gelungen war. Die erste halbe Stunde von WALL-E ist grandios, wagemutig und überwältigend: Ganz ohne Dialog und mit rudimentärer Mimik wird eine ganze Welt entworfen - leer einerseits, bewohnt nur von Roboter WALL-E und seinem einzigen Freund, einer widerstandsfähigen Kakerlake. Voll andererseits, mit Zivilisationsmüll jeglicher Couleur, dessen Zusammenstellung von herrlich skurrilem Humor und äußerst selektiver popkultureller Referenzen nur so strotzt. Ausgerechnet auf Gene Kellys HELLO, DOLLY! als Leitmotiv romantischer wie filmhistorischer Natur fiel hier die Wahl, und schon hier fährt Andrew Stanton genügend Sympathiepunkte ein, um den folgenden Film sicher über die Runden zu bringen. Und ganz nebenbei führt er noch einen Gender-Trouble-Diskurs ein, der in der Folge die gesamte Filmerzählung begleitet. Die Romanze zwischen der zunächst als aggressive Kriegsmaschine eingeführten EVE und dem effeminierten - in einer Sequenz gar mit grellem Make-up geschminkten - WALL-E scheint so ganz sanft sogar die Frage zu kommentieren, inwiefern in einer Liebesgeschichte zwischen Robotern eigentlich geschlechtliche Markierungen vonnöten oder überhaupt möglich sind. Als Antwort bleibt hier, im Angesicht der Androgynität der Maschinenkörper, nur die Stilisierung der Augen - die großen, mechanischen Kindchenschemaglotzer von WALL-E einerseits, die digitalen Mandelaugen von EVE andererseits. Eine rein per kinematographischer Konvention durchführbare Markierung - deren Willkür der Film selbst ein Stück weit zu belächeln, jedenfalls aber zu thematisieren scheint. Ein bisschen konventioneller wird WALL-E dann nach dem Verlassen der verlassenen Erde und der Ankunft im ziellos durch das Universum kreuzfahrenden Raumschiff der exilierten, so aufgequollenen wie verdummten Menschen. (Eine Antiutopie, die mich ein wenig an Mike Judges unterschätzte Komödie IDIOCRACY erinnert hat.) Doch bleiben auch hier die makellose Schönheit der Bilder, der wunderbare Humor, mit dem all das erzählt wird, sowie eine erlesene Auswahl an Zitaten und Referenzen erhalten. (Einzig der 2001-Verweis war plump und abgegriffen - die Bildzitate hingegen reichten von TRON bis zu Chris Cunningham und zeugen, nach der Welt der Haute cuisine in RATATOUILLE, erneut von der kulturellen Bewusstheit der Pixar-Macher weit über die kanonischen Grenzen hinaus.)
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#70 Kingsley Zissou

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Geschrieben 09. April 2009, 12:12

RACHEL GETTING MARRIED (USA 2008, Jonathan Demme)

Mit RACHEL GETTING MARRIED ist Jonathan Demme im Grunde vor allem eins: spät dran. Hinter dem Familiendrama im Handkamera-Look verbirgt sich nämlich tatsächlich sein Beitrag zu Dogma 95 und eine Art Variation auf Thomas Vinterbergs Monument FESTEN. Nun ist ja die Dogma-Bewegung schon vor Längerem offiziell für beendet erklärt worden, aber das macht natürlich gar nichts. Die Ästhetik von Dogma 95, wenngleich selten in der einst dekretierten absoluten Konsequenz, wirkt fort und schreibt sich vom Arthousedrama bis zum Blockbuster in das Gegenwartskino ein und erweist sich fortwährend, vom Zeitgeist abgelöst und von der Zwängen zur cineastischen Revolution befreit, als eine kraftvolle Inszenierungsform für unterschiedlichste Stoffe. Und auch wenn Demme hier weder das Kino noch sich selbst neu erfunden hat, sondern viel eher auf vorbeigefahrene Züge aus Europa aufgesprungen ist, kommt man um das Urteil kaum herum, dass RACHEL GETTING MARRIED ein hervorragend funktionierender Film ist. Sein Rhythmus ist so entspannt wie die konstant im Background jammende Hochzeitskapelle, seine Ausbrüche exzellent getimed, seine Figuren sind komplex, seine Darsteller auf den Punkt besetzt. Das ist im Grunde Qualitätskino im positiven Sinne: Ich für meinen Teil habe jedenfalls gern zwei Stunden im Kreise dieser Familie verbracht und bin mit Freuden in ihre Abgründe hinabgestiegen, habe ihre Kompensationsstrategien erkannt und habe mich nicht gesträubt, den hier dargebotenen Schmerz ein kleines bisschen mitzufühlen. Nicht einmal das Ende war, wie so oft bei solchen Stoffen, verkorkst, so dass ich mich hier als Zuschauer ernstgenommen fühle. Ein schöner Kino-Sommernachmittag!
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#71 Kingsley Zissou

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Geschrieben 09. April 2009, 13:09

SLUMDOG MILLIONAIRE (UK 2008, Danny Boyle / Loveleen Tandan)

