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Marx, Adorno, Habermas sind der Soziologen Fraß! - Filmforen.de - Seite 3

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Marx, Adorno, Habermas sind der Soziologen Fraß!


82 Antworten in diesem Thema

#61 Groucho Marx

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Geschrieben 19. Juni 2004, 15:49

Ein Mann wie Dynamit (USA 1983), DVD

Don Potenzo oder Die Rache der Enthemmten. Und die Welt versinkt in Laich...

Mit Kessler fährt man nicht Schlitten, denn Kessler ist ein abgebrühter Bulle von echtem Schrot und Korn. Dem spuckt man nicht ungestraft in die Suppe. Warren Stacey hingegen ist ein impotenter Irrer, dem trotz guten Aussehens und schnieker Kleidung die Damenwelt nicht gerade zu Füßen liegt. Demütigungen und Zurückweisungen sind sein täglich Brot. Nein, ihm fällt wirklich nichts in den Schoß. Sein Zorn ist furchtbar und er beschließt sich an seinem Schicksal zu rächen. Mit einem Messer bewaffnet, macht er sich daran neue Körperöffnungen zu schaffen. Und nur einer kann seinem blutigen Treiben Einhalt gebieten...

Wer? Erraten! Kaum am Tatort des Verbrechens aufgetaucht, hat Küchenpsychologe Kessler dann auch gleich eine profunde Theorie in petto: „Bei so einem ersetzt das Messer den Penis!“ Angesichts dieser Offenbarung dürfte der mittlerweile auf Wolke 7 beheimatete Sigmund Freud wahrscheinlich wie ein großer Napfkuchen gegrinst haben. Andererseits wird diese Theorie tatsächlich dadurch gestützt, dass Stacey seine Morde stets völlig entblößt – im Adamskostüm sozusagen – begeht. Und auch sonst werden natürlich alle hinlänglich bekannten Klischees durchdekliniert, die man gemeinhin einem solchen sexual-pathologischen Tunichtgut zuschreibt:
  • schon als Kind Tiere und Mädchen verletzt
  • schüchtern-verklemmt
  • ausgeprägte Minderwertigkeitskomplexe
  • zwanghafter Onanist
  • generell unausgeglichen
Grundgütiger, so was kann ja nicht gut gehen! Übrigens recht putzig anzusehen, wie der Film seine holzschnittartigen Theorien auch noch verabsolutiert. Sollten alle Verklemmten eines Tages zu solch rabiaten Mitteln greifen, dann Gnade uns Gott! Wenn in der Hölle kein Platz mehr ist, kehren die Onanisten auf die Erde zurück! Na, dann wäre aber wirklich das große Schleudertrauma angesagt und zwar dreimal täglich. Abenteuerlich...

Stacey muss indes seinem Ruf als zu allem bereiten Vollzeit-Perversen gerecht werden und vertreibt sich daher die sündige Zeit, in dem er hübsche Frauen durch obszöne Telefonanrufe belästigt – bizarrerweise mit spanischem Akzent! Das bringt dann geradezu surrealen Spaß mit sich, bei dem Sprachwissenschaftler und Hobby-Spanier voll auf ihre Kosten kommen. Als der geile Schmutzfink eines Abends des Kesslers schöne Tochter belästigt, spricht er nämlich den famosen Satz: „Ich bin Pedro, das heißt Peter. Ich habe den größten Schwanz, den du je gesehen hast!“ Diese Pedro-Peter Erläuterung kann man sich wahrlich in Gold aufwiegen lassen. Das gibt’s nur einmal, das kommt nie wieder! Ich habe jetzt noch Lachmuskelkater.

Ansonsten werden wieder die üblichen Bronson Topoi verhandelt. Hier insbesondere die vermeintliche Diskrepanz zwischen Rechtsstaat und „Gerechtigkeit“. Und für Gerechtigkeit hat Bronson bekanntlich eine Jahreskarte. Sein Gegenspieler Stacey nutzt hingegen jede Lücke des Rechtsstaats aus, um sich aus der Affäre zu ziehen. Und filthy Scumbags wie er, werden bei diesen Versuchen auch noch von den staatlichen Organen nach Leibeskräften unterstützt. Zum Schluß fällt dann aber der verdiente Selbstjustiz-Gnadenhammer und das Gleichgewicht des Universums ist wieder ins Lot gebracht. Fein.

Das ist die unmissverständliche Aussage des Films. Ärgerlich? Nein. So etwas denunziert sich von selbst und kann den Filmgenuss nicht weiter trüben...

Einer der besseren Cop-Filme Bronsons, der teilweise wirklich spannend ist. Mit Action wird daher entsprechend gespart, stattdessen ist gediegener Thrill angesagt. Ich finde es ja immer sehr beklemmend, wenn man in Filmen Serienmördern und ähnlichen Gestalten bei ihrem tristen Alltag beiwohnen muss. Daher schaudert es mich schon ziemlich, Stacey bei seinen glücklosen Anbandelungsversuchen zu beobachten. Leider wird dieses wirkungsvolle Konzept im Laufe der Handlung aufgegeben. Trotzdem ein überaus anständiger Film, der im Ganzen sehr stimmig ist.

#62 Groucho Marx

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Geschrieben 20. Juni 2004, 16:05

Alarmstufe Rot (USA 1992), DVD

„Sie und ich, wir sind doch nur Puppen in demselben makabren Spiel!“


Majestätisch pflügt sich das Schlachtschiff USS Missouri auf ihrer letzten Reise durch die raue See. Zielort: Der nächste Hafen. Dort sollen die schweren Geschütze des Zerstörers demontiert werden. An Deck laufen derweil geschäftige Vorbereitungen zum Geburtstag des Kapitäns. Doch aus der Sause auf des fiesen Kerls Schlucksack wird nichts. Mit der zur Party eingeflogenen Band stimmt was nicht. Auf einmal wird das Feuer auf die Gäste eröffnet, die Mannschaft gefesselt abgeführt. Anführer der Operation ist der ehemalige Special Forces Mann Strannix. Objekt der Begierde sind die an Bord befindlichen Marschflugkörper, die sich die Ganoven flugs unter den Nagel reißen wollen. Unterstützung erfahren sie dabei vom korrupten Sergeant Krill – Ja, der heißt genauso, wie das Zeugs, das sich die Wale immer in rauen Mengen reinziehen - , welcher für Geld und Karriere über Leichen geht. Doch sie haben die Rechnung ohne den Wirt bzw. in diesem Fall ohne den Koch gemacht. Der Tanz in den Mai kann beginnen...


Resümee:

Das Actiongenre ist von archaischer Rohheit, Kraft und dem unablässigen Gefühl des Unmittelbaren geprägt. Ein durch und durch physisches, quasi-existenzialistisches Kino, dessen beste Vertreter von einem paradoxen, oftmals missverständlichen Heroismus geprägt sind.

So ist der Held keineswegs nur willfähriger Exponent einer diffusen, übergeordneten Macht, sei es nun Militär, Geheimdienst oder gar die Nation. Die Verhaftung eines Werkes - und seines Protagonisten! - in realen Begebenheiten und Zuständen, seien sie nun politischer oder gesellschaftlicher Natur, die den meisten Filmen innewohnt, wird durch den mythischpoetischen Gehalt der Erzählung fragmentarisch aufgebrochen. Der Held wird zum Heros, der innerhalb der bestehenden Strukturen eine beinah metaphysische Funktion einnimmt. Der Heros steht in Fundamentalopposition zu jedweder Hierarchie oder spielt allenfalls mit ihren Mechanismen. Er ist niemandem etwas schuldig und nimmt – außerhalb dieses Gefüges von gegenseitigen Abhängigkeiten positioniert – die Rolle des allen profanen Dingen entrückten Beobachters ein. Ist dann aber sein Einsatz gefragt, so übernimmt er wider Willen, begründet durch die schlichte Sorge um die persönliche Unversehrtheit, Verantwortung für „das Ganze“. Um sich zu retten, muss er die Welt retten, um dann – neben der Einsamkeit wahrscheinlich seine eigentliche Tragik - in ihren Strukturen aufzugehen, zu verglühen.

Einer der besten Actionfilme der 90er Jahre.

Ein Meisterwerk!


#63 Groucho Marx

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Geschrieben 21. Juni 2004, 22:28

Kalter Hauch (USA 1972), DVD

Charles Bronson wird ja gemeinhin mit Aktion und Gewalt, kurz mit Souveränität identifiziert. Ehrlich gesagt habe ich diese doch recht kategorische Zuordnung nie so ganz verstanden. Tatsächlich waren viele der von ihm verkörperten Charaktere meist von eigentümlicher Fragilität und Verletzlichkeit. Dies bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass diese Ambivalenz die Explosivität und Gefährlichkeit der Figuren zur Disposition gestellt hätte. Im Gegenteil: Ein Mann zerbricht. Seine Umwelt verletzt sich an den Scherben und blutet.

Arthur Bishop ist Auftragskiller, einer der besten seines Fachs. Seine Spezialität: Als Unfälle getarnte Attentate. Nachdem er einen alten Freund seines Vaters töten musste, kreuzt dessen zynisch-abgebrühter Sohn Steve McKenna bei ihm auf und gibt unmissverständlich zu verstehen, dass er von Bishop ausgebildet werden möchte. Da er den Vater des Jungen auf dem Gewissen hat – und weil er langsam in die Jahre kommt – beschließt er ihn anzulernen. Steve erweist sich als äußerst talentiert und ehrgeizig. Zusammen führen sie einige Aufträge durch. Doch man weiß: Das kann nicht gut gehen. Bishop bildet seinen eigenen Mörder aus. Aber der Schein trügt. Und am Ende bekommt jeder, was er verdient...

Zunächst sollte man festhalten, dass der Originaltitel des Films THE MECHANIC deutlich passender ist und den Inhalt der Erzählung treffender beschreibt. Kalt, mechanisch und präzise. Eine effiziente Menschmaschine. So wird der Charakter des Arthur Bishop zu Beginn der Handlung eingeführt. Ein Auftrag nach dem anderen wird abgespult. Jeder Handgriff sitzt. Sichtbare Gefühlsregungen: Null. Unterstrichen noch dadurch, dass Bronson - und das, obwohl er nahezu ständig im Bild ist - die ersten 15 Minuten keine Wort sagt. Taten statt Worte. Souveränität.

Tatsächlich leidet Bishop unter erheblichen sozialen und emotionalen Defiziten. Dem Solitär macht die selbsterwählte Einsamkeit zu schaffen. Die luxuriöse Villa, der Sportwagen: Ein Gefängnis. In einer der wohl ergreifensten Szenen des Films sieht man Bishop, wie er eine Frau aufsucht. Sie scheinen sich zu kennen. Offenbar eine Bekannte. Nein, eine ehemalige Geliebte oder Ex-Frau. Soviel scheint klar zu sein. Sie liest ihm einen Liebesbrief vor, der ihre Beziehung thematisiert. Regungslos hört er ihren Ausführungen zu. Er trägt sie ins Schlafzimmer. Am nächsten Morgen steht er auf, bezahlt die Frau und geht. Das ist so unwahrscheinlich trostlos und erbärmlich, man könnte heulen.

Ich weiss jetzt gar nicht mehr, was ich noch schreiben soll, so sehr hat mich das Gesehene wieder bewegt. Eines steht fest: In wenigen Filmen wird das oftmals glorifizierte Metier des Profikillers derart schonungslos dekonstruiert, wie in diesem. Charles Bronson war ein großartiger, facettenreicher Schauspieler. Dies ist einer seiner besten Filme!

#64 Groucho Marx

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Geschrieben 23. Juni 2004, 19:54

Die Killermeute (Italien 1977), DVD

Blutige Gewalt rast durch die Stadt und Neapel erbebt! Dieser Film zeigt schonungslos die Ausgeliefertheit des unbescholtenen Bürgers gegenüber kriminellen Machenschaften. Doch einer setzt sich zur Wehr...

