Geschrieben 22. August 2003, 19:50
Das letzte Mal, als ich ins Kino in der 68th Street gegangen bin, hat der Türsteher mich mit einem Riegel Hershey-Schokolade nicht hineingelassen. Er hat gesagt, ich darf kein Essen oder Trinken mit hineinnehmen und muß die Schokolade draußen verzehren. Verzehren. Essen hätte er wohl nicht über die Lippen gebracht, und das ist auch eine von den Sachen, die mich an der Welt so ärgern, daß Türsteher und überhaupt alle Uniformierten immer so hochgestochen daherreden. Das Kino in der 68th Street ist ganz anders als das Lyric Cinema in Limerick, wo man seinen Fisch mit Fritten oder eine ordentliche Portion Schweinsfüße und eine Flasche Stout mit reinnehmen konnte, wenn einem danach war. An dem Abend, als sie mich wegen der Schokolade nicht reinlassen wollten, mußte ich mich draußen hinstellen und den Riegel hinunterwürgen, und derweil hat mich der Türsteher finster angesehen, und es war ihm egal, daß ich den Anfang von den Marx Brothers verpasse. Diesmal muß ich meinen schwarzen Regenmantel aus Irland über dem Arm tragen, damit der Türsteher die Schachtel mit der Zitronenbaisertorte und die Flasche Ginger-ale, die ich in eine Tasche gesteckt habe, nicht sieht.
Kaum hat der Film angefangen, versuche ich, an meine Torte zu kommen, aber die Schachtel knistert, und die Leute sagen, psst, wir wollen den Film sehen. Ich weiß, daß es keine normalen Leute sind, die sich Gangsterfilme und Musicals ansehen. Das sind Leute, die wahrscheinlich einen Collegeabschluß haben und in der Park Avenue wohnen und ihren Hamlet Zeile für Zeile auswendig kennen. Die gehen nie ins Kino, immer nur ins Filmtheater. Es wird mir nie gelingen, die Schachtel geräuschlos zu öffnen, und dabei läuft mir schon das Wasser im Mund zusammen, und ich weiß nicht, was ich tun soll, bis sich ein Mann neben mich setzt, hi sagt, mir einen Teil von seinem Mantel über den Schoß legt und seine Hand darunterwandern läßt. Er fragt, störe ich?, und ich weiß nicht, was ich sagen soll, obwohl mir irgendwas sagt, am besten nimmst du deine Torte und gehst woandershin. Ich sage, entschuldigen Sie, gehe an ihm vorbei und den Gang hinauf und hinaus auf die Herrentoilette, wo ich meine Tortenschachtel in aller Ruhe aufmachen kann, ohne daß die Park Avenue psst macht. Es ist schade, daß ich einen Teil von Hamlet verpasse, aber auf der Leinwand sind sie bis jetzt sowieso nur herumgesprungen und haben sich über einen Geist aufgeregt.
Die Männertoilette ist zwar leer, aber ich möchte auf keinen Fall gesehen werden, wie ich die Schachtel aufmache und meine Torte esse, also setze ich mich auf den Sitz in der Kabine und esse schnell, damit ich wieder zu Hamlet zurückkann, vorausgesetzt, ich muß mich nicht wieder neben den Mann mit dem Mantel und der wanderlustigen Hand setzen. Von der Torte bekomme ich einen trockenen Mund, und ich freue mich schon auf mein Ginger-ale, bis mir einfällt, daß man ja irgendeine Art von Kirchenschlüssel braucht, um den Verschluß zu öffnen. Einen Platzanweiser zu fragen hat keinen Zweck, die schnauzen die Leute bloß an und sagen, daß sie kein Essen und keine Getränke mitbringen dürfen, nicht mal wenn sie von der Park Avenue sind. Ich stelle die Tortenschachtel auf den Boden, weil ich zu dem Schluß gekommen bin, daß ich die Kapsel nur von der Flasche kriege, wenn ich sie ans Waschbecken halte und einmal kräftig mit der Hand draufschlage, aber dabei zerbricht der Hals, und das Ginger-ale spritzt mir ins Gesicht, und am Waschbecken ist Blut, weil ich mich an der Hand geschnitten habe, und trotzdem bin ich traurig, weil meine Torte auf dem Boden von Blut und Ginger-ale durchweicht wird, und als ich mich gerade frage, ob ich bei dem ganzen Ärger den Hamlet überhaupt noch zu sehen kriege, kommt ein grauhaariger Mann, der es sehr eilig haben