Danny Boyle ist kein Mainstream- oder gar Genreregisseur, sondern vielmehr ein Konzeptkünstler. Das war unübersehbar in seinen jüngeren, und eben deswegen auch weitestgehend missverstandenen Filmen 28 DAYS LATER und SUNSHINE - als Horrorfilm bzw. Science-Fiction-Opus wurden beide meist betrachtet statt als jene Experimente mit Genrestrukturen und Erzählweisen, die sie tatsächlich waren. Doch wo 28 DAYS LATER den Zombiefilm gewissermaßen aufbrach und für die Kontemplation des Kunstfilms öffnete, um ihm am Ende in jener ausführlichen DAY OF THE DEAD-Paraphrase, die die gesamte zweite Hälfte ausmachte, doch wieder den Genrespiegel vorzuhalten; und wo SUNSHINE die Modelle von Katastrophen-SF und spiritueller SF mit jenem der Horror-SF derart zusammenprallen ließ, dass am Ende eine Art metaphysischer Science-Fiction-Trip unter Eliminierung jeglicher Metaphysik herauskam - dort strebt SLUMDOG MILLIONAIRE nun nach einer oberflächlichen Geschlossenheit, welche das extrem partikularisierte Erzählgeflecht zusammenschmieden soll. Jene Aufspaltung in zahllose Einzelteile, welche dann - ausgerechnet und bezeichnenderweise - in der Quizshow "Who Wants to Be a Millionaire?" zu einem Gesamtbild (dem Rahmen und der Grundlage des Films ebenso wie dem großen Sinnbild, welches er für sein Weltbild, seine Utopien und Träume aufbringen kann) zusammengefügt werden. Eine Art Mosaik der globalisierten Welt, welche sich realistisch nur noch in geborgten, medialen Bildwelten darstellen lässt. Das geht im Übrigen weit über die Funktion der TV-Show hinaus - jedes Bild von SLUMDOG MILLIONAIRE ist zuallererst ein offen artifizielles, denn die Folie, durch die das alles betrachtet werden muss, ist ja zunächst die des Bollywood-Kinos und seiner stilisierten Traumwelten. Man könnte also auch sagen, Danny Boyle hat hier den Film gedreht, der aufgrund der rigide schematischen Erzählformen in Indien selbst (zumindest derzeit) nicht gedreht werden kann. Dabei steht er durchaus in der ästhetischen Tradition der politischeren unter den derzeitigen, großen Regisseuren von Bollywood - Mani Ratnam vor allem, oder auch Ram Gopal Varma - fügt seinem Bezugsrahmen aber auch immer wieder Versatzstücke hinzu, die wohl nur dem Blick von Außen auf das relativ geschlossene filmische System des indischen Kommerzfilms entspringen können. Das, wie so oft getan, als "Elendspornographie" oder schlicht "Schnulze" abzutun, greift bei weitem zu kurz: Boyle ist ein sehr kluger Filmemacher, und SLUMDOG MILLIONAIRE ist alles, nur kein dummer oder simpel gestrickter Film. Wenn man Boyle in der Vergangenheit etwas vorwerfen konnte, dann vielleicht höchstens, dass er über all dem Feilen an den Konzepten mancher Filme vergessen hat, diese auch als Filme funktionieren zu machen. Das kann man SLUMDOG MILLIONAIRE mit Sicherheit nicht vorwerfen: Was hier zwei Stunden über die Leinwand rast, das ist in sich absolut stimmig und mitreißend und muss auf formaler Ebene unbedingt zu den größten Kino(!)-Filmen seit langem gezählt werden. Das ist letztlich postklassisches Kino par excellence: Die narrativen Systeme des klassischen Hollywoodkinos derart zum Exzess getrieben, das kein einziges Partikel ohne Funktion im Gesamtbild bleibt - nur, dass dies Gesamtbild dann wieder ein künstliches ist. Die Utopie von Bollywood, die sich an exzessiv-gewaltsamen Bildern von Etwas reibt, das für "Realismus" einsteht, ohne dabei "realistisch" zu sein - und mit der TV-Show eine Utopie als Fluchtpunkt, die erneut eine trügerische, medial geschaffene ist. Ein Kino der Simulakra, nichts weniger - und ein Kino, das zwischen diesen verschiedenen medialen Ebenen in rasender Geschwindigkeit kreist. Ein Kinomodell wird demontiert und strebt einem TV-Format zu - nur um wieder im Kino anzukommen. (Nicht umsonst steht auch die einzige traditionelle Song&Dance-Sequenz am Ende von SLUMDOG MILLIONAIRE.) Das steht auch für ein Kino - das Kino von Danny Boyle - das sich vom Boden vorgegebener Formen ablöst und sich derart mit Welt, stets aus medial vermittelter Perspektive betrachtet, anreichert, dass es am Ende wieder in am Ausgangspunkt ankommen kann und, ohne ein einziges "eigenes" Bild gezeigt zu haben, doch etwas ganz Eigenes geschaffen hat. - Im Grunde gelingt Boyle hier all das, was in den Fällen der (wunderbaren) 28 DAYS LATER und SUNSHINE noch nicht so recht gelang: nämlich, alle Zuschauerblicke unter einen Hut zu bekommen. SLUMDOG MILLIONAIRE hat eine makellose Oberfläche, und verbirgt darunter eine hochkomplexe Konstruktion. High concept cinema, in der Mimikry einer schnörkellos-klassischen Hollywooderzählung. Die nahtlose Verschmelzung unterschiedlicher Genres und (literarischer, wie televisionärer, wie [national-]kinematographischer) Bildwelten, wie auch die fortwährende Reflexion der Nahtstellen. Ein Film des schönsten Kitsches, und ein ganz bewusster Film über Kitsch. Ein Film auch, das vielleicht gar nicht so unbedeutend, der in seinem Rahmen, ganz nebenbei, einem Hollywoodpublikum einen an exponierter Stelle als muslimisch markierten positiven Helden präsentiert, diesen/s dann gar noch mit dem Satz "God is great!" aus dem Film entlässt. Eine Film, der bei alldem vollkommen effortless erscheint. Ein großer Film.
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#72 Kingsley Zissou

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Geschrieben 09. April 2009, 15:39

GRAN TORINO (USA/Australien 2008, Clint Eastwood)

In den ersten Minuten war mir GRAN TORINO noch ein wenig unsympathisch: Zu sehr auf berechenbare Effekte schielend schien mir das knurrige Spiel Eastwoods, zu kalkuliert und anhand von Klischees komödiantisch aufgeladen die ersten Sequenzen, die das Aufeinandertreffen des Koreakriegveteranen Walt mit seinen neuen Nachbarn, Angehörigen des laotischen Volkes der Hmong, zeigen. Allzu präsent schien mir hier jene Neigung zum durchaus handfest-derben Humor, der Eastwoods Filme von jeher eben auch prägt. Aber ganz allmählich zeigt sich, wie genau der alte Mann inzwischen weiß, wann er an welchen Rädern zu drehen hat, um größtmögliche Wirkung zu erzielen. Und letzten Endes ist GRAN TORINO, wie zuletzt schon CHANGELING, vor allem ein sehr entspannt erzählter Film. Ganz allmählich lässt Eastwood den im Grunde schlichten Plot sich entfalten, von der Annäherung des rauen Walt an den scheuen Nachbarsjungen Thao und die patente Schwester Sue über den erst gegen Ende eskalierten Konflikt mit den Gangs der Nachbarschaft bis hin zum finalen Opfer, das anders ausfällt als erwartet. Die Figur, die Walt Kowalski hier verkörpert, ist einmal mehr der archetypische Eastwood-Held, der, unforgiven, nach Erlösung strebt für die Sünden der Vergangenheit. "The things that haunt a guy is the stuff he wasn't ordered to do", so lautet ein zentraler Satz, und den Abgrund, der sich hierin auftut, umkreist GRAN TORINO sanft, aber mit gnadenloser Konsequenz. Die eigenen Taten, für die es keine Erlösung gibt, die zerstörte Familie, die Einsamkeit des alternden Kriegers - das sind die Themen, von denen Eastwood im Grunde seit Jahrzehnten spricht, und wenn UNFORGIVEN der Film war, der seine Heldenfigur in Schimpf und Schande dem vollständigen Nihilismus preisgab, so spricht GRAN TORINO zwar von der gleichen Figur, gewährt ihr aber ein klein wenig Vergebung. Teuer erkauft zwar, aber doch da. GRAN TORINO gibt sich zunächst als ein nahezu komödiantisches gegenseitiges Ausspielen von Vorurteilen - einen Wendepunkt markiert die Sequenz, in der die Hmong-Großmutter auf der Veranda des Nachbarhauses den Bier trinkenden Walt ebenso misstrauisch beäugt wie dieser die neuen Nachbarn. Was er denn hier überhaupt noch wolle, die Gegend sei doch inzwischen rein chinesisch, so schleudert sie ihm, für ihn freilich unverständlich, entgegen und kreiert so das entsprechende Spiegelbild zu Walts Xenophobie. Vielleicht der Moment, in dem der Film seine Karten am offensten auf den Tisch legt, jedenfalls aber ein Wendepunkt in der emotionalen Dramaturgie von GRAN TORINO und der Punkt, von dem aus sich das Selbstopfer des von seiner eigenen Historie verfluchten Helden vorzubereiten beginnt.

Bearbeitet von Kingsley Zissou, 09. April 2009, 15:41.

