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14 Antworten in diesem Thema

#1 Rookie887

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Geschrieben 27. Februar 2004, 18:04

Ein paar kurze Worte über das Wiedersehen mit Spike Lees meisterhaftem „25th Hour“ auf DVD:
Edward Norton als geschasster Drogendealer Monty im post 9/11 New York. Die letzten 24 Stunden seiner Freiheit geniessen wir mit ihm, am nächsten Morgen wird er für 7 Jahre in den Kahn zu fahren und alle wissen, dass diese 7 Jahre für immer sein werden.

Es gab viel Geschelte über diesen Film. Lee hätte die allgegenwärtige Apocalypse des 11. September gar allzu plakativ in seinen Film hinein gepresst, würde die Motivationen und das letztendliche Scheitern der Helden nur allzu profan darlegen. Ich teile das nicht unbedingt, denn die monumentalsten Momente des Films speisen sich aus jenen grandiosen und wahren Augenblicken des urban Life, für die einige Lee an den Pranger stellten. Wenn Frank (Barry Pepper) und Jacob (Philip Seymour Hofmann) von Franks Appartementfenster aus auf das nächtliche Ground Zero blicken und Frank erklärt, er würde hier niemals wegziehen, selbst wenn Bin Laden eine Tür weiter wohnen würde, dann ist das sehr viel mehr als bloße Referenz. You can’t escape your private hell, no matter how far you may run. Man kann diese Szene wunderbar als Metapher begreifen, als Sinnbild für den ganzen Film (der der Romanvorlage in nicht wenigen Punkten haushoch überlegen ist).
Die Codes sind verteilt und die Strukturen gefestigt. Monty hat seinen Teil gelernt, Mary (Anna Paquin) hat das wohl noch vor sich. Am Ende wird man mit einer wahnsinnig schönen Reflexion über Leben und Überleben belohnt, Vater und Sohn holen die verlorene Zeit für die Dauer einer Autofahrt wieder ein, während Monty seine Läuterung schon längst erfahren haben dürfte.

Der beste Spike Lee Joint seit "Do the Right Thing". Love it.
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#2 Rookie887

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Geschrieben 28. Februar 2004, 09:44

David Holzman’s Diary (Jim McBride/USA 1967)

Letztens kam ich supergünstig an die Criterion LaserDisc von Jim McBrides famosem Cinéma Verité Meisterwerk aus dem jahre 1967, „David Holzman’s Diary“. Ich habe den Film schon einmal gesehen, vor einigen Jahren. Ein Freund von mir hatte den damals ebenfalls auf Platte.

David Holzman ist wohl das, was man gemeinhin als „Cinephile“ bezeichnet. Kein gewöhnlicher Cinéast, ein Cinephile. Jemand der aus den Gesten und Blicken seiner Mitmenschen filmische Exposés lesen kann, der die Gabe hat, in allem alltäglichen das Wunderbare und Magische zu finden. Und Film ist Wahrheit! „25 frames/sec.“! Das hat Godard gewusst, Samuel Fuller natürlich auch. Die Franzosen haben es jedoch als erstes erkannt, während die Amis noch wegschauten.

Wieviel Wahrheit steckt in Debbie Reynolds Geste aus „Singin’ in the Rain“? Zumindest genausoviel, wie in der Geste von David Holzmans Nachbarin, wenn sie den Müll in die Tonne haut. Exactly the same gesture, oder auch nicht. Für David Holzman hat sie jedenfalls die gleiche Bedeutung.
Jean-Pierre Léaud hat in Jean Eustaches „La Maman et la Putain“ immerhin eine sinnliche Geste mit den Worten „schön wie in einem Film von Nicholas Ray“ umschrieben. Somit scheint Film und Leben untrennbar voneinander. Godard liebte McBrides Film, McBride liebte Godard (und dessen "A bout de soufflé").

David Holzman will der filmischen, zugleich auch der „realen“ Wahrheit auf den Grund gehen. Fortan filmt er sein Leben, hält es auf Celluloid fest und erschafft somit ein filmisches Tagebuch.
David Holzman arbeitet mit einer opulenten 16mm Filmkamera. Er filmt sich zunächst selbst und redet dabei in die Kamera. Er filmt sein Appartement. Da steht ein großer Projektor und an den Wänden kleben Filmplakate. Dann filmt er seine Freundin, die ist schnell genervt und verlässt ihn daraufhin sogar. David Holzmann filmt Bekannte, quetscht sie aus, er will die Wahrheit finden. Er filmt auf den Strassen, Nouvelle Vague-like, filmt eine Prostituierte, filmt die Obdachlosen auf den Parkbänken, rennt einer blonden Tussi im Park nach (weil sie Holzmans Herannahen vollkommen fehl gedeutet hat und daraufhin panisch die Flucht ergreift), filmt aus dem Auto heraus. In allen Bildern keimt ein Teilchen der Wahrheit, der absoluten Wahrheit. Und wenn er am Schluss des Films an dieser Wahrheit ganz nahe dran ist gekommen ist, stellt sich alles bisher Gesehene als purer Fake heraus: David Holzmans Aufnahmen wurden nämlich gestohlen und Jim McBride hat sie sich zu eigen gemacht und daraus SEINEN Film gefertigt.

Pieks! Die „Auflösung“ sticht. Doch was für einen Sinn würde es machen, DIE Wahrheit zu suchen, wenn man schon im voraus wüsste, dass sie nur Schein, nur Täuschung oder Illusion ist? Denn James „Jim“ McBride hat letztlich alles an Wahrheiten hineingepackt in seinen ersten Langfilm. Von den aktuellen (Radio-)news aus Vietnam, die im Off zu hören sind, bis hin zu einem unglaublichen Querschnitt aus einem ganzen Abend TV gucken, der aus hunderten von Einzelframes besteht, etc.
Die Wahrheit (und deren Suche danach), die hier augenscheinlich als (Film-)Lüge entlarft wird ist in Wirklichkeit also natürlich nichts weniger als die reine Wahrheit des Kinos und somit des Lebens. Und deswegen schaue ich mir wohl weiterhin Filme an.
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#3 Rookie887

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Geschrieben 01. März 2004, 08:32

Jesus-der Film (von Michael Brynntrup und vielen anderen/Deutschland 1987)


Ich freu mich ja so. Immer wenn ich an diesen Jesusfilm von Michael Brynntrup denke, weiss ich, dass das heimelige Pantoffelkino immer noch eines meiner liebsten Freunde ist.

Michael Brynntrup ist einer der großartigsten avantgardistischen Filmemacher in D-Land und 1987 hat er einen Jesusfilm auf Super 8 gedreht. 37 Episoden (12 davon hat er selber realisiert) aus der Heiligen Schrift, laut Cecil B. DeMille immerhin „das größte Drehbuch aller Zeiten“, für sämtliche Beteiligten keine künstlerische Einschränkungen, alles erlaubt. Das Resultat: Home-Made Monumentalfilm von gigantischem Ausmaß, der insgesamt sicherlich weniger gekostet hat, als die Creditsequenz in Mel Gibsons Passionsspiel.

Die versammelten 22 Filmemacher, großteils aus der Berliner Undergroundszene (einige exklusive Gäste aus der damaligen DDR sind auch mit dabei), bekamen von Brynntrup folgende Spielregeln mit auf den Weg: Jeder Teilnehmer bekommt 2-3 Super-8 Kassetten (s/w Filmmaterial) und darf sich eine Geschichte aus dem Neuen Testament herauspicken. Wie und mit welchen Mitteln er das Rohmaterial füllt, steht dem jeweiligen Künstler völlig frei. Am Ende montierte Brynntrup dann die fertigen Episoden, von denen die längste 11 Minuten und die kürzeste 40 Sekunden dauert, schliesslich chronologisch aneinander und es entstand dann wahrhaftig ein 2 ½ stündiger Super-8 Koloss von Bibelfilm, der die Geschichte vom Aufstieg und Fall Jesus Christus unseres Herrn in einer super dada-cabaret Form erzählt.