Neapel, ein Idyll. Ein Paradies auf Erden. Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein. Doch der Schein trügt! Denn leider wird die pittoresk-romantische Stadt von dunkel anbrandendem Unflat heimgesucht. Der gerissene Gangster Santorro dreht ein spektakuläres Ding nach dem nächsten. Am helllichten Tag werden ein Güterzug voller Banknoten und eine Polizeistation von seiner Gang überfallen. Niemand scheint mehr sicher zu sein. Zu allem Überfluss steht der Windbeutel auch noch unter dem Schutz des Mafiapaten Don Alfredo. Doch auch innerhalb der ehrenwerten Gesellschaft sind Santorros Methoden nicht ganz unumstritten. Diverse Mafiosi würden ihn nur zu gerne unter der Erde sehen. Die Polizei und der ermittelnde Kommissar geraten zwischen alle Fronten...

Henry Silva macht in seiner Rolle als Gangster Santorro aus seinem Herzen wie immer keine Mördergrube. Das Eisengesicht hat weiß Gott nicht nah am Wasser gebaut. Staubtrocken wie die Wüste Negev an einem bruttig heißen Tag, verrichtet er – bei Anspannung die Augen zu grotesk schmalen Schlitzen verzogen - sein schändliches Schurkenhandwerk. Aber immer gediegen und mit Stil. Der Meister hat die Ruhe wirklich weg! Das Ärgerliche dabei: Bei jedem Griff ins Bonschenglas, hat der Übelmann ein hieb- und stichfestes Alibi. Ja, ist das denn die Possibility?! So oder so, die Polizei steht vor einem Rätsel und kann nichts anderes tun, als dicke Backen zu machen. Nur der von Leonard Mann gespielte Kommissar Belli, hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Pudding endgültig an die Wand zu nageln. Koste es, was es wolle!

Das läuft jetzt hier zwar gerade mächtig auf eine Liebeserklärung an Henry Silva hinaus, aber oh Mann - wie ich auf den Kerl und sein Granitface stehe. Der ist so trocken, der wäscht sich wahrscheinlich nicht mit Seife, sondern mit Sand. Gesicht oder Maske, das ist hier die Frage. Aufgrund seiner interessanten Gesichtszüge, trieb er ja seinerzeit – zur großen Freude des Fans - noch in diversen anderen Polizieschi und Thrillern sein markantes Unwesen. Etwa in Andrea Bianchis DIE RACHE DES PATEN oder in Fernando die Leos – der einer breiteren Masse wahrscheinlich durch seinen Film MILANO KALIBER 9 bekannt ist - IL BOSS aka DER TEUFEL FÜHRT REGIE. Die anderen Schauspieler machen ihre Sache ebenfalls recht anständig, können aber selbstredend lange nicht an Silvas Coolness tippen.

Leider, leider lag der Film auf der jüngst erstandenen DVD von KOCH MEDIA nur in einer geschnitten Fassung vor, die wohl in etwa dem alten VPS Tape von 1986 entspricht. Auf das blutige Handwerk von Fulci Spezi Gianetto de Rossi muss man daher leider weitgehend verzichten. Unter anderem wird der Zuschauer um die Entmannung eines fiesen Schokoladenonkels durch einen aufgebrachten Knastpöbel betrogen. Schade, zumal im Booklett eine erstmals ungeschnittene Fassung versprochen wird. Bleibt zu hoffen, dass bei den nächsten Polizeifilmveröffentlichungen aus dem Hause Koch, derartig ärgerliche Fehler vermieden werden können.

Nichtsdestotrotz ein schöner Polizeifilmreißer aus Bella Italia, der mit allerlei rasantem Spektakel aufwarten kann. Eisenharte Bullen und Gangster aus Beton, dazu die gut arrangierte Musik von Francesco de Masi. Was will man mehr?

Ein Hoch dem tapferen italienischen Polizisten. HORRIDO!

#65 Groucho Marx

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Geschrieben 01. Juli 2004, 22:39

Zombie 4: After Death (Italien 1988), DVD

Auf den Philippinen ist die Hölle los...


Es gab einmal eine Gruppe von Menschen, die glaubte das Geheimnis der Geheimnisse lösen zu können. Es waren Wissenschaftler, Experten in Chemie, Biologie und Physik. Studenten der Alchemie und der geheimen Kräfte, die unser Universum in Wirklichkeit regieren. Diese Menschen gründeten auf einer weit entfernten tropischen Insel ein Forschungszentrum. Dort wollte sie ihre Mission im Dienste der Menschheit weiterführen. Ihre Aufgabe war mit den wichtigsten Prinzipien der menschlichen Existenz verknüpft. Nämlich dem Ziel, den ältesten und größten Feind der Menschheit zu besiegen.

Den Tod!


Lange hatte ich gezögert, mich einfach nicht dazu durchringen können, den Film endlich mal zu sehen. Zweifel? Angst enttäuscht zu werden? Weiß ich nicht. So oder so, nach diesem sagenhaften – noch dazu mit absolut ernster und pathetischer Stimmer vorgetragenen - Prolog war ich mir sicher: Das wird rocken!

Claudio Fragasso ist in einschlägigen Kreisen kein Unbekannter, hat er sich doch als williger Kollaborateur Bruno Matteis einen Namen gemacht und Drehbücher zu Filmen wie THE RIFFS III - DIE RATTEN VON MANHATTAN oder dem berüchtigten DIE HÖLLE DER LEBENDEN TOTEN beigesteuert. Seine eigenen Werke - darunter so burleske Titel wie MONSTER DOG oder TROLL II - stehen denen seines Mentors Mattei in Punkto Qualität in nichts nach. Und das ist weiß Gott kein Lob! Aber diese Untiefen lieben wir vom Bildungswerk Marx und loten sie deshalb gerne und gründlich aus, garantieren sie doch meist beste Unterhaltung.

So auch ZOMBIE 4:

Auf einer abgelegenen Südseeinsel treiben modrige, verkommene Gestalten ihr Unwesen, die meinen hier ungestraft den Mucko machen zu können. Diverse Parteien (Forscher, Söldner, Urlauber), die sich ebenfalls auf der Insel befinden, werden schnell mit den grimmigen Fleischerhakenrealitäten konfrontiert, die im Unterholz des Eilands lauern. Den Untoten gelüstet es nach Menschenfleisch! Das einzig wirksame Gegenrezept: Die Brut nach allen Regeln der Kunst zu verbimsen. Interessanterweise wendet Fragasso kaum Zeit für eine vernünftige Exposition auf, die etwas Licht in die Vorkommnisse bringen oder gar ein paar Hintergründe näher ausleuchten würde. Pustekuchen. Der Reigen geht direkt mit turbulentem Gerenne los und hört auch für 80 Minuten nicht mehr damit auf. Im Grunde ganz sympathisch. Nach all den ach so elaborierten Drehbüchern, mit ihren nervigen, hippen Plottwists ist dieser pragmatische Ansatz eine wahre Wonne.

Entgegen der landläufigen Meinung, braucht man für die Realisierung eines atmosphärisch dichten, packenden Horrorfilms durchaus inszenatorisches Talent und das damit einhergehende Gespür für die in diesem Genre besonders wichtigen formalästhetischen Aspekte. Lucio Fulci wäre hier so ein Paradebeispiel. Ein echter Könner und großer Stilist, der seinesgleichen sucht! Fragasso versagt hingegen natürlich auf ganzer Linie. Es reicht nun mal nicht aus ordentlich Vaseline auf die Kameralinse zu klatschen, ein paar windschiefe Kreuze hinzustellen und das ganze dann mit ein wenig Hui Bui Nebel zu garnieren. Geradezu aberwitzig wird es dann, wenn ein Trupp Forscher einen in grün und rot ausgeleuchteten Raum betritt. Das Problem dabei: Die Lichtquellen sind deutlich zu erkennen. Das ist dann verständlicherweise visuell nicht besonders aufregend, sondern erinnert eher an eine nach Linoleum stinkende Dorfdisco bei der Damenwahl. Brrrrrrrh. Nicht gerade die hohe Kunst...

Ansonsten ist der Style des Films eindeutig in den 80ern zu verorten. Der cheesy Rock/Metal Titelsong tut dabei ein Übriges. Gottlob hält es sich aber damit sonst weitgehend in Grenzen. Die meiste Zeit wird sich ohnehin nur in dichten Wäldern oder in irgendwelchen dunklen Grotten verlustiert. Da kann man eigentlich nicht mehr allzu viel falsch machen, aber der wackere Fragasso tut, was er kann! Star des Films ist ohnehin die aberwitzige Synchronisation, die in Kombination mit den ohnehin schon grottenschlechten Schauspielern beinah surreale Dimensionen annimmt. Da wird einem wirklich der Schuh schmal. Besonders die bunte Söldnertruppe ("Wir sind Soldaten des Glücks!") ist immer für ein großes Dummspruch-Festival gut.

Ein riesiges Vergnügen. Bevor mir nun endgültig das Herz aus der Hose hüpft, verabschiede ich mich daher lieber. Wer auf billige grüne Lampions und merkwürdig beleuchtete Schächte, aus denen in unregelmäßigen Stößen Nebel strömt steht, der kommt hier voll auf seine Kosten. Ein Film, der in seiner Unzulänglichkeit äußerst charmant und vergnüglich ist. Hat Spaß gemacht!

#66 Groucho Marx

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Geschrieben 03. Juli 2004, 12:53

Zum Töten freigegeben (USA 1990), DVD

Der bezopfte Steven in Hochform. Das bedeutet hinsetzen und unbeschwerten, kernigen Spaß haben. Lust, da noch groß dran rumzuanalysieren habe ich im Moment nicht. Ich erklär dem alten Kutscher doch auch nicht, wie er mit der Peitsche zu knallen hat...

Erwartungsgemäß steigt der Film mit einer rasanten Verfolgungsjagd direkt voll ein. Man wird Zeuge, wie der aparte Danny Trejo von Steven Seagal durch ein runtergekommenes Grenzdorf gejagt wird, welches wohl allen Anscheins nach das mexikanische Pendant zum verwunschenen Miesbach an der Plümpe darstellen soll. Schnell wird klar, dass man hier einen Drogenfahnder bei der Arbeit beobacht. Der von Seagal gespielte Cop John Hatcher ist einer der besten seines Fachs. Doch leider wird sein Gemüt von dunklen Gedanken verdüstert. Der Knochenjob geht an die Nieren. Als dann auch noch der Einsatz in die Binsen geht, hängt Hatcher die Arbeit an den Nagel, um abzuschalten und sich der Familie zu widmen.

Doch so einfach kann er seiner Vergangenheit nicht entkommen. Als er einen alten Armeefreund besucht, der sich mittlerweile als Footballcoach an der örtlichen Schule verdingt, wird er gewahr, dass grausame jamaikanische Neger mit dicken Rastalocken – übrigens unwahrscheinlich dämonisiert dargestellt – Drogen an simpel gestrickte Middleclass Kids verticken. („Das ist Crack. Das schießt dich direkt in den Himmel“). Schön, wie die einfältigen Weißbrote dann auch direkt zugreifen. („Au ja, das werde ich heute Abend gleich ausprobieren!“). Besagte Dealergang unter der Führung ihres Obermotzes Screwface, hat sich mittlerweile zu einer regelrechten Landplage entwickelt. Sogar die anderen Dealer fürchten um ihre Existenz. Als ihnen Hatcher in die Quere kommt, nimmt ein grausames Gemetzel seinen Lauf...

Nun mag sich mancher wundern, warum ich den dünnen Plot noch mal extra hinschreibe. „Alles altbekannt!“ könnte man schreien. Mag ja gut und richtig sein, aber eben nur teilweise. Sicher, die formalen und inhaltlichen Kriterien gleichen sich in vielen Filmen dieses Zuschnitts. Völlig normal, schließlich begründet diese Form der Wiederholung erst ein Genre. Hier konkret das des Actionfilms. Davon mal ganz abgesehen, bin ich einfach immer wieder ganz baff, wie man ein und dasselbe Thema immer und immer wieder derartig unterhaltsam variieren kann. Wahrscheinlich greift hier das gleiche Prinzip wie beim Rock 'n' Roll. Drei Akkorde sollt ihr sein!