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Geschrieben 12. April 2009, 11:32

PAUL BLART: MALL COP (USA 2009, Steve Carr)

Die Grundsituation ist bekannt: Geiselnehmer kapern ein ganzes Gebäude, die Polizei bleibt hilflos draußen. Nur ein Mann kann sich noch frei im Gebäudeinneren bewegen und kämpft gegen die Verbrecherbande - und für die Frau, die er liebt... Das alles ist, natürlich, DIE HARD und somit eine der Blaupausen überhaupt für das neuere Actionkino. Nur, hier läuft das Geschehen vollkommen bleifrei ab, und der mutige Einzelkämpfer ist der übergewichtige Sicherheitsmann Paul Blart auf seinem niedlichen Motorroller. Dieser Film, die erste echte Kinohauptrolle des Sitcomstars Kevin James, ist im Grunde allerorten verrissen worden. Warum, ist mir nach der Sichtung nicht so recht klar. Tatsächlich nämlich ist PAUL BLART: MALL COP eine freundliche und gutherzige Komödie ohne größere Ausrutscher. Der Humor ist weitestgehend ganz klassischer Slapstick, Kevin James beherrscht die Kinoleinwand ebenso wie zuvor den TV-Bildschirm als THE KING OF QUEENS, eine Handvoll Momente sind wirklich komisch, die Liebesgeschichte süß und die Pointen machen einen weiten Bogen um jene Körperfunktions- und -flüssigkeitstopoi, die die Gegenwartskomödie so häufig bestimmen. Das kann einem natürlich alles mit einigem Recht als allzu harmlos und unwichtig erscheinen - ich hatte 90 Minuten lang recht viel Freude an diesem Film, auf dem gleichen Niveau in etwa, wie mir die mittleren Adam-Sandler-Komödien wie etwa BIG DADDY oder MR. DEEDS gefallen. Kevin James' Persona verfügt hier freilich nicht über die Abgründigkeit und somit auch Fallhöhe, die im Falle Sandlers schließlich zu den Meisterwerken PUNCH-DRUNK LOVE, ANGER MANAGEMENT und 50 FIRST DATES führen konnte - für grundsympathisch-harmlose Familienkomödien wird man fortan auf diesen fabelhaften Komiker setzen können.
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Geschrieben 12. April 2009, 11:56

KNOWING (USA 2009, Alex Proyas)

So wütend wie hier kam ich lang nicht aus dem Kino: Der neue Film des immerhin stilistisch begabten Alex Proyas ist übelster, plumpster Religionskitsch, antiaufklärerisch und ekelerregend. Das beschränkt sich keineswegs, wie auch schon häufiger zu lesen war, auf das Ende im interstellaren Hoppelhäschenparadies, wo erleuchtete Kinder auf den Baum der Erkenntnis zulaufen, sondern durchzieht als roter Faden die gesamte Filmerzählung. Nic Cage mimt hier den vom rechten Glauben abgefallenen Astrophysiker (!), der sich aus wohl religiösen Gründen mit seinem Vater, einem Pastor (!), entzweit hat. Anhand eines Zahlencodes nimmt er nun zur Kenntnis, dass letztlich alles Geschehen bis hin zur knapp bevorstehenden Apokalypse per Sonnenexplosion Teil eines großen göttlichen Plans ist. Bis hin zum Finale gibt es nun ein bisschen (gut inszeniertes) Effekteklimbim, dann werden die Kinder, welche in ihrer Unschuld Gottes Botschaft zu vernehmen imstande sind, von einer Bande zwielichtiger Engel-Aliens per UFO ins Paradies verfrachtet, während der Rest der Menschheit im Sonnen(Höllen)Feuer verbrennt. Cage freilich kehrt zuvor noch, zum rechten Glauben bekehrt, in die Arme seines Vater und somit der Kirche zurück und kann nun mit seligem Lächeln dahinscheiden. - Der Gegensatz, den Proyas hier aufmacht, ist ganz unweideutig der zwischen Wissenschaft und Religion, und der Titel KNOWING bezieht sich somit auch nicht wirklich auf das Vorausahnen der eintretenden Katastrophen. "Knowing" ist hier vielmehr als Komplement zu "Believing" zu verstehen. KNOWING ist ein Film, wie man eher in Sektenzentren zur Gehirnwäsche erwartet, und reiht sich etwa zwischen Mel Gibson und der aus guten Gründen niemals außerhalb der USA vermarkteten LEFT BEHIND-Filmreihe ein. Widerlich.
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Geschrieben 17. April 2009, 13:47

CHIKO (Deutschland 2008, Özgür Yildirim)

Um den bei der Berlinale 2008 einigermaßen abgefeierten und auch zum Kinostart mit durchweg wohlwollenden Reviews bedachten hamburgischen Gangstastreifen im deutsch-türkischen Milieu habe ich mich lange herumgedrückt. Nun habe ich ihn, Freikarten zum den Deutschen Filmpreis begleitenden Lola-Festival sei Dank, doch noch gesehen, und das hätte ich auch durchaus gern bleiben lassen können. Dabei fängt CHIKO, auf niedrigem Niveau freilich, eigentlich ganz unterhaltsam an: Authentizität vortäuschender Homeboy-Sprachgebrauch, eine 1.000mal gesehene Klischeestory und ein paar durchaus genüsslich ausgespielte Härten. Das, wohlgemerkt, sind schon die positiveren Aspekte - ich bin der Letzte, der eine einigermaßen funktionierende deutsche Genrekinomanufaktur nicht begrüßen würde. Aber was Özgür Yildirim hier als seinen Vorschlag zu einer solchen beiträgt, das ist derart flach, überraschungsfrei und schlecht erzählt, das kommt so vollständig ohne Reflexionsvermögen, Rhythmus, eigene Ideen oder einen interessanten Regiestil aus, dass ich im Grunde nur vor dem Anschauen warnen kann. Das Niveau überschreitet niemals das eines durchschnittlichen deutschen TV-Krimis, der nur mit etwas graphischer Gewaltdarstellung aufgepimpt wurde - und dies scheint mir auch der einzige Aspekt zu sein, für den sich Regisseur Yildirim wirklich interessierte. Die Charakterentwicklung jedenfalls, die ja gar im Zentrum der Erzählung um Loyalität, Karriere, Freundschaft stehen sollte, bleibt stets bloß behauptet, im Vorüberhuschen abgehakt, und alle Figuren in CHIKO bleiben fast schon ärgerlich flach. Die melodramatischen Spitzen sind dann wiederum derart überspitzt, dass sie die Grenze zur unfreiwilligen Komik nicht nur streifen. Für funktionierendes deutsches Genrekino sollte man eher Dominik Graf schauen, der TV-Filme auf Kinoniveau inszeniert statt, wie hier, biedere Fernsehdutzendware für die große Leinwand aufzublasen.
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Geschrieben 18. April 2009, 12:25

LOST HIGHWAY (Frankreich/USA 1997, David Lynch)