Zum Glück haben sämtliche Akteure und Techniker ihre jeweiligen Arbeiten ernst genug genommen um das ganze nicht zu einem chaotischen und richtungslosen Happening verkommen zu lassen und die einzelnen Episoden strahlen in ihrer wunderbaren Einfachheit jenes charmante Flair aus, welches mich an die unschuldige Performance meines frühkindlichen Schultheaters erinnert hat. Und Hand aufs Herz: hat damals jemand abfällig gelacht, wenn der Weihnachtsstern schief an einem Faden baumelte und doch mehr oder weniger nach Pappmaché aussah und die drei Weisen aus dem Morgenland ihre Herkunft vor allem durch das Auftragen von Schuhcreme im Gesicht definierten? Große Kunst entsteht immer im kleinen und Antiklerikalität, Atheismus, selbst offensichtlichster religiöser Kitsch verdient es mit dem allergrößtem Respekt, wie auch der nötigen Ironie behandelt zu werden. Brynntrup selbst spielt übrigens in allen Folgen den Heiland, die Berliner Performance Künstlerin Panterah Countess die Jungfrau Maria und Jürgen Brauch mimt den Antichristen. Es tummeln sich noch weitere illustre Namen wie Dietrich Kuhlbrot, Jörg Buttgereit, die Tödliche Doris etc. Obgleich sich Brynntrup bedingungslos in den Dienst der jeweiligen Filmemacher stellte, musste er, so zitiert ihn das hübsche VHS Kassettencover, „die Episoden doch etwas koordinieren, damit ich nicht zwanzigmal gekreuzigt wurde“.

Eine meiner Lieblingssequenzen ist „Die wundersame Brotvermehrung“: darin spuckt ein Toaster unendliche Mengen geröstetes und mehr oder weniger total verbranntes Weißbrot aus, welches an friedliebende Passanten in der Berliner Innenstadt verteilt wird. Auf der Tonspur erklingt parallel dazu „Do they know it’s Christmas?“ von der Band Aid! Wirklich krass.
In einer anderen Episode wird die Wiederauferstehung und das ewige Leben von Gottes Sohn durch die schlichte Tatsache erhellt, das eben jener ein Vampir ist! Ja, so sieht’s aus, Freunde der Nacht.
Dass die biblische Vorlage nicht 1:1 als unverrückbares Heiligtum verfilmt wurde, dürfte spätestens jetzt klar sein. Brynntrup und Co. haben die heilige Schrift unverblümt in eigene Bahnen gelenkt, wobei glücklicherweise keiner der Beteiligten auf schale Konfirmantenwitzchen setzte.
In erster Linie wird der Herr Jesus in allen Episoden als überaus netter Kerl dargestellt und nicht als der hippie-eske Handelsvertreter aus Galiläa im Walle-Walle Kleid und mit angeklebtem Vollbart, der gelangweilt und weggetreten im Auftrag des Herrn umherwandelt. Ruft man sich die Tatsache ins Gedächtnis, dass man sich von ihm sowieso kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen darf/soll, dann ist mir solche eine kumpelhafte Auslegung der himmlischen Erlöserfigur absolut und unebdingt sympathisch.
Das Endergebnis ist daher von Monty Python genauso meilenweit entfernt, wie von Godard, Pasolini oder Jean-Marie Straub. Viel eher hat es mich an die frühgeschichtlichen cinematographischen Taschenspielertricks eines Georges Méliès oder Edwin S. Porter erinnert. An jene unbefleckte Naivität, bei der die einfachsten filmischen Illusionen noch mühelos von Hand gestaltet werden konnten.

Riesigen Spaß scheint’s jedenfalls allen gemacht zu haben (mir auch beim Zuschauen) und neben den vielen ironischen und satirischen Seitenhieben ist „Jesus-der Film“ auch ein schillerndes Dokument über das kreative Wirken und Schaffen bundesdeutschen Undergroundkinos in Ost und West, welches hier von tuckiger Campy Attitüde, bis hin zum zungenschnalzenden Judas Kuss und Sylvestercountdownmässiger Himmelfahrt nahezu mit fast allem aufwartet, was eine postmoderne Neuinterpretationen der Bibel hergeben darf.
Was wünsche ich mir zu Weihnachten? Am besten eine Doppelvorstellung dieses Films zusammen mit Herbert Achternbusch’s „Das Gespenst“ im rot geplüschten Multiplexkino meiner Stadt. Das fände ich ja echt knorke. :D
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#4 Rookie887

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Geschrieben 02. März 2004, 19:15

hab heute keinen film gesehen, nur häppchenweise in einige neuerwerbe reingeschaut:

"berlin isst erbsensuppe, die nazis rüsten kollektiv auf, der führer tätschelt seinen schäferhund" ("der gewöhnliche faschismus"/michail romm)

die wackelkamera in hans-christian schmids "Lichter"

rupert pupkin schreitet durch scorseses "king of comedy", trägt einen merkwürdigen grauen anzug und erinnert mich komischerweise an pee-wee herman!

james woods besucht in harold beckers "mord im zwiebelfeld" john savage und flatzt sich ultracool auf dessen sofa.

william s. burroughs sortiert die mitgebrachten drogen von matt dillon aus, schnappt sich ein röllchen mit pillen und meint "das wird dir die absolution erteilen". ("drugstore cowboy"/gus van sant)

und gestern abend nochmal geschaut:

werckmeister hamóniák von béla tarr. lars rudolph als zirkusmensch bringt eine ganze meute besoffener dazu, sich wie sonne mond und sterne zu bewegen! ganz grandioser film, ich glaube ich bin jedesmal ein bisschen mehr von den socken, wenn ich mir den anschaue.
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#5 Rookie887

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Geschrieben 03. März 2004, 18:13

2 Filme von Eddy Saller


Ja, der gute Eddy Saller. Auf den bin ich Mitte der 90er aus purem Zufall beim Durchblättern einer Berliner Filmzeitschrift gestossen. Der Artikel fesselte mich umgehend und da ich, ich geb’s zu, schon immer ein reges Interesse an der exploitativen Zurschaustellung niederer menschlicher Triebinstinkte einen Narren gefressen hatte, bestellte ich mir kurzerhand die beiden lieferbaren Titel „Schamlos“ und „Geissel des Fleisches“ als VHS Kassette. Jetzt vor kurzem, weiss auch nicht warum, wanderte mein Griff erneut in das Regal, wo diese beiden Kassette seitdem schlummerten.

Der Eddy Saller bescherte dem österreichischen Kinovolk der modischen 60er Jahre vermutlich genau das, wonach es insgeheim gierig lechzte: Hitzköpfige Gangster, die sich durch den Wiener Untergrund ballern, Prostituierte, nein, Nutten niederster Kaste, jede Menge Blei und zynische Sprüche, dazwischen Udo Kier und Herbert Fux und sonstige Randerscheinungen. Kurz: alles was für mich nach einem interessanten Videoabend mit Knabbergebäck und Bier klang.

Der 1968 gedrehte Frauenmörder-Reisser GEISSEL DES FLEISCHES, mit dem wunderbar diabolischen Herbert Fux als titelgebende Gestalt soll hier den Anfang machen:
Alexander Jablonski (Fux), der verabscheuungswürdige Protagonist, war, bevor er zum Triebtäter wurde, ein kleinkarierter Pianist in den finstersten Kaschemmen der Praterstadt. Alsbald geriet er auf die schiefe Bahn und die in ihm ruhende triebgesteuerte Sau trat ungefragt zu Tage. Fortan zog der Klimperheini des Nächtens durch dunkle und einsame Gassen und stellte jungen wehrlosen Damen nach, oder beobachtet diese geifernd, wie sie hinter eigens für ihn (so scheint es) vorgezogenen Gardinen ihre Hüllen in Fülle fallen liessen. Und wie sie sich räkeln, diese jungen geilen Dinger! Zur Feier des Tages schaut Jablonski anschliessend mal kurz in einem Striplokal vorbei, in welchem gerade eine Aushilfssalomé schon seit endlos langen (Film-)Minuten dabei ist, eine Art Bauchtanz vorzuführen. Und bevor der geneigte Zuschauer vor Aufregung einzuschlafen droht, lässt Jablonski auch schon den imaginären Bären tanzen und geht der armen Salomé zuerst an die Wäsche und dann an den Hals. Und alles vor den Augen der anwesenden Wirtshausbesucher!