In Punkto Gewalt ist hier mal wieder der große Krischan angesagt: Seagal bricht Knochen am laufenden Band. Da knirscht und kracht an allen Ecken und Enden. Dazu noch blutige Ballereien und zünftige Messerstechereien im großen Stil. Auch ein Holzkopf und ein Patschhändchen kommen runter. PG-13 my Ass, so hat ein vernünftiger Actionfilm auszusehen!

Unglaublich harter und rasanter Steven Seagal Film, der das Herz des Genrefreunds höher schlagen lässt. Und mal unter uns: Einen Schauspieler, der sich in einem seiner Filme (AUF BRENNENDEM EIS) den unglaublichen Rollennamen Forrest Taft(!!!) gibt, kann man doch nur gerne haben!

#67 Groucho Marx

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Geschrieben 04. Juli 2004, 15:24

Exit Wounds (USA 2001), DVD



"Gewalttätiger Actionfilm, dessen hanebüchenes Drehbuch sich keinen Deut um innere Logik schert, sondern seinem Hauptdarsteller in erster Linie eine Plattform für pausenlose Kämpfe bietet und die Erwartungen des einschlägigen Publikums beliefern will."



Der film-dienst im Jahre des Herren MMI



#68 Groucho Marx

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Geschrieben 05. Juli 2004, 20:31

Seul contre tous (Frankreich 1998), DVD

Ist der Mensch erst auf der Welt, will er leben. Glücklich sein. Doch was, wenn sich der Traum vom Glück – und sei er noch so spießbürgerlich und bescheiden – als Luftblase entpuppt? Ein kleines Geschäft, ein Steak. Ein paar Kröten in der Geldbörse. Nicht die Welt, aber für manche dennoch unerreichbar. Verständlicherweise steigt das Bedürfnis doch wenigstens einmal auf der Sonnenseite des Lebens zu sein, proportional zur Verschlechterung der persönlichen Lage. Nicht umsonst wird man derzeit mir Ratgebern, Büchern zur „Glücksformel“, Kursen zur Autosuggestion und ähnlichem Stoff traktiert. Viel arbeiten, wenig verdienen, flexibel sein. Dabei aber immer happy. Die Zumutung zur gelebten Eigenverantwortung umlügen. Bis es nicht mehr geht.

Ein Mann am Rande des Abgrunds. Seelisch aus dem Gleichgewicht, angeekelt von der Welt und zu allem entschlossen. Die Waffe in der Hand. Irrlichternd durch den anonymen Moloch einer Großstadt. Wer denkt da nicht sofort an Robert de Niros Darstellung des derangierten Vietnamveteranen Travis Bickle in Martin Scorceses TAXI DRIVER. Auf den ersten Blick könnte man Bickle und Noes Metzger - was die mentale Verfasstheit angeht - gleichsetzen. Einer gegen Alle. Tatsächlich ist der einzige gemeinsame Nenner, den die beiden Hauptprotagonisten aufzuweisen haben, ihre soziale Isolation und Einsamkeit. Davon abgesehen, weichen die Strategien zur Behebung dieses Umstandes stark voneinander ab.


Travis Bickle:

„Loneliness has followed me my whole life, everywhere. In bars, in cars, sidewalks, stores, everywhere. There's no escape. I'm God's lonely man.“

Der Metzger:

"Du wirst allein geboren, du lebst allein, du stirbst allein. Allein, immer allein. Und selbst, wenn du fickst, bist du allein. Allein mit deinem Fleisch, allein mit deinem Leben.“


Folgt Scorceses Film einem verhältnismäßig eindeutigen Verlauf, der für seinen Protagonisten durch den Selbstjustizplot zumindest vordergründig einen - wenn auch pervertierten - Sinn bereithält, sind in SEUL CONTRE TOUS derartige sinnstiftende Konstanten nicht vorhanden. Präziser: Sie sind in Auflösung begriffen. Dieser Auflösungsprozess wird durch narrative - äußerst ambivalent in ihrer innerfilmischen Glaubwürdigkeit - und später überwiegend (audio)visuelle Mittel nachvollziehbar gemacht. Dazu bedarf es aber der Aufbrechung konventioneller Erzählstrukturen. Noes Film setzt mit einem weiten Blickwinkel ein: Die Umrisse Frankreichs, nicht näher bekannte Angehörige der Arbeiterklasse bei einer Diskussion über Moral. Distanz.

Dann beginnt sich das Bild zu verengen. In knappen Bildern wird der bisherige, tragische Lebensweg des Fleischers geschildert. Im weiteren Verlaufe des Films wird diese Verengung - paradoxerweise! - schließlich in der Zweideutigkeit, der bewussten Irreführung des Zuschauers und seiner Sehgewohnheiten kulminieren, und in unzählige - je nach Lesart unterschiedlich interpretierbare - Bildpartikel zersplittern. Sowohl die Objekte, als deutlichste Beispiele sind die Kopfschuss- und Schlafzimmerszene zu nennen, als auch das Subjekt, man denke an die Überlagerungen der Stimmen des Schlachters im Finale, sind äußerst ambig. Es gibt keine Verlässlichkeit, es gibt keinen Sinn.

Entpuppt sich das Vigilantenleben bei Scorcese zum Schluss nur als Konfliktbewältigung auf Zeit – man erinnere sich an den verhetzten, von einer schrill-dissonanten Melodie untermalten Blick Bickles in den Rückspiegel am Schluss des Films -, so ist dem Metzger am Ende seiner Odyssee endlich der ersehnte Augenblick des Glücks beschieden. Ein Glück freilich, das weit jenseits der etablierten Moral situiert ist. Ob es denn schließlich von Dauer ist, vermag man nicht zu sagen.

Weinen, toben, verzweifelt sein. Dazwischen leise Momente des Glücks. Alles auf knapp 90 Minuten komprimiert. Noes Bilder, Bildsegmente, Bilderblöcke sprechen weiter. Auch dann, wenn die Sprache als Kommunikationsmittel schon lange ihre Ausdruckskraft, ihren Sinn verloren hat. Da die Erzählungen mittlerweile bedeutungslos geworden sind, erfolgt die schmerzhafte Reflexion auf rein visueller – und damit auf der emotional reinsten, unmittelbarsten - Ebene. Der Schlüssel liegt hierbei besonders in der suggestiven Montage. Den Film als manierierte Provokation abzutun, nur weil er sich nicht in die Schemata biederen Erzählkinos einfügt ist obszön. SEUL CONTRE TOUS ist Kino, dem es um Leib und Leben geht. Zelluloid gewordene Philosophie. Mit dem Hammer, gewiss...

#69 Groucho Marx

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Geschrieben 08. Juli 2004, 10:35

Anmerkungen zu IRREVERSIBLE

„Das Gute muss siegen!“

Die verzweifelte Aussage des Metzgers im Finale von SEUL CONTRE TOUS.

Im Laufe meiner verschiedenen IRREVERSIBLE Sichtungen veränderte sich meine Rezeption von Mal zu Mal. Wurde schärfer. Schlüssiger. Mittlerweile ist mir auch mein fatalster Trugschluss aufgegangen. Damals war ich überzeugt, Noe wolle sich mit eher plakativen, vulgärphilosophischen Kurzaussagen, die bei weitem nicht an die formalen Aspekte der Inszenierung heranreichen, auf aufdringlich Art und Weise mitteilen wollen. Nach SEUL CONTRE TOUS zerstreute sich dieser Verdacht aber endgültig. Tatsächlich sind die Filme Noes als Gesamtkonzepte zu begreifen, in denen einzelne Aspekte, wie etwas die auffälligen Texttafeln, im Grunde nur eine nebensächliche Rolle spielen. Dem Ganzen unterworfen sind.

So haben beide Filme eine narrative – aber nicht im herkömmlichen Sinne! - Klammer, besser noch einen geschlossenen Kreislauf zu eigen. Das nietzscheanische Theorem von der ewigen Wiederkehr des Gleichen ruft sich ins Gedächtnis. Nicht ganz abwegig. Ein 2001 Plakat und diverse andere Kubrick Referenzen, u.a. EYES WIDE SHUT, A CLOCKWORK ORANGE, sprechen da eine recht deutliche Sprache. In SEUL CONTRE TOUS war es das Verhältnis von Vater und Tochter. Im Hotelzimmer, in dem sie gezeugt wurde, tötet, respektive liebt er sie. Je nach Wahrnehmungsebene. Anfang. Ende. Anfang. In IRREVERSIBLE wird dieses Konzept nun durch die technische Errungenschaft der computergestützten Kamerafahrt zur Vollendung gebracht.

Die allgegenwärtige Fleischlichkeit des Debutfilms wird durch dieses Stilmittel transzendiert. Anders gesprochen: Das Fleisch stirbt, um in einer weder Raum noch Zeit unterworfenen Kamera wieder aufzuerstehen. Noe bedient sich, seine beiden Spielfilme als Einheit begreifend – nicht umsonst ist zu Beginn des Films der Metzger (Fleisch!) beim Räsonieren in einem kargen Männerwohnheim zu sehen -, der binären Oppositionen von Pneuma und Sarx, um seine Vision von Kino - Kino in seiner reinsten, wuchtigsten Form - verständlich zu machen. Man denke an das extrem breite Bildformat in SEUL CONTRE TOUS, das verwendet wurde, um den Protagonisten einsam riesige Flächen durchmessen zu lassen.

In IRREVERSIBLE nimmt nun die Kamera das rastlose Suchen einer irrlichternden Seele ein. Sie alleine markiert den Kreislauf. Prominentes Beispiel hierfür ist das Kreisen der Kamera, einmal um die Polizeisirene vor dem Club, ein anderes Mal, am Schluss, um den Rasensprenger, über den spielende Kinder springen. Beides ist gleichzeitig Anfang und Ende. Glück und Leid. Eingerahmt in die tröstliche Gewissheit, dass beides vergänglich ist, aber dennoch wiederkommen wird. Immer und immer wieder. Auch das weiße Flackern vom Ende des Films, findet sich bereits Anfangs in den von Paukenschlägen bereiteten Credits. Cassel. Dupontel. Belluci. Noe...

Überhaupt ermöglicht die nun von allen Zwängen befreite Kameraführung eine Tiefe, die in SEUL CONTRE TOUS durch diverse Stilmittel, man denke an die zweideutige Montage, schon angedeutet wurde. Jetzt kann die Kamera sogar kommende Ereignisse des Films vorausnehmen. Etwa in der Szene, in der sie, ohne einem bestimmten Protagonisten zu folgen, durch das Rektum treibt. Den Raum abnimmt. Später wird Marcus den gleichen Weg beschreiten. Alles war schon da, alles kommt wieder. Überdies ist die Kamera immer sehr nah an den Akteuren. Schlängelt sich zwischen ihnen hindurch, um sie herum – dabei oft sehr nahe an den Gesichtern. Aktion-Reaktion. Der Zuschauer wird dadurch stark in das Geschehen eingebunden. Eine Fluchtmöglichkeit durch Wegsehen ist verwehrt.

Erst durch das Zusammenspiel von dekonstruierter Narration und formalästhetischer Ambiguität kann dieser Nexus überhaupt begreifbar gemacht werden. Verweilt der Zuschauer aber mit seiner Rezeption auf den abgetretenen Pfaden der tradierten narrativen Normen des herkömmlichen Erzählkinos, so muss das Werk zwangsläufig eindimensional erscheinen, da entscheidende Komponenten nicht berücksichtigt, nicht wahrgenommen wurden. Darauf ist aller Wahrscheinlichkeit nach auch der Vorwurf der „Inhaltsleere“ zurückzuführen, die in weniger wohlgesonnenen Kritiken fast immer moniert wurde, um den Film schließlich und endlich auf spiegelverkehrte Exploitation reduzieren zu können.

Tatsächlich reflektiert Noe die Chancen und Grenzen von Kino, bzw. die Möglichkeiten einer filmischen Erzählung und ihrer Glaubwürdigkeit an sich, in bis dato unbekannter Konsequenz, wofür man ihm eigentlich auf Knien danken sollte. Und das Gute? Eingeordnet in einen ewigen Zusammenhang, in dem letzten Endes jedes Einzelschicksal aufgehen wird, trägt es in gewisser Weise einen Sieg davon. Wenn auch nur auf Zeit...

