Gefährliche Geliebte (Haruki Murakami)
(1.1.2004 - btb)
„Wir waren, sie ebenso wie ich, noch fragmentarische Geschöpfe, die gerade erst begannen, die Existenz einer unerwarteten Wirklichkeit zu erahnen, die wir uns noch würden aneignen müssen, die uns ausfüllen und vervollständigen würde. Wir standen vor einer Tür, die wir noch nie zuvor gesehen hatten.“ – So die Worte von Hajime, dem Protagonist und Ich-Erzähler zu Beginn dieser Geschichte. Schon in frühster Kindheit erzählt er, übten Jazz-Platten und das „undefinierte Etwas, das von manchen Angehörigen des anderen Geschlechts ausgeht“ eine besondere Anziehungskraft auf ihn aus. „Die hundertprozentige Frau: Sie hört in diesem Werk auf den Namen Shimamoto und wird sich im Laufe des Romans mehr und mehr als Gefährliche Geliebte erweisen. Vorerst aber ist sie ein zwölfjähriges Mädchen "mit ausdrucksvollen Gesichtszügen" und einem steifen linken Bein; und diese Spätfolge einer Kinderlähmung kann Haruki Murakami eben wirklich so beschreiben, als ob Gehfehler von jeher der Inbegriff der Erotik wären!“ (1) Die beiden werden sich erst zwanzig Jahre später wieder sehen. Er Ende Dreißig, verheiratet, zwei Töchter, und Besitzer eines erfolgreichen Jazzclubs. Sie mysteriös, geheimnisumwoben, ohne Vergangenheit – wie ein Traum aus vergangenen Tagen. Sie erscheint immer an regnerischen Abenden, und weckt mit ihrem süßen Lächeln verloren geglaubte Gefühle…
Ein Buch, das ganz tief in mein Innerstes eingedrungen ist. Kein Wunder – wer ist nicht schon einmal einem ganz besonderen Menschen begegnet, der einen unauslöschlichen Einfluss ausübte, das eigene Leben unwiderruflich veränderte. - „Irgendwann müssen wir erkennen, dass Gefühle soviel maßgeblicher sind als die Ratio, und gleichzeitig, dass Träume manchmal besser solche bleiben sollten.“ – Murakami sinniert über diese Träume, über verpasste Gelegenheiten und das „Was wäre wenn“ – über Liebe im Konjunktiv.
Glitzernde, bunte Neon-Reklametafeln, deren Schein sich auf nassen Straßen spiegelt. Ruhige, regnerische Herbstabende. Sanfter, leiser, hypnotischer Regen. Sanfter, leiser, hypnotischer Jazz. Langsam wird man hinein gesogen in die melancholische, phantastische Welt von Haruki Murakami. Und man kommt nicht mehr davon los, bevor man nicht die letzte Seite umgeblättert hat, bevor nicht das letzte Wort verklungen ist. Und man zurückgelassen wird in einer Trance, in einer ebensolchen unwirklichen Wirklichkeit, in der sich die Protagonisten befinden – und es dauert lange ehe man wieder aufwacht. Schon lange hat mich ein Buch nicht mehr so fasziniert und gefesselt, konnte ich in Worten so versinken. So Abtauchen in Melancholie…
Und damit wären wir beim Grund, warum ich mein „Filmtagebuch“ für solch einen Eintrag „missbrauche“. Sonst passiert mir so etwas nämlich vornehmlich bei Filmen von Wong Kar-Wai, und ein bisschen habe ich mich auch hier an diese erinnert gefühlt: Geheimnisvolle Frauen, mit Regenmänteln und Sonnenbrillen, deprimierte Gestalten, die in Bars rumlungern und Whiskey trinken. – Fehlt nur noch das Verzehren von Ananas.
„Nach all den Jahren ließ mich der bloße Gedanken an Shimamoto noch immer am ganzen Leib erschaudern. Eine leicht fieberhafte Erregung, als stöße ich, irgendwo tief in mir, behutsam eine Tür auf.“ Gefährliche Geliebte (Haruki Murakami)
PS
Japaner scheinen nicht nur fantastische Filme zu drehen, sie schreiben auch gute Bücher. Vielleicht sollte ich es mir zur Lebensaufgabe machen, dieses Werk nochmals im Original zu Lesen. Japanisch lernen kann doch nicht so schwer sein
(1) amazon.de