Doch schon in der nächsten Szene scheint der Schrecken gebannt, denn Jablonski sitzt überraschenderweise winselnd vor dem Kadi. Welch Überraschung und das nach nur knapp 15 Minuten Film! Der Richter ergeht sich in einem sülzigen Gebrabbel über Schuld und Sühne und legt in einem grobgeschnitzten püschologischen Gutachten die Beweggründe dieses fehlgeleiteten Menschen für die im Gerichts- bzw. Kinosaal anwesenden Zuschauer dar.
Spätestens jetzt dämmert einem: hier wohnt man keinem stilvollen Kammerspiel
bei. Das ist weniger RASHOMON als vielmehr ein Schöpfen mit beiden Händen aus allen Vollen (plus anständigem und kräftigem Ziehen an der fransigen Kordel der kriminalgeschulten Klospühlung).
Und es kommt noch dicker: Saller entschloss sich für den weiteren Fortlauf des Films die Orson Welles`sche Rückblendentechnick zu verwenden. Ab jetzt werden in bester CITIZEN KANE Manier zahlreiche Flashbacks aus dem Vorleben des verdorbenen Unholdes ans Licht gezerrt. Eine Darmspülung ist ein Dreck gegen diesen Film.
Herbert Fux in der Hauptrolle ist übrigens brillant. Sein Pokerface dominiert jede Szene und stampft die ohnehin völlig nichtssagenden Knallchargen, die hilflos um ihn herum agieren, kompromisslos in Grund und Boden. So muss das laufen, jawohl!
Gerne hat man da das Nachsehen, wenn sich nun diverse Expositionen einfach im Nichts auflösen oder einer surrealen Auflösung entgegensteuern. Besonder krass ist z.B. die Tatsache, dass der verdrehte Jablonski sein verwerfliches Handwerk offenbar anhand verschiedener Schaufensterpuppen trainiert. Joe Spinell eat you Heart out!

Aber bevor ich mich hier verzettele will ich doch gleich zu Sallers nächstem Streich rauschen, dem 1971 entstandenen Film “Schamlos”. Auch hier wieder Sleaze und Pulp galore mit dem damals noch unbekannten, späteren Andy-Warhol-Star Udo Kier in der Hauptrolle. Was bei GEISSEL DES FLEISCHES noch hinter der Maske recht biederer Durschnittsbürger daher kam, kulminiert in SCHAMLOS nun zu einem Auswuchs völlig durchgeknallter Hard-Boiled Exotik. Neben Udo Kier ist sogar noch Rolf Eden mit von der Partie!
Kier spielt einen wurschtig dreinblickenden Zuhälter mit dem wohlklingenden Namen Alexander Pohlmann, der im Wiener Nachtleben als Anführer einer Gang fungiert, die es mächtig krachen lässt im Underground.
Als dem Rüpel Pohlmann die Schnalle Annabella über den Weg läuft, wirbt der sie prompt ihrem Chef (Eden) ab und verschachert die ahnungslose Fleischgeissel kurzerhand als Prostituierte weiter. Na ja, von irgendwas muss der Pohlmannja auch leben, nicht?
Doch schon wenig später wird Annabella von konkurrierender Ganovenhand unsanft ins Jenseits befördert und erst am Schluss merkt der arme Udo Bockelmann, dass er sich irgendwie besonders tief in Torte verguckt hatte und leidet nun dementsprechend. Ausserdem hat er auch noch die Rechnung ohne Wirt Rolf Eden gemacht. Es kommt zum Showdown im Wiener Untergrund.
Udo Kier in der Hauptrolle ist natürlich großartig, leider wird er aber von einer nebulösen Synchronstimme verunziert, was vermutlich daran lag, dass Kier einen doch recht breiten rheinischen Dialekt spricht, was in der Wiener Unterwelt nicht nur unglaubwürdig, sondern irgendwie auch suspekt gewesen wäre.

Eddy Saller scheint nicht nur die österreichische Hemdausgabe von Russ Meyer gewesen zu sein, sondern tatsächlich sowas wie die kleinbürgerliche Stimme des gemeinen (Film-)volkes der damaligen swinging sixties. Jedenfalls kann ich mir gut vorstellen, wie sich der verklemmte Durchschnittsgucker in den dunklen Kinosaal schob, um in erster Linie eine gepfefferte Dosis Sleaze um die Ohren gehauen zu bekommen.
Somit dürfte es wohl unnötig sein zu erwähnen, dass die komplette Damenwelt in
Sallers Filmen nicht gerade gut wegkommt; das weibliche Geschlecht wird hernach als bloßes
Lustobjekte diskreditiert und ohnehin sind es wohl allesamt Votzen ausser Mutti.

Sallers andere Meisterwerke, LIEBE DURCH DIE AUTOTÜR und MONIQUE-MEIN
HEISSER SCHOß ) kenne ich leider nicht. Aber jenen beiden Filmen, die den Weg in meine heimelige Stube und in den dunklen Schacht meines Videorekorders fanden, gebührt einen Ehrenplatz in der Gallerie der schrägsten und unglaublichsten Filme und selbst ein großer Strauss von Ausrufezeichen kann diesen beiden Werken letztlich kaum gerecht werden!!! :D
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Geschrieben 04. März 2004, 17:16

196 BPM (Romuald Karmakar / Deutschland 2003)


Romuald Karmakar ist neben Philip Gröning und Christian Petzold momentan der interessanteste deutsche Filmemacher, sein Dokufilm 196 BPM hingegen ist es nicht.
Ähnlich wie bei WARHEADS oder DAS HIMMLER-PROJEKT filmt Karmakar auch hier wieder starr und ohne filmische Extravaganzen hautnah das Geschehen kommentarlos ab. Aber was bei den beiden genannten Filmen (wobei "Warheads" keine Videoproduktion war, sondern auf 35mm gefilmt wurde) aufgrund des jeweils aufregenden Sujets noch absolut fesselnd rüberkam, zündet bei dem Love Parade Streifen "196 BPM" gar nicht. Karmakar ist auch viel zu spät dran mit seiner Bestandsaufnahme. Techno ist zwar alles andere als tot, aber warum sich der Regisseur ausgerechnet an einen Gabba Stand pflanzen musste (Gabba ist nämlich tot!), will mir nicht einleuchten (und über die Müden Sklaven der Parade kann man auch nur noch lächeln).
Die Love Parade in Berlin: ein Wochendende lang tanzen die Raver und Freaks was das Zeugs und die mitgebrachten Drogen hergeben. Eine großes Terrain für allerlei weggespacete Männlein und Weiblein, die hier also vor der Kamera zeigen dürfen, wie sie so drauf sind. Super finde ich ja vorallem den Türken, der in seiner Döner Bude zum Takt der Beats das Wellblechvordach malträtiert. Gefilmt mit einer Digitalkamera, ohne nachträgliche Tonabmischung, in drei Abschnitte unterteilt: „Intro“, „Gabba“ und „Hell at Work“. Sozusagen von der Straße in den Club und wieder zurück. Der dritte und längste Teil, „Hell at Work“ zeigt Hellmut Gauier alias DJ Hell bei der Arbeit. Routiniert fährt er sein Set, raucht, dreht Knöpfchen, wirft hier und da ein paar Blicke nach links und nach rechts und wippt im Takt seiner vorzüglich ausgewählten Scheiben. Er beschliesst sein Set mit „Tainted Love“ von Marylin Manson und die Party und Karmakars Doku sind zu Ende.