#70 Groucho Marx

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Geschrieben 10. Juli 2004, 21:23

El Topo


Meisterlich!

Meine Worte reichen wohl nicht aus, um das Gesehene adäquat zu beschreiben. Nur soviel: Jodorowsky kommt mit seinen Filmen meiner Idee von Kino sehr nahe. In dem Maße hat das bisher kaum einer geschafft.

Diese Bilder vergisst man nie wieder


La Montana Sacra


#71 Groucho Marx

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Geschrieben 16. Juli 2004, 17:43

Sympathy for Mr. Vengeance (Südkorea 2002), DVD

Charly Bronson deconstructed...

Wer sich ein bisschen in dem übel beleumundeten Subgenre des Selbstjustizfilms auskennt, weiß, dass viele der dort beheimateten Filme sehr oft nach gewissen, immer gleichen Spielregeln funktionieren: In den meisten Vigilantenreißern der alten Schule, EIN MANN SIEHT ROT und seine Sequels nehmen hierbei wohl eine paradigmatische Funktion ein, waren die Verhältnisse klar umrissen. Es gibt Täter, es gibt Opfer. Opfer rächt sich an Täter. Punkt. Erleichtert wurde alles noch durch das völlige Fehlen von Backroundinformationen über Herkunft und Motivationen der Täter. Das Böse, oftmals etwas übernatürlich gezeichnet, schlägt aus dem Nichts zu und zieht sich wieder dorthin zurück. Paul Kersey etwa wird die Mörder seiner Frau niemals ausfindig machen. In SYMPATHY FOR MR. VENGEANCE wird dieses Prinzip vom Kopf auf die Füße gestellt, die quasi-metaphysische Besetztheit der Täter zugunsten einer gnadenlosen, kalten Fixierung der Einzelschicksale aufgelöst.

Der taubstumme Ryu, ein ehemaliger Student, muss sich nach der Erkrankung seiner ihn finanziell unterstützenden Schwester als Metallarbeiter in einer Fabrik verdingen. Ein Knochenjob. Sein Ziel: Geld für eine kostspielige Nierentransplantation, die die einzige Chance für seine todkranke Schwester darstellt, zusammenzuraffen. Doch Ryu macht sich in seinem Betrieb bei der Akkordarbeit fast kaputt. Er und seine Freundin leben in Armut. Um das Maß voll zu machen, kann das Krankenhaus einfach kein passendes Spenderorgan auftreiben. In seiner Not wendet er sich an dubiose Organhändler, um auf diesem Wege an eine Niere zu gelangen. Doch natürlich geht alles schief. Die Gangster rippen ihn ab, nehmen sein Geld und schneiden ihm eine Niere aus dem Körper. Als dann das Krankenhaus endlich einen Spender gefunden hat, ist das Ersparte weg. Seine linksradikale Freundin schlägt ihm vor die Tochter eines wohlhabenden Geschäftsmanns zu entführen. Um das Leben seiner Schwester retten zu können, stimmt er der Aktion zu. Unter der Bedingung es dem entführten Kind so angenehm wie möglich zu machen und auf jedwede Gewaltanwendung zu verzichten.

Schon ganz schön viel Handlung sollte man meinen. Tatsächlich aber erst der Aufhänger für die folgenden, tragischen Ereignisse. Regisseur Park Chan-wook lässt sich für diese ausgedehnte Exposition reichlich Zeit, was dem Film sehr zu gute kommt und den Zuschauer stark an die Wünsche, Träume und Leiden der Protagonisten bindet. Als Ryus kranker Schwester bewusst wird, dass ihr Bruder dabei ist sein eigenes Leben wegzuschmeißen, um das ihre zu retten, bringt sie sich, um nicht länger zur Last zu fallen, um. Als Ryu realisiert was geschehen ist, bricht er zusammen und fährt mir dem Mädchen unter Tränen an einen See, um seine Schwester zu begraben. Dort geschieht das Unglück: Aufgrund von Unachtsamkeit und Ryus eingeschränkter Wahrnehmung, fällt das entführte Kind in den See und ertrinkt. Während er und seine Freundin, nun die Taschen voller Geld, von nagenden Schuldgefühlen heimgesucht werden, schwört der Vater Dong-jin blutige Rache an den Entführern seiner Tochter. Mit Hilfe eines Detektivs macht er sich auf die Suche...

Im Laufe der Handlung stellte sich mir sukzessive ein Gefühl großen Unbehagens ein: Wie kann alles nur so entsetzlich in die Binsen gehen? Mit der idealistischen Absicht gestartet ein Menschenleben zu retten, bleiben am Ende einer unglücklichen Kettenreaktion nur gescheiterte Existenzen und Tote zurück. Der unangenehme Trick des Regisseurs besteht darin, für keine der Gruppierungen Partei zu ergreifen. Die wechselnden Erzählperspektiven unterstreichen diesen Ansatz. Der Film selbst nimmt in gewisser Weise die Rolle des Beobachters ein, der es sich zur Aufgabe gemacht hat das sich ereignende Unglück erbarmungslos zu dokumentieren. Die Verzweiflung der Figuren wird somit auf mir bis dato nicht bekannte Weise nachvollziehbar gemacht. Ständig ist der Zuschauer ideologisch ungefilterten, unangenehm starken Emotionen ausgeliefert, die – jedenfalls mir - gewaltig zu knabbern geben. Was hat es jetzt mit dem titelgebenden Mr. Vengeance auf sich? Nun, die Protagonisten sind in ihren Rollen praktisch doppelt besetzt. Als Täter und Opfer. So ist Dong-jin durch den Tod seiner Tochter Opfer, um dann in seinem rasenden Hass zum Rächer zu werden. Aber auch der Entführer Ryu ist keineswegs nur Täter. Die Organhändler haben ihn betrogen und seine Niere genommen. Auch er wird sich rächen. Der Zuschauer steht nun vor folgendem Dilemma: Alle Motive sind völlig plausibel und jederzeit nachvollziehbar. Eine prekäre Lage angesichts des sich abzeichenden Unheils. Die Gabe verzeihen zu können scheint der einzige Ausweg aus der Spirale der Gewalt zu sein. Doch dazu findet niemand die Kraft.

Formal hält sich der Film an eine realistische Inszenierung, die aber dann und wann durch mit Understatement eingesetzte, intelligente Einfälle glänzt. Manierierte Coolness sucht man hier zum Glück vergebens. Die Gewalt kommt äußerst explizit – Latex, kein CGI! - daher, spielt sich teilweise aber auch nur im Kopf des Zuschauers ab. Die bedrückende Atmosphäre wird noch durch die weitgehende Abwesenheit von Musik bzw durch den selten eingesetzten dissonant-minimalistischen Score gesteigert. Das Motiv der Taubstummheit bildet ebenfalls eine interessante Kompoente. Oft ist aber auch nur das Wimmern und Schreien der Protagonisten zu hören. Wenn Dong-jin Ryus Freundin mit einer Autobatterie foltert, möchte man sich am liebsten die Ohren zuhalten, um nicht mehr diesem schrecklichen Geschrei ausgesetzt zu sein. Die Bilder sind hingegen meist ruhig, beinahe statisch, können aber jederzeit in Szenen von eruptiver Härte und Grausamkeit umschlagen.

Ein sehr unbequemer Film, der sowohl seinen Protagonisten, als auch dem Zuschauer einiges abverlangt. Dem Genrefreund hingegen bleibt indes die Einsicht, dass es Charles Bronson meist deutlich einfacher hatte.

#72 Groucho Marx

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Geschrieben 18. August 2004, 09:16

Cusack – Der Schweigsame (USA 1985), DVD

Henry Silva und Chuck Norris vereint in einem Film. Zwei schillernde Persönlichkeiten des internationalen Filmgeschäfts. Der eine trocken wie ein Kiesweg, der andere mit dem entsprechenden schauspielerischen Vermögen. Daneben sind beide, und das ist dann letztlich doch wichtiger, auf den entgegengesetzten Seiten unserer altehrwürdigen Rechtsordnung beheimatet. Während Norris den lauteren, hartarbeitenden Superbullen Eddie Cusack gibt, besorgt Silva es dem Zuschauer in der Rolle des eiskalten, kolumbianischen Mafiapaten Luis Comacho. Comacho befindet sich seinerseits in einer blutigen Fehde mit dem italienischen Mobster Tony Luna und schickt sich an die Stadt mit der teuflischen Trinität von Terror, Mord und Totschlag zu überziehen. Zu Henry Silva muss man nicht mehr viel sagen. Prägnant, glaubwürdig und ehrfurchtgebietend, dabei immer mit einer gewissen lausbübischen Chuzpe, ist er der richtige Mann am richtigen Ort. („Ich möchte Ihnen eine kolumbianische Krawatte schenken!“) Das Fundament für einen vielversprechenden Reißer nach alter Väter Sitte ist gelegt...

Nach der Sichtung dieses Films steht eines glasklar im Raum: Egal welche Rolle - und sei sie noch so ausgefallen und an den Haaren herbeigezogen - Chuck Norris spielt, es ist immer Chuck Norris, den der Zuschauer feist und bärtig präsentiert bekommt. Ich habe mich schon in etlichen seiner Filme häufig dabei ertappt, dass ich den Namen des von ihm verkörperten Charakters längst vergessen hatte und besagte Figur einfach nur noch „Norris“ nannte. In CUSACK - DER SCHWEIGSAME kommt dann wohl auch am deutlichsten heraus, warum dem so ist: Eindimensionalität ist Trumpf! Das ist jetzt mitnichten selbstverliebte, in Herrenreiter Attitüde vorgebrachte Arthouse Onanie. Nein, ganz im Gegenteil. Ob Absicht oder nicht, das passende Stilmittel, um Handlung und Aussage des Films adäquat zu transportieren und in diesem besonderen Fall einen konkreten Konflikt zu illustrieren ist es allemal. Anders gesprochen: Gebe es Chuck Norris nicht, so müsste man ihn erfinden. Um es noch mal in aller Deutlichkeit zu sagen. Sicher, über ein breites Spektrum schauspielerischer Fähigkeiten mag Norris nicht verfügen, aber er stellt das, was er hat effektvoll in den Dienst des Filmes. Und darauf kommt es letztlich schließlich an. Ob er daneben vielleicht noch gleichzeitig lachen, weinen, singen und einen Kaffeelöffel in die Luft schmeißen kann ist nicht nur Nebensache, sondern auch überhaupt völlig unerheblich.

Neben dem glücklichen Händchen beim Casting, fallen die formalen Aspekte etwas ab, bzw wird der hinlänglich bekannte Standartlook der Produktionen dieser Zeit aufgeboten. Garniert wird die Chose mit ein paar Härten, die sich aber ebenfalls voll im Rahmen der Genrekonventionen befinden. Konkret bedeutet das handgemachte, konserative Stunts, die sich nicht in Rebellion zu den physikalischen Gesetzmäßigkeiten befinden und meist von Norris selbst ausgeführt wurden, sowie ein paar kräftige Shoot-Outs und Prügeleien. Etwas hanebüchen wird es allerdings, wenn ein wackliger, bis an die Zähne bewaffneter Polizeiroboter aus Plaste zum Einsatz kommt. („Das ist die Zukunft!“) Da wird sich manch einer mit Sicherheit verdutzt die Klüsen reiben. Funktioniert aber alles tadellos und weiß durchaus zu unterhalten, größere Längen stellen sich nicht ein. Regisseur Andrew Davis sollte später schließlich noch für Filme wie NICO, ALARMSTUFE ROT und AUF DER FLUCHT verantwortlich zeichnen. Ein Stümper ist der Mann also keineswegs. Die deutsche Synchro ist übrigens auch recht amüsant. Norris Rollenname wird nicht wie im Original "Kjusäck" ausgesprochen, nein, stattdessen fliegt dem Zuschauer ein zackiges "Kussack" um die Ohren. ("Ich bin Kussack!"). Toll!