Nachdem ich vor Jahren eine Seminararbeit über diesen Film geschrieben habe und ihn (nicht nur) im Zuge dessen unzählige Male angesehen habe, dachte ich eigentlich, ich würde ihn nicht wieder ansehen können. Zu sehr erschlossen, zu sehr durchanalysiert erschien er mir. Nun freilich habe ich, auch weil meine Freundin mit Lynch noch völlig unvertraut war, eine Ausrede gehabt, ihn mir wieder einmal - und vor allem: zum ersten Mal überhaupt auf der großen Leinwand - anzusehen. Und, was soll ich sagen: Ich finde mich noch einmal ganz neu überwältigt von der unbändigen Kraft von LOST HIGHWAY! Klar kann man, so man denn will, einiges vorbringen gegen diesen Film: etwa, dass er möglicherweise etwas zu ausgefeilt sein könnte. Einer von jenen Filmen, in denen jede Kleinigkeit eine Funktion im Gesamtbild erfüllt - aber, überschreitet er nicht auch, gerade in der zweiten, der Pete-Dayton-Hälfte, die Grenze zur Ironisierung eben dieser Konstruiertheit? Sind die sprechenden Namen etwa (Madison, Wakefield, Dayton...) tatsächlich ernst gemeint, oder gehören sie nicht eher zu Lynchs Persiflage auf die von ihm selbst so offen dargebotene psychoanalytische Verstehensweise seines Werkes? Wunderbar jedenfalls die Gartenszene, unmittelbar nach der Transformation und Petes Heimkehr: Alles ist da, direkt aus BLUE VELVET herübergeholt. Der weiße picket fence, der Hund, der Gartenschlauch. Das Kind freilich fehlt, nur ein paar Spielzeuge und ein leeres Planschbecken zeugen von seiner Abwesenheit. In diesen Zeichen der Idylle, in die sich Jeffrey in BLUE VELVET den Einlass noch schwer erringen musste, indem er Frank Booth und somit seine eigene dunkle Seite bezwang, fühlt sich Pete nun bereits grundsätzlich fremd, "wie in einem falschen Film". Der Kampf, den er mit sich selbst ausficht - dem von Jeffrey nicht unähnlich - kann er nicht gewinnen, seinen Mr. Eddy oder seinen Mystery Man oder seinen Dick Laurent (oder eben: seinen Fred Madison) wird er nicht los... In seinem obsessiven Taumeln um eine Reihe von Grundmotiven, Szenen, Konstellationen herum wird LOST HIGHWAY zum vielleicht hermetischsten von Lynchs Filmen: Niemals verlassen wir den Kopf des Lynch-Helden, dessen Geschichte, die Lynch von THE GRANDMOTHER bis zu diesem Punkt verfolgte, hier in eine fatalistische, extrem beschleunigte Wiederholungsschleife überführt wird - die schließlich in THE STRAIGHT STORY nicht aufgelöst, aber zu Ende erzählt wird, indem die radikale Entschleunigung und die rückwärtsgerichtete Bewegung ins Spiel gebracht wird. Dem Jenseitigen von LOST HIGHWAY wird dann auch, paradox genug, eine zumindest scheinbare Diesseitigkeit entgegengesetzt, die THE STRAIGHT STORY zum wohl missverstandensten unter allen Lynch-Filmen machen. Die Geschichte seines Helden jedenfalls hat Lynch damit zu Ende erzählt, und nicht zufällig sind MULHOLLAND DR und INLAND EMPIRE dann sehr deutlich "Frauenfilme" geworden. Aber, all die analytischen Winkelzüge mal wieder beiseite gelassen: Wenn BLUE VELVET die Quintessenz von Lynchs Kunst darstellt, dann ist LOST HIGHWAY vielleicht sein Meisterwerk. Mit letztlich verblüffend simplen Mitteln und beinahe archetypischen Bildern schafft Lynch ein Werk, das unmittelbar affektiv wahrgenommen werden will (Die Schattenspiele! Das Sounddesign! Der brachiale Soundtrack!), und ein Werk, das - ja! ich sage es! - man nicht gesehen hat, wenn man es nicht auf einer Kinoleinwand gesehen hat.
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Geschrieben 04. Mai 2009, 16:02

STAR TREK (USA/Deutschland 2009, J.J. Abrams)

Dieser Versuch einer Reanimation des tendeziell eher schon totgeglaubten STAR TREK-Franchise für die große Leinwand ist vor allem eines: jede Menge Lärm um letztlich erschreckend wenig Substanz. Nicht wenig Getöse wurde im Vorfeld vor allem um die implizierte Absicht veranstaltet, STAR TREK zeitgeistig aufzumöbeln und in die (Action-)Ästhetik des Gegenwartskinos zu überführen. Das klang für mich nicht so uninteressant, und der Trailer sah vor allem aus nach einem glossy aufgehübschten Oberflächenlook und ausreichend Explosionen. Ganz gut also eigentlich, jedenfalls für einen ausgewiesenen Nicht-Trekkie wie mich, der pubertierend mit Kirk und Spock gefiebert hat und schon bei Picard & Co. aus dem Universum der Serien ausgestiegen ist. Dem aus mir ebenfalls nicht ganz greifbaren Gründen regelmäßig höchstgelobten Regisseur J.J. Abrams ist es aber mit STAR TREK gelungen, sich zielgenau zwischen alle verfügbaren Stühle zu setzen und einen Film zu inszenieren, der vermutlich kaum jemandem wirklich gefallen wird. Aber, zunächst mal meine Perspektive von außerhalb des Trek-Kosmos: Von diesem Blickpunkt aus fällt mir zunächst einmal die Feigheit des ganzen Unterfangens auf. Statt die recht mutige Prämisse konsequent umzusetzen und ein Prequel zum gewaltig expandierten Universum der Originalserie zu inszenieren, redet sich STAR TREK letzten Endes auf eine piefige Zeitreise-Parallelhistorie heraus. Die angenommenen Ambitionen des Projektes verpuffen somit in der stets "Doppelfolge!! Doppelfolge!!" schreienden Wohnzimmergemächlichkeit von so ziemlich allen Kinofilmen der THE NEXT GENERATION-Crew. Dem wäre vielleicht noch ein Stück weit beizukommen durch eine zielsichere, pointierte oder auch nur halbwegs stringente Erzählweise. Aber im Gegenteil, gerade hier scheitert STAR TREK noch einmal. Die extreme Betonung der Handkamera in der Inszenierung versucht verzweifelt, STAR TREK zumindest oberflächlich auf Augenhöhe mit dem gegenwärtigen Actionkino zu ziehen, bleibt aber bloßes, manchmal gar himmelschreiend sinnloses Gimmick und gibt sich in seiner Exzessivität einen unverkennbaren Anstrich von Überkompensation. Und gleichwohl, oder gerade deshalb, gelingt es ihr nur selten, den verquasten Erzählrhythmus zu übertünchen. In seinem ohnehin wenig aufregenden Skript nämlich hetzt Abrams hektisch von einem Plotpoint zum nächsten, was dann endgültig an eine (auch im TV längst überwundene) Fernsehserienform denken lässt. - Soviel also zu meiner Sichtweise auf STAR TREK. Nach dem Kinobesuch war ich gespannt darauf, wie die eingeschworenen Hardcore-Trekkies diesen merkwürdigen Zwitter von einem Film aufnehmen würden. Die Rezension von Peter Mühlbauer liefert nun darüber Aufschluss: Die Kritikpunkte mögen woanders liegen, der Gesamteindruck ist ähnlich vernichtend. Bin gespannt, ob sich überhaupt jemand finden wird, der sich zur Verteidigung dieses müden Aufgusses aufraffen mag...
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#78 Kingsley Zissou

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Geschrieben 07. Mai 2009, 17:15

ASSAULT ON PRECINCT 13 (USA 1976, John Carpenter)

John Carpenters zweiter Film ist sein bester und, neben dem zwei Jahre später entstandenen HALLOWEEN, eines seiner beiden vollkommen unantastbaren Meisterwerke. Dabei zeichnen sich beide vor allem durch ihre Reduktion aus, die sich kongenial in den klirrenden, von Carpenter selbst komponierten Scores spiegelt. Unvergesslich, wie sich die minimalistischen Titelthemen in die Gehörgänge schneiden - und schier unglaublich, welchen Grad an Abstraktion der junge Carpenter hier erreicht. Die Grundkonstellation borgt er sich gleich komplett bei Hawks' RIO BRAVO - und damit dem Höhepunkt des klassischen Hollywood-Erzählkinos überhaupt - aus, transferiert diese in die nächtliche Großstadt und zerlegt das Geschehen im Drinnen und das im bedrohlichen Draußen in eine Reihe von Bewegungen, die kaum noch Berührungspunkte zu haben scheinen. Die nichts mehr miteinander zu tun haben wollen. Und löst so die Bedrohung von einer begreifbaren Gestalt letztlich ab, lässt sie Raum und Struktur durchdringen. Das spiegelt sich immer wieder in Montagesequenzen, die die eingesperrten Protagonisten zu Einzelkämpfern werden lässt, indem der Filmschnitt ihre Isolation noch einmal weiter treibt. In einem schier fetischistisch zelebrierten Blick auf splitterndes Glas während der langen Schießerei im Mittelteil des Films. Und strukturell, selbstverständlich, in jener noch immer ungeheuren Sequenz der Erschießung des kleinen Mädchens, die im Grunde im Zentrum des gesamten Films steht - auch wenn sie mit dem Geschehen im Inneren des Reviers eigentlich gar nicht so viel zu tun hat. Das ist aber kaum wichtig hier, denn ASSAULT ON PRECINCT 13 nähert sich eher einem reinen Aktionskino an, ebenso wie HALLOWEEN später in seiner Rückbesinnung auf Kinder- und Urängste (und seiner fast offensiv zelebrierten Ablehnung rationaler Logik zugunsten einer mal nicht surreal-barocken, sondern minimalistisch-abstrakten Alptraumdramaturgie) eine Art Essenz des Horrorkinos - und des selbst ausgelösten Slashers sowieso - darstellt.
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#79 Kingsley Zissou