Keine Ahnung wie man sowas nun goutieren muss. Selbstreferenziell würd ich das ja nicht unbedingt nennen, denn dazu ist es einfach viel zu plastisch und pauschal, aber vielleicht steckt ja da ausgerechnet der gewisse Sinn dahinter. Alles in allem ist das relativ bescheiden und konzeptlos.

Auf der DVD ist noch ein kleines Extra mit drauf: DIE NACHT VON YOKOHAMA. Hier ist es nicht mehr die Love Parade, nee, die Berliner feiern den Sieg der deutschen Nationalmannschaft bei der Fussball WM 2002. Karmakar ist wieder mit seiner Digitalkamera unterwegs, läuft durch Berlin, filmt die Autokorsi an der Ecke Joachimsthalerstraße und Kantstraße und quittiert den ein oder anderen vorbeifahrenden Jubenelnden mit einem herzhaften Lachen, das dröhnend auf der Tonspur lagert. Eine junge Frau ruft ihm aus einem Auto zu, gibt ihm seine Adresse und bittet ihn, er möge sie doch mal anrufen. Ein anderer Autofahrer kurbelt die Scheibe herunter und raunt: „Mach die scheiss Kamera aus! He, hörst du micht nicht?!“. Karmakar läuft noch ein paar Meter weiter und blendet schliesslich aus.
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Geschrieben 07. März 2004, 18:15

Opfergang (Veit Harlan/Deutschland 1944)


Veit Harlan, der mystischste aller Regisseure der NS-Zeit, dessen Name wohl untrennbar mit seinem antisemitischen Hetzfilm „Jud Süss“ verbunden bleiben wird, hat dieses farbenprächitge Melodram in den Kriegsjahren 1943/44 mit seiner Frau Kristina Söderbaum und seinem Stock-Actor Carl Raddatz in den Hauptrollen gedreht.
Die Söderbaum spielt Aels, ein Naturwesen, leidenschaftlich, glühend, voller Elan und Abenteuerlust, doch mit einer unheilbaren Tropenkrankheit infiziert. Carl Raddatz, als Albrecht Froben, ein Weltenfahrer, der „im Sinne des deutschen Kolonialgedankens“ die Kontinente umsegelte, kehrt nach Hamburg zurück. Seine Braut Octavia (Irene von Meyendorff, ein wirklich wunderschöne Frau!) erwartet ihn nach seiner dreijährigen Abwesenheit. Octavia stammt aus gutbehütetem Hause, die Eltern sitzen Sonntagsnachmittags im abgedunkelten Kämmerchen, der Vater liest Nietzsche und überall schwebt eine Todessehnsucht im Raum. Welch Gegensatz dazu die lebensfrohe Aels. Bei einer Ruderpartie hängt sie sich an Frobens Bott und lässt sich von ihm ziehen („Rudern sie schneller, sonst wird mein Wellenkleid zu durchsichtig“). Froben verliebt sich in sie, Octavia, die Braut Frobens nimmt das bittere Schicksal hin. Der Tod steht über all dem und am Ende sind die Rollen neu verteilt.

Männer spielen Frauen, Frauen spielen Männer. Selbst vor expliziten sexuellen Metaphern scheut Harlan nicht zurück. Die Farben sind satt und prächtig (die damalige IG Farbenwerke haben zusammen mit Harlan beständig an einem naturgetreuen Farbverfahren, dem so genannten Agfa Color Farbfilmverfahren, gearbeitet), die Stimmung, auch durch Hans-Werner Borgmanns bombastische Musik erhitzt, ist erfüllt von Untergang und Apokalypse („Opfergang“ kam im Dezember 1944 in die Kinos).
Setzt man sich näher mit dem Film auseinander, so entdeckt man immer wieder Neues, Wunderliches, Verblüffendes. Der Masekenball, auf welchem Octavia und Albrecht (zusammen mit Frobens Schwager Mathias) herumtollen erinnert mit seinen imposanten Bauten an Fritz Langs Moloch aus „Metropolis“, die sorgfältigen Farbkompositionen können es durchaus mit Max Ophüls Revueszenen aus dessen „Lola Montez“ aufnehmen (die Schluss-sequenz erinnert sogar an Kenneth Angers Farborgie „Puce Moment“). Harlan hat in den Kriegsjahren nur noch einen Film fertig gestellt: das Durchhalte-Epos „Kolberg“.
Nach dem Krieg wurde er zum Verdammten seiner (NS-)Filmemachergeneration und sein infamer Hetzfilm „Jud Süss“ wurde zum „Präzedenzfall“ erkoren, aus welchem sich Harlan nicht wieder herauswinden konnte.
„Opfergang“ ist, neben „Immensee“, ein fiebriges, wehmütiges Stück deutscher Kinolandschaft und einer jener Filme, der die Träume und Sehnsüchte unserer Großeltern widerspiegeln dürfte (dazu muss man erwähnen, dass beide Filme in erster Linie nahezu apolitisch sind und die „geläufigen“ Film-Mechanismen der NS-Diktatur mehr oder weniger völlig unterlaufen).
Ich erinnere mich, dass irgendwann Mitte der 90er Jahre auf diversen Filmfestspielen (u.a. in Venedig) Harlans „Immensee“ und „Opfergang“ mit großem Erfolg wiederaufgeführt wurden. Sein ureigene Filmsprache konnt man somit immerhin noch einmal für sich entdecken. Zu einer Rehabilitation des Regisseurs hat es aber freilich nicht gereicht.
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Geschrieben 08. März 2004, 16:56

Der Fan (Eckhart Schmidt/Deutschland 1981)


Simone ist 17 und sie ist superverknallt in den Rocksänger „R.“. Jeden Tag schreibt sie ihm Briefe und jeden Tag hofft sie auf irgendeine Antwort von ihm. Den Briefträger passt sie regelmäßig ab, doch der hat keine Post für sie. Simone schwänzt die Schule. Mit dem Walkman auf dem Kopf schlendert sie durch die große Stadt, träumt von „R.“ und hört dabei natürlich seine Musik. Sie versteht „R.“’s Texte und Metaphern ganz genau. Es ist, als hätte „R.“ seine Musik und seine Texte nur für sie geschrieben. Aber „R.“ antwortet nie, keine Post, niemals. „Du bist ja ganz schön verrückt“ bemerkt der Briefträger schliesslich. Simone beginnt zu weinen und wirft seinen Postkarren um. Tja...
Simone schreibt „R.“ in einem Brief, er solle bei seinem Fersehauftritt einmal kurz blinzeln, als Zeichen für seine Liebe. Ausgerechnet beim ollen Blacky Fuchsberger tritt dieser „R.“ auf, immerhin eine Sendung auf die sich Simones Mutter „schon die ganz Woche gefreut hat“, aber zu dumm nur, dass Vati auch mit im Wohnzimmer sitz. Der will nämlich lieber den Western auf dem anderen Kanal sehen.
Simone setzt „R.“ nun ein Ultimatum: 7 Tage will sie noch geduldig auf postalische Antwort von ihm warten, dann lässt sie taten sprechen. Am 7. Tag ist natürlich immer noch keine Antwort von „R.“ eingetrudelt, so entschliesst sich Simone kurzerhand von daheim abzuhauen und per Anhalter nach München zu trampen, wo „R.“ den nächsten TV Auftritt vorbereitet (kurioserweise nun bei Fuchsberger junior in der Sendung. Müssen wohl so eine Art TV-Seuche gewesen sein, diese Fuchsbergers damals).
Jedenfalls kommt sie dem begehrten Objekt alsbald näher. „R.“ lädt sie sogar Backstage zu sich in seine Garderobe ein, wo er seine Bandkollegen, die ihm sofort auf die Pelle rücken, barsch abwimmelt. Später fahren Simone und „R.“ in dessen superduper Appartement (er fährt selbstredent einen scheffigen Rolls Royce) und vögeln. Aber dann plagt „R.“ plötzlich das Gewissen und er will zu seinen verprellten Bandkollegen zurück und anschliessend sogar in Urlaub fahren! Simone, mittlerweile völlig ihrem Fanwahn verfallen, will sowas freilich nicht dulden. Als „R.“ die Tür aufschliessen will, erschlägt sie ihn kurzerhand mit einer silbernen Statue. Und dann zeigen uns Eckhard Schmidt und Désirée Nosbusch einmal ganz hautnah, zu was Fantum und Fankult bereits in den frühen friedlichen 80er Jahren so alles heraufbeschwören konnte: Simone zerlegt „R.“ mit Hilfe eines elektrischen Brotmessers feinsäuberlich, kocht anschliessend die jeweiligen Teilchen und verspeist sie nach und nach auf! Feiste Leser der BILD-Zeitung erfahren spätestens hier ihr multimediales Déja-Vu und giggelnde Spätzünder, die bis hierhin nichts weiter als einen filmischen Aufguss alter BRAVO-Fotolovestories erwartet haben, kriegen nun massiv die Haare gekämmt.