Geradezu rührend sind die bemühten Referenzen an Coppolas DER PATE, die dem Film ein wenig mafiösen Glamour verleihen sollen. So kann man u.a. Henry Silva bestaunen, der im Angesicht von zwei seiner jüngst zusammengeschossenen Schergen theatralisch verkündet: „Richtet sie wieder her. Ich will nicht, dass ihre Mutter sie so sieht.“ In einer anderen Szene werden Mitglieder der gegnerischen, italienischen Gang vor einem Gemüsewagen abgemeiert. Nicht schlecht, Herr Specht! Von diesen Highlights abgesehen erscheint das Gangsterleben eher wüst und leer. So residiert das italienische Mafiaoberhaupt nicht etwa in einer standesgemäßen Villa, sondern nur in einer scheddrigen Mittelstandsbudik. Nicht gerade der wahre Jakob – lässt sich aber sehr wahrscheinlich auf das niedrige Budget zurückführen. Toll ist auch der Dialog zwischen Norris und der Tochter des Mafiapaten, der sich bei einer Vernissage für naiv-abstrakte Kunst entfaltet:

Norris mit Blick auf ein Gemälde:
"Verstehen sie etwas davon?"
Sie, schon leicht pikiert:
"Sie etwa nicht?!"

In diesem Sinne. Mütter sperrt Eure Töchter ein, Chuck Norris ist wieder auf der Walz!

Yeeee-haaa!

#73 Groucho Marx

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Geschrieben 22. August 2004, 16:08

Oldboy (Südkorea 2003), DVD

Der Zuschauer siehts und fragt: "Was soll der Schmu, Baby?"

#74 Groucho Marx

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Geschrieben 23. August 2004, 17:43

Russ Meyer’s Mudhoney

„Kleinstädte haben immer Recht, das ist ihr Daseinsgrund“ schreibt Jörg Fauser in seiner Marlon Brando Biographie DER VERSILBERTE REBELL. Nun, der Mann muss mit den kleinkarierten Realitäten provinziellen Lebens uns Sterbens bestens vertraut gewesen sein. Provinz ist überall gleich, egal ob im Hinterland der amerikanischen Südstaaten oder in Frankfurt-Sossenheim – die speckig glänzenden Gesichter der böswillig Saturierten, die weder trauern, fühlen, verstehen können, man wird sie nicht los. Sie zu leugnen -und damit zu verdrängen-, wäre indes ein Fehler. Denn der Arm der Provinz reicht weit. Auch in den Großstädten und Metropolen finden sich ihre Codes und Rituale. Ob es nun der Anzug tragende Einzelhandelskaufmann ist, der in aufschneiderischer Manier davon berichtet „in der Wirtschaft“ tätig zu sein, tatsächlich aber nur einen besseren Ladenschwengel abgibt, oder das Klientel der Volxküchen und autonomen Tierschutzcafés. Die Soße ist die gleiche, das Grausen bleibt.

So ist es nur folgerichtig, dass Russ Meyer, hierzulande beharrlich auf dralle Weiber mit noch viel dralleren Brüsten reduziert, genau hinschaut. Denn wovor man nicht entfliehen kann, dem sollte man wenigstens mit offenem Visier gegenübertreten. Das gebietet die Selbstachtung.

Und so zeigt Meyer dem Zuschauer:
  • wie der gerade aus der Herrenduschanstalt entlassene Calif, nur einen schäbigen Anzug am Leib, durch das amerikanische Hinterland tingelt, um schließlich und endlich auf der Farm des despotischen Trinkers Sidney unterzukommen.
  • wie der Farmer seine Arbeiter schikaniert, seine Frau verprügelt und sich in einem, von einer inzestuös gezeichneten Familie betriebenen, Bordell der schäbigsten Sorte bedienen lässt.
  • wie die braven Bürger der Stadt Calif und der Farmersfrau ein Verhältnis andichten und wie Sidney infolgedessen endgültig durchdreht.
  • wie Sidney den obskuren Dorfpfarrer um den Finger wickelt, damit er seine Frau und Calif in Misskredit bringen, und für die Sünder den Zorn des Herren heraufbeschwören soll.
  • wie der Farmer, von Wahn, Suff und Geilheit umnebelt, die Frau des Pastors umbringt, seinen Bauernhof ansteckt und wie die Bürger der Stadt schließlich den Dämon aufhängen, den sie selbst hervorgebracht haben.
Ein für Meyer untypischer, stark dialoglastiger Film mit mehreren ineinander verwobenen Handlungssträngen. Sicher: Vordergründige Kritik am amerikanischen Traum, am ungezwungenen Leben auf dem Lande. Tatsächlich ist das Anliegen aber deutlich globaler. Verhängnisvolle gruppendynamische Prozesse; die stickige Enge; die Überwachung; die muksche Bigotterie. All das kommt auf den Seziertisch und das Ergebnis der Autopsie fällt ernüchternd aus. Sie werden sich niemals ändern, es hilft nur Flucht. Und die ist, wie bereits erwähnt, eine zweischneidige Angelegenheit. Das der Film dann noch die Familie als Sinnbild für ein schwärendes, bösartiges –sich aber letzten Endes selbstzerfleischendes- Wachstum heranzieht, ist dem Film hoch anzurechnen. Ein vorläufiges Versprechen, das THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE mit seiner Kannibalismusmetaphorik endgültig einlösen sollte.

Roll the credits...

Und was bleibt? Es muss doch ein Fazit geben?! Nein, es gibt keins - zumindest kein gänzlich zufriedenstellendes. Aber was mit Fauser anfängt, soll dann bitteschön auch mit Fauser enden und vielleicht hilft es ja dem ein oder anderen -stuck inside of Mobile- weiter : „Achten Sie darauf, dass Sie mit Anstand und Absicht Mensch sind auf dieser Erde, schütten Sie Alkohol in Ihre Wunden, aber erwarten Sie nicht, dass das Blut davon gestillt wird, und erwarten Sie vor allem vom Blut kein Paradies.“

#75 Groucho Marx

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Geschrieben 29. August 2004, 09:13

Bring mir den Kopf von Alfredo Garcia


Reliquien sind Gegenstände, denen in unseren Breiten - vor allem im Katholizismus - besondere religiöse Verehrung zuteil wird. Darüber hinaus stellen sie eine der ältesten Formen der Heiligenverehrung dar. Speziell Reliquien der ersten Kategorie, also verbürgte Körperteile eines Heiligen, erfreuen sich höchster Wertschätzung. Ein organisierter Handel auf monetärer Grundlage ist verpönt, Schenkung die einzig gangbare Übertragungspraxis.

Ein Kopf. Präziser: Der Kopf Alfedo Garcias. Eine Reliquie, zweifellos - nur deutlich profanerer Natur. Weder vergoldet, noch von besonderer Handwerkskunst zeugend. Faulendes, von Fliegen bedecktes Fleisch. Nicht verschenkt, sondern aus einem Grab geraubt. Kein Heiliger, sondern ein Frauenheld und Taugenichts. Für Bennie, einem Alfredo wohl gar nicht so unähnlichen Mann aus einfachsten Verhältnisse, von der Armut zu einem höchst unsoliden Lebenswandel verdammt, jedoch Garant der (irdischen) Glückseeligkeit. „Hör zu! Hat die Kirche nicht von ihrem Heiligen Füsse, Finger und weiß Gott was noch für Körperteile als Reliquie abgeschnitten. Bitte, wir machen' s wie sie, Alfredo ist unser Heiliger, der Heilige von unserem Geld und wir brauchen von ihm eine Reliquie.“ meint Bennie dann auch zu seiner Freundin Elita, die zwar erhebliche Bedenken, ob der moralischen Grundlage dieses Unternehmens hat, aber andererseits, wie es eben so ist, trotzdem zu ihrem Macker halten will, mag er wohl auch nicht das erhoffte, große Los sein. Denn was nützt es schon? Immer noch besser als einsam und abgebrannt. So nimmt man dann auch gegenseitig die Hurereien des Anderen hin und rauft sich immer wieder zusammen. Nur nicht alleine sein.

Nein, der Kopf muss her. Fünf bis zehn Riesen könnten drin sein. Peanuts, wie Bennie später erfahren soll, denn tatsächlich winken nicht weniger als eine Million Dollar. Ausgelobt vom bigotten Großgrundbesitzer El Jefe, der sich mit kirchlichen Würdenträger schmückt, wie andere mit Orden, andererseits aber auch nicht davor zurückschreckt seiner schwangeren Tochter von seinen Schergen den Arm brechen zu lassen. Der Name ihres Liebhabers, unter Folter preisgegeben, man ahnt es: Alfredo Garcia. Eine Millionen Dollar. Viel Geld für einen Lumpen. Schon merkwürdig, spuckt man den falschen Leuten in die Suppe, wird die eigene, jämmerliche Existenz plötzlich vergoldet. Nur leider immer zum persönlichen Nachteil. Vom Menschen aus Fleisch und Blut zu hartem Dollar - das ist ein kürzerer Weg als man so meint. An dessen Ende dann aber immer die Anderen die Sahne abschöpfen. Und noch während man fällt, kann man ihnen beim, durch das eigene Blut erschlichenen, Aufstieg zusehen, vielleicht noch etwas hinauf rufen, und dann ist es auch schon vorbei. Bennie weiß das wahrscheinlich selbst, trotzdem, hier bietet sich wieder eine Chance und wieder wird sie beim Schopf gepackt. Schnell und zuverlässig betäubt die Verheißung Strapazen und etwaige Konsequenzen. Und wer möchte schon von denen etwas wissen, wenn das Himmelreich lockt?

„Danke, er ist nämlich mit besonderen Erinnerungen an ein Mädchen verknüpft, das müsst ihr verstehen. Diesen Korb packte sie eines Tages voll, mit den schönsten Sachen für ein Picknick. Dann sind wir zusammen losgefahren, auf vedammt dreckigen Straßen. Wir lebten von dem was sie zubereitet hatte mit ihren Händen, mit wundervollen Händen. Doch Sie kam nicht zurück von dieser Fahrt, deswegen möchte ich wissen was ihr damit wollt? Was der Kopf von Alfredo Garcia wirklich wert ist und für WEN er das wert ist!“
(Bennie verlangt den Korb)

Seine Güte schöpft der Film besonders aus dem Zustand einer – paradoxen – apathischen Umtriebigkeit seiner beiden Hauptprotagonisten. Immer wieder den Griff nach den Sternen versuchen, dabei scheitern, wieder greifen, wieder scheitern, immer weiter, nur weiter. Produktives auf der Stelle treten, das unerreichbare Ziel fest vor Augen. Erst mit dem Tode Elitas kommt wirkliche Bewegung ins Spiel. Das Geld ist nun nicht mehr wichtig, wozu auch, eine gemeinsame Zukunft gibt es nicht. Die Sinnlosigkeit als letzter Antrieb für einen, der bereits alles verloren hat. Sie in Sinn aufzulösen, zu begreifen wieso und warum, wird Bennies letzte Aufgabe, an deren Ende sich Erkenntnis und Tod die Klinke in die Hand gegen. Das Geld bleibt indes einfach liegen und wird als Fetisch entlarvt. Papier, nicht mehr und nicht weniger. BRING MIR DEN KOPF VON ALFREDO GARCIA ist rohes, physisches Kino. Unmittelbar und dreckig. Alles richtig, aber das hat man, mal ganz unter uns, doch schon tausendmal gehört. Falsch wird es dadurch sicher nicht, ein anderer Aspekt –mag er auch nicht so prominent und aufällig sein – ist meiner Meinung aber letzten Endes wichtiger: Die ungebrochene Würde mit der Bennie und Elita ihr Leben meistern ist von einer Erhabenheit und Größe, die einem schlichtweg den Atem stocken lässt. Eine Anmut von der Schmierlappen wie El Jefe mitsamt ihrer devoten Entourage nie gehört haben und die sie auch niemals verstehen werden.

Wenigstens das.

#76 Groucho Marx

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Geschrieben 15. Januar 2005, 13:40

Spiel auf Zeit (Brian de Palma, USA 1998)

"Welche Wahrheit hätten’s denn gern?"