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Geschrieben 07. Mai 2009, 21:13

TRON (USA/Taiwan 1982, Steven Lisberger)

Wow, was für ein wundervoller Film! Und mithin ein weiteres Indiz für meine These, dass neue mediale Formen dazu tendieren, in ihren frühesten Ausformungen die ganze Essenz, ihren eigentlichen Charakter, instinktiv und vermutlich weitestgehend nichtbewusst zum Ausdruck zu bringen. Diese Essenz neigt dann dazu, von allerlei kulturellem Ballast mit dem Verlauf der Mediengeschichte immer weiter verdeckt zu werden. So denke ich, dass die frühe Filmgeschichte, vom Kino der Attraktionen über den Stummfilm bis hin zum Musical des frühen Tonfilms weit mehr an die Essenz des Mediums Film rührt als die Zwangsjacke des narrativen Schauspielerkinos. Auch TRON ist als ein Grundstein zu betrachten, als Gründungsmythos des CGI-animierten Films, der heute omnipräsent ist, den Zeichentrickfilm fast völlig gefressen hat und das Spektakelkino soweit kolonisiert, dass gar schon die Ausformung einer Gegenbewegung, des "handgemachten" Action-, Splatter- oder sonstigen Effektefilms, notwendig schien. Und es ist, zumal aus heutiger Perspektive, ungeheuer, wie avantgardistisch die Bildwelten von TRON erscheinen. Zunächst einmal ist TRON, nicht nur im kaum fassbaren Umfeld des Disney-Kinos, ein auffällig finsterer Film. Das muss so sein, weil er nur so die Unzahl an Licht-, Spiegel- und Kontrasteffekten umsetzen kann, die ihn im Grunde viel stärker steuern als der (angemessen) simple Plot. TRON ist im eigentlich ein Beitrag zum Absoluten Film, nur eben aus der Perspektive des jungen Computerzeitalters. Ein Film der neonleuchtenden Primärfarben, der blinkenden Lichter, der glatten Flächen, geraden Linien, der leuchtenden Punkte. TRON ist auch ein expressionistischer Stummfilm, nur eben mit Dialogen und Klängen. Und TRON ist eine Übung in Bewegung, nur um der Bewegung und ihrer eigenen Poesie wegen. TRON ist, was Kino im Innersten ist und sein sollte: Malen mit Licht, und in der Zeit!
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#80 Kingsley Zissou

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Geschrieben 11. Mai 2009, 12:54

MY BLOODY VALENTINE 3D (USA 2009, Patrick Lussier)

Nachdem ich den Film im Rahmen der Fantasy Filmfest Nights bereits in der flachen Version gesehen und für mäßig interessant befunden hatte, hatte ich nun das Vergnügen, ihn noch einmal in der eigentlich vorgesehenen 3D-Fassung anzuschauen - und bin verblüfft über den Umfang der daraus gewonnenen Erkenntnisse. Dass der Film wesentlich besser funktionieren würde, war eigentlich klar - um wieviel sich aber die Wahrnehmung einzelner Sequenzen verändert, das ist doch bestürzend. Nach (und eigentlich auch: vor) der Erstsichtung waren Stefan und ich uns relativ einig, dass man sich das Dreidimensionale ja auch "dazudenken" könne - das hat sich als grundfalsch erwiesen. Die wesentlichen Veränderungen in der Wahrnehmung ereignen sich nämlich gar nicht einmal in den (wenngleich äußerst effektiv eingesetzten) "Spitzhacke ins Publikum"-3D-Standards, sondern in den ruhigeren, in der 2D-Fassung vornehmlich als Längen empfundenen Zwischensequenzen. Anhand von diesen erweist sich nämlich, dass das neue, dreidimensionale Kino auch eine neue, grundsätzlich andere Art des Erzählens erfordert. Ganz buchstäblich ein Erzählen im Raum, ein Eintauchen in die Tiefe des geöffneten Raumes. Interessanter beinahe als die scheinbare Öffnung der Leinwand in den Zuschauerraum hinein - also das in der Filmwerbung evozierte "es kommt etwas auf Dich zu" - ist nämlich die Öffnung in die Tiefe, den Raum hinter der Leinwand. Zu den wahrlich creepy Momenten in MY BLOODY VALENTINE gehören dann auch stets jene, in denen sich die schwarzen Löcher der Minenschächte im Hintergrund in ein scheinbar unendliches Dunkel zu winden scheinen. MY BLOODY VALENTINE ist, auch darüber besteht kaum ein Zweifel, immer noch zu lang, und überhaupt nur ein erster, oft ungelenker Schritt zur Erforschung dieser neuen cineastischen Sprache. Aber immerhin, er tut diesen Schritt in vielerlei Hinsicht und ist daher - ausschließlich in der dreidimensionalen Fassung - der faszinierendste, originellste und interessanteste Horrorfilm seit zehn Jahren und THE BLAIR WITCH PROJECT. Jeder, der sich für Horrorkino interessiert, sollte ihn sehen.
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#81 Kingsley Zissou

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Geschrieben 11. Mai 2009, 14:23

DE LA PART DES COPAINS (Italien / Frankreich / Belgien 1970, Terence Young)

Viel Plot, wenig Geheimnis ...
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#82 Kingsley Zissou

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Geschrieben 11. Mai 2009, 23:50

THE HILLS HAVE EYES (USA 1977, Wes Craven)