Eckhard Schmidt hat „Der Fan“ als grelles Popspektakel inszeniert. Die Musik der Gruppe RHEINGOLD (dessen Frontmann Bodo Staiger war), die permanent das Geschehen untermalt, scheint aus nur zwei Stücken zu bestehen, die sich musikalisch irgendwo zwischen der „Deutsch Amerikanischen Freundschaft“ und „Kraftwerk“ bewegen. Schmidt inszeniert „R.“s TV Auftritt bei Fuchsberger junior schliesslich als ganz große Geste: in bester Leni Riefenstahl Manier darf der gelackt-gestylte „R.“ hinter dubiosen (Pappmaché-)Muskelprotzen posen und dabei ins Gegenlicht singen. Die Szenen in „R.“s Appartement verbreiten ebenfalls eine superirreale Atmosphäre, ganz Antonioni like und verdammt emotional (und Simones Zerhacktückelung ihres Kultobjektes erinnert sogar ein wenig an Oshimas „Im Reich der Sinne“).

Die Schauspieler sind, mit Ausnahme der Nosbusch und Bodo Staiger, dem Darsteller des „R.“, allesamt supertrashig (und für die Geschichte sowieso mehr oder weniger gänzlich ohne große Bedeutung). Aber Schmidt meint es durchaus ehrlich mit seinen Figuren. Zu keiner Zeit opfert er sie irgendwelchen pseudopädagogischen Erklärungsmustern oder stellt sich gar auf die Seite der Eltern. Die juvenlien Probleme der Kids hat in den 80ern vermutlich kein anderer deutscher Regisseur glaubhafter präsentieren können.

Man kann „Der Fan“ aus der Distanz von guten 20 Jahren durchaus als campy Trash goutieren, aber letztlich ist der Film leidenschaftliches Kino, fernab jeglicher Autorenmentalität und dennoch irgendwie ganz weit entfernt von herkömmlicher Standartkost und befindet sich auch heute noch zwischen sämtlichen Stühlen. In den frühen 80er Jahren muss das Kino des Eckhart Schmidt wirklich wie ein riesiger Fremdkörper gewirkt haben. Man denke nur an diese harmlosen Teeniefilmchen „Gib Gas ich will Spass“ etc.
Ich erinnere mich jedenfalls noch dunkel daran, wie die BRAVO den Film seinerzeit tatsächlich mal als Foto-Lovestory bringen wollte und sich bei den expliziten Szenen dann verklemmt und verschämt aus der Affäre zog und das ganze Projekt flugs einstellte (vielleicht hab ich aber auch lediglich die nächste Heftausgabe damals verpasst).
Klar, dass Eckhart Schmidt heutzutage keine Filme mehr machen darf/kann. Höchstens im Fernsehen darf er hin und wieder mal interessante Dokus über Hollywood oder den Wu-Tang Clan drehen, aber die deutsche Kinolandschaft scheint für seine explosiven und emotionalen Geschichten nun wirklich keine Nische mehr parat zu halten.
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#9 Rookie887

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Geschrieben 09. März 2004, 15:29

Gerry (Gus van Sant/USA 2001)


Zwei Typen mit Vornamen Gerry verirren sich in der Wüste, am Schluss ist einer von beiden tot. Man kann die Handlung von Gus van Sant’s Film „Gerry“ durchaus in einem Satz abhandeln, man kann aber auch weiter ausholen, die Schönheit der nordamerikanischen Wüste, das riesige Cinemascope Format und die Stille und den Ausdruck der versteinerten Gesichter der beiden Protagonisten preisen, letztlich kommt man dem Zauber des Films mit Worten nicht näher.
Purer Film, pures Kino. So rein wie die letzten 15 Minuten in Michelangelo Antonionis “L’eclisse”, wenn alle Worte versagen, die Gesten und Blicke ins Leere gleiten und nur noch Stille herrscht und der Zuschauer weiss, das er nun vollkommen mit den bewegten Bildern auf der Leinwand zerfliesst.

Die Reise durch die Wüste, durch diese wundervolle Einöde, an den Rand der Welt. Beide Gerrys laufen, laufen, laufen, das Ziel scheint nahe, stellt sich aber doch als Trugschluss heraus. Nahezu wortlos gleiten die beiden Gerrys durch die karge Landschaft, schauen sich ab und zu um, laufen weiter. In Amerika ist „Gerry“ auch ein geflügeltes Wort im Sinne von „screwing things up“, „etwas verbocken“.
Vielleicht kann man in der Geschichte sogar die Reise durch die menschliche Seelenlandschaft erkennen, aber so eine plakative Parabel dürften Gus van Sant, Matt Damon und Casey Affleck (die zu dritt das Drehbuch schrieben) weder im Sinn gehabt haben, noch hätten sie so eine nötig. Letzenendes (er-)zählt der Film viel mehr.

„Gerry“ atmet viel vom Geist des ungarischen Regisseurs Béla Tarr (und eigentlich eher weniger von Samuel Beckett). In seinem Filmen „Sátántángo“ und „Werckmeister Harmóniák“ zerdehnt Tarr die Zeit bis zum Äussersten, beobachtet seine Figuren aus unmittelbarer und fast schon peinlich intimer Nähe, arrangiert Szenen die bis zu 10 Minuten ohne Schnitt andauern. „I want to dig into the soul“ so Béla Tarrs ästhetisches Statement. Das Beobachten, das wortlose Dahingleiten, Gus van Sant macht sich Tarrs filmische Sprache vollkommen zu eigen. Die einfache Geschichte die "Gerry" erzählt, wird somit zu einem existenzialistischen Endspiel von geradezu betörender und magischer Schönheit (ein Umstand, der durch die Verwendung einiger Stücke von Arvo Pärt noch zusätzlich verstärkt wird).

Seit Terrence Malicks „The Thin Red Line“ hab ich keinen eindrucksvolleren amerikanischen Film mehr gesehen. „Gerry“ ist reines Kino, auf dem klitzekleinen Bildschirm natürlich ein Witz, auf der großen Leinwand die Katharsis schlechthin.
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#10 Rookie887

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Geschrieben 11. März 2004, 20:56

Zuviele Stimmungen, zuwenig Zeit, neue Eindrücke zuhauf.

"R’ Xmas" von Abel Ferrara ist ganz wunderbar. Alleine die Szenen mit Drea deMatteo und Lillo Brancato jr. im fahrenden Auto, dazu Schooly D’s gediegene Seele auf dem Soundtrack. Vom Charles Dickens’schen Anfang ganz zu schweigen. Famos! Gleich nochmal in Rafi Pitts Ferrara Portrait "Abel Ferrara: Not Guilty" reinschauen um den Mann nochmal live erleben zu können. Schon der Hammer, wie der ständig quasselnde, hypernervöse Abel seine Umgebung regelrecht inspiriert. Einmal besucht er einen Kumpel, der hat einen Gitarrenshop. Ferrara begrüsst die Anwesenden und gibt Hi-Five. Dann schnappt er sich eine Klampfe, spielt ein paar Akkorde und ist im nächsten Moment auch schon wieder zur Tür draussen. „And he makes such beautiful Films“ meint einer seiner Freunde. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

In Michail Romms Filmessay "Der gewöhnliche Faschismus" wimmelt es nur so von Szenen, die einem tagelang im Hirn kleben. Diese geniale Studie über den Faschismus hat einen unglaublich subversiven Charme, der mit einem teilweise ziemlich grotesken Humor einhergeht. Bitter die Szene mit dem alten greisen Bismarck, der sich bei soviel Prunk und Parade tatsächlich in den Reihen der aufgestellten Elitetruppen verläuft! Und Mussolini ist Jerry Lewis.