muß, hereingestürmt, rennt mich fast um, tritt auf meine Tortenschachtel und gibt ihr den Rest. Er steht am Urinal und läßt es laufen, versucht dabei, die Tortenschachtel von seinem Schuh abzuschütteln, und schreit mich an, verflucht, verflucht, was zum Teufel, was zum Teufel. Er tritt zurück und schwenkt das Bein, so daß die Schachtel von seinem Schuh wegfliegt und an die Wand knallt, zum Verzehr vollends ungeeignet. Der Mann sagt, was zum Teufel geht hier eigentlich vor, und ich weiß nicht, was ich sagen soll, weil es doch eine ziemlich lange Geschichte ist, ich müßte damit anfangen, daß ich mich schon wochenlang auf den Hamlet gefreut und den ganzen Tag nichts gegessen habe, weil ich es mir so köstlich vorgestellt habe, alles auf einmal zu tun, meine Torte essen, Ginger-ale trinken, den Hamlet ansehen und all die herrlichen Reden hören. Ich glaube nicht, daß der Mann dafür in der Stimmung ist, so wie er von einem Fuß auf den anderen hüpft und sagt, ein Klo ist kein gottverdammtes Restaurant, was mir verdammt noch mal einfällt, in öffentlichen Toiletten rumzuhängen und zu essen und zu trinken, und daß ich besser meinen Arsch hier rausschaffe. Ich erzähle, daß ich einen Unfall gehabt habe, als ich die Ginger-ale-Flasche öffnen wollte, und er sagt, hast du noch nie was von einem Flaschenöffner gehört, oder bist du gerade erst von dem verdammten Schiff runter? Er verläßt die Toilette, und gerade als ich mir Toilettenpapier um die verletzte Hand wickle, kommt der Türsteher herein und sagt, ein Kunde hat sich über mein Benehmen hier drin beschwert. Er ist genau wie der Grauhaarige mit seinem verdammt und zum Teufel, und als ich ihm erklären will, was passiert ist, sagt er, schaff deinen Arsch hier raus. Ich sage, ich habe bezahlt, um mir den Hamlet anzusehen, und bin nur hier drin, weil ich die Leute von der Park Avenue um mich herum nicht stören wollte, die den Hamlet im Schlaf aufsagen können, aber er sagt, das ist mir scheißegal, raus hier, sonst ruf ich den Geschäftsführer und die Polizei, die werden sich bestimmt für das das viele Blut interessieren.
Dann zeigt er auf meinen schwarzen Regenmantel, den ich über das Waschbecken gehängt habe. Schaff den gottverdammten Regenmantel hier raus. Wozu brauchst du überhaupt einen Regenmantel an einem Tag ohne ein Wölkchen am Himmel? Wir kennen den Regenmanteltrick, und wir passen auf. Wir kennen die ganze Regenmantelbrigade und ihre abartigen Spielchen, uns könnt ihr nichts vormachen. Du sitzt da und machst ein unschuldiges Gesicht, und im nächsten Moment wandert deine Hand zu unschuldigen Kindern rüber. Also schaff deinen Regenmantel hier raus, Freundchen, sonst hol ich die Polizei, du gottverdammter Perverser.
Ich nehme die zerbrochene Ginger-ale-Flasche, in der noch ein Tropfen drin ist, gehe die 68th Street entlang und setze mich auf die Stufen vor meiner Pension, aber da ruft Mrs. Austin durchs Kellerfenster, kein Essen oder Trinken auf der Treppe, sonst kommen die Kakerlaken aus allen Richtungen gerannt, und die Leute sagen, wir sind ein Haufen Puertoricaner, denen es egal ist, wo sie essen oder trinken oder schlafen.
In der ganzen Straße kann man sich nirgends hinsetzen, weil überall die Vermieterinnen auf der Lauer liegen, also bleibt mir nichts anderes übrig, als zum Park East River hinüberzugehen und mich zu fragen, warum Amerika so schwierig und kompliziert ist, daß ich mir nicht einmal mit einem Stück Zitronenbaisertorte und einer Flasche Ginger-ale den Hamlet anschauen kann.
(Frank McCourt: Ein rundherum tolles Land)
"Was für Idioten, was für eine Dreckskaste. Ein solcher Korpsgeist wie in der deutschen Presse findet sich allenfalls noch bei alten Wehrmachtsoffizieren."
(Klaus Theweleit)
"I was always killing myself, but it was always the bystander who died."
(Dennis Nilsen)