Hier war es dringend an der Zeit für eine erneute Sichtung, denn irgendwie stand mir THE HILLS HAVE EYES immer weniger nah als die anderen großen Filme von Wes Craven. Lange Jahre habe ich ihn nicht mehr gesehen, und als dann Alexandre Aja sein hyperblutiges Remake vorlegte, stellte sich ein seltsamer Effekt ein: Diesem nämlich konnte ich im Grunde nicht viel vorwerfen, filmisch sowie in der Konsequenz seiner Gewaltsamkeit war er tadellos. Und doch fühlte irgendetwas daran sich einfach nicht richtig an. Die Wiederbegegnung mit Cravens Film bestärkt mich nun in meiner Mutmaßung, denn bei aller Treue zur Vorlage scheint mir eine Differenz offenkundig: Cravens Film ist roh, schmutzig, ungeschliffen. Ajas Film schmückt sich mit diesen Attributen. Vintage, irgendwie. - Aber genug davon, hier soll von Cravens zweitem Film die Rede sein, dieser kleine Prolog dient ohnehin mehr der Selbstvergewisserung über meine Wahrnehmung beider Filme und ihrem Verhältnis zueinander. An Cravens Film fiel mir zunächst einmal die äußerst aggressive Montage der ersten halben Stunde auf - in jeder Einstellung kommt die Kamera den Darstellern ein klein wenig zu nah, stellt sich ein bisschen zu schräg, hastet der Schnitt etwas zu früh zur nächsten Einstellung, während der Dialog noch in diese hinübergreift. Ein extremer somatischer Effekt der Unruhe stellt sich in dieser Phase von THE HILLS HAVE EYES - der präeskalativen - ein, der sich mit der Erfahrung von Tobe Hoopers taumelndem (und immer wieder bestürzend schönem) Trip in den Irrsinn, THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE, vergleichen lässt. Aber je näher die Nacht in der Filmerzählung, und mit ihr die immer weitergeführte Eskalation der Gewalt, kommt, desto ruhiger wird der Rhythmus von THE HILLS HAVE EYES. Eine Ruhe vor der Sturm setzt ein, die dann wahlweise zum unerschütterlich-gnadenlosen Draufhalten auf die grausigen Ereignisse oder zur zermürbenden Studie der Verzweiflung in scheinbar auswegloser Situation wird. Überhaupt interessiert Craven - und hier liegt tatsächlich ein Unterschied zu Aja - weniger der sichtbare Effekt der Gewalt, wenngleich er hier natürlich auch keineswegs zimperlich ist, sondern mehr deren Auswirkungen. Die Zerstörung der Familieneinheit steht im Fokus von THE HILLS HAVE EYES - und natürlich auch von THE LAST HOUSE ON THE LEFT, und A NIGHTMARE ON ELM STREET - , und wenn der Vater Big Bob gekreuzigt und verbrannt wird mit eben jenem Benzin, das vorher aus dem Tank seiner eigenen Familienkutsche abgezapft wurde, dann ist das vor allem auch ein symbolischer Akt. Die Familie in THE HILLS HAVE EYES funktioniert dann auch grundlegend anders als die in THE LAST HOUSE ON THE LEFT, auch wenn man strukturell beinahe von einem Retelling sprechen könnte. Zwar geht es in beiden Filmen, manifestiert in den fast identischen Schlusssequenzen, um die Freilegung der Gewalt in der bürgerlichen Mitte der Gesellschaft, doch wo in LAST HOUSE die Generation der Eltern im exzessiven Gegenschlag ihren sozialen Status noch einmal gewaltsam zementiert, wird diese patriarchale Gesellschaftsordnung hier nun demonstrativ und endgültig zerschlagen, der Staffelstab der Gewalt an den (Schwieger-)Sohn weitergegeben. THE HILLS HAVE EYES ist in dieser Hinsicht kaum weniger zynisch als THE LAST HOUSE ON THE LEFT, und eine vergleichbar kalte Konsequenz sollte Craven erst sieben Jahre später wieder mit seinem Meisterwerk A NIGHTMARE ON ELM STREET erreichen, mit dem er in vielerlei Hinsicht sehr konsequent an sein Projekt der Zerschlagung der Familieneinheit anknüpft.
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#83 Kingsley Zissou

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Geschrieben 14. Mai 2009, 00:01

FINAL DESTINATION (USA 2000, James Wong)

Dass ich diesen Film so wesentlich besser in Erinnerung hatte, als er dann bei der Relektüre tatsächlich war, das mag unterschiedliche Gründe gehabt haben. Zunächst einmal kam er einst, vor einer knappen Dekade, in eine Zeit hinein, da mit dem langen Sterben der zweiten großen Teenslasherwelle die postmoderne Cleverness von Cravens famosem SCREAM längst in einer Masse inspirationsloser Blaupausen versumpft war. Dementsprechend niedrig war die Erwartung, damals, auf dem Fantasy Filmfest, und dementsprechend groß die Überraschung, dass es sich um einen doch tadellos zum Rocken eines 1.000-Mann-Saals geeigneten Funsplatterkracher handelte. Zudem schärfte eine meiner Erinnerung nach sehr gelungene Fortsetzung des Profil des schnell zur Filmreihe expandierenden Überraschungserfolges, und eine weniger gelungene warf genug Schatten, um das Ausgangswerk noch heller erstrahlen zu lassen. Die Vorfreude auf den im Herbst anlaufenden, in der neuen 3D-Technik inszenierten vierten Teil FINAL DESTINATION: DEATH TRIP bewog mich nun zu einer Wiederbegegnung mit James Wongs originalem FINAL DESTINATION und resultierte zumindest ein bisschen in Desillusionierung. Nun traten nämlich doch recht stark die Schwächen des Filmes - auffällig unbegabte Darsteller, etwas zu dick aufgetragene symbolschwere Horrorfilmmanierismen sowie eine eher zähflüssige Erzählweise - hervor. Die Struktur von FINAL DESTINATION ist ja im Grunde recht schlicht und so ziemlich identisch mit der eines klassischen Slashers: Einer nach dem Anderen der Protagonisten fällt einem mörderischen System zum Opfer, das zunächst decodiert und offengelegt werden muss, um schließlich (vorläufig) überwunden werden zu können. Dieser mehr oder minder straff gespannte rote Faden verbindet dann fürgewöhnlich eine Reihe von Set Pieces, in deren Durchführung sich entscheidet, ob es sich um einen "guten" oder "schlechten" Film handelt. Die Grundidee von FINAL DESTINATION, der Bedrohung kein Gesicht (oder keine Maske) zu verleihen, sondern sie in einer Reihe von ausgefeilten Plansequenzen im Geiste des creative killing eher in flüssiger Form in die Filmbilder einsickern zu lassen, verleiht ihm jedenfalls eine weit größere Freiheit als den zeitgenössischen Malen-nach-Zahlen-Slashern. Die Todessequenzen sind eindeutig die Highlights des Films und sind im Grunde durchweg wunderbar verspielt und phantasievoll geraten. Diese Emphase, verbunden mit einem recht simplen, stetig reproduzierbaren narrativen Schema qualifiziert den Film dann auch wunderbar als Ausgangspunkt einer potenziell endlos weiterführbaren Reihe, und rückt es überdies in die Nähe des einige Jahre später und bis heute so überaus erfolgreichen SAW-Franchises, in dem Jigsaws Todesfallen eine identische Funktion einnehmen wie die hier zelebrierten designs of death.
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#84 Kingsley Zissou

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Geschrieben 14. Mai 2009, 00:47

ALIEN (UK/USA 1979, Ridley Scott)

Die vierteilige ALIEN-Reihe zählt ohne Zweifel zu den bedeutendsten und großartigsten Filmreihen der Kinogeschichte - wie kaum anderenorts ist es hier gelungen, vier vollkommen eigenständige, ästhetisch kaum unterschiedlicher denkbare Einzelwerke von kreativen Filmemachern so zu kombinieren, dass sich ein mit jedem Film in der Komplexität gesteigertes, homogenes Gesamtwerk ergibt. Im Grunde geht es in der gesamten Reihe um traumatisch empfundene Konzepte von Sexualität und Fortpflanzung. Den Grundstein hierfür legt Ridley Scott 1979 in einem wahrhaft vollkommenen Film, der in der 2003 erstellten und seitdem als "Director's Cut" vermarkteten Alternativfassung lediglich ein bisschen schlechter wird. Schon hier geht es um bizarre Verdrehungen von Fortpflanzungskonzepten: Der insektenhafte Facehugger schwängert John Hurt, der in einer grotesk-blutigen Niederkunft das gleichzeitig phallische und vaginale Alien gebiert. Die lange Flucht von Ripley durch die Geburtskanäle der Nostromo ist somit nichts als die Flucht vor der Instrumentalisierung, die letztlich - das wird sich in den Fortsetzungen zeigen - vergebliche Flucht vor der gewaltsamen Einordnung in ihre sozial vorgesehene Rolle als Gebärerin. Die Jungfer mit der Katze, schließlich isoliert in der Unendlichkeit des leeren Weltraums. Brillant, wie schleichend Scott Sigourney Weaver zunächst in die Masse seinerzeit bekannterer Schauspieler und wahrscheinlicherer Heldentypen einsortiert, um sie dann allmählich als wahre Nemesis des Alien, der absoluten Fruchtbarkeit, des Lebens um jeden Preis, herauszuarbeiten. Ein ganz großer Moment der Kinogeschichte jener, in dem das zu gleichen Teilen organisch-tierhafte wie metallisch-maschinelle Alien sich aus den Armaturen der Rettungskapsel erhebt, um zum finalen Kampf anzutreten.
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#85 Kingsley Zissou