Der momentane ultimative „Nachtfilm“: Wong Kar-Wais „The Follow“. Der einsame Driver, wie er an dem riesengroßen Tresen sitzt und die Welt um ihn herum in Zeitraffer davonrast; das macht mich jedesmal sowas von verdammt glücklich.
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#11 Rookie887

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Geschrieben 12. März 2004, 11:45

Gestern las ich einen Text von Peter Handke über Sam Peckinpahs „Ride the High Country“. Handke hatte den Film 1969 im Berliner „Lupe“ Kino in der Mitternachtsvorstellung gesehen und seine Eindrücke wie folgt festgehalten:

„Auf diesen unendlich schönen, ruhigen und traurigen Film, in dem man aufatmen und schauen konnte, reagierten die linken Nachtvorstellungsbesucher, die blind mit ihren elendblöden, lauten Zicken in die Nachtvorstellung geraten waren, mit besoffenem Grölen, Brüllen und Schreien. Sie waren gar nicht mehr fähig, was zu SEHEN, sie reagierten nur dumpf auf Reizwörter, wie die Meerschweinchen. Mein Wunsch: dass man sie zusammentun würde, die linke Scheisse und die rechte Scheisse, die liberale Scheisse dazu, und eine Bombe drauf schmeissen.“

Ich hab mir Peckinpahs „Ride the High Country“ heute nacht nochmal auf Video angeschaut, alleine, in eine wohlig warme Decke gehüllt. Mit den schönen, erhabenen Impressionen, mit denen dieser makellose Spätwestern geradezu bis zum Platzen versehen und gesegnet ist, durfte ich anschliessend friedlich einschlummern.
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#12 Rookie887

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Geschrieben 14. März 2004, 11:31

Lichter (Hans-Christian Schmid / Deutschland 2003)


Zwei Tage in Deutschland. Ein Kaff irgendwo im Niemandsland an der deutsch/polnischen Grenze, dort wo der Fluss Oder den Landstrich in zwei verschiedene Welten teilt.
Ein LKW hält an. Männer und Frauen steigen aus dem Laderaum. Es sind Ukrainer. Sie wollen rüber nach Deutschland, den Traum vom Glück suchen. Dass sie schneller an ihre eigenen grenzen stoßen werden, wird ihnen allen bald klar.
Ein Matratzenverkäufer ohne Zukunft, ein jugendlicher Zigarettenschmuggler der immer noch hofft, ein polnischer Taxifahrer, der seine Seele verkaufen wird, ein Kleinunternehmer der sich schon längst selbst aufgegeben hat, und ein junger Architekt ohne Zukunft aber mit trauriger Vergangenheit, der für die einstige Liebe seines Lebens einen hohen Preis zahlen wird.
Das Schicksal führt sie alle irgendwie zusammen in diesem kleinen, traurigen und hoffnunglosen Mikrokosmos.

Hans Christian Schmidt hat mit „Lichter“ einen der besten deutschen Filme der letzten Jahre gedreht. Keine Spur mehr von der pädagogischen Moral von „Nach Fünf im Urwald“ oder "Crazy", oder dem beherzt behäbigen Post-Paranoiaoverkill aus „23“. Schmid scheint hier nicht nur „seinen“ Stil der Geschichtenerzählung gefunden zu haben, er hat hier auch zum erstenmal richtige, wirklich Menschen erschaffen, keine Figuren, sondern echte Charaktere.
Die wackelige Kamera des polnischen DP Bogumil Godfrejow und die wunderbar melancholische Musik der Weilheimer Band NOTWIST entfesseln eine spröde und wahrhaftige Schönheit in deren Bildern und Klängen die Realität einmal nicht so ist, wie wir sie gerne hätten, sondern ist, wie sie tatsächlich ist und wir sie nicht vermutlich (wahr)haben wollen. Ein Heimatfilm.
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#13 Rookie887

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Geschrieben 27. April 2004, 16:49

Werckmeister Harmóniák von Béla Tarr
(Ungarn/Deutschland/Frankreich 2000)


In eine ungarische Kleinstadt, in der die Zeit stehen geblieben zu sein scheint, kommt eines Tages ein Wanderzirkus und stellt als Hauptattraktion einen toten Wal aus. Überall im Ort herrscht klirrende Kälte und die Bewohner betrachten die fremden Schausteller mit Argwohn und Misstrauen. János Valuska (Lars Rudolph) ist vom ersten Augenblick an von dem gigantischen Wal fasziniert. Immer wieder will er zu dem grauen Verschlag zurückkehren, in welchem das Tier ausgestellt wird. Seine Mitmenschen teilen seine Begeisterung nicht mit ihm, überhaupt betrachten sie den etwas arglosen und einfältigen jungen Mann mit gemischten Gefühlen. Sein Onkel György will ihm Vernunft beibringen. Die Harmonienlehren Werckmeisters, so verkündet er János, seien der Schlüssel zu künstlerischer Vollkommenheit.
Aber währenddessen ist die Apocalypse bereits näher gerückt und die Angst und Unsicherheit der Dorfbewohner entlädt sich schliesslich gegenüber den Schaustellern. In einer visionären Einstellung bricht das Unheil über die Welt der Dorfgemeinde herein. Selbst János muss nun fliehen .
Am Ende liegt der tote Wal, aus seinem eisernen Verschlag befreit, auf den nassen und kahlen Steinen des mittlerweile menschenleeren Platzes. Onkel György sieht dem Tier ins leblose schwarze Auge in welchem die ganze Welt auf sich geworfen und vereint zu sein scheint.

„Es gibt niemanden wie Béla Tarr, der so das absurde menschliche Schicksal einfängt und aus diesem tatkräftigen Pessimismus das notwendige Anschauungsmaterial gewinnt, um uns über die Welt staunen zu lassen.“, so schreibt die Pariser Zeitung „Libération“ über Tarrs Film „Werckmeister Harmóniák“.
Ich schliesse mich diesem Fazit stumm an. Es wäre wohl mehr als vermessen, die gothischen s/w Scope-Bilder, die bis zu 10 Minuten langen, mit einer schier unglaublichen Akribie ausgetüftelten Takes, die Blicke, Gesten und Bewegungen der jeweiligen Szenen in ihrer artifiziellen und plastischen Schönheit auch nur annähernd beschreiben zu wollen.
Lars Rudolph habe ich noch nie mit einer solchen Leinwandpräsenz erlebt. In weiteren Rollen dominieren Peter Fitz als Onkel György und Hannah Schygulla als dessen Schwester, die, wenn sie auch nur ein paar kurze Momente in dem Film hat, eine wunderbare Aura verbreitet.

In Interwiews gibt sich Béla Tarr gern locker und gelöst. Warum er denn seine Nation stets als desillusionierte, besoffene und mehr oder weniger abgewrackte Gesellschaft zeige, wollte Jonathan Romney von ihm wissen. Nun, das sei eben sein Land, seine Nation, Ungarn und „Werckmeister Harmóniák“ sei „ein Film über ‚den jahrhundertelangen Kampf zwischen Barbarei und Zivilisation’ „, so Tarr.
Der unverdeckte Blick auf die leblosen Dinge und auf die somnambulen Bewegungen der Protagonisten ebnet für den Betrachter den Weg zur völligen imaginären Kino-Illusion: ist dies nun eine gotisch anmutende Phantasterei oder ein Wach- und Alptraum?