Von Brian de Palma reden, heißt von Alfred Hitchcock reden. Unter Anhängern des ersteren eine beinahe unumstößliche Selbstverständlichkeit. Umgekehrt sieht der Sachverhalt etwas anders aus, aber das soll an dieser Stelle nicht weiter von Belang sein. In Hitchcocks Stage Fright jedenfalls befindet sich eine falsche Rückblende, die sich im Verlauf des Films dann auch tatsächlich als unwahr herausstellt. Dem Zuschauer offensiv ins Gesicht gelogen. Ein absoluter Tabubruch, ein Skandalon. Selbst heute, gut fünfzig Jahre später, erwarten wir, ob bewusst oder unbewusst, dass Filme, von ihrem narrativem Konstrukt einmal abgesehen (da sind wir eher geneigt zu verzeihen), zumindest "formal wahr" sind. Wie Hitchcock hat sich de Palma mit diesem Diktum nie zufrieden geben können...

Ein paradoxer Zustand: Der Zuschauer, das schließt den Verfasser ein, tendiert dazu Filmbilder für "wahr", und damit für real zu erachten. Allein von seinen ikonographischen und technischen Voraussetzungen her, scheint das Kino also eher der Realität als der Lüge nahe zustehen. Das ist zumindest der fromme Wunsch dahinter. Diese menschliche Neigung hatte Hitchcock in seinem Film aufgenommen, um die Grenzen dieser Denkart exemplarisch vorzuführen. Allerdings wurden die in den Köpfen präsenten, binären Oppositionen "wahr" und "falsch" nicht bis zur letzen Konsequenz dekonstruiert. Das konsequente Aufzeigen der filmischen Ununterscheidbarkeit von Wahrheit und Lüge musste in letzter Instanz hinter dem "Willen zur Wahrheit" zurückstecken. Anders de Palma: Er bedient sich einer perspektivischen Juxtaposition der Geschehnisse, um die Illusion eines unmittelbaren Gegenwärtigkeitscharakters des Blicks ins Groteske zu verdichten.

Eine Juxtaposition freilich, die nicht alleine beim Visuellen bleibt, das kann sie auch gar nicht. Vielmehr entfaltet de Palma einen komplexen Subtext von parallel existierenden, respektive parallel agierenden Systemen. So finden sich dann auch diverse gesellschaftliche Subsysteme im Film, die alle ihren spezifischen Codes gemäß miteinander in Kommunikation treten. Ein Rechtssystem (Rick Santoro), ein Politiksystem (der anwesende Minister und seine Entourage), sowie ein Militärsystem (Commander Kevin Dunne). Sie alle verhalten sich je nach Situation hermetisch oder offen. Ihr gemeinsames Axiom ist der Widerstreit.

Alle Versuche des Zu-Schauers die ersehnte Omnipotenz des Blicks affirmativ heraufzubeschwören – anders ist das obligatorische Mitfiebern, Mitraten, Mitsuchen nicht zu erklären – werfen uns ratlos auf die eigene beschränkte Wahrnehmung zurück. Es ist ironisch: Durch eine Vielzahl von Technologien konnte die menschliche Wahrnehmung in relativ kurzer Zeit in bisher ungekanntem Maße modifiziert werden. Evolution im Zeitraffer. Trotzdem erfahren wir dadurch keine Kompensation, im Gegenteil, wir bekommen Einblick in noch komplexere Zusammenhänge, die unsere "alten" Rezeptionsstrategien antiquiert, ja geradezu kontraproduktiv erscheinen lassen. Für die mediale Codierung der "Wirklichkeit" (und der damit immer verbunden Hoffnung die Wahrheit in irgendeiner Form fassen zu können) muss der teure Preis des Wirklichkeitsverlustes gezahlt werden. Die Rede von der Wahrheit, sie ist obszön geworden. Ein, wenn nicht sogar das wesentliche Konstituens der Postmoderne. Und so ist es beinahe rührend zu sehen, wie sich Nicolas Cages Detective die gesamte Technik des Casinos untertan macht, um seinen Wahrnehmungsinsuffizienzen ein Schnippchen zu schlagen. Auf der Suche nach dem real thing sieht der Mensch ganz schnell, ganz alt aus.

Eindringlichstes Bild des Films: Ein mit Kameras ausgestatteter Zeppelin in Augenform durchmisst den Raum. Um mit Godard zu sprechen: Nicht wir haben gesehen, sondern die Kamera. Unsere Augen? Eine Leinwand. Süße Lügen. Lehrstunden in Kino...

#77 Groucho Marx

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Geschrieben 19. Januar 2005, 23:45

Keoma - Melodie des Sterbens

"Platon - Diese Stadt verlässt Du nur im Sarg!"

Gemäß der platonischen Philosophie kann ein Bild immer nur eikon (Abbild) eines a priori bestehenden Urbildes, einer idéa (Idee) sein. Der Idee kommt dabei – vereinfacht ontologisch gesprochen – die Rolle eines strukturierendes Ordnungsprinzip zu, das sich der sinnlichen Wahrnehmung des Menschen entzieht. Ein Verhältnis, das klar zuungunsten der Bilder ausfällt. Lässt sich die Welt der Ideen durch das Konzept der Anamnesis, also der Widererinnerung an in der Seele verborgene Wahrheiten erreichen, sind Bilder nur bloßer Schein. Nackte Oberfläche.

Der Italowestern hat immer schon von einer eindrucksvollen Bildsprache gelebt. Ein Umstand, der seinen wortkargen, in der Vergangenheit verhafteten Protagonisten geschuldet ist. Diese sind durch traumatische Ereignisse in einem "früheren Leben" ihrer Sprache beraubt worden. In Sergio Corbuccis Genreklassiker Leichen pflastern seinen Weg ist dieses eigentlich psychisch bedingte Unvermögen durch eine tatsächliche Verletzung der Stimmbänder (die bezeichnenderweise im Kindesalter erfolgte) in den Körper des Protagonisten eingeschrieben. Diese exemplarische Unfähigkeit einen kommunikativen Nexus zur Gegenwart zu schließen wird durch symbolträchtige Handlungen sublimiert, die selbst einen banalen Vorgang wie das Anzünden eines Streichholzes durch eine lakonisch-eindrucksvolle Geste in den Rang des Sakralen erheben können. Ein weiteres, wenn nicht sogar das wichtigste Strukturmerkmal des Genres ist das Duell. Zu Beginn von Sergio Leones Spiel mir das Lied vom Tod wird erhebliche Zeit darauf verwendet eine Gang von Revolverhelden beim Warten auf den großen Moment zu zeigen, ein Portrait ihrer Anspannung zu zeichnen. Rollen, die eigentlich mit Clint Eastwood, Lee van Cleef und Eli Wallach besetzt werden sollte, was aber letztlich durch terminliche Probleme nicht zustande kam. Dann, der Fremde steigt aus, zögern, und plötzlich geht alles ganz schnell. Tote liegen im Staub. Nun ist Leones Film ja gemeinhin als Genre-Abgesang bekannt. Der Italowestern, so sagt man, käme in ihm zu seinem Ende. Und in der Tat, besagt Szene spricht, neben einigen anderen mehr, in dieser Hinsicht eine recht deutliche Sprache. Auch und gerade, wenn man die ursprüngliche Besetzung vor Augen hält. Problem ist, dass der Film dabei nur auf der Ebene des Symbolischen, des Bildhaften verbleibt. Anders verhält es sich in Enzo Castellaris Film:

In einer der eindrucksvollsten Szenen sehen wir vier aufgerichtete Finger einer Hand, präziser: der Hand Keomas, die - aus der Subjektiven gefilmt - mit jedem einzelnen Anwinkeln den Blick auf eines seiner zukünftigen Opfer freigeben. Anschließend wird mit Blei abgeräumt. Vier Finger, vier Opfer. Der Bogen zu Platon ist geschlossen. Hinter dem Bildsymbol (Finger = Gegenspieler) wird die Idee (der Archetypus des Gegenspielers) sichtbar. Kurzes Anvisieren und beides wird gemeinsam zum Teufel gejagt. Symbolisch und real, im Bildkader komprimiert. Castellari bringt Leones unfinished buisness zu einem wirklichen Ende. Entsprechend düster ist der Grundtenor: Angenehm unironisch verdichtet Castellari einen enormen Zitatenfundus zu einem Filmkörper von unerhörter Gravität. Ein Ansatz, der Strenge erfordert. Und so nimmt es auch nicht weiter Wunder, dass der Film konsequent von einer Matrix mythischer Narrative strukturiert wird, die, und das ist das wichtigste Charakteristikum des Films, durch ein verwegenes Ausreizen des Scopeformats eindrucksvoll mit der reinen Bildebene synchronisiert werden. Um dieses austarierte Verhältnis zu stabilisieren, ist der Film von einer hermetisch-phantasmatischen Membran umhüllt, in der auch das Raum-Zeit-Gefüge außer Kraft gesetzt ist. So gibt es diverse Szenen, in der der Held ohne jeden Schnitt durch die Vergangenheit schreitet. Auch die von Sam Peckinpah entlehnten, in verschiedenen Geschwindigkeiten ablaufenden Zeitlupenaufnahmen scheinen einen einzigen Vorgang (Mann wird erschossen und stürzt) durch geschickt eingesetzte Gegenschnitte zeitlich zu fragmentieren.

Den Tod des Italowestern, man sieht in ungern. Castellari weiß das und enthält sich bei aller Dekonstruktionsarbeit einer klaren Aussage. Auch die Affinität des Films gegenüber christlicher Ornamentik erscheint im Nachhinein in einem anderen Licht. Dass diese kinematografische Passionsgeschichte in einer Schlüsselszene die paradoxalen Dialektik des Kreuzestodes bebildert ist so konsequent wie nachvollziehbar. In ihr findet der Film endgültig zu sich selbst.

Ein Meisterwerk.

#78 Groucho Marx

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Geschrieben 16. August 2005, 20:35

Invasion USA (Joseph Zito, USA 1985)

Der Actionfilm, das ist Stimmung und Musik, Knüppel-aus-dem-Sack und farbenfrohes Gepränge. Stimmt, aber nicht nur, weil nämlich...

"Zeit zum Sterben!" Ein Satz wie Donnerhall und mitnichten das bärtige Gebrabbel eines pittoresken Schrats. Denn stehen wir nicht letzten Endes alle nur zum Sterben an? Maybe. Nach Martin Heidegger zeichnet sich die ontologische Präkonzipiertheit der menschlichen Existenz dadurch aus, dass sie in einen kontingenten endlichen Horizont geworfen ist und ihre ultimative Möglichkeit im Tod findet. Wenn Chuck Norris also mit seinem - über den gesamten Filmverlauf hinweg kolportierten - Mantra auf eben diesen Umstand hinweist und damit in der Kehre den Weg zur Frage nach dem Sein beschreitet, so ist das nur recht und billig. Right on, Brother!

Nicht die einzige Gemeinsamkeit. Charakteristisch für die meisten Vertreter des Actiongenres ist die Situierung des Protagonisten im Spannungsfeld dessen, was Heidegger als das "Man" bezeichnet hat und das dort zum tragen kommt, wo "das Dasein auf Entscheidung drängt". Ein janusköpfiges Phänomen, das einerseits das Urteilen und Entscheiden vorgibt und damit erleichternd auf das jeweilige Dasein einwirkt, andererseits aber als ständiges Angebot auch eine Tendenz zur Seinsentlastung hat, die ohne funktionierendes Regulativ in der Folge zu einer manifesten Seinsvergessenheit führen kann. Ein Konflikt, der, unter jeweils anderen Parametern, über die Epochen hinweg kontinuierlich in die Praxis künstlerischer Auseinandersetzung hineinverwiesen hat. Ob es sich nun um den Konflikt von Individualität und Konvention in der Romantik oder um die nach dem Prinzip von Konsens und Ausschluss arbeitende Jugend- respektive Popkultur handelt. Es ist kein Geheimnis, dass diese ambivalente Verfasstheit beim Actionhelden besonders virulent zu Tage tritt. Schlechte Erfahrungen, larmoyantes Sich-Raushalten, womöglich Suff. Sollen es die anderen doch machen. Externalisierung des eigenen Potentials an Dritte. Gleichzeitig sind Aufbegehren und Aktion immer noch Handlungsmaximen, die im Bereich seines Möglichen liegen. Die Spannung generiert die Chance.