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Geschrieben 14. Mai 2009, 18:15

ALIENS (UK/USA 1986, James Cameron)

Mit seiner sieben Jahre nach Ridley Scotts Meisterwerk vorgelegten Fortsetzung überführt James Cameron in seiner ersten Großproduktion (nach dem als B-Movie produzierten und zum Überraschungshit avancierten THE TERMINATOR) den Science-Fiction-Stoff in eine ganz neue Ästhetik. Wo Scott einen mit schleichender Ruhe erzählten und gerade durch die perfekte Rhythmisierung nur umso bedrohlicheren Spannungsfilm par excellence inszenierte, geht Camerons Fortschreibung ganz in der Ästhetik des 80er-Jahre-Zeitgeistes und dem Höher-Schneller-Weiter des Spielberg/Lucas'schen Blockbusterkinos auf. Diese Prämisse kombiniert Cameron mit dem militärischen Missionsactionfilm, um statt subtiler Suspense krachendes Spektakel zu inszenieren. Daran ist natürlich im Grunde gar nichts auszusetzen, und tatsächlich denkt ALIENS den Vorgänger in mancher Hinsicht interessant weiter, um ihn an anderer Stelle klug zu konterkarieren. Zwar wird dem Alien, im ersten Film schon durch seine absolute Einzelhaftigkeit zur perfekten (Überlebens-)Kampfmaschine stilisiert, hier durch die Vielheit, die es zum schlichten Kontrahenten in einer militärischen Auseinandersetzung statt zum existenziellen Agenten der aggressiven Fremdheit macht, einiges an Schrecken genommen. (Konsequenterweise betont Cameron dann auch in seiner Zeichnung der Aliens eher das Animalisch-Organische denn das bei Scott stets mitgedachte Maschinenhafte.) Dafür bricht er den recht hermetischen (und psychoanalytischen) Stoff dann aber auch ein Stück weit auf und ermöglicht so erst die Varianz im Hinblick auf den Mythos der Reihe, die sich erst in den weiteren Fortsetzungen von Fincher und Jeunet wirklich entfalten sollte. Von einigem Interesse, gerade mit den weiteren Fortschreibungen der Reihe im Hinterkopf, ist wohl vor allem die finale Konfrontation von Ripley mit dem Alien-Muttertier, die sich zwar als ein Spiegelbild des Schlusskampfes von ALIEN gibt, aber gänzlich andere Konnotationen birgt. Die fetischistische Spannung tritt hier zurück zugunsten eines Kampfes inter pares: Die durch die Fürsorge für die junge Waise Newt jungfräulich zur Mutter gewordene Ripley tritt, ohne dass es hier bereits explizit aus dem Subtext herausgelöst wird, gegen ein Wesen an, dass durch das Ziel des Schutzes seiner Nachkommen vielleicht mehr mit ihr selbst gemeinsam hat als die großteils als korrupt oder chauvinistisch-hypermaskulin überzeichneten Menschen der Erzählung von ALIENS. Die Geschichte der ALIEN-Tetralogie ist auch eine des langsamen Herausgleitens von Ripley aus dem Kontext des Menschseins. Das sind jedenfalls die Abgründe, die ALIENS in sich birgt. Es wäre freilich ebenso gut möglich, die Applizierung der Mutterrolle - wunderbar die Selbstverständlichkeit, mit der die schwerstbewaffneten Soldaten bei der ersten Sichtung des Kindes instinktiv nach Ripley zu rufen scheinen - als den endgültigen, gewaltsamen Sieg der patriarchalen Welt über die im ersten Film noch mit allen Mitteln ihre Identität erstreitende Ripley zu lesen. - Und dass ich Camerons Regiestil für geschwätzig und aufgeblasen halte, das steht auf einem ganz anderen Blatt.
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#86 Kingsley Zissou

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Geschrieben 16. Mai 2009, 15:55

POUSSIÈRES D'AMOUR - ABFALLPRODUKTE DER LIEBE (Deutschland / Frankreich / UK 1996, Werner Schroeter)

Der deutsche Film- Theater- und Opernregisseur Werner Schroeter lädt seine liebsten OpernsängerInnen in eine alte französische Abtei ein, lässt sie dort Arien singen und befragt sie zu existenziellen Themen um Liebe, Leben, Tod und Kunst. Mit diesem oberflächlich dokumentarischen, bewusst reduzierten und einigermaßen rigiden Konzept nimmt der ansonsten zur exzessiven Aus- und Abschweifung neigende Schroeter sich gewissermaßen selbst in die Pflicht zur Konzentration auf das Notwendige. Aber im Grunde ist POUSSIÈRES D'AMOUR mit dem Begriff "Dokumentarfilm" nicht hinreichend beschrieben - eher handelt es hier um eine Art Meditation über das Wesen von Kunst und das der Liebe, und darüber, was beide miteinander zu tun haben. Das Herzstück des Films sind selbstverständlich die Arien und ihre Inszenierweisen, und diese langen Sequenzen - in THX-Tontechnik - sind schlicht sensationell. Ich habe eigentlich nicht viel Ahnung von der Kunstform Oper, oder überhaupt vom klassischen Gesang, aber es ist beeindruckend, in welchem Ausmaß es Schroeter gelingt, hier sämtliche Barrieren zwischen der Musik und dem Zuschauer/-hörer einzureißen. POUSSIÈRES D'AMOUR ist ein zutiefst intimer Film, in einem von Elfi Mikeschs brillanter Kamera unterstützten, höchst fragilen Schwebezustand zwischen Authentizität und Künstlichkeit gehalten. Ich hätte es wirklich nicht für möglich gehalten, dass mich ein solcher Film derart tief berühren könnte. Die 130 Minuten Laufzeit haben mich in eine Art Hypnose versetzt, und das Ende des Films - der schließlich abblendet in einem brillanten Geistesblitz, vielleicht die einzige Möglichkeit überhaupt, diesen Film angemessen zu beenden - war ein bisschen wie Aufwachen. Zauberhaft, magisch, ein makelloses Meisterwerk.
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#87 Kingsley Zissou

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Geschrieben 22. Mai 2009, 19:03

DRAG ME TO HELL (USA 2009, Sam Raimi)