Rätselhaft ist in jedemfalle die deutsche Verleihpolitik. Auf der Berlinale wurde der Film zwar gezeigt, hatte auch kurz einen deutschen Verleih, liegt nun aber brach und wird vermutlich auch nicht so schnell ins Kino kommen. Selbiges Schicksal hat ja auch schon Béla Tarrs 7 stündiges Epos „Sátántango“ erleiden müssen. Wenigstens kann man nun „Werckmeister Harmóniák“ als britische Import-DVD erwerben (Titel: „Werckmeister Harmonies“). Gus van Sant hat in nahezu allen Interviews euphorisch für Tarrs Filme Partei ergriffen und seine letzten Arbeiten „Gerry“ und „Elephant“ profitieren entschieden von Tarr Ästhetik. Somit darf man noch guter Dinge sein und sich wünschen, Gus van Sant möge einmal den gleichen einflussreichen Effekt auf das Weltkino und dessen Verbreitung ausüben, wie Quentin Tarantino dies beherrscht.
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Geschrieben 09. Mai 2004, 17:27

MESHES OF THE AFTERNOON (Maya Deren & Alexander Hammid / USA 1943)

Maya Derens knapp 14 minütiger „Meshes of the Afternoon“ (dt. “Netze am Nachmittag”) aus dem Jahre 1943 ist einer der einflußreichsten und berühmtesten amerikanischen Avantgarde-Filme aller Zeiten. Die Handlung dieses poetischen Bilderrätsels ist nur schwer in Worte zu fassen. Es geht um die inneren Gefühlswelten einer jungen Frau (dargestellt von Maya Deren selbst), die einem allmählichen Realitätsverlust anheimfällt und sich schließlich umbringt. Die augenscheinlichen Beweggründe schildert der Film ausschließlich auf subjektiver Ebene und zieht somit dem Betrachter selbst nicht nur den berühmten sicheren Boden unter den Füßen weg, sondern zwingt einem auch die scheinbar willkürlichen, aber dennoch einer seltsam geordneten Logik gehorchenden Geschehnisse zwangsläufig zu akzeptieren. Es gibt traumhafte Bilder in dem Film, wie ich sie selten gesehen habe. Der Film selbst funktioniert zunächst wie eine feingeflochtene Möbiusschleife, die aber am Ende durch den finalen Akt abrupt zerrissen wird.
Dieser Trip ins Unterbewußte und der Trance-Akt des Sehens, wie auch des Gesehenwerdens (die Protagonistin beobachtet sich permanent selbst, wie der Betrachter im Kino oder daheim, und liefert somit den Schlüssel zum Fortlauf der Geschehnisse), sind die zentralen Leitmotive des Films, der darüber hinaus vollgestopft ist mit geheimnisvoller Symbolik (Schlüssel, Messer, Spiegel), über die man sich, wenn man will, tagelang, monatelang den Kopf zerbrechen kann, was aber letztlich nur vom eigentlichen Sehen, also vom sinnlichen Erfahren des Films, ablenken würde.
“I wanted to put on film the feeling which a human being experiences about an incident, rather than to record the incident accurately.", meinte Maya Deren seinerzeit über ihren Film.
Sie selbst schien sich dabei von den französischen Surrealisten beeinflußt haben: der frühe Bunuel, Jean Cocteau, Antonin Artaud sowie die Stummfilme René Clairs können hierbei als Referenz dienen, und dann prägte und formte Maya Derens Werk schließlich die ästhetischen Arbeiten nachfolgender Generationen amerikanischer Experimentalfilmer wie Stan Brakhage und Kenneth Anger.

Maya Deren ist schon lange Tot. Den größten Teil ihres Werkes hat sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Alexander Hammid gedreht. David Lynchs berühmtes Zitat: „bestimmte Dinge sind faszinierend, aber man kann nicht erklären, warum“ scheint mir hier mehr als angebracht. Und Lynch und Deren halte ich persönlich sowieso für eine schöne Paarung, nicht nur weil etliche Motive aus „Meshes...“ auch in Lynchs Filmen wieder aufzutauchen scheinen (ob bewusst, oder unbewußt, keine Ahnung., aber ich tippe mal auf letzteres), sondern vor allem auch was das jeweilige Verständnis der beiden von Filmfiktion und Traum(be-)deutung betrifft.

Schön, daß nun einige von Maya Derens Filmen auch als DVD veröffentlicht wurden, sorgfältig restauriert und aufbereitet, denn nun kann man sich vom makellosen Glanz dieser geträumten Kinomärchen immer wieder aufs neue betören lassen, dabei jedesmal ein Stückchen zauberhafter. „In Heaven everything is fine“.
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Geschrieben 21. Mai 2004, 18:13

COBRA (George Pan Cosmatos/USA 1986)

Machen wir uns nix vor: dieser Film will nix und kann auch fast nix! Aber der Reihe nach:
Während eine lederbehandschuhte Hand mit einer dicken Wumme ins Bild fährt, verkündet die sonore deutsche Sprechstimme von Sly Stallone: „In Amerika wird alle 11 Sekunden ein Einbruch begangen und alle 56 Sekunden ein bewaffneter Raubüberfall. Alle 25 Sekunden wird ein Gewaltverbrechen verübt, alle 24 Minuten geschieht ein Mord und Tag für Tag kommt es zu 250 Vergewaltigungen!“
Am Ende dieser problembehafteten Statistik folgt das obligatorische große Pufftata aus besagter Kanone! Willkommen bei COBRA!

Nach diesem doch recht penetranten Auftakt, der dem John Milius Monolog am Anfang von Ted Posts hyperreaktionärem Reisser MAGNUM FORCE in nichts nachsteht, färbt sich die Leinwand rot. Apropos „Magnum Force“ und John Milius: Der gute Sylvester scheint eindeutig ein Geistesbruder des bärtigen Asthmatikers zu sein, denn was den faschistoiden Grundton und den irrsinnig rassistischen Bodycount von COBRA anbelangt, kann er dem Scharmützel, welches Dirty Harry Calahan in Milius’ Großstadtposaune anrichtet durchgehend den Wassertrog reichen. Aber wenigstens hatte Milius noch den Gusto die Dinge persönlich beim Namen zu nennen (oder wars Michael Cimino?), Stallone drückt sich in seinem Script zu COBRA vorwiegend dämlich und verklemmt um den eigentlichen Brei herum, legt den bösen Buben all die tollen Sätze und Beweggründe in den Mund, bzw. in den Schoß, die er vermutlich schon immermal aufzeigen wollte und tritt dabei natürlich selbstredend als Hüter der gemeinen Volksseele auf. Das Amt eines US-Bürgermeisters wäre vielleicht auch mal was Schönes für den italienischen Hengst.