Und wenn sich Norris in seinen Filmen von der fürsorglichen Hand einer wohlorganisierten Institution (meist das Militär oder der Geheimdienst) emanzipiert und - ohne jede Not! - aus dem Ruhestand zurück in das freie Spiel der Kräfte eintritt, um ihm erbarmungslos seinen Stempel aufzudrücken, dann ist sofort klar, für welche Option er sich entschieden hat.

#79 Groucho Marx

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Geschrieben 06. Januar 2006, 21:54

Profondo Rosso (Dario Argento, Italien 1975)

Der Einstieg wirkt zunächst klassisch: Credits, Musik, a film by Dario Argento, Deep Red. Dann... /Schnitt/ Hektische Schattenspiele an der Wand, Mord! Eine blutige Messerklinge fällt vor herbeieilende Kinderfüße. /Schnitt/ ...Credits.

Dieser nicht näher kontextualisierte Handlungseinschub in die sattsam bekannten Namenskolonnen der Filmcredits, die ja gemeinhin für die Film erst konstituierenden Elemente von Produktionsökonomie und Arbeitsteiligkeit stehen, verortet die Sequenz im Raum des Extradiegetischen. Etwas liegt vor einer zu folgenden Erzählung, ist aber möglicherweise mit ihr – auf bisher nicht näher bekannte Weise - assoziiert. Die Credits verweisen aber auch auf Performanz. Nicht nur das Menschen Menschen spielen, das kann im Film schon mal vorkommen, nein, sie wird als solche thematisiert und zieht sich als a priori durch die gesamte Filmerzählung.

Rote Vorhänge öffnen sich von Zauberhand, ein großes Theater oder Opernhaus, in der Mitte eine von Scheinwerfern angestrahlte Bühne. Alles in schwerem rot ausgekleidet. Eine Frau sitzt an einem Tisch in der Bühnenmitte. Die Kamera nimmt Maß, filmt sie mal vom Mittelgang, mal von den jeweils gegenüberliegenden Logen. An diesem Ort, so verkündet es der Veranstalter, findet gerade ein „Paranormaler Kongress“ statt. Die Frau, sie ist ein Medium, Star einer Telekinese-Show, die das Publikum von der Existenz übernatürlicher Kräfte überzeugen soll. Überhaupt das Publikum: Im Vergleich mit der auf der Bühne agierenden Protagonistin nimmt es sich reichlich gehandicapt aus. Schwere Hornbrillen, ein Übersetzungsgerät fürs Ohr, ein Rollstuhl. Prothesengötter, die ihren Wahrnehmungsinsuffizienzen durch pseudopodienhafte Verstärker auf die Sprünge helfen wollen. Der Star des Tages braucht dies alles nicht. Sie kann sogar Bilder und Gedanken wahrnehmen, die sich den fünf Sinnen entziehen. Auch sind die Bewegungen gegenläufig. Die einen suchen mit allen Mitteln Einsicht, die andere wird von ihr überfallen und findet den Tod.

Vorher, direkt nach den Credits, sehen wir den von David Hemmings gespielten Jazzmusiker, der seinem Ensemble Anweisungen gibt. Ein präzises Gefühl, tief aus dem Herzen, das sei das Geheimnis. Ironie. Später wird er ein diffuses Gefühl haben und nach einem präzisen Wahrnehmungsfragment suchen, tief in seinen Erinnerungen. Ein Bild fehlt. Der Mörder im weißen Waschraum vor einem zerkratzten Spiegel, der blank und schweigend die Repräsentanz verweigert. Auf das Auffinden dieses Bildsplitters ist der gesamte Film hin konstruiert. Staging. Schwarzer Samtstoff, auf dem Kinderspielzeug drapiert ist. Murmeln und Puppen, aber auch gewalttätige Zeichnungen und ein Messer. Die Kamera fährt diese Gegenstände wie eine Kunstinstallation ab. Schwarze Handschuhe. Schwarzer Kajalstift. Die Suche kann beginnen.

#80 Groucho Marx

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Geschrieben 04. September 2007, 19:32

Alarmstufe Rot (Andrew Davis, USA 1992)

Zu Eingang muss ich bemerken, dass ich schon sehr lange keinen Seagal-Film mehr gesehen hatte, weshalb manche Eigenheiten diesmal besonders deutlich hervortraten. Ich hatte zum Beispiel schlichtweg vergessen, mit was für einem unsympathischen Actionstar es der Zuschauer hier eigentlich zu tun hat. Sehr eindringlich erschien mir insbesondere die körpersprachliche Gewalttätigkeit Seagals, der, selbstsicher bis zur Überheblichkeit, stets freundschaftliche Ohrfeigen und gönnerhafte Späßchen nach Gutsherrenart in Petto hat. So haftet ihm dann auch selbst in Gesten der Menschlichkeit das Odium einer paternalistischen Unmenschlichkeit an, die jeden Anflug von Noblesse sofort an den Klippen strizzihafter Selbstgerechtigkeit zerschellen lässt.

Nun aber zum Film selbst: Die Struktur von ALARMSTUFE ROT wird ja gelegentlich mit „STIRB LANGSAM auf dem Schiff“ umrissen. Und es besteht wohl tatsächlich eine gewisse Kontinuität zum ersten Teil der DIE-HARD-Reihe. Diese scheint mir aber nicht so sehr in inhaltlichen Entsprechungen gegründet zu sein. Vielmehr fallen grundlegende Analogien bei der Inszenierung von Raum auf, da sich auch John McClane in einer hermetischen Gegenwelt, nämlich der des Nakatomi Towers, behaupten muss. Im Seagal-Vehikel wird dieses Muster noch radikalisiert, weil der Schauplatz der Handlung auf dem Meer liegt, das schon in mythologischen Darstellungen immer als rechtsfreier und furchteinflößender Raum galt. Das Setting auf dem Kriegsschiff bedeutet demnach ein Maximum an Exposition und Gegenwärtigkeit. Gleichzeitig bringt es mit seinem scharf umrissenen Schauplatz eine große Spannungsverdichtung mit sich, vor der alle anderen Ereignisse rapide abfallen. Das zeigt sich besonders bei dem von den Terroristen angedrohten Raketenangriff auf die Zivilbevölkerung des Festlandes, der vor diesem Hintergrund keine besonderen Emotionen zu evozieren vermag. All das erscheint gleichsam um Welten entfernt. Das Bedrohungsszenario, das bei seiner Verwirklichung die großflächige Extinktion zivilen Lebens bedeutet hätte, ist zu abstrakt und kann nicht vor dem lokalen Konflikt auf dem Schiff bestehen. Ein solches Gefälle konturiert im Umkehrschluss den unglaublichen Impact von Filmen wie INVASION USA, der die Zivilisten eben nicht auf eine anonyme Vernichtungsgröße kapriziert, sondern den Terror rücksichtslos in die intime Subjektivität kleinfamilialen Lebens einbrechen lässt. Mit dieser Feststellung ist keine qualitative Wertung verbunden, es sollen vielmehr nur zwei entgegengesetzte Inszenierungsarten herauspräpariert werden.

Dass es den Protagonisten an einen fremden Schauplatz verschlägt ist natürlich keine Besonderheit dieses Films, rührt aber exemplarisch den Typus des Helden an. Zu den grundlegenden Eigenschaften des Heroen gehört, dass er sich nie in der Sekurität der Heimat bewährt, sondern stets in fremden Territorium: der terra incognita. Im Actionfilm kann das auf zwei Arten geschehen. Die eine schickt den Helden auf Mission in ein fremdes Land, wie man es etwa von RAMBO II und III kennt. Das ist gewissermaßen das klassische Modell. Spannender ist es, wenn sich eine räumliche Inversion ereignet, dem Helden also sein Heimatterritorium fremd wird. Bekanntester Vertreter dieses Prinzips dürfte DIE ROTE FLUT von John Milius sein, in dem der vertraute Sozialraum von den sowjetischen Invasoren ideologisch umprogrammiert wird, so dass er wie eine sozialistische Travestie uramerikanischer Institutionen erscheint. Man denke hier nur an die Einrichtung eines Umerziehungslagers im Autokino.

Sehr spannend fand ich in diesem Kontext noch das In-eins-Setzen von Held und Schurke, die gemeinsam die Dublette der Outsider bilden. Nicht umsonst ist der Schlüsselsatz des Films „Sie und ich sind nur Puppen in demselben makabren Spiel. Wir dienen demselben Meister.“ Allerdings ist das Verhältnis Schurke-Held nie statisch, sondern in rückläufiger Bewegung begriffen. Das wird besonders deutlich, wenn sich die anfängliche Selbstsicherheit des Terroristenanführers Stranix im Filmverlauf langsam in dumpfe Regressphantasien zersetzt, die ihren Höhepunkt in infantilen Monologen über Zeichentrickfilme haben. Im Grunde ein Souveränitätstransfer: In dem Maße, in dem der Verbrecher verfällt, gewinnen die Guten kontinuierlich Oberwasser. Seagals Sidekick, das Busenwunder, ist hier sinnbildlich, da sie von der namenlosen „Miss Juli“ zur selbstbewusst kämpfenden Frau heranreift, was schon beinahe als Menschwerdung bezeichnet werden könnte

Die eigentliche Markscheide ist diese: Der Held kann trotz aller Randständigkeit eine soziale Gruppe repräsentieren. Er steht auf der Grenze von Individuum und Masse. Das macht ihn zum Heros. Dem Schurken diese Option verwehrt. Wie eine Marionette, die ihre Schnur gekappt hat, muss er an sich und seiner Isolation zerbrechen. Die Tötung durch den Helden ist ein sekundärer Akt, vorgenommen an einem lebenden Toten. Während Ryback sich mit seiner weißen Uniform wieder in die von ihm gerettete Gemeinschaft einschreiben kann, bleibt für Stranix nur der Weg ins Nichts.

Bearbeitet von Groucho Marx, 04. September 2007, 20:44.


#81 Groucho Marx

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Geschrieben 14. September 2007, 20:15

Shooter (Antoine Fuqua, USA 2007)

Beim Wort Shooter denken Leute mit Computersozialisation sehr wahrscheinlich sofort an Egoshooter. Auch wenn es sich hier um keine Videospielverfilmung handelt, ist der Begriff gar nicht verkehrt, weil er auf den von Mark Wahlberg gespielten Scharfschützen Bob Lee Swagger verweist, der die Welt zumeist über den Lauf seiner Waffe wahrnimmt. Swagger ist der Mann für heikle Fälle, was ihn im Prolog des Films in die Wirren eines afrikanischen Militäreinsatzes verschlägt. To cut a long story short: Treulosigkeit und Inkompetenz seiner Vorgesetzten lassen die Mission platzen, sein Partner stirbt im Kugelhagel. Es soll nicht der letzte Verrat bleiben...

Es folgen Jahre der Sezession durch einen radikalen Rückzug in die unberührte Bergwelt. Und so hockt der Shooter denn auch abgeschieden in einer Unabomer-mäßigen Bretterhütte und redet mit seinem treuen Hund, der allen Anscheins nach der einzige Substituent für zwischenmenschliche Kontakte ist. Gesund ist das nicht. Zivilisationsflucht ist immer versuchte Weltflucht, weil eine solipsistische Sicht der Dinge auf kurz oder lang über den Nebelpfad der Asozialität in den Tod führen muss. Auch der toughste aller Einzelkämpfer, Rambo, ersuchte bekanntlich unter Tränen um die Wiederaufnahme in die geordnete Welt von Fort Bragg. Der Film hat das begriffen, ist darum in diesen Fragen entsprechend zweideutig und versucht nicht eine vermeintlich depravierte Zivilisation gegen eine „gute“ Natur auszuspielen. Kurz gesagt kommt der Natur überhaupt keine besondere Konnotation zu, sie dient nur als Aufhänger, um die radikalen Autonomiebestrebungen des Protagonisten in passende Bilder zu bringen. Und da ist man schon beim springenden Punkt, denn eigentlich ist diese Autonomie nicht möglich. Nicht nur aus Gründen der geistigen Gesundheit, sondern weil alle auf ihre Weise irgendwie mit drin stecken. Der Film vollzieht das zunächst am Beispiel der Technologie nach. So werden rein formal wiederholt Schauwerte aus den Möglichkeiten der Technik geschlagen, etwa im extravaganten In-Szene-Setzen der Waffentechnologie. Dann aber auch wiederum ganz handfest: in diversen Situationen ist es technisches Know-How, das dem Protagonisten einen entscheidenden Vorteil verschafft - sei es im Ausschalten von Gegnern oder im unauffälligen Aufzeichnen kompromittierender Geständnisse. Diese Verschlungenheit lässt sich bis zum Shooter selbst weiterverfolgen, der seine Fähigkeiten immerhin bei dem von ihm verabscheuten Apparat erlernt hat.