Ich habe ja gar nicht so recht zu hoffen gewagt, dass dieses Projekt gelingen würde: Zu sehr wurde das humoristische Splatterkino, welches Raimi Anfang der 1980er Jahre mit THE EVIL DEAD miterfand, in den beinahe drei Dekaden danach strapaziert. Totgetrampelt. Begraben. Wieder ausgegraben. Notdürftig reanimiert. Zerfleddert, zerfleischt, erneut verscharrt. Und bis heute tanzen Jahr für Jahr neuseeländische Zombieschafe auf den Ruhestätten seiner großen Helden wider Willen, heißen sie da Ashley oder Lionel. Der Funsplatterfilm also ist zweifelsohne so mausetot, toter geht's gar nicht. Aber, und das ist schon einmal eine gute Nachricht: DRAG ME TO HELL ist weniger Funsplatterfilm, auch wenn hier durchaus zum Vergnügen des Publikums mit Schleim, Speichel und sonstig Widerwärtigem herumgespritzt wird. Im Grunde ist DRAG ME TO HELL aber eher eine klassische Horrorkomödie, mit deutlicher Emphase auf dem horriblen Teil des Konstrukts. Sam Raimi nämlich hat keineswegs vergessen, dass auch THE EVIL DEAD noch deutlich mehr über seine Atmosphäre und seine wohlgesetzten Schockmomente funktionierte denn über seinen comichaften Slapstickhumor - der gewann erst in den beiden Sequels deutlich die Oberhand. In DRAG ME TO HELL legt er dann auch sein Augenmerk erst einmal auf eine Story von jener Schlichtheit, die dem Horrorfilm stets gut zu Gesicht steht. Zugegeben, originell ist der Plot um Bankangestellte Christine und den Fluch der alten Zigeunerin Ganush nicht - doch bietet sie genügend Raum für gut gesetzte und wirklich effektive Schockmomente sowie eine sanft kapitalismuskritische Lesart, die den Fluch im Konflikt Humanität versus Geschäftsdenken verortet. Zwar fällt doch die recht durchsichtige Inszenierung der Schocks mit starker Betonung der stellenweise Kopfschmerz induzieren, ohrenbetäubend lauten Tonspur ins Gewicht - das Entscheidende hier ist aber wohl, dass es Raimi aller Bewusstheit über seine Strategien seitens des Publikums tatsächlich gelingt, einen wirklich außergewöhnlich effektiven, oft bravourös die Balance zwischen altmodisch und eigenständig meisternden und eindrucksvoll rasanten Geisterbahn-Horrorfilm zu inszenieren, wie es ihn heute im Grunde nicht mehr gibt. Unter diesen Gesichtspunkten: ein ziemlich toller Film, eigentlich.
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#88 Kingsley Zissou

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Geschrieben 23. Mai 2009, 00:12

[REC] (Spanien 2007, Jaume Balagueró / Paco Plaza)
INFECTION (USA 2005, Albert Pyun)

Diese beiden qualitativ sehr unterschiedlichen Filme ergeben, im Zusammenhang betrachtet, ein höchst interessantes Bild, verfolgen doch beide Filme eine ähnliche Strategie mit diametral entgegengesetzten Konzepten. Sowohl [REC] als auch INFECTION geht es um die Authentifizierung des Horrorkinos. Während jedoch Balaguerós und Plazas nicht zu Unrecht höchstgelobter Film an die klassische, von Daniel Myrick und Eduardo Sánchez in THE BLAIR WITCH PROJECT auf einen Höhepunkt gebrachte Form anschließt und einen exzessiven Handkameraeinsatz, der hier einerseits im vorgeblichen Reality-TV-Rahmen begründet wird, aber auch, quasi zur Beglaubigung, jene als "realistisch" markierten Sequenzen mit einschließt, in denen die verknappende Erzählung von Spielfilm oder TV-Show normalerweise raffen würde. Der Horror entsteht hier grundsätzlich aus einem Spannungsverhältnis von "zuviel sehen" und "zuwenig sehen"; und beides wird zur Kollision getrieben in den Bildern der exzessiv bewegten Handkamera. Diese ist immer ganz nah vor Ort und macht also alles potenziell sichtbar, verzerrt und verwischt aber eben durch ihre Nähe und Involviertheit auch wieder. Alles und Nichts ist immer da, immer nah, und daraus wächst ein Horror, den kein unverzerrtes Bild jemals bewirken kann. - Ein Experiment eigentlich, einen Gegenentwurf, bildet Albert Pyuns INFECTION: Ein einziges ungeschnittenes, zirka 60 Minuten langes Video, vorgeblich die Aufzeichnungen der Überwachungskamera einen Polizeiwagens, der in eine Zombieinvasion gerät. Als gute Idee ist es zunächst sicherlich zu begrüßen, die Möglichkeiten der "authentischen" Filmsprache um jene Bilder zu erweitern, die die inzwischen allgegenwärtigen Überwachungskameras einfangen und verfügbar machen. Neben einer Reihe eher halbgarer Experimente mit TV-Formaten sind diese ja bisher noch kaum fruchtbar gemacht worden für die Kinoerzählung. Die Probleme von Pyuns Film liegen eher in der Umsetzung: Die knapp einstündige Laufzeit (plus 15 Minuten Abspann) wird notdürftig gefüllt mit dem Hinauf- und wieder Hinunterfahren von stets demselben Waldweg in einem angeblich zombiefizierten Park. Stets dieselben vier Zombies stolpern dann nach dem Hase&Igel-Prinzip ("Bin schon allhier!") immer wieder vor die Scheinwerfer, die etwa ein Drittel des Bildkaders aus dem nächtlichen Schwarz herausschälen, und immer wenn ein Protagonist blöd genug ist, aus dem Auto auszusteigen, wird auch er geschnappt. Die Mono- und Dialoge, die dann notgedrungen den vielen freien Raum ausfüllen müssen, sind auch zu inhaltsleer, um noch auch nur halbwegs über die kurze Laufzeit zu tragen. Es bleibt folglich nur zu hoffen, dass sich alsbald einmal ein besserer Regisseur als Z-Movie-Veteran Pyun mit einem etwas großzügigeren Budget als den hier schätzungsweise investierten vier Dollar fuffzich eines vergleichbaren Konzeptes annimmt und dieses mit etwas mehr Inspiration auflädt.
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#89 Kingsley Zissou

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Geschrieben 29. Mai 2009, 15:40

DEATH RACE (USA / UK / Deutschland 2008, Paul W.S. Anderson)

Wichtig ist auf dem Platz ...

Bearbeitet von Kingsley Zissou, 29. Mai 2009, 15:41.

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#90 Kingsley Zissou

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Geschrieben 01. Juni 2009, 22:11

THE TERMINATOR (USA/UK 1984, James Cameron)

Im Grunde ist das hier der einzige Film von James Cameron, der mir wirklich gefällt. Wie später nie wieder, ist es ihm hier gelungen, seine Erzählung von allem überflüssigen Ballast zu befreien, und die Wortkargheit des Terminator wird hier noch nicht für Kalauer und Abschweifungen ausgenutzt, sondern dient vielmehr dazu, die unaufhaltsame Gradlinigkeit der Killermaschine eindrucksvoll zu bekräftigen. Der nachhaltige Eindruck, den Camerons Film hinterlassen hat, ist sicherlich hauptsächlich seiner ungebrochen düsteren Grundstimmung zu verdanken, im Film selbst als "TechNoir" auf den Punkt gebracht. Die Schatten jener Dinge, die noch gar nicht geschehen sind, scheinen seine Welt zu verdunkeln - ein präapokalyptischer Film Noir, gewissermaßen. In ganz wenigen Momenten kündigt sich bereits Camerons fatale Liebe zum Kalenderspruch an, aber insgesamt bleibt die hyperpessimistische Grundidee - die Apokalypse ist unausweichlich, lediglich die Grundlagen für das (zu) späte Reagieren darauf können heute gelegt werden. Schön auch, wie im Showdown in der alten Fabrik und in der Zerstörung des Terminator in der Schrottpresse ganz nebenbei die eigentlich pessimistische These Gestalt gewinnt, dass letztlich nur Maschinen Maschinen vernichten können - in den Zweierkonstellationen der guten/bösen Terminatoren in T2 und T3 dann endgültig ausformuliert. Auch die Widersprüchlichkeit des Epilogs, in dem Sarah Connor zwar die These formuliert, das Schicksal sei nicht festgeschrieben, aber dann doch in eine gewisse Zukunft hinein verschwindet, die unter dem Druck des Big Sky schier zusammenzubrechen scheint, fügt sich da nur ein in eine Struktur, in der sich die Paradoxien des Zeitreisekinos (Kyle Reese wird vom messianischen Connor in die Vergangenheit geschickt, um ebendiesen zu zeugen - ein extrem verengter Zirkelschluss) zusammenzuballen scheinen - und somit nur noch dichter werden, lassen sie doch gar kein Außen mehr zu.
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