Aber wie geht COBRA alias Sly S. vor? Während den Anfangscredits stehen einige exzentrische Subjekte vor steilen Graffittiwänden, wetzen derweil die Klingen und graben eines der Kriegsbeile aus. Am samtroten Horizont erscheint ein Motorrad-Cowboy im Gegenlicht und Sylvester Levays spielt seine komponierte Filmmusik dazu. Dies sind auch schon die einzigen hellen und schönen Momente des Films, wenn die Kamera die einzelnen Bilder zerdehnt, zerschneidet und popartifiziell verformt. Das wird alles großartig eingefangen vom alten DP-Meister Ric Waite, der u.a. auch schon einige Walter Hill Filme mit dem nötigen Flair versorgen durfte.
Schnitt/Tag. Der namenlose Reiter auf seinem Gefährt hat allem Anschein nach sein Ziel erreicht: ein popeliger Supermarkt in der Innenstadt! Und als er den Helm absetzt fall ich derweil schon mal vom TV Sessel: der junge Mann sieht tatsächlich aus wie eine Pickelfaceausgabe des früheren Soundgardensängers!
Rüpelhaft drängelnd arbeitet er sich durch den überfüllten Laden, schubst rücksichtslos Einkaufswägen beiseite und rempelt andere Kunden an. Ein Kerl mit Fliege und Lätzchen schiebt sich dazwischen, das ist der Abteilungsleiter, der heute dummerweise nicht seinen freien Tag genommen hat. Schon greift der Soundgardensänger in seine Tasche und holt eine wahnsinnig große Puste hervor, mit der er nun friedliche Kunden in die Käsetheke ballert.
Der Feuerzauber bleibt nicht lange ungehört, schon schwärmt die Nationale Sicherheitsgarde aus, und vor Ort muss der Einsatzleiter (Andy Robinson, der Killer aus DIRTY HARRY!) mit Bauchweh feststellen, dass hier selbst eine ganze Armee nichts ausrichten kann. Für solche Fälle greift er am liebsten zu seinem TopAss: COBRA (gähn!).
Und da kommt er schon um die Ecke gebraust, mit seinem schicken Wagen. Super auch das Kennzeichen: AWSOM 50! Haha, was für ein Scherzkeks.
COBRA trägt, nicht nur wenn er am Steuer sitzt, eine entspiegelte Sonnenbrille und kaut gerne auf einem Streichholz rum.
Nachdem er sich kurz ein Bild von der allgemeinen Lage gemacht hat, geht er auch gleich in die Offensive. Aber der Einsatzleiter ermahnt ihn doch lieber erstmal: „Ich bin nicht damit einverstanden, dass man sie hinzugezogen hat. Ich will, dass sie das wissen!“. In Wahrheit ist die alte Hackfresse natürlich heilfroh, dass COBRA da ist.
Und schon nimmt COBRA den Vordereingang. Drinnen weist ihm das launische Schimpfen des Soundgardensängers („Hört auf hier rumzuheulen! Zum Kotzen ist das mit euch hysterischen Weibern!“) den richtigen Weg. In der Sektabteilung hält COBRA inne und linst zwischen zwei Flaschen durch, dann setzt er zu einem Hechtsprung und es kullert eine Flasche vom Regal, die sofort die Aufmerksamkeit des Schimpfers erregt. Ohne auch nur einmal nachgeladen zu haben schießt dieser in die Spirituosenabteilung und erfreut sich an der feuchten Sauerei. COBRA muss sich eine ganz raffiniertere Methode ausdenken, wie er den Knaben aushebeln kann, welcher pausenlos Sachen plärrt wie: „Wo sind denn die Fernsehkameras? Ich hab nämlich ne Bombe und leg euch alle um!“ und so weiter. Aber COBRA grabscht sich erstmal ne Coke, sauft die Dose aus und wirft sie schließlich dem fuchtelnden Scheißwüterich vor die Füße. Der kriegt ob dieser Dreistigkeit verständlicherweise ordentliches Muffensaussen, erst recht, als COBRA sich auch noch die an der Wand befindliche hauseigene Sprechanlage schnappt und eine unmißverständliche Durchsage an den Bad Boy richtet: „Hey, Du Schweinegesicht! Ich steh nicht auf Typen wie dich! Du ballerst Unschuldige über den Haufen. Wird langsam Zeit, dass sich jemand um dich kümmert!“ Soviel zum Thema Recht und Ordnung (und zu deutschen Synchronisationen).
Und mit einem einzigen Tritt fliegt die Tür zum Kämmerlein auf und COBRA steht direkt vor dem Schwerverbrecher, zu dessen Füssen die hysterischen Geiseln knien.
Für solch kochende Situationen hält Stallones Drehbuch mit die besten Einzeiler parat:

Killer: Hau ab! Ich hab hier ne Bombe und spreng den ganzen Laden in die Luft!
COBRA: Macht nichts. Ich kauf hier sowieso nie ein!

...und dann:

Killer: Ich bin kein Psychopath. Ich bin der Held der neuen Welt!
COBRA: Du bist eine Krankheit und ich die Medizin!

Jawooohool! Solche markigen Sprüche kleckerten wir in den 80ern an Schulwände. Nach dem üblichen Bla-bla geht der Killer schließlich in die senkrechte, COBRA schreitet ins Freie und so weiter und so weiter... und jetzt sage mir keine, daß das nicht ein Filmeinstieg nach Maß ist!

Sylvester Stallone, der zum Zeitpunkt des Filmes (1986) ein ausladender Kassenmagnet war, durfte hier unter der Regie des Routiniers George Pan Cosmatos (u.a. „Cassandra Crossing“) schon zum zweitenmal den Hobbykasper mimen..
Cosmatos ist durchaus ein Könner auf seinem Gebiet, was nicht zuletzt eine sehr gekonnt inszenierte Autoverfolgungsjagd etwa in der Mitte des Films zeigt, aber ein Skript wie das für COBRA lässt selbst den kühnsten Handwerker verdrießlich aussehen, speziell wenn ihm auch noch die beiden berühmt-berüchtigten Schundfilmproduzenten Menahem Golan und Yoram Globus im Nacken sitzen. So ist COBRA in allererster Linie das riesige Egoprodukt seines Stars und Hauptdarstellers, weiter nichts. Jedenfalls scheint der gute Sly von der Paula Goslings Romanvorlage „Fair Game“ lediglich den absolut äußersten Handlungsstrang übernommen und sich beim Rest allergrößte künstlerische Freiheiten gegönnt zu haben. Und die 80er waren augenscheinlich eine im politischen Sinne unschuldig-naive Mainstreamkinoepoche.
In der Tat kann einem die Autorin der Vorlage echt leid tun, musste sie doch knapp 10 Jahre später dieselbe Schmach erneut über sich ergehen lassen, als nämlich Andrew Snipes zu einer weiteren Verfilmung ihre Romans aufrüstete und diesen ähnlich plump in den Sand setzte.

Ungeachtet seiner dreisten Dämlichkeit durchleuchtet George Pan Cosmatos’ bzw. Stallone’s Film nebenbei aber auch einige elementare Heldenfragen und zeichnet dabei, ob gewollt oder zufällig, beinahe zärtlich das Bild eines Loners, eines Outsiders: COBRA ärgert sich nach Dienstschluss mit nervigen Hispanos rum, die seinen Pkw Parkplatz blockieren (und die er professionell abfertigt), isst Tiefkühlpizza, die er zuvor mit einer Schere (!) portionsgerecht zerschnippelt, liebt seinen Wagen, schaut sich Cartoons im Fernsehen an und hantiert bei den 20:00 Uhr Nachrichten gelangweilt mit seiner Waffe herum.
Ausserdem scheint er was mit den Augen zu haben, denn nur widerwillig ist er bereit, seine entspiegelte Sonnenbrille vom Nasenrücken zu heben.
Die Handlung kann man getrost in die Tonne kloppen, die ist nämlich nicht der Rede wert. Es geht um einen Nachtschlitzer, bzw. um eine ganze Bande von Nachtschlitzern, zu denen auch der Suprrmarktkiller vom Beginn des Films gehörte und die mal wieder die Weltmacht an sich reißen wollen. Das übliche Geschiß eben.
Und dann taucht auch noch Brigitte Nielsen irgendwann auf, die hier noch weitgehend Silikon- und Testosteronfrei war und die von den Nachtschnitzeln gejagt wird, weil sie grad irgendwie an der falschen Stelle zum falschen Zeitpunkt war. Freilich fällt sie Stallone dem Retter in den Schoß und später vögeln sie sogar rum, glaub ich.
Nach 80 Minuten ist der Film zu Ende. Am stärksten in Erinnerung bleibt dabei eine Szene, die wirklich schön und rührend ist: COBRA und die Nielsen sitzen nachts in einem Drive-in und futtern Pommes. Sie klatscht sich enorm viel Ketchup auf den Teller. COBRA blickt sie erstaunt an:

COBRA: Sie müssen blutrünstig sein!?
Nielsen: Wieso denn das?
COBRA: Ihre Fritten ertrinken ja im Ketchup!

Ein Jahr nach den Dreharbeiten haben sich Sylvester Stallone und Brigitte Nielsen scheiden lassen.
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