Zur aktuellen Relevanz des Films: In vielen Kritiken wurde auf die kritischen Bezüge zu den drängenden Themen amerikanischer Politik hingewiesen. Das ist sicher richtig, allerdings nicht das eigentliche Zentrum des Films. Tatsächlich sind diese Stellungnahmen sogar von bestürzender Schlichtheit. Nein, im Mittelpunkt steht vielmehr der Mythos, genauer: der amerikanische Mythos. Erst durch eine entsprechende Anspielung auf die Verfassung, die in diesem Lichte eben unendlich viel mehr als nur ein Stück Papier ist, kann der zwielichtige Ex-Militär Johnson Swagger für seine Ziele gewinnen, die ihn zur Schachfigur in einem weit reichenden Komplott machen. Man muss an dieser Stelle einen kurzen Exkurs zum Verständnis des Mythos einschalten, um die unterschiedlichen Beweggründe der beiden Kontrahenten nachzuvollziehen. Die erste ausgearbeitete Theorie, die eine Exploitation des Mythos für politische Zwecke vorsah, war George Sorels Schrift „Über die Gewalt“. Sorel entkernt darin die marxistische Theorie um das Primat der Ökonomie und füllt die Leerstelle mit dem Mythos des Generalstreiks. Allerdings handelt es sich dabei um einen politischen Pseudomythos, der das Ziel einer künftigen Massenmobilisierung hat. Der amerikanische Mythos ist hingegen ein organisch gewachsener Mythos, dessen Wurzeln in der Vergangenheit liegen, aber dessen idealistische Strahlkraft bis in die Zukunft reicht. Im Kalkül Johnsons soll nun der naiv-gute Mythosglaube Swaggers ohne dessen Wissen mit den Zielen eines machtgierigen Hintermannes kurzgeschlossen werden. Swagger räumt in Nachhinein selbst ein, dass man bei ihm wohl nur „die richtigen Knöpfe drücken“ müsse. Sein Handeln ist von den zeitlosen Werten des Mythos bestimmt, weswegen er den tages- und machtpolitischen Winkelzügen seiner Gegner zunächst nichts entgegensetzen kann. Klopft man den Film auf seinen ideologischen Gehalt ab, ist es in diesem Kontext recht bemerkenswert, wie sich hier linkes Politkino und rechte Vigilantenaction einander hufeisenförmig entgegenbiegen. Die Wende kommt erst, als Swagger wieder anderen Menschen vertrauen kann. Nach einem brutalen Selbstverarztungsversuch, wendet er sich an die Witwe seines verstorbenen Partners. Später wird er gemeinsam mit einem nicht von seiner Schuld überzeugten FBI-Agenten ein Team bilden, um den Sack endgültig zuzumachen.

Und wenn der Shooter am Ende des Films mit dem Auto einen einsamen Highway hinunterrast und wir mit der Kamera in das Panorama der amerikanischen Weiten einsinken, verbleibt man mit dem guten Gefühl, dass der Mythos gerettet ist.

#82 Groucho Marx

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Geschrieben 30. Januar 2008, 20:08

Shoot 'em Up (Michael Davis, USA 2007)

Keinen roten Heller wert, aber ein prägnantes Fäulniszeichen für den schlechten Zustand des zeitgenössischen Actionfilms, der mittlerweile weitgehend zur letzten Hochburg einer nerdigen Deppen-Ironie herabgesunken ist. Um Missverständnisse auszuräumen: Ironische Actionfilme gab es auch in den 90ern - nur genossen "Humor" und Spektakel dort noch nicht die anmaßende Autonomie, die sie in den heutigen Elaboraten innehaben. Diese Tendenz ist insofern problematisch, weil die damit verbundene totale Scheidung von Protagonist und Aktion das zelebrierte Zerstörungswerk zu einer reinen Äußerlichkeit werden läßt, die keinerlei plausible Rückbindung an die agierenden Personen aufweist. Dass Action aber ihrem Wesen nach immer nur die brachiale Bebilderung zwischenmenschlicher Konflikte ist wird nicht bedacht, weshalb es entsprechenden Produktionen naturgemäß an Pathos und Seinshöhe gebricht. Ich kann mir sowas echt nicht mehr anschauen.

Bearbeitet von Groucho Marx, 30. Januar 2008, 20:42.


#83 Groucho Marx

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Geschrieben 17. Februar 2008, 20:38

Cruising (William Friedkin, USA 1980)

William Friedkins CRUISING ist einer jener Filme, denen schon während ihres Entstehens eine Aura von Skandal vorauseilte. Hauptanlass für die Tumulte war eine dem Regisseur unterstellte Homophobie, welche die auch in Schwulenkreisen umstrittene SM-Lederszene angeblich als pars pro toto für alle Homosexuellen diffamiere. In einer bizarren Querfront stießen konservative Sittenwächter hinzu, die den Film als Angriff auf ihre Wertordnung und ungehörige Herabsetzung New Yorks verstanden. Die tiefere Ursache für dieses lautstark artikulierte Unbehagen dürfte indes hinter diesen Vordergründigkeiten zu suchen sein.

Das eigentlich Anstößige des Films ist vielmehr die semi-authentische Repräsentation einer Verselbstständigung und Re-Primitivisierung von Teilen des urbanen Sozialraums, die unheilvoll die Bestände einer für immer verloren geglaubten Archaik einfordert. Es hat in diesem Kontext schon eine beinahe mythologische Qualität, wenn die als Hauptschauplatz des Films fungierende Lederbar in einem abgelegenen Kellergewölbe situiert ist, das, gleichsam in den Eingeweiden der Stadt liegend, von einer chthonisch-dunklen Sexualität kündet. Diese Prämisse muss beim Zuschauer zu gravierenden Irritationen führen. Allein der Gedanke, unweit der heiligen New-York-Dreifaltigkeit von Bank, Börse und Broadway eine selbstermächtigte homosexuelle Kriegerkaste vorzufinden, die sich der transgressiven Zelebration männlicher Allmachtsphantasien hingibt, ist schlichtweg unfassbar. Die Folge ist ein nagendes Unwohlsein, das nicht alleine der akribischen Porträtierung dieser Unterabteilung homosexueller Subkultur geschuldet sein kann. Denn klopft man die Szene auf ihre Sozialstruktur ab, fällt schnell auf, dass es sich nur um einen temporären Korpus handelt, der sich zum Wochenende bzw. zu den Nachtzeiten formiert. Unter der Woche stellt der berufliche Alltag wieder die gewohnte „Normalität“ her. Folgerichtig drängt sich dem Betrachter die beängstigende Implikation auf, seinen Mitmenschen nicht richtig zu kennen. Unter dem dünnen Firnis der Zivilisation scheinen primordiale Triebkräfte zu lauern, die nicht durch die üblichen sozialen Koordinaten erfasst werden können. Jeder Professor, Bankkassierer oder Student kann den abenteuerlichsten Devianzen anhängen oder – und davon handelt der Film – am Ende sogar ein Mörder sein. Letzteren gilt es nämlich dingfest zu machen, da die Szene gerade von einer grausamen Mordserie heimgesucht wird, der schon etliche Männer zum Opfer gefallen sind. Und so wird der Zuschauer gemeinsam mit dem zu Undercover-Ermittlungen abgestellten Jungpolizisten Steve Burns sukzessive in die Dionysien des geheimen New York eingeführt.

Es bietet sich das Bild einer quasi-militanten Gemeinschaft, die sich durch den Trend zu Uniformierung und Anonymisierung auszeichnet. Individuen werden austauschbar und treten hinter dem Tragen von fetischisierter Lederkluft zurück. Institutionen der „realen Welt“ scheinen nur als grotesk verzeichneter Abglanz auf, sei es im überzogenen Nachahmen von Frauenattributen oder der sexuellen Stimulierung durch Polizeiuniformen. Burns tritt nun mit dem Selbstverständnis des heterosexuellen Mannes an, sieht dieses aber sofort durch die realen Gegebenheiten erschüttert. Entgegen der gängigen Vorurteile wird er nämlich nicht sofort durch den Umstand seines Mann-Seins zum allseits begehrten Sex-Objekt. Um im Jargon zu bleiben: Er ist einfach nicht heiß genug für die Szene, wirkt wie ein Fremdkörper. Es bedarf einer Anpassung durch Körpertraining und Kleidung sowie der Habitualisierung von Szene-Codes, um sich überhaupt ein Entrée zu verschaffen, das die Aussicht auf polizeilich verwertbare Hinweise eröffnet. Es ist ein intelligenter Kniff, dass die Entwicklung von Zuschauer und Burns zunächst analog verlaufen. Beide starten unbedarft bei Null und müssen sich zunächst in eine kulturelle Semantik einfinden, die ihnen absolut fremd ist. In einer der zahllosen Schlüsselszenen wird Burns prüfend von Gästen des Clubs gemustert, die dabei auch immer in einer Nahaufnahme direkt in die Kamera schauen. Dass dieses zeitweilige Aufheben der Rezipienten-Sicherheit als offensive Hinterfragung der eigenen psycho-sozialen Integrität zu verstehen ist, liegt dabei auf der Hand. Mit der Zeit gabeln sich die Wege von Zuschauer und Protagonist. Burns entgleitet uns mehr und mehr, wird zunehmend undurchschaubar. Sinnfälligster Ausdruck dieser Entfremdung ist eine expressive Tanzszene, in der sich Burns unter Zuhilfenahme aufputschender Drogen in einen tranceartigen Zustand versetzt. In genau diesem Moment hat er eine Einsicht gewonnen, die seine zuvor praktizierte Mimikry Lichtjahre hinter sich lässt. In der bearbeiteten Neu-Fassung des Films hat der Regisseur diesen Epiphanie-Charakter durch das Hinzufügen greller Lichtblitze noch weiter akzentuiert. Einem der mutmaßlichen Verdächtigen scheint eine ähnliche Offenbarung widerfahren zu sein. In einem unabgeschickten Brief an seinen dominanten Vater notiert er: „Ich habe das Gefühl, eine Entdeckung zu machen. Gestern im Park habe ich einen riesigen Schatten gesehen. Es hatte den Anschein, als würde er vom Baum heruntertropfen wie Teer. Aus seiner Mitte quoll rote Glut.“

Die zu Beginn der Ermittlungen beabsichtige Trennung von Beruf und Privatleben ist mittlerweile nur noch reine Makulatur. Das Fremde ist Burns nachgeschlichen und zeigt sich nun in den furchtbarsten Metamorphosen. Wie in der Parkvision metaphorisch antizipiert, ist das Grauen teerartig-amorph und hat viele Gestalten. Als Burns am Ende des Films beim Rasieren in den Spiegel blickt, wissen weder er noch der Zuschauer, was für ein Mensch sich eigentlich genau hinter dieser Erscheinung verbirgt. Ein Dämon ist ihm beim Durchleben seiner persönlichen Höllenfahrt zurück ans Licht gefolgt und wird für immer sein stummer Gast sein.

Friedkin hat mit CRUISING absolutes Kino geschaffen. Ein Kraftfeld unendlicher Verweise, Andeutungen und Doppeldeutigkeiten, deren wirkliche Zusammenhänge niemals letztgültig ergründet werden können. Wie es sich für ein Kunstwerk von Rang gehört, gehen Präsenz und Absenz dabei zu jeder Sekunde zusammen: Immer wenn wir meinen, den Film in seiner Gestalt fixiert zu haben, sehen wir sein Bild schon wieder in der Unbestimmbarkeit verlöschen.

Bearbeitet von Groucho Marx, 17. Februar 2008, 23:22.






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